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Der Geflügelschütze

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»Ah! kein Christ! In Wahrheit, Monsieur Langot,« rief Montplet, »Das ist eine Beschuldigung, die vortrefflich für Sie paßt! Es eignet sich in der That sehr gut für Sie, Monsieur Thomas Langot, von christlichen Gefühlen zu sprechen. »»Dem Schlausten die Federbetten,«« haben Sie gesagt, als sie sich der Meyerei bemächtigten. Würde es nicht gerecht sein, wenn ich Ihnen heute antwortete: Wer am Wenigsten wagt, hat den größten Schaden?«

»Aber Du wirst es nicht thun, Alain,« sagte Langot zitternd; »Du weißt wohl, mein Junge, daß ich Dich immer geliebt habe?«

»Ja, mit einer bitteren Liebe.«

»Ohne Zweifel, ohne Zweifel; denn es ist mir schwer geworden, gegen Dich zu handeln, wie ich es gethan habe, Das kannst Du glauben; aber Du begreift wohl, Geschäfte sind Geschäfte, man kann nicht immer einnehmen und niemals wiedergeben.«

»Warum haben Sie mir denn da nicht ein freundschaftliches Abfinden vorgeschlagen? Sagen Sie mir Das! Wenn ich gesehen hätte, wie es mit mir stand, würde mich die Größe der Gefahr aus meiner Unthätigkeit aufgeschreckt haben. Ich hätte mich an die Arbeit gemacht, und wenn ich verheirathet gewesen wäre, hätte ich nach und nach meine Schuld abgezahlt.«

»Zu große Delicatesse hat mich zurückgehalten, mein Junge; ja, zu große Delicatesse. Ich habe nicht dazu beitragen wollen, diesen braven Monsieur Jousselin zu täuschen; es ist wohl genug, daß ich mir vorzuwerfen habe, Deinen Vater so lange getäuscht zu haben! Möge seine liebe Seele es mir verzeihen!«

Montplet zuckte die Achseln, unwillig über eine solche Heuchelei.

»Du hast einen Groll gegen mich,« fuhr Thomas Langot fort, »und Du hast Unrecht; und der Beweis davon ist, daß ich Dich in der Stimmung finde, zu arbeiten – und so benutze dieselbe, verlasse die Sümpfe und die Frösche und kehre nach Paris zurück. Auf das Wort eines ehrlichen Mannes! Wenn Du einmal dort bist, Alain, werde ich Dir die Mittel geben, welche Dich in den Stand setzen sollen, Dein Glück zu machen, wie ich.«

»Was da!« entgegnete der junge Mann; »und werden Sie mir auch Ihre Habsucht, Ihre Unredlichkeit, Ihr falsches und eigennütziges Herz geben, Monsieur Langot? Mag es Ihnen nun angenehm sein oder nicht, ich werde in der Provinz bleiben, und merken Sie wohl, um Sie zu hassen, denn ich hasse Sie, verstehen Sie?«

Und er sprach diese Worte mit solcher Energie in das Gesicht des Wucherers, daß Dieser einen Schritt zurückwich.

»Ein Anderer würde Ihnen einen Haß verbergen, nicht wahr?« fuhr er fort; »aber ich bin nicht wie die Anderen geschaffen, und ich empfinde eine Art Freude, Ihnen zu sagen, Ihnen ins Gesicht zu wiederholen, daß ich Sie hasse! Sie nehmen in diesem Augenblicke einen Schein der Menschlichkeit und Gutmüthigkeit an, weil Sie für Ihre Nußschalen zittern; nun hören Sie, was ich Ihnen sagen will; es ist schrecklich, aber es ist die Wahrheit. Sie würden Beide hier sein, sehen Sie, ich dürfte nur das Zündhütchen dieser Flinte abbrennen, um sie zu retten. Nun aber würde ich eher meine Flinte zerbrechen, als dieses Zündhütchen springen zu lassen.«

Bei diesen Worten Montplets kam ein Schrei aus der Kehle oder vielmehr aus dem Herzen einer Frau, welche mit gefalteten Händen und die Blicke zum Himmel gerichtet die Unterredung der beiden Männer anhörte.

Diese Frau war Jeanne Marie, die Nichte des Wucherers.

»Oh, Monsieur Alain,« sagte sie, »es ist gewiß nicht gut, was Sie da sagen! Es sind auf diesen Böten Männer und Kinder, deren Verwandte Ihnen Nichts zu Leide gethan haben.«

Alain erbebte bei diesem Vorwurf, den er als vollkommen gerechtfertigt erkannte.

»Das Geschöpf hat Recht, ich hatte nicht daran gedacht!« rief Langot erfreut über diese Verstärkung; »ja, es sind Kinder des guten Gottes, menschliche Wesen auf diesen Böten, die der Herr uns erhalten möge! Es ist ihr Tod, den Sie wünschen, Monsieur Montplet, indem Sie den Untergang meiner Böte wünschen.«

»Ich wünsche Niemanden Leid oder Schaden,« versetzte Alain; »aber wenn das Leid und der Schaden kommt, so wird man es nicht tadeln können, daß ich Diejenigen nicht beklage, welche mich nicht beklagt haben.«

»Ach!« versetzte die Wittwe, »es ist nicht Dasselbe, Monsieur Alain; denn Sie haben sich selber unglücklich gemacht, indem Sie Ihren Vergnügen nachgingen, und Die, welche dort drüben sind, haben sich dem Tode aus gesetzt, um für ihre Familien Brod zu erwerben und das Kreuz zu erleichtern, welches ihre Mütter tragen.«

Mit dieser letzten Aeußerung bezog sich die unglückliche Frau auf ihren Sohn, welchen Langot acht Tage vorher wider Willen auf eins der Böte hatte bringen lassen, damit er einen Beruf lerne, wie der Wucherer jagte, aber in Wahrheit, damit er bei einem Anderen das Stück Brod esse, welches zu einem täglichen Dasein nothwendig war, – dieses armselige Stück Brod, welches wir Gott im Vaterunser uns zu geben bitten.

Ohne noch zu wagen, es kund zu geben, war Jeanne Marie mehr todt als lebendig, als sie an die Gefahr dachte, die in diesem Augenblicke ihrem vielgeliebten kleinen Sohne drohte, der der einzige Trost war, den sie auf dieser Welt hatte.

Aber ungeachtet aller ihrer Anstrengungen, ihre Qualen zu unterdrücken, konnte doch Langot’s Nichte nicht länger ihren Schmerz beherrschen.

Sie wendete sich ab, um ihre Thränen zu verbergen.

Alain bemerkte diese Bewegung nicht, oder stellte sich, als ob er sie nicht bemerke.

Jeanne Marie war ein Weib, das heißt ein Wesen, dem er Haß und Rache geschworen hatte, und die noch dazu mit einer Erbitterung, mit dem Materialhändler, in Verbindung stand.

»O! o!« sagte er, »fragen Sie doch Ihren Onkel, Jeanne Marie, ob ich allein die Schuld an meinem Untergange trage, und ob ich, ehe ich mir vor die Brust schlage und meine Schuld bekenne, nicht die falschen Freunde anklagen muß, deren Rathschläge den Tod meines Vaters beschleunigt und mich in Armuth gestürzt haben. Gehen Sie, Frau, Sie sprechen für eine schlechte Sache! Bitten Sie nur den lieben Gott, daß er Ihnen nicht die Strafe für Ihre Verwandtschaft auferlege, und stellen Sie nicht das Verlangen nach Rache auf die Probe, welches der Anblick dieses Mannes in mir erweckt, indem Sie zwischen uns einschreiten.«

Und bei diesen Worten schleuderten Alain Montplet’s Augen zwei Flammen ebenso schrecklich wie die der Blitze, die am Horizonte glänzten.

Dann, ohne die Antwort abzuwarten, brach er die Unterredung ab, warf seine Flinte auf die Schulter und entfernte sich in östlicher Richtung.

Achtes Kapitel.
Die Schiffbrüchigen der heiligen Therese

Noch eine halbe Stunde blieb die Aufregung in Maisy dieselbe.

Man muß an den nördlichen und westlichen Küsten diese Stunden der Angst gesehen haben, wo derselbe Schrecken sich zu gleicher Zelt aller Seelen bemächtigt und die Bewegungen von zwei- oder dreitausend Herzen zugleich beschleunigt, um sich einen Begriff von dieser Aufregung zu machen, die wir nicht einmal zu schildern versuchen wollen.

Endlich, als diese halbe Stunde vorüber war und man noch Nichts in dem Nebel bemerkte, vermuthete man, daß die Böte die hohe See erreicht hätten und weiter gefahren wären, so lange sie nur das geringste Segel hätten führen können, und fast beruhigt, kehrten die Bewohner des Dorfes nach einander in ihre Häuser zurück.

Es blieben am Strande nur noch Langot, seine Nichte, einige Frauen, Mütter, Schwestern und Gattinnen zurück, deren Besorgniß sich nicht durch eine solche Vermuthung beruhigen lassen wollte.

Thomas Langot, der viel unruhiger war wegen seiner beiden Böte, als Alle die Mütter, Alle die Gattinnen, Alle die Schwestern es wegen ihres Kindes, wegen ihres Gatten oder ihres Bruders sein konnten, Thomas Langot hinkte mit seinen Säbelbeinen am Strande hin und her, ohne zu bemerken, daß das Wasser des Regens und das des Meeres ihn bis auf die Haut durchnäßt habe. —

Von Zeit zu Zeit blieb er auf einer Erhöhung stehen, und richtete ein Fernglas auf den Ocean; dann schob er das Fernrohr zusammen, steckte es mit einer Bewegung der Ungeduld in die Tasche und murmelte:

»Nichts! Immer Nichts! am Ende haben sie wohl Recht, sich auf der offenen See zu halten; bei einem solchen Wellengange ist es besser auf dem offenen Meere, als an der Küste.«

Dann fügte er mit dem Widerspruche des Geizes hinzu:

»Und doch möchte ich sie wohl sehen, meine armen Böte.«

Dann, als er sich umwendete und Jeanne Marie bemerkte, stampfte er mit dem Fuße auf den Boden und rief:

»Mein Himmel! was machst Du noch da? Kannst Du, indem Du am Strande bleibt, den Kunden ihren Branntwein und ihre Lichte geben? Ach! so sind die Verwandten und Das ist die Erkenntlichkeit, die sie uns zeigen für das Brod, welches man ihnen zu essen gibt.« —

Aber die arme Jeanne Marie, deren Herz und Augen von der Gefahr ihres Sohnes zu dem Ocean hingezogen wurden, faltete die Hände und sagte statt aller Antwort:

»Ich beschwöre Sie, Onkel, lassen Sie mich noch ein Wenig hier bei Ihnen!«

»Bei mir, bei mir!« rief Langot, »und was willst Du da bei mir?«

Dann, ohne die Gemüthsbewegung zu bemerken, in welche die Verlängerung ihrer schrecklichen Qualen die arme Wittwe versetzte, ohne auf ihre in Thränen gebadeten Augen, auf den nervösen Krampf zu achten, der ihren ganzen Körper mit convulsischem Zittern erschütterte, fügte er hinzu:

»Und wenn das Beten, das Weinen und Seufzen den Wind nachlassen machte! Aber nein, der Stoßwind bläst, als wollte er das Felsenriff entwurzeln! O! meine armen Barken, meine armen Barken! Sie werden sich nicht halten können.«

Und bei diesen Ausrufungen, die für sie einem Todesurtheil glichen, stieß Jeanne Marie ein herzzerreißendes Geschrei aus und antwortete:

»Mein Kind! mein liebes Kind! mein armer kleiner Jean Marie! O guter Gott! O heilige Jungfrau, hast Du kein Mitleid mit meinem Kinde?«

»Du wirst ihn wieder finden – Du wirst ihn wiederfinden, Deinen Jungen,« entgegnete der Materialhändler, den sein Zorn über den Sturm noch brutaler als gewöhnlich machte. »Ein Mann oder ein Kind kommt immer todt oder lebendig an die Küste; anders ist es mit einem Boote.«

 

Jeanne Marie hielt ihre Hände vor die Ohren, um diese Worte nicht zu hören, die sie für Lästerungen hielt und sie sank am Strande auf die Kniee.

In diesem Augenblicke kam ein Mann, der mit langen Schritten ging und mit seinen Armen Signale machte, über den Strand dahergelaufen.

Thomas Langot eilte auf diesen Mann zu, ohne sich um seine Nichte zu kümmern, die er halb ohnmächtig zurückließ Dieser Mann, der wie ein Bote des Unglücks herbeilief, war Alain Montplet.

Aus der weitesten Ferne, sobald er seine Stimme hörbar machen konnte, rief Alain Montplet und übertönte die Stimme des Windes und Ungewitters:

»Ruft Alle herbei! Alle zum Rettungsboote! Sie sind an der Küste – sie sind auf der Sandbank von Pleineseve!«

Thomas Langot’s Beine wichen unter ihm, ein Gewölk zog an seinen Augen vorüber und er fühlte sich im Begriff, ohnmächtig zu werden..

Ehe er wieder zu sich gekommen war, eilte Alain an ihm vorüber, kam am oberen Ende der Hauptstraße an und rief mit einer Stimme, die im ganzen Dorfe zu hören war:

»Zu Hilfe, Ihr Leute! zu Hilfe! Sie sind auf die Sandbank vor Pleineseve gelaufen!«

Auf diesen Ruf, welcher der des Geistes des Wassers zu sein schien, stürzten alle Bewohner des Dorfes, Männer, Frauen, Kinder, Greise, aus den Häusern und eilten zu dem Puncte hin, wo das Unglück signalisiert worden war.

Bei dem ersten Worte stürzte sich Jeanne Marie zu der Sandbank von Pleineseve hin; sie wetteiferte an Stärke mit den Schnellsten; die Verzweiflung gab ihr Kraft.

Die Haare im Winde flatternd, verwirrt, athemlos, beengt, kam sie zuerst um den Vorsprung, den das Felsenufer bildet, und konnte die kleine Bucht übersehen, in welcher sich die Sandbank vor Pleineseve befindet.

An dem breiten, weißen Bande, welches der Umkreis des Schiffes umgab, erkannte sie die heilige Therese, nämlich das Fahrzeug, auf welchem ihr Sohn sich befand.

Bei diesem Anblicke fiel die arme Frau vom Schmerze vernichtet und von diesem heftigen Laufe erschöpft, auf den Sand nieder, indem sie schrie:

»O mein Gott! mein Gott! mein armer Kleiner!«

Die Bevölkerung kam hinter ihr her, und während der ersten Augenblicke herrschte ein Tumult und eine Verwirrung, welche unmöglich zu beschreiben sein würde.

Die Männer sprachen alle zu gleicher Zeit, stritten sich über die Mittel, die man zur Rettung anzuwenden habe, und die Zeit ging unwiederbringlich verloren, ohne daß sie ein einziges versuchten.

Die Frauen stießen ein durchdringendes Geschrei aus, und mit ihrem Schluchzen mischte sich das ihrer Kinder, welche weinten, als sie ihre Mütter weinen sahen.

Unter diesem Wirrwarr bewahrten Alain und einige Matrosen allein ein wenig Kaltblütigkeit.

Jacques Henin – man erinnert sich, daß wir zu Anfang dieser Geschichte den Namen dieses Seemannes genannt haben, indem wir sagten, daß wir uns später mehr mit ihm beschäftigen würden – Jacques Henin, dem eine Eigenschaft als ehemaliger Steuermann auf einem Schiffe des Staats einige Autorität verlieh, legte Allen Schweigen auf.

Er trieb die Frauen und Kinder von dem Felsenufer weg und befahl einigen jungen Burschen, das Boot herbeizuholen, welches man am Ufer von Maisy in Bereitschaft gesetzt hatte, es auf einen Karren zu heben und es mit Pferden im Trabe dorthin zu fahren.

Die Lage der heiligen Therese war in der That sehr critisch und machte diese rasche Maßregel nöthig. Sie war quer über die Sandbank gefahren und so tief eingedrungen, daß sie nicht mehr flott war, als die Woge hinten anschlug. Die drei Matrosen und der Schiffsjunge, welche die Mannschaft bildeten – der Schiffsjunge war der kleine Jean Marie – konnten sich nicht auf dem Verdecke halten, über welches die Wogen ohne Aufhören dahinfuhren, und hatten sich auf den Mast geflüchtet, wo sie sich festhielten; von Zeit zu Zeit schlug eine stärkere Woge, als die anderen, an die Barke an, warf sie auf die Seite, und dann verschwanden Kiel, Mast, Matrosen und Alles in dieser ungeheuren Wassermasse; dann zurückkehrend, richtete die Woge das kleine Fahrzeug wieder auf. Der Schiffsjunge, der sich am Höchsten aufgewunden hatte, erschien zuerst, dann die Matrosen, dann die Schaluppe, welche einige Augenblicke aufrecht blieb, bis ein anderer Schlag des Meeres sie wieder umwarf.

Jedes Mal, wenn sich die Barke unter die Woge tauchte, kam ein Schrei der Angst aus der Brust der Zuschauer dieser schrecklichen Scene und mischte sich mit dem Schreien der Schiffbrüchigen, welches man deutlich am Ufer hörte.

Dann blieb einige Augenblicke Alles am Ufer still und unbeweglich.

Diese wenigen Augenblicke erschienen wie eine Ewigkeit.

Endlich begrüßte ein Schrei der Hoffnung, der wie der Schrei der Angst aus jedem Munde kam, die Rückkehr der Schiffbrüchigen zum Licht und Leben.

Und man hörte diese Worte, gemischt mit den Athemzügen der zwölf- oder fünfzehnhundert Personen:

»O! Gott sei gepriesen! Sie sind noch alle Vier da !«

Aber nach etwa einer Viertelstunde und ehe die Männer, welche das Rettungsboot herbeiholten, zurück waren, hatte dieses wiederholte Untertauchen schon einem von den Matrosen das Leben gekostet.

Bei dem Aufrichten der Barke trug der Mast der heiligen Therese nur noch drei Lebende.

Der Vierte, – der, welcher dem Verdeck am Nächsten gewesen war, hing eingeknickt und nur von einem Tau festgehalten da.

Er war todt! Das Schreien und Schluchzen brach los.

Es war nur zu einleuchtend, daß nach der Reihe dieses Schicksal den armen Matrosen zu Theil werden würde.

Jacques Henin wurde von der ganzen Bevölkerung aufgefordert, für die Rettung Derjenigen zu sorgen, welche noch am Leben waren.

Da mußte er Gewalt anwenden, um die Frauen zurückzutreiben, welche bis ins Meer vordrangen und ihre Arme nach den unglücklichen Schiffbrüchigen ausstreckten.

In diesem Augenblicke verkündete ein lautes Schreien die Ankunft des Bootes.

Jeder stürzte sich darüber her und zog oder schob es zum Ufer hin.

Aber in diesem Augenblicke nahm Maitre Jacques das Wort wie ein Admiral.

»Da!« rief er, »man höre mich an und gehorche mir!« —

Alle schwiegen.

»Acht Männer von gutem Willen!« rief er.

Es zeigten sich fünfzig.

Dies ist immer in solchen Fällen in Frankreich bewundernswürdig; um einen Menschen zu retten, der im Begriff ist, umzukommen, weihen sich Zehn einem fast ebenso gewissen Tode, wie der, dem Derjenige ausgesetzt ist, den man retten will.

Jacques Henin wählte acht Männer unter den Kräftigsten und Entschlossensten aus.

Und keine Mutter, keine Frau, keine Schwester näherte sich und sagte ein Wort oder machte eine Geberde, um ihren Sohn, ihren Mann oder ihren Bruder zurückzuhalten, in den Tod zu eilen.

Jedes wußte, daß er vor den Augen Gottes eine geheiligte Pflicht erfülle.

Es war eine Sache zwischen Gott und Denjenigen, welche sich aufopferten.

Jacques Henin wies jedem Manne seinen Posten an, empfahl Allen, auf einen Befehl aufmerksam zu sein, und wartete auf eine Windstille, um das Boot über die Strecke hinwegzubringen, welche es von dem Ocean trennte.

Auf ein Signal schoben die acht Männer mit einer vereinten Anstrengung die Barke weiter, sie trieb auf dem Wasser und sogleich sprangen.

Alle an ihren Platz und neigten sich über ihre Ruder.

Aber noch waren sie keine zehn Faden vom Ufer, als eine Welle die Alle überschüttete, und als sie darüber hinweggerollt war, zeigte sie das Fahrzeug umgeschlagen.

Die Männer, die darin waren, verdankten ihr Leben nur der Vorsicht, welche Jacques Henin angewendet hatte, indem er jede Seite mit einigen Tauenden versehen, woran sie sich fest halten konnten.

Drei Mal brachte man die Barke aufs Meer.

Drei Mal schlug sie auf dieselbe Weise um.

Bei dem dritten Versuche lehnte sich Maitre Henin an die Barke an, welche, den Kiel in der Luft, auf dem Rande lag, und rief mit einer Stimme, zugleich voll Traurigkeit und Muth:

»Genug, meine Kinder, genug! Der gute Gott ist nicht für uns.«

Dann erhob er die Hand zum Himmel und murmelte:

»Ist es nicht zum Tollwerden, auf hundert Klafter vor sich Kameraden sich krümmen zu sehen, wie einen Haifischhaken! Aber wenn der Anker aufrecht steht, muß das Tau wohl zerreißen! Heute sind sie an der Reihe, morgen wir! Laßt uns für sie beten, Matrosen! Das ist alles, was sie noch von den Menschen erwarten können.«

Und das Beispiel gebend, entblößte der alte Seewolf seinen grauen Kopf, knieete nieder und begann mit lauter Stimme ein Gebet.

Aber das angefangene Gebet wurde nicht beendet.

Eine Frau durchbrach die Menge mit der Energie einer Löwin, ergriff einen Arm und schüttelte ihn so heftig, daß sie ihn aufzustehen nöthigte.

Diese Frau war Jeanne Marie.

»O Feigling!« sagte sie zu ihm, »Du lebst, diese Männer leben, und Ihr verzichtet darauf, Eure Mitmenschen zu retten, die sich zweihundert Schritte von Euch befinden und dem Tode nahe sind! Kommt zu mir, Mütter! kommt zu mir, Frauen! Wir wollen thun, was diese Männer nicht auszuführen wagen.«

Einige Frauen umringten Jeanne Marie und riefen:

»Kommt! kommt! Wir sind Matrosenfrauen, wir wissen das Ruder zu führen.«

»Aber, Unglückliche!« rief Jacques Henin, Jeanne Marie anredend, »Du willst also sterben und sie mit in den Tod ziehen.«

»Ich will meinen Sohn retten; – dieses Kind, welches die Arme da drüben nach mir ausstreckt, siehst Du? ist mein Sohn! – ja, ja,« rief Jeanne, »ja, ich will dorthin und wenn ich ihn nicht retten kann, werden wir wenigstens zusammen sterben!«

In diesem Augenblicke, als habe der Sturm es übernommen zu antworten, da die Menschen schwiegen, in diesem Augenblicke schlug eine ungeheure Welle mit großem Geräusch an den Strand, warf mehre Zuschauer um und bedeckte die andern mit Schaum.

Auf das Schreien Dieser antwortete das Schreien der anderen Zuschauer, die, weiter von dem Meere entfernt, die heilige Therese nicht aus den Augen verloren.

– Dieses Geschrei kündigte an, daß die Anzahl der Schiffbrüchigen sich auf Zwei beschränkte.

Eine zweite Leiche schwankte über der ersten.

Der Tod stieg von Etage zu Etage hinauf.

»Du siehst es, Jeanne Marie,« sagte der alte Steuermann, »keine menschliche Stärke oder Muth kann gegen den Ocean ankämpfen, wenn der gute Gott auf die Fluthen bläst. Kein Boot, und wäre es das des Teufels, könnte heute anders, als mit dem Kiel in der Luft fahren! Ein guter Schwimmer könnte vielleicht über diese hundert Klaftern wegkommen; aber es ist kein Einziger in Maisy, so stark er auch sein mag, dem ich rathen möchte, es zu versuchen.«

»Ein Schwimmer! ein Schwimmer!« wiederholte Jeanne Marie händeringend: »aber ich kann nicht schwimmen! O! der Herr, der uns Mutterherzen giebt, sollte uns auch die Stärke der Männer geben.«

In diesem Augenblicke bemerkte sie den Geflügelschützen, der mit düsterem Auge bei ihr stand das Unglück betrachtete.

Mit einer blitzschnellen Bewegung lag sie zu seinen Füßen.

»Monsieur Alain!« rief sie; »Monsieur Alain! man sagt, daß Sie der erste Schwimmer nicht nur von Maisy, sondern auch an der ganzen Küste sind – Monsieur Alain, im Namen Gottes! Im Namen Ihres Vaters und Ihrer Mutter, die in christlicher Erde ruhen, retten Sie meinen Knaben!«

»Gehen Sie nicht, Montplet!« sagte Henin; »gehen Sie nicht, oder Sie werden elend umkommen!«

Jeanne Marie richtete sich auf.

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»Schweigen Sie, Jacques!« rief sie, »schweigen Sie, und verhindern Sie nicht, daß dieser wackere junge Mann einen Sohn seiner Mutter wieder gebe. O! wenn Sie wüßten, wie sehr ich ihn liebe, mein guter Monsieur Alain! – wenn Sie wüßten, wie sehr er mich selber liebt, das arme, liebe Kind! – wenn Sie wüßten, wie übel ich um seinetwillen behandelt worden bin! wenn Sie gesehen hätten, mit welchem Muthe er diese Barke bestieg, um uns unser Brod bei dem Onkel zu erhalten, so würden Sie begreifen, daß ich ihn unmöglich auf immer verlieren kann! – Indem Sie ihn retten, das schwöre ich Ihnen zu, retten Sie zugleich zwei Personen das Leben; ich habe nur ihn auf der Welt! – und Gott, welcher gut und barmherzig ist« – und die Witwe erhob ihre Arme zum Himmel – »Gott würde mir nicht meinen einzigen Trost, den er mir gelassen hat, nehmen! Wenn er mir ihn nähme, sehen Sie, so würde er wollen, daß ich ihn nicht überlebe! Mein Gott! mein Gott! Sie wissen wohl, daß eine Mutter ihr Kind nicht überleben kann!«

Diese Worte hatten einen tiefen Eindruck auf die Umstehenden hervorgebracht.

 

Alain selber war ungeachtet seines angeblichen Menschenhasses mehr als alle Anderen davon gerührt.

Wir haben schon gesagt, daß die Mutterliebe seiner Kindheit gefehlt hatte, und er bewunderte um so mehr die Energie dieses Gefühls, welches sich ihm zum ersten Male offenbarte.

»Nun, es sei!« rief er plötzlich; »man soll nicht sagen, daß man Alain Montplet gebeten, das Leben eines Kindes zu retten, welches noch Niemanden etwas zu Leide gethan, und daß Alain Montplet sich geweigert, aus Furcht sein Leben lassen zu müssen. – Halloh! Ihr Anderen!« fügte er hinzu, indem er den triefenden Matrosenmantel und die Blouse auf den nassen Strand warf, »ich gehe! bindet mir ein Tau um den Leib.«

Und in einem Augenblicke stand er da, wie der farnesische Hercules, an welche herrliche Marmorstatue er, mit Ausnahme der Feinheit der Gelenke, erinnerte.

Man band ihm ein Tau um den Leib.

»Monsieur Alain! Monsieur Alain!« rief die verzweifelnde Wittwe und steckte zu gleicher Zeit die Arme gegen die gestrandete Barke aus.

Zum zwanzigsten Male war die Barke unter einer Woge verschwunden.

Die Angst war aufs Aeußerste gestiegen.

Vielleicht wurde die Aufopferung des Jägers vergeblich, vielleicht hatten die beiden Unglücklichen, die am Bord waren, zu leben aufgehört.

Die Barke richtete sich auf.

Der dritte Matrose war zusammengeknickt und todt wie seine beiden anderen Kameraden.

Der kleine Schiffsjunge, der sich am Ende des Mastes befand und die bei jeder Woge weniger tief ins Meer tauchte, war noch am Leben.

»Ah!« sagte die Wittwe tief athmend, »er lebt, er lebt, Alain! Gott erhalte ihn!«

»Muth, Alain, Muth!« riefen alle Stimmen.

Als man Alain das Tau um einen Körper gebunden hatte, gab er Maitre Henin das andere Ende in die Hand und sagte:

»Hier, Sie lassen das Tau langsam nach, und wenn ich dort drüben bin, binden Sie ein gutes starkes Tau an, welches ich nachziehen will, und wenn ich das Ende dort fest binde, so hoffe ich mit Gottes Hilfe mit dem Knaben zurückzukommen.«

»Tausend Wetter!« rief Henin, »Sie sind ein Thor, aber ein guter Kerl, und ich will Sie nicht zurückhalten, wenn Sie so wacker Ihre Haut wagen wollen. Wenn es Ihnen recht ist, Alain, will ich Sie begleiten.«

»Nein, nein,« antwortete der Jäger, den alten Seemann zurückhaltend, der schon eine Blouse abzulegen begann.

»Wenn die Sache möglich ist, Jacques, so ist ein Einziger genug; wenn sie nicht möglich ist, so ist es schon genug, wenn ein Einziger stirbt. Sie haben auch Kinder,« fügte er so leise hinzu, daß die Wittwe es nicht hörte, »was würde aus ihnen werden, wenn Sie umkämen?«

»Meiner Treu! es ist auch wahr!« murmelte der alte Steuermann, indem er entmuthigt die Arme sinken ließ. »O diese Kleinen! Ich dachte nicht an sie! So gehen Sie, wackerer Alain! Gehen Sie allein und verlassen Sie sich auf mich wegen des Taues. Nur lassen Sie sich nicht von der Welle betäuben, sie macht oft mehr Lärm, als sie Schaden thut.«

»Seien Sie ruhig,« sagte Alain, »sie und ich sind alte Bekannte. Sehen Sie wohl nach dem Tau – daß es nicht zu straff oder zu wenig gespannt ist. Nun, es ist ein Wort, leben Sie wohl!«

»Es ist ein Wort, wackerer Alain, und lassen Sie sich die Hand drücken für mich und die Kameraden.«

Der junge Mann und der alte Seemann fielen einander in die Arme.

Nach diesem herzlichen Drucke wollte Alain sich in’s Meer begeben, aber jetzt war die Reihe an Jeanne Marie.

Die arme Frau warf sich in seine Arme und rief:

»Und ich! und ich auch, Monsieur Alain!«

Und sie gab dem jungen Jäger einen zugleich keuschen und leidenschaftlichen Kuß.

Es schien der Wittwe, als ob dieser Kuß bis zu ihrem Kinde gelangen würde.

Alain ging bis über die Knie in’s Wasser und bereitete sich vor wie ein Athlet, welcher kämpfen will.

Er wartete den Augenblick ab, wo die Woge kommen mußte.

Sie kam ungeheuer brüllend und schrecklich.

Anstatt sie zu fliehen, eilte er ihr entgegen, stürzte sich entschlossen auf sie zu, wurde von dem Rückschlage fortgerissen und erschien zwanzig Faden vom Ufer wieder.

»Bravo! bravo!« rief Henin; »ah! er kennt sein Geschäft, der Junge, und jetzt, da ich ihn beim Werk gesehen habe, wird er ankommen, ich wette mein Leben gegen ein Stückchen Kautabak.«

»Muth, Alain, Muth!« riefen alle Stimmen.

Die Wittwe allein rief nicht.

Sie lag auf den Knieen, betete und weinte; von der Heftigkeit ihres Schmerzes niedergebeugt, welcher ihre schwache und hinfällige Natur so wenig gewachsen war, hatte sie nicht einmal die Stärke, hinzublicken.

Die Fischer folgten allen Bewegungen Alain’s mit Bangigkeit, welche jedoch mit Stolz gemischt war.

Das Schauspiel einer Aufopferung hat das Auffallende, daß es die Zuschauer in ihren eigenen Augen größer macht.

Uebrigens konnte man dem jungen Manne wohl mit den Augen folgen, denn er war schön anzusehen.

Er schwamm mit einer unerhörten Anstrengung und wiederholte das erste Manöver jedesmal, wenn die Gelegenheit sich dazu darbot.

Allmählich wurde die Entfernung, die den Schwimmer von dem gescheiterten Fahrzeuge trennte, kürzer, bald darauf sah man ihn sich an die Felsen anklammern, auf welchen das Fahrzeug gescheitert war.

Er streckte die Hand aus, um sich an die Seite der Barke fest zu binden.

Aber ein Wellenschlag kam und man sah Nichts mehr. Schwimmer, Barke, Schiffbrüchiger, Alles war verschwunden.

Es war einer von jenen Augenblicken der Angst, wie wir sie schon zu schildern versucht haben.

Dieses Mal indessen war die Angst viel größer, denn die Gefahr, welcher Alain sich aussetzte, erhöhte sie noch.

Die Barke richtete sich wieder auf.

Der Knabe war noch am Leben.

Daß die Höhe, wo er sich befand, ihn weniger lange unter dem Wasser ließ, wenn die Woge über ihn dahin ging, haben wir schon gesagt, und Dies hatte gemacht, daß gerade der Schwächste die Anderen überlebte.

Wegen des Knaben beruhigt, suchten die Augen Aller Alain auf.

Kein Herz schlug, keine Brust athmete.

Die Wittwe hatte sich zu ihrer vollen Höhe wieder aufgerichtet; die Arme gegen das Meer ausgestreckt, athmete sie tief, ohne ein Wort zu sagen, und ohne daß ihr auch nur die Kraft übrig blieb, zu beten.

Plötzlich erblickte man eine schwärzliche Gestalt auf der anderen Seite des Fahrzeuges in der Richtung nach der See hin.

Es war Alain.

Er nahm wieder eine Richtung nach dem Fahrzeuge hin, über welches hinaus ihn das Meer fortgerissen hatte.

Dieses Mal glücklicher, kam er zu dem Fahrzeuge, hißte sich auf das Verdeck und band das Tau, welches Maitre Henin wie verabredet nachgelassen hatte, um den Fuß des Mastes.

Dann gelangte er vermöge des Takelwerks, bis zu dem Knaben, dessen sich der Frost bemächtigt hatte und der sich nicht allein von den Tauen, womit er festgebunden war, losmachen konnte.

Er band ihn von dem rettenden Maste los, setzte ihn auf seine Schultern, stieg wieder herunter, ergriff das Tau und begann zu dem Ufer zurückzukehren.

Jetzt waren am Lande. Alle in der größten Spannung, und sahen athemlos mit heftigem Herzklopfen zu, beteten und riefen ihm Worte der Ermuthigung zu.

Die Rückkehr währte lange und war mühsam und gefährlich.

Zehn Mal ließ der Knabe los, und jedesmal wäre er unfehlbar vom Meere fortgeführt worden, hätte Alain nicht die Vorsicht angewendet, ihm das Tau um den Leib zu lassen, welches er um das lange Tau geschlungen hatte, so daß man es fortschieben konnte.

So wie sich Alain und der Knabe dem Lande näherten, ging ihnen Jeanne Marie mit einer fast maschinenmäßigen Bewegung entgegen.

Als Alain nur noch zwanzig Schritte von ihr entfernt war, konnte sie sich nicht länger zurückhalten und trat in’s Wasser, um eher zu ihnen zu kommen.

Zum Glück verlor sie den Boden nicht.

Alain legte ihr den Knaben in die Arme.

Sobald sie den kleinen Knaben gefaßt hielt, wendete sie sich vor Freude schreiend um, und ohne ein Wort des Dankes an irgend Jemand zu richten, ohne Alain ihre Erkenntlichkeit zu bezeugen, begann sie in der Richtung nach Maisy fortzulaufen, indem sie ihren Knaben fest umfaßt hielt und fliehend, als wollte das Meer sie noch verfolgen.

»Nun, nun, legen Sie Ihre Kleider wieder an,« sagte Maitre Henin, indem er die Hand des wackeren Schwimmers drückte. »Sie kümmern sich ohne Zweifel nicht mehr als ich darum, bei dem Zertrümmern dieses Wracks zugegen zu sein; wir wollen in die Schenke zum königlichen Anker gehen.«