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Der Graf von Bragelonne

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»Ich verstehe, Sire, Eure Majestät zweifelt an meinem Wort, und sie hat Recht! doch wenn ich so rasch gekommen bin, ist es wahrhaftig ein Wunder. Man schickte mir aus England drei Paar Pferde, welche, wie man mich versicherte, sehr rasch sein sollten; sie waren von vier zu vier Stunden aufgestellt, und ich probirte sie diesen Abend. Sie haben in der That den Weg von Vaux nach dem Louvre in anderthalb Stunden zurückgelegt, und Eure Majestät sieht, daß ich nicht betrogen worden bin.«

Die Königin Mutter lächelte mit einem geheimen Neid.

Fouquet kam diesem schlimmen Gedanken entgegen und fügte rasch bei:

»Solche Pferde, Madame, sind auch nicht für Unterthanen, sondern für Könige gemacht, denn die Könige dürfen nie irgend Jemand, in was es auch sein mag, nachstehen.«

Der König erhob das Haupt.

»Ihr seid aber nicht König, daß ich wüßte, Herr Fouquet,« sprach Anna von Oesterreich.

»Madame, die Pferde warten auch nur auf einen Wink Seiner Majestät, um in die Ställe des Louvre geführt zu werden; und wenn ich mir dieselben zu probiren erlaubt habe, so geschah es nur in der Furcht, ich dürfte dem König etwas anbieten, was nicht gerade ein Wunder wäre.«

Der König wurde sehr roth.

»Ihr wißt, Herr Fouquet,« erwiederte die Königin Mutter, »es ist nicht der Brauch am Hof von Frankreich, daß ein Unterthan seinem König etwas anbietet,«

Ludwig machte eine Bewegung.

»Madame,« entgegnete Fouquet sehr bewegt, »ich hoffte, meine Liebe für Seine Majestät, mein unablässiges Verlangen, ihr zu gefallen, würden diesem Grund der Etiquette als Gegengewicht dienen. Uebrigens war es nicht ein Geschenk, was ich anzubieten mir erlaubte, sondern ein Tribut, den ich entrichten wollte.«

»Ich danke, Herr Fouquet,« sagte der König mit höflichem Ton, »ich bin Euch erkenntlich für die Absicht, denn ich liebe in der That die guten Pferde; aber Ihr wißt, daß ich nicht reich bin; Ihr wißt es besser, als irgend Jemand, Ihr, mein Oberintendant der Finanzen. Ich kann also, selbst wenn ich wollte, ein so theures Gespann nicht kaufen.«

Fouquet schleuderte einen Blick voll Stolz der Königin Mutter zu, welche über die falsche Stellung des Ministers zu triumphiren schien und erwiederte:

»Der Luxus ist die Tugend der Könige, Sire; der Luxus macht sie Gott ähnlich; durch den Luxus sind sie mehr als die anderen Menschen. Mit dem Luxus nährt und ehrt ein König seine Unterthanen. Unter dem sanften Luxus der Könige entsteht der Luxus der Privatleute, eine Quelle der Reichthümer des Volks. Durch die Annahme des Geschenkes von sechs unvergleichlichen Pferden hätte Seine Majestät die Eitelkeit der Züchter unseres Landes, des Limousin, des Perche, der Normandie, gestachelt, und ein für Alle nützlicher Wetteifer wäre daraus entstanden . . . doch der König schweigt und ich bin folglich verurtheilt.«

Während dieser Zeit machte Ludwig XIV., um sich eine Haltung zu geben, das Papier von Mazarin, auf das er noch keinen Blick geworfen hatte, auf und zu.

Endlich verweilte sein Auge darauf, und schon bei der ersten Zeile stieß er einen leichten Schrei aus.

»Was gibt es denn, mein Sohn?« fragte Anna von Oesterreich, indem sie sich rasch dem König näherte.

»Vom Cardinal,« antwortete der König fortfahrend . . . »Ja, ja, das ist gut von ihm.«

»Geht es ihm denn schlimmer?«

»Leset,« sprach der König und gab das Papier seiner Mutter, als dächte er, Anna von Oesterreich müßte nothwendig lesen, um sich von einer so erstaunlichen Sache, wie die, welche das Papier enthielt, zu überzeugen.

Anna von Oesterreich las ebenfalls. Während sie las, funkelten ihre Augen von einer immer lebhafteren Freude, welche sie vergebens zu verbergen suchte, und die die Blicke von Fouquet anzog.

»Ja, eine förmliche Schenkung,« sagte sie.

»Eine Schenkung?« wiederholte Fouquet.

»Ja,« sagte der König, dem Oberintendanten der Finanzen besonders antwortend, »ja, auf dem Punkte, zu sterben, macht mir der Herr Cardinal eine Schenkung mit seinem ganzen Vermögen.«

»Vierzig Millionen I« rief die Königin. »Ah! mein Sohn, das ist ein schöner Zug vom Herrn Cardinal, der vielen böswilligen Gerüchten widersprechen wird; vierzig Millionen, langsam aufgehäuft, fließen so mit einem Schlag in Masse in den königlichen Schatz; . . . das ist die Handlungsweise eines treuen Untertanen und eines wahren Christen.«

Und nachdem sie noch einmal ihre Augen auf die Urkunde geheftet hatte, gab sie dieselbe Ludwig XIV. zurück, den das Aussprechen dieser ungeheuren Summe ganz zittern machte.

Fouquet war einige Schritte rückwärts gegangen und schwieg.

Der König reichte ihm das Papier ebenfalls.

Der Oberintendant verweilte nur eine Secunde mit seinem hoffärtigen Blick darauf. Dann verbeugte er sich und sprach:

»Ja, Sire, eine Schenkung, wie ich sehe,«

»Ihr müßt antworten, mein Sohn,« rief Anna von Oesterreich.

»Wie dies, Madame?«

»Durch einen Besuch beim Cardinal.«

»Aber ich habe Seine Eminenz erst vor einer Stunde verlassen.«

»Dann schreibt, Sire.«

»Schreiben!» rief der junge König mit einem Widerstreben.

»Ei! mein Sohn,« sagte Anna von Oesterreich, »mir scheint, ein Mann, der ein solches Geschenk gemacht hat, ist wohl berechtigt, zu erwarten, daß man ihm mit einiger Eile, dankt.«

Dann sich gegen den Oberintendanten umwendend:

»Ist das nicht Eure Ansicht, Herr Fouquet?«

»Das Geschenk ist wohl der Mühe werth, ja, Madame,« erwiederte her Oberintendant mit einem Adel, welcher dem König nicht entging.

»Nehmt es also an und dankt,« sprach Anna von Oesterreich.

»Was sagt Herr Fouquet?« fragte Ludwig XIV.

»Seine Majestät will meine Ansicht wissen?«

»Ja.«

»Dankt, Sire . .

»Ah!« machte Anna von Oesterreich.

»Doch nehmt nicht an,« fuhr Fouquet fort.

»Warum nicht?« fragte Anna von Oesterreich.

»Ihr habt es selbst gesagt, Madame,« erwiederte Fouquet, »weil die Könige von ihren Unterthanen Geschenke weder annehmen können, noch dürfen.«

Der König blieb stumm zwischen diesen zwei so sehr entgegengesetzten Ansichten.

»Aber vierzig Millionen!« sagte Anna von Oesterreich.

»Ich weiß es,« sprach Fouquet lachend, »vierzig Millionen sind eine schöne Summe, und eine solche Summe könnte sogar das Gewissen eines Königs in Versuchung führen.«

»Aber, mein Herr,« entgegnete Anna von Oesterreich, »statt den König von der Annahme dieses Geschenkes abwendig zu machen, bemerkt lieber Seiner Majestät, Ihr, dessen Amt es ist, daß diese vierzig Millionen ein Vermögen bilden.«

»Gerade, Madame, weil diese vierzig Millionen ein Vermögen bilden, sage ich zum König: »»Sire, es ist nicht schicklich, daß ein König von einem Unterthanen sechs Pferde von zwanzigtausend Livres annimmt, es ist entehrend, daß er sein Vermögen einem andern Unterthanen zu verdanken hat, der mehr oder minder ängstlich in der Wahl der Materialien war, welche zur Erbauung dieses Vermögens beitrugen.««

»Mein Herr, es steht Euch nicht an, dem König eine Lection zu geben,« sagte Anna von Oesterreich; »verschafft ihm eher vierzig Millionen, um die zu ersetzen, welche Ihr ihn verlieren macht.«

»Der König wird sie haben, sobald er will,« sprach der Oberintendant der Finanzen sich verbeugend.

»Ja, indem Ihr sie vom Volk herauspreßt,« sagte Anna von Oesterreich.

»Ei! Madame,« entgegnete Fouquet, »ist das Volk nicht auch gepreßt worden, als man es die durch diese Urkunde geschenkten vierzig Millionen schwitzen ließ? Uebrigens hat mich Seine Majestät um meine Ansicht gefragt und ich habe sie ausgesprochen; Seine Majestät verlange meine Mitwirkung, und ich werde bemüht sein, zu wirken.«

»Auf, auf, mein Sohn, nehmt das Geschenk an,« sprach Anna von Oesterreich, »Ihr steht über den Deutungen und Gerüchten.«

»Weigert Euch, Sire,« sagte Fouquet. »So lange ein König lebt, hat er kein anderes Niveau, als sein Gewissen, keinen anderen Richter, als seinen Wunsch: doch ist er todt, so hat er die Nachwelt, die ihm Beifall spendet, oder ihn anklagt.«

»Ich danke, meine Mutter,« sprach Ludwig XIV., sich ehrfurchtsvoll vor der Königin verbeugend; »ich danke, Herr Fouquet,« sagte er höflich, den Oberintendanten entlassend.

»Nehmt Ihr an?« fragte abermals Anna von Oesterreich.

»Ich werde es mir überlegen,« antwortete der König und schaute dabei Fouquet an.

VIII.
Todeskampf

An demselben Tag, wo die Schenkung dem König überschickt worden war, hatte sich der Cardinal nach Vincennes bringen lassen. Der König und der Hof waren ihm gefolgt. Der letzte Schimmer dieser Fackel verbreitete noch Glanz genug, um in seiner Strahlung alle andere Lichter zu verschlingen. Als ein getreuer Trabant seines Ministers, ging der junge Ludwig XIV., wie man steht, bis zum letzten Augenblick in der Richtung seiner Gravitation. Das Uebel hatte sich nach der Vorhersagung von Guénaud verschlimmert; es war nicht mehr ein Gichtanfall, sondern ein Todesanfall. Dann gab es einen Umstand, der für den mit dem Tode Ringenden ganz besonders gefahrvoll war: die Angst, in welche sein Geist die an den König abgesandte Schenkung versetzte, welche Ludwig XIV., nach den Worten von Colbert, dem Cardinal nicht angenommen zurückschicken sollte. Der Cardinal hatte, wie wir gesehen, großes Vertrauen zu den Weissagungen seines Secretaire; doch die Summe war stark, und wie bedeutend auch das Genie von Colbert sein mochte, so dachte doch von Zeit zu Zeit der Cardinal, auch der Theatiner könne sich täuschen, und es gebe wenigstens ebenso viel Chancen, daß er nicht verdammt werde, als vorhanden seien, daß Ludwig XIV. ihm seine Millionen zurückschicke.

Je mehr die Schenkung zurückzukehren zögerte, desto mehr fand überdies Mazarin, vierzig Millionen lohnen sich schon der Mühe, daß man etwas wage, und besonders etwas so Hypothetisches wie die Seele.

 

In seiner Eigenschaft als Cardinal und erster Minister war Mazarin etwas Atheist und ganz und gar Materialist.

So oft die Thüre sich öffnete, wandte er sich daher rasch um, im Glauben, seine unglückliche Schenkung würde durch diese Thüre zurückkehren; doch in seiner Hoffnung getäuscht, legte er sich mit einem Seufzer wieder nieder, und nahm seinen Schmerz um so heftiger wieder auf, als er ihn einen Augenblick vergessen hatte.

Anna von Oesterreich war auch dem Cardinal gefolgt; ihr Herz, obgleich durch das Alter selbstsüchtig geworden, konnte es sich nicht versagen, diesem Sterbenden eine Traurigkeit kundzugeben, die sie ihm, wie die Einen sagten, als Frau, wie die Andern sagten, als Souverainin schuldig war.

Sie hatte gewissermaßen die Gesichtstrauer zum Voraus angelegt, und der ganze Hof trug diese mit ihr.

Um nicht auf seinem Antlitz zu zeigen, was in der Tiefe seiner Seele vorging, blieb Ludwig hartnäckig in seinem Zimmer eingeschlossen, wo ihm seine Amme allein Gesellschaft leistete; je näher er sich dem Ziele sah, wo jeder Zwang für ihn aufhören würde, desto demüthiger und geduldiger machte er sich, desto mehr zog er sich, wie alle starken Menschen, die einen Plan haben, in sich selbst zurück, um sich im entscheidenden Augenblick mehr Federkraft zu verleihen.

Man hatte insgeheim die letzte Oelung dem Cardinal gegeben, der, getreu seiner Gewohnheit, sich zu verstellen, gegen den Anschein und selbst gegen die Wirklichkeit kämpfte und in seinem Bett empfing, als wäre er nur von einem vorübergehenden Uebel befallen worden.

Guénaud beobachtete seinerseits das vollkommenste Stillschweigen; von allen Seiten mit Fragen bedrängt, antwortete er nichts, wenn nicht: »Seine Eminenz ist noch voll Jugend und Kraft; doch Gott will, was er will, und wenn er beschließt, das menschliche Gebäude soll einstürzen, so stürzt es auch nothwendig ein.«

Diese Worte, die er mit einer Art von Discretion, von Zurückhaltung, und gleichsam vorzugsweise ausstreute, wurden von zwei Personen mit großem Interesse erläutert: vom König und vom Cardinal.

Trotz der Prophezeiung von Guénaud, hinterging sich Mazarin fortwährend, oder besser gesagt, er spielte seine Rolle so gut, daß die Feinsten, indem sie sagten, er hintergehe sich, bewiesen, daß sie von ihm bethört waren.

Seit zwei Tagen vom Cardinal entfernt, das Auge starr auf die Schenkung geheftet, die den Cardinal so stark beschäftigte, wußte Ludwig nicht genau, woran Mazarin war. Die väterlichen Ueberlieferungen verfolgend, war Ludwig XIV. bis dahin so wenig König gewesen, daß, so glühend er sich auch nach dem Königthum sehnte, seine Sehnsucht doch von jener Angst begleitet war, welche das Unbekannte stets einflößt. Nachdem er seinen Entschluß gefaßt hatte, den er übrigens Niemand mittheilte, beschloß er auch, von Mazarin eine Zusammenkunft zu verlangen.

Anna von Oesterreich, welche beständig beim Cardinal verweilte, hörte zuerst diesen Vorschlag des Königs, der, als sie ihn dem Sterbenden eröffnete, diesen beben machte.

In welcher Absicht verlangte Ludwig XlV. eine Zusammenkunft? Geschah es, um zurückzugeben, wie Colbert gesagt hatte? Geschah es, um nach einer Danksagung zu behalten, wie Mazarin dachte? Nichtsdestoweniger zögerte der Sterbende nicht einen Augenblick, da er fühlte, wie diese Ungewißheit sein Uebel noch verschlimmerte.

»Seine Majestät wird sehr willkommen sein, ja, sehr willkommen, « rief er, indem er Colbert, welcher am Fuße seines Bettes saß, ein Zeichen machte, das dieser vollkommen verstand. »Madame,« fuhr Mazarin fort, »würde Eure Majestät wohl so gut sein, den König selbst der Wahrheit dessen, was ich gesagt habe, zu versichern?«

Anna von Oesterreich stand auf; es drängte sie auch, Gewißheit über den Punkt der vierzig Millionen zu erhalten, die der dumpfe Gedanke von Jedermann waren.

Sobald Anna von Oesterreich sich entfernt hatte, erhob sich Mazarin mit großer Anstrengung gegen Colbert und sagte:

»Nun, Colbert, das waren zwei unglückliche Tage! zwei tödtliche Tage, und Du siehst, es ist nichts von dort zurückgekehrt.«

»Geduld, Monseigneur,« erwiederte Colbert.

»Bist Du ein Narr, Unglücklicher! Du räthst mir Geduld! Oh! wahrhaftig, Colbert, Du spottest meiner: ich sterbe, und Du schreist mir zu, ich soll warten.«

»Monseigneur,« entgegnete Colbert mit seiner gewöhnlichen Kaltblütigkeit, »es ist unmöglich, daß die Dinge nicht gehen, wie ich gesagt habe. Seine Majestät kommt, um Euch zu besuchen, und sie will Euch selbst die Schenkung zurückbringen.«

»Du glaubst? Ich bin im Gegentheil sicher, daß Seine Majestät kommt, um mir zu danken.«

Anna von Oesterreich kehrte in diesem Augenblick zurück: sie hatte auf dem Wege zu ihrem Sohne in einem Vorzimmer einen neuen Quacksalber getroffen. Es handelte sich um ein Pulver, das den Cardinal retten sollte. Anna von Oesterreich brachte eine Probe von diesem Pulver.

Aber das war es nicht, was Mazarin erwartete, er wollte es auch gar nicht anschauen, und versicherte, das Leben sei nicht alle die Mühe werth, die man sich gebe, um es zu erhalten.

Doch indeß er dieses philosophische Axiom aussprach, entschlüpfte ihm sein so lange zurückgehaltenes Geheimniß.

»Madame,« sagte er, »das ist nicht das Wesentliche bei der Lage der Dinge. Ich habe dem König schon vor zwei Tagen eine kleine Schenkung gemacht: aus Zartgefühl wollte Seine Majestät ohne Zweifel bis jetzt nicht darüber sprechen; doch der Augenblick der Erklärungen ist gekommen, und ich flehe Eure Majestät an, mir zu sagen, ob der König einige Gedanken über diesen Gegenstand hat.«

Anna von Oesterreich machte eine Bewegung, um zu antworten. Mazarin hielt sie zurück und sprach:

»Die Wahrheit, Madame, im Namen des Himmels, die Wahrheit! schmeichelt nicht einem Sterbenden mit leerer Hoffnung.«

Hier hielt er inne, ein Blick von Colbert sagte ihm, er sei im Begriff, einen falschen Weg einzuschlagen.

»Ich weiß,« sagte Anna von Oesterreich, indem sie die Hand des Cardinals ergriff, »ich weiß, daß Ihr großmüthig, nicht eine kleine Schenkung, wie Ihr es so bescheiden nennt, sondern ein prachtvolles Geschenk gemacht habt. Ich weiß, wie schmerzlich es Euch wäre, wenn der König . . . «

Mazarin horchte, so sterbend er auch war, wie es zehn Lebendige nicht hätten thun können.

»Wenn der König?« wiederholte er.

»Wenn der König,« fuhr Anna von Oesterreich fort, »nicht mit freudigem Herzen annähme, was Ihr so edelmüthig bietet,«

Mazarin sank auf sein Kopfkissen zurück, wie Pantalon, nämlich mit der ganzen Verzweiflung des Menschen, der sich dem Schiffbruch überläßt; doch er behielt immer noch genug Kraft und Geistesgegenwart, um Colbert einen von jenen Blicken zuzuwerfen, welche Sonnette, das heißt, lange Gedichte werth sind.

»Nicht wahr,« fügte die Königin bei, »Ihr hättet die Weigerung des Königs als eine Art von Beleidigung betrachtet?«

Mazarin wälzte seinen Kopf auf dem Kissen hin und her, ohne eine Sylbe zu erwiedern.

Die Königin täuschte sich, oder gab sich den Anschein, als täuschte sie sich über die Bedeutung dieser Geberde.

»Ich habe ihn auch mit gutem Rath unterstützt,« fuhr sie fort, »und da gewisse Geister, ohne Zweifel eifersüchtig auf den Ruhm, den Ihr durch diese Großmuth erlangen werdet, dem König zu beweisen trachteten, er müßte diese Schenkung ausschlagen, so kämpfte ich zu Euren Gunsten, und zwar so gut, daß Ihr hoffentlich dieser Unannehmlichkeit nicht ausgesetzt sein werdet.«

»Ah!« murmelte Mazarin mit verscheidenden Augen, »ah! das ist ein Dienst, den ich während der wenigen Stunden, die mir noch zu leben bleiben, nicht eine Minute vergessen werde.«

»Ich muß übrigens sagen,« fuhr Anna von Oesterreich fort, »ich habe diesen Dienst Eurer Eminenz nicht ohne Mühe geleistet.«

»Ah! Teufel! ich glaube es wohl. Oh! oh!«

»Mein Gott! was habt Ihr denn?«

»Ich brenne.«

»Ihr leidet also sehr?«

»Wie ein Verdammter.«

Colbert wäre gern unter den Boden verschwunden.

»Somit,« sagte Mazarin, »somit denkt also Eure Majestät, der König (er hielt einige Secunden inne), der König komme hierher, um mir ein wenig zu danken?«

»Ich glaube es . . . « sprach die Königin.

Mazarin schmetterte Colbert mit seinem letzten Blick nieder.

In diesem Augenblick verkündigten die Huissiers den König in den mit Menschen gefüllten Vorzimmern: diese Ankündigung brachte eine geräuschvolle Bewegung hervor, welche Colbert benützte, um sich durch die Thüre des Bettgangs wegzuschleichen. Anna von Oesterreich erhob sich und erwartete ihren Sohn stehend. Ludwig XIV. erschien auf der Schwelle, die Augen auf den Sterbenden geheftet, der sich nicht einmal mehr die Mühe gab, sich dieser Majestät zu Liebe, von der er nichts mehr erwarten zu dürfen glaubte, zu rühren.

Ein Huissier rollte einen Lehnstuhl vor das Bett. Ludwig grüßte seine Mutter, dann den Cardinal, und setzte sich. Die Königin setzte sich ebenfalls.

Der König schaute zurück; der Huissier begriff diesen Blick, machte ein Zeichen, und was von Höflingen an den Thürvorhängen geblieben war, entfernte sich sogleich.

Mit den Thürvorhängen fiel das Stillschweigen in das Gemach zurück.

Noch sehr jung und sehr schüchtern vor demjenigen, welcher seit seiner Geburt sein Meister gewesen war, achtete der König diesen noch mehr in der erhabenen Majestät des Todes; er wagte es nicht, das Gespräch anzuknüpfen, denn er fühlte, jedes Wort müßte eine Bedeutung nicht nur für die Dinge dieser Welt, sondern auch für die der andern haben.

Der Cardinal hatte in diesem Augenblick nur einen Gedanken: seine Schenkung, Es war nicht der Schmerz, was ihm die niedergeschlagene Miene und den düsteren Blick verlieh; es war die Erwartung des Dankes, der aus dem Munde des Königs kommen und jede Hoffnung auf Wiedererstattung kurz abschneiden würde.

Mazarin brach zuerst das Stillschweigen und sagte:

»Eure Majestät hat ihren Aufenthalt in Vincennes genommen?«

Ludwig machte ein Zeichen mit dem Kopf.

»Das ist eine Huld, die sie einem Sterbenden währt, dem der Tod dadurch versüßt wird,« fuhr Mazarin fort.

»Ich hoffe,« erwiederte der König, »ich besuche nicht einen Sterbenden, sondern einen der Heilung fähigen Kranken.«

Mazarin machte eine Bewegung, welche bedeutete:

»Eure Majestät ist sehr gut; doch ich weiß mehr hierüber, als sie.«

»Der letzte Besuch, Sire, der letzte,« sagte der Cardinal.

»Wenn dem so wäre, Herr Cardinal,« sprach Ludwig XlV., »so käme ich, um mich zum letzten Mal bei einem Führer Raths zu erholen, dem ich Alles zu verdanken habe.«

Anna von Oesterreich war Weib: sie konnte sich ihrer Thränen nicht mehr erwehren. Ludwig zeigte sich selbst sehr bewegt, und Mazarin mehr noch, als seine zwei Gäste, doch aus anderen Gründen. Hier trat wieder ein Stillschweigen ein. Die Königin trocknete ihre Wangen, und Ludwig gewann mittlerweile wieder Festigkeit.

»Ich sagte, ich habe Eurer Eminenz viel zu verdanken,« fuhr der König fort.

Die Augen des Cardinals verschlangen Ludwig XIV., denn er fühlte den entscheidenden Augenblick kommen.

»Und,« sprach der König, »der Hauptgegenstand meines Besuches ist ein aufrichtiger Dank für den letzten Beweis von Freundschaft, den Ihr mir zuzusenden die Güte hattet.«

Die Wangen des Cardinals wurden hohl, seine Lippen öffneten sich leicht, und der kläglichste Seufzer, den er je ausgestoßen, schickte sich an, aus seiner Brust hervorzubrechen.

»Sire,« sprach er, »ich werde meine arme Familie berauben, ich werde alle die Meinigen zu Grunde gerichtet haben; doch man wird wenigstens nicht sagen können, ich habe mich geweigert, meinem König Alles zu opfern.«

Anna von Oesterreich fing wieder an zu weinen.

»Mein lieber Mazarin,« sagte der König mit einem ernsteren Tone, als man von seiner Jugend hätte erwarten sollen, »Ihr habt mich schlecht verstanden, wie ich sehe.«

Mazarin erhob sich auf seinen Ellenbogen.

»Es handelt sich hier nicht darum. Eure theure Familie zu Grunde zu richten oder Eure Diener zu berauben; oh! nein, das wird nicht geschehen.«

»Ah! er will mir einen Brocken zurückgeben,« dachte Mazarin, »wir wollen das größtmögliche Stück ziehen.«

»Der König wird weich werden und den Großmüthigen spielen,« dachte die Königin, »doch wir wollen nicht zugeben, daß er sich arm macht; eine solche Gelegenheit, Vermögen zu erlangen, wird sich nie mehr zeigen.«

»Sire,« sprach laut der Cardinal, »meine Familie ist sehr zahlreich, und meine Nichten werden jeder Unterstützung beraubt sein, wenn ich nicht mehr bin . . . «

»Oh! seid unbesorgt wegen Eurer Familie, lieber Herr Mazarin,« unterbrach ihn rasch die Königin, »wir werden keine kostbareren Freunde haben, als Eure Freunde. Eure Nichten werden meine Kinder, die Schwestern Seiner Majestät sein, und wenn eine Gunst in Frankreich ausgetheilt wird, so soll sie denjenigen zufallen, welche Ihr liebt.«

 

»Rauch!« dachte Mazarin, der besser als irgend Jemand wußte, wie weit man auf die Versprechungen der Könige bauen darf.

Ludwig las den Gedanken des Sterbenden in seinem Gesicht.

»Beruhigt Euch, Herr von Mazarin,« sagte er mit einem unter seiner Ironie halbtraurigen Lächeln, »die Fräulein von Mancini werden, wenn sie Euch verlieren, ihr kostbarstes Gut verlieren; sie werden aber darum nicht minder die reichsten Erbinnen Frankreichs bleiben, und da Ihr die Güte haben wolltet, mir ihre Mitgift zu schenken . . . «

Der Cardinal keuchte.

»So gebe ich sie ihnen zurück,« sprach Ludwig, indem er aus seiner Brust das Pergament zog und gegen das Bett des Cardinals ausstreckte, das Pergament, das die Schenkung enthielt, welche seit zwei Tagen so viele Stürme im Innern von Mazarin erregt hatte.

»Was sagte ich Euch?« murmelte im Bettgang eine Stimme, welche wie ein Hauch vorüberging.

»Eure Majestät gibt mir meine Schenkung zurück!« rief Mazarin, so sehr von der Freude ergriffen, daß er seine Wohlthäterrolle darüber vergaß.

»Ja, Herr Cardinal, ja, Madame,« antwortete Ludwig XIV. und zerriß das Pergament, das Mazarin noch nicht zurückzunehmen gewagt hatte. »Ja, ich vernichte diese Urkunde, welche eine ganze Familie beraubt. Das Vermögen, das Seine Eminenz in meinem Dienst erworben hat, ist ihr Vermögen und nicht das meinige.«

»Aber, Sire,« rief Anna von Oesterreich, »bedenkt Eure Majestät, daß sie nicht zehntausend Thaler in ihren Kassen hat?«

»Madame, ich habe meine erste königliche Handlung vollbracht, und ich hoffe, sie wird meine Regierung würdig einweihen.«

»Ah! Sire, Ihr habt Recht,« rief Mazarin, »was Ihr gethan habt, ist wahrhaft groß, wahrhaft edelmüthig.«

Und er schaute, eines nach dem andern, die auf seinem Bett zerstreuten Stücke der Urkunde an, um sich zu überzeugen, man habe das Original und nicht eine Abschrift zerrissen. Endlich trafen seine Augen das Stück, worauf die Unterschrift stand, und er warf sich ganz strahlend auf sein Kissen zurück.

Nicht stark genug, um ihr Bedauern zu verbergen, hob Anna von Oesterreich ihre Augen und ihre Hände zum Himmel empor.

»Ah! Sire,« rief Mazarin, »ah! Sire, wie werdet Ihr gesegnet, wie werdet Ihr von meiner ganzen Familie geliebt sein! per Baccho, wenn je bei Euch eine Unzufriedenheit durch die Meinigen erregt würde, faltet die Stirne, und ich steige aus meinem Grabe herauf.«

Diese Pantalonade brachte nicht die ganze Wirkung hervor, auf welche Mazarin gerechnet hatte. Ludwig war schon zu Betrachtungen von erhabenerer Natur übergegangen, und Anna von Oesterreich, welche nicht länger, ohne sich dem Zorn zu überlassen, den sie in ihrem Innern kochen fühlte, sowohl die Großmüthigkeit ihres Sohnes, als die Heuchelei des Cardinals ertragen konnte, stand auf und verließ das Zimmer, ohne sich darum zu bekümmern, daß sie hierdurch ihren Aerger verrieth.

Mazarin durchschaute Alles, und befürchtend, Ludwig XIV. könnte wieder von seinem Entschluß abgehen, fing er an, um die Geister auf einen anderen Weg zu führen, so gewaltig zu schreien, wie es später Scapin in jenem herrlichen Scherz thun mußte, den der mürrische, verdrießliche Boileau Molière zum Vorwurf machen wollte.

Nach und nach wurden indessen die Schreie gelinder, und als Anna von Oesterreich das Zimmer verlassen hatte, hörten sie ganz auf. «

»Herr Cardinal,« sagte der König, »habt Ihr mir nun etwas zu empfehlen?«

»Sire,« antwortete Mazarin, »Ihr seid schon die Weisheit in Person, die Klugheit selbst; was die Großmuth betrifft, so rede ich gar nicht davon, denn was Ihr so eben gethan habt, übersteigt Alles, was die großmüthigsten Menschen des Alterthums und der neueren Zeiten gethan haben.«

Der König blieb kalt bei diesem Lob.

»Ihr beschränkt Euch also auf Euren Dank, mein Herr, und Eure Erfahrung, welche noch viel bekannter ist, als meine Weisheit, als meine Klugheit, als meine Großmuth, gibt Such keinen freundschaftlichen Rath ein, der mir in Zukunft nützlich sein dürfte?«

Mazarin dachte einen Augenblick nach und sprach dann:

»Ihr habt viel für mich, das heißt für die Meinigen gethan.«

»Schweigen wir hierüber.«

»Nun wohl!« fuhr der Cardinal fort, »ich will Euch für die vierzig Millionen, die Ihr mir so königlich überlaßt, einen andern Dienst leisten.«

Ludwig XIV. machte eine Bewegung, durch die er andeuten wollte, alle diese Schmeicheleien seien ihm unangenehm.

»Ich will,« sagte Mazarin, »ich will Euch einen Rath geben, ja, einen Rath, der kostbarer ist, als diese vierzig Millionen.«

»Herr Cardinal!« unterbrach ihn Ludwig XIV.

»Sire, hört diesen Rath.«

»Ich höre.«

»Nähert Euch, Sire, denn ich werde schwächer . . . immer näher, Sire, immer näher.«

»Sire,« sagte Mazarin so leise, daß der Hauch seines Wortes allein, wie eine Ermahnung aus dem Grabe, zu den aufmerksamen Ohren des Königs gelangte, »Sire, nehmt nie einen ersten Minister an.«

Ludwig fuhr erstaunt zurück. Der Rath war ein Geständniß, diese aufrichtige Beichte von Mazarin war in der That ein Schatz. Das Vermächtniß des Cardinals für den König bestand nur aus sieben Worten; doch diese sieben Worte waren, wie Mazarin gesagt hatte, vierzig Millionen werth.

Ludwig blieb einen Augenblick wie betäubt. Mazarin aber schien etwas ganz Natürliches gesagt zu haben.

»Habt Ihr nun außer Eurer Familie mir irgend Jemand zu empfehlen, Herr von Mazarin?« fragte der König.

Man vernahm ein leises Kratzen an den Vorhängen des Bettganges. Mazarin begriff es.

»Ja, ja,« rief er lebhaft; »ja, Sire, ich empfehle Euch einen verständigen Mann, einen redlichen Mann, einen gewandten Mann.«

»Sagt seinen Namen, Herr Cardinal.«

»Sein Name ist Euch beinahe noch unbekannt, Sire, es ist der von Herrn Colbert, meinem Intendanten. Oh! versucht es mit ihm,« fügte Mazarin mit starkem Nachdruck bei. »Alles, was er mir vorhergesagt hat, ist in Erfüllung gegangen; er besitzt Scharfblick und hat sich nie in den Dingen, wie in den Menschen getäuscht. Sire, ich bin Euch viel schuldig, aber ich glaube meine Schuld an Euch abzutragen, indem ich Euch Colbert gebe.«

»Es sei,« sagte Ludwig gleichgültig, denn der Name von Colbert war ihm wirklich, wie dies Mazarin bemerkt hatte, völlig unbekannt und erhielt diese Begeisterung des Cardinals für das Delirium des Sterbenden.

Der Cardinal war auf sein Kissen zurückgefallen.

»Diesmal Gott befohlen, Sire, Gott befohlen.« murmelte Mazarin . . . »Ich bin müde und habe noch einen sauren Weg zu machen, ehe ich mich vor meinen neuen Herrn stelle. Lebet wohl, Sire.«

Der junge König fühlte Thränen in seinen Augen. Er neigte sich zu dem Sterbenden herab, der schon halb eine Leiche war, und entfernte sich dann hastig.