Tasuta

Der Graf von Bragelonne

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

XXVI.
Der Landsitz von Planchet

Die Reiter erhoben die Köpfe und sahen, daß Planchet genau die Wahrheit sprach.

Zehn Minuten später waren sie in der Rue de Lyon jenseits des Gasthauses zum schönen Pfauen.

Eine große Hecke von blätterreichem Hollunder, Weißdorn und Hopsen bildete eine undurchdringliche, schwarze Umfriedung, hinter der sich ein weißes Haus mit breitem Ziegeldach erhob.

Zwei von den Fenstern dieses Hauses gingen auf. die Straße.

Alle beide waren dunkel.

Zwischen den beiden war der Eingang, über dem ein Wetterdach, das auf viereckigen Pfeilern ruhte.

Man gelangte zu dieser Thüre auf einer hohen Schwelle.

Planchet stieg ab, als wollte er an diese Thüre klopfen; doch er besann sich eines Andern, nahm sein Pferd beim Zügel und ging noch ungefähr dreißig Schritte.

Seine zwei Gefährten folgten ihm.

Dann kam er vor ein Gitterthor, das für die Einfahrt der Karren bestimmt sein mochte und etwa dreißig Schritte entfernter lag, hob die Klinke, den einzigen Verschluß dieser Thüre, auf und stieß einen von den Flügeln zurück.

Er trat zuerst ein und zog sein Pferd in ein Höfchen, umgeben von Dünger, dessen guter Geruch einen ganz nahen Stall verrieth.

»Es riecht gut,«, sprach Porthos geräuschvoll, während er ebenfalls abstieg, »und es ist mir in der That gerade, als wäre ich in meinen Viehställen in Pierrefonds.«

»Ich habe nur eine Kuh,« erwiederte Planchet rasch und bescheiden.

»Und ich habe dreißig,« sagte Porthos, »oder ich weiß vielmehr die Zahl meiner Kühe nicht.«

Sobald die zwei Reiter herein waren, schloß Planchet das Thor wieder hinter ihnen.

D’Artagnan, der mit seiner gewöhnlichen Leichtigkeit abgestiegen war, athmete mittlerweile die gute Luft ein und riß, heiter wie ein Pariser, der Grün sieht, mit einer Hand ein Zweigchen Geißblatt, mit der andern eine Hagerose ab.

Porthos hatte die Hand an Erbsen gelegt, die sich an den Stangen heraufrankten, und aß oder kaute vielmehr Hülsen und Früchte.

Planchet war sogleich bemüht, in seinem Schoppen einen alten Bauern zu wecken, der auf Moos, bedeckt mit einem Leinwandkittel, schlief.

Als dieser Bauer Planchet erkannte, nannte er ihn »Herr,« zur großen Befriedigung des Gewürzkrämers.

»Bindet die Pferde an die Raufe, und gebt ihnen eine gute Ration Futter,« sagte Planchet.

»Oh! ja wohl, die schönen Thiere!« rief der Bauer; »sie sollen zum Zerplatzen bekommen.«

»Sachte! sachte, Freund!« entgegnete d’Artagnan; »Teufel! wie rasch! Hafer und ein Bund Stroh, mehr nicht.«

»Und reines Wasser für mein Thier, denn es hat sehr warm, wie mir scheint,« sagte Porthos.

»Oh! seid unbesorgt meine Herren,« erwiederte Planchet, »der Vater Celestin ist ein alter Gendarme von Iroy; er kennt den Stall: kommt in das Haus, kommt.«

Und er führte die zwei Freunde durch einen bedeckten Gang, der einen Küchengarten und ein kleines Kleefeld durchschnitt und endlich nach einem Gärtchen ausmündete, hinter dem sich das Haus erhob, dessen Hauptfacade auf der Seite der Straße man schon gesehen hatte.«

Als man näher kam, konnte man durch zwei Fenster im Erdgeschoß, welche Zugang zu der Stube gewährten, das Innere des Landsitzes von Planchet erschauen.

Sanft erhellt durch eine auf dem Tische stehende Lampe erschien diese Stube im Hintergrund des Gartens als das Bild der Ruhe, der Behaglichkeit und des Glücks.

Ueberall, wo der Lichtflimmer vom brennenden Mittelpunkt aus auf ein altes Fayencegeschirr, auf ein von Sauberkeit glänzendes Geräthe, auf eine an der Wand hängende Waffe fiel, fand die reine Helle einen warmen Reflex und der Feuertropfen fiel auf einen dem Auge angenehmen Gegenstand.

Diese Lampe, welche das Zimmer erhellte, während das Blätterwerk der Jasmin und der Osterluzien von den Fensterrahmen herabfiel, beleuchtete glänzend ein schneeweißes Damasttischtuch.

Zwei Gedecke lagen auf diesem Tischtuch. In dem rautenweis geschliffenen Kristall einer langen Flasche funkelte der Wein in Rubinen und in einem großen blauen Fayencekrug mit silbernem Deckel war ein schäumender Cider enthalten.

In der Nähe des Tisches, in einem Stuhl mit breiter Lehne schlummerte eine Frau von etwa dreißig Jahren mit einem von Gesundheit und Frische strotzenden Gesicht.

Und auf dem Schooße dieses frischen Geschöpfes ließ eine große rothe Katze, die ihren Körper knäuelartig auf ihren Pfoten zusammengezogen hatte, das charakteristische Schnarchen hören, das in den kätzischen Sitten bedeutet: Ich bin vollkommen glücklich.

Die zwei Freunde blieben ganz verwundert über diese Ueberraschung vor dem Fenster stehen.

Als Planchet ihr Erstaunen sah, ergriff ihn eine sanfte Freude.

»Oh! Planchet, Du Schelm,« rief d’Artagnan, »ich begreife Deine Abwesenheiten.«

»Ho! ho! das ist sehr weiße Leinwand!« sprach Porthos mit einer Donnerstimme.

Beim Geräusch dieser Stimme entfloh die Katze, die Haushälterin fuhr aus dem Schlafe auf, und Planchet, der eine liebreiche Miene annahm, führte die zwei Gefährten in die Stube, wo der Tisch gedeckt war.

»Meine Liebe,« sprach er, »erlaubt mir, Euch den Herrn Chevalier d’Artagnan, meinen Beschützer, vorzustellen.«

D’Artagnan nahm die Hand der Frau als ein Mann von Hofe und mit denselben ritterlichen Manieren, als hätte er die von Madame genommen.

»Der Herr Baron du Vallon de Bracieux de Pierrefonds,« fügte Planchet bei.

Porthos machte eine Verbeugung, mit der sich Anna von Oesterreich, wäre sie auch noch so anspruchsvoll gewesen, zufrieden erklärt haben würde.

Dann kam die Reihe an Planchet.

Er küßte die Frau ganz treuherzig, nachdem er jedoch zuvor ein Zeichen gemacht hatte, mit dem er d’Artagnan und Porthos um Erlaubniß zu bitten schien.

Eine Erlaubniß, die ihm natürlich ertheilt wurde.

D’Artagnan machte Planchet sein Kompliment.

»Das ist ein Mann, der sein Leben einzurichten weiß,« sagte er.

»Gnädiger Herr,« erwiederte Planchet lachend, »das Leben ist ein Kapital, das der Mensch so sinnreich als möglich anlegen muß.«

»Und Du ziehst große Interessen daraus,« rief Porthos wie ein Donner lachend.

Planchet wandte sich wieder an seine Haushälterin, und sagte zu ihr:

»Meine liebe Freundin, Ihr seht da die zwei Männer, die einen Theil meines Daseins geleitet. Ich habe sie Euch Beide oft genannt.«

»Und noch zwei Andere,« sprach die Frau, mit einem scharfen, flämischen Accent.

»Madame ist Holländerin?« fragte d’Artagnan.

Porthos kräuselte seinen Schnurrbart, was d’Artagnan bemerkte, dem gar nichts entging.

»Ich bin aus Antwerpen,« erwiederte die Frau,

»Und sie heißt Frau Gechter,« sagte Planchet.

»Doch Ihr nennt Madame nicht so,« versetzte d’Artagnan.

»Warum nicht?« fragte Planchet.

»Weil das sie alt machen hieße, so oft Ihr sie so nennen würdet.«

»Nein, ich nenne sie Trüchen.«

»Ein reizender Name!« rief Porthos.

»Trüchen,« sprach Planchet, »ist aus Flandern mit ihrer Tugend und zweitausend Gulden zu mir gekommen. Sie entfloh einem widerwärtigen Mann, der sie schlug. Als Picardier habe ich stets die Frauen aus Artois geliebt. Von Artois nach Flandern ist es nur ein Schritt, sie kam weinend zu ihrem Pathen, meinem Vorgänger in der Rue des Lombards und legte dann ihre zweitausend Thaler bei mir an, die ich ihr so umgetrieben habe, daß sie ihr zweitausend tragen.«

»Bravo, Planchet.«

»Sie ist frei, sie ist reich, sie hat eine Kuh, sie befehligt eine Magd und den Vater Celestin, sie spinnt mir alle meine Hemden, sie strickt mir alle meine Winterstrümpfe, sie sieht mich nur alle vierzehn Tage, und ist so gut, sich glücklich zu fühlen.«

»Glücklich bin ich in der That,« sagte Trüchen mit Hingebung.

Porthos kräuselte die andere Hemisphäre seines Schnurrbarts.

»Teufel! Teufel!« dachte d’Artagnan, »sollte Porthos Absichten haben?«

Mittlerweile hatte Trüchen, die wohl begriff, von was die Rede war, ihre Köchin aufgemuntert, zwei Gedecke beigefügt und die Tafel mit jenen ausgesuchten Gerichten beladen, welche aus einem Abendbrod ein Mahl und aus einem Mahl einen Schmaus machen.

Frische Butter, gesalzenes Rindfleisch, Sardellen und Thun, der ganze Specereiladen von Planchet.

Hühner, Gemüse, Salat, Teichfische, Flußfische, Wildpret aus dem Wald, Alles, was die Provinz zu bieten vermag.

Sodann kam Planchet aus dem Keller beladen mit zehn Flaschen zurück, deren Glas unter einer dicken Lage von grauem Staub verschwand.

Dieser Anblick erquickte das Herz von Porthos.

»Ich habe Hunger,« sagte er.

Und er setzte sich mit einem mörderischen Blick neben Frau Trüchen.

D’Artagnan setzte sich auf die andere Seite.

Planchet nahm seinen Platz freudig und bescheiden ihr gegenüber.

»Wundert Euch nicht, wenn Trüchen während des Abendbrods den Tisch oft verläßt,« sagte er; »sie beaufsichtigt Euer Schlafzimmer.«

Die Haushälterin machte wirklich zahlreiche Gänge und man hörte im ersten Stock die Bettgestelle krachen und die Röllchen ächzen.

Während dieser Zeit aßen und tranken die drei Männer, Porthos besonders.

Sie waren wunderbar anzuschauen.

Die zehn Flaschen waren zehn Schatten, als Trüchen mit dem Käse herabkam.

D’Artagnan hatte seine ganze Würde behauptet.

Porthos hatte dagegen einen Theil der seinigen verloren.

Man sang Kriegslieder und recitirte Verse.

D’Artagnan rieth eine neue Reise in den Keller, und da Planchet nicht mit der ganzen Regelmäßigkeit eines geschickten Infanteristen marschirte, so machte der Kapitän der Musketiere den Vorschlag, ihn zu begleiten.

Sie gingen ab, Lieder trällernd, daß die flämischen Teufel Angst bekommen hätten.

Trüchen blieb bei Porthos am Tische sitzen.

Während die zwei Weinkenner hinter dem Knüttelholz auswählten, hörte man das sonore Geräusch, das zwei Lippen auf einer Wange hervorbringen, wenn sie eine Lücke machen,

 

»Porthos wird sich bei La Rochelle geglaubt haben,« dachte d’Artagnan.

Sie stiegen wieder mit Flaschen beladen herauf.

Planchet sah nicht mehr, so sehr sang er.

D’Artagnan, der stets sah, bemerkte, wie die linke Wange von Trüchen röther war als die rechte.

Porthos aber lächelte nach links Trüchen an und kräuselte mit seinen beiden Händen zugleich die zwei Seiten seines Schnurrbarts.

Trüchen lächelte auch dem stattlichen Edelmann zu.

Der perlende Anjouwein machte aus den drei Männern zuerst drei Teufel, dann drei Balken.

D’Artagnan hatte nur noch die Kraft, eine Kerze zu nehmen, und Planchet seine eigene Treppe hinaufzuleuchten.

Planchet zog Porthos nach sich, während ihn Trüchen, ebenfalls sehr lustig, schob.

D’Artagnan war es, der die Stuben fand und die Betten entdeckte.

Porthos sank, von seinem Freunde, dem Musketier, ausgekleidet, in das seinige nieder.

D’Artagnan warf sich auf das seinige und rief:

»Ich hatte doch geschworen, diesen gelben Wein, der nach Flintenstein riecht, nicht mehr zu berühren. Pfui! wenn die Musketiere ihren Kapitän in einem solchen Zustand sehen würden.«

Und er zog die Bettvorhänge zu und fügte bei:

»Zum Glück werden sie mich nicht sehen.«

Planchet wurde von Trüchen in die Arme genommen, die ihn entkleidete und Vorhänge und Thüren schloß.

»Das Landleben ist ergötzlich,« sprach Porthos, indem er die Beine so ausstreckte, daß sie durch das Bettgestell drangen, was einen ungeheuern Einsturz veranlaßte, auf den Niemand Achtung gab, so sehr belustigte man sich in dem Landsitz von Planchet.

Um zwei Uhr nach Mitternacht schnarchte Jedermann.

XXVII.
Was man von dem Hause von Planchet aus sieht

Der andere Morgen fand die drei Freunde in tiefem Schlaf.

Trüchen hatte die Läden als eine Frau geschlossen, welche für beschwerte Augen den ersten Besuch der aufgehenden Sonne befürchtet.

Es war auch finstere Nacht unter den Vorhängen von Porthos und unter dem Baldachin von Planchet, als d’Artagnan, der vor den Andern von einem durch die Fenster eindringenden unbescheidenen Sonnenstrahl aufgeweckt wurde, aus dem Bette sprang, als wollte er der Erste beim Sturme sein.

Er nahm vor Allem die Stube von Porthos, die zunächst bei der seinigen, in Angriff.

Dieser würdige Porthos schlief, wie ein Donner rollt; er breitete stolz in der Finsterniß seinen riesigen Rumpf aus, und seine Faust hing angeschwollen auf den Fußteppich herab.

D’Artagnan weckte Porthos auf, der sich ganz artig die Augen ausrieb.

Mittlerweile kleidete sich Planchet an und empfing an den Thüren ihrer Stube die noch vom Tage vorher wankenden Freunde.

Obgleich es noch frühe, so war doch schon das ganze Haus auf den Beinen. Die Köchin metzelte unbarmherzig im Geflügelhof, und der Vater Celestin pflückte Kirschen im Garten.

Porthos reichte ganz munter Planchet eine Hand, und d’Artagnan bat um Erlaubniß, Frau Trüchen umarmen zu dürfen.

Diese, welche keinen Groll gegen die Besiegten hegte, näherte sich Porthos, dem dieselbe Gunst bewilligt wurde.

Porthos umarmte Frau Trüchen mit einem schweren Seufzer.

Da nahm Planchet die zwei Freunde bei der Hand und sprach:

»Ich will Euch mein Haus zeigen; gestern Abend sind wir wie in einen Backofen hier hereingekommen und konnten nichts sehen; aber bei Tag gewinnt Alles ein andern Anblick, und Ihr werdet zufrieden sein.«

»Beginnen wir mit der Aussicht!« sagte d’Artagnan, »die Aussicht entzückt mich vor Allem; ich habe stets königliche Häuser bewohnt, und die Fürsten wissen ihre Gesichtspunkte nicht zu schlecht zu wählen.«

»Ich,« versetzte Porthos, »ich habe immer auf die Aussicht gehalten. In meinem Schlosse Pierrefonds habe ich vier Alleen durchschlagen lassen, welche nach einer wechselreichen Perspective ausmünden.«

»Ihr sollt meine Perspective sehen,« erwiederte Planchet.

Und er führte seine zwei Gäste vor ein Fenster. »Ah! ja, das ist die Rue de Lyon,« sagte d’Artagnan.

»Ja. Ich habe zwei Fenster hier, eine unbedeudente Aussicht; man erschaut jenes stets geräuschvolle Wirthshaus, eine unangenehme Nachbarschaft. Ich hatte vier Fenster hier, behielt aber nur zwei.«

»Gehen wir weiter,« sagte d’Artagnan.

Sie kehrten in eine Hausflur zurück, die nach den Stuben führte, und Planchet stieß die Läden auf.

»Halt! Halt!« rief Porthos, »was ist das dort?«

»Der Wald,« erwiederte Planchet, »Es ist der Horizont, beständig eine dichte Linie, im Frühjahr gelblich, im Sommer grün, im Herbst roth und im Winter weiß.«

»Sehr gut. Doch das ist ein Vorhang, der sehr fern zu sehen hindert.«

»Ja,« sagte Planchet; »doch man sieht von hier bis dort.«

»Oh! die großen Felder!« rief Porthos. »Ah! was bemerke ich . . . Kreuze, Steine!«

»Das ist der Friedhof,« sagte d’Artagnan.

»Ganz richtig,« sprach Planchet, »ich versichere Euch, daß dies sehr interessant ist; es vergeht kein Tag, ohne daß man Jemand beerdigt. Fontaineblou ist ziemlich stark. Bald sind es weiß gekleidete junge Mädchen mit Bauern, bald Schoppen oder reiche Bürger mit den Kantoren und Kirchendienern, zuweilen auch Officianten vom Hofstaat des Königs.«

»Ich liebe das nicht,« sagte Porthos. »Das ist nicht sehr belustigend,« bemerkte d’Artagnan.

»Ich versichere Euch, daß dies fromme Gedanken rege gemacht,« erwiederte Planchet.

»Ah! ich leugne das nicht.«

»Wir müssen eines Tags sterben,« fuhr Planchet fort; »es gibt irgendwo eine Maxime, die ich behalten habe; sie lautet also: der Gedanke an den Tod ist ein heilsamer Gedanke.«

»Ich behaupte nicht das Gegentheil,« sprach Porthos.

»Aber,« entgegnete d’Artagnan, »es ist auch ein heilsamer Gedanke, der Gedanke an grüne Bäume, an Blumen, an Bäche, an blaue Horizonte, an unübersehbare Ebenen . . . «

»Wenn ich sie hätte, würde ich sie nicht zurückweisen,« versetzte Planchet; »da ich aber nur diesen kleinen, ebenfalls blühenden, moosreichen, schattigen und rosigen Friedhof habe, so begnüge ich mich damit und denke an die Leute der Stadt, die zum Beispiel in der Rue des Lombards wohnen, und täglich zweitausend Karren rollen und hundert und fünfzigtausend Personen im Koth patschen hören.«

»Doch lebendige,« sagte Porthos, »lebendige.«

»Darum erquickt es mich gerade ein wenig, Todte zu sehen,« entgegnete Planchet schüchtern.

»Dieser verteufelte Planchet,« rief d’Artagnan, »er war geboren, um Dichter, wie um Gewürzkrämer zu sein.«

»Herr,« erwiederte Planchet, »ich war einer von jenen ehrlichen Menschenteigen, welche Gott gemacht hat, um sich für eine gewisse Zeit zu beleben, und um alle Dinge gut zu finden, die ihren Aufenthalt auf Erden begleiten.«

D’Artagnan setzte sich nun zum Fenster und träumte hier, denn die Philosophie von Planchet war ihm sehr solid vorgekommen.

»Bei Gott!« rief Porthos, »man gibt uns gerade das Schauspiel. Höre ich denn nicht ein wenig singen?«

»Oh! das ist eine Beerdigung letzten Rangs,« sagte Planchet mit verächtlichem Tone. »Es ist da nur der Priester, der das Amt zu halten hat, der Meßner und der Chorknabe. Ihr seht, meine Herren, der Verstorbene oder die Verstorbene war kein Fürst oder keine Fürstin.«

»Nein, Niemand folgt dem Sarge.«

»Doch,« versetzte Porthos, »ich sehe einen Mann.«

»Ja, es ist wahr, ein Mann in einen Mantel eingehüllt,« sprach d’Artagnan.

»Es lohnt sich nicht der Mühe, gesehen zu werden,« sagte Planchet.

»Das interessirt mich!« erwiederte lebhaft d’Artagnan, der sich mit dem Ellenbogen aus das Fenstergesimse stützte.

»Ah! ah! Ihr beißt an!« rief Planchet freudig; »das ist gerade wie bei mir, in den ersten Tagen war ich traurig, daß ich fortwährend Kreuzeszeichen machen sollte und die Gesänge drangen mir wie Nägel in das Gehirn ein; seitdem wiege ich mich in den Gesängen, und ich habe noch nie so schöne Vögel gesehen, als die des Friedhofs.«

»Ich belustige mich nicht dabei, und will lieber hinabgehen,« sagte Porthos.

Planchet machte nun einen Sprung und bot Porthos seine Hand, um ihn in den Garten zu führen.

»Wie! Ihr bleibt da?« fragte Porthos d’Artagnan, indem er sich umwandte.

»Ja, mein Freund, ich werde Euch nachfolgen.«

»Oh! Herr d’Artagnan hat nicht Unrecht,« sagte Planchet; »bestattet man schon?«

»Noch nicht.«

»Ah! ja, der Todtengräber wartet, bis die Stricke um den Sarg geknüpft sind. Sieh da! es tritt eine Frau am andern Ende des Friedhofs ein.«

»Ja, ja, lieber Planchet;« sprach d’Artagnan rasch; »doch laß mich, laß mich, ich fange an, in heilsame Betrachtungen einzugehen, störe mich nicht.«

Planchet entfernte sich, d’Artagnan verschlang mit den Augen hinter dem halbverschlossenen Laden, was gegenüber vorging.

Die zwei Träger der Leiche hatten die Tragbänder von ihrem Sarg losgemacht und ließen ihre Bürde in die Grube sinken.

Einige Schritte davon lehnte sich der Mann im Mantel, der einzige Zuschauer der düsteren Scene, au eine Cypresse an und entzog gänzlich sein Gesicht sowohl den Todtengräbern, als den Priestern; der Leichnam des Verstorbenen war in fünf Minuten begraben.

Sobald das Grab gefüllt war, wandten sich die Priester um, der Todtengräber sagte ein paar Worte zu ihnen und ging hinter denselben ab.

Der Mann im Mantel grüßte sie im Vorübergehen und legte ein Geldstück in die Hand des Todtengräbers.

»Mordioux!« murmelte d’Artagnan, »dieser Mensch dort ist Aramis.«

Aramis blieb in der That allein, wenigstens auf dieser Seite, denn kaum hatte er den Kopf umgewendet, als der Tritt einer Frau und das Streifen eines Kleides auf dem Wege in seiner Nähe hörbar wurden.

Er drehte sich sogleich um, nahm seinen Hut mit der ganzen Ehrerbietung eines Höflings ab und führte die Dame unter ein Dach von Kastanienbäumen und Linden, die ein prunkvolles Grab beschatteten.

»Ah! ah!« sagte d’Artagnan, »der Bischof von Vannes gibt Rendezvous! das ist immer noch der buhlende Abbé in Noisy-le-Sec.«

»Ja,« fügte der Musketier lachend bei, »doch auf einem Friedhof ist es ein frommes Rendezvous.«

Die Unterredung dauerte eine volle halbe Stunde,

D’Artagnan konnte das Gesicht der Dame nicht sehen, denn sie wandte ihm den Rücken zu, doch er nahm an der Steifheit der beiden Sprechenden, an der Symmetrie ihrer Geberden, an der abgemessenen, ungeheuerlichen Weise, mit der sie sich Blicke zum Angriff oder zur Vertheidigung zusandten, vollkommen wahr, daß man nicht von Liebe sprach.

Nach dem Schlusse der Unterredung stand die Dame auf, und nun war sie es, die sich tief vor Aramis verbeugte.

»Ho! ho!« sagte d’Artagnan, »das endigt wie ein Liebesrendezvous! Der Cavalier kniet am Anfang nieder; die Dame ist hernach bezähmt, und nun fleht sie. Wer ist diese Dame? ich gäbe einen Nagel, wenn ich sie sehen könnte.«

Doch das war unmöglich: Aramis ging zuerst weg, die Dame vertiefte sich in ihre Kopfbedeckung und entfernte sich nachher.

D’Artagnan hielt es nicht mehr aus; er lief an das Fenster nach der Rue de Lyon.

Aramis war so eben in den Gasthof eingetreten.

Die Dame nahm ihren Weg in verkehrter Richtung. Sie wollte sich wahrscheinlich zu einer Equipage mit zwei Handpferden und einem Wagen, den man am Saume des Waldes sah, begeben.

Sie ging langsam, mit vorgebeugtem Kopf und in eine tiefe Träumerei versunken.

»Mordioux! Mordioux! ich muß diese Frau kennen lernen,« sagte der Musketier.

Und ohne sich weiter zu besinnen, folgte er ihr schleunigst nach.

Unter Weges fragte er sich, durch welches Mittel er sie zwingen würde, den Schleier aufzuheben.

»Sie ist nicht jung,« sagte er; »es ist eine Frau von der vornehmen Welt. Der Teufel soll mich holen, wenn ich diese Tournure nicht kenne.«

Durch sein hastiges Laufen brachten seine Sporen und Stiefel auf dem beschlagenen Boden der Straße ein seltsames Geklirr und Geklapper hervor, und in Folge hiervon widerfuhr ihm ein Glück, auf das er nicht rechnete.

Dieses Geräusch beunruhigte die Dame, sie glaubte, man folge ihr oder verfolge sie, was der Wahrheit entsprach, und sie wandte sich um.

D’Artagnan sprang, als hätte er eine Ladung Vogeldunst in die Lenden bekommen. Dann machte er eine hakenförmige Wendung und murmelte:

»Frau von Chevreuse.«

D’Artagnan wollte nicht nach Hause zurückkehren, ohne Alles zu wissen.

Er ersuchte den Vater Celestin, sich beim Todtengräber zu erkundigen, wer der Verstorbene gewesen, den man am Morgen beerdigt habe.

»Ein armer Franciscaner-Bettler, der auf dieser Welt nicht einmal einen Hund hatte, um ihn zu lieben und zu seiner letzten Ruhestätte zu begleiten,« antwortete der Todtengräber.

 

»Wäre dies so, so hätte Aramis nicht seiner Bestattung beigewohnt,« dachte d’Artagnan; »der Herr Bischof von Vannes ist kein Hund, was die Ergebenheit betrifft; in Beziehung auf die seine Witterung, das ist etwas Anderes.«