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Der Chevalier von Maison-Rouge

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XXXIII.
Am andern Tag

Ein schöne Sonne drang durch die grünen Vorhänge und vergoldete die Blätter von drei großen Rosenstöcken welche in hölzernen Gefäßen auf dem Fenster von Maurice standen.

Um so kostbarer für den Blick, als die Jahreszeit zu fliehen anfing, durchdufteten diese Blumen einen kleinen, von Reinlichkeit glänzenden, geplatteten Speisesaal in welchem sich so eben Geneviève und Maurice an einen ohne Überfluß, aber zierlich bestellten Tisch gesetzt hatten. Die Thüre war geschlossen, denn der Tisch trug Alles was die Gäste brauchten. Man begriff, daß sie sich gesagt hatten:

»Wir werden uns selbst bedienen.«

In dem anstoßenden Zimmer hörte man dm Willfährigen sich mit einem Eifer wie der Ardelion von Phädrus hin und herbewegen. Die Wärme und das Leben der letzten schönen Tage drangen durch den halb geöffneten Sommerladen ein und machten die Blätter der von der Sonne geliebkosten Rosenstöcke wie Gold und Smaragd glänzen.

Geneviève ließ die goldene Frucht, die sie in der Hand hielt, aus einem ihrer Fingern auf einen Teller fallen und blieb träumerisch, nur mit den Lippen lächelnd, während ihre großen Augen in Schwermuth schmachteten, stillschweigend, unbeweglich, obgleich lebend und glücklich in der Sonne der Liebe, wie es diese schönen Blumen in der Sonne des Himmels waren.

Bald suchten ihre Augen die von Maurice und begegneten ihnen, denn er schaute sie auch an und träumte.

Da legte sie ihren so zarten und so weißen Arm auf die Schulter des bebenden jungen Mannes; dann stützte sie ihren Kopf mit jenem Vertrauen und jener Hingebung darauf, welche mehr sind, als die Liebe.

Geneviève schaute ihn an, ohne mit ihm zu sprechen, und erröthete, indem sie ihn anschaute.

Maurice hatte nur leicht den Kopf zu neigen, um seine Lippen auf die halbgeöffneten Lippen seiner Geliebten zu drücken.

Er neigte den Kopf; Geneviève erbleichte und ihre Augen schloßen sich wie die Blätter der Blume, welche ihren Kelch vor den Lichtstrahlen verbirgt.

So blieben sie in dieser ungewohnten Glückseligkeit entschlummert, als der scharfe Ton der Klingel sie beben machte.

Sie trennten sich von einander.

Der Willfährige trat ein, schloß die Thüre wieder geheimnißvoll und meldete:

»Es ist der Bürger Lorin.«

»Ah! der liebe Lorin,« sagte Maurice, »ich will ihn wegschicken. Verzeihen Sie, Geneviève.«

Geneviève hielt ihn zurück.

»Ihren Freund wegschicken, Maurice,« sagte sie, .einen Freund, der Sie getröstet, unterstützt hat. Nein, ich will einen solchen Freund ebenso wenig aus Ihrem Hause, als aus Ihrem Herzen vertreiben; lassen Sie ihn eintreten, Maurice, lassen Sie ihn eintreten.«

»Wie, Sie erlauben?« versetzte Maurice.

»Ich will es,? sprach Geneviève.

»Oh! Sie finden also, daß ich Sie nicht genug liebe!« rief Maurice entzückt über dieses Zartgefühl, »und Sie brauchen Vergötterung!«

Geneviève reichte dem jungen Mann ihre erröthende Stirne; Maurice öffnete die Thüre und Lorin trat ein, schön wie der Tag, in seiner Tracht eines Halbmuscadin. Als er Geneviève erblickte, gab er ein Erstaunen kund, auf das alsbald eine ehrfurchtsvolle Begrüßung folgte,

»Komm, Lorin,« sprach Maurice, »komm und schau diese Frau an; Du bist entthront, Lorin; es gibt nun Jemand, den ich Dir vorziehe; für Dich hätte ich mein Leben geopfert; für sie, damit sage ich Dir nichts Neues Lorin, für sie habe ich meine Ehre geopfert.«

»Madame,« sprach Lorin mit einem Ernste, de bei ihm eine tiefe Erschütterung bezeichnete, »ich werde bemüht sein, Maurice mehr zu lieben, als Sie, daß nicht ganz und gar aufhört, mich zu lieben.«

»Setzen Sie sich, mein Herr,« erwiderte Geneviève lächelnd.

»Ja, setze Dich,« sprach Maurice, der, nachdem rechts die Hand seines Freundes, links die seiner Geliebten gedrückt hatte, sein Herz voll von aller Glückselig fühlte, nach der ein Mensch auf dieser Erde streben kam

»Du willst also nicht mehr sterben, Du willst Dich also nicht mehr tödten lassen?«

»Wie so?« fragte Geneviève.

»O, mein Gott! was für ein wankelmüthiges Thier ist doch der Mensch,« sagte Lorin, »wie sehr haben die Philosophen Recht, daß sie seinen Leichtsinn verachten. Sollten Sie es wohl glauben, Madame, hier ist Einer der sich gestern in das Feuer stürzen, in das Wasser werfen wollte, der erklärte, es sei keine Glückseligkeit mehr für ihn auf dieser Welt möglich, und nun finde ich ihn diesen Morgen heiter, lustig, das Lächeln auf den Lippen, das Glück aus der Stirne, das Leben im Herzen, vor einer wohlbestellten Tafel; es ist wahr, er ißt nichts, doch dies beweist nicht, daß er unglücklich ist.«

»Wie!« rief Geneviève, »er wollte dies Alles thun?

»Dies Alles, und noch viele andere Dinge, ich wen Ihnen das später erzählen, doch für den Augenblick hab ich gewaltig Hunger, das ist der Fehler von Maurice, der mich gestern Abend in dem ganzen Quartier Saint-Jacques umherlaufen ließ; erlauben Sie also, daß ich Ihr Frühstück angreife, welches, wie mir scheint, noch gar nicht berührt worden ist.«

»In der That, er hat Recht!« rief Maurice mit einer kindischen Freude; »wir wollen frühstücken, ich habe nichts gegessen und Sie auch nicht, Geneviève.«

Er beobachtete das Auge von Lorin bei diesem Namen; dieser aber verzog keine Miene.

»Ah! Du hattest also errathen, daß sie es war?« fragte Maurice.

»Bei Gott!« antwortete Lorin und schnitt sich ein großes Stück weiß und rosenfarbigen Schinken ab.

»Ich habe auch Hunger,« sagte Geneviève und reichte ihm ihren Teller.

»Lorin,« sprach Maurice, »ich war gestern Abend krank.«

»Du warst mehr als krank, Du warst verrückt.«

»Nun, ich glaube, Du bist diesen Morgen leidend.«

»Wie so?«

»Du hast noch keinen Vers gemacht.«

»Ich dachte in diesem Augenblicke daran,« versetzte Lorin.

 
»Weilt Phöbus in der Grazien Thor,
Tönet die Lyra olympisch empor.
Doch wenn Aphroditens Zauber ihn leiten,
Verstummen der Lyra goldene Saiten.«
 

»Gut, das ist immerhin ein Quatrain,« sprach Maurice lachend.

»Und Du mußt Dich damit begnügen, da wir nun von etwas minder heiteren Dingen sprechen werden.«

»Was gibt es denn?« fragte Maurice unruhig.

»Ich werde nächstens die Wache in der Conciergerie haben.«

»In der Conciergerie!« versetzte Geneviève, »bei der Königin?«

»Bei der Königin. . . ich glaube, ja, Madame.«

Geneviève erbleichte, Maurice faltete die Stirne und machte Lorin ein Zeichen.

Dieser nahm sich abermals eine Schnitte Schinken doppelt so groß, als die erste.

Die Königin war in der That in die Conciergerie gebracht worden, wohin wir ihr nun folgen werden.

XXXIV.
Conciergerie

An der Ecke des Pont au Change und des Quai aux Fleurs erheben sich Überreste vom alten Palaste des heiligen Ludwig, den man vorzugsweise den Palast nannte, wie man Rom die Stadt genannt hat, und der fortwährend diesen erhabenen Namen bewahrt, obgleich die einzigen Könige, die ihn bewohnen, Gerichtsschreiber, Richter und Proceßführende sind.

Es ist ein großes, düsteres Haus, das Haus der Justiz, das die strenge Göttin mehr fürchten, als lieben macht. Man sieht hier das ganze Geräthe und alle Attribute der menschlichen Rache in einem engen Raume vereinigt. Hier die Säle, wo man die Vorgeladenen bewacht, dort die wo man sie verurtheilt, weiter unten die Kerker, wo man sie einschließt, wenn sie verurtheilt sind; an der Thüre der kleine Platz, wo man sie, um sie ehrlos zu machen, mit dem glühenden Eisen brandmarkt; hundert und fünfzig Schritte endlich von dem ersten der andere größere Platz auf dem man sie tödtet, nämlich die Grève, wo man vollendet, was im Palast untermalt worden ist.

Die Justiz hat, wie man sieht, Alles unter der Hand. Diese ganze Partie aneinander gehängter, düsterer, grauer Gebäude mit den kleinen, vergitterten Fenstern, woran die gähnenden Gewölbe vergitterten Höhlen von wilden Thieren gleichen, welche sich an dem Quai des Lunettes hinziehen, ist die Conciergerie.

Dieses Gefängniß mit Kerkern, welche das Wasser der Seine mit seinem schwarzen Schleime befeuchtet, hat geheimnißvolle Ausgänge, die einst nach dem Flusse die Opfer führten, welche verschwinden zu lassen man sich veranlaßt sah.

Eine unermüdliche Lieferantin des Schafotts, war die Conciergerie im Jahr 1793 mit Gefangenen vollgepfropft, aus denen man in einer Stunde zum Tode Verurtheilte machte, in jener Zeit war das alte Gefängniß vom heiligen Ludwig wirklich der Gasthof des Todes.

Unter den Gewölben der Thore schaukelte sich in der Nacht eine Laterne mit rothem Feuer, ein düsteres Aushängeschild dieses Ortes der Schmerzen.

Am Vorabend des Tages, wo Maurice, Lorin und Geneviève mit einander frühstückten, erschütterte ein dumpfes Rollen das Pflaster des Quai und die Scheiben des Gefängnisses: dann hörte das Rollen vor dem gewölbten Thore auf, Gendarmen klopften an dieses mit dem Griffe ihres Säbels; das Thor öffnete sich, der Wagen fuhr in den Hof, und als sich die Angeln hinter ihm gedreht, als die Riegel geklirrt hatten, stieg eine Frau aus.

Sogleich verschlang sie die vor ihr gähnende Pforte. Drei oder vier neugierige Köpfe, die sich beim Schimmer der Fackeln vorgestreckt hatten, um die Gefangene zu betrachten, und in der Halbtinte erschienen waren, tauchten sich wieder in die Dunkelheit; dann hörte man ein gemeines Gelächter und ein paar plumpe Worte des Abschieds, die unter den Männern, welche sich entfernten und die man wahrnahm, ohne sie zu sehen, ausgetauscht wurden.

Diejenige, welche man brachte, war innerhalb der ersten Pforte mit ihren Gendarmen geblieben; sie sah, daß sie noch durch eine zweite zu schreiten hatte, aber sie vergaß, daß man, um durch eine Pforte zu gelangen, zugleich den Fuß ausheben und den Kopf bücken muß, denn man findet unten eine Stufe, welche empor steht, und oben ein Gewölbe, das sich herabsenkt.

 

Ohne Zweifel noch nicht sehr gewöhnt an die Architektur der Gefängnisse, so lange sie sich auch in solchen aufgehalten hatte, vergaß die Gefangene, ihre Stirne zu bücken, und stieß sich heftig an der eisernen Stange.

»Haben Sie sich wehe getan, Bürgerin?« fragte einer von den Gendarmen.

»Es thut jetzt nichts mehr wehe,« antwortete sie ruhig.

Und sie ging weiter, ohne eine Klage von sich zu geben, obgleich man über der Augenbraue die blutige Spur sah, welche hier das Anstoßen an die eiserne Stange zurückgelassen hatte.

Bald gewahrte man den Lehnstuhl des Concierge, einen Lehnstuhl, der in den Augen der Gefangenen ehrwürdiger war, als es in den Augen der Höflinge der Thron eines Königs ist, denn der Concierge eines Gefängnisses ist der Spender der Gnaden, und jede Gnade ist wichtig für einen Gefangenen; häufig verwandelt die geringste Gunst seinen düsteren Himmel in ein leuchtendes Firmament.

In seinem Lehnstuhl sitzend, den er, von seiner Wichtigkeit überzeugt, trotz des Geräusches der Gitter und des rollenden Wagens, der einen neuen Gast verkündigte, nicht verlassen hatte, schnupfte der Concierge Richard seinen Tabak, schaute die Gefangene an, öffnete ein sehr fettiges Register und suchte eine Feder aus dem kleinen Tintenzeug von schwarzem Holz, woran die Tinte, auf dem Rande versteinert, in der Mitte noch ein wenig schlammige Feuchtigkeit bewahrte, wie in der Mitte des Kraters eines Vulkans immer noch ein wenig flüssige Materie bleibt.

»Bürger Concierge,« sagte der Anführer der Escorte,, »mache rasch den Eintrag, denn man erwartet uns ungeduldig bei der Gemeinde.«

»Oh! das wird nicht lange dauern,« versetzte der Concierge, indem er in sein Tintenfaß ein paar Tropfen Wein goß, welche im Grunde eines Glases übrig waren, »man hat, Gott sei Dank, eine Hand, welche dazu gemach: ist! Sage mir Deine Namen und Deine Vornamen, Bürgerin?«

Und er tauchte seine Feder in die improvisirte Tinte und schickte sich an, unten an die Seite, welche schon zu sieben Achteln voll war, die Neuangekommene einzutragen, während hinter seinem Stuhle stehend die Bürgerin Richard, eine Frau, aus deren Augen Wohlwollen sprach, mit beinahe ehrfurchtsvollem Erstaunen die Dame von zugleich so traurigem und so edlem und stolzen Anblick, welche ihr Gatte befragte, anschaute.

»Marie Antoinette Josephe von Lothringen, Erzherzogin von Oesterreich, Königin von Frankreich.«

»Königin von Frankreich!« wiederholte der Concierge, indem er sich erstaunt auf dem Arme seines Lehnstuhles erhob,

»Königin von Frankreich!« wiederholte die Gefangene in demselben Tone.

»Sonst genannt Witwe Capet,« sprach der Anführer der Escorte.

»Unter welchen von diesen zwei Namen soll ich sie einschreiben?« fragte der Concierge.

»Unter welchem Du willst, wenn Du sie nur schnell einschreibst,« erwiderte der Anführer der Escorte.

Der Concierge fiel in seinen Stuhl zurück und schrieb mit einem leichten Zittern die Vornamen, den Namen und den Titel nach der Angabe der Gefangenen ein, ein Eintrag, der noch heut zu Tage röthlich in dem Register sichtbar ist, in welchem die Ratten der revolutionären Conciergerie das Blatt gerade an der kostbarsten Stelle zernagt haben.

Die Richard stand immer noch hinter dem Stuhl ihres Mannes, nur hatte sie ein Gefühl religiösen Mitleids die Hände zu falten bewogen.

»Ihr Alter?« fuhr der Concierge fort.

»Sieben und dreißig Jahre und neun Monate,« antwortete die Gefangene

Richard schrieb wieder, entwarf dann das Signalement und schloß mit den besonderen Formeln und Noten.

»Gut,« sagte er, »es ist geschehen.«

»Wohin führt man die Gefangene?« fragte der Anführer der Escorte.

Richard nahm eine zweite Prise Tabak und schaute seine Frau an.

»Ah!« sagte diese, »wir waren nicht davon in Kenntniß gesetzt und wissen es kaum.«

»Suche,« versetzte der Brigadier.

»Da ist das Rathszimmer,« sagte die Frau.

»Hm! das ist sehr groß,« murmelte Richard.

»Desto besser; wenn es groß ist, kann man leicht Wachen hineinstellen.«

»Es mag also sein, das Rathszimmer,« sagte Richard, »doch es ist für den Augenblick unbewohnbar, denn es findet sich kein Bett darin.«

»Das ist wahr,« erwiderte die Frau, »daran dachte ich nicht.«

»Bah!« bemerkte einer von den Gendarmen, »mau bringt morgen ein Bett hinein, und morgen ist bald da.«

»Übrigens kann die Bürgerin diese Nacht in unserem Zimmer zubringen, nicht wahr, Mann?« versetzte die Richard.

»Nun, und wir?« sagte der Concierge.

»Wir gehen nicht zu Bette; eine Nacht ist bald vorüber, wie der Bürger Gendarme gesagt hat.«

»So führt die Bürgerin in mein Zimmer,« sprach Richard.

»Während dieser Zeit schreibt Ihr uns den Empfangsschein, nicht wahr?«

»Ihr werdet ihn bei Eurer Rückkehr finden.«

Die Richard nahm ein Licht, das aus dem Tisch brannte, und ging voran,

Marie Antoniette folgte ihr, ohne ein Wort zu sagen, ruhig und bleich wie immer; zwei Kerkerknechte, denen die Richard ein Zeichen machte, schlossen den Zug. Man zeigte der Königin ein Bett, in welchem die Richard schleunigst weiße Tücher ausbreitete. Die Kerkerknechte stellten sich vor die Ausgänge, dann wurde die Thüre doppelt geschlossen und Marie Antoinette befand sich allein.

Wie sie diese Nacht hinbrachte, weiß Niemand, denn sie brachte sie von Angesicht zu Angesicht mit Gott hin.

Erst am andern Morgen wurde die Königin in das Rathszimmer versetzt, das ein langes Viereck bildete, dessen Eingangsthüre auf einen Corridor der Conciergerie führte, und das man in seiner ganzen Länge mit einem Verschlag durchschnitten hatte, der nicht die Höhe der Decke erreichte.

Die eine von den Abteilungen war das Zimmer der Wachmannschaft.

Die andere das der Königin.

Ein mit dicken eisernen Stangen vergittertes Fenster beleuchtete jede von diesen zwei Zellen.

Ein Windschirm, der die Stelle einer Thüre einnahm, trennte die Königin von ihren Wächtern und schloß die Öffnung in der Mitte.

Dieses ganze Gemach war mit Backsteinen beplattet.

Die Wände waren einst mit einem Rahmen von vergoldetem Holz geschmückt gewesen, von welchem noch die Fetzen einer mit Lilien besäten Tapete herabhingen.

Ein Bett dem Fenster gegenüber und ein Stuhl, dies war die ganze Ausstattung des königlichen Gefängnisses.

Als die Königin eintrat, verlangte sie ihre Bücher und ihre Arbeit.

Man brachte ihr die Revolution von England, welche sie im Temple angefangen hatte, die Reisen des jungen Anarchasis und ihre Stickerei.

Die Gendarmen quartierten sich ihrerseits in der anstoßenden Zelle ein. Die Geschichte hat ihre Namen aufbewahrt, wie sie es mit den geringsten Wesen thut, welche das Mißgeschick mit großen Katastrophen in Verbindung bringt, wodurch sie aus sich ein Bruchstück des Lichtes wiederstrahlen sehen, das der Blitz ausschleudert, wenn er die Throne der Könige oder die Könige selbst zerschmettert.

Sie hießen Duchesne und Gilbert.

Die Gemeinde hatte diese zwei Männer bezeichnet, welche sie als gute Patrioten kannte, und sie sollten in ihrer Zelle als beständiger Posten bleiben, bis der Urtheilsspruch über Marie Antoinette erfolgt wäre: man hoffte durch dieses Mittel die beinahe unvermeidlichen Unregelmäßigkeiten eines Dienstes zu beseitigen, welcher mehrere Male im Tage wechselt, und übertrug dadurch den Wächtern eine furchtbare Verantwortlichkeit.

Die Königin wurde schon an diesem Tage durch das Gespräch der zwei Männer, von denen jedes Wort bis zu ihr gelangte, wenn sie nicht irgend ein Grund veranlaßte, die Stimme zu dämpfen, die Königin, sagen wir, wurde von dieser Maßregel unterrichtet; sie fühlte darüber Freude und Unruhe, denn wenn sie sich einerseits sagte, diese Männer müßten sehr sicher sein, da man sie unter so Vielen gewählt, so bedachte sie andererseits, daß ihre Freunde viel mehr Gelegenheit finden würden, zwei bekannte Wächter, welche beständig auf dem Posten wären, zu bestechen, als hundert unbekannte, von dem Zufall bezeichnete, welche unversehens und für einen einzigen Tag an ihr vorübergingen.

In der ersten Nacht rauchte einer der Gendarmen seiner Gewohnheit gemäß, ehe er zu Bette ging; der Tabaksgeruch drang durch die Öffnungen des Verschlags und bedrückte die unglückliche Königin, bei der das Mißgeschick, statt sie abzustumpfen, alle Feinheiten der Sinne geschärft hatte.

Bald fühlte sie sich betäubt von den übelriechenden Dünsten, es ergriff sie wie ein verwirrender Schwindel; doch ihrem Systeme eines unbezähmbaren Stolzes getreu, beklagte sie sich nicht.

Während sie in jenem schmerzlichen Wachen verharrte und nichts die Stille der Nacht störte, glaubte sie etwas wie ein Seufzen zu hören, das von Außen kam; dieses seufzen war traurig und lange ausgedehnt, es war etwas Düsteres, Durchdringendes, wie das Geräusch des Windes in den öden Hausgängen, wenn der Sturm eine menschliche Stimme entlehnt, um den Leidenschaften der Elemente Leben zu geben.

Bald erkannte sie, daß das Geräusch, welches sie Anfangs beben gemacht, das schmerzhafte, beharrliche Geschrei, die finstere Klage eines aus dem Quai heulenden Hundes war. Sie dachte an ihren armen Black, an den sie in dem Augenblick nicht gedacht hatte, wo man sie aus dem Temple wegführte, und dessen Stimme sie nun zu erkennen glaubte. Das arme Thier, das seine Gebieterin aus zu viel Wachsamkeit verlor, war in der That unsichtbar hinter ihr hinabgestiegen, ihrem Wagen bis zu dem Gitter der Conciergerie gefolgt, und hatte sich nur von hier entfernt, weil es durch die doppelte eiserne Platte, die sich hinter ihr geschlossen, hätte entzwei geschnitten werden müssen.

Doch bald war das arme Thier zurückgekehrt, es begriff, daß man seine Gebieterin in dieses große steinerne Grab eingeschlossen, rief ihr heulend und wartete, zehn Schritte von der Schildwache, auf die Liebkosung einer Antwort.

Die Königin antwortete durch einen Seufzer, der ihre Wächter aufmerksam horchen machte.

Doch da dieser Seufzer der einzige war und kein Geräusch in dem Zimmer von Marie Antoinette daraus erfolgte, so beruhigten sich die Wächter bald wieder und versanken in ihren halbwachen Zustand.

Am andern Morgen bei Tagesanbruch war die Königin ausgestanden und angekleidet. An dem vergitterten Fenster sitzend, dessen Licht, durch die eisernen Stangen gedämpft, bläulich auf ihre abgemagerten Hände fiel, las sie scheinbar, doch ihr Geist war sehr fern von dem Buch.

Der Gendarme Gilbert öffnete den Windschirm ein wenig und schaute sie stillschweigend an; Marie Antoinette hörte das Geräusch des Schirmes, der sich den Boden streifend auf sich selbst drehte, doch sie schaute nicht empor.

Sie saß so, daß die Gendarmen ihren Kopf völlig von diesem Morgenlichte übergossen sehen konnten.

Der Gendarme Gilbert bedeutete seinem Kameraden durch ein Zeichen, er möge mit ihm durch die Öffnung schauen,

Duchesne näherte sich.

»Siehst Du,« sagte Gilbert mit leiser Stimme, siehst Du, wie bleich sie ist; das ist furchtbar; ihre roth geränderten Augen offenbaren, daß sie leidet: man sollte glauben, sie habe geweint.«

»Du weißt wohl, daß die Witwe Capet nie weint.« entgegnete Duchesne; »sie ist viel zu stolz hierzu.«

»Dann ist sie krank,« sprach Gilbert.

Und die Stimme erhebend, fragte er:

»Sage doch, Bürgerin Capet, bist Du krank?«

Die Königin schlug langsam die Augen auf und ihr Blick richtete sich klar und forschend aus diese zwei Männer,

»Sprechen Sie mit mir, meine Herren?« sagte sie mit einer Stimme voll Sanftheit, denn sie hatte eine Nuance von Theilnahme in dem Tone desjenigen, welcher das Wort an sie gerichtet, zu bemerken geglaubt.

»Ja, Bürgerin, mit Dir,« erwiderte Gilbert, »wie fragen Dich, ob Du krank seist.«

»Warum dies?«

»Weil Du sehr rothe Augen hast.«

»Und weil Du zu gleicher Zeit sehr bleich bist,« fügte Duchesne bei.

»Ich danke, meine Herren. Nein, ich bin nicht krank; ich habe nur in dieser Nacht viel gelitten.«

»Ah! ja, Dein Kummer.«

»Nein, meine Herren, da mein Kummer stets derselbe ist und mich die Religion denselben zu dem Fuße des Kreuzes niederlegen gelehrt hat, so macht er mich nicht einen Tag mehr leiden, als den andern; nein, ich bin krank, weil ich in dieser Nacht nicht geschlafen habe.«

»Ah! die Neuheit der Wohnung, die Veränderung des Bettes,« sagte Duchesne.

»Und dann ist die Wohnung nicht schön,« fügte Gilbert bei.

»Das ist es ebenfalls nicht, meine Herren,« versetzte die Königin dm Kopf schüttelnd. »Häßlich oder schön, meine Wohnung ist mir gleichgültig«

 

»Was ist es denn?«

»Was es ist?«

»Ja.«

«Ich bitte Sie um Vergebung, wenn ich es Ihnen sage, doch ich war ungemein belästigt von dem Tabaksgeruche, den der Herr noch in diesem Augenblick ausdampft.«

Gilbert rauchte in der That, was übrigens seine gewöhnhnliche Beschäftigung war.

»Ah! mein Gott,« rief er, ganz bewegt durch die Sanftmuth, mit der die Königin zu ihm sprach. »Das iß es?. . . Warum sagtest Du es mir nicht, Bürgerin?«

»Weil ich mich nicht für berechtigt hielt, Sie in ihren Gewohnheiten zu beengen, mein Herr.«

»Oh! Du sollst wenigstens durch mich nicht mehr belästigt werden,« sagte Gilbert, indem er seine Pfeife wegwarf, welche auf dem Boden zerbrach; »denn ich werde nicht mehr rauchen.«

Und er wandte sich um, führte seinen Gefährten weg und schloß den Windschirm.

»Möglich, daß man ihr den Kopf abschlägt, das ist die Lache der Nation, doch wozu diese Frau leiden lassen? Wir sind Soldaten und keine Henker wie Simon.«

»Was Du da machst, ist ein wenig aristokratisch, Kamerad,« versetzte Duchesne den Kopf schüttelnd,

«Was nennst Du aristokratisch? sprich, erkläre mir das ein wenig.«

»Ich nenne aristokratisch Alles, was die Nation quält und ihren Feinden Vergnügen macht.«

»Deiner Ansicht nach quäle ich also die Nation, weil ich aufhöre, die Bürgerin Capet einzuräuchern. Stille doch! Siehst Du,« fuhr der brave Mann fort, »ich erinnere mich nur meines Schwures, den ich dem Vaterland geleistet, und des Befehls, den mir mein Brigadiers geben hat. Meinen Befehl weiß ich auswendig: die Gefangene nicht entschlüpfen lassen; Niemand bei ihr eindringen lassen; jede Correspondenz verhindern, die sie zu knüpfen oder unterhalten wollte, und aus meinem Posten sterben. Dies habe ich versprochen, und ich werde es tun. Es lebe die Nation!«

»Was ich Dir da sage,« versetzte Duchesne, sage ich nicht, weil ich Dir böse bin, im Gegentheil; doch ich wäre mir unangenehm, wenn Du Dich gefährden würdest.«

»Stille! hier kommt Jemand.«

Die Königin hatte kein Wort von dieser Unterredung verloren, obgleich sie mit leiser Stimme geführt worden war: die Gefangenschaft verdoppelt die Schärfe der Sinne.

Das Geräusch, das die Aufmerksamkeit der zwei Wächter erregt hatte, rührte von den Tritten mehrerer Personen her, welche sich der Thüre näherten.

Die Thüre öffnete sich. Zwei Municipale traten, gefolgt von dem Concierge und einigen Kerkerknechten, ein.

»Nun!« fragten sie, »was macht die Gefangene?«

»Sie ist dort,« antworteten die zwei Gendarmen.

»Wie ist ihre Wohnung?«

»Seht selbst!« antwortete Gilbert und klopfte an den Windschirm.

»Was wollen Sie?« fragte die Königin.

»Es ist der Besuch der Gemeinde, Bürgerin Capet.

»Dieser Mann ist gut,« dachte Marie Antoinette, »und wenn meine Freunde wollen . . .«

»Es ist gut, es ist gut,« sagten die Municipale, in dem sie Gilbert auf die Seite schoben und bei der Königin eintraten; »es Bedarf nicht so vieler Umstände.«

Die Königin schaute nicht empor, und aus ihrer Unbeweglichkeit zu schließen hätte man denken sollen, sie habe weder gesehen, noch gehört, was vorging, und glaubet sich immer noch allein.

Die Abgeordneten der Gemeinde nahmen ängstlich alle Einzelheiten der Stube in Augenschein, untersuchten das Täfelwerk, das Bett, die Gitterstangen des Fensters, das in den Frauenhof ging, empfahlen den Gendarmen die ängstlichste Wachsamkeit und entfernten sich wieder, ohne ein Wort an Marie Antoinette zu richten, und ohne daß diese ihre Anwesenheit bemerkt zu haben schien.