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Der Chevalier von Maison-Rouge

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XXI.
Die rothe Nelke

Die Königin war so eben erst aufgestanden, Seit zwei oder drei Tagen krank, blieb sie länger als gewöhnlich im Bette. Da sie indessen von ihrer Schwägerin hörte, die Sonne sei prachtvoll aufgegangen, strengte sie sich an und verlangte, um ihre Tochter frische Lust schöpfen zu lassen, auf der Terrasse spazieren zu gehen, was ihr ohne Schwierigkeiten bewilligt wurde.

Dann bestimmte sie auch noch eine andere Ursache. Einmal, allerdings nur ein einziges Mal, hatte sie den Dauphin von der Höhe des Thurmes herab im Garten erblickt. Aber bei der ersten Geberde, welche Sohn und Mutter ausgetauscht, war Simon dazwischen getreten und hatte das Kind hineingehen heißen.

Doch sie hatte ihn gesehen und das war viel. Wohl war der junge Gefangene sehr bleich und sehr verändert. Dann war er auch wie ein Kind aus dem Volke in eine Carmagnole und in eine grobe Hose gekleidet. Aber man hatte ihm wenigstens seine schönen, blonden gelockten Haare gelassen, welche ihm eine Glorie machten, die das Märtyrerkind ohne Zweifel nach dem Willen Gottes für den Himmel behalten sollte.

Wenn sie ihn nur einmal wiedersehen könnte, welches Fest für dieses Mutterherz!

Hierzu kam noch etwas Anderes.

»Meine Schwester,« hatte Madame Elisabeth zu ihr gesagt, »Sie wissen, daß wir im Corridor einen Strohhalm gefunden haben, der in einer Ecke der Mauer empor stand. In unserer Zeichensprache bedeutet das, daß wir auf Alles um uns her aufmerksam sein sollen und daß ein Freund nahe.«

»Es ist wahr,« hatte die Königin geantwortet, die ihre Schwägerin und ihre Tochter mitleidig anschaute und sich selbst ermuthigte, daß sie nicht an ihrer Rettung verzweifeln möge.

Den Anforderungen des Dienstes war Genüge geschehen, Maurice war nun um so mehr Herr im Thurm als der Zufall ihn für die Wache am Tage und die Municipale Agricola und Mercevault als Wächter für die Nacht bezeichnet hatte.

Die abgehenden Municipale entfernten sich, nachdem sie ihr Protokoll bei dem Rathe des Temple zurückgelassen hatten.

»Nun, Bürger Municipal,« sagte die Frau Tison, als sie Maurice begrüßte, »Ihr bringt Gesellschaft, um unsere Tauben anzuschauen. Nur ich bin verurtheilt meine arme Heloise nicht mehr zu sehen.«

»Es sind Freunde von mir, welche die Frau Capet nie gesehen haben,« erwiderte Maurice.

»Sie werden vortrefflich hinter der Glasthüre stehen.«

»Gewiß,« sagte Morand.

»Nur werden wir das Ansehen von jenen grausamen, Neugierigen haben, welche von der andern Seite eines Gitters sich an den Qualen eines Gefangenen weiden,« sprach Geneviève.

»Nun, warum führt Ihr sie nicht aus den Weg nach dem Thurme, Eure Freunde, da die Frau heute dort mit ihrer Schwägerin und ihrer Tochter spazieren geht, denn ihr haben sie die Tochter gelassen, während man mir die ich nicht schuldig bin, mein Kind genommen hat. Oh die Aristokraten! was man auch thun mag, sie werden immer noch Begünstigungen für sie haben, Bürger Maurice.«

»Aber sie haben ihr den Sohn genommen,« versetzte dieser.

»Ah! wenn ich einen Sohn hätte,« murmelte die Gefangenenwärterin, »ich glaube, dann würde ich den Verlust meiner Tochter weniger beklagen.«

Geneviève hatte während dieser Zeit einige Blicke mit Morand gewechselt.

»Mein Freund,« sagte die junge Frau zu Maurice, »die Bürgerin hat Recht. Wenn Sie mich auf irgend eine Weise an den Weg von Marie Antoinette stellen könnten, so würde mir das minder widerstreben, als sie von hier aus zu betrachten. Mir scheint, daß diese Art, die Personen zu beschauten, zugleich demüthigend für sie und für uns ist.«

»Gute Geneviève,« versetzte Maurice, »Sie haben also jegliches Zartgefühl?«

»Ah! bei Gott, Bürgerin,« rief einer von den zwei Collegen von Maurice, welcher im Vorzimmer Brod und Würste frühstückte, »wenn Sie Gefangene wären und die Witwe Capet die Neugierde hätte, Sie sehen zu wollen, sie würde nicht so viele Umstände machen, die Schelmin, um diese Laune zu befriedigen.«

Mit einer Bewegung, rascher als der Blitz, wandte Geneviève die Augen auf Morand, um zu beobachten, weiche Wirkung diese Beleidigung auf ihn hervorbrächte. Morand bebte in der That; ein seltsamer, so zu sagen phosphorescirender Schimmer sprang aus seinen Augenlidern hervor und seine Fäuste zogen sich einen Augenblick krampfhaft zusammen; doch alle diese Zeichen waren so rasch, daß sie unbemerkt vorübergingen.

»Wie heißt dieser Municipal?« fragte Geneviève Maurice.

»Es ist der Bürger Mercevault,« antwortete der junge Mann; dann fügte er bei, als wollte er seine Grobheit entschuldigen: »ein Steinhauer.«

Mercevault hörte es und warf einen Seitenblick aus Maurice.

»Vorwärts!« sagte die Frau Tison, »mach' ein Ende mit Deiner Wurst und mit Deiner Halbflasche, daß ich abtragen kann!«

Es ist nicht der Fehler der Oesterreicherin, wenn ich zu dieser Stunde hier speise; hätte sie mich am 10. August umbringen können, so würde sie es sicherlich gethan haben; am Tage wo sie in den Sack niesen muß, werde ich auch der Erste in Reihe und Glied und fest aus dem Posten sein.

Morand wurde bleich wie ein Todter.

»Gehen wir, Bürger Maurice,« sagte Geneviève, »gehen wir, wohin Sie uns zu führen versprochen haben, hier komme ich mir wie eine Gefangene vor, ich ersticke.

Maurice führte Morand und Geneviève hinaus; von Lorin in Kenntniß gesetzt, ließen sie die Schildwachen ohne Schwierigkeit vorüber.

Er stellte sie an einen kleinen Gang des obere Stockes, so daß in dem Augenblick, wo die Königin, Madame Elisabeth und die junge Prinzessin zur Galerie hinaufstiegen, die erhabenen Gefangenen nothwendig an ihnen vorüberkommen mußten.

Da der Spaziergang aus zehn Uhr bestimmt war und man nur noch einige Minuten zu warten hatte, so verließ Maurice nicht nur seine Freunde nicht, sondern er nahm sogar den Bürger Agricola, dem er begegnet war mit sich, damit nicht der leiseste Verdacht über diesem etwa, ungesetzlichen Schritte schwebte.

Es schlug zehn Uhr.

»Oeffnet!« rief unten aus dem Thurme eine Stimme in der Maurice die des General Santerre erkannte.

Sogleich nahm die Wache ihre Gewehre und man schloß die Gitter. Im ganzen Thurme entstand ein Geräusch von Eisen, von Steinen und Tritten, das einen gewaltigen Eindruck auf Morand und Geneviève machte, denn Maurice sah sie Beide erbleichen.

»Welche Vorsichtsmaßregeln, um drei Frauen zu bewachen!« flüsterte Geneviève.

»Ja,« sagte Morand, der zu lachen sich anstrengte, »wenn diejenigen, welche es versuchen, sie entweichen zu lassen, an unserem Platze wären und sehen würden was wir sehen, das dürfte ihnen das Gewerbe entleiden,«

»In der That,« sprach Geneviève, »ich fange an, zu befürchten, daß sie nicht entkommen werden.«

»Und ich hoffe es,« versetzte Maurice.

Bei diesen Worten neigte er sich über das Treppengeländer und sagte sodann:

»Aufgepaßt, hier sind die Gefangenen.«

»Nennen Sie mir dieselben, denn ich kenne sie nicht,« sprach Geneviève.,

»Die, zwei Ersten, welche heraufsteigen, sind die Schwester und die Tochter von Capet. Die Letzte, der ein Hund vorangeht, ist Marie Antoinette.«

Geneviève machte einen Schritt vorwärts. Morand lehnte sich im Gegentheil, statt zu schauen, an die Mauer an. '

Seine Lippen waren bleicher und erdfahler als der Stein des Thurmes.

Geneviève mit ihrem weißen Gewande und ihren silbernen, reinen Augen schien ein Engel zu sein, der die Gefangenen erwartete, um ihren bitteren Pfad zu erleichtern und im Vorübergehen etwas Freude in ihr Herz zu bringen.

Madame Elisabeth und die königliche Prinzessin gingen vorbei, nachdem sie einen erstaunten Blick aus die Fremden geworfen hatten; ohne Zweifel dachte die Erstere, es wären diejenigen, welche ihnen die Zeichen verkündigten, denn sie wandte sich lebhaft gegen die junge Prinzessin m und drückte ihr die Hand, .während sie zugleich ihr Sacktuch, um die Königin aufmerksam zu machen, fallen ließ.

»Geben Sie Obacht, meine Schwester,« sagte sie, »ich habe mein Sacktuch entschlüpfen lassen.«

Und sie ging mit der jungen Prinzessin weiter.

Die Königin, bei der ein keuchender Athem und ein kurzer, trockener Husten ein Unwohlsein ankündigten, bückte sich, um das Sacktuch aufzuheben, das zu ihren Füßen gefallen war; aber schneller als sie bemächtigte sich ihr kleiner Hund desselben und brachte es Madame Elisabeth. Sie stieg daher weiter hinauf und befand sich nach einigen Stufen ebenfalls vor Geneviève, Morand und dem jungen Municipal.

»Oh! Blumen!« sagte sie; »ich habe lange keine mehr gesehen. Wie das gut riecht und wie glücklich sind Sie, daß Sie Blumen besitzen, Madame.«

Schnell wie der Gedanke, der sich in diesen schmerzlichen Worten geäußert hatte, streckte Geneviève die Hand aus, um ihren Strauß der Königin anzubieten. Madame Antoinette erhob das Haupt, schaute sie an, und eine unmerkliche Rothe erschien auf ihrer entfärbten Stirne.

Aber durch eine ganz natürliche Bewegung, in die Gewohnheit des leidenden Gehorsams gegen die Vorschrift streckte Maurice die Hand aus, um den Arm von Geneviève zurückzuhalten.

Die Königin zögerte, sie schaute Maurice an, erkannte in ihm den jungen Municipal, der mit ihr zwar mit Festigkeit, zugleich aber auch mit Ehrfurcht zu sprechen pflegte, und fragte:

»Ist es verboten, mein Herr?«

»Nein, nein, Madame,« antwortete Maurice. »Geneviève, Sie können Ihren Strauß anbieten,«

»Oh! Dank, Dank, mein Herr,« rief die Königin, mit lebhafter Erkenntlichkeit; dann grüßte Marie Antoinette Geneviève mit einer anmuthreichen Freundlichkeit griff mit einer abgemagerten Hand nach dem Strauße pflückte auf den Zufall eine Nelke aus der Masse der Blumen.

»Nehmen Sie Alles, Madame, nehmen Sie,« sagte Geneviève schüchtern.

»Nein,« entgegnete die Königin mit einem reizende Lächeln; »dieser Strauß kommt vielleicht von einer Person, die Sie lieben, und ich will Sie desselben nicht berauben.«

 

Geneviève erröthete und diese Röthe machte die Königin lächeln,

»Vorwärts, Bürgerin Capet,« sprach Agricola, »Sie müssen Ihren Weg fortsetzen.«

Die Königin grüßte und stieg weiter hinauf; doch ehe sie verschwand, wandte sie sich noch einmal um und murmelte:

»Wie gut riecht diese Nelke und wie hübsch ist diese Frau!«

»Sie hat mich nicht gesehen,« flüsterte Morand, der, beinahe knieend im Halbschatten des Corridors, wirklich den Blicken der Königin entgangen war.

»Aber Sie haben sie gut gesehen, nicht wahr, Morand, nicht wahr, Geneviève?« sagte Maurice, doppelt glücklich, einmal durch das Schauspiel, das er seinen Freunden verschafft, und dann durch das Vergnügen, das er um so geringe Kosten der unglücklichen Gefangenen gemacht hatte.

»Oh! ja, ja,« sagte Geneviève, »ich habe sie gut gesehen und nun, wenn ich hundert Jahre lebte, würde ich sie immer sehen.«

»Und wie finden Sie Marie Antoinette?«

»Sehr schön.«

»Und Sie, Morand?«

Morand faltete die Hände, ohne zu antworten.

»Sagen Sie doch,« sprach leise und lachend Maurice, »sollte Morand etwa in die Königin verliebt sein?«

Geneviève bebte; aber sie faßte sich sogleich wieder und antwortete ebenfalls lachend:

»Meiner Treue, das sieht gerade so aus.«

»Nun, Sie sagen mir nicht, wie Sie Marie Antoinette gefunden haben?« fragte Maurice,

»Ich habe sie sehr bleich gefunden,« erwiderte er.

Maurice nahm den Arm von Geneviève und ließ sie in den Hof hinabsteigen. Auf der dunklen Treppe kam es ihm vor, als ob Geneviève ihm die Hand küßte.

»Was soll das bedeuten, Geneviève?« sagte Maurice.

»Maurice, ich werde nie vergessen, daß Sie wegen nur Laune von mir den Kopf gewagt haben.«

»Oh! Geneviève, das ist Übertreibung. Sie wissen, daß Dankbarkeit von Ihnen gegen mich nicht das Gefühl ist, nach dem ich strebe.«

Geneviève drückte ihm sanft die Hand.

Morand folgte ihnen wankend.

Man kam in den Hof. Lorin erkannte die zwei Besuche und ließ sie aus dem Temple hinaus.

Doch ehe Geneviève wegging, nahm sie Maurice das Versprechen ab, am andern Tage in der Rue Vieille Saint-Jacques zu Mittag zu speisen.

XXII.
Simon der Censor

Maurice kehrte, das Herz voll von einer himmlische Freude, an seinen Posten zurück: er fand die Frau Tison in Thränen.

»Was haben Sie denn wieder, Mutter?« fragte er.

»Ich bin wüthend,« antwortete die Gefangenenwärterin.

»Und warum?«

»Weil für die armen Leute dieser Welt Alles Ungerechtigkeit ist.«

»Aber. . . .«

»Sie sind reich, Sie sind Bürger, Sie kommen nur auf einen Tag hierher, und man erlaubt Ihnen, sich hier von hübschen Frauen besuchen zulassen, welche der Oesterreicherin Sträuße geben, und mir, die ich beständig in dem Taubenschlage niste, verbietet man, meine arme Heloise zu sehen.«

Maurice drückte ein Assignat von zehn Livres in ihre Hand und erwiderte:

«Nehmen Sie, gute Tison, nehmen Sie und fassen Sie Muth. Ei mein Gott! die Oesterreicherin wird nicht ewig währen.«

»Ein Assignat von zehn Livres!« versetzte die Gefangenenwärterin, »das ist hübsch von Ihnen. Doch ein Wickel, der die Haare meiner armen Tochter umschlossen gehabt hätte, wäre mir lieber gewesen.«

Simon, der eben die Treppe herauskam, hörte diese Worte und sah, wie die Gefangenenwärterin das Assignat, das ihr Maurice geschenkt, in die Tasche steckte.

Wir wollen sagen, in welcher Stimmung des Geistes sich Simon befand.

Simon kam vom Hofe, wo er Lorin getroffen hatte. Es herrschte offenbar eine Antipathie zwischen diesen beiden Männern.

Diese Antipathie gründete sich viel weniger auf die heftige Scene, die wir unsern Lesern vor Augen gestellt haben, als auf die Verschiedenheit der Racen, diese ewige Quelle von Feindseligkeiten oder von jener Abneigung, welche man Geheimnisvoll nennt, während sie sich doch so leicht erklären läßt.

Simon war häßlich; Lorin war hübsch. Simon war schmutzig; Lorin roch gut. Simon war ein prahlerischer Republikaner; Lorin war einer von den glühenden Patrioten, welche für die Revolution nur Opfer gebracht hatten, und dann, wenn es hätte zu Schlägen kommen sollen, so fühlte Simon instinktartig, daß ihm die Faust des Muscadin, nicht minder zierlich als Maurice, eine plebejische Züchtigung zugeschieden hätte.

Als Simon Lorin gewahrte, blieb er stehen und erbleichte.

»Dieses Bataillon bezieht also abermals die Wache,« meinte er,

»Nun und hernach?« entgegnete ein Grenadier, dem ich Rede mißfiel; »mir scheint, es ist so viel werth, als ein anderes.«

Simon zog einen Bleistift aus der Tasche seiner Carmagnole und stellte sich, als schriebe er auf ein Blatt Papier, das beinahe so schwarz war, als seine Hände.

»Ei, ei!« sagte Lorin, »Du kannst also schreiben, seitdem Du der Lehrer von Capet bist; seht, Bürger, bei meiner Ehre, er macht eine Note; es ist Simon der Censor.«

Ein allgemeines Gelächter, das aus den Reihen der jungen Nationalgarden hervorbrach, welche beinahe durchgängig wissenschaftlich gebildete Leute waren, machte der elenden Schuhflicker ganz verdutzt.

»Gut, gut,« sagte er, die Zähne bleckend und von Zorn erbleichend, »Du sollst Fremde in den Thurm eingelassen haben, und zwar ohne Erlaubniß der Gemeinde. Gut, gut, ich werde von dem Municipal ein Protokoll aufnehmen lassen.«

»Der versteht wenigstens zu schreiben,« erwiderte Lorin; »Du weißt, es ist Maurice, braver Simon, Maurice die Eisenfaust. Du kennst ihn wohl?«

Gerade in diesem Augenblick gingen Morand und Geneviève hinaus.

Sobald er dies gewahrte, stürzte Simon in den Thum wo er eben erschien, als Maurice der Frau Tison ein Assignat von zehn Livres zum Troste schenkte,

Maurice gab nicht Obacht auf die Gegenwart dieses Elenden, von dem er sich übrigens aus Instinkt entfernte so oft er ihm auf seinem Wege begegnete, wie man von einem giftigen oder ekelhaften Gewürme entfernt.

»Ah! Ah!« sagte Simon zu der Frau Tison, welche ihre Thränen mit der Schürze abtrocknete, »Du willst als durchaus guillotinirt werden, Bürgerin?«

»Ich,« versetzte die Frau Tison, »und warum dies?«

»Wie! Du empfängst Geld von den Municipalen um die Aristokraten bei der Oesterreicherin einzulassen.«

»Ich! schweige doch, Du bist ein Narr«

»Das wird im Protokoll ausgenommen werden, sprach Simon mit gewichtigem Nachdruck.

»Gehe doch, es sind Freunde des Municipal Maurice eines der besten Patrioten, die es gibt.«

»Verschwörer, sage ich Dir; die Gemeinde wird übrigens unterrichtet werden, und sie soll das Urteil fällen.«

»Ah! Du willst mich anzeigen, Polizeispion!«

»Ganz richtig, wenn Du Dich nicht selbst anzeigst.«

»Was anzeigen, was soll ich anzeigen?«

»Was vorgefallen ist,«

»Es ist aber nichts vorgefallen.«

»Wo waren die Aristokraten?«

»Hier auf der Treppe.«

»Als die Witwe Capet in den Thurm hinaufstieg?«

»Ja.«

»Und sie haben sich gesprochen?«

»Sie haben sich zwei Worte gesagt.«

»Zwei Worte, Du siehst; übrigens riecht es hier nach Aritokratie.«

»Das heißt, es riecht nach Nelken.«

»Nach Nelken! warum nach Nelken?«

»Weil die Bürgerin einen duftenden Strauß hatte.«

»Welche Bürgerin?«

»Diejenige, welche die Königin vorübergehen sah.«

»Du siehst wohl, Du sagst die Königin, Frau Tison; »Du wirst durch den häufigen Besuch der Aristokraten verdorben. Nun, auf was gehe ich denn da?« sagte Simon, nachdem er sich bückte.

»Ei! gerade auf einer Blume, auf einer Nelke,« sprach die Tison; »sie wird aus den Händen der Bürgerin Dirmer gefallen sein, als Marie Antoinette eine Blume aus ihrem Strauße nahm.«

»Die Frau Capet hat eine Blume aus dem Strauße Bürgerin Dirmer genommen?« versetzte Simon.

»Ja, und ich habe ihr denselben gegeben, verstehst Du?« rief mit drohender Stimme Maurice, der dieses Gespräch seit einigen Augenblicken hörte und darüber ungeduldig wurde.

»Es ist gut, es ist gut, man sieht, was man sieht, und man weiß, was man sagt,« murrte Simon, welcher immer noch die von seinem breiten Fuße zertretene Nelke in der Hand hielt.

»Und ich,« versetzte Maurice, »ich weiß Eines, und will es Dir sagen: daß Du nichts hier in dem Thurme zu schaffen hast, und daß Dein Henkersposten unten bei dem kleinen Capet ist, den Du jedoch heute nicht schlag wirst, insofern ich hier bin und ich es Dir verbiete.«

»Ah! Du drohst mir und nennst mich einen Henker,« rief Simon, indem er die Blume zwischen seinen Fingern zermalmte; »ah! wir werden sehen, ob es den Aristokrat erlaubt ist. . . Nun, was ist denn das?«

»Was?« fragte Maurice. »Was fühle ich denn in der Nelke? Ah! ah!«

Und vor den erstaunten Augen von Maurice zog Simon aus dem Kelche der Blume ein kleines, mit der größten Sorgfalt zusammengerolltes Papier, das man auf eine künstliche Weise in den Mittelpunkt ihres dichten Busches geschoben hatte.

»Oh! oh!« rief Maurice ebenfalls, »mein Gott, was ist denn das?«

»Wir werden es erfahren, wir werden es erfahren,« sagte Simon, indem er sich der Luke näherte. »Ah! Der Freund Lorin behauptet, ich könne nicht lesen, nun wohl, Du wirst es sehen.?

Lorin hatte Simon verleumdet, er konnte das Gedruckte in allen Charakteren lesen, und das Geschriebene wenn es von einer gewissen Größe war. Doch das Billet war so fein geschrieben, daß Simon seine Zuflucht zu seiner Brille nehmen mußte. Er legte dem zu Folge das Billet auf die Luke und fing an seine Taschen zu durchsuchen. Während er aber mitten in dieser Arbeit war, öffnete der Bürger Agricola die Thüre des Vorzimmers gerade dem kleinen Fenster gegenüber, und es entstand ein Luftzug der das federleichte Papier fortriß, so daß Simon, nachdem er nach kurzem Suchen seine Brille gefunden und auf die Nase gesteckt hatte, sich umwandte, vergebens, nach dem Papier schaute; das Papier war verschwunden.«

Simon stieß ein Gebrülle aus. »Es war hier ein Papier!« schrie er, »es war hier eines; doch nimm Dich in Acht, Bürger Municipal, es muß sich wieder finden.«

Und er stieg rasch hinab und ließ Maurice ganz bestürzt zurück.

Zehn Minuten nachher traten drei Mitglieder der Gemeinde in den Thurm, Die Königin war noch auf der Terrasse und man hatte Befehl gegeben, sie in völliger Unwissenheit über das, was vorgefallen, zu lassen. Sie Mitglieder der Gemeinde ließen sich zu ihr führen.

Der erste Gegenstand, der ihnen in die Augen fiel, war die rothe Nelke, welche sie noch in der Hand hielt, Sie schauten sie erstaunt an, der Präsident der Deputation näherte sich ihr und sprach:

»Geben Sie uns diese Blume.«

Die Königin, welche nicht auf diesen Ueberfall gefaßt war, bebte und zögerte.

»Geben Sie diese Blume, ich bitte Sie, Madame,« rief Maurice mit einer Art von Schrecken.

Die Königin überreichte die verlangte Nelke.

Der Präsident nahm sie und begab sich, gefolgt von seinen Collegen, in einen anstoßenden Saal, um die Durchsuchung vorzunehmen und das Protokoll abzufassen.

Man öffnete die Blume, sie war leer.

Maurice athmete.

»Einen Augenblick Geduld,« sagte eines von den Mitgliedern, »das Herz der Nelke ist herausgenommen worden. Die Höhlung ist allerdings leer, doch in dieser Höhlung war sicherlich ein Bittet enthalten.«

»Ich bin bereit, alle nothwendige Erklärungen und Aufschlüsse zu geben,« sprach Maurice, »doch vor Allem verlange ich verhaftet zu werden.«

»Wir nehmen Kenntniß von Deinem Verlangen,« sagte der Präsident, »doch wir entsprechen demselben nicht, Du bist als ein guter Patriot bekannt, Bürger Lindey.«

»Und ich stehe mit meinem Leben für Freunde, die ich mit mir hier her zu bringen die Unklugheit hatte.«

»Stehe für Niemand,« sprach der Anwalt.

Man hörte einen gewaltigen Lärmen in den Höfen.

Es war Simon, der, nachdem er vergebens vom Wind entführte Billet gesucht, sich zu Santerre geben und diesem den Versuch, die Königin zu entführen mit allen Zugaben erzählt hatte, welche einem solches Ereigniß der Zauber seiner Einbildungskraft zu verleihen vermochte. Santerre lief herbei; man verschloß den Temple und wechselte die Wache zum großen Aerger von Lorin welcher gegen diese Beleidigung, die man seinem Batailion zufügte, feierlichst protestirte.

»Ah! boshafter Schuhflicker,« sagte er zu Simon, indem er ihn mit seinem Säbel bedrohte, »Dir habe diesen Scherz zu verdanken, doch sei unbesorgt, ich werde ihn Dir zurückgeben.«

»Ich glaube vielmehr, daß Du Alles mit einander der Nation bezahlen wirst,« sprach der Schuhflicker sich die Hände reibend.«

 

»Bürger Maurice,« sagte Santerre, »halte Dich; Verfügung der Gemeinde, die Dich befragen wird.«

»Ich bin zu Deinen Befehlen, Commandant, da ich habe bereits verhaftet zu werden verlangt und verlange es abermals.«

»Warte, warte,« murmelte Simon duckmäuserisch, »da Dir so viel daran gelegen ist, so wollen wir Deine Sache besorgen.«

Und er ging zu der Frau Tison.