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Der Graf von Bragelonne

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XII.
Das Portrait von Madame

Der Streit sollte bitter werden, das begriff der Graf von Guiche vollkommen.

In dem Blick von Bragelonne lag etwas offenbar Feindseliges.

In dem von Wardes war etwas wie die Berechnung eines Angriffs.

Ohne sich von den verschiedenen Gefühlen, welche seine beiden Freunde in Bewegung setzten, Rechenschaft zu geben, beabsichtigte Guiche den Schlag zu Pariren, der, wie er fühlte, bald von dem Einen oder dem Andern, oder vielleicht von allen Beiden geführt werden würde.

»Meine Herren,« sagte er, »wir müssen uns verlassen, ich muß mich zu Monsieur begeben. Verabreden wir uns . . . Du, Wardes, komm mit mir in den Louvre; Du, Raoul, bleibst der Herr des Hauses, und da Du der Rath von Allem bist, was hier geschieht, so wirst Du einen letzten Blick auf die Vorkehrungen zu meiner Abreise werfen.«

Als ein Mensch, der einen Streit weder sucht, noch fürchtet, machte Raoul mit dem Kopf ein Zeichen der Einwilligung und setzte sich auf eine Bank in der Sonne.

»Gut,« sprach Guiche, »bleibe hier, Raoul, und laß Dir die Pferde zeigen, die ich gekauft habe, Du wirst mir Deine Meinung sagen, denn ich habe sie nur unter der Bedingung gekauft, daß Du den Handel ratificirest. Ah! verzeih, ich vergaß, mich nach dem Befinden des Herrn Grafen de la Fère zu erkundigen.«

Während er diese Worte sprach, beobachtete er Herrn von Wardes und suchte die Wirkung zu erforschen, die auf ihn der Name des Vaters von Raoul hervorbrächte.

»Ich danke,« erwiederte der junge Mann,«der Herr Graf befindet sich wohl.«

Ein Blick des Hasses zuckte in den Augen von Wardes.

Von Guiche schien diesen düsteren Schimmer nicht zu bemerken; er drückte Raoul die Hand und sagte zu ihm:

»Es ist abgemacht, nicht wahr, Raoul, Du kommst zu uns in den Hof des Palais-Royal?«

Dann hieß er Wardes, der sich bald auf einem Fuß, bald auf dem anderen wiegte, ihm folgen und sprach:

»Wir gehen, kommt, Herr Malicorne.«

Dieser Name machte Raoul beben; es kam ihm vor, als hätte er denselben schon einmal aussprechen hören, doch er konnte sich nicht erinnern, bei welcher Gelegenheit.

Während er, halb träumerisch, halb aufgebracht durch sein Gespräch mit Wardes, sich zu entsinnen suchte, begaben sich die drei jungen Leute nach dem Palais-Royal, wo Monsieur wohnte.

Malicorne begriff zwei Dinge.

Einmal, daß die jungen Leute sich etwas zu sagen hatten.

Sodann, daß er nicht in derselben Reihe mit ihnen gehen durfte.

Er blieb hinten.

»Seid Ihr ein Narr?« sagte Guiche zu seinem Gefährten, als sie einige Schritte außerhalb des Hotel Grammont gemacht hatten, »Ihr greift d’Artagnan an, und dies in Gegenwart von Raoul?«

»Nun, und was hernach?«

»Wie, hernach?«

»Allerdings; ist es verboten, d’Artagnan anzugreifen?«

»Ihr wißt aber wohl, daß Herr d’Artagnan den vierten Theil von dem so glorreichen und so furchtbaren Ganzen gethan hat, was man die Musketiere nennt.«

»Es mag sein; doch ich sehe nicht ein, warum mich das abhalten soll, Herrn d’Artagnan zu hassen.«

»Was hat er Euch gethan?«

»Ah! mir nichts.«

»Warum haßt Ihr ihn dann?«

»Fragt den Schatten meines Vaters.«

»In der That, mein lieber von Wardes, Ihr setzt mich in Erstaunen. Herr d’Artagnan ist keiner von den Menschen, die eine Feindschaft hinter sich lassen, ohne ihre Rechnung zu bereinigen. Euer Vater war, wie man mir gesagt, stets bei der Hand. Es gibt über keine so heftige Feindschaften, die sich nicht im Blute eines guten und redlichen Degenstichs abwaschen.«

»Was wollt Ihr, lieber Freund? Dieser Haß bestand zwischen meinem Vater und Herrn d’Artagnan; er hat mir, als ich noch ein Kind war, davon erzählt, und es ist das ein besonderes Legat, das er mir unter seinem Erbe hinterließ.«

»Und dieser Haß hatte Herrn d’Artagnan allein zum Gegenstand?«

»Oh! Herr d’Artagnan ist zu gut mit seinen drei Freunden zu einer Masse verbunden, als daß die Ueberfülle nicht auf sie zurückspringen sollte, und glaubt mir, dieser Haß ist so beschaffen, daß sich die Anderen ihrerseits eintretenden Falls nicht zu beklagen haben werden.«

Herr von Guiche hatte die Augen auf Wardes geheftet: er schauerte, als er das bleiche Lächeln des jungen Mannes sah. Etwas wie eine Ahnung machte seinen Geist beben; er sagte sich, die Zeit der gewaltigen Degenstiche unter Edelleuten sei vorüber, aber der Haß, indem er im Grunde des Herzens austrete, statt sich nach Außen zu ergießen, sei nicht minder Haß; das Lächeln sei oft so unheilschwanger, als die Drohung, und, mit einem Wort, nach den Vätern, die sich mit dem Herzen gehaßt und mit dem Arme bekämpft, kämen die Sohne, die sich auch mit dem Herzen hassen, aber nur mit der Intrigue oder dem Verrath bekämpfen würden.

Da es jedoch nicht Raoul war, den er im Verdacht der Intrigue oder des Verraths hatte, so bebte der Graf von Guiche für Raoul.

Während aber diese unheimlichen Gedanken die Stirne von Guiche verdüsterten, war Herr von Wardes wieder völlig Herr seiner selbst geworden.

»Uebrigens,« sagte er, »übrigens grolle ich Herrn von Bragelonne nicht persönlich, ich kenne ihn nicht.«

»Jeden Falls vergeßt nicht, Herr von Wardes, daß Raoul mein bester Freund ist,« sprach Herr von Guiche mit einer gewissen Strenge.

Von Wardes verbeugte sich.

Das Gespräch endigte hierbei, obgleich Herr von Guiche alles Mögliche that, um das Geheimniß seinem Herzen zu entlocken; Wardes war ohne Zweifel entschlossen, nicht mehr zu sagen, und blieb unerforschlich.

Der Graf von Guiche gedachte sich mehr Befriedigung bei Raoul zu verschaffen.

Mittlerweile kam man in das Palais-Royal, das von einer Menge Neugieriger umgeben war.

Der Hausstaat von Monsieur erwartete dessen Befehle, um zu Pferde zu steigen und die mit der Einholung der jungen Prinzessin beauftragten Botschafter zu geleiten.

Dieses Gepränge von Pferden, Waffen und Livreen glich in jener Zeit, durch den guten Willen der Völker und die Traditionen ehrfurchtsvoller Anhänglichkeit an die Könige, die ungeheuren Ausgaben aus, welche die Steuern decken mußten.

Mazarin hatte gesagt:

»Laßt sie singen, wenn sie nur bezahlen.«

Ludwig XIV. sagte:

»Laßt sie sehen!«

Der Anblick hatte die Stimme ersetzt: man konnte noch schauen, aber man konnte nicht mehr singen.

Herr von Guiche ließ Wardes und Malicorne unten an der großen Treppe, er aber, der die Gunst von Monsieur mit dem Chevalier von Lorraine theilte, welcher ihm ein freundliches Gesicht machte, ihn jedoch nicht leiden konnte, ging gerade zu Monsieur hinauf.

Er fand den jungen Prinzen, der sich vor den, Spiegel schmückte.

In einer Ecke des Cabinets lag auf Polstern ausgestreckt der Herr Chevalier von Lorraine; er hatte seine langen blonden Haare frisiren lassen und spielte mit denselben, wie es eine Frau gethan hätte.

Der Prinz drehte sich bei dem Geräusch der Thüre um und rief, als er den Grafen erblickte:

»Ah! Du bist es, Guiche; komm hierher und sage mir die Wahrheit.«

»Ja, Monseigneur, Ihr wißt, daß dies mein Fehler ist.«

»Stelle Dir vor, Guiche, dieser abscheuliche Chevalier ärgert mich.«

Der Chevalier zuckte die Achseln.

»Wie dies?« fragte Guiche, »das ist nicht die Gewohnheit des Herrn Chevalier.«

»Er behauptet,« fuhr der Prinz fort, »Mademoiselle Henriette sei schöner als Frau, als ich dies als Mann bin.«

»Nehmt Euch in Acht,« erwiederte Guiche, die Stirne faltend, »Ihr habt Wahrheit von mir verlangt.«

»Ja,« versetzte Monsieur, beinahe zitternd.

»Nun, ich will sie Euch sagen.«

»Beeile Dich nicht,« rief der Prinz, »Du hast Zeit, schau’ mich aufmerksam an und rufe Madame in Dein Gedächtnis zurück; überdies hast Du hier ihr Portrait, nimm!«

Und er reichte ihm eine Miniatur von der feinsten Arbeit.

Der Graf nahm das Portrait, betrachtete es lange und sprach sodann:

»Bei meiner Treue, ein anbetungswürdiges Gesicht.«

»Aber schau’ mich doch auch an, schau’ mich an,« rief der Prinz, der die, ganz von dem Portrait in Anspruch genommene, Aufmerksamkeit des Grafen auf sich zu lenken suchte.

»Das ist in der That wunderbar,« murmelte Guiche.

»Sollte man nicht glauben. Du habest das kleine Mädchen nie gesehen!« fuhr Monsieur fort.

»Es ist wahr, Monseigneur, ich habe die Prinzessin gesehen, doch vor fünf Jahren, und es gehen große Veränderungen zwischen einem Kind von zwölf Jahren und einer jungen Dame von siebenzehn vor.«

»Sprich doch endlich Deine Meinung aus.«

»Meine Meinung ist, daß der Maler bei dem Portrait sehr geschmeichelt haben muß.«

»Ah! ja wohl, das hat er gewiß gethan,« sagte der Prinz triumphirend; »nimm aber an, es sei nicht geschmeichelt worden, und sage mir Deine Meinung.«

»Monseigneur, Eure Hoheit ist sehr glücklich, daß sie eine so reizende Braut hat.«

»Gut, das ist Deine Ansicht über sie, doch über mich?«

»Monseigneur, meine Ansicht ist, daß Ihr für einen Mann viel zu schön seid.«

Der Chevalier von Lorraine schlug ein lautes Gelächter auf.

Monsieur begriff, was Alles Strenges für ihn in der Meinung des Grafen von Guiche lag. Er faltete die Stirne und erwiderte: »Meine Freunde sind nicht sehr wohlwollend gegen mich.«

Von Guiche schaute abermals das Portrait an, nachdem er es aber einige Secunden betrachtet hatte, gab er es mit einer gewissen Anstrengung Monsieur zurück und sagte:

»Monseigneur, ich möchte entschieden lieber Eure Hoheit zehnmal, als Madame einmal mehr anschauen.«

Der Chevalier sah wohl etwas Geheimnißvolles in diesen Worten, welche vom Prinzen unbegriffen blieben, denn er rief:

»Nun! so heirathet doch.«

Monsieur fuhr fort, sich Schminke aufzulegen; als er damit zu Ende war, schaute er abermals das Portrait an, besah sich sodann im Spiegel und lächelte.

 

Er war ohne Zweifel mit der Vergleichung zufrieden.

»Es ist übrigens sehr artig von Dir, daß Du gekommen bist,« sagte er zu Guiche, »ich befürchtete, Du dürstest abreisen, ohne von mir Abschied zu nehmen.«

»Monseigneur kennt mich zu genau, um zu glauben, ich würde eine solche Unschicklichkeit begangen haben.«

»Du hast wohl etwas von mir zu erbitten, ehe Du Paris verlassest?«

»Eure Hoheit hat richtig errathen, ich habe ihr ein Gesuch vorzutragen.«

»Gut! sprich.«

Der Chevalier von Lorraine wurde ganz Auge und Ohr; es kam ihm vor, als wäre jede Gnade, die ein Anderer erhielt, ein Diebstahl, den man an ihm begangen.

Und als Guiche zögerte, fragte der Prinz: »Verlangst Du Geld? Das käme vortrefflich, ich bin sehr reich; der Herr Oberintendant der Finanzen hat mir fünfzig tausend Pistolen zustellen lassen.«

»Ich danke Eurer Hoheit, es handelt sich nicht um Geld.«

»Um was handelt es sich denn?«

»Um ein Patent für ein Ehrenfräulein.«

»Teufel, was für einen Protector spielst Du Guiche,« sagte der Prinz mit Verachtung, »wirst Du immer nur von Weibsbildern sprechen?«

Der Chevalier von Lorraine lächelte: er wußte, daß man Monsieur mißfiel, wenn man Damen protegirte.

»Monseigneur,« erwiederte der Graf, »ich protegire nicht unmittelbar die Person, von der ich spreche, sondern einer meiner Freunde.«

»Ah! das ist etwas Anderes; und wie heißt der Schützling Deines Freundes?«

»Fräulein La Baume le Blanc de la Vallière, schon Ehrenfräulein von Madame Witwe.«

»Pfui! eine Hinkende!« rief der Chevalier von Lorrain, indem er sich auf seinem Kissen ausstreckte.

»Eine Hinkende?« wiederholte der Prinz, »Madame sollte das unter den Augen haben? meiner Treue, das wäre zu gefährlich für ihre Schwangerschaften.«

Der Chevalier von Lorraine brach in ein schallendes Gelächter aus.

»Herr Chevalier,« sagte Guiche, »was Ihr da thut, ist nicht edelmüthig: ich suche um etwas an, und Ihr schadet mir.«

»Ah! verzeiht, Herr Graf,« erwiederte der Chevalier, den der Ton beunruhigte, mit welchem der Graf seine Worte ausgesprochen hatte, »es war das nicht meine Absicht und ich glaube, daß ich das Fräulein mit einer anderen jungen Dame verwechsele.«

»Gewiß, ich versichere Euch, daß Ihr verwechselt.«

»Sprich, Guiche, ist Dir hieran gelegen?« fragte der Prinz.

»Sehr viel, Monseigneur.«

»Bewilligt also, doch verlange kein Patent mehr, es ist keine Stelle mehr offen.«

»Ah!« rief der Chevalier, »schon Mittag, das ist die für die Abreise bestimmte Stunde.«

»Ihr jagt mich fort, mein Herr?« fragte Guiche.

»Oh! Graf, wie mißhandelt Ihr mich heute!« antwortete der Chevalier mit gleißnerischem Tone.

»Um Gottes willen! Graf, um Gottes willen, Chevalier,« rief Monsieur, »zankt Euch nicht so; seht Ihr nicht, daß mir das peinlich ist?«

»Die Unterschrift?« fragte Guiche.

»Nimm ein Patent aus dieser Schublade und gib es mir.«

Guiche nahm das bezeichnete Patent mit einer Hand und reichte mit der andern Monsieur eine in die Tinte getauchte Feder.

Der Prinz unterzeichnete.

»Hier,« sagte er, indem er ihm das Papier zurückgab, »doch das geschieht unter einer Bedingung.«

»Unter welcher?«

»Daß Du mit dem Chevalier Frieden machst.«

»Gern,« erwiederte Guiche.

Und er reichte dem Chevalier die Hand mit einer Gleichgültigkeit, die der Verachtung glich.

»Geht, Graf,« sagte der Chevalier, ohne daß er die Verachtung des Grafen zu bemerken schien, »geht und bringt uns eine Prinzessin, die nicht zu viel mit ihrem Portrait schwatzt.«

»Ja, reise ab und beeile Dich . . . Doch sage, wen nimmst Du mit?«

»Bragelonne und von Wardes.«

»Zwei muthige Gefährten.«

»Zu muthig,« sagte der Chevalier; »seid bemüht, sie Beide zurückzubringen, Graf.«

»Garstiges Herz,« murmelte Guiche; »er wittert das Schlimme überall und vor Allem.«

Dann verbeugte er sich vor Monsieur und ging ab.

Als er unter das Vorhaus kam, hob er das unterzeichnete Patent in die Luft.

Malicorne stürzte darauf los und empfing es zitternd vor Freude.

Nachdem er es aber empfangen hatte, bemerkte der Graf von Guiche, daß er noch etwas erwartete.

»Geduld, mein Herr, Geduld,« sagte er zu seinem Clienten, »der Herr Chevalier war da, und ich befürchtete zu scheitern, wenn ich mir zu viel auf einmal erbitten würde. Wartet also bis zu meiner Rückkehr.«

»Gott befohlen, Herr Graf, tausend Dank,« erwiederte Malicorne.

»Und schickt mir Manicamp. Doch sagt, mein Herr, ist es wahr, daß Fräulein de la Vallière hinkt?«

In der Secunde, wo er diese Worte sprach, hielt ein Pferd hinter ihm an.

Er wandte steh um und sah Bragelonne, der gerade in den Hof einritt, erbleichen.

Der arme Liebhaber hatte gehört.

Nicht dasselbe war bei Malicorne der Fall, der sich schon außer dem Bereiche der Stimme befand.

»Warum spricht man hier von Louise?« sagte Raoul zu sich selbst; »oh! dieser Wardes, der dort lächelt, soll es sich nie einfallen lassen, ein Wort von ihr in meiner Gegenwart zu reden.«

»Vorwärts, vorwärts, meine Herren,« rief der Graf von Guiche.

In diesem Augenblick erschien der Prinz, dessen Toilette beendigt war, am Fenster.

Die ganze Escorte begrüßte ihn durch lauten Zuruf, und zehn Minuten nachher flatterten Banner, Schärpen und Federn nach der Wellenbewegung des Galoppes der Rosse.

XIII.
Im Havre

Der ganze, so glänzende, so muntere, von so verschiedenen Gefühlen belebte Hof kam vier Tage nach seinem Abgange von Paris im Havre an. Es fand dies gegen fünf Uhr Abends statt und man hatte noch keine Nachricht von Madame.

Man suchte Wohnungen; von da an aber entstand große Verwirrung unter den Herren, gab es große Händel unter den Lackeien. Mitten unter diesem ganzen Gewirre glaubte der Graf von Guiche Manicamp zu erkennen.

Er war in der That eingetroffen; doch da sich Malicorne sein schönstes Kleid beigelegt, so hatte er nur einen mit Silber gestickten Anzug von veilchenblauem Sammet wiederzukaufen finden können,

Guiche erkannte ihn sowohl an seinem Kleid, als an seinem Gesicht. Er hatte sehr oft dieses Kleid, sein letztes Mittel, an Manicamp gesehen.

Manicamp erschien vor dem Grafen unter einem Gewölbe von Fackeln, welche die unsern vom Thurme von Franz I. liegende Pforte, durch die man in das Havre gelangt, mehr entzündeten, als beleuchteten.

Als der Graf das betrübte Gesicht von Manicamp sah, konnte er sich des Lachens nicht erwehren.

»Ei! mein armer Manicamp,« sagte er, »wie veilchenblau siehst Du aus . . . Du bist also in Trauer?«

»Ja, ich bin in Trauer,« antwortete Manicamp.

»Um wen oder um was?«

»Um mein verschwundenes blaues, mit Gold gesticktes Kleid, an dessen Stelle ich nur dieses gefunden habe, und ich mußte noch tüchtig sparen, um es wiederzukaufen.«

»Wahrhaftig?«

»Wundere Dich, bei Gott! hierüber! Du lassest mich ohne Geld.«

»Nun bist Du hier, und das ist die Hauptsache.«

»Auf abscheulichen Straßen.«

»Wo hast Du Dich einquartiert?«

»Einquartiert?«

»Ja.«

»Ich habe mich nicht einquartiert.«

Von Guiche lachte.

»Wo wirst Du dann wohnen?«

»Wo Du wohnst.«

»Dann weiß ich es nicht.«

»Wie, Du weißt es nicht?«

»Wie soll ich wissen, wo ich wohnen werde?«

»Du hast also keine Wohnung bestellt?«

»Ich?«

»Du oder Monsieur?«

»Wir dachten weder der Eine noch der Andere daran. Das Havre ist groß, meine ich, und wenn es nur einen Stall für zwölf Pferde und ein anständiges Haus in einem guten Quartier gibt . . . «

»Es gibt sehr anständige Häuser.«

»Nun, dann . . . «

»Aber nicht für uns.«

»Wie, nicht für uns! Für wen denn?«

»Für die Engländer, bei Gott!«

»Für die Engländer?«

»Ja, sie sind alle gemiethet,«

»Durch wen?«

»Durch Herrn von Buckingham.«

»Wie beliebt?« fragte Guiche, der bei diesem Wort das Ohr spitzte.

»Ja wohl, mein Lieber, durch Herrn von Buckingham. Seine Herrlichkeit hat einen Courier vorausgeschickt; dieser Courier ist vor drei Tagen angekommen und hat alle taugliche Wohnungen, die sich in der Stadt fanden, gemiethet.«

»Sprich, Manicamp, verständigen wir uns.«

»Mir scheint, was ich Dir sage, ist klar.«

»Was Teufels, Herr von Buckingham nimmt doch nicht das ganze Havre ein?«

»Er nimmt es allerdings nicht ein, da er noch nicht gelandet ist, sobald er sich aber ausgeschifft hat, wird er es einnehmen.«

»Ho! ho!«

»Man sieht wohl, daß Du die Engländer nicht kennst . . . sie haben die Wuth, Alles aufzukaufen.«

»Gut, aber ein Mensch, der ein ganzes Haus hat, begnügt sich damit, und nimmt nicht zwei.«

»Ja, doch zwei Menschen.«

»Es sei, zwei Häuser; vier, sechs, zehn, wenn Du willst; es gibt aber hundert Häuser im Havre.«

»Nun, dann sind alle hundert gemiethet.«

»Unmöglich.«

»Wie hartnäckig Du bist . . . wenn ich Dir sage, daß Herr von Buckingham alle Häuser gemiethet hat, die das umgeben, wo Ihre Majestät die Königin Witwe von England und die Prinzessin ihre Tochter absteigen sollen.«

»Ah! das ist denn doch sonderbar!« rief Herr von Wardes, den Hals seines Pferdes streichelnd.

»So ist es, mein Herr.«

»Ihr seid dessen sicher, Herr von Manicamp?«

Während er so sagte, schaute Wardes heimlich Herrn von Guiche an, als wollte er ihn befragen, welches Vertrauen man den Worten seines Freundes schenken könnte.

Mittlerweile war es Nacht geworden, und die Fackeln, die Pagen, die Lackeien, die Stallmeister, die Pferde und die Wagen versperrten das Thor und den Platz; die Fackeln spiegelten sich in dem Kanal, den die steigende Fluth füllte, indeß man jenseits des Hafendamms tausend neugierige Gesichter von Matrosen und Bürgern erblickte, welche nichts von dem Schauspiel zu verlieren suchten.

Während aller dieser Zögerungen hielt sich Bragelonne, als wäre er der ganzen Sache fremd, ein wenig hinter Herrn von Guiche, betrachtete die Spiele des Lichtes im Wasser und athmete zugleich mit Wonne den Salzgeruch der Welle ein, welche geräuschvoll über die Dünen, die Strandsteine und das Meergras hinrollt und der Luft seinen Schaum, dem Raum sein Tosen zuschleudert.

»Aber welchen Grund hat Herr von Buckingham, sich diesen Vorrath von Wohnungen zu verschaffen?« rief der Graf von Guiche.

»Ja,« fragte Herr von Wardes, »welchen Grund hat er?«

»Oh! einen vortrefflichen,« erwiederte Manicamp.

»Kennst Du ihn?«

»Ich glaube ihn zu kennen.«

»So sprich.«

»Neige Dich.«

»Teufel, das läßt sich nur leise sagen?«

»Du wirst es selbst beurtheilen.«

»Gut.«

Herr von Guiche neigte sich.

»Die Liebe,« sagte Manicamp.

»Ich begreife nicht.«

»Sage, Du begreifest noch nicht.«

»Erkläre Dich.«

»Nun wohl! man behauptet als gewiß, Herr Graf, S.K.H. Monsieur werde der unglücklichste Ehemann sein.«

»Wie, der Herzog von Buckingham?«

»Dieser Name bringt den Prinzen des Hauses Frankreich Unglück.«

»Der Herzog ist also?«

»Wie man versichert, in die junge Madame verliebt und möchte gern, daß sich außer ihm Niemand ihr nähere.«

Guiche erröthete.

»Gut, gut, ich danke,« sagte er, Manicamp die Hand drückend.

Dann richtete er sich wieder auf und sprach zu Manicamp:

»Um der Liebe Gottes willen, mache, daß dieser Plan des Herzogs von Buckingham nicht zu französischen Ohren gelangt, Manicamp, oder es werden in der Sonne dieses Landes Schwerter glänzen, welche vor dem englischen Schlag nicht bange haben.«

»Im Ganzen ist diese Liebe für mich nicht bewiesen und kann nur ein Mährchen sein,« bemerkte Manicamp.

»Nein, es muß eine Wahrheit sein,« sprach der Graf von Guiche.

Und unwillkührlich preßten sich die Zähne des jungen Mannes an einander.

»Nun! was kümmere ich mich, was kümmerst Du Dich am Ende darum, wenn Monsieur ist, was der selige König war? Buckingham Vater für die Königin, Buckingham Sohn für die junge Madame.«

»Manicamp! Manicamp!«

»Ei! was des Teufels, das ist eine Thatsache, oder wenigstens eine Sage!«

»Stille!« sprach der Graf.

»Und warum stille?« sagte Wardes, »das ist eine für die französische Nation sehr ehrenvolle Thatsache. Seid Ihr nicht meiner Ansicht, Herr von Bragelonne?«

»Welche Thatsache?« fragte Raoul zerstreut.

»Daß die Engländer so der Schönheit unserer Königinnen und Prinzessinnen huldigen.«

»Verzeiht, ich habe an dem, was man spricht, nicht Theil genommen und bitte Euch um eine Erklärung.«

 

»Höret: Herr von Buckingham Vater mußte nach Paris kommen, daß Seine Majestät König Ludwig XIII. bemerkte, seine Frau sei eine der schönsten Personen des französischen Hofes; nun muß Herr von Buckingham Sohn durch die Huldigung, die er ihr darbringt, abermals die Schönheit einer Prinzessin von französischem Blut einweihen. Eine überseeische Liebe eingeflößt haben wird fortan ein Schönheitspatent sein.«

»Mein Herr,« erwiederte Bragelonne, »ich höre nicht gern über solche Materien scherzen. Wir Edelleute sind die Hüter der Ehre der Königinnen und Prinzessinnen. Spotten wir über sie, was werden dann die Lackeien thun?«

»Ho! ho! mein Herr,« rief Wardes, der bis über die Ohren erröthete, »wie soll ich das nehmen?«

»Nehmt es, wie es Euch beliebt,« antwortete Bragelonne mit kaltem Tone.

»Bragelonne, Bragelonne,« murmelte Guiche.

»Herr von Wardes,« rief Manicamp, als er sah, daß der junge Mann sein Pferd gegen Raoul ansprengte.

»Meine Herren,« sprach Guiche, »gebt nicht vor dem Volke auf der Straße ein solches Beispiel; Wardes, Ihr habt Unrecht.«

»Unrecht! Worin frage ich Euch?«

»Darin, daß Ihr stets Schlimmes von Etwas oder von Jemand sprecht,« antwortete Raoul mit seiner unstörbaren Kaltblütigkeit.

»Seid nachgiebig, Raoul,« flüsterte Guiche Bragelonne zu.

»Und schlagt Euch nicht, ehe Ihr ausgeruht habt,« rief Manicamp,

»Auf! auf!« sagte Guiche, »vorwärts, meine Herren, vorwärts!«

Hiernach schob er Pferde und Pagen beiseit und bahnte sich mitten durch die Menge einen Weg auf den Platz, wohin ihm der ganze Cortége der Franzosen nachzog.

Ein großes Thor, das in einen Hof ging, stand offen; Guiche ritt in diesen Hof ein; Bragelonne, Wardes, Manicamp und drei bis vier andere Edelleute folgten ihm.

Hier wurde eine Art von Kriegsrath gehalten; man berathschlagte über das Mittel, das man anwenden sollte, um die Würde der französischen Ambassade zu retten.

Bragelonne trug darauf an, daß man das Prioritätsrecht achte.

Wardes schlug vor, die Stadt zu stürmen.

Dieser Vorschlag kam Manicamp etwas lebhaft vor.

Er trug darauf an, daß man zuerst schlafe; das war das Vernünftigste.

Leider fehlten, um seinen Rath zu befolgen, nur zwei Dinge:

Ein Haus und Betten.

Der Graf von Guiche träumte eine Zeit lang und sprach dann mit lauter Stimme:

»Wer mich liebt, folge mir.«

»Die Leute auch?« fragte ein Page, der sich der Gruppe genähert Hatte.

»Jedermann,« rief der stürmische junge Mann. »Vorwärts, Manicamp, führe uns in das Haus, das Ihre Hoheit Madame bewohnen soll.«

Ohne etwas von den Plänen des Grafen zu errathen, folgten ihm seine Freunde, geleitet von einer Menge Volks, dessen freudiger Zuruf ein glückliches Vorzeichen für das unbekannte Vorhaben war, das diese glühende Jugend ausführte.

Der Wind blies geräuschvoll und toste in heftigen Stößen vom Hafen herein.