Tasuta

Der Graf von Bragelonne

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

VII.
Worin d’Artagnan für das Haus Planchet und Compagnie zu reisen sich anschickt

D’Artagnan träumte so gut die ganze Nacht hindurch, daß sein Plan schon am andern Morgen festgestellt war.

»So soll es sein!« sagte er, indem er sich in seinem Bett aufsetzte und seinen Ellenbogen auf sein Knie und sein Knie auf seine Hand stützte; »so soll es sein! Ich suche vierzig sehr sichere und kräftige Männer unter Leuten aus, die sich in einer etwas gefährdeten Lebenslage befinden, aber an die Disciplin gewöhnt sind. Nichts, wenn sie nicht zurückkommen, oder die Hälfte ihren Seitenverwandten. Was Kost und Wohnung betrifft, so geht das die Engländer an, welche Ochsen auf der Weide, Speck im Ständer, Hühner im Geflügelhof und Korn in der Scheune haben. Ich stelle mich dem General Monk mit diesem Corps vor. Er wird mich annehmen. Ich gewinne sein Vertrauen und mißbrauche es so schnell als möglich.«

Doch ohne weiter zu gehen, unterbrach sich d’Artagnan, schüttelte den Kopf und fuhr dann wieder fort:

»Nein, ich würde es nicht wagen, Athos das zu erzählen: das Mittel ist also nicht ehrenhaft. Ich muß Gewalt brauchen, ich muß es ganz gewiß, ohne daß meine Rechtschaffenheit dabei in irgend einer Hinsicht im Spiel sein darf. Mit vierzig Mann durchstreife ich als Parteigänger das Land. Ja, aber wenn ich nicht vierzigtausend Engländer treffe, wie Planchet sagte, sondern nur ganz einfach vierhundert. Dann werde ich geschlagen, in Betracht, daß sich unter meinen vierzig Kriegern wenigstens zehn Glasköpfe finden werden, zehn, die sich aus Dummheit sogleich todtschlagen lassen. Nein, es ist in der That unmöglich, vierzig sichere Leute zu finden; das gibt es nicht. Man muß sich mit dreißig begnügen. Mit dreißig habe ich das Recht, ein Zusammentreffen mit gewaffneter Hand zu vermeiden, – wegen der kleinen Anzahl meiner Leute, und wenn das Zusammentreffen dennoch stattfindet, so ist meine Macht viel sicherer bei dreißig Mann, als bei vierzig. Ueberdies erspare ich fünftausend Franken, nämlich den achten Theil meines Kapitals, und das ist schon der Mühe werth.

»Abgemacht, ich werde also dreißig Mann haben. Ich theile sie in drei Banden, – wir zerstreuen uns im Land, mit dem geschärften Befehl, uns im gegebenen Augenblick wieder zu versammeln; zu zehn und zehn erregen wir keinen Verdacht und kommen unbemerkt durch. Ja, ja, dreißig, das ist eine vortreffliche Zahl. Es sind drei Zehner, drei, diese göttliche Zahl. Und eine Compagnie von dreißig Mann, wenn sie beisammen ist, wird immerhin noch etwas Imposantes haben,

»Oh! ich Unglücklicher!« fuhr d’Artagnan fort, »ich brauche dreißig Pferde; dadurch kann man sich zu Grunde richten. Wo Teufels hatte ich den Kopf, daß ich die Pferde vergaß! Man darf nicht daran denken, einen solchen Streich ohne Pferde auszuführen. Gut!, es sei, wir wollen dieses Opfer bringen, aber wir nehmen die Pferde im Lande, – sie sind dort nicht schlecht.

»Doch, alle Wetter! daran dachte ich nicht, zu drei Banden braucht man nothwendig drei Commandanten, und das ist die Schwierigkeit: einen von drei Commandanten habe ich schon, das bin ich; ja, aber die zwei anderen werden für sich allein beinahe so viel kosten, als die ganze übrige Truppe. Nein, ich müßte offenbar nur einen Lieutenant haben. In diesem Fall werde ich dann meine Truppe auf zwanzig Mann beschränken. Ich weiß wohl, daß zwanzig Mann wenig ist; da ich aber mit dreißig entschlossen war, die Schläge nicht zu suchen, so werde ich das mit zwanzig noch viel mehr thun. Zwanzig, das ist eine runde Zahl; das vermindert auch die Zahl der Pferde um zehn, was wohl in Betracht zu ziehen ist . . . und dann mit einem guten Lieutenant . . .

»Mordioux! wie schön sind doch Geduld und Berechnung! Wollte ich mich nicht mit vierzig Mann einschiffen und nun beschränke ich mich auf zwanzig mit dem gleichen Erfolg! Zehntausend Livres Ersparnisse auf einmal und mehr Sicherheiten, das läßt sich hören. Jetzt- handelt es sich nur noch darum, diesen Lieutenant zu finden, finden wir ihn also und hernach . . . Das ist nicht leicht; ich brauche einen braven, wackeren Mann, einen zweiten, wie ich bin. Ja, aber der Lieutenant wird mein Geheimniß besitzen, und da dieses Geheimniß eine Million werth ist und ich meinem Mann nur tausend Livres, höchstens fünfzehnhundert Livres, bezahle, so wird mein Mann das Geheimniß an Monk verkaufen. Mordioux! keinen Lieutenant. Ueberdies wird dieser Mann, und wäre er stumm wie ein Schüler von Pythagoras, einen Lieblingssoldaten bei der Truppe haben, den er zu seinem Sergenten macht; der Soldat wird das Geheimniß ergründen, falls jener ehrlich ist und es nicht verkaufen will. Dann wird der Sergent, minder redlich und minder ehrgeizig, das Ganze für fünfzigtausend Livres hergeben. Ah! das ist unmöglich. Der Lieutenant ist entschieden unmöglich! Dann aber keine Brüche mehr, ich kann meine Truppe in zwei Theile theilen und auf zwei Punkten zugleich agiren; ohne ein anderes Ich, das . . . Doch wozu auf zwei Punkten agiren, da wir nur einen Mann zu sangen haben? wozu soll ich mein Corps dadurch schwächen, daß ich die Rechte hierhin und die Linke dorthin stelle?

»Ein einziges Corps, Mordioux! ein einziges, und zwar befehligt von d’Artagnan, ah! sehr gut! Doch zwanzig Mann, die in einer Bande marschiren, sind Jedermann verdächtig; man darf nicht zwanzig Reiter mit einander marschiren sehen, sonst wird eine Compagnie gegen sie abgeschickt, die nach dem Losungswort fragt und, zeigt man sich verlegen, es zu geben, Herrn d’Artagnan und seine Leute wie Kaninchen niederschießt.

»Ich beschränke mich also auf zehn Mann; auf diese Art agire ich einfach und mit Einheit; ich werde zur Vorsicht genöthigt sein, was die Hälfte des Gelingens bei einer Angelegenheit ist, wie ich sie unternehme. Die große Zahl hätte mich vielleicht zu einer Thorheit verleitet. Zehn Pferde zu kaufen oder zu nehmen, ist keine Schwierigkeit mehr. Oh! ein vortrefflicher Gedanke, der in alle meine Adern vollkommene Ruhe bringt. Kein Verdacht, kein Losungswort, keine Gefahr mehr! Zehn Mann sind Knechte oder Handlungsdiener. Zehn Mann, welche mit Waaren beladene Pferde führen, werden geduldet, überall gut aufgenommen. Zehn Mann reisen für Rechnung des Hauses Planchet und Compagnie in Frankreich. Dagegen ist nichts zu sagen. Wie Handarbeiter gekleidet, haben diese zehn Mann ein gutes Jagdmesser, eine gute Muskete auf dem Kreuze des Pferdes und eine gute Pistole im Holfter. Sie lassen sich nie beunruhigen, weil sie keine schlimme Absichten haben. Sie sind im Grunde vielleicht ein wenig Schmuggler, doch was thut das? Die Schmuggelei ist nicht, wie die Vielweiberei, ein Verbrechen, für das man gehenkt wird. Das Schlimmste, was uns begegnen kann, ist, daß man uns unsere Waaren confiscirt. Was liegt daran, wenn man uns unsere Waaren confiscirt! Das ist in der That ein herrlicher Plan! Nur zehn Mann, zehn Mann, die ich für meinen Dienst anwerbe; zehn Mann so entschlossen wie vierzig, die mich wie vier kosten werden, gegen die ich über meinen Plan nicht den Mund öffne, denen ich nur ganz einfach sage: »»Meine Freunde, es ist ein Schlag zu thun!««

»Auf diese Art müßte der Teufel sehr schlau sein, sollte er mir einen von seinen Streichen spielen. Fünfzehntausend Livres erspart! das ist herrlich bei zwanzig!

Beruhigt und gestärkt durch seine geistreiche Berechnung, blieb d’Artagnan bei diesem Plan stehen und beschloß, nichts mehr daran zu ändern. Er hatte schon auf einer Liste, die ihm sein nie vertrocknendes Gedächtniß lieferte, zehn ausgezeichnete Männer aus der Classe vom Schicksal mißhandelter oder von den Gerichten beunruhigter Abenteurer . . . Hiernach stand d’Artagnan auf und ging sogleich auf Forschung aus, nachdem er Planchet zuvor gesagt hatte, er brauche ihn nicht beim Frühstück und vielleicht auch nicht beim Mittagessen zu erwarten. Anderthalb Tage, die er in gewissen Winkelschenken von Paris umherlief, genügten ihm für seine Ernte, und ohne daß er seine Abenteurer sich mit einander in Verbindung setzen ließ, hatte er eine reizende Sammlung von schlimmen Gesichtern zusammengebracht, die ein Französisch sprachen, das minder rein war, als das Englische, dessen sie sich bedienen sollten.

Es waren meistentheils Garden, deren Verdienst d’Artagnan bei verschiedenen Gelegenheiten hatte schätzen können, Leute, welche die Völlerei, unglückliche Degenstiche, unerwartete Gewinne im Spiel oder die ökonomischen Reformen von Herrn von Mazarin den Schatten und die Einsamkeit, diese zwei großen Tröster geplagter Seelen, zu suchen genöthigt hatten.

Sie trugen auf ihrem Gesicht und an ihren Kleidern die Spuren der Herzensleiden, die sie ausgestanden. Einige hatten ein zerrissenes Gesicht, Alle hatten zerfetzte Kleider. D’Artagnan half auf das Eifrigste dieser brüderlichen Noth durch eine weise Vertheilung der Gesellschaftsthaler ab: er wachte darüber, daß diese Thaler zur körperlichen Verschönerung der Truppe angewendet wurden, und beschied seine Rekruten in den Norden von Frankreich, zwischen Berghes und Saint-Omer. Sechs Tage wurden als unerstreckliche Frist gegeben, und d’Artagnan kannte hinreichend den guten Willen, die frohe Laune und die Redlichkeit dieser Leute, um sicher zu sein, es würde nicht Einer beim Appel fehlen.

Als diese Befehle gegeben waren, als man den Sammelplatz bestimmt hatte, nahm er von Planchet Abschied, der sich bei ihm nach seiner Armee erkundigte. D’Artagnan hielt es nicht für geeignet, Planchet die Einschränkung seines Personals mitzutheilen, denn er befürchtete, durch dieses Geständniß das Vertrauen seines Associe zu schwächen. Planchet freute sich ungemein, als er horte, die Armee sei ganz angeworben, und er sei eine Art von König auf halbe Rechnung, der von seinem Comptoir-Thron aus ein Truppencorps, bestimmt, gegen das treulose Albion, diesen ewigen Feind aller wahrhaft französischen Herzen, Krieg zu führen, besolde.

Planchet bezahlte also in schönen Doppellouis d’or zwanzigtausend Livres an d’Artagnan für seinen Theil, und weitere zwanzigtausend Livres, immer in schönen Doppellouis d’or für den Theil von d’Artagnan. D’Artagnan legte jede von den beiden Summen in einen Sack und wog jeden Sack mit der Hand.

 

»Dieses Geld ist sehr lästig, mein lieber Planchet,« sagte er, »weißt Du, daß das mehr als dreißig Pfund wiegt?«

»Bah! Euer Pferd trägt das wie eine Feder.«

D’Artagnan schüttelte den Kopf.

»Sage mir nicht dergleichen Dinge, Planchet: ein Pferd, das außer dem Reiter und dem Mantelsack mit dreißig Pfund belastet ist, schwimmt nicht mehr so leicht durch einen Fluß, setzt nicht mehr so leicht über eine Mauer oder über einen Graben, und wenn das Pferd nichts taugt, so taugt auch der Reiter nichts. Du weißt? das allerdings nicht, Du, der Du Dein ganzes Leben beim Fußvolk gedient hast.«

»Wie soll man es aber machen, gnädiger Herr?« fragte Planchet ganz verlegen.

»Höre, ich bezahle meine Armee bei der Rückkehr in die Heimath. Behalte meine Hälfte mit zwanzigtausend Livres, die Du während dieser Zeit umtreibst.«

»Und meine Hälfte?«

»Ich nehme sie mit.«

»Euer Vertrauen ehrt mich, doch wenn Ihr nicht zurückkommt?«

»Das ist möglich, obgleich nicht sehr wahrscheinlich! Doch für den Fall, daß ich nicht zurückkommen würde, Planchet, gib mir eine Feder, daß ich mein Testament mache.«

D’Artagnan nahm eine Feder, Papier und schrieb auf ein einfaches Blatt:

»Ich, d’Artagnan, besitze zwanzigtausend Livres, welche ich mir Sou für Sou in den dreißig Jahren erspart habe, die ich im Dienst Seiner Majestät des Königs von Frankreich bin. Ich vermache fünftausend Athos, fünftausend Porthos, fünftausend Aramis, damit sie dieselben, in meinem und in ihrem Namen, meinem kleinen Freund Raoul, Vicomte von Bragelonne vermachen. Ich vermache die letzten fünftausend Planchet, damit er mit weniger Bedauern die andern fünfzehntausend an meine Freunde ausbezahlt.

»Zu welchem Ende ich Gegenwärtiges unterzeichnet habe.

»D’Artagnan.«

Planchet schien sehr neugierig, zu erfahren, was d’Artagnan geschrieben hatte.

»Hier, lies,« sagte der Musketier zu Planchet.

Bei den letzten Zeilen traten Planchet die Thränen in die Augen.

»Ihr glaubt, ich hätte das Geld nicht ohne dieses gegeben? dann will ich nichts von Euren fünftausend Livres.«

Lächelnd erwiederte d’Artagnan:

»Nimm es an, nimm es an: Du wirst auf diese Art nur fünfzehntausend statt zwanzig verlieren und nicht versucht sein, um nichts zu verlieren, der Unterschrift Deines Herrn und Freundes Schmach anzuthun.«

Wie rannte er doch das Herz der Menschen und der Spezereihändler, dieser liebe Herr d’Artagnan!

Diejenigen, welche den Don Quixote einen Narren nannten, weil er allein mit seinem Knappen Sancho auf Eroberung eines Reiches ausging, und diejenigen, welche Sancho einen Narren nannten, weil er mit seinem Herrn auf Eroberung eben dieses Reiches auszog, hätten gewiß kein anderes Urtheil über d’Artagnan und Planchet gefällt.

Der Erstere galt jedoch für einen seinen Geist unter den feinsten Geistern des französischen Hofes, und der zweite hatte sich mit Recht den Ruf eines der stärksten Köpfe unter den Krämern und Spezereihändlern der Rue des Lombards, folglich von Paris, folglich von Frankreich erworben.

Betrachtete man aber diese Männer nur aus dem Gesichtspunkte, den man für alle Menschen anwendet, und die Mittel, mit deren Hilfe sie einen König wieder auf seinen Thron zu setzen gedachten, nur in Vergleichung zu andern Mitteln, so würde sich das winzigste Gehirn des Landes, wo die winzigsten Gehirne sind, gegen die ungeheuerliche Anmaßung des Lieutenants und gegen die Albernheit seines Verbündeten empört haben.

Zum Glück war d’Artagnan nicht der Mann, der auf die Alfanzereien, die man um ihn her trieb, oder auf die Commentare hörte, die man über ihn macht«. Er hatte den Wahlspruch angenommen: »Thue recht und laß’ sprechen.« Planchet hatte den angenommen: »Laß’ machen und sprich nichts.« Folge hiervon war, daß nach der Gewohnheit aller erhabenen Geister diese zwei Männer sich intra pectus schmeichelten, sie haben Recht gegen alle diejenigen, welche ihnen Unrecht gaben.

Um einen Anfang zu machen, brach d’Artagnan beim schönsten Wetter der Welt auf, ohne Wolken am Himmel, ohne Wolken im Geist, freudig und stark, ruhig und entschieden, gestählt durch seine Entschlossenheit und folglich eine zehnfache Dosis von jenem mächtigen Fluidum mit sich tragend, das die Erschütterungen der Seele aus den Nerven hervorspringen machen und das der menschlichen Maschine eine Kraft und einen Einfluß verleiht, wovon sich zukünftige Jahrhunderte aller Wahrscheinlichkeit nach mehr arithmetisch Rechenschaft geben werden, als wir das heute thun können. Er folgte, wie in vergangenen Zeiten, der an Abenteuern fruchtbaren Straße, die, ihn einst nach Boulogne geführt hatte, und die er zum vierten Male machte. Er konnte beinahe unter Wegs die Spur seines Trittes auf dem Pflaster und die seiner Faust an den Thüren der Gasthöfe erkennen; stets thätig und gegenwärtig, weckte sein Gedächtnis jene Jugend wieder auf, welche dreißig Jahre später weder sein großes Herz, noch sein stählernes Faustgelenke Lügen gestraft hätten.

Welch eine reiche Natur war die Natur dieses Mannes! er besaß alle Leidenschaften, alle Fehler, alle Schwächen, und der seinem Verstande inwohnende Widerspruchsgeist verwandelte alle diese Unvollkommenheiten in entsprechende gute Eigenschaften. In Folge seiner beständig umherschweifenden Einbildungskraft hatte d’Artagnan Angst vor einem Schatten, und weil er sich schämte, daß er Angst hatte, ging er auf diesen Schatten los und wurde über alle Maßen muthig, wenn wirklich eine Gefahr vorhanden war. Alles in ihm war voll Bewegung und deshalb Genuß. Er liebte ungemein die Gesellschaft Anderer, langweilte sich aber nie in der seinigen, und mehr als einmal, – hätte man ihn, wenn er allein war, studiren können, – würde man ihn haben über die Scherze, die er sich selbst erzählte, oder über die drolligen Phantasten lachen sehen, die, er sich gerade fünf Minuten vor dem Augenblick schuf, wo die Langweile kommen mußte.

D’Artagnan war vielleicht diesmal nicht so heiter, als er es mit der Aussicht gewesen wäre, einige gute Freunde in Calais statt der zehn, schlimmen Bursche zu finden, die er dort treffen sollte; doch die Schwermuth beschlich ihn nicht mehr als einmal des Tages, und so erhielt er ungefähr fünf Besuche von dieser finsteren Gottheit, ehe er das Meer in Boulogne erblickte. Doch einmal hier, fühlte sich d’Artagnan der Thätigkeit nahe, und jedes andere Gefühl, als das des Selbstvertrauens verschwand, um nie mehr zurückzukehren. Von Boulogne folgte er der Küste bis Calais.

Calais war der allgemeine Sammelplatz, und in Calais hatte er jedem von seinen Rekruten das Gasthaus zum Großen Monarchen bezeichnet, wo das Leben nicht theuer war, wo die Matrosen ihre Einkehr hatten, wo die Männer vom Schwert, mit lederner Scheide, wohlverstanden, Lager, Tisch, Speise und Trank, kurz alle Süßigkeiten des Daseins um dreißig Sous täglich erhielten.

D’Artagnan nahm sich vor, sie bei ihrem Vagabundenleben zu überraschen, um nach dem ersten Anschein zu beurtheilen, ob er auf sie als auf gute Kumpane rechnen könnte.

Er kam um halb fünf Uhr Abends in Calais an.

VIII.
D’Artagnan reist für das Haus Planchet und Compagnie

Das Gasthaus zum Großen Monarchen lag in einer kleinen, mit dem Hafen parallel lausenden Straße, ohne auf den Hasen selbst zu gehen; einige Gäßchen durchschnitten, wie die Sprossen die zwei Parallelen der Leiter durchschneide«, die zwei großen geraden Linien des Hafens und der Straße. Durch die Gäßchen gelangte man unversehens aus dem Hasen in die Straße und von der Straße an den Hasen.

D’Artagnan kam zum Hasen, schlug den Weg durch eines dieser Gäßchen ein und gelangte unversehens vor das Wirthshaus zum Großen Monarchen.

Der Augenblick war gut gewählt und konnte d’Artagnan an sein erstes Auftreten im Gasthaus zum Freimüller in Meung erinnern. Matrosen, welche Würfel gespielt hatten, waren in Streit gerathen und bedrohten sich mit der größten Wuth. Der Wirth, die Wirthin und zwei Kellner beobachteten voll Angst den Kreis dieser schlimmen Spieler, aus deren Mitte der Krieg, mit Messern und Beilen, losbrechen zu wollen schien.

Das Spiel nahm indessen seinen Fortgang.

Eine steinerne Bank war von zwei Männern besetzt, welche so vor der Thüre Wache zu halten schienen; an vier Tischen im Hintergrunde des gemeinschaftlichen Zimmers saßen acht weitere Personen. Weder die Männer aus der Bank, noch diejenigen an den Tischen nahmen an dem Streit oder am Spiel Antheil. D’Artagnan erkannte seine zehn Angeworbenen in diesen so kalten, so gleichgültigen Zuschauern.

Der Streit nahm immer mehr zu. Jede Leidenschaft hat, wie das Meer, ihre Fluth und ihre Ebbe. Ein Matrose, bei dem die Leidenschaft den Paroxismus erreicht hatte, warf den Tisch und das Geld um, das darauf lag. Der Tisch fiel, das Geld rollte. Auf der Stelle stürzte sich das ganze Personal des Wirthshauses auf die Einsätze, und viele Silberstücke wurden von Leuten aufgerafft, die sich aus dem Staub machten, während sich die Matrosen balgten.

Nur die zwei Männer von der Bank und die acht im Innern schienen sich, obgleich sie aussahen, als ob sie einander ganz fremd wären, das Wort gegeben zu haben, völlig unempfindlich mitten unter diesem Geschrei der Wuth und dem Geräusch des Geldes zu bleiben. Zwei von ihnen beschränkten sich darauf, daß sie die Kämpfenden, welche bis unter ihren Tisch kamen, mit dem Fuß zurückstießen.

Zwei Andere gingen eher, als daß sie an diesem ganzen Tumult Theil nahmen, mit den Händen in ihren Taschen hinaus; wieder zwei Andere stiegen endlich auf den Tisch, den sie inne hatten, wie es, um nicht zu ertrinken, Leute thun, die von einem Steigen des Wassers überrascht werden.

»Ah! ah!« sagte zu sich selbst d’Artagnan, dem keiner von den von uns erwähnten Umständen entgangen war, »das ist eine hübsche Sammlung: umsichtig, ruhig, an den Lärmen gewöhnt, gegen Schlägereien unempfindlich; Teufel! ich habe eine glückliche Hand gehabt.«

Plötzlich wurde seine Aufmerksamkeit auf einen Punkt des Zimmers gelenkt.

Die zwei Männer, welche die Kämpfenden mit dem Fuß zurückgestoßen hatten, sahen sich von den Matrosen, die sich wieder ausgesöhnt, mit Schmähungen angefallen.

Halb trunken vom Zorn und ganz vom Bier, fragte einer von ihnen mit drohendem Tone den kleineren von den zwei Vernünftigen, warum er mit seinem Fuß Geschöpfe des guten Gottes berührt habe, welche keine Hunde seien. Und während er diese Frage that, setzte er, um ihr mehr Nachdruck zu geben, seine dicke Faust auf die Nase des Rekruten von Herrn d’Artagnan.

Dieser Mensch erbleichte, ohne daß man zu erkennen vermochte, ob er aus Angst oder aus Zorn erbleichte. Als der Matrose dies sah, schloß er, es geschehe aus Angst, und hob seine Faust in der sehr klaren Absicht auf, sie auf den Kopf des Fremden zurückfallen zu lassen. Doch ohne daß man den Bedrohten sich rühren sah, versetzte er dem Matrosen einen so gewaltigen Stoß auf den Magen, daß dieser unter furchtbarem Geschrei bis an das Ende des Zimmers fortrollte. Durch den Corpsgeist rasch wieder vereinigt, fielen in demselben Augenblick alle Kameraden des Besiegten über den Sieger her.

Mit derselben Kaltblütigkeit, von der er schon einen Beweis gegeben, faßte der Letztere, ohne die Unklugheit zu begehen, nach seinen Waffen zu greisen, einen Bierkrug mit zinnernem Deckel und schlug damit zwei oder drei von den Angreifenden nieder; dann, als er eben der Ueberzahl unterliegen sollte, begriffen die sieben andern Schweigsamen in der Stube, die sich nicht gerührt hatten, daß ihre Sache auf dem Spiel war, und eilten ihm zu Hilfe.

Zu gleicher Zeit wandten sich die zwei Gleichgültigen an der Thüre mit einem Stirnefalten um, das ganz offenbar ihre Absicht andeutete, den Feind von hinten zu packen, wenn er nicht von seinem Angriff abstünde.

Der Wirth, seine Kellner und zwei Nachtwächter, welche eben vorüberkamen und aus Neugierde zu weit in die Stube eindrangen, wurden mit in das Gemenge hineingerissen und braun, und blau geprügelt. Die Pariser schlugen wie Cyclopen, mit einer Einhelligkeit und einer Taktik, welche Zuschauern Vergnügen machen mußte; endlich gezwungen, vor der Ueberzahl ihren Rückzug zu nehmen, verschanzten sie sich jenseits des großen Tisches, den sie gemeinschaftlich zu vier aufhoben, während sich die vier anderen jeder mit einem Gestell bewaffneten, so daß sie mit einem Streich acht Matrosen niederschlugen, auf deren Kopf sie ihre ungeheure Schnellbank hatten spielen lassen.

 

Der Boden war also schon mit Verwundeten bestreut, und der Saal voll Geschrei und Staub, als d’Artagnan, zufrieden mit dieser Probe, den Degen in der Hand vortrat und, mit dem Knopf auf Alles einschlagend, was er an emporgerichteten Köpfen fand, ein kräftiges Hollah! ausstieß, was dem Streit sogleich ein Ende machte. Man drängte sich mit aller Macht vom Mittelpunkt gegen den Umkreis, so daß d’Artagnan bald vereinzelt und Alles beherrschend dastand.

»Was ist das?« fragte er sodann die Versammlung mit dem majestätischen Ton von Neptun, als er das quos ego aussprach.

Auf der Stelle und beim ersten Ton, um in der Virgilischen Metapher fortzufahren, steckten die Rekruten von Herrn d’Artagnan, von denen jeder einzeln seinen Gebieter und Herrn erkannte, zugleich ihren Zorn und ihr Klopfen mit den Brettern und ihre Schläge mit den Gestellen wieder ein.

Die Matrosen, als sie dieses lange entblößte Schwert, diese martialische Miene und den behenden Arm sahen, die ihren Feinden in der Person eines Mannes zu Hilfe kamen, der an das Befehlen gewöhnt zu sein schien, die Matrosen, sagen wir, hoben ihre Verwundeten und ihre Krüge auf.

Die Pariser wischten ihre Stirne ab und verbeugten sich vor ihrem Chef.

D’Artagnan wurde mit Complimenten und Glückwünschen vom Wirth zum Großen Monarchen überhäuft.

Er nahm sie hin wie ein Mann, welcher weiß, daß man Ihm nicht zu viel bietet, und erklärte dann, er würde in Erwartung des Abendbrods am Hafen spazieren gehen.

Zugleich nahm Jeder von den Angeworbenen, der den Appel begriff, seinen Hut, stäubte seinen Rock ab und folgte d’Artagnan.

Doch während er umherschlenderte, während er Alles prüfend anschaute, hütete sich d’Artagnan wohl, stille zu stehen; er wandte sich nach der Düne, und erschrocken, sich so einander auf der Spur zu finden, unruhig, zu ihrer Rechten und zu ihrer Linken und hinter sich Gefährten zu sehen, auf welche sie nicht rechneten, folgten ihm die zehn Männer, indem sie sich gegenseitig wüthende Blicke zuwarfen.

Erst in der tiefsten Aushöhlung der niedersten Düne wandte sich d’Artagnan, lächelnd, als er wahrnahm, daß sie sich so weit von einander entfernt hielten, gegen sie um, machte ihnen ein friedliches Zeichen mit der Hand und rief:

»He! he! meine Herren, verschlingen wir uns nicht; Ihr seid gemacht, um mit einander zu leben und Euch in allen Punkten zu verstehen, und nicht, um einander zu verschlingen.«

Da hörte alles Zaudern auf, die Männer athmeten, als ob man sie aus einem Sarg gezogen hätte, und schauten einander freundlich an. Nach dieser Beschauung richteten sie ihre Augen auf ihren Führer, der, längst vertraut mit der großen Kunst, zu Leuten von diesem Schlag zu sprechen, ihnen aus dem Stegreif folgende kleine Rede hielt, die er mit einer gascognischen Energie betonte.

»Meine Herren, Ihr wißt Alle, wer ich bin. Ich habe Euch angeworben, weil ich Euch als wackere Leute kannte und bei einem glorreichen Unternehmen betheiligen wollte. Stellt Euch vor, indem Ihr mit mir arbeitet, arbeitet Ihr für den König. Ich sage Euch indessen zum Voraus, daß ich mich, wenn Ihr etwas von dieser Annahme durchblicken laßt, genöthigt sehen werde. Euch den Schädel auf die Weise zu zerschmettern, die mir gerade am bequemsten ist. Es ist Euch nicht unbekannt, meine Herren, daß die Staatsgeheimnisse gerade wie ein tödtliches Gift wirken: so lange sich das Gift in seiner Büchse befindet und gut eingeschlossen ist, schadet es nicht, aus der Büchse tödtet es. Tretet nun näher zu mir heran, und Ihr sollt von diesem Geheimniß erfahren, was ich Euch sagen kann.«

Alle traten mit einer Bewegung der Neugierde auf ihn zu.

»Nähert Euch,« fuhr d’Artagnan fort, »und der Vogel, der über unsern Köpfen hinstreicht, das Kaninchen, das auf den Dünen spielt, der Fisch, der aus dem Wasser springt, sollen uns nicht hören können. Es handelt sich darum, in Erfahrung zu bringen und dem Herrn Oberintendanten der Finanzen zu berichten, wie viel die englische Schmuggelei den französischen Kaufleuten Eintrag thut. Ich werde überall Eingang suchen und Alles sehen. Wir sind arme picardische Fischer, durch einen Sturm auf die Küste geworfen. Es versteht sich von selbst, daß wir Fische verkaufen, gerade wie die ächten Fischer. Nur könnte man errathen, wer wir sind, und uns beunruhigen; wir müssen also ganz nothwendig im Stande sein, uns zu vertheidigen. Aus diesem Grunde habe ich Euch als Leute von Geist und Muth gewählt. Wir werden ein gutes Leben führen und keine große Gefahr laufen, weil wir einen mächtigen Beschützer hinter uns haben, mit dessen Hilfe keine Verlegenheit möglich ist. Eines nur ist mir ärgerlich; doch ich hoffe, daß Ihr mich nach einer kurzen Erklärung aus der Verlegenheit ziehen werdet. Es ist mir nämlich ärgerlich, daß ich eine Mannschaft dummer Fischer mitnehmen soll, die uns ganz ungeheuer belästigen, beengen wird, während, wenn zufällig Leute unter Euch wären, die das Meer gesehen hätten . . . «

»Oh! das ist keine so große Sache!« sagte einer von den Rekruten von d’Artagnan, »ich bin drei Jahre lang Gefangener der Seeräuber von Tunis gewesen und kenne die Führung des Schiffes wie ein Admiral.«

»Seht Ihr,« rief d’Artagnan,’»seht Ihr, welch eine wunderbare Sache es um den Zufall ist!«

D’Artagnan sprach diese Worte mit einem unbeschreiblichen Ausdruck scheinbarer Treuherzigkeit. Denn d’Artagnan wußte ganz wohl, daß dieses Opfer der Seeräuber ein ehemaliger Freibeuter war, und er hatte ihn, gerade weil er diesen Umstand wußte, angeworben. D’Artagnan aber sagte nie mehr, als er zu sagen nöthig hatte, um die Leute in Zweifel zu lassen. Er ließ sich die Erklärung gefallen und nahm die Wirkung an, ohne daß er sich um die Ursache zu bekümmern schien.

»Und ich,« sagte ein Zweiter, »ich habe zufällig einen Oheim, der die Arbeiten im Hafen von La Rochelle leitet und beaufsichtigt. Schon als Kind habe ich auf den Fahrzeugen gespielt und ich nehme es, was die Handhabung des Ruders und des Segels betrifft, mit dem ersten dem besten Matrosen auf.«

Dieser log kaum mehr als der Andere, er hatte sechs Jahre auf den Galeeren Seiner Majestät in la Ciotat gerudert.

Zwei Andere waren offenherziger, sie gestanden ganz einfach, daß sie auf einem Schiff als Soldaten zur Strafe gedient hatten, und errötheten nicht darüber. D’Artagnan war so Chef von zehn Kriegsleuten und vier Matrosen; er hatte zugleich eine Land- und eine Seearmee, was den Stolz von Planchet auf den höchsten Grad gesteigert haben müßte, wenn Planchet diesen Umstand gekannt hätte.

Es handelte sich nur noch um den allgemeinen Verhaltungsbefehl, und d’Artagnan gab diesen ganz pünktlich. Er schärfte seinen Leuten ein, sich zum Aufbruch nach dem Haag bereit zu halten, wobei die Einen der Küste, welche bis Breskens führt, die Anderen der Straße nach Antwerpen folgen sollten.

Mit Berechnung jedes Marschtages wurden Alle in vierzehn Tagen nach dem Hauptplatze Haag beschieden.

D’Artagnan empfahl seinen Leuten, sich nach ihrem Gutdünken, aus Sympathie, zu zwei und zwei zu paaren. Er selbst wählte unter den am wenigsten auffallenden Galgengesichtern zwei Leibwachen, die er schon früher kennen gelernt und die keine andere Fehler hatten, als daß sie Spieler und Trunkenbolde waren. Diese zwei Menschen hatten nicht jeden Begriff von Civilisation verloren, und unter reinlichen Kleidern würden ihre Herzen wieder zu schlagen angefangen haben. Um keine Eifersucht zu erregen, ließ d’Artagnan die Anderen vorangehen. Er behielt seine zwei Bevorzugten bei sich, kleidete sie in seinen eigenen Putz und brach mit ihnen auf.

Diesen, welche er mit einem unbeschränkten, Vertrauen zu beehren schien, machte, er ein falsches Geständniß, bestimmt, den Erfolg des Unternehmens zu sichern. Er gestand ihnen, es handle sich nicht darum, zu sehen, wie viel die englische Schmuggelei dem französischen Handel Eintrag thun konnte, sondern im Gegentheil, wie viel die französische Schmuggelei dem englischen Handel zu schaden vermöchte. Diese Menschen schienen überzeugt, und waren es auch wirklich. D’Artagnan aber war sicher, bei ihrer ersten Schwelgerei, wenn sie vollgetrunken wären, würde Einer von den Beiden das höchst wichtige Geheimniß der ganzen Bande aufschwatzen. Sein Spiel kam ihm unfehlbar vor.