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Der Graf von Bragelonne

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»Ich unterbrach Euch nicht, mein Herr, um Euch zu sagen, ich habe einen Freund gehabt, und dieser Freund sei Herr von Guiche gewesen. Er ist jedoch gut und edelmüthig, und er liebt mich . . . Ich habe unter Bevormundung einer andern Freundschaft gelebt, einer Freundschaft, welche so stark, so kostbar, als die, von der Ihr sprecht, denn es ist die Eurige.«

»Ich war kein Freund für Euch, Raoul,« entgegnete Athos.

»Ei! mein Herr, warum nicht?«

»Weil ich Euch Anlaß gegeben, zu glauben, das Leben habe nur eine Seite, weil ich, leider traurig und streng, stets für Euch die freudigen Knospen abgeschnitten habe, welche unablässig aus dem Baume der Jugend hervorspringen; mit einem Wort, weil ich es in diesem Augenblick bereue, daß ich nicht aus Euch einen sehr für das heitere Leben geöffneten, munteren, geräuschvollen Mann gemacht habe.«

»Ich weiß, warum Ihr mir das sagt. Nein, Ihr habt Unrecht, nicht Ihr habt aus mir gemacht, was ich jetzt bin; es ist diese Liebe, welche mich in dem Augenblick erfaßte, wo die Kinder nur Neigungen haben; es ist die meinem Charakter natürliche Beständigkeit, welche bei den andern Geschöpfen nur Gewohnheit. Ich glaubte, ich wäre immer, wie ich war, ich glaubte, Gott habe mich aus eine ganz frisch angelegte, ganz gerade, ganz mit Früchten und Blumen eingefaßte Straße geworfen. Ich hatte über mir Eure Wachsamkeit, Eure Stärke, und hielt mich für wachsam und stark. Nichts hatte mich vorbereitet, ich bin einmal gefallen, und dieses eine Mal hat mir den Muth für mein ganzes Leben geraubt. Allerdings bin ich dabei gebrochen. Oh! mein Herr, Ihr habt an meiner Vergangenheit nur für mein Glück Antheil; Ihr seid in meiner Zukunft nur wie eine Hoffnung. Nein, ich habe dem Leben nichts vorzuwerfen, so wie Ihr es mir gemacht. Ich segne Euch, und ich liebe Euch voll Inbrunst.«

»Mein theurer Raoul, Eure Worte thun mir wohl. Sie beweisen mir, daß Ihr ein wenig für mich in der kommenden Zeit handeln werdet.«

»Ich werde nur für Euch handeln.«

»Raoul, was ich nie in Beziehung aus Euch gethan habe, werde ich fortan thun. Ich werde Euer Freund sein, und nicht mehr Euer Vater. Wir werden leben, indem wir uns ausbreiten, statt zu leben, indem wir uns gefangen halten, wenn Ihr zurückkehrt. Das wird bald geschehen, nicht wahr?«

»Gewiß, mein Herr, denn eine solche Expedition kann nicht lange dauern.«

»Bald also, Raoul, bald werde ich Euch, statt mäßig von meinen Einkünften zu leben, das Capital meiner Güter geben. Es wird Euch genügen, um Euch in der Welt bis zu meinem Tode zu bewegen, und Ihr werdet mir, wie ich hoffe, vor dieser Zeit den Trost schenken, mein Geschlecht nicht erlöschen zu lassen.«

»Ich werde Alles thun, was Ihr mir befehlt,« erwiederte Raoul sehr bewegt.

»Raoul, Euer Adjudantendienst sollte Euch nicht zu allzu gewagten Unternehmungen veranlassen. Ihr habt Eure Proben abgelegt, man weiß, daß Ihr gut im Feuer seid. Erinnert Euch, daß der Krieg mit den Arabern ein Krieg der Hinterhalte und Ermordungen ist.«

»Man sagt es, ja, mein Herr.«

»Man erntet immer wenig Ruhm dabei, wenn man in einen Hinterhalt fällt. Das ist ein Tod, der ein wenig der Verwegenheit oder Unvorsichtigkeit beschuldigt. Häufig beklagt man nicht einmal denjenigen, welcher unterlegen ist. Diejenigen, welche man nicht beklagt, Raoul, sind unnütz gestorben. Mehr noch, der Sieger spottet, und wir dürfen es nicht dulden, daß diese albernen Ungläubigen über unsere Fehler triumphiren. Ihr begreift wohl, was ich hiermit sagen will, Raoul, Gott behüte mich, daß ich Euch ermahne, fern von den Treffen zu bleiben!«

»Ich bin von Natur vorsichtig, und ich habe viel Glück,« erwiederte Raoul mit einem Lächeln, welches das Herz des armen Vaters zu Eis erstarren machte; »denn,« fügte rasch der junge Mann bei, »in zwanzig Schlachten, die ich mitgemacht, habe ich noch nicht eine Schramme bekommen.«

»Auch ist das Klima zu fürchten, der Fiebertod ist ein häßliches Ende. Der heilige König Ludwig bat Gott, er möchte ihm einen Pfeil oder die Pest vor dem Fieber schicken.«

»Oh! mein Herr, mit Mäßigkeit, mit einer vernünftigen Leibesübung . . . «

»Ich habe es bei Herrn von Beausort dahin gebracht,« unterbrach Athos, »daß seine Depechen alle vierzehn Tage nach Frankreich abgehen, Ihr, sein Adjutant, werdet beauftragt sein, sie zu expediren; ohne Zweifel werdet Ihr mich nicht vergessen.«

»Nein, Herr,« erwiederte Raoul mit einer erstickten Stimme.

»Raoul, da Ihr ein guter Christ seid und ich auch, so müssen wir aus einen besondern Schirm Gottes oder seiner Schutzengel zählen. Versprecht mir, daß Ihr, wenn Euch bei irgend einer Veranlassung Unglück begegnete, vor Allem an mich denken werdet.«

»Oh! ja, vor Allem.«

»Und daß Ihr mich anrufen werdet.«

»Oh! auf der Stelle.«

»Ihr träumt zuweilen von mir, Raoul?«

»Alle Nächte, mein Herr. Während meiner ersten Jugend sah ich Euch im Traume ruhig und sanft, eine Hand über meinem Haupte ausgestreckt, und darum schlief ich . . . einst immer so gut!«

»Wir lieben uns zu sehr, als daß nicht von dem Augenblick an, wo wir uns trennen, ein Theil von unseren beiden Seelen mit dem Einen und dem Andern von uns reisen und da wohnen sollte, wo wir wohnen werden. Raoul ich fühle, daß, wenn Ihr traurig seid, mein Herz sich in Traurigkeit versenken wird, und wenn Ihr in Gedanken an mich lächeln wollt, so bedenkt, daß Ihr mir von dort einen Strahl Eurer Freude schickt.«

»Ich verspreche Euch nicht, freudig zu sein,« antwortete der junge Mann, »doch seid überzeugt, daß ich nicht eine Stunde hinbringen werde, ohne an Euch zu denken; nicht eine Stunde, das schwöre ich Euch, wenn ich nicht todt bin.«

Athos konnte sich nicht länger bewältigen, er umschlang mit dem Arm den Hals seines Sohnes und hielt ihn mit allen Kräften seines Herzens umfangen.

Der Mond hatte der Morgendämmerung Platz gemacht; ein goldener Streif stieg am Horizont empor und verkündigte das Herannahen des Tages.

Athos warf seinen Mantel auf die Schultern von Raoul und führte ihn in die Stadt, wo schon Lastträger und Karren, wie ein großer Ameisenhaufen, untereinander wimmelten.

Am Ende des Plateau, das Athos und Bragelonne verließen, sahen sie einen schwarzen Schatten unentschlossen und als schämte er sich, gesehen zu werden, sich wiegen. Es war Grimaud, der unruhig seinem Herrn aus der Ferse gefolgt war und aus den Grafen und seinen Sohn wartete.

»Oh! guter Grimaud,« rief Raoul, »was willst Du? Du kommst, um uns zu melden, wir müssen ausbrechen?«

»Allein?« sagte Grimaud, indem er Athos Raoul mit einem Tone des Vorwurfs bezeichnete, der zum Beweise diente, in welchem Grad der Greis erschüttert war.

»Ohl Du hast Recht!« rief der Gras, »nein, Raoul wird nicht allein reisen; nein, er wird nicht aus einer fremden Erde bleiben, ohne ein befreundetes Wesen, das ihn tröstet und an Alles erinnert, was er liebte.«

»Ich!« versetzte Grimaud.

»Du? Ja, ja!« rief Raoul, bis in die Tiefe seines Herzens gerührt.

»Ah! Du bist sehr alt, mein guter Grimaud,« sprach Athos.

»Desto besser,« erwiederte dieser, mit einer unaussprechlichen Tiefe des Gefühls und des Verstands.

»Aber die Einschiffung findet schon statt, und Du bist nicht vorbereitet,« entgegnete Raoul.

»Doch!« sagte Grimaud, auf die Schlüssel seiner Koffer deutend, die mit denen seines jungen Herrn vermischt waren.

»Aber,« entgegnete Raoul, »Du kannst nicht so den Herrn Grafen allein lassen, den Herrn Grafen, den Du nie verlassen hast.«

Grimaud wandte seinen verdüsterten Blick gegen Athos, als wollte er die Stärke des Einen oder Andere messen.

Der Graf antwortete nicht.

»Dem Herrn Grafen wird das lieber sein,« sagte Grimaud.

»Ja,« machte Athos mit seinem Kopf.

In diesem Augenblick rasselten alle Trommeln gleichzeitig und die Klarinen füllten die Luft mit ihren heiteren Melodien.

Man sah die Regimenter, welche an der Expedition Theil nehmen sollten, aus der Stadt hervorkommen.

Sie rückten fünf an der Zahl, jedes bestehend aus vierzig Compagnien, aus. Royal marschirte voran, erkennbar an seiner weißen Uniform mit blauen Aufschlägen. Die Ordonnanzfahnen. kreuzförmig in vier Felder getheilt, veilchenblau und braungelb mit goldenen Lilien besäet, ließen die weiße Obristenfahne mit dem ebenfalls mit Lilien verzierten Kreuze herrschen.

Musketiere auf den Flügeln mit ihren gabelförmigen Stäben in der Faust und die Muskete auf der Schulter, Pikenirer im Centrum mit ihren vierzehn Fuß langen Spießen, marschirten munter nach den Transportparken, die sie im Einzelnen nach den Schiffen brachten.

Die Regimenter Picardie, Navarra, Normandie und Royal-Vaisseau kamen sodann. Herr von Beaufort hatte zu wählen verstanden.

Man sah ihn selbst von fern den Zug mit seinem Generalstabe schließend. Ehe er das Meer erreichen konnte, mußte eine gute Stunde vergehen.

Raoul wandte sich langsam mit Athos nach dem Ufer, um seinen Platz in dem Augenblick, wo der Prinz vorüberziehen würde, einzunehmen.

Brausend vor jugendlichem Eifer, ließ Grimaud das Gepäcke von Raoul nach dem Admiralsschiffe bringen.

Athos hatte seinen Arm um den Hals seines Sohnes geschlungen, den er verlieren sollte, er zehrte sich im schmerzlichsten Nachsinnen auf und betäubte sich durch das Geräusch und die Bewegung.

Plötzlich kam ein Officier von Herrn von Beaufort zu ihnen, um ihnen zu melden, der Herzog gebe den Wunsch kund, Raoul an seiner Seite zu sehen.

»Mein Herr,« rief der junge Mann, »wollt dem Prinzen sagen, ich bitte ihn noch um diese Stunde, um die Gegenwart des Herrn Grafen zu genießen.«

»Nein, nein,« unterbrach ihn Athos, »ein Adjutant kann nicht so seinen General verlassen. Wollt dem Prinzen sagen, mein Herr, der Vicomte werde sich sogleich zu ihm begeben.«

Der Officier sprengte im Galopp weg.

 

»Ob wir uns hier verlassen, ob wir uns dort verlassen, es ist immer eine Trennung,« sprach Athos.

Er stäubte sorgfältig den Rock seines Sohnes ab und strich ihm, während sie gingen, über die Haare.

»Höret,« sprach er, »Raoul, Ihr braucht Geld; Herr von Beaufort lebt aus einem großen Fuß, und ich bin überzeugt, daß Ihr Euch dort darin gefallen werdet, Pferde und Waffen zu kaufen, was in jenem Lande kostbare Dinge sind. Da Ihr nun weder dem König, noch Herrn von Beaufort dient und nur von Eurem freien Willen abhängt, so dürft Ihr weder auf Sold, noch auf Schenkungen rechnen. Es soll Euch in Gigelli an nichts fehlen. Hier sind zwei hundert Pistolen; gebt sie aus, Raoul, wenn Ihr mir Vergnügen machen wollt.«

Raoul drückte seinem Vater die Hand, und bei der Biegung einer Straße sahen sie Herrn von Beaufort, aus einem herrlichen weißen Rosse reitend, das durch anmuthige Courbetten den Beifallsjubel der Frauen der Stadt erwiederte.

Der Herzog rief Raoul und reichte dem Grafen die Hand. Er sprach lange zu ihm mit so sanften Ausdrücken, daß sich das Herz des armen Vaters ein wenig dadurch gestärkt fand.

Es kam jedoch Beiden, dem Vater und dem Sohne, vor, als lause ihr Marsch aus den Richtplatz aus. Ein furchtbarer Augenblick trat ein, der, wo, um das Gestade zu verlassen, die Soldaten und die Seeleute mit ihren Familien und ihren Freunden die letzten Küsse wechselten: ein erhabener Augenblick, in dem, trotz der Reinheit des Himmels, trotz der Wärme der Sonne, trotz der Wohlgerüche der Lust, trotz des milden Lebens, das durch die Adern kreist, Altes schwarz, Alles bitter erscheint, Alles an Gott, durch den Mund Gottes selbst, sprechend, zweifeln macht.

Es war gebräuchlich, daß sich der Admiral zuletzt mit seinem Gefolge einschiffte; die Kanonen warteten, um ihre furchtbare Stimme ertönen zu lassen, bis der Anführer einen Fuß aus das Brett seines Schiffes gesetzt hatte.

Den Admiral, die Flotte, die eigene Eitelkeit des starken Mannes vergessend, öffnete Athos seinem Sohne die Arme und preßte ihn krampfhaft an seine Brust.

»Begleitet uns an Bord,« sagte der Herzog gerührt, »Ihr werdet dabei eine gute halbe Stunde gewinnen.«

»Nein,« erwiederte Athos, »nein, mein Lebewohl ist gesagt. Ich will nicht ein zweites sagen.«

»Dann schifft Euch rasch ein, Vicomte!« fügte der Prinz bei, der die Thränen diesen beiden Männern, deren Herz anschwoll, ersparen wollte.

Und väterlich, zärtlich, stark, wie es Porthos gewesen wäre, nahm er Raoul in seine Arme und setzte ihn aus die Schaluppe, deren Ruder sogleich aus ein Zeichen zu arbeiten ansingen.

Das Ceremoniel vergessend, sprang er selbst auf das Dahlbord des Bootes und stieß es mit kräftigem Fuße ins Meer.

»Gott befohlen!« rief Raoul.

Athos antwortete nur durch ein Zeichen, aber er fühlte etwas Brennendes auf seiner Hand: das war der ehrfurchtsvolle Kuß von Grimaud, der letzte Abschied des treuen Hundes.

Nach diesem Kusse sprang Grimaud von der Stufe des Hafendamms auf das Vordertheil einer Dole mit zwei Rudern, die sich von einem Chaland, bedient von acht Galeerenrudern, hatte bugsiren lassen.

Athos setzte sich verwirrt, trübe, verlassen auf den Hasendamm.

Jede Secunde entführte ihm einen von den Zügen, eine von den Nuancen des bleichen Gesichtes von Raoul, Die Arme hängend, das Auge starr, den Mund offen, blieb er mit seinem Sohne in einem und demselben Blick, in einem und demselben Gedanken, in einer und derselben Betäubung vermengt.

Das Meer trug nach und nach die Schaluppen und die Gestalten bis zu einer Entfernung fort, wo die Menschen nur noch Punkte sind, wo die gegenseitige Liebe nur noch in Erinnerungen besteht.

Athos sah seinen Sohn die Leiter des Admiralsschiffes hinaussteigen, er sah ihn sich mit den Ellenbogen auf die Verschanzung stützen und eine solche Stellung nehmen, daß er immer ein Gesichtspunkt für das Auge seines Vaters blieb. Vergebens donnerte die Kanone, vergebens drang aus den Fahrzeugen ein lange anhaltender Lärm hervor, am Lande verbreitet durch ein ungeheures Zujauchzen, vergebens wollte das Geräusch, das Ohr des Vaters betäuben. Raoul erschien ihm bis zum letzten Augenblick, und das unmerkliche Atom, das vom Schwarzen zum Blassen, vom Blassen zum Weißen und vom Weißen zum Nichts überging, verschwand für Athos lange, nachdem für die Augen aller Anwesenden mächtige Schiffe und angeschwollene Segel verschwunden waren.

Gegen Mittag, als schon die Sonne den Raum zehrte und kaum das oberste Ende der Masten die weißglühende Linie des Meeres überragte, sah Athos einen weichen, lustigen Schatten sich erheben, der eben so bald verschwunden, als gesehen: das war der Rauch von einem Kanonenschuß, den Herr von Beaufort hatte feuern lassen, um zum letzten Male die Küste Frankreichs zu grüßen.

Der Punkt versank am Horizont, und Athos kehrte schmerzerfüllt nach seinem Gasthofe zurück.

VIII.
Zwischen Frauen

D’Artagnan hatte sich vor seinen Freunden nicht so gut verbergen können, als er es gewünscht.

Der stoische Soldat, der unempfindliche Kriegsmann hatte sich, von der Angst und den Ahnungen besiegt, einige Minuten der menschlichen Schwäche hingegeben.

Als er sein Herz zum Schweigen gebracht und das Beben seiner Muskeln besänftigt hatte, wandte er sich gegen seinen Lackei um, einen schweigsamen Diener, der beständig lauschte, um schneller zu gehorchen, und sagte zu ihm:

»Rabaud, Du wirst wissen, daß ich dreißig Meilen im Tage machen muß.«

»Gut, mein Kapitän,« erwiederte Rabaud.

Und dem Gange des Pferdes angeschlossen, wie ein wahrer Centaure, kümmerte sich d’Artagnan von diesem Augenblick um nichts mehr, das heißt, er kümmerte sich um Alles.

Er fragte sich, warum ihn der König zurückrufe, warum die eiserne Marke eine silberne Platte zu den Füßen von Raoul geworfen habe.

Was den ersten Gegenstand betrifft, so war die Antwort verneinend; er wußte zu gut, daß, wenn ihn der König zurückrief, dies aus Nothwendigkeit geschah! er wußte auch, daß Ludwig XIV. das gebieterische Bedürfniß einer geheimen Unterredung mit demjenigen fühlen mußte, welchen ein so großes Geheimniß auf das Niveau der höchsten Mächte des Reiches stellte. Aber d’Artagnan fand sich nicht fähig, das Verlangen des Königs genau zu bestimmen.

Der Musketier hatte keine Zweifel mehr über den Grund, der den unglücklichen Philipp angetrieben, seinen Charakter und seine Geburt zu enthüllen. Für immer unter seiner eisernen Maske begraben, verbannt in ein Land, wo die Menschen den Elementen zu dienen schienen, selbst der Gesellschaft von d’Artagnan beraubt, von dem er mit Ehrenbezeigungen und Zartheiten überhäuft worden war, hatte Philipp nur noch Gespenster und Schmerzen in der Welt zu sehen, und da ihn die Verzweiflung zu ergreifen anfing, so ergoß er sich in Klagen, im Glauben, die Offenbarungen würden ihm einen Rächer erwecken.

Die Art, wie der Musketier beinahe seine besten Freunde getödtet hätte, das Geschick, das Athos so seltsam in das Staatsgeheimniß eingeweiht, der Abschied von Raoul, die Dunkelheit dieser Zukunft, die mit einem traurigen Tod endigen sollte, dies Alles führte d’Artagnan unabläßig zu kläglichen Vorhersehungen zurück, welche die Geschwindigkeit des Marsches nicht, wie einst, zerstreute.

D’Artagnan ging von diesen Betrachtungen zu den Erinnerungen an seine geächteten Freunde Porthos und Aramis über. Er sah sie als Flüchtlinge, umstellt, Beide zu Grunde gerichtet und arbeitsam im Wiederausbau eines Glückes begriffen, und da der König seinen Mann der Ausführung in einem Augenblick der Rache und des Grolls zu sich rief, so zitterte d’Artagnan, er würde einen Auftrag erhalten, bei dem sein Herz geblutet hätte.

Zuweilen, wenn er die Bergabhänge hinabritt, wenn das athemlose Pferd seine Nüstern ausblies und seine Flanken blähte, erinnerte sich der Kapitän, der nun freier denken konnte, an das wunderbare Genie von Aramis, an dieses Genie der Schlauheit und der Intrigue, wie die Fronde und der Bürgerkrieg zwei hervorgebracht hatten. Soldat, Priester und Diplomat, galant, gierig und verschmitzt, hatte Aramis die guten Dinge des Lebens immer nur als Fußtritt genommen, um sich über die schlechten zu erheben. Ein edler Geist, wenn nicht ein auserwähltes Herz, hatte er das Böse immer nur gethan, um ein wenig zu glänzen. Gegen das Ende seiner Laufbahn, in dem Augenblick, wo er das Ziel anfassen sollte, hatte er, wie der Patricier Fiesco, einen falschen Tritt auf einem Brette gethan und war ins Meer gefallen.

Aber Porthos, dieser gute und naive Porthos! Porthos ausgehungert, Mousqueton ohne goldene Tressen, eingekerkert vielleicht schon; Pierrefonds, Bracieux der Erde gleich gemacht, was die Steine betrifft, geschändet, was die Hochwälder betrifft, sehen, das waren ebenso viele brennende Schmerzen für d’Artagnan, und so oft ihn einer dieser Schmerzen traf, sprang er aus, wie sein Pferd beim Stiche der Bremse, unter den Gewölben des Blätterwerks.

Nie hat sich der Mann von Geist gelangweilt, wenn sein Körper durch die Strapazen beschäftigt gewesen ist; nie hat ein körperlich gesunder Mann verfehlt, das Leben leicht zu finden, wenn etwas seinen Geist gefangen genommen. Immer rennend, immer träumend, kam d’Artagnan nach Paris hinab, frisch und mit geschmeidigen Muskeln, wie der Athlet, der sich für das Gymnasium vorbereitet hat.

Der König erwartete ihn nicht so bald und war zu einer Jagd in die Gegend von Meudon weggefahren. Statt dem König nachzueilen, wie er es in früheren Zeiten gethan hatte, zog sich d’Artagnan die Stiefel aus, setzte sich in ein Bad und wartete, bis Seine Majestät sehr bestaubt und sehr müde zurückgekehrt war, Er benützte die fünf Stunden Zwischenraum, um, wie man zu sagen pflegt, die Witterung des Hauses zu nehmen und sich gegen alle schlimmen Wechselfälle zu panzern.

Er erfuhr, daß der König seit vierzehn Tagen düster, daß die Königin Mutter krank und sehr niedergeschlagen war, daß Monsieur, des Königs Bruder, sich der Frömmigkeit zuwandte, daß Madame Vapeurs hatte, und daß Guiche nach einem seiner Güter abgereist.

Er erfuhr ferner, daß Herr Colbert strahlte, daß Herr Fouquet alle Tage einen neuen Arzt zu, Rathe zog, daß er nicht genas, und daß seine Hauptkrankheit nicht zu denjenigen gehörte, welche die Aerzte heilen, wenn nicht etwa die politischen Aerzte.

Der König, sagte man d’Artagnan, mache Herrn Fouquet das freundlichste Gesicht und verlasse ihn nicht einen Augenblick, aber, im Herzen getroffen, wie jene schönen Bäume, die ein Wurm angenagt hat, nehme Fouquet immer mehr ab, trotz des königlichen Lächelns, dieser Sonne des Hofes.

D’Artagnan erfuhr, Fräulein de la Vallière sei dem König unentbehrlich geworden; der Fürst, wenn er sie bei seinen Jagden nicht mitnehme, schreibe ihr mehrere Male, nicht mehr Verse, sondern, was schlimmer ist, Prosa, und zwar ganze Seiten.

Auch sehe man den ersten König der Welt, wie das poetische Siebengestirn von damals sagte, den König mit einem Eifer ohne Gleichen vom Pferde steigen und auf seinem Hute schwülstige Phrasen kritzeln, welche Herr von Saint-Aignan, der beständige Adjutant, la Vallière auf die Gefahr, sein Pferd zu Tode zu reiten, überbrachte. Während dieser Zeit ergötzten sich die Hirsche und die Fasanen, denn die Jagd wurde bei ihnen so kraftlos betrieben, daß man sagte, die Kunst der Jägerei entarte am französischen Hofe.

D’Artagnan dachte nun an die Empfehlungen des armen Raoul, an den verzweiflungsvollen Brief, bestimmt für eine Frau, die ihr Leben im Hoffen hinbrachte, und da d’Artagnan zu philosophiren liebte, so beschloß er, die Abwesenheit des Königs zu benützen, um einen Augenblick Fräulein de la Vallière zu sprechen.

Das war etwas Leichtes; Louise ging während der königlichen Jagd mit einigen Damen in einer Gallerie des Palais-Royal spazieren, wo gerade der Kapitän der Musketiere einige Wachen zu inspiciren hatte.

D’Artagnan zweifelte nicht daran, wenn er das Gespräch aus Raoul bringen könnte, so würde ihm Louise Anlaß zu einem guten Briefe an den armen Verbannten geben; die Hoffnung aber, oder wenigstens der Trost für Raoul, in einer Verfassung des Herzens, wie die, in welcher wir ihn gesehen, das war die Sonne, das war das Leben zweier Menschen, welche unserem Kapitän unendlich theuer.

Er ging also nach dem Orte, wo er Fräulein de la Vallière zu finden wußte.

D’Artagnan fand la Vallière sehr umgeben. In ihrer scheinbaren Einsamkeit empfing die Favoritin des Königs wie eine Königin, mehr vielleicht als die Königin, eine Huldigung, aus welche Madame so stolz gewesen war, zur Zeit, da alle Blicke des Königs ihr gehörten und alle Blicke der Höflinge gebieterisch ihr zuwandten.

D’Artagnan, der kein Frauenknecht war, empfing doch nur Artigkeiten und Liebkosungen von den Damen; er war höflich wie ein Braver, und sein furchtbarer Ruf hatte ihm eben so viel Freundschaft bei den Männern, als Bewunderung bei den Frauen verschafft.

 

Als sie ihn eintreten sahen, redeten ihn die Ehrenfräulein auch sogleich an. Sie begannen mit Fragen.

»Wo war er gewesen? was war ans ihm geworden? Warum hatte man ihn nicht mit seinen herrlichen Pferden alle die schönen Volten machen sehen, welche aus dem Balcon des Königs die Neugierigen in Erstaunen setzten?

Er antwortete ihnen, er komme aus dem Lande der Orangen,

Die Ehrenfräulein lachten. Man lebte in der Zeit, wo Jedermann reiste, und wo dennoch eine Reise von hundert Meilen ein Problem war, das durch den Tod seine Lösung fand.

»Aus dem Lande der Orangen?« rief Fräulein von Tonnay-Charente. »Aus Spanien?«

»He! he!« machte der Musketier.

»Von Malta?« sagte Montalais.

»Meiner Treue, Ihr seid nahe daran, mein Fräulein.«

»Von einer Insel?« sprach la Vallière.

»Mein Fräulein,« sagte d’Artagnan! »ich will Euch nicht suchen lassen: ich komme aus der Gegend, wo sich Herr von Beaufort zu dieser Stunde einschifft, um nach Algier zu segeln.«

»Habt Ihr die Armee gesehen?« riefen mehrere kriegerische Damen.

»Wie ich Euch sehe,« erwiederte d’Artagnan.

»Und die Flotte?«

»Ich habe Alles gesehen.«

»Haben wir Freunde dort?« sagte Fräulein von Tonnay-Charente kalt, aber aus eine Weise, um die Aufmerksamkeit aus dieses Wort von einer berechneten Tragweite zu lenken.

»Gewiß.» antwortete d’Artagnan. »wir haben dort Herrn de la Guillotière, Herrn von Mouchy, Herrn von Bragelonne.«

La Vallière erbleichte.

»Herrn von Bragelonne?« rief die falsche Athenais, »Wie! er ist in den Krieg gezogen? . . . er!«

Montalais trat ihr auf den Fuß, aber vergebens.

»Wißt Ihr, was ich denke?« fuhr sie mitleidslos, gegen d’Artagnan gewendet, fort.

»Nein, mein Fräulein, doch ich möchte es wohl wissen.«

»Ich denke, alle Männer, die diesen Krieg mitmachen, sind Verzweifelte, welche die Liebe mißhandelt hat, und die nun Schwarze suchen, welche minder grausam, als es die Weißen gewesen waren.«

Einige Damen lachten; la Vallière verlor ihre Haltung; Montalais hustete, um einen Todten zu erwecken.

»Mein Fräulein,« entgegnete d’Artagnan, »Ihr irrt Euch, wenn Ihr von schwarzen Frauen in Gigelli sprecht; die Frauen sind dort nicht schwarz: sie sind allerdings nicht weiß, aber gelb.«

»Gelb!«

»Ei! urtheilt nicht schlimm hierüber; ich habe nie eine schönere Farbe sich mit schwarzen Augen und einem Korallenmund vermählen sehen.«

»Desto besser für Herrn Bragelonne,« sagte hartnäckig Fräulein Tonnay-Charente. »Der arme Junge wird sich entschädigen!«

Nach diesen Worten trat ein tiefes Stillschweigen ein. D’Artagnan hatte Zeit, zu überlegen, daß sich die Frauen, diese sanften Tauben, unter sich viel grausamer behandeln, als die Tiger und die Bären.

Es war nicht genug für Athenais, daß sie la Vallière erbleichen gemacht hatte, sie wollte sie auch erröthen machen.

Plötzlich nahm sie das Gespräch wieder ans und sagte:

»Wißt Ihr, Louise, daß Ihr da eine schwere Sünde aus dem Gewissen habt!«

»Welche Sünde, mein Fräulein?« stammelte die Unglückliche, indem sie um sich her einen Beistand suchte, ohne ihn zu finden.

»Gewiß,« fuhr Athenais fort, »der junge Mann war mit Euch verlobt. Er liebte Euch, und Ihr habt ihn zurückgestoßen.«

»Das ist ein Recht, welches man hat, wenn man eine redliche Frau ist,« entgegnete Montalais mit einer gezierten Miene. »Weiß man, daß man nicht das Glück eines Mannes machen kann, so ist es besser, ihn zurückzuweisen.«

Louise begriff nicht, ob sie derjenigen, welche sie so vertheidigte, einen Tadel oder einen Dank schuldig war.

»Zurückweisen! zurückweisen! das ist sehr gut,« sagte Athenais, »doch hierin liegt nicht die Sünde, die sich Fräulein de la Vallière vorzuwerfen hat. Die wahre Sünde ist, daß sie den armen Bragelonne in den Krieg schickt, wo man den Tod findet.«

Louise streifte mit einer Hand über ihre kalte Stirne.

»Und wenn er stirbt,« fuhr die Unbarmherzige fort, »habt Ihr ihn getödtet; das ist die Sünde.«

Selbst halbtodt, nahm Louise den Arm des Kapitäns der Musketiere, dessen Gesicht eine ungewöhnliche Aufregung verrieth.

»Ihr hattet mit mir zu reden, Herr d’Artagnan?« sprach sie mit einer vor Zorn und Schmerz bebenden Stimme. »Was hattet Ihr mir zu sagen?«

D’Artagnan machte, Louise an seinem Arm führend, mehrere Schritte in der Gallerie; dann, als sie fern genug von den Andern waren, erwiederte er:

»Was ich Euch zu sagen hatte, mein Fräulein, hat Euch Fräulein von Tonnay-Charente ungeschlacht, aber ganz und gar ausgedrückt.«

Sie gab einen kleinen Schrei von sich und lief weg, wie jene armen Vögel, die auf den Tod getroffen den Schatten des Gebüsches suchen, um zu sterben.

Louise verschwand durch eine Thüre in dem Augenblick, wo der König durch eine andere eintrat.

Der erste Blick des Fürsten war aus den leeren Sitz seiner Geliebten gerichtet; als er la Vallière nicht gewahrte, faltete er die Stirne; bald aber sah er d’Artagnan, der sich vor ihm verbeugte.

»Ah! mein Herr,« rief er, »Ihr habt Euch gewaltig beeilt, ich bin sehr mit Euch zufrieden.«

Dies war der superlative Ausdruck der Zufriedenheit des Königs, Viele Menschen mußten sich tödten lassen, um dieses Wort von dem König zu erlangen.

Die Ehrenfräulein und die Höflinge hatten einen ehrerbietigen Kreis um den König bei seinem Eintritte gebildet; als sie jedoch sahen, daß er insgeheim mit dem Kapitän der Musketiere zu sprechen trachtete, wollten sie aus die Seite treten.

Der König kam ihnen zuvor und führte d’Artagnan aus dem Saale, nachdem er noch einmal mit den Augen la Vallière gesucht, deren Abwesenheit er nicht begreifen konnte.

Sobald sie aus dem Bereiche neugieriger Ohren waren, sagte der König:

»Nun! der Gefangene?«

»In seinem Gefängnis, Sire.«

»Was hat er unter Weges gesagt?«

»Nichts.«

»Was hat er gethan?«

»Es kam ein Augenblick, wo der Fischer, in dessen Schiff ich nach Sainte-Marguerite fuhr, sich empörte und mich umbringen wollte. Der . . . der Gefangene hat mich vertheidigt, statt eine Flucht zu versuchen.«

Der König erbleichte.

»Genug,« sagte er.

D’Artagnan verbeugte sich.

Ludwig ging in seinem Cabinet aus und ab,

»Ihr waret in Antibes, als Herr von Beaufort dorthin kam?« fragte er.

»Nein Sire, ich reiste ab, als der Herr Herzog ankam.«

»Ah!«

Ein neues Stillschweigen,

»Was habt Ihr dort gesehen?«

»Viele Leute,« antwortete d’Artagnan mit kaltem Tone.

Der König bemerkte, daß d’Artagnan nicht sprechen wollte,

»Ich habe Euch kommen lassen, Herr Kapitän, um Euch zu beauftragen, meine Wohnungen in Nantes in Bereitschaft zu setzen.«

»In Nantes!« rief d’Artagnan.

»In der Bretagne.«

»Ja, Sire, in der Bretagne. Eure Majestät macht die lange Reise nach Nantes?«

»Die Stände versammeln sich dort,« erwiederte der König, »Ich habe zwei Forderungen an sie zu stellen, und will dabei sein.«

»Wann soll ich abreisen?« fragte der Kapitän.

»Heute Abend . . . morgen . . . morgen Abend . . . denn Ihr werdet der Ruhe bedürfen?«

»Ich bin ausgeruht, Sire.«

»Vortrefflich, also zwischen heute Abend und morgen, nach Eurem Belieben.«

D’Artagnan verbeugte sich, als wollte er sich wieder entfernen; dann, da er den König sehr verlegen sah, machte er wieder zwei Schritte vorwärts und fragte:

»Gedenkt Eure Majestät den Hof mitzunehmen?«

»Ja.«

»Somit wird der König ohne Zweifel der Musketiere bedürfen?«

Und das durchdringende Auge des Kapitäns machte den Blick des Königs sich senken.

»Nehmt eine Brigade davon mit,« erwiederte Ludwig.

»Ist das Alles? Hat mir der König keine andere Befehle mehr zu geben.«

»Nein . . . Ah! . . . doch!«

»Ich höre.«

»Im Schlosse von Nantes, das sehr schlecht eingetheilt sein soll, werdet Ihr regelmäßig Musketiere vor die Thüre von jedem der bedeutendsten Würdenträger stellen, die ich mitnehme.«

»Der bedeutendsten?«

»Ja.«

»Wie zum Beispiel vor die Thüre des Herrn von Lyonne?«