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Der Graf von Bragelonne

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X.
Die Arithmetik von Herrn von Mazarin

Während sich der König rasch nach dem vom Cardinal bewohnten Flügel des Schlosses wandte, wobei er nur seinen Kammerdiener mitnahm, trat der Officier der Musketiere, athmend wie ein Mensch, der lange seinen Athem zurückzuhalten genöthigt gewesen ist, aus dem von uns erwähnten kleinen Cabinet, das der König verlassen glaubte. Dieses kleine Cabinet hatte einen Theil des Zimmers gebildet und war durch nichts Anderes, als durch eine dünne Scheidewand davon getrennt. Diese Trennung, welche nur eine für die Augen war, erlaubte daher auch dem am mindesten indiscreten Ohr, Alles zu hören, was in diesem Zimmer vorging.

Es unterlag also keinem Zweifel, daß der Lieutenant der Musketiere Alles gehört hatte, was bei Seiner Majestät vorgegangen war.

Durch die letzten Worte des jungen Königs in Kenntniß gesetzt, ging er zeitig genug heraus, um ihn im Vorübergehen zu begrüßen und mit dem Blick zu begleiten, bis er im Corridor verschwunden war.

Dann, als er verschwunden war, schüttelte er den Kopf auf eine Weise, die nur ihm gehörte, und sprach mit einer Stimme, der vierzig Jahre, außerhalb der Gascogne zugebracht, ihren gascognischen Accent nicht hatten benehmen können:

»Trauriger Dienst, trauriger Herr! . . . «

Nach diesen Worten nahm der Lieutenant wieder seinen Platz in seinem Fauteuil, streckte die Beine aus und schloß die Augen wie ein Mensch, der schläft oder nachsinnt.

Wahrend dieses kurzen Monologs und der Scenirung, die darauf folgte, während sich der König durch die langen Gänge des alten Schlosses zu Herrn von Mazarin begab, ereignete sich eine ganz andere Scene beim Cardinal.

Mazarin hatte sich, etwas von der Gicht geplagt, zu Bette gelegt. Doch da er ein Mann von Ordnung war, der sogar den Schmerz benutzte, so nöthigte er seine Nachtwache, die gehorsame Dienerin seiner Arbeit zu sein. Dem zu Folge ließ er sich von Bernouin, seinem Kammerdiener, ein kleines Reisepult bringen, um auf seinem Bett schreiben zu können.

Doch die Gicht ist keine Feindin, die sich so leicht besiegen läßt, und da der Anfangs dumpfe Schmerz bei jeder Bewegung, die er machte, immer einschneidender wurde, so fragte er Bernouin:

»Ist Brienne nicht da?«

»Nein, Monseigneur,« erwiederte der Kammerdiener, »Herr von Brienne hat sich mit Eurer Erlaubniß zu Bette gelegt. Doch wenn es Eure Eminenz wünscht, kann man ihn ganz wohl wecken.«

»Nein, es ist nicht der Mühe werth. Wir wollen doch sehen. Verfluchte Zahlen!«

Und der Cardinal fing an zu träumen, während er an seinen Fingern rechnete.

»Oh! Zahlen!« sagte Bernouin. »Gut! wenn sich Eure Eminenz in ihre Berechnungen vertieft, so verspreche ich ihr bis Morgen die schönste Migräne! Und dabei ist Herr Guénaud nicht hier.«

»Du hast Recht, Bernouin. Nun! Du wirst Brienne ersetzen, mein Freund. In der That, ich hätte Herrn von Colbert mitnehmen sollen. Dieser junge Mann arbeitet gut, Bernouin, sehr gut. Ein Junge von Ordnung.«

»Ich weiß das nicht,« erwiederte der Kammerdiener; »doch ich liebe das Gesicht von Eurem jungen Mann, der so gut arbeitet, nicht.«

»Es ist gut, es ist gut, Bernouin! man braucht Deine Ansicht nicht. Stelle Dich dahin, nimm Feder und schreibe.«

»Hier bin ich, Monseigneur. Was soll ich schreiben?«

»Hier, es ist gut, unter die zwei schon geschriebenen Zeilen.«

»Ich habe es.«

»Schreibe: Siebenmal hundert sechzig tausend Livres.«

»Es ist geschrieben.«

»Auf Lyon . . . «

Der Cardinal schien zu zögern.

»Auf Lyon,« wiederholte Bernouin.

»Drei Millionen, neunmal hunderttausend Livres.«

»Gut, Monseigneur.«

»Auf Bordeaux sieben Millionen.«

»Sieben,« wiederholte Bernouin.

»Ah ja!« sagte der Cardinal mit Laune, »sieben.« Dann sich verbessernd, fügte er bei: »Du begreifst, Bernouin, dies Alles ist Geld, das ausgegeben werden muß.«

»Ei! Monseigneur, ob das auszugeben oder einzukassiren ist, mir liegt nichts daran, da alle diese Millionen nicht mir gehören.«

»Diese Millionen gehören dem König. Es ist Geld des Königs, das ich berechne. Wie sagten wir? . . . Du unterbrichst mich immer! Sieben Millionen auf Bordeaux. Ah! ja, das ist wahr. Auf Madrid vier. Ich erkläre Dir, wem dieses Geld gehört, Bernouin, insofern alle Welt so einfältig ist, zu glauben, ich sei Millionen reich. Ich weise diese Albernheit zurück. Ein Minister hat übrigens nichts für sich. Fahre fort. Allgemeine Einnahmen sieben Millionen, liegende Güter neun Millionen. Hast Du geschrieben, Bernouin?«

»Ja, Monseigneur.«

»Börse sechsmal hundert tausend Livres; verschiedene Werthe zwei Millionen. Ah! ich vergaß: Mobiliar der verschiedenen Schlösser . . . «

»Soll ich schreiben der Krone?« fragte Bernouin.

»Nein, nein, das ist unnöthig, das ist darunter verstanden. Hast Du geschrieben, Bernouin?«

»Ja, Monseigneur.«

»Und die Zahlen?«

»Sind unter einander gesetzt.«

»Addire, Bernouin.«

»Neununddreißig Millionen, zweimal hundert sechzigtausend Livres, Monseigneur.«

»Ah!« machte der Cardinal mit einem Ausdruck des Aergers, »es sind noch nicht vierzig Millionen.«

Bernouin fing wieder an zu addiren.

»Nein, Monseigneur, es fehlen siebenmal hundert vierzigtausend Livres.«

Mazarin verlangte, die Rechnung und revidirte sie aufmerksam.

»Gleichviel,« sagte Bernouin, »neun und dreißig Millionen, zweimal hundert und sechzigtausend Livres, das ist ein schöner Pfennig.«

»Ah! Bernouin, das möchte ich dem König zeigen.«

»Seine Eminenz sagte mir doch, dieses Geld gehöre Seiner Majestät.«

»Allerdings, aber sehr klar, sehr liquid. Diese neun und dreißig Millionen werden schon in Anspruch genommen und reichen nicht zu.«

Bernouin lächelte auf seine Weise und wie ein Mensch, der nur glaubt, was er glauben will, während er den Nachttrank des Cardinals bereitete und sein Kopfkissen zurecht richtete.

»Oh!« sagte Mazarin, als der Kammerdiener weggegangen war, »noch nicht vierzig Millionen! Ich muß doch die Zahl von fünfundvierzig erreichen, die ich mir festgestellt habe. Doch wer weiß, ob ich die Zeit haben werde! Ich sinke, ich gehe, ich werde’ nicht zum Ziel kommen. Aber lassen sich nicht vielleicht ein paar Millionen in den Taschen unserer guten Freunde, der Spanier, finden? Sie haben Peru entdeckt, diese Leute, und was Teufels, es muß ihnen noch etwas davon übrig sein.«

Während er so sprach und, ganz mit seinen Zahlen beschäftigt, nicht mehr an seine Gicht dachte, welche durch eine geistige Sorge zurückgedrängt wurde, die bei dem Cardinal die mächtigste von allen seinen Sorgen war, stürzte Bernouin ganz erschrocken in’s Zimmer.

»Nun,« fragte der Cardinal, »was gibt es denn?«

»Der König, Monseigneur, der König!«

»Wie, der König?« versetzte Mazarin, rasch sein Papier verbergend. »Der König hier! der König zu dieser Stunde! Ich glaubte, er läge längst im Bett. Was hat er denn?«

Ludwig XlV. konnte diese letzten Worte hören und die Geberde des Cardinals sehen, der sich erschrocken auf seinem Bett erhob, denn er trat in diesem Augenblick in das Zimmer.

»Es ist nichts, Herr Cardinal, oder wenigstens nichts, was Euch beunruhigen könnte: eine wichtige Mittheilung, die ich Eurer Eminenz noch diesen Abend zu machen habe, nichts sonst.«

Mazarin dachte sogleich an die so sehr in die Augen fallende Aufmerksamkeit, die der König seinen Fräulein von Mancini betreffenden Worten geschenkt hatte, und die Mittheilung schien ihm aus dieser Quelle zu kommen. Er erheiterte sich also auf der Stelle und nahm seine freundlichste Miene an, eine Veränderung der Physiognomie, worüber der junge König eine außerordentliche Freude empfand, und als Ludwig sich gesetzt hatte, sprach der Cardinal:

»Sire, ich möchte allerdings Eure Majestät stehend hören, doch die Heftigkeit meines Uebels . . . «

»Keine Etiquette unter uns, theurer Herr Cardinal,« erwiederte Ludwig liebevoll; »ich bin Euer Zögling und nicht Euer König, Ihr wißt es wohl, und besonders, da ich diesen Abend als Bittsteller und sehr demüthiger Sollicitant mit dem sehnlichen Wunsche, gut aufgenommen zu werden, zu Euch komme.«

Als Mazarin die Rothe des Königs sah, wurde er in seiner ersten Idee bestärkt, nämlich in der, daß unter allen diesen schönen Worten ein Liebesgedanke stecke. Diesmal täuschte sich der politische Schlaukopf, so sein er auch war: diese Röthe ward nicht durch die schamhaften Wogungen einer jugendlichen Leidenschaft veranlaßt, sondern nur durch das schmerzhafte Zusammenziehen des königlichen Stolzes.

Als guter Oheim schickte sich Mazarin also an, das Geständniß zu erleichtern.

»Sprecht, Sire,« sagte er, »und da Eure Majestät die Gnade haben will, einen Augenblick zu vergessen, daß ich ihr Unterthan bin, um mich ihren Lehrer und Meister zu nennen, so versichere ich Eure Majestät aller meiner ergebenen und zärtlichen Gefühle.«

»Ich danke, Herr Cardinal,« antwortete der König. »Was ich von Eurer Eminenz zu erbitten habe, ist übrigens wenig für sie!«

»Desto schlimmer,« erwiederte der Cardinal, »desto schlimmer, Sire. Ich wollte, Eure Majestät würde etwas Wichtiges, ein Opfer sogar von mir fordern. Doch was es auch sein mag, was Ihr von mir verlangen möget, ich bin bereit. Euer Herz durch Gewähren zu erleichtern, mein lieber Sire.«

»Nun wohl, so hört, um was es sich handelt.« sprach der König mit einem Herzklopfen, das an Hast nichts Aehnliches hatte, als das Herzklopfen des Ministers, »ich habe so eben den Besuch meines Bruders, den Königs von England, empfangen.«

Mazarin zuckte in seinem Bett auf, als ob er mit der Leidener Flasche oder mit der Voltaischen Säule in Berührung gesetzt worden wäre, während zugleich ein Erstaunen oder vielmehr eine Enttäuschung sein Gesicht mit einem solchen Schimmer des Zorns beleuchtete, daß Ludwig XIV., so wenig er Diplomat war, wohl sah, der Minister habe etwas ganz Anderes zu hören gehofft.

 

»Karl II.!« rief Mazarin mit einer heiseren Stimme und einer verächtlichen Bewegung der Lippen. »Ihr habt den Besuch von Karl II. empfangen?«

»Von König Karl II.,« versetzte Ludwig XIV., der freundlich dem Enkel von Heinrich IV. den Titel bewilligte, den Mazarin ihm zu geben vergaß. »Ja, Herr Cardinal, dieser arme Prinz hat mein Herz durch die Erzählung seiner unglücklichen Schicksale gerührt. Seine Noth ist groß, Herr Cardinal, und es kam mir peinlich vor, mir, der ich mir meinen Thron habe streitig machen sehen, mir, der ich in den Tagen der Unruhen aus meiner Hauptstadt zu fliehen genöthigt war, mir endlich, der ich das Unglück kenne, einen flüchtigen, aus seinem Eigenthum vertriebenen Bruder ohne Unterstützung zu lassen.«

»Ei!« sagte der Cardinal ärgerlich, »warum hat er nicht wie Ihr einen Jules Mazarin bei sich! Seine Krone wäre unangetastet geblieben.«

»Ich weiß, was mein Haus Eurer Eminenz Alles schuldig ist,« erwiederte mit stolzem Tone der König, »und glaubt mir, mein Herr, ich meines Theils werde es nie vergessen. Gerade weil mein Bruder, der König von England, nicht das mächtige Genie bei sich hat, das mich gerettet, gerade deshalb möchte ich ihm die Hilfe desselben Genies verschaffen und Euren Arm bitten, sich über seinem Kopf auszustrecken, fest überzeugt, Herr Cardinal, daß Eure Hand, wenn sie ihn nur berührte, ihm seine zum Fuße des Schaffots seines Vaters gefallene Krone wieder auf die Stirne zu setzen vermöchte.«

»Sire,« erwiederte Mazarin, »ich danke Euch für die gute Meinung, die Ihr von mir hegt, doch wir haben nichts dort zu schaffen: das sind Wüthende, welche Gott verleugnen und ihren Königen die Köpfe abschlagen. Sie sind gefährlich, wie Ihr seht, Sire, und schmutzig zu berühren, seitdem sie sich im königlichen Blut und in Covenanter Koth gewälzt haben. Diese Politik hat mir nie zugesagt, und ich stoße sie zurück.«

»Ihr könnt uns auch dadurch helfen, daß Ihr sie durch eine andere ersetzt.«

»Durch welche?«

»Durch die Wiedereinsetzung von Karl II. zum Beispiel.«

»Ei! mein Gott!« rief Mazarin, »sollte sich,zufällig der arme Sire mit dieser Chimäre schmeicheln?«

»Ja,« sprach der junge König, erschrocken über die Schwierigkeiten, die das, so sichere Auge seines Ministers in diesem Plane zu sehen schien; »er verlangt sogar hierzu nur eine Million.«

»Das ist Alles! »»Eine kleine Million, wenn es Euch beliebt!«« rief ironisch der Cardinal, seinen italienischen Accent bezwingend. »»Eine kleine Million, wenn es Euch beliebt, mein Bruder!«« Fort, eine Bettlerfamilie!«

»Cardinal,« sprach Ludwig XIV., das Haupt erhebend, »diese Bettlerfamilie ist ein Zweig meiner Familie.«

»Seid Ihr reich genug, Andern Millionen zu geben, Sire? Habt Ihr Millionen?«

Oh!« erwiederte Ludwig XIV. mit einem erhabenen Schmerz, den er indessen durch die Kraft des Willens nicht auf seinem Gesichte hervorzutreten zwang; »oh! ja, Herr Cardinal, ich weiß, daß ich arm bin, aber die Krone Frankreichs ist wohl eine Million werth, und um eine gute Handlung zu vollbringen, werde ich, wenn es sein muß, meine Krone verpfänden. Ich finde wohl Juden, die mir eine Million darauf leihen.«

»Ah! Sire, Ihr sagt, Ihr braucht eine Million?» fragte Mazarin.

»Ja, mein Herr, das sage ich.«

»Ihr täuscht Euch sehr, Sire, Ihr braucht viel mehr als dies. Bernouin! Ihr sollt sehen, wie viel Ihr in Wirklichkeit nöthig habt. Bernouin!«

»Wie! Cardinal,« sagte der König, »Ihr wollt einen Lackei bei meinen Angelegenheiten zu Rath ziehen!«

»Bernouin!« rief abermals der Cardinal, ohne daß er die Demüthigung des jungen Prinzen zu bemerken schien, »Komm’ hierher und sage mir die Zahl, die ich früher von Dir forderte, mein Freund.«

»Cardinal, Cardinal, habt Ihr mich nicht gehört?« sprach Ludwig, vor Entrüstung erbleichend.

»Sire, ärgert Euch nicht; ich behandle die Angelegenheiten Eurer Majestät offen. Jedermann in Frankreich weiß es, meine Bücher liegen vor Aller Augen, Was hieß ich Dich so eben thun, Bernouin?«

»Eure Eminenz hieß mich eine Addition machen.«

»Du hast es gethan, nicht wahr?«

»Ja, Monseigneur.«

»Um die Summe herauszustellen, welche Seine Majestät in diesem Augenblick nöthig hätte? Sagte ich das nicht? Sei offenherzig, mein Freund.«

»Eure Eminenz sagte mir das.«

»Und welche Summe wünschte ich?«

»Fünf und vierzig Millionen, glaube ich.«

»Und welche Summe fanden wir, indem wir alle unsere Mittel und Quellen zusammenfaßten?«

»Neun und dreißig Millionen, zweimal hundert und sechzigtausend Livres.«

»Es ist gut, Bernouin, das ist Alles, was ich wissen wollte; verlasse uns nun,« sprach der Cardinal, indem er seinen glänzenden Blick auf den vor Erstaunen stummen jungen König heftete.

»Aber dennoch . . . « stammelte der König.

»Ah! Ihr zweifelt noch, Sire,« sagte der Cardinal. »Wohl, hier habt Ihr den Beweis für das, was ich sagte.«

Und Mazarin zog unter seinem Kopfkissen das mit Zahlen bedeckte Papier hervor und reichte es dem König, der das Gesicht abwandte, so tief war sein Schmerz.

»Da Ihr also eine Million wünscht, Sire, da diese Million hier nicht aufgeführt ist, so hat Eure Majestät sechsundvierzig Millionen nöthig. Es gibt aber keinen Juden auf der Welt, welcher eine solche Summe borgen würde, nicht einmal auf die Krone von Frankreich.«

Der König ballte krampfhaft seine Fäuste unter seinen Manchetten, stieß sein Fauteuil zurück und sprach:

»Es ist gut, mein Bruder, der König von England, wird also Hungers sterben.«

»Sire, entgegnete Mazarin in demselben Ton, »erinnert Euch des Sprichworts, das ich Euch hier als den Ausdruck der vernünftigsten Politik gebe: Freue dich, arm zu sein, wenn dein Nachbar auch arm ist.«

Ludwig sann einen Augenblick nach, während er einen neugierigen Blick auf das Papier warf, von dem ein Ende unter dem Kopfkissen vorstand, und sagte sodann:

»Es ist also völlig unmöglich, meiner Geldforderung zu entsprechen?«

»Durchaus, Sire.«

»Bedenkt, daß es mir später eine Unannehmlichkeit bereiten wird, wenn er ohne mich den Thron besteigt.«

»Wenn Eure Majestät nur das befürchtet, so mag sie ruhig sein,« sagte rasch der Cardinal.

»Es ist gut, ich dringe nicht weiter darauf.«

»Habe ich Euch wenigstens überzeugt, Sire?« fragte der Cardinal, seine Hand auf die des Königs legend.

»Vollkommen.«

»Verlangt alles Andere, Sire, und ich werde glücklich sein, es Euch zu bewilligen, da ich Euch dies verweigern mußte.«

»Alles Andere, mein Herr?«

»Ah! ja, bin ich nicht mit Leib und Seele im Dienste Eurer Majestät? Hollah! Bernouin, Lichter, Wachen für Seine Majestät! Seine Majestät kehrt in ihre Gemächer zurück.«

»Noch nicht, mein Herr, und da Ihr Euren guten Willen zu meiner Verfügung stellt, so will ich davon Gebrauch machen.«

»Für Euch, Sire?« fragte der Cardinal, in der Hoffnung, es würde endlich von seiner Nichte die Rede sein.

»Nein, mein Herr, nicht für mich, sondern immer für meinen Bruder Karl.«

Das Gesicht von Mazarin verdüsterte sich, und er brummelte ein paar Worte, die der König nicht verstehen konnte.

XI.
Die Politik von Herrn von Mazarin

Statt des Zögerns, mit dem er eine Viertelstunde vorher den Cardinal angegangen hatte, konnte man nun in den Augen des jungen Königs jenen Willen lesen, gegen den man zu kämpfen vermag, den man vielleicht durch seine eigene Ohnmacht bricht, der aber wenigstens, wie eine Wunde in der Tiefe des Herzens, die Erinnerung an seine Niederlage behalten wird.

»Diesmal, Herr Cardinal, handelt es sich um etwas, was leichter zu finden ist, als eine Million.«

»Glaubt Ihr, Sire?« sagte Mazarin, indem er den König mit jenem schlauen Auge anschaute, das im tiefsten Grunde der Herzen las.«

»Ja, ich glaube es, und wenn Ihr den Gegenstand meiner Bitten kennen werdet.«

»Glaubt Ihr denn, ich kenne ihn nicht. Sire?«

»Ihr wißt, was mir zu sagen übrig ist?«

»Hört, Sire, die eigenen Worte von König Karl.«

»Oh! da bin ich begierig!«

»Höret also: »»Und wenn dieser Geizhals, dieser knauserige Italiener.«« hat er gesagt . . . «

»Herr Cardinal! . . . «

»Das ist der Sinn, wenn es auch nicht die Worte sind. Ei, mein Gott! ich grolle ihm deshalb nicht, Sire, Jeder sieht mit seinen Leidenschaften. Er hat also gesagt: »»Wenn dieser knauserige Italiener Euch die Million verweigert, die wir verlangen, Sire, wenn wir, in Ermangelung von Geld, auf die Diplomatie zu verzichten genöthigt sind, nun so verlangen wir von ihm fünfhundert Edelleute.««

Der König bebte, denn der Cardinal hatte sich nur in der Zahl getäuscht.

»Nicht wahr, Sire. so ist es?« rief der Minister mit triumphirendem Ausdruck; »dann hat er die schönen Worte beigefügt: »»Ich habe Freunde jenseits der Meerenge; diesen Freunden fehlt es nur an einem Anführer und an einem Banner. Wenn sie mich, wenn sie das Banner Frankreichs sehen, werden sie sich um mich sammeln, denn sie werden begreifen, daß ich Eurer Unterstützung theilhaftig bin. Die Farben der französischen Uniform sind bei mir soviel werth, als die Million, die uns Herr von Mazarin verweigern wird.«« (Denn er wußte wohl, daß ich diese Million verweigern würde.). »»Mit diesen fünfhundert Edelleuten werde ich siegen, Sire, und alle Ehre wird Euch zufallen.«« Das ist es, was er sagte, oder ungefähr sagte, nicht wahr? wobei er seine Worte mit glänzenden Metaphern, mit pomphaften Bildern umgeben hat, denn sie sind Schwätzer in der Familie! Der Vater hat noch auf dem Schaffot gesprochen.«

Der Schweiß der Scham floß Ludwig von der Stirne. Er fühlte, daß es nicht seiner Würde entsprach, so seinen Bruder beleidigen zu hören; aber er wußte noch nicht, wie man aufzutreten hatte, besonders demjenigen gegenüber, vor dem er Alles, sogar seine Mutter, sich hatte beugen sehen.

Endlich strengte er sich an und sprach: »Aber, Herr Cardinal, es handelt sich nicht um fünfhundert Edelleute, sondern um zweihundert.«

»Ihr seht wohl, daß ich errathen habe, was er forderte.«

»Mein Herr, es ist mir nicht eingefallen, zu leugnen, daß Ihr ein tiefes Auge habt, und deshalb dachte ich, Ihr würdet meinem Bruder Karl eine so einfache und so leicht zu bewilligende Sache wie die, welche ich , in seinem Namen oder vielmehr in dem meinigen von Euch verlange, nicht verweigern.«

»Sire,« erwiederte Mazarin, »ich treibe nun seit dreißig Jahren Politik. Ich habe sie Anfangs mit dem Herrn Cardinal von Richelieu, dann allein getrieben. Diese Politik ist nicht immer ehrlich gewesen, ich muß es gestehen, aber sie war nie ungeschickt. Diejenige aber, welche man in diesem Augenblick Eurer Majestät vorschlägt, ist zugleich unehrlich und ungeschickt.«

»Unehrlich, mein Herr!«

»Sire, Ihr habt einen Vertrag mit Herrn Cromwell geschlossen.«

»Ja; und in diesem Vertrag hat Herr Cromwell über mir unterzeichnet.«

»Warum habt Ihr Euren Namen so tief unten an geschrieben, Sire? Herr Cromwell fand einen guten Platz und nahm ihn; das war so ziemlich seine Gewohnheit. Ich komme also auf Herrn Cromwell zurück. Ihr habt einen Vertrag mit Ihm, nämlich mit England, da Herr Cromwell, als Ihr diesen Vertrag unterzeichnetet, England war.«

»Herr Cromwell ist todt.«

»Ihr glaubt das, Sire?«

»Allerdings, da ihm sein Sohn Richard in der Regierung gefolgt ist und selbst entsagt hat.«

»Wohl! das ist es gerade. Richard hat bei dem Tod von Cromwell geerbt, und England bei der Entsagung von Richard. Der Vertrag bildete einen Theil der Erbschaft, kam er nun in die Hände von Herrn Richard, oder in die von England. Der Vertrag ist also immer noch gut und so gültig als je. Warum solltet Ihr ihn vereiteln, Sire? Was hat sich verändert? Karl II. will heute, was wir vor zehn Jahren nicht wollten; doch das ist ein Fall, für den man vorhergesehen. Ihr seid der Verbündete von England, Sire, und nicht der von Karl II. Es war ohne Zweifel ungebührlich aus dem Gesichtspunkt der Familie betrachtet, daß man einen Vertrag mit einem Mann, der dem Schwager des Königs, Eures Vaters, den Kopf abschlagen ließ, unterzeichnet und ein Bündnis; mit einem Parlament geschlossen hat, das man dort ein Croupion-Parlament nennt; das war ungebührlich ich gestehe es zu, aber es war nicht ungeschickt aus dem Politischen Gesichtspunkte, da ich Eurer damals noch minderjährigen Majestät durch diesen Vertrag die Widerwärtigkeiten und Plackereien eines äußeren Krieges erspart habe, in den noch die Fronde . . . Ihr erinnert Tuch der Fronde, Sire (der junge König neigte das Haupt), in den noch die Freude eine unselige Verwirrung gebracht hätte. Und hierdurch beweise ich Eurer Majestät, daß jetzt einen andern Weg einschlagen, ohne unsere Verbündeten zu benachrichtigen. zugleich ungeschickt und unehrlich wäre. Wir würden den Krieg anfangen und das Unrecht auf unsere Seite stellen; wir würden den Krieg anfangen, während wir verdienten, daß man uns bekriegte, und wir hätten die Miene, als fürchteten wir ihn, während wir denselben hervorrufen würden; denn eine Erlaubniß fünfhundert Mann, zweihundert Mann, fünfzig Mann, zehn Mann ertheilt bleibt immer eine Erlaubnis). Ein Franzose, das ist die Nation, eine Uniform, das ist die Armee. Nehmt zum Beispiel an, Sire, Ihr habet früher oder später Krieg mit Holland, was früher oder später sicherlich der Fall sein wird, oder mit Spanien, was vielleicht geschieht, wenn Eure Heirath scheitert (Mazarin schaute den König mit einem tiefen Blick an), und es gibt tausend Ursachen, welche Eure Heirath scheitern machen können; nun wohl, würdet Ihr es billigen, wenn England den Vereinigten Provinzen oder der Infantin ein Regiment, eine Compagnie, oder sogar nur eine Corporalschaft von englischen Edelleuten schickte? Fändet Ihr, es halte sich streng in den Grenzen seines Allianzvertrags?«

 

Ludwig horchte; es kam ihm seltsam vor, daß Mazarin Treue und Glauben anrief, er, der Urheber von so vielen politischen Betrügereien und Ueberlistungen, die man Mazarinaden nannte.

»Aber,« sagte der König, »ohne ihnen eine offene Vollmacht zu geben, kann ich doch wenigstens Edelleute meines Staates nicht abhalten, nach England zu gehen, wenn es ihnen beliebt.«

»Ihr müßt sie zwingen, zurückzukehren, Sire, oder wenigstens gegen ihre Anwesenheit als Feinde in einem verbündeten Land protestiren.«

»Doch sprecht, Herr Cardinal, Ihr, ein so tiefes Genie, laßt uns ein Mittel suchen, diesen armen König zu unterstützen, ohne daß wir uns compromittiren.«

»Das ist es gerade, was ich nicht will, mein lieber Sire,« sagte Mazarin. »Wenn England nach meinen Wünschen handelte, so könnte es nicht besser handeln; wenn ich von hier aus die Politik Englands leitete, ich würde sie nicht anders leiten. So regiert, wie man es regiert, ist England ein ewiges Nest für Prozesse. Holland begünstigt Karl II. Laßt Holland machen; sie werden sich ärgern, sie werden sich schlagen; das sind die einzigen Seemächte; laßt sie einander ihre Marinen zerstören; wir werden die unsrige mit den Trümmern ihm Schisse bauen, und zwar nur, wenn wir Geld haben, um die Nägel zu kaufen.«

»Oh! wie’ armselig und schmutzig ist Alles, was Ihr mir da sagt, Herr Cardinal!«

»Ja, aber wie wahr ist es, Sire, das müßt Ihr gestehen. Mehr noch: ich nehme einen Augenblick die Möglichkeit an, daß Ihr Euer Wort brechen und den Vertrag vereiteln oder umgehen würdet; man sieht oft, daß man sein Wort bricht und einen Vertrag vereitelt; doch dies geschieht, wenn man ein großes Interesse hat, es zu thun, oder wenn man sich durch den Vertrag zu sehr belästigt und beengt fühlt, Wohl, Ihr werdet die Erlaubniß zu der Anwerbung geben, die man von Euch verlangt; Frankreich, sein Banner, was dasselbe ist, wird über die Meerenge ziehen und kämpfen, Frankreich wird besiegt werden.«

»Warum dies?«

»Meiner Treue, Seine Majestät König Karl II. ist ein geschickter General, und Worcester gibt uns schöne Garantien!«

»Er hat es nicht mehr mit Cromwell zu thun, mein Herr.«

»Ja, aber er wird es mit Monk zu thun haben, der noch viel gefährlicher ist. Dieser brave Bierwirth, von dem wir sprachen, war ein Erleuchteter, er hatte Augenblicke der Entzückung, der Ausdehnung, der Anschwellung, während welcher er sich spaltete, wie ein zu volles Faß; durch diese Spalten kamen dann immer einige Tropfen seines Gedankens hervor, und am Muster erkannte man den ganzen Gedanken. Cromwell ließ uns so mehr als zehnmal in seine Seele eindringen, während man diese Seele mit dreifachem Erz. wie Horaz sagt, umhüllt glaubte. Aber Monk! Ah! Sire, Gott behüte Euch, daß Ihr je Politik mit Herrn Monk zu treiben habt! Er hat mir seit einem Jahr alle die grauen Haare gemacht, die ich auf dem Kopfe habe! Monk ist leider kein Erleuchteter mehr, er ist ein Politiker; er spaltet sich nicht, er zieht sich zusammen. Seit zehn Jahren hat er die Augen auf ein Ziel gerichtet, und noch hat Niemand errathen, auf welches. Wie es Ludwig XI. rieth, verbrennt er jeden Morgen seine Nachtmütze. An dem Tag, wo dieser langsame und in der Stille gereifte Plan hervortreten wird, wird er auch mit allen Bedingungen des Erfolgs, welche stets das Unvorhergesehene begleiten, hervortreten.

»Das ist Monk, Sire, von dem Ihr vielleicht nie hattet sprechen hören, dessen Namen Ihr vielleicht nicht einmal kanntet, ehe Euer Bruder Karl II. ihn vor Euch aussprach: nämlich ein Wunder an Tiefe und Starrsinn, die zwei einzigen Dinge, an denen sich der Geist und der Eifer abstumpfen. Sire, ich habe Eifer gehabt, als ich noch jung war, Sire, ich habe stets Geist gehabt, ich kann mich dessen rühmen, da man es mir vorwirft. Ich habe einen schönen Weg gemacht mit diesen zwei Eigenschaften, da ich vom Sohn eines Fischers von Piscina erster Minister von Frankreich geworden bin, und als solcher, Eure Majestät hat wohl die Güte, es anzuerkennen, habe ich dem Throne Eurer Majestät einige Dienste geleistet. Wohl! Sire, hätte ich auf meinem Wege Monk getroffen, statt Herrn von Beaufort, Herrn von Retz oder den Herrn Prinzen zu finden, so wären wir verloren gewesen. Laßt Euch leichtsinnig ein, Sire, und Ihr werdet in die Klauen dieser politischen Soldaten fallen. Der Helm von Monk, Sire, ist eine eiserne Kiste, in deren Tiefe er seine Gedanken verschließt und wozu Niemand einen Schlüssel hat. Bei ihm, oder vielmehr vor ihm verbeuge ich mich, Sire, ich, der ich nur ein Sammelbaret habe.«

»Was glaubt Ihr denn, daß Monk will?«

»Ei! wenn ich das wüßte, Sire, so würde ich Euch nicht sagen, Ihr sollet ihm mißtrauen, denn ich wäre stärker als er: aber bei ihm habe ich Furcht, zu errathen; zu errathen! Ihr begreift mein Wort? Denn wenn ich errathen zu haben glaube, so werde ich bei einer Idee stehen bleiben und diese Idee unwillkührlich verfolgen. Seitdem dieser Mensch dort die Gewalt in Händen hat, bin ich wie jene Verdammten von Dante, denen Satan den Hals umgedreht: sie gehen vorwärts und schauen rückwärts; ich gehe Spanien zu, verliere aber London nicht aus den Augen. Errathen heißt bei diesem Teufel von Menschen sich täuschen, und sich täuschen heißt sich zu Grunde richten. Gott behüte mich, daß ich je zu errathen suche, was er wünscht; ich begnüge mich damit, und das ist schon genug, zu bespähen, was er thut; ich glaube aber, – Ihr begreift das Gewicht des Wortes: ich glaube? ich glaube in Beziehung auf Monk macht zu nichts verbindlich? . . . ich glaube, daß er ganz einfach Lust hat, Cromwell in der Regierung zu folgen. Euer Karl II. hat ihm schon durch zehn Personen Vorschläge machen lassen; er beschränkte sich darauf, daß er die zehn Vermittler fortjagte, ohne ihnen etwas Anderes zu sagen, als: »»Geht, oder ich lasse Euch hängen!«« Dieser Mensch ist ein Grab! In diesem Augenblick spielt Monk den Ergebenen gegen das Croupion-Parlament! von dieser Ergebenheit laß ich mich nicht bethören: Monk will nicht ermordet werden. Ein Mord würde ihn mitten in seinem Werke aufhalten, und sein Werk muß in Erfüllung gehen; ich glaube auch, doch glaubt nicht, was ich glaube, Sire; ich sage, ich glaube aus Gewohnheit; ich glaube, daß Monk das Parlament schont bis zu dem Tag, wo er es zermalmen wird. Man verlangt Schwerter von Euch, doch dies geschieht, um sich gegen Monk zu schlagen; Gott behüte uns, daß wir uns gegen Monk schlagen, Sire, denn Monk wird uns schlagen, und von Monk geschlagen, werde ich mich in meinem ganzen Leben nicht mehr trösten! Ich würde sagen, Monk habe diesen Sieg seit zehn Jahren vorhergesehen. Um Gotteswillen, Sire! aus Freundschaft für Euch, wenn nicht aus Rücksicht für sich selbst, halte sich Karl II. ruhig; Eure Majestät wird ihm eine kleine Rente zufließen lassen, sie wird ihm eines ihrer Schlösser geben. Ei! ei! wartet doch! Da fällt mir der Vertrag, der bekannte Vertrag ein, von dem wir so eben sprachen! Eure Majestät hat nicht einmal das Recht, ihm ein Schloß zu geben!«