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Der Geflügelschütze

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Erst jetzt sah er die Folgen, welche eine Verhaftung in dieser Lage haben konnte, und er suchte zu fliehen.

Er sah sich mit verwirrtem Blicke um.

Durch den Ausgang, der zu dem Hof führte, konnte er nicht entfliehen, denn er mußte unfehlbar Langot begegnen.

Unmöglich konnte er wieder durch die Fallthür hinaufsteigen.

Dazu hätte er einer Leiter oder einer Aufeinanderhäufung von Stühlen und Tischen bedurft.

Er konnte Langot entgegengehen, ihn erwürgen und durch die Gartenthür entfliehen.

Aber dann war es ganz einfach ein Mord.

Montplet sah in einer blutigen Wolke die beiden Arme der Guillotine.

Er bemerkte eine Thür.

Er stürzte sich auf diese Thür zu.

Wenn diese Thür verschlossen war, mußte er verloren sein.

Zum Glück gab sie nach.

In dem Augenblick, wo sie nachgab, erhob sich die Klinke der Thür und Langot trat in den Laden.

Montplet befand sich in einem kleinen niedrigen Gemache, einem Nebenmagazin.

Er tappte unter den Ballen umher und fand das roh gearbeitete Treppengeländer.

Aber ohne Zweifel machte er einiges Geräusch, denn die Thür des kleinen Magazins öffnete sich, ein Lichtstrahl drang in das düstere Gemach und Langots Stimme fragte:

»Wer ist da? Wer ist da? Bist Du es, Jeanne?«

Alain stellte sich dicht an die Wand und hütete sich zu antworten.

Die Thür schloß sich wieder.

Alain fuhr fort, die Treppe hinaufzusteigen.

Aber kaum hatte er zwei Stufen erstiegen, als er den Wucherer schreien hörte.

Dieser hatte den Meißel unter seinen Füßen gefunden und den Kopf erhebend die Fallthür offen gesehen.

Alain horchte.

Ein lautes Geräusch kam von draußen; die Nachbarn liefen auf Langot’s Ruf herbei; das Haus mußte bald gefüllt sein; man wollte den Dieb verfolgen, aufspüren und verhaften.

Alain sah, daß er verloren war.

Diesmal handelte es sich nicht mehr um das Schaffot, sondern um die Galeeren, es war ein Hereinsteigen und ein Einbruch.

In diesem Augenblick war der Jäger oben auf der Treppe angekommen und tappte in einer Art von Corridor umher, an dessen Ende ein Lichtstreifen schimmerte.

Dieser Streifen deutete eine Thür an.

Bei dem Geräusch auf der Straße, bei Langot’s Geschrei öffnete sich diese Thür.

Diese Thür war die der kleinen Ladenkammer, wo Jeanne Marie wohnte.

Sie stieß einen Schrei aus, als sie einen Mann erblickte; aber dieser halberstickte Schrei kehrte gleichsam in ihre Kehle zurück.

Ehe Alain Zeit hatte zu sagen: »Ich bin es!« hatte sie ihn erkannt.

»Kommen Sie,« sagte sie.

Alain stürzte sich in das Zimmer.

Er war gerettet.

Langot fuhr fort, um Hilfe zu rufen; er behauptete, einen Mann fliehen gesehen zu haben, er zeigte das Werkzeug, womit man versucht hatte, einen Secretair zu erbrechen, er zeigte die geöffnete Fallthür, die noch an einer ihrer Angeln hing.

Es war kein Zweifel: ein Dieb hatte sich ins Haus eingeschlichen.

Da nun Alles verschlossen war, mußte er noch da sein.

Man begann die genausten Nachsuchungen.

Man durchforschte alle Winkel des Ladens und des Magazins.

Von dem Orte, wo er sich verborgen hatte, konnte Alain die Treppe unter den Fußtritten der Nachbarn krachen hören.

Man kam zu der Dachkammer Jeanne Marie’s: Die Thür war geschlossen, und erst nach langen Unterhandlungen erhielt man Eintritt.

Man fand die Wittwe völlig angekleidet und in lebhaftem Schrecken dastehend.

Sie erzählte, daß sie eben habe zu Bett gehen wollen, als sie all’ diesen Tumult gehört, der sie in einen solchen Schrecken versetzt, daß sie sich in ihr Zimmer eingeriegelt und nicht wieder herausgewagt habe.

Sobald Jeanne Marie versicherte, nicht aus ihrem Zimmer gegangen zu sein, war es unmöglich, daß der Dieb dort eingedrungen sein konnte.

Das Gemach war überdies so eng und so ärmlich möbliert, daß es unmöglich schien, sich dort zu verbergen.

Langot und seine Begleiter erlaubten Jeanne Marie also, ihre Thür wieder zu schließen, und stiegen zu dem Boden hinauf, wo ihre Nachsuchungen keinen besseren Erfolg hatten.

Man war genöthigt anzunehmen, daß der Dieb durch die Fallthür entflohen war, welche ihm gedient hatte, um sich bei dem Materialhändler einzuschleichen, und daß er, während dieser den Nachbarn geöffnet, die Felder erreicht habe.

Langot’s Schrecken war so lebhaft, daß er sich nicht niederlegen wollte und die ganze Nacht mit nutzlosen Nachforschungen hinbrachte.

Erst vier und zwanzig Stunden, nachdem er in Jeanne Maries Zimmer eingetreten war, konnte Alain herausgehen.

Sechstes Kapitel.
Der falsche Weg

Einmal außer Langot"s Hause, athmete Alain freier.

Wohin sollte er gehen?

Was sollte er thun?

Er dachte natürlich an Henin.

Eben hatte es zwölf Uhr in der Nacht geschlagen.

Er klopfte an die Thür des Steuermanns und nannte seinen Namen.

Henin kleidete sich an und öffnete.

»Ah! ah! Sie sind es ? Ich habe in der That einen Augenblick geglaubt, daß Sie in Das verwickelt gewesen, was sich in der letzten Nacht bei Langot zugetragen?«

»Und Sie haben sich nicht geirrt.«

»Treten Sie ein, und Sie sollen mir Das erzählen.«

»Nein, kommen Sie vielmehr heraus; ich bedarf der Luft.«

»Lassen Sie mir nur so viel Zeit, mich vollends anzukleiden, und ich stehe Ihnen zu Diensten.«

»Sehr gut!« Henin legte ein Beinkleid und seine Blouse an und kam wieder zu Alain, der ohne Zweifel fürchtete, wieder gefangen zu werden, und ihn zehn Schritte vor seinem Hause erwartete.

»Nun?« fragte Henin, als er zu ihm kam.

»Sie hatten Recht; mein Richard ist wenigstens ein ebenso großer Schurke wie Langot, und sie haben sich vereinigt, um mich zu bestehlen.«

Und er erzählte ihm Alles, was er gesehen und gehört hatte.

»Was denken Sie zu thun?« fragte ihn Henin.

»Ich werde mir in Saint-Lo einen Advocaten suchen, Richard zwingen, mir zurückzugeben, was er noch von meinen Wechseln und Verschreibungen übrig hat, und wenn ich sie einmal in Händen habe, wende ich mich an den Staatsanwalt. Zum Teufel! vielleicht giebt es noch Gerechtigkeit für die ehrlichen Leute —«

»Vielleicht, Sie haben Recht!«

»Wie! Sie zweifeln, daß es mir gelingen wird?«

»Und wenn die beiden Banditen ihre Wechsel verbrennen und sagen, da diese Papiere nach dem Verkauf der Meierei kein Interesse mehr für sie gehabt, so hätten sie sie vernichtet?«

»Könnte man es nicht so machen, daß sie nicht Zeit hätten, sie zu verbrennen?«

»Da müßte man sie plötzlich überfallen und Alles mit Beschlag belegen; aber sie werden ihre Verhaftung nicht auf eine Anklage ohne Beweise erwirken können. Und wer sagt Ihnen übrigens, daß sie zu dieser Stunde nicht schon ihre Vorkehrungen getroffen haben?«

»Nun denn, gesetzt, Sie wären in meiner Stelle, Henin, was würden Sie thun ?«

»Ah! verwünscht – es ist schwer zu sagen – die Rathgeber sind nicht die Zahler, wie man zu sagen pflegt. Etwas Gutes von einem Processe zu erwarten, hieße ebensoviel, als seine Haut an einen Haken hängen, um dem Haifische als Köder zu dienen. Wir wollen einmal annehmen, sie hängen den Alten. Er wird sich hängen lassen, ohne irgend Etwas einzugestehn. Dann sind Sie weit gekommen; aber man wird Ihnen nicht einmal ein Ende von dem Stricke geben, um Ihnen auf Ihrem Anstande Glück zu bringen. Nein, die Richter werden. Alles für sich behalten. Verwünscht! Ihnen wäre es freilich recht, Das wieder zu verlangen, was man Ihnen gestohlen hat!«

»Kennen Sie ein Mittel dazu?«

»Ja, meiner Treu, vielleicht.«

»Welches? – reden Sie! und ich muß gestehen, daß sie mir einen großen Dienst leisten.«

»Nun, sehen Sie, ich würde versuchen, mich mit dem Onkel freundschaftlich abzufinden; ich würde zu ihm gehen und zu ihm sagen: Ich liebe Ihre Nichte —«

Alain erröthete bis in das Weiß einer Augen.

»Wie! ich liebe seine Nichte?« stotterte er.

»Spaßvogel,« versetzte der alte Steuermann, »glauben Sie, daß die Liebe nicht mehr Spur hinterläßt, als das Kielwasser eines Bootes auf dem Meere? Sie werden vielleicht die Stirn haben, mir zu sagen, daß Dies nicht wahr ist, während Sie doch alle Abende zu uns kommen und ganze Viertelstundenlang von Jeanne plaudern, so daß es nie ein Ende nimmt. Ah! man darf deshalb nicht erröthen, meine Junge; Sie konnten nie besser wählen. Sie ist eine hübsche, wackere Frau und hat ein weiches Herz; sie ist muthig, sparsam und zierlich und lieblich wie Gewürzwein. Bei ihr können Sie gewiß sein, daß ihre Flagge sich nie entfärben wird.«

»Maitre Henin,« versetzte der junge Mann, »ich bin noch nicht entschlossen, mich zu verheirathen; aber es thut Nichts, Ihre Idee bringt eine andere bei mir hervor.«

»Eine gute?«

»Ich hoffe es.«

»Dann um so besser!«

»Maitre Henin, ich verlasse Sie.«

»Um sie in Ausführung zu bringen?«

»Richtig«

»Möge sie gelingen, wenn sie eine redliche Idee ist.«

Alain erröthete zum zweiten Mal.

»Es wird Ihnen niemals so viel Glück begegnen, wie ich Ihnen wünsche, Alain,« fuhr der Steuermann fort. »Ich weiß wohl, daß nicht Alle über Ihren Character einstimmig sind und daß auf Einen, der Gutes von Ihnen spricht, Drei oder Vier kommen, die Böses von Ihnen sprechen. O! man darf mich deshalb nicht schief ansehen. Auf dem Meere laviere ich zuweilen – es ist die Schuld des Mundes in der Unterredung niemals! Aber ich, begreifen Sie wohl, ich habe Sie handeln sehen, indem Sie Ihr Leben für einen armen kleinen Schiffsjungen aufs Spiel setzten, und ich sagte zu mir: Der Kopf mag schlecht sein, aber der Grund seines Herzens ist gut.«

Alain faßte die Hand, welche Henin ihm reichte, und entfernte sich, ohne zu antworten, indem er ihm zum Abschiede nur mit dem Kopfe zunickte.

 

»O! o!« sagte Henin, »ich bin der Meinung, daß wir im Begriff sind, unter einer falschen Flagge zu fahren! Dann um so schlimmer für Dich, Seeräuber! – mit den Seeräubern endet es niemals gut.«

Alain kehrte in eine Hütte zurück.

Er fand den kleinen Jean Marie in der lebhaftesten Unruhe.

Der Knabe hatte während der ganzen Nacht und während des Morgens vergebens gewartet und war dann in den Flecken gegangen.

Dort hatte er erfahren, was sich bei Langot zugetragen, – nämlich was alle Welt davon wußte, daß sich ein Dieb bei ihm eingeschlichen, die Fallthür erbrochen, die von dem Gange des Bodens in den Laden führte, und versucht, den Secretair zu erbrechen.

Darauf war ihm, der Alain zu der Treppe geführt hatte, die zu dem Boden hinaufging, ganz natürlich der Gedanke gekommen, daß dieser Dieb ein guter Freund sei, und er hatte den Tag in großer Qual hingebracht

Am Abend war er in die Hütte zurückgekehrt, indem er Montplet zu finden gehofft hatte, aber es leuchtete ihm ein, daß Montplet nicht dorthin zurückgekehrt war.

Montplet erschien dort erst um zwei Uhr Morgens.

Der kleine Jean hatte sich nicht niedergelegt.

Er saß auf dem Schemel vor dem Kamine bei einem verlöschenden Feuer und hatte Pavillon zu seinen Füßen, der ebenso unruhig schien wie er.

Plötzlich erhob Pavillon, der nach Art der Sphinxe da lag, den Kopf, bewegte dann den Schweif, so daß er den Fußboden abkehrte, ging dann auf die Thür zu und richtete sich völlig auf.

»Ah! Monsieur Montplet kommt zurück,« rief der kleine Jean.

Und er lief auf die Thür zu und öffnete sie.

Zwanzig Schritte von da erblickte er die große Gestalt eines Freundes, der sich im Dunkeln näherte.

Der Knabe lief Montplet entgegen und warf sich in seine Arme.

Darauf begannen die Fragen.

Aber es war schwierig, diese Fragen zu beantworten, Auch begnügte sich Alain damit, dem Knaben zu sagen, daß er sich vollständig beruhigen könne und daß die Angelegenheit anstatt unangenehme Folgen für ihn zu haben, vielleicht glückliche Erfolge für Alle haben werde.

Indessen bat er den kleinen Jean, es so einzurichten, daß er seine Mutter sehe, und ihr zu sagen, daß Monsieur Montplet sie in der folgenden Nacht durchaus sprechen müsse.

Der Knabe sah Alain an.

»Aber mein guter Freund,« sagte er, »Sie wissen, daß Mutter Jeanne Ihnen vor einem Monat hat antworten lassen, daß sie bei Nacht nicht ausgehen könne, weil Onkel Langot die Thüren schließe.

»Wenn Mutter Jeanne vor einem Monat nicht kommen konnte, wird sie es heute können, und wenn Onkel Langot die Thür schließt, sei ruhig, kleiner Jean, so wird sie den Schlüssel finden.«

Der kleine Jean verlangte keine Erklärung.

Obgleich aus dem Hause seines Onkels Langot verbannt, sah er doch eine Mutter fast so oft, wie er es wollte.

Er durfte sich nur an dem Winkel einer von den Straßen verstecken, die zur Kirche führten, und wenn er Onkel Langot herauskommen sah, schnell in den Laden laufen.

Die Thür öffnete sich, die Mutter drückte ihren Sohn in ihre Arme, man erspähte die Rückkehr des Onkels, und wenn man ihn am Horizonte erscheinen sah, schwankend wie einen Faun, schlug der Knabe den Rückweg durch den Hof ein und entfernte sich durch die Gartenpforte.

Er that also am folgenden Tage, was sein Freund Alain von ihm verlangt hatte.

Er besuchte seine Mutter, und zu einem großen Erstaunen begnügte sich diese, ihm zu antworten:

»Es ist gut, mein Kind; jage Monsieur Alain, daß ich kommen werde.«

Ungeachtet dieses Versprechens schien Alain den ganzen Tag unruhig Es war einleuchtend, daß er irgend ein Vorhaben in seinem Geiste überdachte, welches sein Gewissen nicht vollkommen billigte.

Man verzeihe uns, es ist kein Roman, den wir schreiben, es ist eine Geschichte.

Für einen Roman würde die Fabel, die wir vor den Augen unserer Leser abrollen, sehr schwach sein und die Personen, die wir vorführen, würden sehr wenig studiert erscheinen.

Nein.

Dieses Buch ist eine Art von Daguerreotyp, am Ufer des Meeres aufgenommen, und wir machen keinen anderen Anspruch, als genau die Wahrheit wiedergegeben zu haben.

Wir müssen also gestehen, auf die Gefahr, das Interesse zu vermindern, welches in jeder guten Composition um jeden Preis für den Helden aufbewahrt werden muß, daß unser Held ein Mensch war, daß dieser Mensch ein normännischer Bauer war, und daß er nicht nur einige von den häßlichen Fehlern an sich hatte, die dem Menschen im Allgemeinen anhaften, sondern auch, daß sich mit diesen Fehlern noch die vereinten, welche man dem Territorium zuschreibt.

Zufällig hatte er, wie Henin gesagt, im Grunde ein gutes Herz.

Als der Abend, oder vielmehr die Nacht gekommen war, fand sich Jeanne ihrem Versprechen gemäß in Alain’s Hütte ein.

Montplet erwartete sie auf der Schwelle.

Als er Jeanne erblickte, lief er ihr entgegen und umarmte sie.

Jeanne schob ihn sanft zurück.

»O! fürchten Sie Nichts,« sagte der junge Mann, »Jean Marie ist nicht da; ich habe ihn ausgeschickt, um Sprenkeln für die Schnepfen aufzustellen.«

Da gestattete Jeanne dem jungen Manne, seine Lippen auf ihre Stirn zu drücken.

Doch in dem Augenblicke, als die Lippen sie berührten, seufzte sie tief.

Man hätte sagen sollen, Alain’s Mund habe eine Wunde berührt.

Der junge Mann zog sie mit sich in die Hütte, und dort wollte er sie auf sein Knie setzen.

Aber mit großer Milde und zugleich mit großer Festigkeit sagte sie zu ihm:

»Alain, ich komme, Sie zu besuchen, nicht als eine Geliebte, sondern als eine Freundin. Haben Sie irgend einen Dienst von mir zu verlangen, so bin ich bereit, Ihnen denselben zu leisten, denn mein Leben gehört Ihnen, Das wissen Sie besser, als irgend Jemand.«

Der junge Mann wollte sie wieder an seine Brust drücken, aber sie machte sich aus seinen Armen los, setzte sich zu ihm auf einen Stuhl und reichte ihm die Hand.

»Reden Sie,« sagte sie, »ich höre Ihnen zu.«

»Und wenn ich Ihnen Nichts zu sagen hätte, Jeanne?« versetzte Montplet lächelnd.

»Sie haben mir Etwas zu sagen, Montplet, da Sie mich haben bitten lassen, zu Ihnen zu kommen.«

»Ich hatte Ihnen zu sagen, daß ich Sie liebe, Jeanne.«

»Noch etwas Anderes, Alain. Sie würden meinen Sohn nicht zum Boten gewählt haben, wenn Sie mir nur dieses leichtfertige Wort zu sagen hätten.«

»Nun ja, Jeanne, ich hatte Ihnen noch etwas Anderes zu sagen. Als ich in Ihr Zimmer eintrat und Sie mich fragten, wie es komme, daß ich mich in dem Hause Ihres Onkels befinde, sagte ich Ihnen, daß ich mich eingeschlichen habe, um Sie zu sehen.«

Jeanne machte ein bejahendes Zeichen, indem sie einen Seufzer ausstieß.

»Nun,« fuhr Alain fort, »ich sagte die Unwahrheit.«

»Ich habe es am folgenden Tage erfahren,« sagte Jeanne; »aber Sie wissen, daß ich Ihnen keinen Vorwurf wegen Ihrer Unwahrheit gemacht habe.«

»Warten Sie, Jeanne – es ist wahrscheinlich ein Glück für uns Alle, daß die Sache eine solche Wendung genommen.«

»Ich bezweifle es,« sagte Jeanne.

»Sie werden sehen,« versetzte Montplet. »Ich kam, weil Ihr Onkel Langot mich auf unwürdige Weise bestohlen hat.«

Jeanne antwortete nicht.

»Weil ich einen Mitschuldigen Richard bei ihm eintreten sah,« fuhr der junge Mann fort, »und weil ich ihr Geheimniß erfahren wollte.«

»Ich habe Dies alles errathen,« sagte Jeanne, »als ich die Fallthür offen und das Schloß des Secretairs halb erbrochen sah.«

»Nun, Jeanne begreifen Sie, was ich Ihnen noch zu sagen habe?«

»Nein, Alain.«

»Ich habe Ihnen noch zu sagen, Jeanne, daß es nur von Ihnen abhängt, daß wir reich und glücklich sind.«

»Glücklich!« rief Jeanne.

»Ja, glücklich! Denn so großen Abscheu ich auch vor der Ehe habe, so lange ich arm bin, so werde ich doch, wenn ich wieder reich und im Besitze der Meierei bin, der Erste sein, der eine gute Haushälterin an die Spitze seines Hauses zu stellen wünscht. Nun, ich nehme Gott zum Zeugen, Jeanne, wenn Sie mich unterstützen, so sollen Sie diese gute Haushälterin sein.«

»Ich danke Ihnen, Alain, obgleich Sie eine Bedingung stellen; aber Das beweist immer, daß Sie mich nicht verachten.«

»Ich Sie verachten? O nein, Jeanne! Warum sollte ich Sie denn verachten?«

»Nun, wir wollen sehen, was erwarten Sie von mir?«

Alain zauderte.

»Ich warte,« sagte Jeanne.

»Sie wissen, daß Ihr Onkel Langot und mein Advocat Richard sich vereinigt haben, mich zu Grunde zu richten?«

»Ich weiß Nichts davon; reden Sie, Alain.«

»Die Wechsel, vermöge welcher man mich außer Besitz der Meierei gesetzt hat, sind falsch oder verfälscht.«

»Was weiter?«

»Ein Theil dieser Wechsel ist in Richards Händen, der sich derselben bedient, um Geld von Ihrem Onkel zu erpressen, die anderen, in deren Besitz sich ihr Onkel durch schweres Geld gesetzt hat, befinden sich in dem Secretair, welchen ich zu öffnen versucht habe.«

»Was weiter?« fuhr Jeanne in immer kälterem Tone zu fragen fort; denn sie begann zu begreifen, wohin Alain kommen wollte.

»Nun, Jeanne,« sagte Alain, »ich habe auf Sie, auf Ihre Liebe, auf Ihre Ergebenheit gerechnet —«

»Zu welchem Zwecke?« fragte Jeanne.

»Wie? Sie verstehen mich nicht?« fragte Alain.

»Nein.«

»Jeanne, ich muß diese Papiere haben. Ihr Glück ist der Preis.«

Jeanne richtete sich vollständig auf.

»Monsieur Alain,« sagte sie, »ich bin eine ehrliche Frau und keine Diebin —«

»Jeanne!« rief der junge Mann.

»Mein Onkel,« fuhr die Wittwe fort, »gewährt mir Gastfreundschaft, und so theuer er sie mich auch zahlen läßt, bin ich ihm doch verbindlich; ich werde diese Gastfreundschaft nicht verkennen, indem ich sein Vertrauen mißbrauche.«

»Jeanne« versetzte Alain, »indessen können wir nur durch diese Papiere glücklich sein.«

»Monsieur Alain,« antwortete Jeanne mit matter und doch ausdrucksvoller Stimme; »als ich das Geräusch Ihrer Fußtritte im Gange hörte, als ich meine Thür öffnete, als ich Sie blaß und verwirrt sah, als ich das Geschrei hörte, welches Sie verfolgte, die Schritte, welche hinter Ihnen heraufkamen, da sagte ich Ihnen nicht: »Monsieur Alain, Sie werden. Dieses thun, oder Sie werden Jenes nicht thun!« Nein! Nein! wie ich Ihnen die Thür öffnete, öffnete ich Ihnen meine Arme und mein Herz – ich empfand eine gewisse heimliche Freude, Sie zu retten, indem ich mich zu Grunde richtete. Hatten Sie nicht meinen Sohn gerettet, indem Sie Ihr Leben aufs Spiel setzten?«

»Jeanne!«

»Als Sie mir durch Jean Marie jagen ließen, daß Sie mich zu sehen wünschten, schlug mein Herz vor Freude, wie ich Ihnen gestehen will; denn ich glaubte – ich irrte mich, Monsieur Alain, Sie wollten mich sehen, um mir einen schmachvollen Handel vorzuschlagen – ich werde versuchen zu vergessen, daß ich Sie wiedergesehen habe. Adieu, Monsieur Alain!«

»Jeanne, Jeanne,« rief der junge Mann, indem er ihr den Weg vertrat.

»Sie sind ein Mann, Sie sind der Stärkere, Montplet; ich werde nicht mit Ihnen kämpfen. Wenn Sie mich bei sich behalten wollen, bis man meine Abwesenheit bemerkt, bis ich vollständig verloren bin, so können Sie es, und ich habe Nichts weiter zu thun, als zu weinen. Aber ich hoffe, Sie werden Nichts gegen mich thun, Alain, was Sie nicht gegen eine Fremde thun würden – Alles, was ich von Ihnen verlange, Monsieur, ist, zu vergessen – daß Sie meiner bedurft haben; und daß ich mich mit Leib und Seele, und ohne Bedingungen für Sie aufgeopfert habe. Wollen Sie mich jetzt hinauslassen, Alain?«

Die Zähne vor Zorn zusammengebissen, das Gesicht geröthet, sein Herz zusammengeschnürt von dem Gefühl einer eigenen Unwürdigkeit dieser Frau gegenüber, trat Alain auf die Seite und ließ sie hinaus.

Jeanne entfernte sich ohne den Kopf umzuwenden und ohne einen Seufzer auszustoßen; sie öffnete die Thür und schloß sie ohne Zaudern wieder, und als Alain zu dieser Thür eilte, um zu sehen, ob die Wittwe nicht zurückkomme, bemerkte er sie bereits zwanzig oder dreißig Schritte von der Hütte entfernt, und schon begann sie, vermöge ihrer dunklen Kleider, in der Finsterniß zu verschwinden.

Alain stieß einen Seufzer aus, und ließ seine Arme matt an seinem Körper niedersinken.

Wem galt dieser Seufzer?

Dieser Frau, die ihm Alles geopfert hatte und welcher er ihre Ergebenheit so schlecht vergalt?

Stieß er ihn aus wegen einer verlornen Hoffnungen, eines Tages sein Vermögen wieder herzustellen?

Vielleicht hatte Beides Theil daran.

Wenn der Mensch niemals vollkommen gut ist, so ist er doch auch selten völlig schlecht.