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Der Graf von Bragelonne

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»Ich frage Euch zum letzten Mal, mein Fräulein, wollt Ihr sprechen? Wollt Ihr dieser Veränderung, diesem Wankelmuth, dieser Laune eine Ursache geben?«

»Mein Gott! was soll ich Euch sagen, Sire?« erwiederte la Vallière, »Ihr seht wohl, Sire, daß ich in diesem Augenblick niedergebeugt bin: Ihr seht wohl, daß ich weder den Willen, noch den Gedanken, noch das Wort habe.«

»Ist es denn so schwer, die Wahrheit zu sagen? In weniger Worten, als Ihr gesprochen, hättet Ihr sie gesagt.«

»Die Wahrheit, worüber?«

»Ueber Alles.«

Die Wahrheit stieg in der That vom Herzen auf die Lippen von la Vallière. Ihre Arme machten eine Bewegung, um sich zu öffnen, doch ihr Mund blieb stumm, ihre Arme sanken wieder hinab. Das arme Kind war noch nicht unglücklich genug gewesen, um eine solche Offenbarung zu wagen.

»Ich weiß nichts,« stammelte sie.

»Oh! das ist mehr als Coquetterie!« rief der König; »es ist mehr als Laune, es ist Verrath!«

Und diesmal stürzte er, ohne daß ihn etwas aufhielt, ohne daß ihn das Zerren seines Herzens zum Um» kehren bewegen konnte, mit einer verzweifelten Geberde aus dem Zimmer.

Saint-Aignan, dem nichts lieber war, als weggehen zu können, folgte ihm.

Ludwig XIV. blieb erst auf der Treppe stehen und klammerte sich am Geländer an.

»Siehst Du?« sagte er, »bin ich nicht schändlich hintergangen worden?«

»Wie so, Sire?« fragte der Günstling.

»Guiche hat sich für den Vicomte von Bragelonne geschlagen. Und dieser Bragelonne . . . !«

»Nun?«

»Sie liebt ihn immer noch. Und wahrhaftig, Saint-Aignan, ich würde vor Scham sterben, wenn mir in drei Tagen noch ein Atom von dieser Liebe im Herzen bliebe.«

Nach diesen Worten setzte Ludwig seinen Lauf zu seinen Gemächern fort.

»Ah! ich sagte es wohl Eurer Majestät,« versetzte Saint-Aignan, der dem König fortwährend folgte und dabei schüchtern nach allen Fenstern spähte.

Leider war es beim Abgang nicht wie bei der Ankunft.

Ein Vorhang wurde aufgehoben; hinter diesem Vorhang saß Madame.

Madame hatte den König aus der Wohnung der Ehrenfräulein herauskommen sehen.

Sie stand auf, sobald der König vorüber war, verließ hastig ihr Gemach und stieg zu zwei und zwei die Stufen der Treppe hinauf, die zu dem Zimmer führten, aus dem der König herausgekommen war.

XII.
Verzweiflung

Nach dem Abgang des Königs hatte sich la Vallière mit ausgestreckten Armen erhoben, als wollte sie ihm folgen, ihn zurückhalten; dann als die Thüren hinter ihm geschlossen waren, als sich das Geräusch seiner Tritte in der Ferne verloren hatte, besaß sie nur noch Kraft genug, um zu den Füßen ihres Crucifixes niederzufallen.

Hier blieb sie niedergeschmettert, gelähmt, von ihrem Schmerz erstickt, von einem Schmerz, den sie übrigens nur instinktartig und durch die Empfindung begriff.

Mitten unter diesem Aufruhr ihrer Gedanken, hörte la Vallière die Thüre wieder öffnen. Sie wandte sich um, im Glauben, der König kehre zurück.

Sie täuschte sich, es war Madame.

Was war ihr an Madame gelegen! Sie fiel wieder, den Kopf auf ihr Betpult, nieder. Es war Madame, aufgeregt, gereizt, drohend. Doch welche Bedeutung hatte dies für sie!

»Mein Fräulein,« sprach die Prinzessin, indem sie vor la Vallière stehen blieb, »ich gebe zu, es ist sehr schön, niederzuknieen, zu beten, Religion zuspielen; aber so unterwürfig Ihr auch gegen den König des Himmels seid, so geziemt es sich doch auch, daß Ihr ein wenig den Willen der Fürsten der Erde thut.«

La Vallière hob zum Zeichen der Ehrerbietung den Kopf empor.

»Es ist Euch so eben etwas empfohlen worden, wie mir scheint!« fuhr Madame fort.

Das zugleich starre und irre Auge von la Vallière zeigte ihre Unwissenheit und daß sie vergessen.

»Die Königin hat Euch eingeschärft, Ihr sollet Euch genugsam in Acht nehmen, daß Niemand schlimme Gerüchte über Euch verbreiten könne.«

Der Blick von la Vallière wurde fragend.

»Nun,« sagte Madame, »es ist Einer, dessen Gegenwart eine Anschuldigung ist, von Euch weggegangen.«

La Vallière blieb stumm.

»Mein Haus, welches das der ersten Prinzessin von Geblüt ist, darf kein schlechtes Beispiel geben; Ihr wäret die Ursache dieses schlechten Beispieles. Ich erkläre Euch also, mein Fräulein, in Abwesenheit von jedem Zeugen, denn ich will Euch nicht demüthigen, ich erkläre Euch, daß es Euch von diesem Augenblick an frei steht, abzureisen, und daß Ihr zu Eurer Frau Mutter in Blois zurückkehren könnt.«

La Vallière konnte nicht tiefer fallen; la Vallière konnte nicht mehr leiden, als sie gelitten hatte.

Ihre Haltung änderte sich nicht; ihre Hände blieben auf ihrem Schooße gefaltet, wie die der göttlichen Magdalena.

»Ihr habt mich gehört?« sagte Madame«

Ein einfacher Schauer, der den ganzen Leib von la Vallière durchlief, antwortete für sie.

Als das Opfer kein anderes Zeichen des Daseins von sich gab, entfernte sich Madame.

Auf ihr schwebendes Herz, auf ihr gewissermaßen in ihren Adern stockendes Blut, fühlte la Vallière allmälig raschere Pulsirungen an den Handgelenken, am Hals und an den Schläfen folgen. Sich stufenweise vermehrend, verwandelten sich diese Pulsirungen bald in ein Schwindel erregendes Fieber, in ein Delirium, in welchem sie alle Gestalten ihrer Freunde im Kampfe gegen ihre Feinde wirbeln sah.

Sie hörte in ihren betäubten Ohren zugleich drohende Worte und Liebesworte an einander stoßen; sie erinnerte sich nicht mehr, sie selbst zu sein; sie war au,Z ihrem ersten Dasein wie durch die Flügel eines mächtigen Sturmes emporgehoben, und am Horizont des Weges, auf dem sie der Schwindel forttrieb, erschaute sie den Grabstein, dessen furchtbares, dunkles Inneres ihr die ewige Nacht zeigte.

Doch diese schmerzliche Bedrückung der Träume legte sich allmälig, um der gewöhnlichen Resignation ihres Charakters Platz zu machen.

Ein Strahl der Hoffnung glitt in ihr Herz, wie ein Strah! des Tages in den Kerker eines armen Gefangenen.

Sie versetzte sich wieder auf die Straße von Fontainebleau, sie sah den König zu Pferde am Schlage ihres Wagens; er sagte ihr, daß er sie liebe, er forderte Liebe von ihr, er ließ sie schwören und schwur, es sollte nie ein Abend über einem Zwist vorübergehen, ohne daß ein Besuch, ein Brief die Ruhe der Nacht an die Stelle der Unruhe des Abends setze. Der König hatte dies ersonnen, er hatte es schwören lassen, er hatte es geschworen. Der König konnte also unmöglich dem Versprechen, das er selbst gefordert, untreu werden, war der König nicht ein Despot, der die Liebe befahl, wie er den Gehorsam befahl, war der König nicht ein Gleichgültiger, für den das erste Hinderniß genügte, um ihn auf dem Wege aufzuhalten.

Der König, dieser sanfte Beschützer, der mit einem Wort, mit einem einzigen Wort allen ihren Leiden ein Ende machen konnte, der König verband sich also mit ihren Verfolgern.

Ah! sein Zorn konnte nicht fortwähren; nun, da er allein, mußte er Alles das leiden, was sie selbst litt. Aber er! er war nicht gekettet wie sie; er konnte handeln, sich bewegen, kommen; sie, sie konnte nichts thun, als warten.

Und sie wartete, die Arme, mit ihrer ganzen Seele, denn der König mußte nothwendig kommen.

Es war kaum halb elf Uhr.

Er mußte kommen, oder schreiben, oder ihr ein freundliches Wort durch Saint-Aignan sagen lassen.

Kam er, oh! wie wollte sie ihm entgegenstürzen, wie wollte sie die Zartheit zurückstoßen, die sie nun übel angebracht fand! wie wollte sie ihm sagen: »Nicht ich bin es, die Euch nicht liebt; sie sind es, die nicht wollen, daß ich Euch liebe.«

Und dann, indem sie darüber nachdachte und je mehr sie darüber nachdachte, fand sie Ludwig minder schuldig. Er wußte in der That nichts von Allem. Was hatte er über die Hartnäckigkeit, mit der sie das Stillschweigen beobachtet, denken müssen? Ungeduldig, reizbar, wie man den König kannte, war es außerordentlich, daß er nur so lange seine Kaltblütigkeit bewahrt hatte. Oh! sie hätte ohne Zweifel nicht so gehandelt; sie hätte Alles begriffen. Alles errathen. Doch sie war ein armes Mädchen und nicht eine große Königin.

Oh! wenn er käme, wenn er käme! . . . wie würde sie ihm Alles, was er sie hatte leiden lassen, verzeihen; wie würde sie ihn mehr lieben, weil sie gelitten!

Und ihr gegen die Thüre vorgestreckter Kopf, ihre halb geöffneten Lippen, Gott verzeihe ihr diese profane Idee, warteten auf den Kuß, den der König am Morgen, als er das Wort Liebe aussprach, so wonniglich destillirt hatte.

Kam der König nicht, so würde er wenigstens schreiben; dies war die zweite Chance, minder süß, minder beglückend, als die andere, die aber eben so viel Liebe, nur eine furchtsamere Liebe beweisen würde. Oh! wie würde sie den Brief verschlingen, wie würde sie sich beeilen, darauf zu antworten; wie würde sie, wenn der Bote abgegangen, das beseligende Papier, das ihr Ruhe, Freudigkeit und Glück bringen müßte, küssen, wiederlesen, an ihr Herz drücken.

Kam der König nicht, schrieb er nicht, so war es wenigstens unmöglich, daß er nicht Saint-Aignan schickte, daß nicht Saint-Aignan von selbst kam. Einem Dritten würde sie Alles sagen; die königliche Majestät wäre nicht da, um ihr das Wort auf den Lippen in Eis zu verwandeln, und dann könnte kein Zweifel im Herzen des Königs übrig bleiben.

Herz und Blick, Materie und Geist, Alles war also bei la Vallière im Warten begriffen.

Sie sagte sich, sie habe noch eine Stunde Hoffnung, der König könne bis um Mitternacht kommen, schreiben oder schicken, erst um Mitternacht wäre alles Warten vergeblich, jede Hoffnung verloren.

So lange noch einiges Geräusch im Palaste hörbar war, glaubte die Arme, sie sei die Ursache dieses Geräusches; so lange Leute im Hofe gingen, wähnte sie, diese Leute seien Boten des Königs, die zu ihr kämen.

Es schlug elf Uhr, dann ein Viertel auf zwölf Uhr, dann halb zwölf Uhr.

 

Die Minuten verliefen langsam in dieser Bangigkeit und dennoch flohen sie noch zu schnell.

Es schlug drei Viertel.

Mitternacht! Mitternacht! die letzte, die äußerste Hoffnung folgte sodann.

Mit dem letzten Glockenschlage erlosch das letzte Licht, mit dem letzten Lichte die letzte Hoffnung.

So hatte sie der König selbst getäuscht; er log dem Schwure, den er an demselben Tag geleistet; zwölf Stunden zwischen dem Schwur und dem Meineid! dies hieß die Illusion nicht lange bewahrt haben!

Der König liebte also nicht nur nicht, sondern er verachtete sogar diejenige, welche alle Welt niedertrat; er verachtete sie dergestalt, daß er sie der Schande einer Austreibung preisgab, die einer schimpflichen Verurtheilung gleichkam, und doch war er es, er, der König, war die erste Ursache dieser Schmach.

Ein bitteres Lächeln, das einzige Symptom des Zorns, das während dieses langen Kampfes über das engelische Gesicht des Opfers zog, erschien auf ihren Lippen.

Was blieb in der That für sie auf der Erde nach dem König? Nichts.

Nur Gott blieb im Himmel.

Sie dachte an Gott.

»Mein Gott,« sprach sie, »schreibe mir selbst vor, was ich zu thun habe. Von Dir erwarte ich Alles, von Dir muß ich Alles erwarten.«

Und sie schaute ihr Crucifix, dessen Füße sie küßte, voll Liebe an.

»Das ist ein Herr,« sagte sie, »der nie diejenigen verläßt und vergißt, die ihn nicht verlassen und vergessen; diesem allein muß man sich opfern.«

Dann, wenn Jemand seinen Blick in ihr Zimmer hätte tauchen können, wäre sichtbar gewesen, daß die arme Verzweifelte einen Entschluß faßte, einen äußersten Plan in ihrem Geiste feststellte, die große Jacobsleiter emporstieg, welche die Seele von der Erde zum Himmel führt.

Und als ihre Kniee nicht mehr die Kraft hatten, sie zu tragen, sank sie allmälig auf die Stufen ihres Betpultes nieder, und den Kopf an das Holz des Kreuzes angelehnt, das Auge starr, den Athem keuchend, spähte sie an den Scheiben nach dem ersten Schimmer des Tages.

Zwei Uhr Morgens fand sie in dieser Irrung des Geistes oder vielmehr in dieser Extase. Sie gehörte schon nicht mehr sich.

Als sie die violette Färbung des Morgens auf die Dächer des Palastes herabsteigen und die Umrisse des elfenbeinernen Christus, den sie umfangen hielt, unbestimmt hervorheben sah, stand sie mit einer gewissen Stärke auf, küßte die Füße des göttlichen Märtyrers, ging die Treppe ihres Zimmers hinab und hüllte sich, während sie hinabging, in eine Mantille.

Sie kam an die Pforte gerade in dem Augenblick, wo eine Runde von Musketieren die Flügel öffnete, um den ersten Posten der Schweizer einzulassen.

Dann schlüpfte sie hinter die Leute von der Wache und erreichte die Straße, ehe es dem Führer der Patrouille nur einfiel, sich zu fragen, wer wohl die junge Frau sei, die so am Morgen aus dem Palaste wegschleiche.

XIII.
Die Flucht

La Vallière ging hinter der Patrouille hinaus.

Die Patrouille wandte sich rechts durch die Rue Saint-Honoré, maschinenmäßig schlug la Vallière den Weg links ein.

Ihr Entschluß war gefaßt. ihr Plan festgestellt, sie wollte sich zu den Carmeliterinnen von Chaillot begeben, deren Superiorin hinsichtlich der Strenge in einem Rufe stand, der die Weltlichen des Hofes beben machte.

La Vallière hatte Paris nie gesehen, sie war nie zu Fuße ausgegangen, sie hätte den Weg selbst nicht in einer ruhigeren Verfassung des Geistes gefunden. Dies erklärt, warum sie die Rue Saint-Honoré hinaufging, statt hinabzugehen.

Sie war nur darauf bedacht, sich eiligst vom Palais Royal zu entfernen, und sie entfernte sich auch.

Sie hatte sagen hören, Chaillot sehe nach der Seine, und sie wandte sich daher gegen die Seine.

Sie wählte die Rue du Coq, und da sie den Louvre nicht durchschreiten konnte, zog sie sich gegen die Kirche Saint-Germain l’Auxerois, wobei sie längs dem Platze hinging, auf dem Perrault seitdem seine Colonnade erbaut hat.

Bald erreichte sie die Quais.

Ihr Gang war rasch und unruhig. Kaum fühlte sie die Schwäche, welche von Zeit zu Zeit, indem sie sie zu hinken zwang, an die Verrenkung errinnerte, die ihr in ihrer Kindheit zugestoßen war.

Zu einer andern Stunde des Tages würde ihre Haltung bei den am Mindesten hellsehenden Leuten Argwohn erregt, die Blicke der am Mindesten Neugierigen angezogen haben.

Doch um halb drei Uhr Morgens sind die Straßen von Paris ganz oder beinahe verödet, und es finden sich hier höchstens arbeitsame Handwerksleute, welche ihr tägliches Brod verdienen wollen, oder gefährliche Müßiggänger, die nach einer Nacht der Aufregung und der Schwelgerei nach ihrer Wohnung zurückkehren.

Für die Ersteren fängt der Tag an, für die Anderen geht der Tag zu Ende.

La Vallière hatte bange vor allen diesen Gesichtern, auf denen sie ihre Unbekanntschaft mit den Pariser Geprägen das Gepräge der Redlichkeit nicht von dem des Cynismus unterscheiden ließ. Für sie war das Elend ein Schreckbild, und alle die Leute, denen sie begegnete, schienen Elende zu sein.

Ihr Anzug, noch der des vorhergehenden Tages, war ausgezeichnet, selbst in seiner Vernachläßigung; denn es war derselbe, in dem sie sich zur Königin-Mutter begeben hatte; unter ihrer Mantille,’die sie etwas zurückgeschlagen, daß sie den Weg besser sehen konnte, sprachen überdies ihre Blässe und ihre schönen Augen eine diesen Menschen aus dem Volk unbekannte Sprache, und ohne es zu wissen, flehte die arme Flüchtige die Brutalität der Einen, das Mitleid der Andern an.

La Vallière ging so in einem Zuge, keuchend, hastig, bis zur Höhe der Place de Grève.

Von Zeit zu Zeit blieb sie stehen, drückte die Hand an ihr Herz, lehnte sich an ein Haus an, schöpfte wieder Athem und setzte dann ihren Lauf rascher als zuvor fort.

Auf der Place de Grève angelangt, sah sich la Vallière von einer Gruppe von drei schlecht gekleideten, schwankenden, weinschweren Männern, die aus einem im Hafen angebundenen Schiff herauskamen, angehalten.

Dieses Schiff war mit Weinen beladen, und man konnte bemerken, daß sie der Maare Ehre angethan hatten.

Sie besangen ihre bacchischen Thaten aus drei verschiedenen Tonarten, als sie am Ende der Treppe, die nach dem Quai führte, plötzlich dem Fortschreiten des Mädchens ein Hinderniß entgegenstellten.

La Vallière blieb stehen,

Sie machten ihrerseits beim Anblick dieser Frau in Hofkleidern ebenfalls einen Halt, faßten sich gleichzeitig in Uebereinstimmig bei den Händen, umgaben la Vallière und sangen:

»Du, die Du Dich langweilst alleine,

»Komm, komm und lache mit uns.«

La Vallière begriff, daß diese Menschen sie meinten und sie am Vorübergehen verhindern wollten; sie machte mehrere Versuche, zu entfliehen, doch vergebens.

Ihre Beine wichen, sie sah ein, daß sie fallen würde, und stieß einen Angstschrei ans.

Doch in demselben Augenblick öffnete sich der Kreis, der sie umgab, unter der Wirkung eines mächtigen Druckes.

Der Eine von den rohen Burschen wurde links niedergeworfen, der Andere rollte rechts bis an den Rand des Wassers, der Dritte schwankte auf seinen Beinen.

Ein Officier von den Musketieren stand, die Stirne gefaltet, die Drohung auf dem Mund, die Hand erhoben , um der Drohung eine weitere Folge zu geben, vor dem Mädchen.

Die Trunkenen machten sich aus dem Staube beim Anblick der Uniform und besonders vor dem Beweise von Stärke, den ihnen derjenige, welcher sie trug, geliefert hatte.

»Mordioux!« rief der Officier, »das ist ja Fräulein de la Vallière!«

Betäubt von dem, was vorgefallen, erstaunt, ihren Namen aussprechen zu hören, schlug la Vallière die Augen auf und erkannte d’Artagnan.

»Ja, mein Herr, ich bin es, ich bin es,« sagte sie, und zu gleicher Zeit hielt sie sich an seinem Arm.

»Nicht wahr, Ihr werdet mich beschützen, Herr d’Artagnan?« fügte sie mit flehender Stimme bei.

»Gewiß werde ich Euch beschützen: doch mein Gott, wohin geht Ihr zu dieser Stunde?«

»Ich gehe nach Chaillot.«

»Ihr geht nach Chaillot durch die Rapèe? Ihr wendet ihm wahrhaftig den Rücken zu, mein Fräulein.«

»Dann seid so gut, mein Herr, mich auf den rechten Weg zu bringen und mich einige Schritte zu geleiten.«

»Ah! gerne.«

»Doch wie kommt es, daß ich Euch hier finde? Durch welche Gnade des Himmels seid Ihr nahe genug , um mir Beistand zu gewähren? Mir scheint in der That, daß ich träume, mir scheint, daß ich verrückt geworden!«

»Ich war da, weil ich auf der Place de Grève ein Haus habe, zum Bilde Unserer Lieben Frau beschildet; ich zog gestern den Miethzins ein und brachte daselbst die Nacht zu. Ich wünschte auch frühzeitig im Palaste zu sein, um dort meine Posten zu inspiciren.«

»Ich danke,« sagte la Vallière.

»Ja, das ist es, was ich machte,« sprach d’Artagnan. »Doch sie,« dachte er, »was machte sie, und warum geht sie zu einer solchen Stunde nach Chaillot?«

Und er bot ihr seinen Arm.

La Vallière nahm ihn und fing an hastig zu gehen.

Diese Hast verbarg eine große Schwäche, d’Artagnan fühlte es, er sagte la Vallière, sie möge ausruhen; sie schlug es aus.

»Ihr wißt ohne Zweifel nicht, wo Chaillot liegt?« fragte d’Artagnan.

»Ich weiß es nicht.«

»Es ist weit entfernt.«

»Gleichviel.«

»Wenigstens eine Meile.«

»Ich werde diese Meile zurücklegen.«

D’Artagnan machte keine Einwendung mehr; er kannte schon am Ton die wirklichen Entschlüsse.

Der Musketier trug la Vallière mehr, als daß er sie begleitete.

Endlich erblickten sie die Höhen.

»In welches Haus begebt Ihr Euch, mein Fräulein?« fragte d’Artagnan.

»Zu den Carmeliterinnen.«

»Zu den Carmeliterinnen?« wiederholte d’Artagnan erstaunt.

»Ja, und da Gott Euch zu mir gesandt hat, um mich auf meinem Wege zu unterstützen, empfangt meinen Dank und mein Lebewohl.«

»Zu den Carmeliterinnen? Euer Lebewohl? Ihr tretet also in den Orden ein?« rief d’Artagnan.

»Ja, mein Herr.«

»Ihr ! ! !«

Es lag in diesem Ihr, das wir mit drei Ausrufungszeichen begleitet haben, um es so gewichtig als möglich zu machen, ein ganzes Gedicht; es rief in la Vallière ihre alten Erinnerungen an Blois und zugleich ihre neuen Erinnerungen an Fontainebleau zurück . . . Er sagte: »Ihr, die Ihr so glücklich mit Raoul sein konntet, Ihr, die Ihr so mächtig mit Ludwig sein könntet, Ihr wollt in den Orden eintreten!«

»Ja, mein Herr,« antwortete sie, »ich werde die Magd des Herrn, ich verzichte auf diese ganze Welt.«

»Täuscht Ihr Euch nicht in Euerem Beruf, täuscht Ihr Euch nicht im Willen Gottes?«

»Nein, denn Gott hat es gestattet, daß ich Euch traf. Ohne Euch unterlag ich sicherlich der Anstrengung, und da Gott Euch auf meinen Weg sandte, so war es sein Wille, daß ich das Ziel erreiche.«

»Ah!« versetzte d’Artagnan zweifelnd, »das kommt mir ein wenig spitzfindig vor.«

»Wie dem sein mag,« sprach das Mädchen, »Ihr seid nun über meinen Schritt und meinen Entschluß unterrichtet. Ich habe Euch nur noch um eine letzte Gunst zu bitten, während ich Euch zugleich meinen herzlichen Dank sage.«

»Sprecht, mein Fräulein.«

»Der König weiß nichts von meiner Flucht aus dem Palais-Royal.«

D’Artagnan machte eine Bewegung.

»Der König weiß nichts von dem, was ich zu thun beabsichtige,« fuhr la Vallière fort.

»Der König weiß nichts davon!« rief d’Artagnan. »Aber, mein Fräulein, nehmt Euch in Acht; Ihr berechnet das Gewicht Eurer Handlung nicht. Niemand darf etwas thun, was der König nicht weiß, besonders nicht die Personen des Hofes.«

»Ich bin nicht mehr am Hofe, mein Herr.«

D’Artagnan schaute das Mädchen mit wachsendem Erstaunen an.

»Ah! seid unbesorgt.« fuhr la Vallière fort. »Alles ist erwogen, und wäre das auch nicht der Fall, so würde es doch nun für mich zu spät sein, von meinem Entschluß abzugehen.«

»Nun denn, mein Fräulein, sagt, was wünscht Ihr?«

»Mein Herr, bei dem Mitleid, da« man dem Unglück schuldig ist, bei der Großmuth Eurer Seele, bei Eurem adeligen Wort flehe ich Euch an, mir einen Schwur zu leisten!«

»Einen Schwur?«

»Ja!«

»Welchen?«

»Schwört mir, daß Ihr dem König nicht sagen werdet, Ihr habet mich gesehen, und ich sei bei den Carmeliterinnen.«

D’Artagnan schüttelte den Kopf und erwiederte:

»Ich werde das nicht schwören.«

»Warum nicht?«

»Weil ich den König kenne, weil ich Euch kenne, weil ich mich selbst kenne, weil ich das ganze Menschengeschlecht kenne . . . Nein, ich werde das nicht schwören!«

»Nun!« rief la Vallière mit einer Energie, der man sie nicht hätte fähig halten sollen, »nun denn, statt der Segnungen, mit denen ich Euch bis an das Ende meiner Tage überströmt hätte, seid verflucht! denn Ihr macht mich zum elendesten von allen Geschöpfen!«

 

Wir haben gesagt, d’Artagnan sei mit den Tönen, die aus dem Herzen kommen, vertraut gewesen, er konnte diesen nicht widerstehen.

Er sah die Entstellung ihrer Züge; er sah das Zittern ihrer Glieder; er sah diesen zarten, schwächlichen Körper, durch den heftigen Anfall erschüttert, schwanken; er begriff, daß ein Widerstand sie tödten würde.

»Es soll also geschehen, wie Ihr wollt.« sprach er. »Seid ruhig, mein Fräulein, ich werde dem König nichts sagen.«

»Oh! Dank! Dank!« rief la Vallière, »Ihr seid der edelmüthigste der Menschen!«

Und in ihrem freudigen Entzücken ergriff sie die Hände von d’Artagnan und drückte sie in den ihrigen.

Dieser fühlte sich gerührt und sagte zu sich selbst:

»Mordioux! das ist Eine, welche da anfängt, wo die Anderen endigen; das ist rührend.«

La Vallière, die im Augenblick des Paroxismus ihres Schmerzes auf einen Stein niedergesunken war, stand nun auf und ging auf das Kloster der Carmeliterinnen zu, das man im zunehmenden Licht sich erheben sah.

D’Artagnan folgte ihr von fern.

Die Thüre des Sprachzimmers war halb offen; sie schlüpfte hinein wie ein blasser Schatten, dankte d’Artagnan mit einem einzigen Zeichen mit der Hand und verschwand aus seinen Augen.

Als d’Artagnan ganz allein war, versank er in ein tiefes Nachdenken über das, was vorgefallen war.

»Bei meiner Treue!« sagte er, »das ist, was man eine falsche Stellung nennt. Ein solches Geheimniß bewahren heißt in seiner Tasche eine glühende Kohle aufbewahren und hoffen, sie werde den Stoff nicht verbrennen. Das Geheimniß nicht zu bewahren, wenn man es zu bewahren geschworen hat, ist die Sache eines ehrlosen Menschen… Gewöhnlich kommen mir die guten Gedanken im Lausen; doch diesmal muß ich, wenn mich nicht Alles täuscht, stark lausen, um die Lösung dieser Geschichte zu finden.

»Wohin laufen?

»Meiner Treue, am Ende nach der Seite von Paris. Das ist die gute Seite.

»Nun, lausen wir geschwinde!

»Doch, um geschwinde zu laufen, sind vier Beine besser als zwei. Leider habe ich für den Augenblick nur meine zwei Beine.

»Ein Pferd, wie ich im Theater in London sagen hörte, meine Krone für ein Pferd.

»Wenn ich bedenke, das wird mich nicht gerade so viel kosten.

»Ich habe einen Posten von Musketieren an der Barrière de la Conference, und statt eines Pferdes, das ich brauche, werde ich zehn finden.«

Kraft dieses mit seiner gewöhnlichen Raschheit gefaßten Entschlusses stieg d’Artagnan eilig die Höhen hinab, erreichte den Posten, nahm hier den besten Renner, den er finden konnte, und war in zehn Minuten im Palast.

Es schlug fünf Uhr im Glockenthurm des Palais-Royal.

D’Artagnan erkundigte sich nach dem König.

Der König hatte sich, nachdem er mit Herrn Colbert gearbeitet, zu seiner gewöhnlichen Stunde zu Bette gelegt und schlief noch aller Wahrscheinlichkeit nach.

»Ah!« sagte d’Artagnan, »sie sprach wahr; der König weiß nichts von Allem; wenn er nur die Hälfte von dem, was vorgefallen, wüßte, so ginge zu dieser Stunde im Palais-Royal Alles drunter und drüber.«