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Der Chevalier von Maison-Rouge

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II.
Die Unbekannte

In dieser Stimme lag ein solcher Ausdruck von Furcht und angeborener Höhe, daß Maurice bebte. Diese vibrierende Stimme drang auch wie ein elektrischer Schlag bis in sein Herz.

Er wandte sich gegen die Freiwilligen um, welche unter sich berathschlagten. Gedemüthigt dadurch, daß sie ein einziger Mann im Schach gehalten, beriethen sie sich in der sichtbaren Absicht, den verlorenen Boden wiederzugewinnen; sie waren acht gegen Einen; drei hatten Flinten die Anderen Pistolen und Piken. Maurice hatte nur seinen Säbel; der Kampf konnte nicht gleich sein.

Die Frau begriff das selbst; sie ließ ihren Kopf aus die Brust sinken und stieß einen Seufzer aus.

Die Stirne gefaltet, die Lippe verächtlich ausgezogen, den Säbel immer noch aus der Scheide, blieb Maurice unentschlossen zwischen seinen Gefühlen als Mensch, die ihn diese Frau vertheidigen hießen, und seinen Bürgerpflichten, welche ihm sie preiszugeben riethen.

Plötzlich sah man an der Ecke der Rue des Bons-Eufants den Blitz von mehreren Flintenläufen glänzen und man hörte den abgemessenen Marsch einer Patrouille, welche, eine Versammlung erblickend, ungefähr zehn Schritte vor der Gruppe Halt machte und durch die Stimme ihres Corporals: »Wer da?« rief.

«Freund!« rief Maurice entgegen. »Freund, hierher, Lorin.«

Derjenige, an welchen diese Aufforderung gerichtet war, setzte sich in Marsch, trat an die Spitze und näherte sich, rasch gefolgt von acht Mann.

»Ah! Du bist es, Maurice,« sagte der Corporal, ah, Libertin! was machst Du in den Straßen zu dieser Stunde?«

»Du siehst es, ich komme von der Section der Brüder und Freunde.«

»Ja, wir kennen das, um in die der Schwestern und Freundinnen zu gehen.

 
»Horch, Schöne, aus die Kunde,
Daß in der Geisterstunde
Von heißer Lieb entsandt
Heut' eine treue Hand
Den Riegel sachte ziehe,
Der sonst, wenn's dunkelt hinter Dir,
Verschließt die schwere Thür.
 

Ist es nicht so?«

»Nein, mein Freund, Du täuschest Dich; ich wollte unmittelbar noch Hause zurückkehren, als ich die Bürgerin fand, welche sich unter den Händen von Bürgern Freiwilligen sträubte; ich lief herbei und fragte, warum man sie verhaften wolle.«

»Daran erkenne ich Dich,« versetzte Lorin;

»So ist in Frankreich ächter Rittersinn.«

Dann sich gegen die Freiwilligen umwendend:

»Und warum wolltet Ihr diese Frau verhaften?« fragt der poetische Corporal.

»Wir haben es dem Lieutenant schon gesagt,« antwortete der Anführer der kleinen Truppe, »weil sie kein Sicherheits-Karte hatte.«

»Bah! bah!« rief Lorin, »das ist ein schönes Verbrechen.«

»D« kennst also die Bestimmung der Gemeinde nicht? fragte der Anführer der Freiwilligen.

»Doch! doch! aber es gibt auch eine andere Bestimmung, welche diese aufhebt.«

»Welche?«

»Hört:

 
»Aus dem Pindus und Parnaß
Sollen ohne allen Paß
In dem Schmuck der Jugend
Schönheit, Anmuth, Tugend
Frei zu jeder Tagesstunde
Fröhlich halten ihre Runde,
So gebeut es Amor.
 

»Ha! was sagst Du zu diesem Decret, Bürger? es ist galant, wie mir scheint.«

»Ja, doch es scheint mir nicht peremptorisch. Einmal kommt es nicht im Moniteur vor, dann sind wir weder aus dem Pindus, noch aus dem Parnaß, und endlich ist es nicht Tag; auch ist die Bürgerin vielleicht weder jung, noch schön, noch anmuthig.«

»Ich wette das Gegentheil,« rief Lorin. »Laß sehen, Bürgerin, beweise mir, daß ich Recht habe, schlage Deine Hemde zurück, damit alle Welt beurtheilen kann, ob Du den Bedingungen des Decrets entsprichst.«

»Ah! mein Herr,« sagte die junge Frau, indem sie sich an Maurice preßte, »nachdem sie mich gegen Ihre Feinde beschützt haben, beschützen Sie mich auch gegen Ihre Freunde. … ich flehe Sie an.«

»Seht Ihr, seht Ihr,« rief der Anführer der Freiwilligen, »sie verbirgt sich. Meiner Meinung nach ist es eine Spionin der Aristokraten, eine Schelmin, eine Straßenläuferin.«

»Oh! mein Herr,« sprach die junge Frau, indeß sie Maurice einen Schritt vorwärts gehen ließ und ein durch Schönheit, Jugend und Erhabenheit bezauberndes Gesicht entblößte, das durch die Helle des Scheinwerfers beleuchtet wurde, »oh! schauen Sie mich an: sehe ich aus, als wäre ich das, was sie sagen?«

Maurice war geblendet. Nie war ihm etwas dem, was er jetzt erblickt hatte, Aehnliches im Traum erschienen. Wir sagen, was er erblickt hatte, denn die Unbekannte verschleierte abermals ihr Gesicht, und zwar so schnell, als sie es entblößt hatte.

»Lorin,« sagte leise Maurice, »fordere die Gefangene, im sie nach Deinem Posten zu bringen, Du hast als Anführer der Patrouille das Recht dazu.«

»Gut!« erwiderte der junge Corporal, ich verstehe auch ein halbes Wort.«

Dann wandte er sich gegen die Unbekannte um und sprach:

»Vorwärts, meine Schöne, da Du uns nicht den Beweis geben willst, daß Du den Bedingungen des Decrets entsprichst, mußt Du uns folgen,«

»Warum Euch folgen?« versetzte der Anführer der Freiwilligen.

»Allerdings, wir führen die Bürgerin aus den Posten des Stadthauses, wo wir die Wache haben, und dort werden wir die Sache näher untersuchen.«

»Keines Wegs, keines Wegs,« entgegnete der Anführer der ersten Truppe. »Sie gehört uns und wir werden sie bewachen.«

»Ah! Bürger, Bürger,« rief Lorin, »wir werden uns ärgern.«

»Aergert Euch oder ärgert Euch nicht, das ist uns, beim Teufel! Gleichgültig. Wir sind wahre Soldaten der Republik, und während Ihr in den Straßen patrouillirt, gehen wir hin und vergießen unser Blut an der Grenze.«

»Nehmt Euch in Acht, daß Ihr es nicht aus dem Wege vergießt, Bürger, und das könnte Euch wohl begegnen, wenn Ihr nicht artiger seid,«

»Die Artigkeit ist eine Aristokraten-Tugend, und wir sind Sans-culottes,« erwiderten die Freiwilligen,

»Schweigt doch,« versetzte Lorin, »sprecht nicht von dergleichen Dingen vor dieser Frau. Sie ist vielleicht eine Engländerin. Aergere Dich nicht über eine solche Vermuthung, mein schöner Nachtvogel,« fügte er bei, indem er sich galant an die Unbekannte wandte:

 
»Höret, was ein Dichter sprach,
Leise hallen wir es nach:
Was ist der Britten weites Reich?,
Ein Schwanennest in ungemeßnem Teich.«
 

»Ah! Du verräthst Dich,« rief der Anführer der Freiwilligen; »ah! Du gestehst zu, daß Du eine Creatur von Pitt, ein Besoldeter von England, ein . . .«

»Stille,« sagte Lorin, »Du verstehst nichts von der Poesie, mein Freund; ich will auch in Prosa mit Dir sprechen. Höre, wir sind sanfte, geduldige Nationalgarden, aber insgesamt Kinder von Paris, was so viel sagen will, daß wir, wenn man uns die Ohren erhitzt, gehörig zuschlagen.«

»Madame,« sprach Maurice, »Sie sehen, was vorgeht, und errathen, was vorgehen wird: in fünf Minuten werden sich zehn bis zwölf Menschen für Sie erwürgen, Verdient die Sache, der sich diejenigen, welche Sie vertheidigen wollen, angenommen haben, das Blut, das deßhalb, fließen soll?«

»Mein Herr,« antwortete die Unbekannte die Hände faltend, »ich kann Ihnen nur Eines sagen: wenn Sie mich verhaften lassen, wird daraus für mich und Andere so großes Unglück entstehen, daß ich Sie bitte, mir lieber das Herz mit der Waffe, die Sie in der Hand halten, zu durchbohren und meinen Leichnam in die Seine zu werfen.«

»Es ist gut, Madame,« versetzte Maurice; «ich nehme Alles auf mich.«

Und er ließ die Hände der schönen Unbekannten, die er in den seinigen hielt, fallen und sprach zu den Nationalgarden:

»Bürger, als Euer Officier, als Patriot, als Franzose befehle ich Euch, diese Frau zu beschützen, und Du, Lorin, wenn diese ganze Canaille ein Wort sagt, zum Bajonnet gegriffen!«

»Ergreift die Waffen!« sprach Lorin!

»Oh! mein Gott! mein Gott!« rief die Unbekannte, indem sie ihren Kopf in ihren Capuchon hüllte und sich an einen Weichstein anlehnte. »Oh! mein Gott! beschütze ihn.«

Die Freiwilligen versuchten es, sich in Vertheidigungsstand zu setzen. Einer von ihnen drückte sogar eine Pistole ab, deren Kugel den Hut von Maurice durchbohrte.

»Kreuzt die Bajonnete,« rief Lorin. »Ram, plan, plan, plan, plan, plan, plan.«

Es trat dann in der Finsterniß ein Augenblick des Kampfes und der Verwirrung ein, wobei man ein paar Flintenschüsse, Verwünschungen, Geschrei, Blasphemien hörte, doch Niemand kam, denn es ging, wie gesagt, ein dumpfes Gerücht von einer bevorstehenden Metzelei, und man glaubte, diese Metzelei beginne. Es öffneten sich nur zwei oder drei Fenster, um sich sogleich wieder zu schließen.

Minder zahlreich und minder gut bewaffnet, wurden die Freiwilligen in einem Augenblick kampfunfähig macht. Zwei von ihnen waren schwer verwundet, vier Andere, jeder mit einem Bajonnet auf der Brust, gleichsam an die Wand geklebt.

»So ist es gut,« sprach Lorin, »ich hoffe, Ihr werdet nun sanft sein, wie die Lämmer Dich, Bürger Maurice, Dich beauftrage ich, diese Frau auf den Posten des Stadthauses zu führen. Du begreifst, daß Du für sie verantwortlich bist.«

»Ja,« erwiderte Maurice, und fügte dann leise bei:

»Und das Losungswort?«

»Oh! Teufel,« versetzte Lorin, sich hinter dem Ohre kratzend, »das Losungswort. . . es ist . . .«

»Befürchtest Du etwa, ich könnte einen schlechten Gebrauch davon machen?«

»Oh! meiner Treue, mache einen Gebrauch davon, welchen Du willst, das ist Deine Sache.«

»Du sagst also?«

»Ich sage, daß ich es Dir sogleich nennen will; doch zuerst laß mich diese Bursche wegschaffen. Dann wäre es mir nicht unangenehm, Dir, ehe ich von Dir gehe, mit ein paar Worten einen guten Rath zu geben.«

»Es sei, ich werde Dich erwarten.«

Lorin kehrte zu den Freiwilligen zurück, welche die Nationalgarden immer noch im Respect erhielten,

 

»Nun,« sagte er, »habt Ihr genug?«

»Ja, Hund von einem Girondisten,« erwiderte der Anführer.

»Du täuschest Dich, mein Freund,« sprach Lorin voll Ruhe, »wir sind bessere Sans-culottes als Du, in Betracht, daß wir zu dem Club der Thermopylen gehören, dessen Vaterlandsliebe man hoffentlich nicht in Zweifel ziehen wird. Laßt die Bürger gehen,« fuhr Lorin fort, »sie ziehen nichts in Zweifel.«

»Es ist darum nicht minder wahr, daß diese Frau eine Verdächtige ist. . .«

»Wenn sie eine Verdächtige wäre, so würde sie sich während der Schlacht geflüchtet haben, statt zu warten, wie Du siehst, bis die Schlacht beendigt war.«

»He,« rief einer von den Freiwilligen, »was der Bürger da sagt, ist ziemlich richtig.«

»Uebrigens werden wir es erfahren, da sie mein Freund auf den Posten führt, während wir aus die Gesundheit der Nation trinken gehen.«

»Wir gehen trinken?« fragte der Anführer.

»Gewiß, ich habe gewaltig Durst, und ich kenne eine hübsche Schenke an der Ecke der Rue Thomas du Louvre!«

»Ei! warum sagst Du das nicht sogleich? Es ärgert ms, daß wir an Deinem Patriotismus gezweifelt haben; und zum Beweis, umarmen wir uns im Namen der Nation und des Gesetzes.«

Und die Freiwilligen und die Nationalgarden umarmten sich voll Begeisterung. In jener Zeit übte man ebenso gern die Umhalsung, als die Enthalsung.

»Vorwärts, Freunde,« riefen nun die zwei vereinigten Truppen, »an die Ecke der Rue Thomas du Louvre.«

»Und wir!« sagten die Verwundeten mit kläglicher Stimme, »wird man uns hier zurücklassen?«

»Oh! ja wohl, zurücklassen!« sagte Lorin; »Brave zurücklassen, welche für das Vaterland kämpfend gefallen sind, es ist wahr, gegen Patrioten kämpfend, doch aus Irrthum, das ist abermals wahr; man wird Euch Tragbahren schicken. Mittlerweile singt die Marseillaise, das wird Euch zerstreuen.

 
»Allez enfants de la patrie,
Le jour de gloire est arrive«
 

Dann näherte er sich Maurice, der mit seiner Unbekannten an der Ecke der Rue du Coq stehen blieb, während die Nationalgarden und die Freiwilligen Arm in Arm nach der Place du Palais-Egalité hinausgingen, und sagte:

»Maurice, ich habe Dir einen Rath versprochen, höre ihn, Komm lieber mit uns, als daß Du Dich gefährdest, indem Du die Bürgerin beschützest, die mir allerdings reizend vorkommt, aber darum nur um so verdächtiger ist, denn die reizenden Frauen, welche um Mitternacht in den Straßen umherlaufen. . .«

»Mein Herr,« versetzte die Unbekannte, »ich bitte Sie beurtheilen Sie mich nicht nach dem Anschein.«

»Vor Allem sagen Sie: mein Herr, was ein großer Fehler ist, hörst Du, Bürgerin? Oh! nun sage ich selbst Sie.«

»Ja, ja, Bürger, laß Deinen Freund seine gute Handlung vollenden.«

»Wie dies?«

»Dadurch, daß er mich bis in meine Wohnung zurückführt und mich den ganzen Weg entlang beschützt.«

»Maurice, Maurice,« versetzte Lorin, »Du gefährdest Dich furchtbar.«

»Ich weiß es wohl,« antwortete der junge Mann; »doch was willst Du? wenn ich die arme Frau verlasse, wird sie aus jedem Schritt von Patrouillen festgenommen werden.«

»Oh! ja, ja, während ich mit Ihnen, mein Herr, während ich mit Dir, Bürger, will ich sagen, gerettet bin.«

»Du hörst es, gerettet!« sprach Lorin. »Sie läuft also große Gefahr?«

»Höre, mein lieber Lorin,« entgegnet Maurice, »wir wollen gerecht sein. Es ist eine gute Patriotin oder eine Aristokratin. Ist es eine Aristokratin, so hatten wir Unrecht, sie zu beschützen; ist es eine gute Patriotin, so entspricht es unserer Pflicht, sie zu behüten.«

»Verzeih, verzeih, lieber Freund, es thut mir leid für Aristoteles; doch Deine Logik ist albern. Du bist wie derjenige, welcher sagte:

 
»Iris stahl mir die Vernunft,
Fordert Weisheit dann von mir.«
 

»Höre Lorin,« sprach Maurice, »ich bitte Dich, laß Dorat, Parny, Gentil-Bernard ruhen. Sprechen wir im Ernste: willst Du mir das Losungswort geben oder nicht geben?«

»Das heißt, Maurice, Du versetzt mich in die Nothwendigkeit, meine Pflicht meinem Freunde, oder meinem Freund meiner Pflicht zu opfern. Ich befürchte aber sehr, Maurice, die Pflicht wird geopfert werden.«

»Entschließe Dich zu dem Einen oder zu dem Andern, mein Freund. Doch im Namen des Himmels, entschließe Dich aus der Stelle.«

»Du wirft keinen Mißbrauch davon machen?«

»Ich verspreche es Dir.«

»Das ist nicht genug; schwöre!«

»Aus was?«

»Schwöre auf den Altar des Vaterlands.«

Lorin nahm seinen Hut ab, streckte ihn gegen Maurice auf der Seite der Cocarde aus, und Maurice, der die Sache ganz einfach fand, leistete, ohne zu lachen, den verlangten Eid auf den improvisirten Altar.

»Uno nun,« sagte Lorin, »und nun höre das Losungswort: Gallien und Lucretia. Vielleicht begegnen Dir einige, die Dir sagen wie mir: Gallien und Lucretia; bah! laß es gut sein, das ist immer noch römisch.«

»Bürgerin,« sprach Maurice, »nun bin ich zu Ihren Diensten. Ich danke, Lorin.«

»Glückliche Reise,« versetzte dieser, während er sich Wieder mit dem Altar des Vaterlandes bedeckte; und getreu seinem anakreontischen Geschmack entfernte er sich, während er murmelte:

 
»Lenore, Du hast sie gelaunt,
Die Sünde im Rosengewand;
Du hast sie gefürchtet und dennoch begangen,
Du hast sie ersehnt mit heimlichem Bangen,
Sag an, ob sie schrecklich?. . .«
 

III.
Die Rue des Fossés-Saint-Victor

Als sich Maurice mit der jungen Frau allein fand, fühlte er sich ein wenig verlegen. Die Furcht, bethört zu sein, der Reiz dieser wunderbaren Schönheit, ein unbestimmter innerer Vorwurf, der das reine Gewissen des exaltirten Republikaners bedrückte, hielten ihn im Augenblick zurück, wo er der jungen Frau seinen Arm zu geben im Begriff war.

»Wohin gehen Sie, Bürgerin?« sagte er zu ihr.

»Ach! mein Herr, sehr weit,« antwortete sie.

»Aber doch . . .«

»In die Gegend des Jardin des Plantes.«

»Es ist gut: gehen wir.«

»Oh! mein Gott, mein Herr,« sprach die Unbekannte, »ich sehe wohl, daß ich Sie belästige; doch glauben Sie mir, ohne das Unglück, das mir begegnet ist, und wenn ich nicht große Gefahr zu laufen überzeugt wäre, würde ich Ihren Edelmuth nicht so mißbrauchen.«

»Aber, Madame,« sprach Maurice, der bei diesem Zusammensein unter vier Augen die von dem Wörterbuch der Republik vorgeschriebene Sprache vergaß und zu seiner gewöhnlichen Sprache zurückkehrte, »wie kommt es, aufrichtig gestanden, daß Sie sich zu dieser Stunde aus den Straßen von Paris befinden? Sehen Sie, ob Sie, uns ausgenommen, eine einzige Person erblicken?«

»Mein Herr, ich habe es Ihnen gesagt: ich machte einen Besuch im Faubourg du Roule. Ich entfernte mich um Mittag von Hause, ohne etwas von dem zu wissen, was vorgeht, und kehrte nun zurück, ohne mehr erfahren zu haben: meine ganze Zeit verging in einem etwas entlegenen Hause.«

»Ja,« murmelte Maurice, »in irgend einem Hause von Ci-devant, in einem Aristokratenschlupfwinkel. Gestehen Sie, Bürgerin, daß Sie, während Sie ganz laut Beistand von mir verlangen, ganz leise darüber lachen, daß ich Ihnen denselben gewähre.«

»Ich!« rief sie, »und warum dies?«

»Allerdings; Sie sehen, daß ein Republikaner Ihnen als Führer dient; nun, dieser Republikaner verräth ganz einfach seine Sache.«

»Aber, Bürger,« versetzte die Unbekannte, »Sie sind im Irrthum, ich liebe die Republik eben so sehr als Sie.«

»Wenn sie eine gute Patriotin sind, haben Sie nichts zu befürchten. Woher kommen Sie?«

»Oh! mein Herr, ich bittet!« sagte die Unbekannte.

Es lag in diesem mein Herr ein solcher Ausdruck tiefer, zarter Schamhaftigkeit, daß sich Maurice in den darin enthaltenen Gefühlen nicht täuschen zu können glaubte.

»Diese Frau kommt sicherlich von einem Liebesrendezvous,« sagte er.

Und ohne zu begreifen, warum, fühlte er, wie sich bei diesem Gedanken sein Herz zusammenschnürte.

Bon diesem Augenblick an versank er in ein Stillschweigen.

Die zwei nächtlichen Wanderer hatten indessen die Rue de la Verrerie erreicht, nachdem sie drei oder vier Patrouillen begegnet waren, welche sie mit Hilfe des Losungswortes frei ziehen ließen, als bei einer letzten der Officier Schwierigkeiten zu machen schien.

Maurice glaubte dem Losungsworte seinen Namen und seine Wohnung beifügen zu müssen.

»Gut,« sagte der Officier, »daß ist für Dich, aber die Bürgerin?«

»Die Bürgerin?«

»Wer ist sie?«

»Es ist . . . die Schwester meiner Frau.«

Der Officier ließ sie vorüber.

»Sie sind also verheirathet, mein Herr?« flüsterte die Unbekannte.

»Nein, Madame; warum dies?«

»Weil es dann kürzer gewesen wäre, Sie hätten gesagt, ich sei Ihre Frau,« erwiderte sie lachend.

»Madame,« sprach Maurice, »der Name Frau ist ein heiliger Titel, den man nicht leichtsinnig geben muß. Ich habe nicht die Ehre, Sie zu kennen.«

Nun war die Reihe an der Unbekannten, sie fühlte ebenfalls, wie ihr Herz sich zusammenschnürte, und Versank auch in ein Stillschweigen.

In diesem Augenblick gingen sie über den Pont Marie.

Die junge Frau marschierte immer schneller, je mehr man sich dem Ziele des Laufes näherte.

Man kam über den Pont de la Tournelle.

»Wir sind, glaube ich, in Ihrem Quartier,« sagt Maurice, als er den Fuß aus den Quai Saint-Bernard setzte

»Ja, Bürger,« sprach die Unbekannte, »doch gerade! hier bedarf ich Ihres Beistands am meisten.«

»In der That, Madame, Sie verbieten mir, indiscret zu sein, und thun zu gleicher Zeit Alles, was Sie können, um meine Neugierde rege zu machen. Ich bitte, etwas Vertrauen, ich habe es, wie ich glaube, wohl verdient. Werden Sie mir nicht die Ehre erweisen, mir zu sagen, mit wem ich spreche?«

»Mein Herr,« versetzte die Unbekannte lächelnd, »Sie sprechen mit einer Frau, die Sie von der größten Gefahr, welcher sie je preisgegeben war, gerettet haben, und die Ihnen ihr ganzes Leben dankbar sein wird.«

»Ich verlange nicht so viel von Ihnen, Madame; seien Sie minder dankbar und sagen Sie mir in dieser Sekunde Ihren Namen.«

»Unmöglich.«

»Sie hätten ihn doch dem ersten besten Sectionär genannt, der Sie aus den Posten geführt haben würde.«

»Nein, niemals!« rief die Unbekannte.

»Dann wären Sie in den Kerker gebracht worden.«

»Ich war zu Allem entschlossen.«

»Aber der Kerker in diesem Augenblick . . .«

»Ist das Schaffot, ich weiß es.«

»Und Sie hätten das Schaffot vorgezogen?«

»Dem Verrath . . . meinen Namen nennen hieß verrathen!«

»Ich sagte Ihnen wohl, daß Sie mich eine sonderbare Rolle für einen Republikaner spielen ließen!«

»Sie spielen die Rolle eines edelmüthigen Mannes. Sie finden eine arme Frau, die man beleidigt, Sie verachten sie nicht, obgleich sie vom Volke ist, und da sie abermals beleidigt werden kann, so führen Sie diese Frau, um sie aus dem Schiffbruch zu retten, bis zu dem elenden Quartiere zurück, das sie bewohnt: das ist das Ganze.«

»Ja, Sie haben Recht, dem Anscheine nach; das hätte ich glauben können, wenn ich Sie nicht gesehen, wenn Sie nicht mit mir gesprochen hätten. Doch Ihre Schönheit, Ihre Sprache bezeichnen eine Frau von Distinction; gerade aber diese Distinction, im Gegensatz mit Ihrer Kleidung und diesem elenden Quartier, beweist mir, daß Ihr Ausgang zu dieser Stunde irgend ein Geheimnis verbirgt; Sie schweigen . . . sprechen wir nicht mehr davon. Sind wir noch fern von Ihrer Wohnung, Madame?«

In diesem Augenblick traten sie in die Rue des Fossés» Saint-Victor, durch die Rue de Seine.

»Sie sehen jenes kleine, schwarze Gebäude?« sagte die Unbekannte, indem sie die Hand gegen ein Haus ausstreckte, das jenseits der Mauern des Jardin des Plantes lag.

»Sehr gut, Madame. Befehlen Sie, ich bin da, um zu gehorchen.«

»Sie werden ärgerlich?«

»Ich! nicht im Geringsten; was ist übrigens Ihnen daran gelegen?«

»Es ist mir viel daran gelegen, denn ich habe mir von Ihnen noch etwas zu erbitten.«

»Was?«

»Einen sehr herzlichen und liebevollen Abschied, einen Freundesabschied!«

»Einen Freundesabschied! oh! Sie erweisen mir zu viel Ehre, Madame. Ein seltsamer Freund, der nicht einmal den Namen seiner Freundin weiß, und dem die Freundin ihre Wohnung verbirgt, ohne Zweifel aus Furcht vor der Unannehmlichkeit, ihn wiederzusehen.«

Die junge Frau neigte das Haupt und antwortete nicht.

»Madame,« fuhr Maurice fort, »wenn ich ein Geheimnis errathen habe, so dürfen Sie mir deßhalb nicht grollen, ich trachtete nicht darnach.«

 

»Ich bin an Ort und Stelle, mein Herr,« sprach die Unbekannte.

Man war vor der Rue Saint-Jacques, welche von hohen, schwarzen Häusern eingefaßt, von dunkeln Gängen und von Gäßchen durchzogen war, in denen Lohgerber und ähnliche Handwerker ihre Geschäfte betrieben, denn zwei Schritte daran läuft das kleine Flüßchen Bièvre.

»Hier?« sagte Maurice, »hier wohnen Sie?«

»Ja.«

»Unmöglich!«

»Es ist dennoch so. Leben Sie wohl, mein braver Ritter, leben Sie wohl, mein edler Beschützer!«

»Leben Sie wohl, Madame,« erwiderte Maurice mit einer leichten Ironie; »aber sagen Sie mir, um mich zu beruhigen, daß Sie keine Gefahr mehr laufen.«

»Keine.«

»Dann entferne ich mich.«

Und Maurice machte eine kalte Verbeugung und wich zwei Schritte zurück.

Die Unbekannte blieb einen Augenblick auf demselben Platze,

»Ich möchte nicht gern so von Ihnen Abschied nehmen,« sagte sie, »geben Sie mir Ihre Hand, Herr Maurice.«

Maurice näherte sich der Unbekannten und reichte ihr seine Hand.

Er fühlte, daß ihm die junge Frau einen Ring an, den Finger gleiten ließ.

»Oh! oh! was machen Sie denn da? Sie bemerken nicht, daß Sie einen von Ihren Ringen verlieren?«

»Oh! mein Herr,« erwiderte sie, »was Sie da thun, ist sehr schlimm.«

»Nicht wahr, Madame, es fehlte mir nur noch das Laster, undankbar zu sein?«

»Ich bitte Sie, mein Herr . . . mein Freund, verlassen sie mich nicht so, sprechen Sie, was wünschen Sie, was verlangen Sie?«.

»Nicht wahr, um bezahlt zu sein?'' versetzte der junge Mann voll Bitterkeit.

»Nein,« sprach die Unbekannte mit einem bezaubernden Ausdruck, »aber um mir das Geheimnis zu vergeben, das ich gegen Sie zu bewahren genöthiqt bin.«

Als Maurice in der Dunkelheit diese schönen, beinahe thränenfeuchten Augen glänzen sah, als er diese warme Hand in seinen Händen zittern fühlte, als er diese Stimme hörte, welche beinahe zum Tone der Bitte herabgesunken war, ging er plötzlich vom Zorn zu einem Gefühl der Begeisterung über.

»Was ich verlange?« rief er, »ich verlange, Sie wiederzusehen.«

»Unmöglich.«

»Wäre es nur ein einziges Mal, eine Stunde, eine Minute, eine Secunde.«

»Unmöglich, sage ich Ihnen.«

»Wie!« fragte Maurice. »Sagen Sie mir im Ernst, ich Sie nie wiedersehen wer«e?«

»Nie!« antwortete die Unbekannte wie ein schmerzliches Echo.

»Oh, Madame, Sie spotten meiner offenbar,« sprach Maurice.

Und er erhob sein edles Haupt und schüttelte seine langen Haare nach der Weise eines Mannes, der einer Gewalt entkommen will, die ihn unwillkürlich umfesselt hält.

Die Unbekannte schaute ihn mit, einem unbeschreiblichen Ausdruck an. Man sah, daß sie nicht ganz dem Gefühl entgangen war, das sie einflößte.

«Hören Sie,« sprach sie nach einem kurzen Stillschweigen, das nur durch einen Seufzer unterbrochen worden war, welchen Maurice vergebens zu ersticken gesucht hatte. »Hören Sie! schwören Sie mir bei Ihrer Ehre, Ihre Augen von dem Momente an, wo ich es sagen werde, bis zu dem, wo Sie sechzig Secunden gezählt haben, geschlossen zu halten; doch hier . . . bei Ihrer Ehre. . . .«

»Und wenn ich schwöre, was wird geschehen?«

»Es wird geschehen, daß ich Ihnen meine Dankbarkeit beweise, wie ich sie nie einem Menschen zu beweisen gelobe, würde man auch mehr für mich thun, als Sie für mich gethan haben, was übrigens schwer wäre.«

»Aber darf ich denn nicht wissen…?«

»Nein, vertrauen Sie mir, und Sie werden sehen.«

»In der That, Madame, ich weiß nicht, ob Sie ein Engel «der ein Teufel sind.«

»Schwören Sie?«

»Nun ja, ich schwöre.«

»Was auch geschehen mag, Sie werden die Augen nicht öffnen. . . was auch geschehen mag, verstehen Sie wohl? Und sollten Sie sich von einem Dolchstoße getroffen fühlen.«

»Bei meinem Ehrenwort, Sie betäuben mich mit dieser Forderung.«

»Ei, so schwören Sie doch, mein Herr, Sie wagen, wie mir scheint, nicht viel.«

»Nun! ich schwöre, was mir auch begegnen mag,« sagte Maurice und schloß halb die Augen.

Er blieb stehen.

»Lassen Sie mich Sie nur noch einmal sehen, nur ein einziges Mal, ich stehe Sie an,« sprach er.

Die junge Frau schlug ihren Capuchon mit einem Lächeln zurück, das nicht ganz von Coquetterie frei war; und bei dem Schimmer des Mondes, der in diesem Augenblick zwischen zwei Wollen durchschlüpfte, konnte er zum zweiten Male diese langen, in ebenholzschwarzen Locken herabhängenden Haare, den vollkommenen Bogen einer doppelten, wie mit chinescher Tusche gezeichneten Augbraue, zwei mantelartig geschlitzte, sammetne, schmachtende Augen, eine Nase von der ausgezeichnetsten Form und Lippen, frisch und glänzend wie Korallen sehen.

»Oh! Sie sind schön, sehr schön, zu schön!« rief Maurice.

»Schließen Sie die Augen,« sagte die Unbekannte.

Maurice gehorchte.

Die junge Frau nahm seine zwei Hände in die ihrigen und drehte ihn, wie sie wollte. Plötzlich schien sich eine duftende Wärme seinem Gesichte zu nähern, und ein Mund streifte seinen Mund und ließ zwischen seinen beiden Lippen den Ring, den er ausgeschlagen hatte.

Es war ein Gefühl, rasch wie der Gedanke, brennend wie eine Flamme. Maurice hatte eine Empfindung, welche beinahe dem Schmerze glich, so unerwartet war sie, so sehr war sie in die Tiefe des Herzens gedrungen und hatte die geheimsten Fibern desselben beben gemacht.

Er machte eine ungestüme Bewegung und streckte die Arme vor sich aus.

»Ihr Schwur!« rief eine bereits entfernte Stimme, Maurice drückte seine krampfhaft zusammengezogenen Hände auf seine Augen, um der Versuchung, meineidig zu werden, zu widerstehen. Er zählte nicht mehr, er dachte nicht mehr, er blieb stumm, unbeweglich, schwankend.

Nach einem Augenblick hörte er etwas wie das Geräusch einer Thüre, die sich auf fünfzig oder sechzig schritte von ihm schloß. Dann wurde wieder Alles still im schweigsam.

Nun löste er seine Finger, öffnete die Augen wieder und schaute umher wie ein Erwachender, und er hätte vielleicht geglaubt, er erwache wirklich und Alles, was ihm begegnet, sei nur ein Traum gewesen, hätte er nicht zwischen seinen Lippen den Ring festgehalten, der dieses unglaubliche Abenteuer zu einer unbezweifelbaren Wahrheit machte.