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Der Chevalier von Maison-Rouge

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XXXV.
Die Salle des Pas-Perdus

Gegen das Ende desselben Tages, an welchem wir die Municipale mit einer ängstlichen Sorgfalt das Gefängniß der Königin haben untersuchen sehen, ging ein Mann in einer grauen Carmagnole, den Kopf bedeckt mit dicken, schwarzen Haaren, und über diesen schwarzen Haaren mit einer von jenen Pelzmützen, welche damals die übertriebensten Patrioten unter dem Volke auszeichnete, in dem großen Saale spazieren, den man philosophisch die salle des Pas-Perdus nannte, und schien sehr aufmerksam die Hin- und hergehenden zu betrachten, welche die gewöhnliche Bevölkerung dieses Saales bilden, eine Bevölkerung die ungemein in jener Zeit vermehrt war, wo der Proceß eine höhere Bedeutung erlangt hatte, und wo man kaum mehr anders plaidirte, als um seinen Kopf den Henkern oder dem Bürger Fouquier-Tinville, ihrem unermüdlichen Lieferanten, streitig zu machen.

Die Haltung, welche der Mann, dessen Portrait wir skizzirten, angenommen hatte, war eine Haltung von sehr gutem Geschmack: die Gesellschaft war in jener Zeit in zwei Klassen getheilt, in die Wölfe und in die Schafe; die einen mußten natürlich den andern Angst machen, weil die eine Hälfte der Gesellschaft die andere verschlang.

Unser ungestümer Spaziergänger war von kleinem Wuchse; er schwang mit einer schwarzen, schmutzigen Hand einen von jenen Knütteln, die man Constitutionen nannte, es ist nicht zu leugnen, die Hand, welche diese furchtbar Waffe die Lust durchschneiden ließ, müßte Jedem klein vorgekommen sein, der sich das Vergnügen gemacht hätte diesem seltsamen Manne gegenüber die Rolle des Inquisitors zu spielen, die er sich in Beziehung auf die Anderen, angemaßt hatte; doch Niemand hätte es gewagt, einen Mann von so furchtbarem Aussehen zu kontrollieren.

Der Mann mit dem Knüttel bereitete in der That eine nicht geringe Unruhe gewissen Schreibern, die über die öffentliche Frage stritten, welche in jener Zeit immer schlimmer oder immer besser zu gehen anfing, je nachdem man die Sache aus dem konservativen oder aus dem revolutionären Gesichtspunkte betrachtet. Diese braven Leute beschauten aus einem Augenwinkel seinen langen, schwarzen Bart, sein grünliches, unter bürstenartig buschigen Brauen eingerahmtes Auge und zitterten, so oft der Spaziergang des furchtbaren Patrioten, der die Salle des Pas-Perdus in ihrer ganzen Länge in Anspruch nahm, ihnen denselben näherte

Dieser Schrecken rührte hauptsächlich davon her, da der Mann mit dem Knüttel, so oft es Jemand in den Sinn kam, sich ihm zu nähern oder gar ihn aufmerksam anzuschauen, auf den Platten seine gewichtige Waffe . schallen ließ, welche den Steinen, aus die sie fiel, bald einen matten, dumpfen, bald einen sonoren, scharfe Ton entriß.

Doch nicht allein die erwähnten Schreiber, die man gewöhnlich unter dem Namen der Ratten des Palastes bezeichnet, empfanden diesen furchtbaren Eindruck, sondern auch verschiedenen Menschen, welche in die Salle des Pas-Perdus durch ihre große Pforte, oder durch eine von ihren engen Bomitorien eintraten und eiligst vorübergingen, wenn sie den Mann mit dem Knüttel erblickten, der seine Wanderung von einem Ende des Saales zum andern lässig fortsetzte und jeden Augenblick einen Vorwand fand, seinen Knüttel auf den Platten schallen zu lassen.

Wären die Schreiber minder erschrocken und die Spaziergänger hellsehender gewesen, so würden sie ohne Zweifel entdeckt haben, daß unser Patriot, launenhaft wie alle exentrischen oder extreme Naturen, gewissen Platten einen Vorzug zu geben schien, denjenigen zum Beispiel, welche, in geringer Entfernung von der Mauer rechts oder ungefähr mitten im Saale liegend, die reinsten und stärksten Töne von sich gaben.

Er drängte endlich seinen Zorn auf einigen Platten zusammen und dies waren besonders die Platten im Mittelpunkte. Einen Augenblick vergaß er sich sogar so weit, daß er stehen blieb, um mit dem Auge etwas wie eine Entsernung zu messen.

Diese geistige Abwesenheit dauerte allerdings nur kurze Zeit und er nahm bald wieder den wilden Ausdruck in seinem Blicke an, den ein Blitz der Freude ersetzt hatte.

Beinahe in derselben Minute trat ein anderer Patriot in (jener Zeit war Jedem seine Meinung auf seine Stirne, oder vielmehr auf seine Kleider geschrieben,) beinahe in derselben Minute, sagen wir, trat ein anderer Patriot durch die Thüre der Gallerie ein und kreuzte, ohne daß es schien, als theilte er nur im Geringsten den Eindruck des Schreckens, den der erste einflößte, seinen Spaziergang mit einem Schritte, der dem seinigen beinahe gleich war, so sie sich ungefähr in der Hälfte des Saales begegneten.

Der Neuangekommene trug wie der Andere eine Pelzmütze, eine Carmagnole, und hatte schmutzige Hände und einen Knüttel, dabei hatte er außerdem noch einen großen Säbel, der ihm an die Waden schlug; was übrigens den zweiten noch furchtbarer machte, als den ersten, war, daß er in demselben Grade, in welchem der Anblick des einen Schrecken erregte, ein falsches, gehässiges, gemeines Gesicht hatte.

Obgleich diese zwei Männer derselben Sache anzugehören und dieselbe Meinung zu theilen schienen, wagten doch die Anwesenden einen Blick, um zu sehen, was, nicht auf ihrem Zusammentreffen, denn sie marschirten nicht gerade auf derselben Linie, sondern aus ihrer Annäherungen hervorgehen würde. Bei dem ersten Gange wurde ihre Erwartung getäuscht; die zwei Patrioten begnügten sie einen Blick zu wechseln, und sogar dieser Blick machte des kleineren von beiden leicht erbleichen; nur war an der unwillkührliche Bewegung seiner Lippen sichtbar, daß die Blässe nicht durch ein Gefühl der Furcht, sondern durch Ekel veranlaßt wurde.

Und dennoch, als ob der erste Patriot eine gewaltige Anstrengung gegen sich selbst gemacht hätte, und dennoch hellte sich sein bis dahin so zurückstoßendes Gesicht auf, etwas wie ein Lächeln, das freundlich zu sein suchte, schwebte über seinen Lippen hin, und er lenkte seinen Spaziergang leicht auf die linke Seite, offenbar in der Absicht, den zweiten Patrioten in dem seinigen aufzuhalten.

Ungefähr im Mittelpunkte trafen sie zusammen.

»Ei, bei Gott! das ist der Bürger Simon,« sagte der erste Patriot.

»Er selbst; doch was willst Du von dem Bürger Simon und wer bist Du vor Allem?«

»Stelle Dich doch, als ob Du mich nicht kenne würdest!«

»Ich kenne Dich durchaus nicht, und zwar aus einem, vortrefflichen Grunde, weil ich Dich nie gesehen habe.«

»Gehe doch! Du solltest denjenigen nicht kennen, de die Ehre gehabt hat, den Kopf der Lamballe zu tragen?

Mit einer dumpfen Wuth ausgesprochen, stürzten diese Worte gleichsam brennend aus dem Munde des Patrioten mit der Carmagnole hervor. Simon bebte.

»Du?« versetzte er, »Du?«

»Nun, Du wunderst Dich darüber . . . Ah! Bürger, ich glaubte, Du wärest ein besserer Kenner von Freunden. von Getreuen. Ich bemitleide Dich.«

»Was Du getan hast, ist sehr gut; doch ich kannte Dich nicht,« sagte Simon.

»Es ist mehr Vortheil dabei, wenn man den kleinen Capet bewacht, man ist mehr im Gesichte, denn ich kenne Dich und schätze Dich.«

»Ah! ich danke.«

»Keine Ursache . . . Du gehst also spazieren?«

»Ja, ich erwarte Jemand; und Du?«

»Ich auch.«

»Wie heißest Du, ich werde im Club von Dir sprechen.«

»Ich heiße Theodor.«

»Und dann?«

«Und dann, das ist Alles; genügt Dir das nicht?«

»Oh! Vollkommen . . . Wen erwartest Du, Bürger Theodor?«

«Einen Freund, dem ich eine gute kleine Anzeige machen will.«

In der That! erzähle mir das.«

»Eine Aristokratenbrut.«

»Sie heißt?«

»Wahrhaftig, ich kann es nur meinem Freund sagen.«

»Du hast Unrecht, denn hier kommt der meinige aus uns zu und mir scheint, dieser kennt das Verfahren hinreichend, um Deine Angelegenheit auf der Stelle zu ordnen . . .«

»Fouquier-Tinville!« rief der erste Patriot. »Nur dieses, lieber Freund.«

»Nun wohl, das ist gut . . . guten Morgen, Bürger Fouquier.«

Bleich, ruhig, seiner Gewohnheit gemäß schwarze, tief unter dicken Brauen liegende Augen weit aufsperrend, kam Fouquier Tinville, sein Register in der Hand, seine Akten unter dem Arm aus einer Seitenthüre hervor.

«Guten Morgen, Simon,« sagte er, »was gibt es Neues?«

»Vielerlei; zuerst eine Anzeige des Bürger Theodor, der den Kopf der Lamballe getragen hat. Ich stelle ihn Dir vor.«

Fouquier heftete rasch seinen gescheiten Blick aus den Patrioten, den dieses scharfe Anschauen, trotz der muthigen Spannung seiner Nerven, beunruhigte.

»Theodor,« sagte er, »wer ist dieser Theodor?«

»Ich,« antwortete der Mann mit der Carmagnole.

»Du hast den Kopf der Lamballe getragen, Du?« versetzte der öffentliche Ankläger mit einem sehr scharfen, Ausdruck des Zweifels.

»Ich, in der Rue Saint-Antoine.«

»Aber ich kenne auch Einen, der sich dessen rühmt,« sagte Fouquier.

»Ich kenne zehn,« entgegnete muthig der Bürger Theodor; »doch da diese etwas verlangen und ich nichts verlange, so hoffe ich den Vorzug zu haben.«

Dieser Zug machte Simon lachen und entrunzelte Fouquier.

»Du hast Recht,« sagte er, »und wenn Du es auch nicht getan hast, so hättest Du es thun müssen, laß uns, ich bitte Dich, Bürger, Simon hat mir etwas zu sagen.«

Theodor entfernte sich, sehr wenig verletzt durch die Offenherzigkeit des öffentlichen Anklägers.

»Warte einen Augenblick,« rief Simon, »schicke ihn nicht so weg, höre zuerst die Anzeige, die er uns bringt.«

»Ah!« machte Fouquier-Tinville mit zerstreuter Miene, »eine Anzeige?«

»Ja, eine Brut,« fügte Simon bei.

»Gut, so sprich, wovon handelt es sich?«

»Oh! es ist beinahe nichts, der Bürger Maison-Rouge und einige Freunde.«

Fouquier machte einen Sprung rückwärts, Simon hob die Arme zum Himmel empor.

»Wahrhaftig!« riefen sie gleichzeitig.

»Reine Wahrheit, wollt Ihr sie fangen.«

 

.Aus der Stelle, wo sind sie?«

»Ich habe den Maison-Rouge in der Rue de la Grande-Truanderie getroffen.«

»Du täuschest Dich, er ist nicht in Paris,« entgegnete Fouquier.

»Ich habe ihn gesehen, sage ich Dir.«

»Unmöglich, man hat hundert Menschen mit seiner Verfolgung beauftragt, und er würde sich nicht in den Straßen zeigen.«

»Er! Er! Er!« versetzte der Patriot, »ein großer Mann, braun, stark wie drei Starke und bärtig wie ein Bär.«

Fouquier zuckte verächtlich die Achseln und erwiderte:

»Abermals eine Albernheit, Maison-Rouge ist klein, vager und hat nicht ein Barthaar.«

Der Patriot ließ seine Arme mit bestürzter Miene Miene sinken.

»Gleichviel, die gute Absicht gilt für die That. Nun ist es an.uns, Simon, beeile Dich, man erwartet mich in der Kanzlei, es ist die Stunde, wo die Karren abgehen.«

»Nun, nichts Neues; bei dem Kinde geht es gut,«

Der Patriot wandte den Rücken, um nicht indiskret zu scheinen, jedoch so, daß er hören konnte.

»Ich gehe, wenn ich belästige,« sagte er.

»Adieu,« sprach Simon.

»Guten Morgen,« versetzte Fouquier,

»Sage Deinem Freunde, Du habest Dich getäuscht,« fügte Simon bei.

»Gut, ich erwarte ihn.«

Theodor trat ein wenig aus die Seite und stützte sich auf seinen Knüttel.

»Ah! bei dem Kleinen geht es gut,« versetzte nun Fouquier, »doch wie steht es mit dem Sittlichen?«

»Ich knete ihn nach Belieben.«

»Er spricht also?

»Wann ich will.«

»Ich glaube, er könnte in dem Prozesse von Antoinette zeugen?«

»Ich glaube es nicht nur, ich bin dessen gewiß.«

Theodor lehnte sich an einen Pfeiler an und hatte das Auge gegen die Thüre gerichtet, doch dieses Auge war ohne einen bestimmten Blick, während die Ohren entblößt, und gespannt unter der großen Pelzmütze erschienen. Er sah vielleicht nichts, hörte aber sicherlich etwas.

»Bedenke wohl,« sagte Fouquier, »laß die Commission nicht das machen, was man einen Schreibersschritt nennt.8 Du bist sicher, daß Capet sprechen wird?«

»Er wird Alles sagen, was ich will.«

»Er hat Dir das gesagt, was wir ihn fragen werden?«

»Er hat es mir gesagt.«

»Was Du da versprichst, ist wichtig, Bürger Das Geständniß des Kindes bringt seiner Mutter den Tod.«

»Bei Gott, ich rechne darauf.«

»Man wird nichts Aehnliches gesehen haben, seit dem, Bekenntnissen, welche Nero Narcissus machte,« murmelte Fouquier mit düsterem Tone; »noch einmal, bedenke wohl Simon.«

»Bürger, man sollte glauben, Du hältst mich für einen Dummkopf, daß Du mir immer dasselbe wiederholst. Höre folgenden Vergleich: Wenn ich Leder in da Wasser lege, wird es geschmeidig?«

»Ich weiß das nicht,« versetzte Fouquier.

»Es wird geschmeidig. Nun wohl; der kleine Capet wird in meinen Händen so geschmeidig als das Leder. Ich habe mein eigenes Verfahren zu diesem Ende.

»Es sei,« sagte Fouquier; »das ist Alles, was Du mir sagen wolltest?«

»Alles. . . doch nein, ich vergaß eine Anzeige,«

»Immer und immer! Du willst mich also mit Geschäften überladen?«

»Man muß dem Vaterlande dienen.«

Simon reichte Fouquier ein kleines Papier, so schwarz als eines von den Ledern, von denen er so eben gesprochen, doch sicherlich minder geschmeidig. Fouquier nahm es und las.

»Abermals Dein Bürger Lorin! Du hassest diesen Mann also ungemein?«

»Ich finde ihn stets feindlich gegen das Gesetz. Er sagte: »»Adieu, Madame,«« zu einer Frau, die ihn gestern Abend von einem Fenster aus grüßte. Morgen hoffe ich Dir ein paar Worte über einen andern Verdächtigen mittheilen zu können, über jenen Maurice, der bei der Geschichte mit der Nelke Municipal im Temple war.«

»Genau, genau!« sagte Fouquier, Simon zulächelnd.

Er reichte ihm die Hand und wandte den Rücken mit einer Eilfertigkeit, welche wenig zu Gunsten des Schusters sprach.

»Was Teufels soll ich genau angeben? Man hat Leute guillotiniert, welche weniger getan.«

»Ei! Geduld, Geduld,« erwiderte Fouquier ruhig; »man kann nicht Alles auf einmal thun.«

Und er kehrte mit raschem Schritte unter die Pforte zurück. Simon suchte mit den Augen den Bürger Theodor, um sich mit ihm zu trösten. Er sah ihn nicht mehr im Saal.

Kaum trat er aus dem östlichen Gitter, als Theodor wieder an der Ecke einer Schreiberhütte erschien. Der Bewohner der Hütte begleitete ihn.

»Um wie viel Uhr schließt man die Gitter?« sagte Theodor zu diesem Mann.

»Um fünf Uhr.«

»Und was geschieht dann?«

»Nichts; der Saal ist leer bis zum andern Tag.«

»Keine Runden? kein Visitiren?«

»Nein, mein Herr, unsere Baracken werden mit dem Schlüssel geschlossen.«

Bei dem Worte Herr runzelte Theodor die Stirne und schaute mißtrauisch umher.

»Die Hebestange und die Pistolen sind in der Baracke?« sagte er.

»Ja, unter dem Teppich.«

»Kehre zurück. . . doch zeige mir zuvor noch das Zimmer jenes Tribunals, dessen Fenster nicht vergittert ist und das auf einen Hof bei der Place Dauphine geht.

»Links zwischen den Pfeilern, unter der Laterne.«

»Gut, Gehe und halte die Pferde am bezeichneten Orte bereit.«

»Oh! gut Glück, mein Herr, gut Glück!. . . zählen Sie auf mich.«

»Das ist der günstige Augenblick, Niemand schaut, öffne Deine Baracke.«

»Es ist geschehen, mein Herr, ich werde für Sie beten!«

»Nicht für mich mußt Du beten! Gott besohlen.«

Und nach einem beredten Blicke schlüpfte der Bürger so behende und geschickt unter das kleine Dach der Baracke, daß er verschwand, wie es der Schatten des Schreibers getan hätte, der die Thüre schloß.

Dieser würdige Schreiber zog den Schlüssel aus dem Schlosse, nahm Papiere unter den Arm und verließ den Saal mit den wenigen Beamten, welche der Schlag der fünf Uhr wie eine Nachhut verspäteter Bienen aus den Kanzleien trieb.

XXXVI.
Der Bürger Theodor

Die Nacht hatte in ihren großen, grauen Schleier den ungeheuren Saal gehüllt, dessen unglückliche Ecken die Ausgabe haben, das scharfe Wort der Advokaten und die flehenden Worte der Kläger und Beklagten zu wiederholen.

In einer gewissen Entfernung von einander schien mitten in der Dunkelheit eine weiße Säule wie ein diesen heiligen Ort beschützender Geist im Saal zu wachen.

Das einzige Geräusch, das sich in dieser Dunkelheit hören ließ, war das Geknaupel und der Galopp der Ratten, welche die in den Hütten der Schreiber enthaltenen Papiergöße zernagten, nachdem sie mit dem Zernagen des Holzes angefangen.

Man hörte auch wohl zuweilen das Geräusch eines Wagens, das bis zu diesem Heiligthum der Themis drang, wie ein Akademiker sagen würde, und ein unbestimmtes Klirren von Schlüsseln, das unter der Erde hervorzukommen schien; doch Alles dies ertönte in der Ferne und nichts hebt so sehr die vollkommene Stille hervor, als ein entferntes Geräusch, wie nichts so sehr die Dunkelheit hervorhebt, als die Erscheinung eines entfernten Lichtes.

Gewiß wäre derjenige von einem schwindelartigen Schrecken ergriffen worden, welcher sich zu dieser Stunde in den weiten Saal des Palastes gewagt hätte, dessen Kauern außen noch roth waren von dem Blut der Opfer des September, dessen Treppen an demselben Tage fünf und zwanzig zum Tode Verurtheilte hatten hinabsteigen sehen, und dessen Platten nur eine Dicke von ein paar Fuß von den mit gebleichten Skeletten bevölkerten Kerkern der Conciergerie trennte.

Doch mitten in dieser furchtbaren Nacht, mitten in diesem feierlichen Stillschweigen, ließ sich ein schwaches Knirschen hören; die Thüre einer Schreiberhütte drehte sich aus ihren Angeln und ein Schatten, schwärzer als der Schatten der Nacht, schlüpfte vorsichtig aus der Baracke.

Dann streifte der wüthende Patriot, den man ganz leise Herr nannte und der ganz laut Theodor zu heißen behauptete, mit leichtem Fuße die holperigen Platten.

Er hielt in der rechten Hand eine schwere eiserne Hebestange und sicherte mit der linken in seinem Gürtel eine Pistole mit zwei Läufen.

»Ich habe zwölf Platten von dem Laden an gezählt,« murmelte er; »hier ist das Ende der ersten.«

Und während er rechnete, betastete er mit der Fußspitze die Spalte, welche die Zeit zwischen jeder Fuge der Steine noch fühlbarer macht.

»Habe ich meine Maßregeln auch gut genommen?« murmelte er; »werde ich stark genug sein? Wird sie Muth genug haben? Oh! ja, denn ihr Muth ist mir bekannt. Oh! mein Gott! wenn ich ihre Hand nehme und zu ihr sage: »»Madame, Sie sind gerettet!««

Er blieb stehen, wie niedergedrückt unter dem Gewichten einer solchen Hoffnung.

»Oh! fuhr er fort, »verwegener, wahnsinniger Versuch! werden die Anderen sagen, indem sie sich unter ihre Decken stecken oder sich damit begnügen, daß sie als Lackeien verkleidet um die Conciergerie herstreichen; aber bei ihnen ist nicht der Fall, was bei mir der Fall ist, um so viel zu wagen; ich will nicht nur die Königin retten, ich will hauptsächlich die Frau retten. Auf, zum Werke, und wiederholen wir noch einmal unsere Aufgabe. Die Platte aufheben, das ist nichts; sie offen lassen, darin liegt die Gefahr, denn es kann eine Runde kommen; doch es kamen nie Runden. Man hat keinen Verdacht, denn ich habe keine Genossen, und dann, wie viel Zeit braucht es für einen Eifer wie der meinige ist, um den düsteren Gang zu durchdringen? In drei Minuten bin ich unter ihrem Zimmer, in fünf weiteren Minuten hebe ich den Stein auf, der ihrem Kamin als Herd dient; sie wird mich arbeiten hören, doch sie hat zu viel Festigkeit, um darüber zu erschrecken; sie wird begreifen, daß ein Befreier naht; sie wird von zwei Männern bewacht; ohne Zweifel werden diese zwei Männer herbeieilen. Nun! was sind im Ganzen zwei Männer,« sagte der Patriot mit einem finsteren Lächeln, indem er abwechselnd die Waffe, die er in seinem Gürtel hatte, und die anschaute, welche er in seiner Hand hielt; »zwei Männer, das braucht einen Doppelschuß mit dieser Pistole, oder zwei Schläge mit dieser eisernen Stange; arme Leute! Oh! es sind wohl Andere gestorben, welche nicht mehr schuldig waren. Vorwärts!«

Und der Bürger Theodor drückte entschlossen seine Hebestange zwischen die Fuge von zwei Platten.

In demselben Augenblick schlüpfte ein scharfes Licht wie eine goldene Furche über die Platten hin, ein durch das Echo des Gewölbes wiederholtes Geräusch bewog den Verschwörer, sich umzuwenden, und mit einem einzigen Sprunge kehrte dieser in die Hütte zurück und verbarg sich in derselben.

Bald drangen Stimmen, geschwächt durch die Entfernung, geschwächt auch durch die Gemüthsbewegung, welche sich aller Menschen zur Nachtzeit in einem weiten Gebäude bemächtigt, an das Ohr von Theodor.

Er bückte sich und sah durch eine Öffnung der Hütte einen Mann in militärischer Tracht, dessen großer Säbel, auf den Platten wiederhallend, eines von den Geräuschen veranlaßte, die seine Aufmerksamkeit erregt hatten; dann einen Mann in pistaziengrünem Rocke, der einen Meßstab in der Hand und Papierrollen unter seinem Arme hielt: dann einen dritten in einem Wammse von Ratine und mit einer Pelzmütze, und endlich einen vierten mit Holzschuhen und einer Carmagnole.

Die vier Männer traten ein.

»Eine Runde,« murmelte Theodor; »Gott sei gelobt, zehn Minuten später wäre ich verloren gewesen.«

Dann betrachtete er mit tiefer Aufmerksamkeit die Personen, welche diese Runde bildeten. Er erkannte in der That drei derselben. Derjenige, welcher in der Tracht eines Generals voranging, war Santerre, Der Mann mit dem Ratinewammse und der Pelzmütze war der Concierge Richard. Der Mann mit den Holzschuhen und der Carmagnole war ohne Zweifel ein Schließer.

Doch den Mann mit dem pistaziengrünen Rocke, der einen Meßstab in der Hand und Papiere unter seinen Arm hielt, hatte er nie gesehen.

Wer mochte dieser Mensch sein, und was thaten im zehn Uhr Abends in der Salle des Pas-Perdus der General der Gemeinde, der Wächter der Conciergerie, Schließer und dieser Unbekannte?«

Der Bürger Theodor stützte sich aus ein Knie, bis mit einer Hand seine Pistole mit den gespannten Hahn und ordnete mit der anderen seine Mütze auf seinen Haar welche seine hastige Bewegung zu viel an ihrer Base verwirrt hatte, als daß sie natürlich gewesen wären.

Bis jetzt hatten die vier nächtlichen Gäste geschwiegen oder die Worte, die sie gesprochen, waren wenigstens an die Ohren des Verschwörers nur wie ein leeres Geräusch gedrungen.

 

Doch zehn Schritte von dem Versteck sprach Santerre und seine Stimme gelangte deutlich bis zum Bürger Theodor.

»Hört,« sagte er, »wir sind nun in der Salle: Pas-Perdus, Du hast uns zu führen, Bürger Baumeister, und mußt Dich hauptsächlich bemühen, daß Deine Offenbarung keine Posse ist, denn siehst Du, die Revolution hat allen diesen Albernheiten ihr Recht angetan, wir glauben eben so wenig an unterirdische Gänge, als Geister. Was sagst Du dazu, Bürger Richard?» fügte Santerre bei, indem er sich an den Mann mit der Mütze und dem Ratinewammse wandte.

»Ich habe nie gesagt, es gebe keinen unterirdischen Gang unter der Conciergerie,« antwortete dieser »und hier steht Gracchus, der seit zehn Jahren Schließer ist. der folglich die Conciergerie wie seine Hosentasche kennt und dennoch nichts von dem Dasein des unterirdischen Gang weiß, von welchem der Bürger Giraud spricht; da jeder der Bürger Giraud Baumeister der Stadt ist, so muß er das besser wissen, als wir, denn es gehört zu seinem Amte.«

Theodor schauerte vom Scheitel bis zu den Zehen, als er diese Worte hörte,

»Zum Glück,« murmelte er, »ist der Saal groß, und ehe sie finden, was sie suchen, werden sie wenigstens zwei Tage suchen müssen,«

Doch der Baumeister öffnete seine große Papierrolle, setzte seine Brille auf und kniete vor einem Plan nieder, den er aufmerksam bei der zitternden Helle der Laterne, welche Gracchus in der Hand hielt, betrachtete.

»Ich befürchte, der Bürger Giraud hat nur geträumt,« sagte Santerre spottend.

»Du wirst sehen, Bürger General,« versetzte der Baumeister, »Du wirst sehen, ob ich ein Träumer bin; warte, warte,«

»Du siehst wohl, wir warten,« rief Santerre. »Gut,« sprach der Baumeister und fuhr dann rechnend fort:

»Zwölf und vier macht sechzehn und acht macht vier und zwanzig, das gibt mit sechs dividirt vier, wonach uns eine halbe bleibt; so ist es, ich habe meine Stelle und wenn ich mich um einen Fuß täusche, so sagt, ich sei ein Ignorant,«

Der Baumeister sprach diese Worte mit einer Sicherheit, welche den Bürger Theodor vor Schrecken in Eis verwandelte.

Santerre schaute den Plan mit einer gewissen Ehrfurcht an; man sah, daß er um so mehr bewunderte, je weniger er etwas davon begriff.

»Folgt wohl dem, was. ich Euch sagen werde.«

»Wo dies?« fragte Santerre.

»Aus dieser Karte, die ich gezeichnet habe! Seid Ihr dabei? Dreizehn Fuß von der Mauer ist eine bewegliche Platte, die ich mit A bezeichnete. Seht Ihr sie?«

«Gewiß sehe ich ein A,« erwiderte Santerre, »glaubst Du, ich könne nicht lesen?«

»Unter dieser Platte ist eine Treppe,« fuhr der Baumeister fort; »seht, ich habe sie mit B bezeichnet.«

»B,« wiederholte Santerre, »ich sehe das B, aber ich sehe die Treppe nicht.«

Und der General lachte geräuschvoll über diesen Scherz.

»Ist einmal die Platte aufgehoben, habt Ihr einmal den Fuß auf der letzten Stufe,« fuhr der Baumeister fort, »so zählt fünfzig Schritte von drei Fuß, und schaut in die Luft, Ihr werdet Euch gerade vor der Kanzlei befinden, in welche dieser unterirdische Gang, unter dem Kerker der Königin hinlaufend, ausmündet.«

«Der Witwe Capet, willst Du sagen, Bürger Giraud,« entgegnete Santerre, die Stirne faltend.

»Ah! ja, der Witwe Capet.«

»Du sagtest:der Königin.«

»Alte Gewohnheit.«

»Und Du behauptest, man werde sich unter der Kanzlei befinden?« fragte Richard.

»Nicht nur unter der Kanzlei, sondern ich sage sogar, unter welchem Theile der Kanzlei man sich befinden wird: unter dem Ofen.«

»Das ist seltsam,« sprach Gracchus; »in der That, so oft ich ein Scheit Holz an diesem Orte fallen lasse, widderhallt der Stein.«

»Wahrhaftig, wenn wir finden, was Du da sagst, Bürger Baumeister, so werde ich zugestehen, daß die Geometrie eine schöne Sache ist.«

»Nun, so gestehe, Bürger Santerre, denn ich führe Dich an den durch den Buchstaben A bezeichneten Ort.«

Der Bürger Theodor drückte sich die Nägel in das Fleisch.

»Wenn ich gesehen haben werde,« versetzte Santerre: »ich bin wie der heilige Thomas.«

»Ah! Du sagst der heiligt Thomas.«

»Meiner Treue, ja, wie Du gesagt hast die Königin, aus Gewohnheit: doch man wird mich nicht beschuldigen, ich conspirire für den heiligen Thomas.«

»Mich auch nicht, ich thue dies für die Königin.«

Nach dieser Antwort nahm der Baumeister den Meßstab, zählte die Klaster und schlug, nachdem er alle Entfernungen wohl berechnet zu haben schien, auf eine Platte.

Diese Platte war gerade dieselbe, auf welche der Bürger Theodor in seinem wüthenden Zorne geschlagen hatte.

»Es ist hier, Bürger General,« sagte der Baumeister.

»Du glaubst, Bürger Giraud?«

Der Patriot in der Hütte vergaß sich so weit, daß er heftig mit seiner geschlossenen Faust auf seinen Schenkel schlug und ein dumpfes Gemurre ausstieß.

»Ich bin meiner Sache sicher,« erwiderte Giraud, »und Eure Besichtigung wird in Verbindung mit meinem Berichte dem Convent beweisen, daß ich mich nicht täuschte. Ja, Bürger General,« fuhr der Baumeister mit Nachdruck fort, »diese Platte öffnet sich über einem unterirdischen Gange, der unter dem Kerker der Witwe Capet hinläuft und in die Kanzlei ausmündet. Heben wir diese Platte aus, steigt mit mir in den Gang hinab, und ich werde Euch beweisen, daß zwei Männer, daß ein Mann sogar die Witwe Capet in einer Nacht, ohne daß es Jemand vermuthete, entführen könnte.«

Ein Gemurmel des Schreckens und der Bewunderung, den Anwesenden durch die Worte des Baumeisters entrissen, durchlief die ganze Gruppe und erstarb am Ohr des Bürger Theodor, der in eine Bildsäule verwandelt zu sein schien.

»Einer solchen Gefahr waren wir preisgegeben,« sprach Giraud. »Nun wohl, mit einem Gitter, das ich in dem unterirdischen Gange anbringe, und das diesen in der Mitte durchschneidet, ehe er zu dem Kerker der Witwe Capet gelangt, rette ich das Vaterland.«

»Oh! Bürger Giraud,« rief Santerre, »Du hast da einen erhabenen Gedanken.«

»Die Hölle verwirre Dich, dreifacher Dummkopf!« brummte der Patriot mit verdoppelter Wuth.

»Hebe nun die Platte auf,« sagte der Baumeister zu dem Bürger Gracchus, der außer seiner Laterne auch eine Hebestange trug.

Der Bürger Gracchus schritt zum Werke, und in einem Augenblick war die Platte ausgehoben.

Da erschien das unterirdische Gewölbe gähnend mit der Treppe, die sich in den Tiefen verlor, und ein ganzer Strom schimmeliger Lust drang dick wie ein Dampf hervor.

»Abermals ein gescheiterter Versuch,« murmelte de: Bürger Theodor. »Oh! der Himmel will also nicht, daß sie entkomme, und ihre Sache ist also eine verfluchte Sache!«

8Ein Fehler aus Mangel an Erfahrung oder aus Unwissenheit.