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Der Graf von Bragelonne

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»Ich kenne Einen, mein Herr, der hoffentlich so sein wird, wie Ihr es wünscht,« erwiederte Buckingham und legte die Hand an den Griff seines Degens.

In diesem Augenblick und als die Göttin der Zwietracht im Begriff war, die Geister entflammend alle Schwerter gegen die Brust von Menschen zu kehren, legte Raoul sanft seine Hand auf die Schulter von Buckingham und sagte:

»Ein Wort, Mylord.«

»Mein Recht! mein Recht vor Allem!« rief der ungestüme junge Mann.

»Gerade über diesen Punkt werde ich die Ehre haben, mit Euch zu sprechen,« antwortete Raoul.

»Es sei, doch keine lange Reden!«

»Eine einzige Frage; Ihr seht, man kann nicht kürzer sein.«

»Sprecht, ich höre.«

»Heirathet Ihr oder heirathet der Herzog von Orleans die Enkelin von König Heinrich IV.?«

»Wie beliebt?« fragte Buckingham, indem er ganz bestürzt zurückwich.

»Ich bitte, antwortet mir,« fuhr Raoul ruhig fort.

»Wollt Ihr meiner spotten?« rief Buckingham.

»Das ist immerhin eine Antwort, und sie genügt mir. Ihr gesteht also, daß nicht Ihr die Prinzessin von England heirathen werdet?«

»Mir scheint, Ihr wißt das wohl, mein Herr.«

»Verzeiht, nach Euerem Benehmen war die Sache nicht klar.«

»Sprecht, was wollt Ihr damit sagen, mein Herr?«

Raoul näherte sich dem Herzog und erwiederte, die Stimme dämpfend:

»Ihr gerathet wieder in eine Wuth, die der Eifersucht gleicht, wißt Ihr das, Mylord? Diese Eifersucht in Beziehung auf eine Frau geziemt sich aber für Keinen, der nicht ihr Gatte oder ihr Geliebter ist; Ihr werdet das, ich bin es überzeugt, noch viel mehr begreifen, Mylord, wenn diese Frau eine Prinzessin ist.«

»Mein Herr,« rief Buckingham, »beleidigt Ihr Madame Henriette?«

»Nehmt Euch in Acht, Mylord,« erwiederte Bragelonne kalt, »Ihr beleidigt sie. So eben auf dem Admiralitätsschiff habt Ihr die Königin im höchsten Maße aufgebracht und die Geduld des Admirals ermüdet. Ich beobachtete Euch, Mylord, und hielt Euch Anfangs für verrückt, seitdem aber habe ich den wahren Charakter dieser Verrücktheit errathen.« »Mein Herr!«

»Wartet, ich werde noch ein Wort beifügen. Ich hoffe der Einzige unter den Franzosen zu sein, der es errathen hat.«

»Wißt Ihr, mein Herr,« sagte Buckingham, zugleich vor Zorn und Unruhe zitternd, »wißt Ihr, daß Ihr da eine Sprache führt, die eine Zurechtweisung heischt?«

»Wägt Eure Worte ab, Mylord,« entgegnete Raoul voll Stolz, »ich bin nicht von einem Blut, dessen Lebhaftigkeit sich zurückdrängen läßt, während Ihr im Gegentheil einer Race angehört, deren Leidenschaften guten Franzosen verdächtig sind; ich wiederhole Euch also zum zweiten Mal, Mylord, nehmt Euch in Acht.«

»Wovor, wenn’s beliebt? droht Ihr mir zufällig?«

»Ich bin der Sohn des Grafen de la Fère, Herr von Buckingham, und ich drohe nie, weil ich zuerst schlage. Verständigen wir uns also, und vernehmt die Warnung, die ich an Euch richte.«

Buckingham ballte die Fäuste, Raoul aber fuhr fort, als ob er nichts bemerkte.

»Bei dem ersten den Wohlanstand verletzenden Wort, das Ihr Euch gegen Ihre Königliche Hoheit erlaubt . . . Oh! seid geduldig, Herr von Buckingham, ich bin es.«

»Ihr?«

»Gewiß . . . So lange sich Madame auf englischem Boden befand, habe ich geschwiegen; nun aber, da sie den Boden Frankreichs berührt hat, da wir sie im Namen des Prinzen empfangen haben, werde ich bei der ersten Beleidigung, die Ihr, in Eurer seltsamen Zuneigung, gegen das königliche Haus Frankreich begeht, von zwei Entschlüssen einen fassen: entweder ich erkläre in Gegenwart Aller, von welcher Narrheit Ihr in diesem Augenblick befallen seid, und mache, daß Ihr schmählich nach England zurückgeschickt werdet, oder ich stoße Euch, wenn Ihr das vorzieht, in voller Versammlung einen Dolch in die Kehle. Das zweite Mittel erscheint mir übrigens als das passendere, und ich glaube, daß ich dabei bleiben werde.«

Buckingham war bleicher geworden, als die Woge englischer Spitzen, die seinen Hals umgab.

»Herr von Bragelonne,« sagte er, »ist es wirklich ein Edelmann, der mit mir spricht?«

»Nur spricht dieser Edelmann mit einem Verrückten. Geneset, Mylord, und er wird eine andere Sprache gegen Euch führen.«

»Ah! Herr von Bragelonne.« murmelte der Herzog mit erstickter Stimme, während er mit der Hand nach seinem Halse griff, »Ihr seht wohl, daß ich sterbe.«

»Mylord,« erwiederte Raoul mit seiner unstörbaren Kaltblütigkeit, »würde es in diesem Augenblick geschehen, so müßte ich es in der That als ein großes Glück betrachten, denn dieses Ereigniß käme allen Arien von schlimmen Reden in Beziehung auf Euch und auf diejenige von den erhabenen Personen zuvor, welche Eure Zuneigung auf eine so wahnsinnige Weise compromittirt.«

»Oh! Ihr habt Recht, Ihr habt Recht,« sagte der junge Mann ganz verwirrt, »ja, ja. sterben! ja. es ist besser, zu sterben, als zu leiden, was ich in diesem Augenblick leide!«

Und er fuhr mit der Hand an einen reifenden Dolch, dessen Griff ganz mit Edelsteinen verziert war, und zog ihn halb aus seiner Brust.

Raoul stieß seine Hand zurück und sprach: »Nehmt Euch in Acht, mein Herr; wenn Ihr Euch nicht tödtet, so begeht Ihr eine lächerliche Handlung; tödtet Ihr Euch, so befleckt Ihr mit Eurem Blute das Hochzeitkleid der Prinzessin von England.«

Buckingham blieb eine Minute keuchend. Während dieser Minute sah man seine Lippen zittern, seine Wangen beben, seine Augen wie im Delirium umherirren.

Plötzlich sagte er:

»Herr von Bragelonne, ich kenne keinen edleren Geist, als Euch; Ihr seid der würdige Sohn des vollkommensten Edelmanns, der auf der Welt lebt: Bewohnt Eure Zelte.«

Und er schlang seine Arme um den Hals von Raoul.

Ganz erstaunt über diese Bewegung, die man bei dem zornigen Beben von einem der Gegner und der strengen Beharrlichkeit des andern kaum erwarten konnte, klatschte die ganze Versammlung in die Hände und tausend Vivats und Beifallsrufe stiegen freudig zum Himmel empor.

Guiche umarmte Buckingham ebenfalls, zwar mit etwas Widerwillen, doch er umarmte ihn.

Dies war das Signal: Engländer und Franzosen, die sich bis dahin mit Besorgniß angeschaut hatten, fraternisirten auf der Stelle.

Mittlerweile kam der Zug der Prinzessinnen, die ohne Bragelonne zwei Heere im Handgemenge und Blut auf den Blumen gesunden hätten.

Alles war beigelegt, als man die ersten Banner erblickte.

XVI.
Die Nacht

Die Eintracht war unter den Zelten wieder hergestellt . . . Engländer und Franzosen wetteiferten in der Galanterie bei den erhabenen reisenden Damen und in der Artigkeit unter sich selbst.

Die Engländer schickten den Franzosen Blumen, welche sie aufgekauft hatten, um die Ankunft der jungen Prinzessin zu feiern; die Franzosen luden die Engländer zu einem Abendbrod ein, das sie am andern Tag geben sollten.

Madame erntete also auf ihrem Wege einstimmige Glückwünsche. Durch die Ehrerbietung Aller erschien sie wie eine Königin, durch die Anbetung Einiger wie ein Idol.

Die Königin Mutter empfing die Franzosen auf das Freundlichste. Frankreich war ihre Heimath, und sie war in England zu unglücklich gewesen, daß England sie hätte Frankreich vergessen machen können. Sie lehrte daher ihre Töchter durch ihre eigene Liebe die Liebe für ein Land, wo Beide Gastfreundschaft gesunden hatten, und wo sie das Glück einer glänzenden Zukunft finden sollten.

Als der Einzug vorbei und die Zuschauer ein wenig zerstreut waren, als man nur noch in der Ferne die Fanfaren und das Getöse der Menge vernahm, als hie Nacht, mit ihrem gestirnten Schleier das Meer, den Hasen, die Stadt und das noch von diesem großen Ereigniß bewegte Land verhüllend, einbrach, kehrte der Graf von Guiche in sein Zelt zurück und setzte sich auf einen breiten Schämel mit einem so schmerzlichen Ausdruck im Gesicht, daß ihm Bragelonne mit dem Blick folgte, bis er ihn seufzen gehört hatte; dann näherte er sich seinem Freund . . . Der Graf saß zurückgelehnt, die Schulter an die Wand des Zeltes gestützt, die Stirne in seinen Händen, die Brust keuchend und die Kniee unruhig.

»Du leidest, Freund?« fragte Raoul.

»Grausam.«

»Körperlich, nicht wahr?«

»Ja, körperlich.«

»Der Tag war in der That ermüdend,« fuhr der junge Mann die Augen auf denjenigen, welchen er befragte, geheftet fort.

»Ja, und der Schlaf ist erquickend.«

»Soll ich Dich verlassen?«

»Nein, ich habe mit Dir zu sprechen.«

»Ich werde Dich nur sprechen lassen, wenn ich Dich selbst befragt habe, Guiche,«

»Frage.«

»Sei aber offenherzig.«

»Wie immer.«

»Weißt Du, warum Buckingham so wüthend war?«

»Ich vermuthe es.«

»Nicht wahr, er liebt Madame?«

»Man sollte wenigstens darauf schwören, wenn man ihn sieht.«

»Nein, nein, es ist nicht so.«

»Oh! diesmal täuschest Du Dich, Raoul, ich habe wohl seinen Kummer in seinen Augen, in seiner Geberde, in seinem ganzen Wesen wahrgenommen.«

»Du bist Dichter, lieber Graf, und siehst überall Poesie.«

»Ich sehe überall die Liebe.«

»Wo sie nicht ist.«

»Wo sie ist.«

»Sage, Guiche, Du glaubst, Du täuschest Dich nicht?«

»Ja, ich bin meiner Sache sicher!« rief der Graf.

»Sprich, Graf,« fragte Raoul mit einem tiefen Blick, »was macht Dich so gefallsüchtig?«

»Die Eigenliebe,« antwortete Guiche zögernd.

»Die Eigenliebe, das ist ein sehr langes Wort, Guiche.«

»Was willst Du damit sagen?«

»Ich will damit sagen, daß Du gewöhnlich weniger traurig bist, als heute Abend.«

»Die Müdigkeit,«

»Die Müdigkeit?«

»Ja.«

»Höre, lieber Freund, wir haben Feldzuge mit einander gemacht, wir haben uns achtzehn Stunden zu Pferde gesehen, drei Pferde fielen, von der Müdigkeit gelähmt, Hungers sterbend, unter uns, und wir lachten noch. Nicht die Ermattung ist es, was Dich traurig macht, Graf.«

 

»Dann ist es der Aerger.«

»Welcher Aerger?«

»Der von heute Abend.«

»Die Tollheit von Lord Buckingham?«

»Allerdings; ist es für uns Franzosen, die wir unsern Herrn vertreten, nicht ärgerlich, einen Engländer unserer zukünftigen Gebieterin, der zweiten Dame des Königreichs, den Hof machen zu sehen?«

»Ja, Du hast Recht; doch ich glaube, Lord Buckingham ist nicht gefährlich.«

»Nein, aber er ist lästig. Hat er nicht bei seiner Ankunft hier die Engländer und uns beinahe mit einander verfeindet, und würden wir nicht ohne Deine so bewunderungswürdige Klugheit, ohne Deine so seltene Festigkeit mitten in der Stadt den Degen ziehen?«

»Du siehst, er hat sich geändert.«

»Gewiß; doch gerade davon rührt mein Erstaunen her. Du sprachst leise mit ihm; was hast Du zu ihm gesagt? Du glaubst, er liebe . . . oh! eine Leidenschaft weicht nicht mit dieser Leichtigkeit; er ist also nicht verliebt in sie!«

Guiche sprach diese letzten Worte mit einem so seltsamen Ton, daß Bragelonne das Haupt erhob.

Das edle Antlitz des jungen Mannes drückte eine Unzufriedenbeit aus, welche leicht darin zu lesen war.

»Was ich ihm gesagt habe, Graf, will ich Dir wiederholen,« antwortete Raoul, »höre also: »»Mein Herr, Ihr schaut mit einer begehrlichen Miene, mit einer Miene beleidigender Lüsternheit die Schwester Eures Fürsten an, die nicht mit Euch verlobt, die nicht Eure Geliebte ist, nicht Eure Geliebte sein kann; Ihr fügt also denjenigen Schmach zu, welche kommen, um eine reine Jungfrau zu holen und zu dem Gatten zu führen.««

»Das hast Du ihm gesagt?«

»Mit diesen Worten, . . . ich bin sogar weiter gegangen.«

Guiche machte eine Bewegung.

»Ich habe ihm gesagt: »»Mit welchem Auge würdet Ihr es anschauen, wenn Ihr unter uns einen Mann wahrnähmet, der wahnsinnig genug, unredlich genug wäre, um andere Gefühle für eine unserem Gebieter bestimmte Prinzessin zu hegen, als die der reinsten Ehrfurcht?««

Diese Worte waren so treffend für Guiche, daß dieser erbleichte und, von einem plötzlichen Zittern ergriffen, nur maschinenmäßig Raoul eine Hand reichen konnte, während er sich mit der andern die Augen und die Stirne bedeckte.

»»Aber,«« fuhr Raoul fort, ohne sich bei dieser Kundgebung seines Freundes aufzuhalten, »»aber die Franzosen, die man als leichtfertig, spöttisch, unbedachtsam verschreit, wissen, Gott sei Dank! ein gesundes Urtheil und eine gesunde Moral bei der Prüfung der Fragen des Wohlanstandes in Anwendung zu bringen. Erfahrt nun,«« fügte ich bei, »»erfahrt, Herr von Buckingham, daß wir französischen Edelleute unseren Königen so dienen, daß wir ihnen unsere Leidenschaften eben so wohl, als unser Vermögen und unser Leben opfern, und daß wir, wenn uns der böse Dämon einen von den schlimmen Gedanken eingibt, die das Herz entzünden, diese Flamme auslöschen, und müßten wir sie mit unserem Blute besprengen. Auf diese Art erhalten wir eine dreifache Ehre: die unseres Vaterlandes, die unseres Herrn und die unsere. So handeln wir, Herr von Buckingham; so muß jeder Mann von Herz handeln.«« Und so, mein lieber Guiche, habe ich zu Herrn von Buckingham gesprochen, und er hat sich auch ohne Widerstand in meine Gründe ergeben.«

Bis dahin unter dem Worte von Raoul gebeugt, erhob sich Guiche, das Auge stolz und die Hand fieberhaft; er ergriff die Hand von Raoul; seine Backenbeine, kurz zuvor kalt wie Eis, standen in Flammen.

»Und Du hast gut gesprochen,« sagte er mit erstickter Stimme, »und Du bist ein wackerer Freund, Raoul. Ich danke Dir und bitte Dich nun, mich allein zu lassen.«

»Du willst es?«

»Ja, ich bedarf der Ruhe. Viele Dinge haben heute meinen Kopf und mein Herz erschüttert; morgen, wenn Du wieder kommst, werde ich nicht mehr derselbe

Mensch sein.«

»Gut, es sei! ich verlasse Dich,« rief Raoul, indem er sich zurückzog.

Der Graf machte einen Schritt gegen seinen Freund und schloß ihn herzlich in seine Arme.

Doch in dieser freundschaftlichen Umarmung konnte Raoul den Schauer einer bekämpften mächtigen Leidenschaft erkennen.

Die Nacht war kühl, bestirnt, glänzend; nach dem Sturme hatte die Wärme der Sonne überall das Leben, die Freude, die Sicherheit zurückgebracht. Es hatten

sich am Himmel einige lange, spitzig zulaufende Wolken gebildet, deren Weiße eine Reihenfolge schöner, durch einen leichten Ostwind gemäßigtere Tage verkündigte. Von breiten, leuchtenden Strahlen durchschnitten, bildeten die Schatten auf dem Platze vor dem Stadthause gleichsam ein riesiges Mosaik mit schwarzen und weißen Platten.

Bald entschlummerte Alles in der Stadt; es blieb ein schwaches Licht in dem Zimmer von Madame, das auf den Platz ging, und diese sanfte Helle der gedämpften Lampe erschien als ein Bild des Schlummers eines Mädchens, dessen Leben sich kaum kundgibt, kaum empfindlich ist, dessen Flamme sich auch mäßigt, wenn der Körper entschlummert ist.

Bragelonne trat aus seinem Zelt mit dem langsamen, abgemessenen Gang eines Menschen, der begierig ist, zu sehen, und eifersüchtig, nicht gesehen zu werden.

Geschützt durch die dichten Vorhänge, umfaßte er auch mit einem Blick den ganzen Platz und sah nach kurzer Zeit, daß sich die Vorhänge des Zeltes von Guiche leicht öffneten und bewegten.

Hinter den Vorhängen wurde Guiche sichtbar, dessen Augen, glühend auf den Salon von Madame geheftet, der sanft durch das innere Licht beleuchtet war, im Schatten, glänzten.

Dieser sanfte Schimmer, der die Scheiben färbte, war der Stern des Grafen. Man sah bis zu seinen Augen das Ausathmen seines ganzen Innern emporsteigen. Im Schatten verborgen, errieth Raoul alle die leidenschaftlichen Gedanken, welche zwischen dem Zelt des jungen Botschafters und dem Balcon der Prinzessin ein geheimes, magisches Band von Sympathien knüpften, ein Band gebildet von Gedanken von einem so festen Willen, von einer solchen Hartnäckigkeit, daß sie sicherlich zu den Liebesträumen flehten, sie mögen herabsteigen auf das duftende Lager, das der Graf mit den Augen seiner Seele verschlang.

Doch Guiche und Raoul waren nicht die Einzigen, welche wachten. Das Fenster von einem der Häuser des Platzes stand offen: es war dies das Fenster eines Hauses, das Buckingham bewohnt.

Von dem Lichte, das aus diesem Fenster hervorsprang, hob sich die Silhouette des Herzogs kräftig ab; nachläßig auf das geschnitzte und mit Sammet verzierte Gesimse gelehnt, sandte er auch nach dem Balcon seine Wünsche und die tollen Visionen seiner Liebe.

Bragelonne konnte sich des Lächelns nicht erwehren.

»Das ist ein armes, betrübtes Herz,« sagte er, an Madame denkend.

Dann in einem mitleidigen Hinblick auf Monsieur fügte er bei:

»Und das ist ein armer, sehr bedrohter Gatte; wohl ihm, daß er ein großer Fürst ist und eine Armee hat, um sein Gut zu bewachen.«

Bragelonne beobachtete eine Zeit lang das Benehmen der beiden Seufzenden, horchte auf das unhöfliche Schnarchen von Manicamp, welcher mit eben so großem Stolz schnarchte, als hätte er sein blaues Kleid statt seines violetten gehabt, und wandte sich gegen den Wind, der ihm den entfernten Gesang einer Nachtigall brachte; dann nachdem er seinen Vorrath an Melancholie – auch eine Krankheit der Nacht – eingethan hatte, kehrte er in sein Zelt zurück und dachte für seine eigene Rechnung, daß vielleicht vier bis sechs Augen, so glänzend wie die von Guiche und Buckingham, nach seinem Idol im Schlosse von Blois schmachteten.

»Und Fräulein von Montalais ist keine ganz solide Garnison,« sagte er leise, während er zugleich laut seufste.

XVII.
Vom Havre nach Paris

Am andern Tage fanden die Feste mit allem Gepränge und mit allem Jubel Statt, wie dies bei den Mitteln des Harre und der Stimmung der Geister nur immer möglich war.

Während der letzten Stunden, die man hier zubrachte, hatte man Vorkehrungen zur Abreise getroffen.

Madame stieg, nachdem sie von der englischen Flotte Abschied genommen und ihre Flagge begrüßend zum letzten Mal ihr Vaterland gegrüßt hatte, inmitten einer glänzenden Escorte in den Wagen,

Der Graf von Guiche hoffte, der Herzog von Buckingham würde mit dem Admiral nach England zurückkehren, aber es gelang Buckingham, der Königin darzuthun, es wäre eine Unschicklichkeit, Madame beinahe allein in Paris ankommen zu lassen.

Sobald der Punkt, daß Buckingham Madame begleiten sollte, festgestellt war, wählte der junge Herzog einen Hof von Edelleuten und Officieren, mit der Bestimmung, sein eigenes Gefolge zu bilden, so daß eine ganze Armee, das Gold und die glänzenden Demonstrationen in den Städten und den Dörfern, durch die sie kam, ausstreuend, nach Paris marschirte.

Das Wetter war herrlich. Frankreich ist schön anzuschauen, besonders von der Straße aus, der der Zug folgte. Der Frühling warf seine balsamischen Blüthen und Blätter vor die Schritte dieser Jugend. Die ganze Normandie mit ihrer fruchtbaren Vegetation, mit ihren blauen Horizonten, mit ihren silbernen Flüssen stellte sich wie ein Paradies für die neue Schwester des Königs dar.

Es gab nur Feste und Berauschungen auf dem Wege. Guiche und Buckingham vergaßen Alles; Guiche, um die neuen Versuche des Engländers zurückzudrängen, Buckingham, um in dem Herzen der Prinzessin eine lebhaftere Erinnerung an das Vaterland zu erwecken, woran sich das Andenken an glückliche Tage knüpfte.

Leider aber konnte der Herzog wahrnehmen, daß sich das Bild seines theuren Englands von Tag zu Tag im Geiste von Madame immer mehr verwischte, je tiefer sich darin die Liebe für Frankreich einprägte.

Er konnte wahrnehmen, daß alle seine kleinen Aufmerksamkeiten keine dankbare Anerkennung hervorriefen, und er mochte immerhin voll Anmuth auf einem der stolzesten, brausendsten Rosse des Yorkshire einherreiten, die Augen der Prinzessin verweilten nur zufällig und nebenbei auf ihm.

Vergebens versuchte er es, um einen von den im Raume umherirrenden oder anderswo haftenden Blicken auf sich zu lenken, die thierische Natur Alles hervorbringen zu lassen, was sie an Kraft, Stärke, Zorn und Gewandtheit zu vereinigen vermag; vergebens sprengte er, sein Roß mit den feurigen Nüstern übermäßig aufstachelnd, hin, auf die Gefahr, sich tausendmal an den Bäumen zu zerschellen, in die Gräben, über die Schranken oder jähe Bergabhänge hinabzustürzen, durch das Geräusch aufmerksam gemacht, wandte Madame einen Augenblick den Kopf um und kehrte dann leicht lächelnd zu ihren treuen Wächtern Raoul und Guiche zurück, welche ruhig an den Schlägen ihres Wagens ritten.

Da fühlte sich Buckingham von allen Qualen der Eifersucht heimgesucht; ein unbekannter, unerhörter, brennender Schmerz durchzog seine Adern und lagerte sich in seinem Herzen; um zu beweisen, daß er seine Tollheit einsehe und durch die demüthigste Unterwürfigkeit das Unrecht seiner Unbesonnenheiten sühnen wolle, bezähmte er sein Pferd und nöthigte es. ganz triefend von Schweiß ganz weiß von dickem Schaum, bei der Carosse unter der Menge der Höflinge an seinem Gebiß zu nagen.

Zuweilen erhielt er zum Lohn ein Wort von Madame, und dieses Wort kam ihm noch wie ein Vorwurf vor.

»Gut, Herr von Buckingham,« sagte sie, »nun seid Ihr vernünftig.«

Oder ein Wort von Raoul.

»Ihr tödtet Euer Pferd, Herr von Buckingham.«

Buckingham hörte Raoul geduldig an, denn er fühlte instinctartig. ohne daß er irgend einen Beweis dafür hatte, daß Raoul Guiche in seinen Gefühlen mäßigte, und daß ohne Raoul schon irgend ein toller Schritt, sei es von Seiten des Grafen oder von ihm, Buckingham, einen Bruch, ein Aergerniß, eine Verbannung vielleicht herbeigeführt hätte.

Seit dem bekannten Gespräch, das die zwei jungen Leute vor dem Zelte im Havre gehabt hatten, wobei dem Herzog von Raoul die Unschicklichkeit seiner Kundgebungen fühlbar gemacht worden war, wurde Buckingham unwillkührlich zu Raoul hingezogen.

Oft knüpfte er eine Unterredung mit ihm an, und beinahe immer geschah es, um mit ihm von seinem Vater oder von d’Artagnan, ihrem gemeinschaftlichen Freund, zu sprechen, für den Buckingham beinahe eben so sehr begeistert war, als Raoul.

Raoul liebte es besonders, die Unterhaltung auf diesen Gegenstand vor Herrn von Wardes zu bringen, der während der ganzen Reise von der Ueberlegenheit von Bragelonne und besonders von seinem Einfluß auf den Geist von Guiche verletzt war.

Herr von Wardes besaß das seine, forschende Auge, das jede schlimme Natur auszeichnet; er hatte sogleich die Traurigkeit von Guiche und sein verliebtes Aufstreben zu der Prinzessin bemerkt.

Statt diesen Gegenstand mit der Zurückhaltung von Raoul zu behandeln, statt auf eine würdige Weise, wie der letztere, die Convenienzen und die Pflichten zu beobachten, griff Wardes entschlossen die beständig tönende Saite jugendlicher Kühnheit und selbstsüchtigen Stolzes an.

 

So geschah es, daß eines Abends, als, man in Mantes anhielt, während Guiche und Wardes auf eine Schranke gestützt mit einander plauderten, während Buckingham und Raoul auf und abgehend mit einander sprachen und Manicamp den Prinzessinnen den Hof machte, die ihn wegen seines geschmeidigen Geistes, seiner mildfreundlichen Manieren und seines versöhnlichen Charakters ganz zutraulich behandelten, Wardes zu dem Grafen sagte:

»Bekenne,« daß Du sehr krank bist und daß Dich Dein Hofmeister nicht heilt.«

»Ich verstehe Dich nicht,« erwiederte der Graf.

»Das ist doch leicht zu verstehen; Du vertrocknest vor Liebe.«

»Tollheit, Wardes, Tollheit!«

»Ja, ich gebe zu, es wäre eine Tollheit, wenn Madame für Dein Märtyrthum gleichgültig bliebe, aber sie bemerkt es, dergestalt, daß sie sich compromittirt, und ich befürchte in der That, bei unserer Ankunft in Paris dürfte Dein Hofmeister, Herr von Bragelonne Euch Beide anzeigen.«

»Wardes! Wardes! abermals ein Angriff auf Bragelonne!«

»Genug der Kinderei!« versetzte mit leiser Stimme der böse Genius des Grafen, »Du weißt so gut wie ich, was ich Alles sagen will; Du siehst wohl, daß der Blick der Prinzessin milder, freundlicher wird, wenn sie mit Dir spricht; Du erkennst an dem Ton ihrer Stimme, daß sie die Deinige gern hört; Du fühlst, daß sie die Verse versteht, die Du ihr vorsprichst, und wirst nicht leugnen, daß sie Dir jeden Morgen sagt, sie habe schlecht geschlafen?«

»Das ist wahr, Wardes, es ist wahr, doch wozu sagst Du mir dies Alles?«

»Ist es nicht wichtig, die Dinge klar zu sehen?«

»Nein, wenn einen die Dinge, die man sieht, verrückt machen können,« erwiederte Guiche.

Und er wandte sich voll Unruhe gegen die Prinzessin um, als wollte er, während er die Einflüsterungen von Wardes zurückwies, die Bestätigung derselben in ihren Augen lesen.

»Ah! ah!« sagte Wardes, »sieh da, sie ruft Dir, hörst Du? Benütze die Gelegenheit, der Hofmeister ist nicht da.«

Guiche hielt es nicht mehr länger aus; eine unwiderstehliche Anziehungskraft riß ihn zu der Prinzessin hin.

Wardes schaute ihm lächelnd nach, als er sich entfernte.

»Ihr täuscht Euch, mein Herr,« sagte plötzlich Raoul, indem er sich über die Schranke schwang, an welche sich einen Augenblick vorher die zwei Sprechenden angelehnt hatten,« der Hofmeister ist da und hört Euch.«

Bei der Stimme von Raoul, den er erkannte, ohne daß er nach ihm umzuschauen brauchte, zog Wardes halb seinen Degen.

»Steckt Euren Degen ein,« sagte Raoul, »Ihr wißt wohl, daß während der Reise, die wir vollbringen, jede Demonstration dieser Art unnütz wäre. Steckt Euren Degen wieder ein, haltet aber auch Eure Zunge im Zaum. Warum gießt ihr in das Herz desjenigen, welchen Ihr Euern Freund nennt, alle Galle, die das Eurige zernagt? Mich wollt Ihr einen rechtschaffenen Mann, einen Freund meines Vaters und der Meinigen hassen machen; den Grafen wollt Ihr zu einer Liebe für eine Frau aufstacheln, die Euerem Gebieter bestimmt ist. In der That, mein Herr, Ihr wäret ein schändlicher Verräther in meinen Augen, würde ich Euch nicht mit mehr Recht als einen Narren betrachten.«

»Mein Herr,« rief Wardes außer sich, »ich täuschte mich also nicht, als ich Euch einen Hofmeister nannte! Der Ton, den Ihr Euch anmaßt, die Formen, die Ihr gebraucht, sind die eines geißelsüchtigen Jesuiten und nicht eines Edelmanns. Ich bitte Euch, gebt mir gegenüber diese Formen und diesen Ton auf. Ich hasse Herrn d’Artagnan, weil er eine Schändlichkeit gegen meinen Vater begangen hat.«

»Ihr lügt, mein Herr,« erwiederte Raoul ganz kalt.

»Ah! Ihr wollt mich Lügen strafen, mein Herr!« rief Wardes.

»Warum nicht, wenn das, was Ihr sagt, falsch ist.«

»Ihr straft mich Lügen und nehmt nicht den Degen in die Hand?«

»Mein Herr, ich habe mir gelobt, Euch nicht eher zu tödten, als bis wir Madame ihrem Gemahl übergeben haben.«

»Mich tödten! Euer Ruthenbündel tödtet nicht, Herr Schulfuchs!«

»Nein,« entgegnete Raoul kalt, »doch der Degen von d’Artagnan tödtet; und ich habe nicht nur diesen Degen, sondern er hat mich auch denselben handhaben gelehrt, und mit diesem Degen werde ich zu geeigneter Zeit seinen von Euch verletzten Namen rächen.«

»Mein Herr,« rief Wardes, »nehmt Euch in Acht! Wenn Ihr mir nicht auf der Stelle Genugthuung gebt, so wird mir jedes Mittel gut sein, um mich zu rächen.«

»Ho! ho!« sagte Buckingham, der plötzlich auf dem Schauplatz erschien, »das ist eine Drohung, die am Mord hinstreift und folglich für einen Edelmann von sehr schlechtem Geschmack zeugt.«

»Was sagt Ihr, Herr Herzog?« fragte Wardes, sich umwendend.

»Ich sagte, Ihr habet Worte gesprochen, die in meinen englischen Ohren schlecht klingen.«

»Nun wohl! mein Herr,« rief Wardes außer sich, »wenn das, was Ihr sprecht, wahr ist, so finde ich wenigstens in Euch einen Mann, der mir nicht durch die Finger schlüpfen wird. Nehmt also meine Worte, wie Ihr sie versteht.«

»Ich nehme sie, wie ich muß,« erwiederte Buckingham mit dem ihm eigenthümlichen hochmüthigen Ton, der selbst bei einem gewöhnlichen Gespräch das, was er , sagte, wie eine Herausforderung klingen ließ; »Ihr beleidigt Herrn von Bragelonne, Ihr werdet mir für diese Beleidigung Genugthuung geben.«

Wardes warf einen Blick auf Bragelonne, der, seiner Rolle getreu, selbst vor der Herausforderung des Herzogs ruhig und kalt blieb.

»Es scheint nicht,« sagte er, »es scheint nicht, daß ich Herrn von Bragelonne beleidige, da Herr von Bragelonne, der einen Degen an seiner Seite hat, sich nicht als beleidigt betrachtet,«

»Ihr beleidigt aber doch irgend Jemand?«

»Ja, ich beleidige Herrn d’Artagnan,« erwiederte Wardes, der bemerkt hatte, daß dieser Name der einzige Stachel war, mit dem er den Zorn von Raoul erregen konnte.

»Dann ist es etwas Anderes,« sagte Buckingham.

»Nicht wahr?« rief Wardes, »es geziemt sich also für die Freunde von Herrn d’Artagnan, diesen zu vertheidigen.«

»Ich bin vollkommen Eurer Meinung,« erwiederte der Engländer, der sein ganzes Phlegma wiedergefunden hatte, »für den beleidigten Herrn von Bragelonne konnte ich vernünftiger Weise nicht wohl die Partei von Herrn von Bragelonne nehmen, da er da ist; sobald es aber Herrn d’Artagnan betrifft . . . «

»Ueberlaßt Ihr mir den Platz, nicht wahr, mein Herr?« sagte Wardes.

»Nein,im Gegentheil, ich ziehe vom Leder,« erwiederte Buckingham, während er seinen Degen aus der Scheide zog, »denn wenn Herr d’Artagnan Euern Vater beleidigt hat, so hat er meinem Vater einen großen Dienst geleistet, oder wenigstens zu leisten versucht.«

Wardes machte eine Bewegung des Erstaunens.

»Herr d’Artagnan,« fuhr Buckingham fort, »ist der galanteste Edelmann, den ich kenne. Ich wäre also, da ich ihm persönlich verpflichtet bin, entzückt, diese Verpflichtung an Euch durch einen Degenstich zu bezahlen.«

Zu gleicher Zeit zog Buckingham anmuthig seinen Degen, begrüßte Raoul und legte sich aus.

Wardes machte einen Schritt, um den Stahl zu kreuzen.

»Ruhig, ruhig, meine Herren!« sagte Raoul, indem er vortrat und seinen entblößten Degen zwischen den Kämpfenden ausstreckte, »dies Alles ist nicht der Mühe werth, Daß man sich beinahe unter den Augen der Prinzessin erwürgt; Herr von Wardes sagt Schlimmes von Herrn d’Artagnan, doch er kennt Herrn d’Artagnan nicht einmal.«

Wardes knirschte mit den Zähnen, senkte seine Degenspitze auf das Ende seines Stiefels und rief:

»Ho! ho! Ihr sagt, ich kenne Herrn d’Artagnan nicht?«

»Oh! nein, Ihr kennt ihn nicht,« erwiederte Raoul kalt,«Ihr wißt sogar nicht einmal, wo er ist.«

»Ich weiß wo, wo er ist?«

»Allerdings, es muß so sein, da Ihr in Beziehung auf ihn Streit mit einem Fremden anfangt, statt Herrn d’Artagnan da aufzusuchen, wo er ist.«

Wardes erbleichte.

»Nun, mein Herr, ich will es Euch sagen, wo er ist,« fuhr Raoul fort, »Herr d’Artagnan ist in Paris; er wohnt im Louvre, wenn er den Dienst hat, in der Rue des Lombards, wenn er ihn nicht hat; Herr d’Artagnan läßt sich ganz sicher in der einen oder der andern von diesen Wohnungen finden: bei all dem Groll, den Ihr gegen Ihn hegt, seid Ihr kein muthiger Mann, wenn Ihr ihn nicht aufsucht, damit er Euch die Genugthuung gibt, die Ihr von aller Welt, nur nicht von ihm zu fordern scheint.«