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Der Graf von Bragelonne

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»Wie so?«

»Ja, ja. Seine Majestät hat sich verbindlich gemacht, König Karl keine Gastfreundschaft zu gewähren, ihn sogar aus Frankreich wegzuschicken, deshalb haben wir ihn weggeschickt, und nun ist er zurückgekommen! Sire, ich hoffe, Ihr werdet Eurem Bruder begreiflich machen, daß er nicht bei uns bleiben kann, daß dies unmöglich ist, daß er uns compromittirt, oder ich selbst . . . «

»Genug, mein Herr!« sprach Ludwig XIV. aufstehend. »Wenn Ihr mir eine Million verweigert, so seid Ihr berechtigt dazu: Eure Millionen gehören Euch; wenn Ihr mir zweihundert Edelleute verweigert, so seid Ihr abermals in Eurem Recht, denn Ihr seid erster Minister und habt in den Augen von Frankreich die Verantwortlichkeit in Beziehung auf Krieg und Frieden; maßt Ihr Euch aber an, mich, den König, zu verhindern, dem Enkel Heinrich IV., meinem Vetter, dem Gefährten meiner Kindheit, Gastfreundschaft zu gewähren, so sage ich Euch, daß hier Eure Macht ein Ende hat, daß hier mein Wille anfängt.«

»Sire,« sprach Mazarin, entzückt so wohlfeilen Kaufes loszukommen, da er überdies nur so hitzig gekämpft hatte, um es dahin zu bringen, »Sire, ich werde mich stets vor dem Willen meines Königs beugen; mein König behalte also bei sich oder in einem seiner Schlösser den König von England, Mazarin wisse es, aber der Minister soll es nicht wissen.«

»Gute Nacht, mein Herr,« sprach Ludwig XIV., »trostlos gehe ich von hinnen.« —

»Aber überzeugt, und mehr brauche ich nicht.«

Der König antwortete nicht; er entfernte sich ganz nachdenkend, überzeugt, nicht von dem, was Mazarin gesagt, sondern von etwas, was er zu sagen sich wohl gehütet hatte, von der Nothwendigkeit, alles Ernstes seine Angelegenheiten und die von Europa zu studieren, denn er sah, daß sie schwierig und dunkel waren.

Ludwig fand den König von England auf demselben Platze sitzend, wo er ihn gelassen hatte.

Als ihn der englische Prinz sah, gewahrte er mit dem ersten Blick die Entmuthigung in düsteren Buchstaben auf die Stirne seines Vetters geschrieben.

Er nahm zuerst das Wort, als wollte er Ludwig das schmerzliche Geständniß, das er ihm zu machen hatte, erleichtern, und sprach:

»Wie es auch sein mag, nie werde ich die Güte, die Freundschaft vergessen, von der Ihr mir einen Beweis gegeben habt.«

»Ah!« erwiederte Ludwig XIV. mit dumpfem Tone, »der gute Wille ist unfruchtbar, mein Bruder!«

Karl II. wurde furchtbar bleich, fuhr mit einer kalten Hand über seine Stirne und kämpfte einige Augenblicke gegen eine Blendung, die ihn wanken machte.

Ich begreife,« sagte er, »keine Hoffnung mehr!« Ludwig faßte die Hand von Karl II. und sprach:

»Wartet, mein Bruder, und übereilt nichts, Alles kann sich ändern; es sind die äußersten Entschlüsse, die die Sachen zu Grunde richten; ich flehe Euch an, fügt noch ein Jahr der Prüfung mehr den Jahren bei, die Ihr schon ausgestanden habt. Es bietet sich in diesem Augenblick, um Euch zum Handeln zu bestimmen, nicht mehr günstige Gelegenheit, als in irgend einem andern; kommt mit mir, mein Bruder, ich gebe Euch eine meiner Residenzen, diejenige, welche Euch zu bewohnen beliebt; ich werde das Auge mit Euch auf die Ereignisse geheftet halten, wir bereiten sie mit einander vor; auf, mein Bruder, Muth gefaßt!«

Karl II. machte seine Hand von der des Königs los und wich zurück, um mit mehr Ceremonie zu grüßen. »Ich danke Euch von ganzem Herzen, Sire,« sprach er, »doch ich habe ohne Erfolg den größten König der Erde gebeten; nun will ich Gott um ein Wunder bitten.«

Und er ging hinaus, ohne mehr hören zu wollen, die Stirne hoch, die Hand zitternd, mit einer schmerzhaften Zusammenziehung seines edlen Gesichtes und mit jener düsteren Tiefe des Blicks, der, keine Hoffnung mehr in der Welt der Menschen findend, nach Jenseits zu gehen scheint, um von anderen Welten zu verlangen.

Als ihn der Officier der Musketiere so leichenbleich vorüberkommen sah, verbeugte er sich beinahe bis auf die Kniee, um ihn zu grüßen.

Er nahm sodann eine Kerze, rief zwei Musketieren und stieg mit dem unglücklichen König die öde Treppe hinab, wobei er in der linken Hand seinen Hut hielt, dessen Feder die Stufen fegte.

Als sie vor der Thüre waren, fragte der Officier den König, nach welcher Seite er sich wenden würde, damit er die Musketiere dahin schicken könnte.

»Mein Herr,« erwiederte Karl II. mit halber Stimme, »Ihr, der Ihr meinen Vater gekannt habt, wie Ihr sagt, Ihr habt vielleicht für ihn gebetet? Wenn dies so ist, so vergeßt auch mich nicht in Euren Gebeten. Ich gehe nun allein und bitte Euch, mich nicht zu begleiten und mich auch nicht ferner begleiten zu lassen.«

Der Officier verbeugte sich und schickte seine Musketiere in das Innere des Palastes zurück.

Er aber blieb einen Augenblick unter dem Thorweg, um Karl II. sich entfernen und im Schatten der sich drehenden Straße verlieren zu sehen.

»Zu diesem, wie einst zu seinem Vater,« murmelte er, »würde Athos, wenn er da wäre, mit Recht sagen«

»Heil der gefallenen Majestät!«

Als er sodann die Treppe hinaufstieg, sprach er auf jeder Stufe:

»Ah! wie gemein ist der Dienst, den ich zu thun habe? Ah! der klägliche Herr! Ein Leben so zugebracht ist nicht mehr erträglich, und es ist Zeit, daß ich meinen Entschluß fasse! Kein Edelmuth, keine Energie mehr,« fuhr er fort; »dem Meister ist es gelungen, der Zögling leidet für immer an der Schwindsucht. Mordioux! ich werde dem nicht widerstehen. Vorwärts, Ihr Leute,« rief er, in das Vorzimmer eintretend, »was schaut Ihr mich so an? Löscht die Lichter aus und kehrt auf Eure Posten zurück! Ah! Ihr bewacht mich? Ah, Ihr hütet mich, nicht wahr, Ihr guten Leute? Brave Dummköpfe! ich bin nicht der Herzog von Guise, und man wird mich nicht in diesem kleinen Gang ermorden. Ueberdies,« fügte er ganz leise bei, »überdies wäre das ein Entschluß, und man faßt keine Entschlüsse mehr, seitdem der Herr Cardinal von Richelieu todt ist. Ah! das lasse ich mir gefallen, das war ein Mann! Es ist entschieden, schon morgen werfe ich die Kasake in die Nesseln!«

Dann sich eines Andern besinnend, sagte er:

»Nein, noch nicht! ich habe noch eine äußerste Probe durchzumachen, und ich werde sie durchmachen; doch diese, das schwöre ich, ist die letzte, Mordioux!«

Er hatte noch nicht vollendet, als eine Stimme aus dem Zimmer des Königs ertönte.

»Herr Lieutenant?« sprach diese Stimme.

»Hier bin ich,« antwortete er.

»Der König verlangt Euch zu sprechen.«

»Ah!« sagte der Lieutenant, »vielleicht über das, was ich denke.«

Und er trat beim König ein.

XII.
Der König und der Lieutenant

Als der König den Officier bei sich sah, entließ er seinen Kammerdiener und seinen Hofcavalier.

»Wer hat morgen den Dienst, mein Herr?« fragte er sodann.

Der Lieutenant verbeugte sich mit der Höflichkeit eines Soldaten und erwiederte:

»Ich, Sire.«

»Wie, Ihr abermals?«

»Ich immer.«

»Wie kommt das, mein Herr?«

»Sire, die Musketiere geben auf der Reise alle Posten des Hauses Eurer Majestät, nämlich den Eurigen, den der Königin Mutter, und den des Herrn Cardinals, der vom König den besten Theil, oder vielmehr den zahlreichsten Theil seiner königlichen Garde entlehnt.«

»Aber die Zwischenzeiten?«

»Es gibt keine Zwischenzeit, Sire, außer für zwanzig bis dreißig Mann, welche von hundertundzwanzig Mann ausruhen. Im Louvre ist das etwas Anderes, und wenn ich im Louvre wäre, würde ich abwechselnd mit meinem Brigadier ruhen; doch unter Weges, Sire, weiß man nicht, was vorfallen kann, und ich liebe es, mein Geschäft selbst zu thun.«

»Ihr habt also alle Tage die Wache?«

»Und alle Nächte. Ja, Sire.«

»Mein Herr, ich kann das nicht dulden, und ich will, daß Ihr ausruht.«

»Das ist sehr gut, Sire; doch ich, ich will es

»Wie beliebt?« fragte der König, der Anfangs den Sinn dieser Antwort nicht begriff.

»Ich sage, Sire, daß ich mich nicht einem Fehler aussetzen will. Wenn mir der Teufel einen schlimmen Streich zu spielen hätte, so würde er, Ihr begreift, Sire, da er den Menschen kennt, mit dem er es zu thun hat, so würde er den Augenblick wählen, wo ich nicht da wäre. Meinen Dienst und den Frieden meines Gewissens vor Allem.«

»Aber mit diesem Handwerk, mein Herr, werdet Ihr Euch tödten.«

»Ei! Sire, ich treibe dieses Handwerk schon seit fünfunddreißig Jahren und bin derjenige Mensch von Frankreich und Navarra, welcher sich am Besten befindet. Seid übrigens unbesorgt für mich, Sire, ich bitte Euch. Das käme mir zu seltsam vor, insofern ich es gar nicht gewohnt bin.«

Der König schnitt das Gespräch durch eine neue Frage kurz ab.

»Ihr werdet also morgen früh hier sein?« sagte er.

»Wie gegenwärtig, ja, Sire.«

Der König ging nun einige Male in seinem Zimmer auf und ab; es war leicht zu sehen, daß er vor Verlangen, zu sprechen, brannte, daß ihn aber irgend eine Furcht abhielt.

Unbeweglich, seinen Hut in der Hand, die Faust auf der Hüfte, beobachtete der Lieutenant den König bei allen seinen Bewegungen, und während er ihn beobachtete, brummte er auf seinen Schnurrbart beißend:

»Er hat nicht für eine halbe Pistole Entschlossenheit, bei meiner Ehre! Wetten wir, daß er nicht sprechen wird.«

Der König ging beständig auf und ab, wählend er von Zeit zu Zeit einen Seitenblick auf den Lieutenant warf.

»Das ist sein leibhaftiger Vater,« fuhr dieser in seinem geheimen Monolog fort, »er ist zugleich hochmüthig, geizig und furchtsam. Die Pest über seinen Lehrer!«

Ludwig blieb stehen.

»Lieutenant,« sagte er.

»Hier, Sire.«

»Warum habt Ihr diesen Abend dort im Saale: »»Der Dienst des Königs! Die Musketiere Seiner Majestät!«« gerufen?«

»Weil Ihr mir den Befehl dazu gegeben.«

»Ich?«

»Ihr selbst.«

»Ich habe wahrhaftig nicht ein Wort hiervon gesagt, mein Herr.«

 

»Sire, man gibt einen Befehl durch ein Zeichen, durch eine Geberde, durch einen Augenwink eben so offen und klar, als mit den Worten. Ein Diener, der nur Ohren hätte, wäre nur die Hälfte von einem guten Diener.«

»Eure Augen sind also sehr scharf, mein Herr?«

»Warum dies, Sire?«

»Weil sie das sehen, was nicht ist.«

»Meine Augen sind in der That gut, Sire, obgleich sie ihrem Herrn viel und seit langer Zeit gedient haben; so oft es etwas für sie zu sehen gibt, versäumen sie auch die Gelegenheit nicht. Diesen Abend haben sie aber gesehen, daß Eure Majestät erröthete, so gewaltig war ihre Lust, zu gähnen: daß Eure Majestät mit beredtem Flehen zuerst Seine Eminenz, sodann Ihre Majestät, die Königin Mutter, und endlich die Thüre anschaute, durch welche man hinausgeht; und sie haben das, was ich gesagt, so gut bemerkt, daß sie die Lippen Eurer Majestät die Worte: »»Wer wird machen, daß ich von hier weggehen kann?«« artikuliren sahen.«

»Mein Herr!«

»Oder wenigstens, Sire: »»Meine Musketiere!«« dann zögerte ich nicht. Dieser Blick war für mich, das Wort war für mich, und ich rief sogleich : »»Die Musketiere Seiner Majestät!«« Und dies ist so wahr, Sire, daß mir Eure Majestät nicht nur nicht Unrecht, sondern sogar Recht gegeben hat, indem sie auf der Stelle wegging.«

Der König wandte sich ab, um zu lächeln: dann nach einigen Sekunden heftete er sein durchsichtiges Auge wieder auf dieses so verständige, so kühne und so feste Antlitz, das man hätte für das energische und stolze Profil des Adlers im Angesicht der Sonne halten können.

»Es ist gut,« sagte er nach kurzem Stillschweigen, während er, jedoch vergebens, die Augen seines Officiers sich zu senken zwingen wollte.

Als dieser aber sah, daß der König nichts mehr sagte, drehte er sich auf seinen Absätzen, machte drei Schritte, um wegzugehen, und murmelte dabei:

»Er wird nicht sprechen, Mordioux! er wird nicht sprechen.«

»Ich danke, mein Herr,« sagte sodann der König.

»In der That,« fuhr der Lieutenant fort, »es hätte nur noch gefehlt, daß ich getadelt worden wäre, weil ich minder einfältig war als ein Anderer.«

Und er ging auf die Thüre zu, wobei er seine Sporen militärisch klirren ließ.

Als er aber die Schwelle erreicht hatte, da fühlte er, daß ihn der Wunsch des Königs zurückzog, und wandte sich um.

»Eure Majestät hat mir Alles gesagt?« fragte er mit einem Tone, den nichts wiederzugeben vermöchte, und der, ohne daß es schien, als forderte er das königliche Vertrauen heraus, so viel überzeugende Treuherzigkeit enthielt, daß der König auf der Stelle antwortete:

»Nicht Alles, mein Herr, nähert Euch.«

»Ah!« murmelte der Officier; »endlich kommt er.«

»Hört mich.«

»Ich verliere nicht ein Wort, Sire.«

»Ihr steigt morgen früh gegen halb fünf Uhr zu Pferde und laßt auch ein Pferd für mich satteln.«

»Aus den Ställen Eurer Majestät?«

»Nein, ein Pferd von einem Eurer Musketiere.«

»Sehr wohl, Sire. Ist das Alles?«

»Und Ihr begleitet mich.«

»Allein?«

»Allein.«

»Soll ich Eure Majestät abholen oder sie erwarten?«

»Ihr werdet mich erwarten.«

»Wo dies, Sire?«

»An der kleinen Parkthüre.«

Der Lieutenant verbeugte sich, denn er begriff, der König habe ihm Alles gesagt, was er ihm zu sagen hatte.

Der König entließ ihn in der That mit einer ganz liebenswürdigen Geberde seiner Hand.

Der Officier ging aus dem Zimmer des Königs weg und setzte sich philosophisch wieder in seinen Lehnstuhl, wo er, weit entfernt, zu schlummern, wie man in Betracht der vorgerückten Stunde der Nacht hätte glauben können, tiefer nachdachte, als er es je gethan.

Der Erfolg dieser Betrachtungen war durchaus nicht so traurig, als es seine vorhergehenden Betrachtungen gewesen waren.

»Nun! er hat angefangen,« sagte er; »die Liebe treibt ihn an, er schreitet vorwärts! Der König ist bei ihm eine Nulle, aber der Mensch wird vielleicht etwas werth sein. Uebrigens werden wir wohl morgen früh sehen . . . Oh! oh!« rief er plötzlich, sich aufrichtend, »das ist ein riesiger Gedanke, Mordioux, und vielleicht liegt mein Glück in diesem Gedanken!«

Nach diesem Ausruf stand der Officier auf und durchmaß, die Hände in den Taschen seines Rockes, das ungeheure Vorzimmer, das ihm als Wohnung diente.

Die Kerze flammte wüthend unter der Arbeit eines frischen Windes, der, durch die Risse der Thüre und die Spalten der Fenster eindringend, schräge den Saal durchschnitt. Sie verbreitete einen röthlichen, ungleichen, bald strahlenden, bald getrübten Schimmer, und man. sah an der Wand den großen Schatten des Lieutenants, als Silhouette ausgeschnitten, wie eine Figur von Callot, mit dem Degen in der Form eines Spießes und mit dem befiederten Filzhut auf- und abgehen.

»Gewiß ist es so,« murmelte er; »wenn ich mich nicht ganz gewaltig täusche, stellt Mazarin dem jungen Verliebten eine Falle; der Mazarin hat diesen Abend ein Rendez-vous und eine Adresse auf eine so gefällige Weise gegeben, als es nur Herr Dangeau selbst hätte thun können. Ich habe es gehört und kenne den Werth der Worte. »»Morgen früh«« hat er gesagt, »»werden sie auf der Höhe der Brücke von Alois sein.«« Mordioux das ist klar! und besonders für einen Liebenden! Darum diese Verlegenheit, darum dieses Zögern, darum der Befehl: »»Herr Lieutenant meiner Musketiere, morgen früh um vier Uhr zu Pferde.«« Das ist so klar, als hätte er mir gesagt: »»Herr Lieutenant meiner Musketiere, morgen früh auf der Brücke von Blois, hört Ihr?«« Es waltet also hier ein Staatsgeheimniß ob, das ich, der Schwache, zu dieser Stunde in meinen Händen habe. Und warum habe ich es in meinen Händen? Weil ich gute Augen besitze, wie so eben Seiner Majestät bemerkte. Man sagt ja, er liebe wüthend diese kleine Puppe von einer Italienerin! Man sagt ja, er habe sich seiner Mutter zu Füßen geworfen, um sie zu bitten, die Italienerin heirathen zu dürfen; man sagt, die Königin habe sogar am Hof von Rom nachgefragt, ob eine solche Heirath, gegen ihren Willen geschlossen, gültig wäre! Ah! wenn ich noch fünf und zwanzig Jahre alt wäre, wenn ich hier an meiner Seite diejenigen hätte, die ich nicht mehr habe! wenn ich nicht die ganze Welt tief verachtete, würde ich Herrn von Mazarin mit der Königin Mutter, Frankreich mit Spanien entzweien, und eine Königin nach meiner Art machen. Doch basta!«

Und der Lieutenant ließ seinen Finger zum Zeichen der Verachtung schnalzen.

»Dieser elende Italiener, dieser Knauser, dieser Erzfilz, der dem König von England eine Million verweigert hat, würde mir vielleicht nicht tausend Pistolen für die Neuigkeit geben, die ich ihm überbrächte. Oh! Mordioux! ich werde kindisch, ich werde stumpfsinnig! Der Mazarin etwas geben! Ah! ah! ah!«

Und der Officier fing an ganz allein furchtbar zu lachen.

»Schlafen wir,« sagte er, »schlafen wir, und zwar sogleich; mein Geist ist durch den Abend ermüdet, und wird morgen klarer sehen.«

Und auf diese Empfehlung, die er an sich selbst richtete, hüllte er sich, seines königlichen Nachbars spottend, in einen Mantel.

Fünf Minuten nachher schlief er mit geschlossenen Fäusten und leicht geöffneten Lippen, wobei ihm zwar nicht sein Geheimniß entschlüpfte, wohl aber ein sonores Schnarchen aus seinem Munde kam, das sich nach Belieben unter dem majestätischen Gewölbe des Vorzimmers entwickelte.

XIII.
Maria von Mancini

Die Sonne beleuchtete kaum mit ihren ersten Strahlen die großen Baumgruppen des Parkes und die hohen Wetterfahnen des Schlosses, als der junge König, schon seit mehr als zwei Stunden wach und ganz der Schlaflosigkeit der Liebe unterthan, seinen Laden selbst öffnete und einen neugierigen Blick in die Höfe des entschlummerten Palastes warf.

Er sah, daß die verabredete Stunde gekommen war; die große Uhrentafel des Hofes bezeichnete sogar ein Viertel nach vier Uhr.

Er weckte seinen Kammerdiener nicht, der in einiger Entfernung in tiefem Schlaf lag; er kleidete sich selbst an, und als dieser Diener ganz erschrocken herbeikam und glaubte, er habe seinen Dienst versäumt, schickte ihn Ludwig in sein Zimmer und empfahl ihm völliges Stillschweigen. Dann stieg er die kleine Treppe hinab, ging durch eine Seitenpforte hinaus und erblickte längs der Parkmauer einen Reiter, der ein Pferd an der Hand hielt.

Dieser Retter war in seinem Mantel und unter seinem Hut unkenntlich.

Was das Pferd betrifft, welches wie das eines reichen Bürgers gesattelt war, so bot es dem geübtesten Auge nichts Bemerkenswerthes.

Ludwig nahm den Zaum dieses Pferdes; der Officier hielt ihm den Steigbügel, ohne selbst den Sattel zu verlassen, und fragte Seine Majestät mit bescheidener Stimme nach ihren Befehlen.

»Folgt mir,« antwortete Ludwig XIV.

Der Officier setzte sein Pferd hinter dem seines Gebieters in Trab und sie ritten so gegen die Brücke hinab.

Als sie jenseits der Loire waren, sprach der König:

»Mein Herr, Ihr werdet mir das Vergnügen machen, geradeaus zu reiten, bis Ihr einen Wagen erblickt; ich verweile hier.«

»Wird Eure Majestäten Gnade haben, mir den Wagen, den ich zu entdecken beauftragt bin, ein wenig zu bezeichnen?«

»Ein Wagen, in welchem Ihr zwei Damen, und wahrscheinlich auch ihre Zofen sehen werdet.«

»Sire, – ich will keinen Irrthum begehen: gibt es noch ein anderes Merkmal, an welchem ich diesen Wagen zu erkennen vermag?«

»Aller Wahrscheinlichkeit wird das Wappen des Herrn Cardinals daran sein.«

»Es ist gut, Sire,« erwiederte der Officier, völlig klar über den Gegenstand, den er erkennen sollte.

Er setzte sein Pferd in starken Trab und ritt nach der vom König bezeichneten Seite. Doch er hatte noch nicht fünfhundert Schritte gemacht, als er vier Maulthiere und dann einen Wagen hinter einem kleinen Hügel herauf kommen sah.

Hinter diesem Wagen kam ein anderer. Der Officier bedurfte nur eines Blickes, um sich zu versichern, daß dies die Equipagen waren, die er zu suchen hatte.

Er wandte auf der Stelle sein Pferd um, ritt zum König zurück und sagte:

»Sire, dort sind,die Carossen. Die erste enthält in der That zwei Damen mit ihren Kammerfrauen; die zweite enthält Bedienten, Mundvorräthe, Kleider.«

»Gut, gut,« erwiederte der König mit bewegter Stimme. »Ich bitte Euch, geht nun und sagt diesen Damen, ein Cavalier von Hofe wünsche ihnen allein seine Ehrfurcht zu bezeigen.«

Der Officier sprengte im Galopp fort.

»Mordioux!« sagte er während des Reitens, »das ist ein neues, und ich hoffe ehrenvolles Amt; ich beklagte mich, daß ich nichts sei; ich bin Vertrauter des Königs. Ein Musketier! das ist, um vor Stolz zu bersten!«

Er näherte sich dem Wagen und vollzog seinen Auftrag als galanter und geistreicher Bote.

Zwei Damen saßen in der That im Wagen, die eine von großer Schönheit, obgleich ein wenig mager, die andere minder von der Natur begünstigt, aber beweglich, anmuthig und in den leichten Falten ihrer Stirne alle Merkmale des Willens vereinigend.

Ihre lebhaften und durchdringenden Äugen besonders sprachen beredter als alle verliebten Phrasen, welche in jener Zeit der Galanterie guter Ton waren.

An diese wandte sich d’Artagnan, ohne sich zu täuschen, obgleich die andere vielleicht hübscher war.

»Meine Damen,« sagte er, »ich bin der Lieutenant der Musketiere, und es ist auf dem Wege ein Cavalier, der Euch erwartet und Euch seine Huldigung darzubringen wünscht.

Bei diesen Worten, deren Wirkung er neugierig verfolgte, stieß die Dame mit den schwarzen Äugen einen Freudenschrei aus, neigte sich aus dem Schlag, streckte, als sie den Reiter herbeisprengen sah, diesem die Arme entgegen und rief:

»Ah! mein theurer Sire!«

Und alsbald entstürzten Thränen ihren Augen.

Der Kutscher hielt seine Pferde an, die Kammerfrauen standen verwirrt im Wagen auf, und die zweite Dame untermalte gleichsam nur eine Verbeugung, welche mit dem ironischsten Lächeln endigte, das je die Eifersucht auf Frauenlippen gezeichnet hat.

»Maria! theuere Maria!« rief der König, indem er in seine Hände die Hand der Dame mit den schwarzen Augen nahm.

Und er öffnete selbst den schweren Schlag und zog sie aus dem Wagen mit so viel Eifer, daß sie In seinen Armen lag, ehe sie die Erde berührte.

Auf der andern Seite des Wagens aufgepflanzt, sah und hörte der Lieutenant, ohne bemerkt zu werden.

Der König bot Fräulein von Mancini seinen Arm und hieß die Kutscher und Bedienten durch ein Zeichen weiter fahren.

Es mochte ungefähr sechs Uhr sein; der Weg war frisch und reizend; große Bäume mit Blättern, die noch in ihre goldenen Knospen gewickelt, ließen den wie flüssige Diamanten an ihren bebenden Zweigen hängenden Morgenthau herabträufeln; das Gras breitete sich duftend am Fuße der Hecken aus; seit einigen Tagen zurückgekehrt, beschrieben die Schwalben ihr ammuthigen krummen Linien zwischen dem Himmel und dem Wasser; ein Morgenwind, den die Waldungen in ihrer Blüthe mit Wohlgerüchen schwängerten, strich an dieser Straße hin und faltete die Wasserfläche des Stromes; alle diese Schönheiten des Tages, alle diese Düfte der Pflanzen, alle diese Ausathmungen der Erde gegen den Himmel berauschten die zwei Liebenden, welche auf einander gestützt, Auge in Auge, Hand in Hand, Seite an Seite einhergingen und, sich durch einen gemeinschaftlichen Wunsch hemmend, nicht zu sprechen wagten, so viele Dinge hatten sie sich zu sagen.

 

Der Officier sah, daß das verlassene Pferd hin und herschweifte und Fräulein von Mancini beunruhigte. Er benützte den Vorwand, um sich, das Pferd festhaltend, zu nähern, und ebenfalls zu Fuß zwischen den beiden Rossen, die er führte, verlor er weder ein Wort, noch eine Geberde der zwei Liebenden!

Fräulein von Mancini fing an und sprach:

»Ah! mein theurer Sire, Ihr verlaßt mich also nicht!«

»Nein,» erwiederte der König; »Ihr seht es wohl, Maria.«

»Man sagte mir doch so oft, kaum wären wir getrennt, so würdet Ihr nicht mehr an mich denken.«

»Theure Maria, bemerkt Ihr heute erst, daß wir von Leuten umgeben sind, die ein Interesse haben, uns zu täuschen?«

»Aber, Sire, diese Reise, diese Verbindung mit Spanien! Man verheirathet Euch!«

Ludwig neigte das Haupt.

Zu gleicher Zeit konnte der Officier in der Sonne die Blicke von Maria von Mancini, so funkelnd als einen Dolch, der aus der Scheide springt, glänzen sehen.

»Und Ihr habt nichts für unsere Liebe gethan?«

»Ah! mein Fräulein, wie könnt Ihr das glauben! Ich habe mich meiner Mutter zu Füßen geworfen, ich habe gebeten, ich habe gefleht! ich habe gesagt, all mein Glück sei in Euch; ich habe gedroht!«

»Nun?« fragte Maria lebhaft.

»Die Königin Mutter schrieb an den Hof nach Rom und man antwortete ihr, eine Heirath zwischen uns hätte keinen Werth und würde vom heiligen Vater für null und nichtig erklärt werden. Als ich endlich sah, daß es keine Hoffnung mehr für uns gab, bat ich, wenigstens meine Heirath mit der Infantin zu verzögern.«

»Dessen unerachtet seid Ihr auf dem Wege, um Ihr entgegenzureisen.«

»Was wollt Ihr! auf meine Bitten, auf mein Flehen, auf meine Thränen antwortete man mir mit der Staatsraison.«

»Nun?«

»Was soll ich machen, mein Fräulein, wenn sich der Wille von so Vielen gegen mich verbindet?«

Nun war die Reihe an Maria, das Haupt zu neigen.

»So werde ich für immer von Euch Abschied nehmen müssen.« sprach sie. »Ihr wißt, daß man mich verbannt, begräbt; Ihr wißt, daß man noch mehr thut, daß man mich auch verheirathet.

Ludwig wurde bleich und fuhr mit einer Hand an sein Herz.

»Hätte es sich nur um mein Leben gehandelt, denn auch ich wurde so heftig verfolgt, so wurde ich nachgegeben haben, aber ich glaubte, es handle sich um das Eurige, mein theurer Sire, und ich kämpfte, um Euch Euer Gut zu erhalten.«

»Oh! ja, mein Gut, meinen Schatz!« flüsterte der König, vielleicht mehr artig, als leidenschaftlich.

»Der Cardinal würde nachgegeben haben,« sprach Maria, »wenn Ihr Euch an ihn gewendet hättet, wenn Ihr in ihn gedrungen wäret. Der Cardinal den König von Frankreich seinen Neffen nennen! begreift Ihr das, Sire! Er hätte Alles hierfür gethan, er hätte sogar den Krieg unternommen; sicher, allein zu regieren unter dem doppelten Vorwand, er habe den König erzogen und er habe ihm seine Nichte gegeben, hätte der Cardinal jeden Willen bekämpft, jedes Hinderniß niedergeworfen. Oh! Sire, Sire, dafür flehe ich Euch. Ich bin eine Frau und sehe klar in Allem, was Liebe ist.«

Diese Worte brachten auf den König einen seltsamen Eindruck hervor. Es war, als kühlten sie seine Leidenschaft ab, statt sie zu exaltiren. Er ging langsamer und sprach hastig:

»Was wollt Ihr, mein Fräulein, Alles ist gescheitert.«

»Nur Euer Wille nicht, nicht wahr, mein lieber Sire?«

»Ah!« versetzte der König erröthend, »habe ich einen Willen?«

Ein schmerzliches: Oh! entschlüpfte Fräulein von Mancini, welche dieses Wort tief verwundete.

»Der König hat keinen andern Willen, als den, welchen ihm die Politik dictirt, welchen ihm die Staatsraison auferlegt.«

»Oh! Ihr habt keine Liebe!« rief Maria, »wenn Ihr mich liebtet, Sire, hättet Ihr einen Willen.«

Während Maria diese Worte sprach, schlug sie ihre Augen gegen ihren Geliebten auf, der bleicher und entstellter aussah, als ein Verbannter, wenn er auf immer sein Vaterland verlassen soll.

»Klagt mich an,« murmelte der König, »doch sagt nicht, ich liebe Euch nicht.«

Ein langes Stillschweigen folgte auf diese Worte, die der junge König mit einem sehr wahren und sehr tiefen Gefühl ausgesprochen hatte.

»Ich kann nicht denken, Sire, daß ich Euch morgen, übermorgen nicht mehr sehen soll ,« fuhr Maria mit einer letzten Anstrengung fort; »ich kann nicht denken, ich werde meine Tage fern von Paris beschließen, die Lippen eines Greises, eines Unbekannten werden diese Hand berühren, die Ihr in der Eurigen haltet; nein, in der That, ich kann nicht an dies Alles denken, mein theurer Sire, ohne daß mein armes Herz vor Verzweiflung zerspringt.«

Und Maria von Mancini zerfloß wirklich in Thränen.

Gerührt drückte der König seinerseits sein Sacktuch an seine Lippen und erstickte ein Schluchzen,

»Seht, die Wagen halten an,« sprach sie; »meine Schwester erwartet mich, die äußerste Stunde ist da: was Ihr entscheidet, ist für das ganze Leben entschieden! Oh! Sire, Ihr wollt also, daß ich Euch verliere? Ihr wollt, Ludwig, daß diejenige, zu der Ihr gesagt habt: »»Ich liebe Euch,«« einem Andern gehöre, als ihrem König, ihrem Herrn, ihrem Geliebten? Oh! Muth, ein Wort, ein einziges Wort! Specht: Ich will! und mein ganzes Leben ist mit dem Eurigen verkettet, und mein ganzes Herz gehört auf immer Euch.

Der König antwortete nicht.

Maria schaute ihn nun an, wie Dido Aeneas in den elysäischen Feldern anschaute, wild und verächtlich.

»Fahre hin also,« sprach sie, »fahre hin Leben, fahre hin Liebe, fahre hin Himmel!«

Und sie machte einen Schritt, um sich zu entfernen, doch der König hielt sie zurück, ergriff ihre Hand und drückte seine Lippen darauf; die Verzweiflung trug den Sieg über den Entschluß davon, den er innerlich gefaßt zu haben schien; er ließ auf diese schöne Hand eine von Bedauern brennende Thräne fallen, welche Maria beben machte, als ob diese Thräne wirklich gebrannt hätte.

Sie sah die feuchten Augen des Königs, seine bleiche Stirne, seine krampfhaften Lippen, und rief mit einem Ausdruck, den nichts wiederzugeben vermöchte:

»Oh! Sire, Ihr seid König, Ihr weint und ich gehe!«

Der König verbarg statt jeder Antwort sein Gesicht in seinem Sacktuch.

Der Officier stieß etwas wie ein Geschrei aus, das die beiden Pferde erschreckte.

Fräulein von Mancini verließ entrüstet den König, stieg hastig in den Wagen und rief dem Kutscher zu:

»Vorwärts, rasch vorwärts!«

Der Kutscher gehorchte, peitschte seine Pferde und der schwere Wagen erschütterte sich auf seinen kreischenden Achsen, während der König von Frankreich, allein, niedergeschlagen, vernichtet, weder vor sich, noch hinter sich zu schauen wagte.