Tasuta

Der Graf von Bragelonne

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

VI.
Das Frühstück von Herrn von Baisemeaux

Aramis war gewöhnlich äußerst mäßig, doch diesmal that er, während er indessen beim Wein sich sehr behutsam benahm, dem Frühstück von Baisemeaux, das vortrefflich war, alle Ehre an.

Dieser belebte sich seinerseits mit einer tollen Heiterkeit; der Anblick der fünftausend Pistolen, nach denen er von Zeit zu Zeit die Augen wandte, dehnte sein Herz aus.

Er schaute zuweilen Aramis mit einer sanften Rührung an.

Aramis warf sich in seinem Stuhl zurück und nippte ein paar Tropfen Wein, die er als Kenner kostete.

»Man sage mir wieder Schlimmes von der Kost in der Bastille,« sprach er mit den Augen blinzelnd; »glücklich sind die Gefangenen, die täglich nur eine halbe Flasche von diesem Burgunder bekommen.«

»Alle zu fünfzehn Franken trinken davon,« erwiederte Baisemeaux. »Das ist ein sehr alter Volnay.«

»Unser armer Schüler, unser armer Seldon bekommt also von diesem Wein?«

»Nein, nein!«

»Ich glaubte, ich hätte Euch sagen hören, er sei zu fünfzehn Livres taxirt?«

»Ei! niemals! Ein Mensch, der Districte macht . . . Wie nennt Ihr das?«

»Disticha.«

»Zu fünfzehn Livres! Geht doch: sein Nachbar ist zu fünfzehn Livres?«

»Sein Nachbar?«

»Ja.«

»Welcher?«

»Der Andere, der zweite Bertaudière.«

»Mein lieber Gouverneur, entschuldigt mich, Ihr sprecht eine Sprache, für die man einen gewissen Unterricht erhalten haben muß.«

»Es ist wahr, verzeiht; zweiter Bertaudière heißt derjenige, welcher im zweiten Stock des la BertaudièreThurmes wohnt.«

»Bertaudière ist also der Name von einem der Thürme der Bastille? Ich hörte in der That sagen, jeder Thurm habe seinen Namen. Und wo ist dieser Thurm?«

»Kommt und seht,« sagte Baisemeaux, indem er nach dem Fenster ging. »Es ist jener Thurm links, der zweite.«

»Sehr gut. Ah! dort ist der Gefangene zu fünfzehn Livres?«

»Ja.«

»Und seit wie lange ist er dort?«

»Ungefähr seit sieben bis acht Jahren.«

»Wie, ungefähr, Ihr wißt also Eure Data nicht sicher?«

»Das war nicht zu meiner Zeit, mein lieber Herr d’Herblay.«

»Aber Louvière und Tremblay hätten Euch unterrichten müssen, wie mir scheint.«

»Oh! mein lieber Herr . . . Verzeiht, verzeiht, Monseigneur.«

»Laßt das, . . Ihr sagtet?«

»Ich sagte, die Geheimnisse der Bastille werden nicht mit den Schlüsseln des Gouvernement übergeben.«

»Ah! dieser Gefangene ist also ein Geheimniß, ein Staatsgeheimniß?«

»Oh! ein Staatsgeheimniß, nein, ich glaube nicht; es ist ein Geheimniß wie Alles, was in der Bastille vor sich geht.«

»Sehr gut; doch warum sprecht Ihr freier von, Seldon, als von . . . «

»Als vom zweiten Bertaudière.«

»Ja.«

»Weil meines Erachtens das Verbrechen eines Menschen, der ein Distichon gemacht, minder groß ist, als das eines Menschen, der Aehnlichkeit hat mit . . . «

»Ja, ja, ich begreife; doch die Gefangenwärter . . . «

»Nun! die Gefangenwärter?«

»Sie sprechen mit den Gefangenen?«

»Ja wohl!«

»So müssen ihnen Eure Gefangenen sagen, daß sie nicht schuldig seien.«

»Sie sagen ihnen nichts als dieses, das ist die allgemeine Formel, es ist das universelle Lied.«

»Ja, aber wie ist es mit der Aehnlichkeit, von der Ihr so eben sprachet?«

»Nun?«

»Kann sie Euren Gefangenwärtern nicht auffallen?«

»Oh! mein lieber Herr d’Herblay, man muß ein Mann von Hofe sein, wie Ihr, um sich um alle diese Einzelheiten zu bekümmern.«

»Ihr habt tausendmal Recht, mein lieber Herr von Baisemeaux. Ich bitte, noch einen Tropfen von diesem Volnay.«

»Nicht einen Tropfen, ein Glas.«

»Nein, nein. Ihr seid Musketier geblieben bis an die Nagelspitzen, während ich Bischof geworden bin. Ein Tropfen für mich, ein Glas für Euch.«

»Es sei.«

Aramis und der Gouverneur stießen mit den Gläsern an und tranken.

»Und dann,« sprach Aramis, indem er seinen glänzenden Blick auf den durch seine Hand bis zur Höhe seines Auges erhobenen flüssigen Rubin heftete, als wollte er mit allen Sinnen zugleich genießen, «und dann, was Ihr eine Aehnlichkeit nennt, würde ein Anderer vielleicht gar nicht bemerken.«

»Oh! doch, jeder Andere, der die Person kennen Würde, welcher er gleicht.«

»Mein lieber Herr von Baisemeaux, ich glaube, das ist ganz einfach ein Spiel Eures Geistes.«

»Nein, bei meinem Wort!«

»Höret,« fuhr Aramis fort: »ich habe bei vielen Leuten eine Aehnlichkeit mit dem wahrgenommen, den Ihr nanntet, aber aus Ehrfurcht sprach man nicht davon.«

»Allerdings, weil es Aehnlichkeiten und Aehnlichkeiten gibt; diese ist auffallend, und wenn Ihr ihn sehen würdet . . . «

»Nun?«

»Müßtet Ihr es selbst zugestehen.«

»Wenn ich ihn sehen würde,« erwiederte Aramis mit einer ganz ungezwungenen Miene, »aber ich werde ihn aller Wahrscheinlichkeit nach nicht sehen.«

»Warum nicht?«

»Weil ich mich, wenn ich nur den Fuß in eine von den verdammten Kammern setzte, auf immer begraben glauben würde.«

»Ei! die Wohnung Ist gut.«

»Nein, nein.«

»Wie, nein, nein?«

»Ich glaube Euch nicht auf Euer Wort.«

»Erlaubt, erlaubt, sprecht nicht schlimm von der zweiten la Bertaudière. Teufel! das ist eine gute Stube und äußerst angenehm meublirt, denn sie hat einen Teppich.«

»Was Ihr mir sagt!«

»Ja! ja! der Junge ist nicht unglücklich gewesen, man hat ihm die beste Wohnung der Bastille eingeräumt; das nenne ich Glück.«

»Geht, doch,« erwiederte Aramis kalt, «Ihr werdet mich nie glauben machen, es gebe gute Stuben in der Bastille; und was Eure Teppiche betrifft . . . «

»Was meine Teppiche betrifft?«

»Sie bestehen nur in Eurer Phantasie; ich sehe Spinnen, Ratten, Kröten sogar.«

»Kröten!«

»In den Kerkern.«

»Ah! in den Kerkern, ich leugne das nicht.

»Seid Ihr der Mann, Euch durch Eure eigenen Augen zu überzeugen?« fragte Baisemeaux, der sich allmälig hinreißen ließ.

»Nein! oh! um Gottes willen, nein!«

»Selbst nicht, um Euch Gewißheit über die Ähnlichkeit zu verschaffen, die Ihr leugnet, wie die Teppiche?«

»Ein Gespenst, ein Schatten, ein unglücklicher Sterbender?«

»Nein, nein! Ein Bursche, dem es so wohl ist, als dem Fisch im Wasser.«

»Traurig, verdrießlich.«

»Keines Wegs, ausgelassen. Geht mit mir.«

»Unmöglich!«

»Kommt.«

»Wohin denn?«

»Wir wollen einen Gang durch die Bastille machen.«

»Warum?«

»Ihr sollt sehen. Ihr sollt durch Euch selbst, mit Euren eigenen Augen sehen.«

»Und die Vorschriften?«

»Daran ist nichts gelegen. Es ist heute der Ausgangstag von meinem Major, der Lieutenant hat die Runde auf den Basteien; wir sind Herren hier.«

»Nein, mein lieber Gouverneur, schon der Gedanke an das Geräusch der Riegel, die wir ziehen müßten, macht mich schauern.«

»Geht doch!«

»Ihr dürstet mich nur in einer dritten oder vierten Bertaudière vergessen . . . Ah! . . . «

»Ihr scherzt.«

»Nein, ich spreche im Ernst.«

»Ihr schlagt eine einzige Gelegenheit aus. Wißt Ihr, daß, um die Begünstigung zu erlangen, die ich Euch umsonst antrage, gewisse Prinzen von Geblüt bis fünfzig tausend Livres geboten haben?«

»Es ist also offenbar sehr interessant?«

»Die verbotene Frucht, Monseigneur! die verbotene Frucht, Ihr, der Ihr zur Kirche gehört, müßt das wissen.«

»Nein, hätte ich eine Neugierde, so wäre es in Betreff des Schülers mit dem Distichon.«

»Nun! so sehen wir diesen; er bewohnt gerade die dritte Bertaudière.«

»Warum sagt Ihr gerade?«

»Weil ich, wenn ich eine Neugierde hätte, in Betreff der schönen mit einem Teppich belegten Stube und ihres Bewohners neugierig wäre.«

»Bah! Meubles, das ist etwas Alltägliches; ein unbedeutendes Gesicht hat kein Interesse.«

»Einer zu fünfzehn Livres, das ist immer interessant.«

»Ei! eben hierüber vergaß ich Euch zu befragen. Warum für diesen fünfzehn Livres und für den armen Seldon nur drei?«

»Ah! seht, diese Unterscheidung ist eine herrliche Sache, mein lieber Herr, und hier offenbart sich die Güte des Königs.«

»Des Königs! des Königs!«

»Des Cardinals, will ich sagen: »»Dieser Unglückliche,«« dachte Herr von Mazarin, »»dieser Unglückliche ist dazu bestimmt, immer im Kerker zu bleiben.««

»Warum?«

»Verdammt! mir scheint, sein Verbrechen ist ewig, und die Strafe muß es folglich auch sein.«

»Ewig?«

»Allerdings, hat er nicht das Glück, die Pocken zu bekommen, Ihr begreift, und selbst diese Chance ist für ihn schwierig, denn man hat keine schlechte Luft in der Bastille.«

»Euer Raisonnement ist äußerst geistreich, mein lieber Herr von Baisemeaux.«

»Nicht wahr?«

»Ihr wolltet also sagen, da dieser Unglückliche ohne Unterlaß und ohne Ende leiden müsse . . . «

»Leiden, das habe ich nicht gesagt, Monseigneur, Einer zu fünfzehn Livres leidet nicht.«

»Wenigstens das Gefängnis leiden.«

»Gewiß, das ist ein Mißgeschick, doch dieses Leiden mildert man ihm . . . Ihr werdet zugeben, daß der Bursche nicht auf die Welt gekommen war, um alle die guten Dinge zu essen, die Ihr eßt. Bei Gott l Ihr sollt das sehen: wir haben hier diese unberührte Pastete, diese krebse, von denen wir kaum gekostet, Krebse aus der Marne so groß wie Langusten. Nun wohl! dies Alles wird seinen Weg zur zweiten Bertaudière nehmen, mit einer Flasche von dem Volnay, den Ihr so gut findet. Wenn Ihr es gesehen, werdet Ihr hoffentlich nicht mehr zweifeln.«

»Nein, mein lieber Gouverneur, nein; bei dem Allem denkt Ihr aber nur an die glücklichen fünfzehn Livres und vergeßt den armen Seldon, meinen Schützling.«

»Gut! Euch zu Liebe soll er einen Festtag haben; er soll Zuckerbrod und Confituren mit diesem Fläschchen Porto bekommen.«

 

»Ihr seid ein wackerer Mann, Baisemeaux, ich habe es Euch schon gesagt und wiederhole es.«

»Gehen wir,« sprach der Gouverneur, der halb durch den Wein, halb durch die Lobeserhebungen von Aramis betäubt war.

»Erinnert Euch, daß ich das thue, um Euch gefällig zu sein,« sagte der Prälat.

»Oh! wenn wir zurückkehren, werdet Ihr mir danken.«

»Gehen wir also.«

»Wartet, daß ich den Schließer benachrichtige.«

Baisemeaux läutete zweimal, es erschien ein Mann.

»Ich gehe in die Thürme!« rief der Gouverneur. »Keine Wachen, keine Trommeln, kurz kein Geräusch.«

»Ließe ich meinen Mantel nicht hier,« sagte Aramis Furcht heuchelnd, »ich würde in der That glauben, ich ginge für meine eigene Rechnung ins Gefängnis.«

Der Schließer schritt dem Gouverneur voran; Aramis hielt sich zur Rechten; einige im Hof zerstreute Soldaten stellten sich steif wie Pfähle auf, als der Gouverneur vorüberkam.

Baisemeaux ließ seinen Gast über mehrere Stufen schreiten, welche zu einer Art von Esplanade führten; von da an kam man zur Zugbrücke, auf der die Schildwachen den Gouverneur empfingen.

»Mein Herr,« sagte nun der Gouverneur, indem er sich gegen Aramis umwandte und so sprach, daß die Schildwachen keines von feinen Worten verloren, »mein Herr, nicht wahr, Ihr habt ein gutes Gedächtniß?«

»Warum?« fragte Aramis.

»Für Eure Pläne und Eure Maße, denn Ihr wißt, daß es selbst nicht einmal den Baumeistern erlaubt ist, zu den Personen mit Papier, Federn oder Bleistift einzutreten.«

»Gut!« sagte Aramis zu sich selbst, »es scheint, ich bin ein Baumeister. Ist das nicht abermals ein Scherz von Herrn d’Artagnan, der mich als Ingenieur in Belle-Isle gesehen hat?«

Dann sprach er laut!

»Seid unbesorgt, Herr Gouverneur; bei unserem Stand sind der Blick und das Gedächtniß hinreichend.«

Baisemeaux verzog keine Miene: die Wachen hielten Aramis für das, was er zu sein schien.

»Nun wohl! gehen wir zuerst nach der Bertaudière,« sagte Baisemeaux immer mit der Absicht, von den Wachen gehört zu werden.

»Gehen wir,« antwortete Aramis.

Dann sich an den Schließer wendend, sprach Baisemeaux:

»Du wirst das benützen, um zu Nro 2 die Leckerbissen zu tragen, die ich Dir bezeichnet habe.«

»Der Nro 3, lieber Herr von Baisemeaux, Ihr vergeßt immer den Nro 3.«

»Es ist wahr.«

Sie stiegen hinauf.

Was an Riegeln, Schlössern und Gittern für diesen einzigen Hof vorhanden war, hätte für die Sicherheit einer ganzen Stadt genügt.

Aramis war weder ein Träumer, noch ein empfindsamer Mensch: er hatte in seiner Jugend Verse gemacht, doch er war trockenen Herzens, wie jeder Mann von fünf und fünfzig Jahren, der die Weiber viel geliebt hat, oder viel von ihnen geliebt worden ist.

Als er aber den Fuß auf die ausgetretenen steinernen Stufen setzte, über welche so viele Unglückliche geschritten waren, als er sich von der Atmosphäre dieser düsteren, thränenfeuchten Gewölbe umgeben fühlte, da war er ohne Zweifel gerührt, denn seine Stirne senkte sich, denn seine Augen wurden trübe, und er folgte Baisemeaux, ohne ein Wort mit ihm zu sprechen.

VII.
Der Zweite von der Bertaudière

Im zweiten Stock, war es Müdigkeit, war es Aufregung, fehlte dem Besuche der Athem.

Er lehnte sich an die Wand an.

»Wollte Ihr bei diesem ansangen?« fragte Baisemeaux; »dann gehen wir von Einem zum Andern; gleichviel, wie mir scheint, ob wir vom zweiten zum dritten hinauf, oder vom dritten zum zweiten herabsteigen. Es sind überdies auch einige Reparaturen in diesem

Zimmer vorzunehmen,« fügte er eiligst bei, in der Absicht, vom Schließer gehört zu werden, der sich im Bereiche der Stimme befand.

»Nein! nein!« rief Aramis; »weiter hinauf, weiter hinauf, Herr Gouverneur, wenn es Euch beliebt; oben ist das Dringendere.«

Sie gingen weiter.

»Verlangt die Schlüssel vom Gefangenwärter,« flüsterte Aramis.

»Gern.«

Baisemeaux nahm die Schlüssel und öffnete selbst die Thüre der dritten Stube. Der Schließer trat zuerst ein und stellte auf einen Tisch den Proviant, den der Gouverneur seine Leckerbissen nannte.

Dann ging er hinaus.

Der Gefangene hatte sich nicht gerührt.

Da trat Baisemeaux ebenfalls ein, während Aramis auf der Schwelle stehen blieb.

Von hier sah er einen jungen Menschen, einen Knaben von achtzehn Jahren, der bei dem ungewohnten Geräusch den Kopf erhob, von seinem Bett herabsprang, als er den Gouverneur erblickte, und die Hände faltend: »Meine Mutter! meine Mutter!« zu rufen anfing.

Der Ton dieses jungen Menschen enthielt so viel Schmerz, daß Aramis unwillkührlich schauerte.

»Mein lieber Gast!« sagte Baisemeaux zu ihm, indem er zu lächeln suchte, »ich bringe Euch zugleich eine Zerstreuung und ein Extra. die Zerstreuung für den Geist, das Extra für den Körper. Dieser Herr wird Maße bei Euch nehmen, und hier sind Confituren für Euren Nachtisch.«

»Oh! Herr! Herr!« erwiederte der junge Mensch, »laßt mich ein Jahr lang allein, nährt mich ein Jahr lang mit Wasser und Brod, aber sagt mir, ich werde am Ende eines Jahres von hier wegkommen, sagt mir, ich werde am Ende eines Jahres meine Mutter wiedersehen.«

»Mein lieber Freund,« sprach Baisemeaux, »ich habe Euch selbst sagen hören, Eure Mutter sei sehr arm, Ihr habet schlecht bei ihr gewohnt, während hier, Teufel!«

»Wäre sie arm, mein Herr, so wäre das ein Grund mehr, ihr die Stütze zurückzugeben; schlecht bei ihr gewohnt! oh! mein Herr, man wohnt immer gut, wenn man frei ist.«

»Nun, Ihr sagt, Ihr habet nichts Anderes gemacht, als das unglückliche Distichon?«

»Und zwar ohne Absicht, ohne irgend eine Absicht, das schwöre ich Euch; ich las den Martial, als mir der Gedanke kam; oh! Herr, man strafe mich, man haue mir die Hand ab, mit der ich es geschrieben habe, ich werde mit der andern arbeiten, aber man gebe mich meiner Mutter zurück.«

»Mein Kind,« erwiederte der Gouverneur, »Ihr wißt, daß das nicht von mir abhängt; ich kann nur Eure Ration vermehren. Euch ein Gläschen Porto geben und ein Zuckerbrod zwischen zwei Tellern zukommen lassen.«

»Oh! mein Gott! mein Gott!« schrie der junge Mensch. Und er warf sich rückwärts und wälzte sich auf dem Boden.

Außer Stands, diese Scene länger zu ertragen, zog sich Aramis bis auf den Ruheplatz zurück.

»Der Unglückliche!« murmelte er leise.

»Oh! ja, mein Herr,« sagte der Schließer, »er ist sehr unglücklich, doch daran sind seine Eltern Schuld.«

»Wie so?«

»Allerdings . . . Warum ließ man ihn Lateinisch lernen? Seht Ihr, zu viel wissen ist schädlich. Ich kann weder lesen, noch schreiben: ich bin auch nicht im Gefängnis.«

Aramis schaute diesen Menschen an, der Gefangenwärter in der Bastille sein nicht im Gefängnis sein hieß.

Als Baisemeaux sah, wie wenig Wirkung seine Rathschläge und sein Porto machten, ging er ganz unruhig hinaus,

»Nun! und die Thüre! die Thüre!« sagte der Schließer. »Ihr vergeßt, die Thüre wieder zuschließen.«

»Es ist wahr,« sprach Baisemeaux, »halt, halt, hier sind die Schlüssel.«

»Ich werde um die Begnadigung dieses Kindes ansuchen,« sagte Aramis.

»Und wenn Ihr sie nicht erlangt,« fügte der Gouverneur bei, »so bittet wenigstens, daß man ihn auf zehn Livres setzt; dabei werden wir Beide gewinnen.«

»Wenn der Andere auch nach seiner Mutter verlangt,« bemerkte Aramis, »so will ich lieber gar nicht zu ihm hinein . . . ich nehme mein Maß von außen.«

»Oh! oh!« rief der Gefangenwärter, »habt nicht bange, Herr Baumeister, dieser ist sanft wie ein Lamm; um nach seiner Mutter zu rufen, müßte er sprechen, und er spricht nie.«

»So treten wir ein,« versetzte Aramis mit dumpfem Tone.

»Oh! Herr,« sagte der Schließer, »Ihr seid Baumeister der Gefängnisse?«

»Ja.«

»Und Ihr seid nicht mehr hieran gewöhnt? das ist zum Erstaunen.«

Aramis sah, daß er, um keinen Verdacht zu erregen, alle seine Kräfte zusammenraffen mußte.

Baisemeaux hatte die Schlüssel, er öffnete die Thüre.

»Bleibt außen und erwartet uns unten an der Stiege,« sagte er zum Schließer.

Der Schließer gehorchte und entfernte sich.

Baisemeaux ging zuerst hinein und öffnete selbst die zweite Thüre.

Da sah man in dem Lichtgevierte, das durch das vergitterte Fenster eindrang, einen schönen jungen Mann von kleinem Wuchs mit langen Haaren und einem schon wachsenden Bart; er saß auf einem Schämel, den Ellenbogen auf einem Fauteuil, auf das er den ganzen Oberleib lehnte.

Sein auf dem Bette liegendes Kleid war von seinem schwarzen Sammet, und er athmete die frische Luft, die sich in seine Brust durch ein Hemd vom allerschönsten Batist versenkt hatte.

Als der Gouverneur eintrat, drehte der junge Mann mit einer ganz nachläßigen Bewegung den Kopf um, und da er Baisemeaux erkannte, stand er auf und grüßte höflich.

Sobald sich aber seine Augen auf Aramis richteten, der im Schatten geblieben war, schauerte dieser; er erbleichte, und sein Hut, den er in der Hand hielt, entschlüpfte ihm, als hätten sich alle seine Muskeln zugleich abgespannt.

Baisemeaux, der an die Gegenwart seines Gefangenen gewöhnt war, schien während dieser Zeit keines von den Gefühlen zu theilen, welche Aramis bewegten; er breitete auf dem Tisch seine Pastete und seine Krebse aus, wie es nur ein eifriger Diener hätte thun können. So beschäftigt, bemerkte er die Unruhe seines Gastes nicht.

Als er aber damit zu Ende war, wandte er sich an den jungen Gefangenen und sagte:

»Ihr seht gut aus, es geht gut bei Euch.«

»Sehr gut, mein Herr, ich danke,« antwortete der junge Mann.

Diese Stimme hätte Aramis beinahe zu Boden geworfen. Unwillkührlich machte er, die Augen weit aufgerissen, die Lippen zitternd, einen Schritt vorwärts.

Seine Bewegung war so sichtbar, daß sie Baisemeaux nicht entgehen konnte, so sehr er auch beschäftigt sein mochte.,

»Hier ist ein Baumeister, der Euren Kamin untersuchen soll,« sagte Baisemeaux; »raucht er?«

»Nie, mein Herr.«

»Ihr sagtet, man könne im Gefängnis nicht glücklich sein,« sprach der Gouverneur, sich die Hände reibend; »hier seht Ihr aber einen Gefangenen, der es ist. Ich hoffe, Ihr beklagt Euch nicht?«

»Nie.«

»Ihr langweilt Euch nicht?« fragte Aramis.

»Nie!«

»Nun!« sagte Baisemeaux ganz leise, »hatte ich Recht?«

»Oh! mein lieber Gouverneur, man muß sich wohl in die Nothwendigkeit fügen. Ist es erlaubt, Fragen an ihn zu stellen?«

»So viel Ihr wollt.«

»Nun! so macht mir das Vergnügen, ihn zu fragen, ob er wisse, warum er hier ist«

»Dieser Herr beauftragt mich, Euch zu fragen, ob Ihr die Ursache Eurer Gefangenschaft kennet?« sagte Baisemeaux.

»Nein, mein Herr, ich kenne sie nicht,« antwortete der junge Mann ganz einfach.

»Das ist unmöglich!« rief Aramis unwillkührlich fortgerissen; »wüßtet Ihr die Ursache Eurer Gefangenschaft nicht, so wäret Ihr wüthend.««

»Ich war es während der ersten Tage.«

»Warum seid Ihr es nicht mehr?«

»Weil ich überlegt habe.«

»Das ist seltsam,« sagte Aramis.

»Nicht wahr, das ist erstaunlich?« sprach der Gouverneur.

»Und was habt Ihr überlegt,« fragte Aramis, »darf man es wissen, mein Herr?«

»Ich habe mir überlegt, daß mich Gott, da ich kein Verbrechen begangen habe, nicht strafen könne.«

»Aber was ist denn das Gefängnis, wenn nicht eine Strafe?« erwiederte Aramis.

»Ach! ich weiß es nicht und kann Euch nur sagen, daß es ganz das Gegentheil von dem ist, was ich vor sieben Jahren hatte.«

»Wenn man Euch hört, wenn man Eure Resignation sieht, ist man versucht, zu glauben, Ihr liebet das Gefängnis.«

»Ich ertrage es.«

»In der Gewißheit, eines Tags frei zu werden.«

»Ich habe keine Gewißheit, mein Herr, nur Hoffnung, und, ich gestehe es, diese Hoffnung verliert sich jeden Tag mehr.«

»Warum solltet Ihr aber nicht frei werden, da Ihr es schon gewesen seid?«

»Das ist gerade der Grund, der mich abhält, die Freiheit zu erwarten,« antwortete der junge Mann; »warum würde man mich eingesperrt haben, hätte man beabsichtigt, mich, später wieder freizulassen?«

»Wie alt seid Ihr?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wie heißt Ihr?«

»Ich habe den Namen, den man mir gab, vergessen.«

»Eure Eltern?«

»Ich habe sie nie gekannt.«

»Aber diejenigen, welche Euch erzogen?«

»Nannten mich nicht ihren Sohn.«

»Liebtet Ihr Jemand, ehe Ihr hierher kamet?«

»Ich liebte meine Amme und meine Blumen.«

»Ist das Alles?«

»Ich liebte auch meinen Bedienten.«

»Es thut Euch leid um Eure Amme und um diesen Bedienten?«

 

»Ich habe viel geweint, als sie starben.«

»Sind sie gestorben, seitdem Ihr hier seid, oder ehe Ihr hier waret?«

»Sie sind am Vorabend des Tages gestorben, an welchem man mich wegführte.«

»Beide zu gleicher Zeit?«

»Beide zu gleicher Zeit.«

»Und wie hat man Euch weggebracht?«

»Ein Mann suchte mich auf, ließ mich in einen Wagen steigen, der mit Schlössern geschlossen war, und führte mich hierher.«

»Würdet Ihr diesen Mann wiedererkennen?«

»Er hatte eine Larve.«

»Ist diese Geschichte nicht außerordentlich?« fragte Baisemeaux leise Aramis.

Aramis konnte kaum athmen.

»Ja, außerordentlich,« murmelte er.

»Doch noch außerordentlicher ist, daß er mir nie so viel gesagt hat, als er Euch sagt.«

»Vielleicht kommt dies davon her, daß Ihr ihn nie befragt habt.«

»Das ist möglich,« erwiederte Baisemeaux »ich bin nickt neugierig. Uebrigens seht Ihr die Stube: ist sie nicht schön?«

»Sehr schön.«

»Ein Teppich . . . «

»Herrlich.«

»Ich wette, er hatte keinen ähnlichen, ehe er hierher kam.«

»Ich glaube es,« sprach Aramis. ..

Dann wandte er sich wieder an den jungen Mann und fragte diesen:

»Erinnert Ihr Euch nicht, je einmal einen Besuch von einem Fremden oder einer Fremden gehabt zu haben?«

»Oh! doch, dreimal von einer Frau, welche jedes Mal in einem Wagen vor dem Thor anhielt und bedeckt von einem Schleier eintrat, den sie nur aufhob, wenn wir eingeschlossen und allein waren.«’

»Ihr erinnert Euch dieser Frau?«

»Ja.«

»,Was sagte sie Euch?«

Der junge Mann lächelte traurig.

»Sie fragte mich, was Ihr mich fragt, ob ich glücklich sei oder ob ich mich langweile.«

»Und wenn sie kam oder wegging?«

»Schloß sie mich in ihre Arme, drückte sie mich an ihr Herz, küßte sie mich.«

»Ihr, erinnert Euch ihrer?«

»Vortrefflich.«

»Ich frage, ob Ihr Euch ihrer Gesichtszüge erinnert?«

»Ja.«

»Ihr würdet sie also wiedererkennen, wenn sie der Zufall vor Euch oder Euch zu ihr führte?«

»Oh! gewiß!«

Ein Blitz flüchtiger Freude zuckte in dem Gesicht von Aramis.

In diesem Augenblick hörte Baisemeaux den Schließer heraufkommen.

»Wollen wir weggehen?« sagte er rasch zu Aramis.

Aramis wußte wahrscheinlich Alles, was er wissen wollte.

»Wann es Euch beliebt,« antwortete er.

Der junge Mann sah, daß sie sich anschickten, wegzugehen, und grüßte sie höflich.

Baisemeaux erwiederte dies durch ein einfaches Nicken mit dem Kopf.

Aramis, der ohne Zweifel durch das Unglück ehrfurchtsvoll geworden war, machte eine tiefe Verbeugung vor dem Gefangenen.

»Nun!« fragte Baisemeaux auf der Treppe, »was sagt Ihr zu dem Allem?«

»Ich habe das Geheimniß entdeckt, mein lieber Gouverneur.«

»Bah! Und was für ein Geheimniß ist das?«

»Es ist ein Mord in diesem Hause begangen worden.«

»Geht doch!«

»Begreift Ihr, daß der Bediente und die Amme an einem Tage gestorben sind?«

»Nun?«

»Gift.«

»Ob! oh!«

»Was sagt Ihr dazu?«

»Daß das wohl wahr sein könnte.« Wie! dieser junge Mensch wäre ein Mörder?«

»Ei! wer sagt Euch das? Wie soll das arme Kind ein Mörder sein?«

»Das behauptete ich auch.«

»Das Verbrechen ist in seinem Hause begangen worden, und das genügt: vielleicht hat er die Verbrecher gesehen, und man befürchtet, er konnte sprechen.«

»Teufel! wenn ich das wüßte . . . «

»Nun?«

»Ich würde meine Wachsamkeit verdoppeln.«

»Ob! er sieht nicht aus, als hätte er Lust, zu entweichen.«

»Oh! Ihr kennt die Gefangenen nicht.«

»Hat er Bücher?«

»Nie; es ist durchaus verboten, ihm zu geben.«

»Durchaus?«

»Eigenhändig von Herrn von Mazarin.«

»Und Ihr habt diese Note?«

»Ja, Monseigneur; wollt Ihr sie sehen, wenn Ihr zurückkommt, um Euren Mantel zu holen?«

»Sehr gern, ich habe eine große Freude an Autographen.«

»Dieses ist von einer herrlichen Schrift und hat nur einen Durchstrich.«

»Ah! ah! und warum dieser Durchstrich?«

»Wegen einer Zahl.«

»Wegen einer Zahl?«

»Ja. Anfangs stand: Kostgeld zu 50 Livres.«

»Also wie bei den Prinzen von Geblüt?«

»Aber Ihr begreift, der Cardinal wird gesehen haben, daß er sich irrte; er hat die Nulle durchstrichen und einen 1 vor den 5 beigesetzt. Doch in Betreff . . . «

»Was?«

»Ihr sprecht nicht von der Aehnlichkeit?«

»Mein lieber Herr von Baisemeaux, ich spreche aus einem einfachen Grunde nicht davon: weil sie nicht besteht.«

»Oh! oh!«

»Uno wenn sie besteht, so besteht sie nur in Eurer Einbildungskraft, und wenn sie auch anderswo bestünde, so glaube ich doch, Ihr würdet besser daran thun, nicht davon zu sprechen.«

»Wahrhaftig?«

»König Ludwig XlV., Ihr begreift, er würde einen tödtlichen Haß auf Euch werfen, wenn er erführe, Ihr traget dazu bei, das Gerücht zu verbreiten, einer seiner Unterthanen habe die Frechheit, ihm zu gleichen.«

»Es ist wahr, es ist wahr,« sagte Baisemeaux ganz erschrocken, »doch ich habe von dieser Sache nur mit Euch gesprochen, und auf Eure Verschwiegenheit darf ich wohl zählen, Monseigneur.«

»Oh! seid unbesorgt.«

»Wollt Ihr die Note sehen?« fragte Baisemeaux.

»Allerdings.«

So plaudernd kamen sie zurück; Baisemeaux zog aus einem Schrank ein besonderes Register, das dem ähnlich, welches er Aramis schon gezeigt hatte, aber mit einem Schloß versehen war.

Der Schlüssel, der dieses Schloß öffnete, gehörte dem kleinen Bund, den Baisemeaux beständig bei sich trug.

Er legte das Buch auf den Tisch, öffnete es bei dem Buchstaben M und zeigte Aramis diese Note bei der Colonne der Bemerkungen.

»Nie Bücher, Wäsche von der größten Feinheit, ausgesuchte Kleider; keine Spaziergänge, keine Veränderung des Gefangenwärters, keine Communicationen.

»Musikalische Instrumente; jede Freiheit in Beziehung auf das Wohlbehagen; 15 Livres für die Kost: Herr von Baisemeaux kann fordern, wenn die 15 Livres nicht genügen.«

»Ah! jawohl,« sagte Baisemeaux, »das fällt mir ein: ich werde fordern.«

Aramis schloß das Buch wieder.

»Ja,« sagte er, »es ist die Hand von Herrn von Mazarin; ich erkenne seine Schrift. Nun, mein lieber Gouverneur,« fuhr er fort, als ob diese letzte Mittheilung sein Interesse erschöpft hätte, »nun wollen wir zu unsern kleinen Geschäften übergehen.«

»Welchen Termin soll ich nehmen? bestimmt es selbst.«

»Nehmt gar keinen Termin; stellt mir einen einfachen Schein von hundert und fünfzig tausend Livres aus.«

»Zahlbar?«

»Nach meinem Willen; doch Ihr begreift, ich werde nur wollen, wenn Ihr selbst wollt.«

»Oh! ich bin ganz ruhig,« erwiederte Baisemeaux lächelnd; »doch ich habe Euch schon zwei Scheine gegeben.«

»Ihr seht auch, daß ich sie zerreiße,« sagte Aramis.

Und er zeigte dem Gouverneur die zwei Scheine und zerriß sie in der That.

Durch ein solches Zeichen des Vertrauens besiegt, unterschrieb Baisemeaux ohne Zögern einen Schuldschein von hundert und fünfzigtausend Livres, rückzahlbar nach dem Willen des Prälaten.

Aramis, der der Feder über die Schulter des Gouverneur gefolgt war, steckte den Schein in die Tasche, ohne daß er das Aussehen hatte, als läse er ihn, was Baisemeaux vollkommen beruhigte.

»Ihr werdet mir nun nicht grollen, wenn ich Euch einen Gefangenen entführe?« sagte Aramis.

»Wie so?«

»Ja, indem ich seine Begnadigung erlange. Habe ich Euch nicht gesagt, der arme Seldon interessire mich?«

»Ah! es ist wahr. Nun wohl das ist Eure Sache, handelt nach Eurem Gutdünken; ich weiß,,daß Ihr einen langen Arm und eine starke Hand habt.«

»Gott befohlen!« sprach Aramis.

Und er entfernte sich, die Segnungen des Gouverneurs mit sich nehmend.