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Der Graf von Bragelonne

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Die Prinzessin verbarg ihr Gesicht in ihren Händen und rief:

»Mein Herr! mein Herr! wißt Ihr wohl, was Ihr da sagt und wem Ihr es sagt?«

»Dann, Madame,« fuhr Manicamp fort, als hätte er die Ausrufungen der Prinzessin nicht gehört, »dann werdet Ihr Euch über nichts mehr wundern, weder über den Eifer des Grafen, diesen Streit zu suchen, noch über die wunderbare Geschicklichkeit, mit der er denselben auf ein Euren Interessen fremdes Terrain übertragen hat. Hierbei zeichnet sich die Sache besonders durch die Gewandtheit und die Kaltblütigkeit aus, womit man zu Werke gegangen, und wenn die Person, für die der Graf sich geschlagen und sein Blut vergossen hat, wirklich dem armen Verwundeten einigen Dank schuldig ist, so ist sie es nicht für das Blut, das er verloren, oder für den Schmerz, den er ausgestanden, sondern für sein Benehmen in Beziehung auf eine Ehre, die ihm kostbarer als die seinige.«

»Oh!« rief Madame, als wäre sie allein, »oh! sollte es wirklich meinetwegen geschehen sein?«

Manicamp konnte athmen; er hatte muthig die Zeit der Ruhe errungen: er athmete.

Madame blieb ihrerseits eine Zeit lang in eine schmerzliche Träumerei versunken. Man errieth ihre Aufregung am hastigen Wogen ihres Busens, am Schmachten ihrer Augen und daran, daß sie häufig ihre Hand an ihr Herz preßte.

Doch bei ihr war die Gefallsucht keine leere Leidenschaft, es war in, Gegentheil ein Feuer, das Nahrung suchte und sie fand.

»Somit wird Herr von Guiche zwei Personen zugleich verbunden haben,« sagte die Prinzessin, »denn Herr von Bragelonne ist dem Grafen auch einen großen Dank schuldig, einen um so größeren, als Fräulein de la Vallière überall und immer dafür angesehen werden wird, daß sie von diesem edelmüthigen Ritter vertheidigt worden sei.«

Manicamp begriff, daß ein Ueberrest von Zweifel im Herzen der Prinzessin blieb, und sein Geist erhitzte sich durch den Widerstand.

»Ein schöner Dienst, in der That, den er Fräulein de la Vallière geleistet!« sagte er, »ein schöner Dienst, den er Herrn von Bragelonne geleistet hat! Das Duell hat ein Aufsehen erregt, das la Vallière halb entehrt, ein Aufsehen, das sie nothwendig mit dem Vicomte entzweit. Daraus geht hervor, daß der Pistolenschuß von Herrn von Wardes drei Resultate statt eines hat: er tödtet die Ehre einer Frau, die Ehre eines Mannes und hat vielleicht zu gleicher Zeit einen der besten Edelleute Frankreichs auf den Tod verwundet! Oh! Madame, Eure Logik ist sehr kalt; sie verdammt stets und spricht nie frei.«

Die letzten Worte schossen den letzten Zweifel Bresche, der nicht im Herzen, sondern im Geiste von Madame geblieben. Es war weder mehr eine Prinzessin mit ihren Bedenklichkeiten, noch eine Frau mit ihren argwöhnischen Rückzügen; es war ein Herz, das die schmerzliche Kälte einer Wunde gefühlt hatte.

»Auf den Tod verwundet,« murmelte sie mit einer keuchenden Stimme, »oh! Herr von Manicamp, habt Ihr nicht gesagt, auf den Tod verwundet?«

Manicamp antwortete nur mit einem tiefen Seufzer.

»Ihr sagt also, der Graf sei gefährlich verwundet?« fuhr die Prinzessin fort.

»Ei, Madame, es ist ihm eine Hand zerschmettert worden und er hat eine Kugel in der Brust.«

»Mein Gott! mein Gott!« rief die Prinzessin mit der Aufregung des Fiebers, »das ist gräßlich, Herr von Manicamp, eine Hand zerschmettert, sagt Ihr, eine Kugel in der Brust, mein Gott! und es ist dieser Feige! es ist dieser Elende! es ist dieser Mörder Wardes, der es gethan hat! Der Himmel ist offenbar nicht gerecht!«

Manicamp schien einer heftigen Gemütsbewegung zu unterliegen. Er hatte in der That viel Energie bei dem letzten Theil seiner Vertheidigungsrede entwickelt.

Madame aber war nicht mehr im Stande, die Convenienzen zu berechnen; sprach bei ihr etwas Zorn oder Sympathie, so hielt nichts mehr den Erguß zurück.

Madame näherte sich Manicamp, der auf einen Stuhl gesunken war, als wäre der Schmerz eine mächtige Entschuldigung für die Verletzung der Gesetze der Etiquette.

»Mein Herr,« sprach sie, indem sie seine Hand ergriff, »seid offenherzig.«

Manicamp erhob das Haupt.

»Schwebt Herr von Guiche in Todesgefahr?«

»Doppelt, Madame,« erwiederte er, »einmal wegen des Blutflusses, der sich erklärt hat, da eine Arterie der Hand verletzt worden Ist, sodann wegen der Wunde an der Brust, welche, der Arzt befürchtet es wenigstens, ein wesentliches Organ verletzt haben dürste.«

»Er kann also sterben!«

»Sterben, ja, Madame, und zwar ohne den Trost, zu wissen, Ihr habet seine aufopfernde Ergebenheit kennen gelernt.«

»Ihr werdet es ihm sagen.«

»Ich!«

»Ja, seid Ihr nicht sein Freund?«

»Ich? oh! nein, Madame, ich werde Herrn von Guiche, wenn der Unglückliche noch im Stande ist, mich zu hören, nur sagen, was ich gesehen habe, nämlich Eure Grausamkeit gegen ihn.«

»Oh! mein Herr, Ihr begeht diese Barbarei nicht!«

»Doch, Madame, ich werde die Wahrheit sagen, denn die Natur ist am Ende mächtig bei einem jungen Mann von seinem Alter. Die Aerzte sind geschickt, und wenn zufällig der arme Graf seine Wunde überleben würde, so möchte ich nicht, daß er der Gefahr ausgesetzt bliebe, an der Wunde des Herzens zu sterben, nachdem er denen des Leibes entgangen.«

Nach diesen Worten erhob sich Manicamp und schien mit tiefer Ehrerbietung Abschied nehmen zu wollen.

»Mein Herr,« sprach Madame, indem sie ihn mit einer beinahe stehenden Miene zurückhielt, »Ihr werdet wenigstens die Güte haben, mir zu sagen, in welchem Zustand sich der Kranke befindet, wer der Arzt ist, der ihn behandelt.«

»Sein Zustand ist sehr schlimm, Madame, der Arzt, der ihn pflegt, ist der Leibarzt Seiner Majestät, Herr Valot. Dieser wird von dem Collegen unterstützt, zu dem man Herrn von Guiche gebracht hat.«

»Wie! er ist nicht im Schloß?« rief Madame.

»Ach! Madame, es stand so schlecht mit dem armen Jungen, daß er nicht bis hierher geführt werden konnte.«

»Gebt mir die Adresse, mein Herr,« sagte lebhaft die Prinzessin, »ich werde mich nach ihm erkundigen lassen.«

»Rue du Feurre, ein Haus von Backstein mit weißen Läden. Der Name des Arztes ist auf der Thüre angeschrieben.«

»Ihr kehret zu dem Verwundeten zurück, Herr von Manicamp?«

»Ja, Madame.«

»Dann müßt Ihr mir wohl einen Gefallen thun.«

»Ich stehe Eurer Hoheit zu Befehl.«

»Thut, was Ihr thun wolltet, kehret zu Herrn von Guiche zurück, entfernt alle Anwesenden, wollt Euch selbst entfernen.«

»Madame . . . «

»Verlieren wir keine Zeit in unnützen Erklärungen. Sehet hierin nichts Anderes, als was sich darin findet, fraget nichts Anderes, als was ich Euch sage. Ich werde eine von meinen Frauen, zwei vielleicht, der vorgerückten Stunde wegen, abschicken; ich möchte nicht, daß sie Euch sähen, oder offenherziger gesprochen, ich möchte nicht, daß Ihr sie sähet: das sind Bedenklichkeiten, die Ihr begreifen müßt, Ihr besonders, Herr von Manicamp, der Ihr Alles errathet.«

»Oh! Madame, vollkommen, ich kann sogar etwas Besseres thun; ich werde vor Euren Bötinnen hergehen; das wird zugleich ein Mittel sein, ihnen sicher den Weg zu bezeichnen und sie zu beschützen, sollten sie zufällig und gegen alle Wahrscheinlichkeit eines Schutzes bedürfen.«

»Und dann werden sie durch dieses Mittel hauptsächlich ohne alle Schwierigkeit hineinkommen, nicht wahr?«

»Gewiß, Madame, denn vorangehend werde ich diese Schwierigkeiten beseitigen, wollte der Zufall, daß sie bestünden.«

»Nun, so geht, geht, Herr von Manicamp, und wartet unten an der Treppe.«

»Ich gehe, Madame.«

»Wartet.«

Manicamp blieb stehen.

»Höret Ihr den Tritt von Frauen die Treppe hinab, so geht hinaus und folgt, ohne Euch umzuwenden, dem Weg, der zu dem armen Grafen führt.«

»Wenn aber zufällig zwei andere Personen herabgingen und ich täuschte mich?«

»Man wird dreimal leise in die Hände klatschen.«

»Wohl, Madame.«

»Geht, geht.«

Manicamp wandte sich um, verbeugte sich zum letzten Mal und ging, Freude im Herzen, hinaus. Er wußte wohl, daß die Gegenwart von Madame der beste Balsam war, der sich bei den Wunden des Kranken anwenden ließ.

Es war keine Viertelstunde abgelaufen, als das Geräusch einer Thüre, die man öffnete und vorsichtig wieder schloß, an sein Ohr drang; dann hörte er die leichten, am Geländer hinabgleitenden Tritte, dann das dreimalige Klatschen mit den Händen, das heißt das verabredete Zeichen.

Er ging sogleich hinaus und wanderte, seinem Worte getreu ohne den Kopf umzudrehen, durch die Straßen von Fontainebleau nach der Wohnung des Arztes.

VIII.
Herr Malicorne, Archivar des Königreichs Frankreich

Zwei Frauen, in ihre Mäntel gehüllt und das Gesicht bedeckt mit einer Halbmaske von schwarzem Sammet, folgten schüchtern den Schritten von Manicamp.

Im ersten Stock, hinter den rothen Damastvorhängen, glänzte der sanfte Schimmer einer Lampe, welche auf einem Tische stand.

Am andern Ende desselben Zimmers, in einem Bette mit gedrehten Säulen, geschlossen mit Vorhängen denen ähnlich, welche das Feuer der Lampe dämpften, ruhte Guiche, den Kopf erhöht durch ein doppeltes Kissen, die Augen in einen dichten Nebel getaucht; lange, schwarze, gelockte, auf dem Bett umher zerstreute Haare schmückten in ihrer Unordnung die trockenen, bleichen Schläfe des jungen Mannes.

Man fühlte, daß das Fieber der Hauptgast dieses Zimmers war.

Guiche träumte. Sein Geist verfolgte durch die Finsternis; einen von jenen Träumen des Deliriums, wie sie Gott auf dem Wege des Todes denjenigen schickt, welche in das fremde Weltall der Ewigkeit fallen sollen.

Zwei bis drei Flecken noch flüssigen Blutes waren auf dem Boden sichtbar.

Manicamp stieg hastig die Stufen hinauf, hielt erst auf ,der Schwelle an, öffnete sachte die Thüre, streckte den Kopf in das Zimmer, näherte sich, als er sah, daß Alles ruhig war, dem großen ledernen Lehnstuhl, einem Mustermeuble aus der Zeit der Regierung von Heinrich IV., in dem die Krankenwärterin natürlich eingeschlafen war, weckte sie und bat sie, in die an stoßende Stube zu gehen.

 

Hierauf blieb er eine Zeit lang vor dem Bette stehen und fragte sich, ob er Guiche aufwecken sollte, um ihm die gute Kunde mitzutheilen.

Als er sodann hinter dem Thürvorhang das Rauschen der seidenen Kleider und den keuchenden Athem seiner Reisegefährtinnen zu hören anfing, als er schon diesen ungeduldigen Vorhang sich erheben sah, verschwand er längs dem Bett und folgte der Krankenwärterin in die anstoßende Stube.

In demselben Augenblick, wo er verschwand, wurde die Draperie vollends aufgehoben, und die beiden Frauen traten in das Zimmer ein, das er gerade verlassen hatte.

Diejenige, welche zuerst eingetreten war, machte ihrer Gefährtin eine gebieterische Geberde, die sie an einen Schämel bei der Thüre fesselte.

Dann ging sie entschlossen auf das Bett zu, ließ die Vorhänge auf der eisernen Stange gleiten und warf die flatternden Falten hinter das Kopfkissen zurück.

Sie sah nun das bleiche Antlitz des Grafen: sie sah seine rechte Hand umhüllt mit einer Leinwand von blendender Weise auf der gesteppten Bettdecke mit dunklem Laubwerk, mit welchen dieses Schmerzenslager überdeckt war, sich hervorheben.

Sie erbleichte, als sie einen Blutstropfen erschaute, der sich auf der Leinwand ausbreitete.

Die weiße Brust des jungen Mannes war entblößt, als hätte ihn die Kühle der Nacht beim Athmen unterstützen müssen. Ein kleiner Streifen hielt den Verband der Wunde fest, die ein bläulicher Kreis ausgetretenen Blutes umzog.

Ein tiefer Seufzer entströmte dem Munde der jungen Frau, Sie lehnte sich an die Bettsäule an und betrachtete durch die Löcher ihrer Maske dieses schmerzliche Schauspiel.

Rauher, scharfer Athem drang wie das Röcheln des Todes durch die geschlossenen Zähne des Grafen hervor.

Die verlarvte Dame nahm die linke Hand des Verwundeten.

Diese Hand brannte wie eine glühende Kohle.

Doch in den, Augenblick, wo sich die eisige Hand der Dame darauf legte, war die Wirkung dieser Kälte so groß, daß Guiche die Augen öffnete und scharf schauend in das Leben zurückzukehren suchte.

Das Erste, was er erblickte, war das Gespenst, das sich bei der Säule seines Bettes erhob.

Bei diesem Anblick erweiterten sich seine Augen, doch ohne daß der Verstand darin seinen reinen Funken entzündete.

Da machte die Dame ihrer Gefährtin, welche bei der Thüre geblieben war, ein Zeichen? ohne Zweifel hatte diese ihre Lection gelernt, denn mit klarer Betonung und ohne irgend ein Zögern sprach sie die Worte:

»Herr Graf, Ihre Königliche Hoheit Madame wollte wissen, wie Ihr die Schmerzen Eurer Wunde ertrüget, und Euch zugleich durch meinen Mund bezeigen , wie sehr sie es bedaure, Euch leiden sehen zu müssen.«

Bei dem Worte: Madame, machte Guiche eine Bewegung; er hatte die Person noch nicht bemerkt, der diese Stimme gehörte.

Er wandte sich natürlich gegen den Punkt, von dem diese Stimme kam.

Da ihn aber die eisige Hand nicht verlassen hatte, so schaute er wieder das unbewegliche Gespenst an.

»Sprecht Ihr zu mir, Madame,« sagte er mit geschwächter Stimme, »oder ist noch eine andere Person bei Euch im Zimmer?«

»Ja,« antwortete, den Kopf senkend, mit beinahe unverständlicher Stimme das Gespenst.

»Wohl,« versetzte der Verwundete mit großer Anstrengung, »meinen Dank. Sagt Madame, ich beklage es nicht mehr, sterben zu müssen, da sie sich meiner erinnere.«

Bei dem Worte: sterben, von einem Sterbenden ausgesprochen, konnte sich die verlarvte Dame der Thränen nicht mehr erwehren, die unter ihrer Maske herabliefen und auf ihren Wangen an der Stelle erschienen, wo die Maske sie zu bedecken aufhörte.

Wäre Guiche Herr seiner Sinne gewesen, so hätte er sie in glänzenden Perlen rollen und auf sein Bett herabfallen sehen.

Die Dame, welche vergaß, daß sie eine Larve hatte, fuhr mit der Hand an ihre Augen, um sie zu trocknen, und riß, als sie unter der Hand den kalten Sammet fand, zornig die Maske ab und warf sie auf den Boden.

Bei dieser unerwarteten Erscheinung, die für ihn aus einer Wolke hervorzukommen schien, gab Guiche einen Schrei von sich und streckte die Arme aus.

Doch jedes Wort erstarb auf seinen Lippen, wie jede Kraft in seinen Adern.

Seine rechte Hand, die dem Impuls des Willens gefolgt war, ohne den Grad der Mächtigkeit zu berechnen, seine rechte Hand fiel auf das Bett zurück, und alsbald wurde die so weiße Leinwand von einem breiteren Flecken geröthet.

Und während dieser Zeit bedeckten sich die Augen des jungen Mannes und schloßen sich, als hätte er so eben mit dem unbesiegbaren Engel des Todes in den Kampf zu treten angefangen.

Dann nach einigen unwillkührlichen Zuckungen lag der Kopf wieder unbeweglich auf dem Kissen.

Er war nur von bleich bleifarbig geworden.

Die Dame bekam bange; doch diesmal wurde gegen die Gewohnheit die Angst anziehend.

Sie neigte sich zu dem jungen Mann herab, verzehrte mit ihrem Hauch dieses kalte, entfärbte Antlitz, das sie beinahe berührte, drückte dann einen raschen Kuß auf die linke Hand von Guiche, der, wie von einem elektrischen Schlag geschüttelt, auf eine Sekunde erwachte, die Augen weit, aber ohne Geist, aufriß und dann wieder in eine tiefe Ohnmacht zurückfiel.

»Fort,« sagte sie zu ihrer Gefährtin, »wir können nicht länger hier verweilen, ich würde eine Thorheit begehen.«

»Madame! Madame! Eure Hoheit vergißt ihre Larve,« versetzte die wachsame Gefährtin.

»Hebet sie auf,« erwiederte ihre Gebieterin und schlüpfte ganz verwirrt die Treppe hinab.

Und da die Hausthüre offen geblieben war, so eilten die zwei leichten Vögel durch diese Oeffnung hinaus und erreichten raschen Laufes den Palast.

Die eine von den beiden Damen stieg bis in die Gemächer von Madame hinaus, wo sie verschwand.

Die andere ging in die Wohnung der Ehrenfräulein, das heißt in das Entresol.

In ihrem Zimmer angelangt, setzte sie sich an einen Tisch und schrieb, ohne daß sie sich Zeit ließ, zu athmen, folgendes Billet:

»Diesen Abend hat Madame Herrn von Guiche besucht.

»Alles geht gut auf dieser Seite.

»Arbeitet Eurerseits und verbrennt besonders dieses Papier.«

Dann legte sie den Brief in einer langen Form zusammen, verließ vorsichtig ihr Zimmer und durchschritt einen Corridor, der zur Wohnung der Edelleute von Monsieur führte.

Hier blieb sie vor einer Thüre stehen, unter der sie, nachdem sie zweimal geklopft hatte, das Papier durchsteckte, wonach sie entfloh.

Sobald sie wieder in ihr Zimmer zurückgekehrt war, machte sie jede Spur ihres Ausgangs und des Billetschreibens verschwinden.

Mitten unter den Forschungen, die sie in dem von uns genannten Zweck anstellte, erblickte sie auf dem Tisch die Maske von Madame, die sie mitgenommen, aber Madame zuzustellen vergessen hatte.

»Ho! ho! vergessen wir nicht, morgen zu thun, was wir heute zu thun vergessen haben.«

Und sie nahm die Maske an ihren Sammetwange und schaute, da sie ihren Daumen feucht werden fühlte, diesen Daumen an.

Er war nicht nur feucht, sondern geröthet.

Die Maske war auf einen von der von uns erwähnten Blutflecken auf dem Boden gefallen, und von dem schwarzen Aeußeren, das zufällig mit ihm in Berührung gekommen, war das Blut in das Innere übergegangen und hatte den weißen Batist gefärbt.

»Ho! ho!« sagte Montalais, denn unsere Leser haben sie ohne Zweifel schon an allen Manoeuvres erkannt, die wir beschrieben, »ho! hol ich werde ihr diese Maske nicht zurückgeben, sie ist nun zu kostbar.«

Und sie stand auf und lief an ein Kistchen von Ahorn, das mehrere Toilette- und Parfumerie-Gegenstände enthielt.

»Nein,« sagte sie, »nicht hier, ein solches Depot gehört nicht zu denjenigen, welche man dem Ungefähr überläßt.«

Nachdem sie einen Augenblick geschwiegen, fügte sie mit einem Lächeln, das nur ihr eigenthümlich, bei:

»Schöne Larve, mit dem Blute dieses braven Ritters befleckt, du sollst im Magazin der Wunder mit den Briefen von la Vallière, mit denen von Raoul, mit der ganzen verliebten Sammlung endlich vereinigt werden, welche dereinst die Geschichte von Frankreich und die Geschichte des Königthums bilden wird.

»Du wirst zu Herrn Malicorne gehen,« fuhr die Tolle lachend fort, während sie sich zu entkleiden anfing, »zu dem würdigen Herrn Malicorne,« sprach sie, ihr Licht auslöschend, »der nur Aufseher der Zimmer von Monsieur zu sein glaubt, und den ich zum Archivar und Historiographen des Hauses Bourbon und der besten Häuser Frankreichs mache.

»Er beklage sich nur noch, dieser wunderliche Malicorne!«

Und sie zog die Vorhänge zu und entschlief.

IX.
Die Reise

Am andern Morgen. an dem für die Abreise bestimmten Tag, kam der König auf den Schlag elf Uhr mit den Königinnen und Madame die große Treppe herab, um in den mit sechs ungeduldigen Rossen bespannten Wagen zu steigen.

Der ganze Hof wartete in Reisekleidern im Hufeisen, und sie bot ein glänzendes Schauspiel, diese Menge von gesattelten Pferden, von bespannten Carossen, von Männern und Frauen, umgeben von ihren Officianten, Bedienten und Pagen.

Der König stieg mit den beiden Königinnen in den Wagen.

Madame that dasselbe mit Monsieur.

Die Ehrenfräulein ahmten dieses Beispiel nach und nahmen zu zwei und zwei in den für sie bestimmen Wagen Platz.

Der Wagen des Königs fuhr an der Spitze, hierauf kam der von Madame, dann folgten die anderen nach der Etiquette.

Das Wetter war warm; ein leichter Luftzug, den man am Morgen für stark genug halten konnte, um die Atmosphäre zu erfrischen, war bald von der unter den Wolken verborgenen Sonne durchglüht und drang nur noch durch den heißen, vom Boden sich erhebenden Dampf als ein brennender Wind, der einen seinen Staub auffegte und die Reisenden, die es an Ort und Stelle zu kommen drängte, ins Gesicht schlug.

Madame war die Erste, die sich über die Hitze beklagte,

Monsieur antwortete ihr dadurch, daß er sich in den Wagen zurückwarf wie ein Mensch, der ohnmächtig werden soll, und begoß sich mit Salzen und Riechwassern, während er tiefe Seufzer ausstieß.

Da sagte Madame mit ihrer liebenswürdigsten Miene zu ihm:

»In der That, mein Herr, ich glaubte, Ihr wäret artig genug, mir bei dieser Hitze meinen Wagen allein zu überlassen und den Weg zu Pferde zurückzulegen.«

»Zu Pferde!« rief der Prinz mit einem Ausdruck des Schreckens, aus dem zu ersehen, wie er entfernt nicht diesem Ansinnen beizustimmen gedachte; »zu Pferde! Das fällt Euch nicht ein. Madame, meine ganze Haut würde bei der Berührung dieses Feuerwindes in Stücke gehen.«

Lachend erwiederte Madame:

»Ihr könnt meinen Sonnenschirm nehmen.«

»Welche Mühe würde es mir machen, ihn zu halten!« sagte Monsieur mit der größten Kaltblütigkeit.

»Ueberdies habe ich kein Pferd.«

»Wie! kein Pferd?« entgegnete die Prinzessin, welche, wenn sie nicht das Alleinsein gewann, doch wenigstens im Eigensinn siegte; »kein Pferd! Ihr irrt Euch, denn ich sehe dort Euren Lieblingsbraunen.«

»Meinen Braunen!« rief der Prinz, indem er gegen den Kutschenschlag eine Bewegung auszuführen suchte, die ihm aber so beschwerlich wurde, daß er sie nur zur Hälfte ausführte und eiligst wieder seine Unbeweglichkeit annahm.

»Ja,« sagte Madame, »Euer Pferd von Herrn von Malicorne an der Hand geführt.«

»Armes Thier! versetzte der Prinz, »wie warm muß es haben!«

Bei diesen Worten schloß er die Augen einem Verscheidenden Ähnlich.

Madame streckte sich ihrerseits träge in der andern Ecke der Kutsche aus und schloß auch die Augen, nicht um zu schlafen, sondern um ganz nach ihrem Wohlgegefallen zu träumen.

Der König, der auf dem Vordersitz des Wagens saß, dessen Rücksitz er den zwei Königinnen eingeräumt hatte, wurde von jenem lebhaften Verdruß unruhiger Liebender ergriffen, welche beständig, ohne je diesen glühenden Durst zu stillen, nach dem Anblick des geliebten Gegenstandes verlangen und sich dann halb zufrieden entfernen, ohne zu bemerken, daß sie einen noch viel glühenderen Durst angehäuft haben.

Aber der König, der, wie gesagt, an der Spitze fuhr, konnte von seinem Platze aus die Wagen der Damen und Ehrenfräulein, die zuletzt kamen, nicht erschauen.

Dabei mußte er alle Fragestellungen der jungen Königin beantworten, welche, ganz glücklich, ihren theuren Gatten zu besitzen, wie sie, die königliche Etiquette vergessend, sagte, ihn mit ihrer ganzen Liebe umschloß und mit allen ihren Aufmerksamkeiten gleichsam knebelte, aus Furcht, man könnte ihr ihn nehmen, oder es könnte ihm die Lust kommen, sie zu verlassen.

 

Anna von Oesterreich, welche nichts beschäftigte, als die Stiche, die sie von Zeit zu Zeit im Busen fühlte, behauptete eine heitere Miene und verlängerte, obgleich sie die Ungeduld errieth, boshafter Weise seine Folter dadurch, daß sie das Gespräch unerwartet immer in dem Augenblick wieder aufnahm, wo der König, in sein Inneres zurückgefallen, hier seiner geheimen Liebe nachzuhängen anfing.

Dies Alles, kleine Bemühungen und Aufmerksamkeiten von Seiten der Königin. Hartnäckigkeit von Anna von Oesterreich, erschien am Ende dem König so unerträglich , daß er den Bewegungen seines Herzens nicht mehr zu gebieten wußte.

Er beklagte sich zuerst über die Hitze, und dies war eine gute Einleitung zu anderen Klagen.

Doch es geschah mit Geschicklichkeit, damit Maria Theresia seine Absicht nicht errathe.

Sie nahm das, was der König sagte, buchstäblich und fächelte den König mit ihren Straußenfedern.

Als aber die Hitze vorüber war, beklagte sich der König über Krämpfe und Ungeduld in den Beinen, und da der Wagen eben anhielt, um die Pferde zu wechseln, fragte die Königin:

»Wollt Ihr, daß ich mit Euch aussteige? ich habe auch unruhige Beine, Wir machen einige Schritte zu Fuß, dann holen uns die Wagen ein und wir nehmen wieder unsere Plätze.«

Der König faltete die Stirne; es ist eine harte Prüfung, der ihren Ungetreuen die eifersüchtige Frau unterwirft, welche, obgleich von der Eifersucht verfolgt, Macht genug über sich hat, um keinen Vorwand zum Zorn zu geben.

Nichtsdestoweniger konnte es der König nicht ausschlagen: er willigte also ein, stieg aus, gab der Königin den Arm und machte mit ihr mehrere Schritte, indeß man die Pferde wechselte.

Während er ging, warf er einen neidischen Blick auf die Höflinge, die das Glück hatten, die Reise zu Pferde zu machen.

Die Königin bemerkte bald, daß der Spaziergang dem König eben so wenig gefiel, als die Reise im Wagen.

Der König führte sie bis zum Fußtritt, stieg aber nicht wieder mit ihr ein. Er machte drei Schritte rückwärts und suchte in der Reihe der Wagen den zu er» kennen, welcher ihn so lebhaft interessirte.

Am Schlag des sechsten erschien das weiße Gesicht von la Vallière.

Als der König, unbeweglich an seinem Platze, sich in Träumereien verlor, ohne zu sehen, daß Alles bereit war und daß man nur noch auf ihn wartete, hörte e.r drei Schritte vor sich eine Stimme, welche ehrfurchtsvoll eine Frage an ihn richtete. Es war Herr von Malicorne, ganz im Costume eines Stallmeisters, unter seinem linken Arm den Zaum von zwei Pferden haltend.

»Verlangt Eure Majestät ein Pferd?« sagte er.

»Ein Pferd? hättet Ihr eines von meinen Pferden?« fragte der König, der Malicorne. mit dessen Gesicht er noch nicht bekannt war, zu erkennen suchte.

»Sire,« erwiederte Malicorne, »ich habe wenigstens ein Pferd, das Eurer Majestät zu Gebot steht.«

Bei diesen Worten deutete Malicorne auf den Braunen von Monsieur, auf den Madame aufmerksam gemacht hatte.

Das Thier war herrlich und königlich geschirrt.

»Das ist aber keines von meinen Pferden!« sagte der König.

»Es ist ein Pferd aus den. Ställen Seiner Königlichen Hoheit. Doch S. K. H. reitet nicht, wenn es so warm ist.«

Der König antwortete nicht, näherte sich aber rasch dem Pferde, das die Erde mit dem Fuß aufscharrte.

Malicorne machte eine Bewegung, um ihm den Steigbügel zu halten: er war schon im Sattel.

Durch diesen glücklichen Zufall wieder heiter geworden , ritt der König ganz lächelnd an den Wagen der Königinnen, die auf ihn warteten, und sagte trotz der erschrockenen Miene von Maria Theresia:

»Ah! meiner Treue, ich habe dieses Pferd gefunden, und benütze es. Auf Wiedersehen, meine Damen!«

Hierauf verbeugte er sich anmuthig auf den gerundeten Hals seines Pferdes und verschwand in einer Sekunde.

Anna von Oesterreich neigte sich heraus, um ihm mit den Augen zu folgen. Er ritt nicht sehr weit, denn als er zum sechsten Wagen gelangte, hielt er sein Pferd an und nahm seinen Hut ab.

Er grüßte la Vallière, die bei seinem Anblick einen kleinen Schrei des Erstaunens ausstieß, während sie zugleich vor Freude erröthete.

Montalais, die die andere Ecke des Wagens einnahm verneigte sich tief vor dem König.

Dann gab sie sich, als eine Frau von Geist, den Anschein, als wäre sie sehr mit der Landschaft beschäftigt und zog sich in die Ecke links zurück.

Das Gespräch von Ludwig XIV. und la Vallière sing wie alle Gespräche von Liebenden mit beredten Blicken und einigen des Sinnes entbehrenden Worten an.

Der König erklärte, wie er in seinem Wagen so warm gehabt habe, daß ihm ein Pferd als eine Wohlthat erschienen sei.

»Und,« fügte er bei, »der Wohlthäter ist ein ganz verständiger Mann, denn er hat mich errathen. Nun bleibt mir ein Wunsch, der, zu wissen, wer der Cavalier ist, der seinem König so geschickt gedient und ihn seinem grausamen Verdruß entzogen hat,«

Bei diesem Gespräch, von dem sie schon bei den ersten Worten erweckt worden war, hatte sich Montalais genähert und es so eingerichtet, daß ihr der Blick des Königs bei den letzten Worten seines Satzes begegnete.

So kam es, daß sie, da der König fragend eben so sehr sie, als la Vallière anschaute, glauben durste, die Frage sei an sie gerichtet, und sie konnte folglich antworten.

Sie antwortete auch:

»Sire, das Pferd, das Euer Majestät reitet, ist eines von den Pferden von Monsieur, das ein Cavalier Seiner Königlichen Hoheit an der Hand führte.«

»Und wie heißt dieser Cavalier, wenn’s beliebt, mein Fräulein?«

»Herr von Malicorne, Sire.«

Der Name brachte seine gewöhnliche Wirkung hervor.

»Malicorne,« wiederholte der König lächelnd.

Und sie bezeichnete in der That unsern Malicorne, der mit einer glückseligen Miene am Wagen links galoppirte und wohl wußte, daß in diesem Augenblick von ihm die Rede war, aber sich nicht mehr auf dem Sattel rührte, als ein Taubstummer.

»Ja, es ist dieser Reiter,« sagte der König, »ich erinnere mich des Gesichtes und werde mich des Namens erinnern.«

Und er schaute la Vallière zärtlich an.

Aure hatte nichts mehr zu thun; sie hatte den Namen von Malicorne fallen lasse: der Boden war gut; man brauchte nur noch den Namen zu treiben und das Ereigniß seine Früchte tragen zu lassen.

Dem zu Folge warf sie sich in ihre Ecke zurück, mit dem Recht, Herrn von Malicorne so viel angenehme Zeichen zu machen, als sie wollte; da Herr von Malicorne das Glück gehabt hatte, dem König zu gefallen.

Montalais ließ es, wie man wohl begreift, nicht daran fehlen. Und Malicorne sackte mit seinem seinen Ohr und mit seinem duckmäuserischen Auge die Worte ein:

»Alles geht gut.«

Das Ganze begleitet von einer Pantomime, die den Anschein eines Kusses hatte.

»Ah! mein Fräulein,« sagte endlich der König zu la Vallière, »die Freiheit des Landlebens wird nun aufhören. Euer Dienst bei Madame wird strenger sein, und wir werden uns nicht mehr sehen.«

Louise erwiederte:

»Eure Majestät liebt Madame zu. sehr, um nicht häufig zu ihr zu kommen, und wenn Eure Majestät durch das Zimmer geht . . . «

»Ah!« entgegnete der König, mit einer zärtlichen Stimme, die er stufenweise dämpfte, »sich erblicken heißt nicht sich sehen, und dennoch scheint es, dies sei genug für Euch.«

Louise antwortete nichts, ein Seufzer schwoll ihr Herz an, aber sie unterdrückte diesen Seufzer.

»Ihr habt eine große Macht über Euch sagte der König.

La Vallière lächelte schwermüthig.

»Wendet diese Stärke zum Lieben an, und ich werde Gott danken, daß er sie Euch verliehen hat.«

La Vallière beobachtete dasselbe Stillschweigen, schlug aber ein mit Liebe beladenes Auge zum König auf.

Dann, als wäre er durch diesen glühenden Blick verzehrt worden, fuhr Ludwig mit der Hand über seine Stirne, preßte sein Pferd mit den Knieen und ließ es ein paar Schritte vorwärts machen.

Rückwärts gelehnt, das Auge halb geschlossen, bedeckte sie mit ihrem Blick den schönen Reiter, dessen Federn im Winde wogten; sie liebte seine anmuthig gerundeten Arme, sein seines, nerviges, an die Flanken des Pferdes angeschlossenes Bein, diesen gerundeten Schnitt des Profils, das schöne gelockte Haare hervorhoben. die zuweilen zurückflogen, um ein rosiges, reizendes Ohr zu entblößen.

Kurz, es liebte, das arme Kind, und berauschte sich in seiner Liebe.