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Der Graf von Bragelonne

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XXX.
Das Alter von Athos

Während alle diese Ereignisse die einst auf eine unlösbar scheinende Weise verbundenen vier Musketiere auf immer trennten, fing Athos, der nach dem Abgang von Raoul allein geblieben, an, seinen Tribut dem vorzeitigen Tod zu bezahlen, den man die Abwesenheit geliebter Leute nennt.

Als er in sein Haus bei Blois zurückgekehrt war, wo er nicht einmal mehr Grimaud hatte, um ein armseliges Lächeln zu ernten, wenn er unter den Blumenbeeten umherging, fühlte Athos von Tag zu Tag die Stärke einer Natur abnehmen, welche so lang untrüglich schien.

Von ihm durch die Anwesenheit des geliebten Gegenstandes zurückgeschoben, kam das Alter mit dem ganzen Gefolge von Schmerzen und Beschwerden, das in demselben Maße zunimmt, in welchem es aus sich warten läßt. Athos hatte seinen Sohn nicht mehr, um beständig darauf bedacht zu sein, aufrecht zu gehen, den Kopf zu erheben, ein gutes Beispiel zu geben; er hatte nicht mehr die glänzenden Augen des jungen Mannes, einen immer brennenden Herd, an dem sich die Flamme seiner Blicke wiederentzündete.

Und dann, müssen wir es sagen, dann überließ sich die durch ihre Zartheit und durch ihre Zurückhaltung ausgezeichnete Natur, da sie nichts mehr fand, was sie in ihren Ergießungen dämmte, dem Kummer mit dem ganzen Ungestüm gewöhnlicher Naturen, wenn diese sich der Freude hingeben.

Der Graf de la Fère, der bis zu seinem zwei und sechzigsten Jahre jung geblieben, war ein Kriegsmann, welcher seine Stärke trotz der vielen Strapazen, seine Geistesfrische trotz aller Unglücksfälle, seine sanfte Heiterkeit der Seele und des Leibes trotz Mylady, trotz Mazarin, trotz la Vallière erhalten hatte, Athos war in acht Tagen ein Greis geworden, sobald er die Stütze seiner Nachjugend verloren.

Immer schön, aber gebückt, edel, aber traurig, sanft, aber wankend unter seinen weiß gewordenen Haaren, suchte er vorzugsweise die Lichtungen, wo die Sonne durch das Blätterwerk der Alleen drang.

Die harte Leibesübung seines ganzen Lebens verlernte er, als Raoul nicht mehr da war. Gewohnt, ihn zu jeder Jahreszeit mit der Morgendämmerung ausgestanden zu sehen, wunderten sich die Bedienten, wenn sie im Sommer sieben Uhr schlagen hörten, ohne daß ihr Herr das Bett verlassen hatte.

Athos blieb, ein Buch unter seinem Kopfkissen, liegen, und er schlief nicht, und er las nicht. Er blieb liegen, daß er seinen Leib nicht zu tragen hatte, und ließ die Seele und den Geist aus der Hülle entfliegen, um zu seinem Sohn oder zu Gott zurückzukehren.

Man war sehr erschrocken, wenn man ihn zuweilen zwei Stunden lang in eine stumme, unempfindliche Träumerei versunken sah; er hörte nicht mehr den Tritt des von Furcht erfüllten Dieners, der aus die Schwelle des Zimmers kam, um den Schlaf oder das Erwachen des Herrn zu belauern. Er vergaß manchmal, daß der Tag halb abgelaufen, daß die Stunde der zwei ersten Mahle vorüber war. Dann weckte man ihn. Er stand aus, ging unter seine düstere Allee hinab und kam ein wenig in die Sonne zurück, als wollte er eine Minute die Wärme des abwesenden Kindes theilen. Und dann begann wieder der traurige, eintönige Spaziergang, bis er erschöpft zu Zimmer und Bett, seinem bevorzugten Domicil, zurückkehrte.

Mehrere Tage hindurch sprach der Gras kein Wort, Er weigerte sich, die Besuche anzunehmen, die zu ihm kamen, und in der Nacht sah man ihn seine Lampe an. zünden und lange Stunden mit Schreiben oder mit Durchblättern von Pergamenten hinbringen.

Athos schrieb einen von seinen Briefen nach Vannes, einen anderen nach Fontainebleau; sie blieben ohne Antwort. Man weiß, warum Aramis Frankreich verlassen hatte; d’Artagnan reiste von Nantes nach Paris, von Paris nach Pierrefonds. Sein Kammerdiener bemerkte, daß er seinen Spaziergang jeden Tag um eine Strecke verkürzte. Die große Lindenallee wurde bald zu lang für die Füße, die sie einst tausendmal an einem Tag durchliefen. Man sah den Grafen mühsam zu den Bäumen in der Mitte gehen, sich aus eine Moosbank setzen, welche eine Seitenallee bogenförmig ausschnitt, und hier die Rückkehr der Kräfte oder vielmehr die Rückkehr der Nacht abzuwarten.

Bald entkräfteten ihn hundert Schritte. Endlich wollte Athos nicht mehr aufstehen, er wies jede Nahrung zurück, und erschrocken, obgleich er sich nicht beklagte, obgleich er stets das Lächeln aus den Lippen hatte, obgleich er fortwährend mit seinem sanften Ton sprach, holten seine Leute von Blois den alten Arzt des seligen Monsieur und führten ihn zu dem Grafen so, daß er diesen sehen konnte, ohne gesehen zu werden.

Sie stellten ihn zu diesem Ende in ein an das Zimmer des Kranken stoßendes Cabinet und baten ihn inständig, sich nicht zu zeigen, aus Furcht, dem Gebieter zu mißfallen, der keinen Arzt verlangt hatte.

Der Doctor gehorchte; Athos war eine Art von Muster für die Edelleute des Landes; Blois brüstete sich damit, diese heilige Reliquie des alten französischen Ruhmes zu besitzen; Athos war ein sehr vornehmer Mann im Vergleich mit den Adeligen, wie sie der König improvisirte, indem er mit seinem jungen und fruchtbaren Scepter die vertrockneten Stammbäume der Provinz berührte.

Man schätzte, man ehrte Athos, sagen wir, und man liebte ihn. Der Arzt konnte es nicht ertragen, seine Leute weinen und die Armen des Cantons, denen Athos das Leben und den Trost durch seine guten Worte und durch die Almosen gab, sich zusammenschaaren zu sehen. Er prüfte von seinem Verstecke aus den Gang des geheimnißvollen Uebels, das von Tag zu Tag tödtlicher einen Mann angriff, der kurz zuvor noch so voll Leben und Lebenslust.

Er bemerkte aus den Wangen von Athos den Purpur des Fiebers, das sich entzündet und nährt, ein langsames, unbarmherziges Fieber, geboren in einer Falte des Herzens, sich schützend hinter diesem Wall, zunehmend mit den Leiden, die es erzeugt, zugleich Ursache und Wirkung einer gefährlichen Lage.

Der Gras sprach mit Niemand, sagen wir, er sprach nicht einmal allein. Sein Geist fürchtete das Geräusch. Er berührte jenen Grad der Ueberreizung, die zunächst an die Extase grenzt. So absorbirt, gehört der Mensch, wenn er noch nicht Gott gehört, schon nicht mehr der Erde.

Der Doctor verweilte mehrere Stunden beim Studium dieses schmerzlichen Kampfes des Willens gegen eine höhere Macht; er erschrak, als er diese beständig starren, beständig aus das unbestimmte Ziel gehefteten Augen sah; er erschrak, als er mit derselben Bewegung dieses Herz klopfen sah, dessen Gewohnheit nie ein Seufzer veränderte; die Schärfe des Schmerzes bildet zuweilen die Hoffnung des Arztes.

So verging ein halber Tag. Der Doctor faßte seinen Entschluß als ein beherzter Mann und ein starker Geist; er verließ ungestüm seinen Winkel und ging gerade aus Athos zu; dieser sah ihn, ohne mehr Verwunderung zu bezeigen, als wenn er diese Erscheinung gar nicht begriffen hätte.

»Verzeiht, Herr Graf,« sagte der Doctor, indem er mit offenen Armen aus ihn zuging, »ich habe Euch einen Vorwurf zu machen. Ihr werdet mich verstehen.«

Und er setzte sich an das Bett von Athos, der nur mit großer Mühe aus seiner Versunkenheit heraustrat.

»Was gibt es, Doctor?« fragte der Graf nach einem Stillschweigen.

»Ihr seid krank, mein Herr, und Ihr laßt Euch nicht behandeln.«

»Ich, krank?« versetzte Athos lächelnd.

»Fieber, Abzehrung, Entkräftung, Herr Graf.«

»Entkräftung?« erwiederte Athos; »ist das möglich? ich stehe nicht auf.«

»Ah! ah! Herr Graf, keine Ausflüchte, ich bin ein guter Christ.«

»Ich glaube es.«

»Würdet Ihr Euch den Tod geben?«

»Nein, Doctor.«

»Wohl, mein Herr. Ihr seid sterbend; so bleiben ist ein Selbstmord; geneset, Herr Graf, geneset!«

»Von was? findet zuerst das Uebel, Ich habe mich nie besser befunden; nie hat mir der Himmel schöner geschienen, nie habe ich meine Blumen mehr geliebt.«

»Ihr habt einen verborgenen Kummer.«

»Verborgen! . . . nein, ich leide an der Abwesenheit meines Sohnes, Doctor, das ist mein ganzes Uebel, und ich verberge es nicht.«

»Herr Graf, Euer Sohn lebt, er ist stark, er hat die ganze Zukunft der Leute seines Verdienstes und seines Geschlechts; lebet für ihn.«

»Ich lebe ja, Doctor; oh! seid unbesorgt,« fügte er schmermüthig lächelnd bei, »so lange Raoul lebt, wird man es wissen, denn so lange er lebt, werde ich leben.«

»Was sagt Ihr?«

»Etwas ganz Einfaches. In diesem Augenblick lasse ich das Leben in mir schweben. Es wäre eine Aufgabe, die meine Kräfte übersteigen würde, das vergeßliche, das zerstreute, das gleichgültige Leben, wenn ich Raoul nicht da habe. Ihr verlangt von der Lampe nicht, daß sie brenne, wenn der Funke nicht die Flamme daran gehängt hat; verlangt nicht von mir, daß ich im Geräusch und in der Helle lebe. Ich vegetire, ich setze mich in Bereitschaft, ich warte. Doctor, erinnert Euch der Soldaten, die wir so oft mit einander in den Häfen sahen, wo sie auf die Einschiffung warteten; liegend, gleichgültig, halb aus einem Element, halb aus dem andern, waren sie weder an dem Ort, wohin das Meer sie bringen sollte, noch an dem, wo das Land sie verlieren sollte; das Gepäcke in Bereitschaft, den Geist gespannt, die Augen starr, warteten sie. Ich wiederhole es, dieses Wort ist dasjenige, welches mein gegenwärtiges Leben schildert. Liegend wie diese Soldaten, das Ohr gespannt gegen die Geräusche, die zu dir kommen,, will ich zum Ausbruch bereit sein beim ersten Ruf. Wer wird ihn an mich ergehen lassen? Gott oder Raoul? Mein Gepäcke ist gerüstet, meine Seele ist in Bereitschaft, ich erwarte das Signal . . . Ich warte, Doctor, ich warte!«

Der Doctor kannte die Gediegenheit dieses Geistes, er würdigte die Festigkeit dieses Körpers; er dachte einen Augenblick nach, sagte sich, Worte wären unnütz, Mittel albern, und ging weg, nachdem er die Diener von Athos ermahnt, ihren Herrn nicht einen Augenblick zu verlassen.

Als der Doctor weggegangen war, bezeigte Athos weder Zorn, noch Aerger darüber, daß man ihn gestört; er befahl nicht einmal, ihm die Briefe, welche eintreffen würden, schleunig zu übergeben; er wußte wohl, daß jede Zerstreuung, die ihm zukam, eine Freude, eine Hoffnung war, welche, um sie ihm zu verschaffen, seine Diener mit ihrem Blute bezahlt hätten.

 

Der Schlaf war selten geworden. In Folge anhaltenden Denkens vergaß sich Athos höchstens ein paar Stunden in einer tieferen, dunkleren Träumerei, welche Andere einen Traum genannt hätten. Diese augenblickliche Ruhe, die das Bergessen dem Körper gab, ermüdete die Seele, denn Athos lebte doppelt während dieser Wanderungen seines Geistes. In einer Nacht träumte er, Raoul kleide sich in einem Zelte an, um zu einer von Herrn von Beaufort in Person befehligten Expedition zu gehen. Der junge Mann war traurig, langsam schnallte er seinen Panzer an, langsam gürtete er sein Schwert um.

»Was habt Ihr denn?« fragte ihn zärtlich sein Vater.

»Was mich betrübt, ist der Tod von Porthos, von unserem so guten Freund,« erwiederte Raoul: »ich leide hier unter dem Schmerz, den Ihr dort empfinden werdet.«

Und die Vision verschwand mit dem Schlafe von Athos.

Bei Tagesanbruch trat einer von den Dienern bei seinem Herrn ein und übergab ihm einen von Spanien kommenden Brief.

»Die Handschrift von Aramis,« dachte der Graf.

Und er las.

»Porthos ist todt!« rief er nach den ersten Zeilen. »O Raoul, Raoul, ich danke Dir! Du hältst Dein Versprechen, Du benachrichtigst mich.«

Und von einem tödtlichen Schweiß ergriffen, wurde Athos in seinem Bette ohnmächtig, ohne eine andere Ursache, als seine Schwäche.

XXXI.
Vision von Athos

Als diese Ohnmacht von Athos aufgehört hatte, kleidete sich der Graf, der sich beinahe schämte, vor diesem übernatürlichen Ereigniß schwach geworden zu sein, an und verlangte ein Pferd, entschlossen, sich nach Blois zu begeben, um sicherere Correspondenzen, entweder mit Afrika, oder mit d’Artagnan oder mit Aramis anzuknüpfen.

Der Brief von Aramis belehrte den Grafen de la Fère vom schlechten Ausgang der Expedition von Belle-Isle, Er gab ihm über den Tod von Porthos genug Einzelheiten, daß das so zarte und so ergebene Herz von Athos bis in seinen letzten Fibern dadurch bewegt war.

Athos wollte also zu seinem Freunde Porthos. Um seinem alten Waffengefährten diese Ehre zu erweisen, gedachte er d’Artagnan zu benachrichtigen und diesen zu bewegen, die beschwerliche Reise nach Belle-Isle noch einmal zu machen und in seiner Gesellschaft die traurige Pilgerfahrt zum Grabe des Riesen, den er so sehr geliebt, zu vollbringen; dann wollte er in sein Haus zurückkehren, um dem verborgenen Einfluß zu gehorchen, der ihn aus geheimnißvollen Wegen zur Ewigkeit führte.

Doch kaum hatten die freudigen Diener ihren Herrn angekleidet, den sie mit Vergnügen sich zu einer Reise anschicken sahen, welche seine Schwermuth zerstreuen mußte, kaum war das sanfteste Pferd vom Stalle des Grafen gesattelt und vor die Freitreppe geführt, als der Vater von Raoul seinen Kopf in Verwirrung gerathen, seine Beine brechen fühlte und begriff, daß es ihm unmöglich war, einen Schritt mehr zu machen.

Er verlangte, in die Sonne getragen zu werden; man legte ihn aus seine Moosbank, wo er eine starke Stunde zubrachte, ehe er seine Lebensgeister wieder gesammelt hatte.

Nichts war natürlicher, als diese Erschlaffung nach der trägen Ruhe der letzten Tage. Athos nahm Fleischbrühe, um sich Kräfte zu geben, und benetzte seine trockenen Lippen mit einem Glase von dem Wein, den er am meisten liebte, wir meinen den Anjou-Wein, dessen der gute Porthos in seinem bewunderungswürdigen Testament erwähnt.

Wiedergestärkt, freien Geistes, ließ er sich nun sein Pferd vorführen; doch er bedurfte des Beistandes der Diener, um mühsam auf den Sattel zu gelangen.

Er machte keine hundert Schritte: der Schauer bemächtigte sich seiner an der Biegung des Weges.

»Das ist seltsam,« sagte er zu seinem Kammerdiener, der ihn begleitete.

»Halten wir an, Herr Graf, ich beschwöre Euch,« rief der getreue Diener. »Ihr erbleicht!«

»Das wird mich nicht abhalten, meine Straße zu verfolgen, da ich einmal aus dem Wege bin,« erwiederte der Graf.

Und er ließ dem Pferde wieder die Zügel.

Doch statt dem Gedanken seines Herrn zu gehorchen, blieb das Thier plötzlich stehen. Eine Bewegung, von der sich Athos keine Rechenschaft geben konnte, hatte das Gebiß angezogen.

»Es will Etwas, daß ich nicht weiter gehe,» sagte Athos. »Unterstützt mich,« fügte er, die Arme ausstreckend, bei; »geschwinde, kommt herbei! ich fühle alle meine Muskeln sich abspannen und werde vom Pferde fallen.«

Der Diener hatte die Bewegung, die sein Herr gemacht, zu gleicher Zeit gesehen, da er den Befehl erhalten. Er näherte sich rasch, empfing den Grafen in seinen Armen, und da man noch nicht fern genug vom Hause war, daß nicht die Knechte, welche aus der Schwelle stehen geblieben waren, um Herrn de la Fère wegreiten zu sehen, die Unordnung in dem sonst so regelmäßigen Marsche ihres Gebieters wahrgenommen hätten, so rief der Kammerdiener seine Kameraden mit der Stimme und Geberde, und Alle liefen voll Eifer herbei.

Kaum hatte Athos ein paar Schritte gemacht, um nach dem Hause zurückzukehren, als er sich wohler fühlte. Seine Stärke schien sich wieder zu beleben, und es kam ihm abermals der Wille, nach Blois zu reiten. Er ließ sein Pferd eine Volte machen. Doch bei dem ersten Schritte von diesem verfiel er wieder in den Zustand der Erschlaffung und der Bangigkeit.

»Ah!« murmelte er, »man will entschieden, daß ich zu Hause bleibe.«

Seine Leute näherten sich ihm; man hob ihn vom Pferde, und sie trugen ihn eiligst nach seinem Hause. Bald war Alles in seinem Zimmer bereitet; sie legten ihn in sein Bett.

»Ihr werdet wohl daraus Acht geben, daß ich noch heute Briefe von Africa erwarte,« sagte er, während er sich zum Schlafen anschickte.

»Der gnädige Herr wird ohne Zweifel mit Vergnügen erfahren, daß der Sohn von Blaisois zu Pferde gestiegen ist, um dem Courier von Blois eine Stunde voranzureiten,« erwiederte der Kammerdiener.

»Ich danke,« sprach Athos mit einem freundlichen Lächeln.

Der Graf entschlummerte; sein peinlicher Schlaf glich einem Leiden. Derjenige, welcher ihn aufweckte, sah in seinen Zügen zu wiederholten Malen den Ausdruck einer inneren Qual hervortreten. Vielleicht träumte Athos.

Der Tag verging. Der Sohn von Blaisois kam zurück. Der Courier hatte keine Neuigkeiten gebracht. Der Graf berechnete voll Verzweiflung die Minuten, er schauerte, wenn diese Minuten eine Stunde gebildet hatten. Es kam ihm einmal der Gedanke, man habe ihn dort vergessen, und das war ein grausamer Schmerz für das Herz des Vaters.

Niemand im Hause hoffte mehr, der Courier würde eintreffen, seine Stunde war schon lange vorüber. Viermal hatte der nach Blois abgeschickte eigene Bote seinen Ritt wiederholt, und nichts war an die Adresse des Grafen gekommen.

Athos wußte, daß dieser Courier nur einmal in der Woche kam. Es war also ein Verzug von acht tödtlichen Tagen zu erdulden.

Es begann die Nacht mit dieser schmerzlichen Ueberzeugung.

Alles, was ein kranker und durch das Leiden gereizter Mann an düsteren Muthmaßungen schon traurigen Wahrscheinlichkeiten beifügen kann, häufte Athos während der ersten Stunden dieser tödtlichen Nacht auf.

Das Fieber stieg; es ergriff die Brust, wo das Feuer bald fing, nach dem Ausdruck des Arztes, den man bei dem letzten Ritte des Sohnes von Blaisois von Blois zurückgebracht hatte.

Bald erreichte es auch den Kopf. Der Arzt nahm nach und nach zwei Aderlässe vor, die den Kopf frei machten, aber den Kranken schwächten und nur seinem Gehirn Thätigkeitskraft ließen.

Dieses furchtbare Fieber hatte indessen nachgelassen. Es belagerte mit seinen letzten Schlägen die erstarrten Extremitäten und hörte am Ende gänzlich aus, als es Mitternacht schlug.

Diese unbestreitbare Besserung gewahrend, kehrte der Arzt nach Blois zurück, nachdem er Einiges verschrieben und erklärt hatte, der Graf sei gerettet.

Da begann für Athos eine seltsame, unerklärliche Lage. Frei, zu denken, richtete sich sein Geist auf Raoul, auf seinen vielgeliebten Sohn. Seine Einbildungskraft zeigte ihm die Felder Africas in der Gegend von Gigelli, wo Herr von Beaufort mit seinem Heere hatte landen müssen.

Es waren graue Felsen, an gewissen Stellen Grün überzogen durch das Wasser des Meeres, wenn dieses die Küste während der Stürme peitscht.

Jenseits des Ufers, auf dem die Felsen wie Grabhügel zerstreut waren, erhob sich im Amphitheater, unter den Cactus und Mastirbäumen, eine Art von Flecken voll Rauch, voll dunklem Geräusche und ängstlichen Bewegungen.

Plötzlich löste sich aus dem Schooße dieses Rauches eine Flamme, welche, obgleich kriechend, stufenweise die ganze Oberfläche dieses Fleckens bedeckte, allmälig wuchs und in ihren rothen Wirbeln Alles, Geheule, Geschrei, zum Himmel emporgestreckte Arme, mit einander vermengte. Es war eine Zeit lang ein gräßlicher Durcheinander von einstürzenden Balken, zusammengedrehten Platten, verkalkten Steinen, gerösteten und verschwindenden Steinen.

In diesem Chaos, in dem Athos aufgehobene Arme erblickte, Schreie, Schluchzen, Stöhnen hörte, sah er seltsamer Weise nie eine menschliche Gestalt.

Die Kanonen donnerten in der Ferne, das Musketenfeuer prasselte, das Meer brüllte, die Herden entsprangen über die grünen Abhänge hinab. Doch kein Soldat, um die Lunte an die Batterien der Kanonen zu halten, kein Matrose, um dieser Flotte beim Manoeuvriren zu helfen, kein Hirte für diese Herden.

Nach der Einäscherung des Dorfes und der Zerstörung der Forts, die es beherrschten, Einäscherung und Zerstörung aus eine magische Weise ohne die Mitwirkung eines menschlichen Wesens vollbracht, erlosch die Flamme; der Rauch begann wieder auszusteigen, verlor dann seine Dichtheit, erbleichte und verdunstete sich völlig.

Nun wurde es Nacht in dieser Landschaft; eine undurchsichtige Nacht aus der Erde, eine glänzende am Firmament; die großen flammenden Sterne, welche am afrikanischen Himmel funkelten, glänzten, ohne etwas Anderes zu erhellen, als sich selbst um sich her.

Es trat eine lange Stille ein; sie diente dazu, einen Augenblick die erhitzte Einbildungskraft von Athos ausruhen zu lassen, und da er fühlte, daß das, was er zu sehen hatte, nicht beendigt war, so richtete er aufmerksamer die Blicke seines Verstandes aus das seltsame Schauspiel, das ihm seine Einbildungskraft vorbehielt.

Bald nahm dieses Schauspiel für ihn seinen Fortgang.

Ein sanfter, bleicher Mond erhob sich hinter den Bergabhängen der Küste, und Anfangs die wogenden Falten des Meeres beschimmernd, das nach dem Brüllen, welches es während der Vision von Athos hatte vernehmen lassen, sich beruhigt zu haben schien, heftete dieser Mond seine Diamanten und seine Opale an die Gesträuche und Baumgruppen des Berges.

Wie eben so viele stillschweigende und aufmerksame Gespenster, schienen die grauen Felsen ihre grünlichen Häupter zu erheben, um auch das Schlachtfeld beim Mondschein zu betrachten, und Athos bemerkte, daß dieses während des Kampfes völlig leere Feld nun mit erschlagenen Leibern bestreut war.

Ein unaussprechlicher Schauer der Angst und des Schreckens ergriff seine Seele, als er die weiß und blaue Uniform der Soldaten von Picardie, ihre langen Piken mit dem blauen Schaft und ihre am Kolben mit der Lilie bezeichneten Musketen erkannte;

Als er alle diese klaffenden, kalten Wunden zum azurnen Himmel hinausschauen sah, als wollten sie von ihm die Seelen verlangen, denen sie Durchgang gewährt hatten!

Als er die Pferde mit aufgeschlitztem Bauch, die Zunge über die Lippen heraushängend, in dem um sie her verbreiteten, zu Eis erstarrten Blut liegen sah, das ihre Schabraken und ihre Mähnen beschmutzte;

Als er den Schimmel von Herrn von Beaufort mit zerschmettertem Kopf in der ersten Reihe auf dem Felde der Todten ausgestreckt sah.

Athos fuhr mit einer kalten Hand über seine Stirne und wunderte sich, daß er sie nicht glühend fand. Er überzeugte sich durch diese Berührung, daß er als ein fieberloser Zuschauer dem Tage nach einer Schlacht beiwohnte, welche aus der Küste von Gigelli das Expeditionsheer geliefert, das er Frankreichs Gestade verlassen und am Horizont hatte verschwinden sehen, von dem er mit dem Geiste und mit der Geberde bei dem letzten Schimmer des Kanonenschusses Abschied genommen, welchen der Herzog als Lebewohl dem Vaterlande zugesandt.

Wer vermöchte zu schildern, mit welcher tödtlichen Zerrissenheit seine Seele, wie ein wachsames Auge der Spur dieser Leichname folgend, sie alle einen nach dem andern betrachtete, um zu ergründen, ob unter ihnen nicht Raoul schliefe. Wer vermöchte die berauschende, göttliche Freude auszudrücken, mit der sich Athos vor Gott verbeugte und ihm dankte, daß er denjenigen nicht erschaut, welchen er mit so großer Angst unter den Todten gesucht.

 

In ihrer Reihe niedergefallen, starr, eiskalt, schienen in der That alle diese wohl erkennbaren Todten gefällig und ehrerbietig sich gegen den Grafen de la Fère zu wenden, um besser von ihm während seiner Leicheninspection gesehen zu werden.

Aber er wunderte sich, indem er alle diese Leichname sah, daß er die Ueberlebenden nicht erblickte.

Er war zu dem Grade der Illusion gelangt, daß diese Vision für ihn eine wirkliche Reise war, eine Reise gemacht vom Vater in Africa, um genauere Auskunft über den Sohn zu erhalten.

Müde, so viele Meere und Continente durchlaufen zu haben, suchte er unter einem von den, hinter dem Obdach eines Felsen verborgenen, Zelten auszuruhen, auf deren Gipfel die weiße Rittersahne mit den Lilien flatterte.

Er suchte einen Soldaten, um zum Zelte von Herrn von Beaufort geführt zu werden.

Während nun sein Blick in der Ebene umherschweifte und sich nach allen Seiten wandte, sah er eine weiße Gestalt hinter den harzigen Myrrhen erscheinen.

Die Gestalt hatte die Tracht eines Officiers und hielt in ihrer Hand einen zerbrochenen Degen; sie schritt langsam auf Athos zu; dieser blieb plötzlich stehen, heftete seinen Blick aus die Gestalt, sprach nicht, rührte sich nicht und wollte nur seine Arme öffnen, weil er in dem schweigsamen, bleichen Officier Raoul erkannt hatte.

Der Gras versuchte einen Schrei, doch er blieb erstickt in seiner Kehle. Raoul bedeutete durch eine Geberde, indem er einen Finger aus seinen Mund legte, er möge schweigen, und wich allmälig zurück, ohne daß Athos seine Beine sich bewegen sah.

Bleicher, zitternder, als Raoul, folgte der Graf seinem Sohn mühsam durch Heidekraut und Gebüsche, über Steine und durch Gräben schreitend. Der zärtliche Vater, dessen Kräfte die Liebe verdoppelte, versuchte eine letzte Bewegung und erstieg den Berg hinter dem Sohn, der ihn durch seine Geberde und durch sein Lächeln nachzog.

Endlich erreichte er den Kamm des Berges und sah schwarz von dem durch den Mond geweißten Horizont die lustigen, poetischen Formen von Raoul sich abheben. Athos streckte seine Hand aus, um aus dem Plateau zu seinem geliebten Sohne zu gelangen, und dieser streckte auch die Hand aus; doch plötzlich, als würde der junge Mann unwillkürlich fortgezogen, verließ er, beständig zurückweichend, die Erde, und Athos sah den klaren Himmel zwischen den Füßen seines Kindes und dem Boden des Hügels glänzen.

Raoul erhob sich unmerklich, immer lächelnd, immer mit der Geberde rufend, in den leeren Raum; er entfernte sich zum Himmel.

Athos stieß einen Schrei erschrockener Zärtlichkeit aus; er schaute nach unten. Man sah ein zerstörtes Lager und, wie unbewegliche Atome, alle die weißen Leichname vom königlichen Heere.

Und dann sah er, das Haupt erhebend, immer, immer seinen Sohn, der ihn einlud, mit ihm auszusteigen.