Tasuta

Der Graf von Moret

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

VII.
Die Erzählung

Der Kardinal blieb also mit diesem armen, leblosen Geschöpfe allein, waches man ohne das nervöse Zucken, das von Zeit zu Zeit den Mantel von grobem Tuche, in den es eingeschlagen war, bewegte, hätte für todt halten können.

Aber nach und nach machte sich der wohltätige Einfluss des Feuers geltend; die krampfhaften Zuckungen hörten auf; zwei fleischlose Hände wie die eines Skelettes, wenn die übermäßig langen Nägel nicht angezeigt hätten, dass sie einem Körper gehörten, der das Maß irdischer Leiden noch nicht erschöpft hat, kamen aus den Ärmellöchern hervor, indem sie sich instinktmäßig gegen das Feuer ausstreckten; dann richtete sich ein geisterbleicher Kopf mit tiefliegenden Augen, zurückgefallenen Lippen und fest geschlossenen Zähnen empor, wie der einer Schildkröte, die sich unter dem schützenden Schilde hervorwagt; dann kam der ganze Körper durch eine automatenartige Bewegung in eine sitzende Stellung und dumpf, wie aus der Brusthöhle eines Gespenstes, tönten die Worte aus dem Munde der Unglücklichen:

»Feuer! Ach, wie gut doch das Feuer ist!«

Und wie ein Kind, das die Gefahr der Flamme nicht kennt, näherte sie sich derselben instinktmäßig und ließ ihre erstarrten Glieder fast durch die Hitze versengen.

»Gebt Acht, meine Schwester,« sagte der Kardinal, »Ihr werdet Euch verbrennen.«

Die Coëtman erbebte und drehte sich plötzlich nach der Seite um, woher die Stimme kam; sie hatte nicht gesehen, dass sich noch Jemand außer ihr im Zimmer befand, oder vielmehr, sie hatte gar nichts gesehen, als dieses Feuer, welches sie anzog und ihr einen Schwindel verursachte.

Sie blickte den Kardinal an, den sie in seinem Cavaliercostüm nicht erkannte, da sie ihn in der Mönchskutte gesehen hatte.

»Wer seid Ihr?« fragte sie ihn; »ich kenne wohl Eure Stimme, aber Euch selbst kenne ich nicht.«

»Ich bin Derjenige, der Euch bereits ein Kleid und Feuer gegeben hat, und der Euch nun auch Brot und die Freiheit geben will.«

Sie machte eine Anstrengung, um ihre zerrütteten Gedanken zu sammeln und schien sich endlich zu erinnern.

»O ja,« sagte sie, sich gegen den Kardinal wendend, »Ihr habt mir dies Alles versprochen, aber« – sie blickte um sich und senkte die Stimme – »aber werdet Ihr auch Alles halten können, was Ihr verspracht? Ich habe fürchterliche und mächtige Feinde.«

»Beruhigt Euch; Ihr habt einen Beschützer, der weit fürchterlicher und mächtiger ist, als sie.«

»Welchen?«

»Gott!«

Die Coëtman senkte das fahle Haupt.

»Er hat mich schon seit lange vergessen!« flüsterte sie.

»Ja! Aber wenn er sich einmal erinnert, dann vergisst er nicht mehr.«

»Ich habe großen Hunger!« sagte sie nach einer Pause.

In diesem Augenblicke und als ob sie einen Befehl ausgesprochen hätte, der nun befolgt wurde, öffnete sich die Tür und zwei Nonnen traten ein, welche Brot, Wein, eine Schale Suppe und ein kaltes Huhn brachten.

Bei ihrem Anblicke stieß das arme Geschöpf einen Schreckensruf aus.

»O, meine Peiniger, meine Henker!« rief sie aus, »verteidigt mich!« Und sie kauerte sich hinter dem Stuhle des Kardinals zusammen, wie um ihren unbekannten Beschützer zwischen sich und ihre Widersacher zu bringen.

»Wird das, was ich bringe, hinreichen?« fragte die Oberin, welche auf der Schwelle stand.

»Ja, aber seht, welchen Schrecken die Schwestern der Gefangenen einflößen; sie mögen daher das, was sie gebracht, auf den Tisch stellen und sich zurückziehen.«

Die Nonnen stellten sofort auf das von der Gefangenen entferntere Ende des Tisches das Huhn, die Suppe, den Wein und das Brot.

In der Suppentasse befand sich ein Löffel, bei dem Huhne lagen Messer und Gabel.

»Kommt!« sagte die Oberin zu ihren Nonnen.

Alle Drei gingen der Tür zu.

Der Kardinal machte ein Zeichen mit der Hand; die Oberin, welche bemerkte, dass dasselbe ihr galt, blieb stehen.

»Bedenkt,« sagte Richelieu, »dass ich vor Allem, was diese Frau isst und trinkt, einen Teil versuchen werde.«

»Ihr könnt es ohne Furcht, Monseigneur,« erwiderte die Oberin und entfernte sich mit einer tiefen Verbeugung.

Die Gefangene wartete, bis sich die Tür geschlossen hatte; dann streckte sie ihren fleischlosen Arm nach dem Tische aus, den sie zugleich mit lüsternen und gierigen Blicken betrachtete.

Aber Kardinal kam ihr zuvor; er bemächtigte sich der Tasse und trank ein oder zwei Löffel Suppe.

»Es sind bereits zwei Tage, seit Ihr nichts gegessen, habt, wie Ihr mir sagtet?«

»Drei Tage, Monseigneur!«

»Warum nennt Ihr mich Monseigneur?«

»Ich hörte, dass die Oberin Euch so nannte, und dann müsst Ihr ein Großer der Erde sein, da Ihr es wagen konntet, meine Verteidigung zu übernehmen.«

»Wenn es schon drei Tage sind, dass Ihr nichts gegessen habt,« sagte der Kardinal, ohne auf diese Bemerkung zu antworten, »so ist das ein Grund mehr, im Essen äußerst vorsichtig zu sein; nehmt diese Tasse, aber verzehrt die Suppe bloß löffelweise.«

»Ich werde tun, was Ihr befehlt, Monseigneur!«

Sie nahm gierig die Tasse aus der Hand des Kardinals und brachte den ersten Löffel Suppe zum Munde.

Aber ihr Hals war wie zugeschnürt; die Suppe konnte nur mit Anstrengung und nach vorausgegangenem heftigen Schmerze geschluckt werden.

Dabei war die Schwäche der Armen so groß, dass ein kalter Schweiß aus ihre Stirne trat und sie einer Ohnmacht nahe kam.

Der Kardinal schenkte ihr ein wenig Wein in ein Glas und nachdem er selbst davon gekostet hatte, empfahl er ihr, ihn in kleinen Zügen zu trinken.

Sie trank ihre Wangen färbten sich mit fieberhafter Röte, und die Hand auf die Brust pressend, sagte sie:

»O, das ist ja Feuer, was ich trinke!«

»Und nun,« sagte der Kardinal, »setzt Tuch ein wenig! und erholt Euch; wir wollen sprechen.«

Und ihr ein Fauteuil in die Kaminecke rückend, half er ihr, sich darauf niederzulassen.

Niemand, der diesen Edelmann gesehen hätte, wie er ein einem hilflosen Weibe mit großer Sorgfalt Krankenwärterdienste verrichtete, würde in ihm den fürchterlichen Prälaten, den Schrecken von Frankreichs Adel, Den erkannt haben, der die Köpfe wie reife Ähren abmähen ließ, wenn sie sich nicht seinem Willen beugten.

Vielleicht wird man einwerfen, dass sein Interesse sich hinter seiner Barmherzigkeit verbarg.

Aber dann würden wir antworten, dass die Grausamkeit in der Politik zur Gerechtigkeit wird, wenn sie sich als notwendig erweist.

»Ich habe noch immer sehr großen Hunger,« sagte das arme Weib, einen heiß verlangenden Blick auf die noch auf dem Tische stehenden Speisen werfend. .

»Sogleich werdet Ihr etwas essen dürfen; Ihr seht, ich habe mein Wort gehalten; Ihr seid erwärmt, habet ein Kleid, habt gegessen, seid frei; nun haltet auch Ihr Euer Versprechen.«

»Was wollt Ihr wissen, Monseigneur?«

»Wie habt Ihr Ravaillac kennen gelernt und wo war es, dass Ihr ihn das erste Mal saht?«

»In Paris, bei mir! Ich war in allen Dingen die Vertraute der Frau Henriette d'Entragues. Ravaillac war aus Angoulème und wohnte daselbst; er hatte eine Stelle im Dienste des Herzogs von Epernon. Er bestand dort zwei schlimme Abenteuer. Eines Mordes wegen war er ein Jahr im Gefängnis und kaum hatte er es verlassen, als er Schulden halber wieder hinein wandern musste.«

»Habt Ihr jemals von seinen Visionen gehört?«

»Er erzählte sie mir selbst. Die erste und bedeutendste war folgende: Einst, als er mit gesenktem Kopfe Feuer anzündete, sah er eine Weinrebe, die er in der Hand hielt, sich verlängern und die Gestalt verändern. Die Rebe wurde zu der geheiligten Posaune des Erzengels, setzte sich von selbst an Ravaillac's Lippen, und ohne dass derselbe nöthig hatte, hineinzublasen, blies sie die Fanfare zu dem heiligen Kriege, wahrend links und rechts aus seinem Munde Ströme von Hostien quollen.« .

»Studirte er nicht Theologie'?« fragte der Kardinal.

»Er begnügte sich damit, die einzige Frage zu studieren: »Von dem Rechte, welches jeder Christ hat, einen König umzubringen, der ein Feind des Papstes ist.« – Der Herzog von Epernon wusste, dass Ravaillac ein religiös gesinnter Mensch sei und dass er von dem Geiste des Herrn heimgesucht würde; er wusste ebenso auch, dass er Schreiber bei seinem Vater, einem Sollicitator, gewesen war; als er aus dem Gefängnisse entlassen wurde, schickte ihn der Herzog daher nach Paris, um dort für ihn einen Prozess zu verfolgen, den er zu führen hatte. Da Ravaillac auf der Reise nach Paris durch Orleans kommen musste, gab der Herzog von Epernon ihm ein Empfehlungsschreiben an Herrn von Entragues und dessen Tochter Henriette mit, und von diesen erhielt er au mich einen Brief, durch den sie mich baten, ihn bei mir wohnen zu lassen.«

»Welchen Eindruck machte er auf Euch, als Ihr ihn das erste Mal sahet?« fragte der Kardinal.

»Ich erschrak vor ihm; er war ein großer, stark gebauter Mann mit einem verschlagenen Gesicht; ich glaubte Judas vor mir zu sehen; aber als ich den Brief Henriettens gelesen hatte, welche ihn als einen frommen Mann schilderte, als ich mich selbst von seiner Sanftmut überzeugt hatte, da verlor ich alle Furcht vor ihm.«

»Ging er nicht von Euch aus nach Neapel?«

»Ja, für den Herzog von Epernon; er wohnte dort bei einem gewissen Hebert, dem Sekretär des Herzogs von Guise, und diesem kündigte er zuerst an, dass er den König ermorden würde.«

»Ja, ich weiß das schon; ein gewisser Latil hat es mir umständlich erzählt; kennt Ihr vielleicht diesen Latil?«

»O ja, er war Page des Herzogs; er muss auch sehr viel von diesen Undingen zu erzählen wissen.«

»Was er wusste, das hat er mir gesagt. Fahrt fort.«

»Ich habe großen Hunger.«

Der Kardinal schenkte ihr ein zweites Glas Wein ein und erlaubte ihr, ein wenig Brot in dasselbe zu tauchen. Nachdem sie von dem Weine getrunken und von dem Brote gegessen hatte, fühlte sie sich bedeutend gekräftigt.

 

»Ihr saht ihn bei seiner Rückkehr von Neapel?« fuhr der Kardinal in seinem Verhöre fort.

»Wen? Ravaillac? Ja! Er sagte mir zweimal, am Tage der Himmelfahrt Christi und am Frohnleichnamstage, dass er fest entschlossen sei, den König zu tödten.«

»Was für eine Miene hatte er, als er Euch dieses Geständnis machte?«

»Er weinte,« indem er sagte, »dass sich Zweifel in ihm erhöben, dass er aber gezwungen würde.«

»Durch wen?«

»Durch die Erkenntlichkeit, die er dem Herzog von Epernon schulde, der den König tödten lassen wollte, um die Königin-Mutter aus der Gefahr zu ziehen, in der sie sich befände.«

»Und in welcher Gefahr befand sich die Königin-Mutter?«

»Der König wollte Concini und seiner Gattin den Prozess wegen Ehebruch machen, und Erstern hängen lassen. Letztere aber nach Florenz zurückschicken.«

»Und was beschlosst Ihr, nachdem er Euch dieses Geständnis gemacht hatte?«

»Da Ravaillac damals noch nicht wusste, dass auch die Königin im Komplott sei, so dachte ich daran, ihr Alles zu sagen. Der König, an den ich mich zu wiederholten Malen wegen einer Audienz gewendet, hatte nicht geantwortet; er dachte damals an andere Dinge, da er zu jener Zeit auf das Heftigste in die Prinzeß von Condé verliebt war. Ich schrieb also an die Königin, und zwar dreimal, dass ich ihr eine für das Wohl des Königs wichtige Nachricht mitzuteilen hätte. und mich erböte, dafür alle Beweise zu liefern. Die Königin ließ mir antworten, dass sie mich hören wolle, dass ich jedoch drei Tage warten solle. Die drei Tage gingen vorüber; am vierten reiste sie nach St. Cloud.«

»Durch wen ließ sie Euch dies sagen?«

»Durch Vauthier, der zu jener Zeit ihr Apotheker war.«

»Was für eine Idee kam Euch sodann?«

»Dass Ravaillac sich täusche, und die Königin selber im Komplott sei.«

»Und dann?«

»Dann war ich entschlossen, den König um jeden Preis zu retten; ich ging daher zu den Jesuiten in der Rue St. Antoine und fragte nach dem Beichtvater des Königs.«

»Wie wurdet Ihr dort empfangen?«

»Sehr schlecht.«

»Fandet Ihr den Pater Cotton?«

»Nein, er war ausgegangen; ich wurde an seiner Stelle von einem seiner Vertrauten empfangen, der mich nach meinem Begehren fragte. Ich sagte es ihm offen. Er bemerkte mir, dass ich eine Schwärmerin sei.«

»So benachrichtigt wenigstens den Beichtvater des Königs von dem, was ich Tuch sagte!« bat ich ihn.

»Wozu sollte das gut sein?«

»Aber wenn man den König tödtet!« schrie ich.

»Kümmert Euch um Eure eigenen Angelegenheiten!« gab er mir zur Antwort.

»Nehmt Euch in Acht,« sagte ich, »wenn dem Könige ein Unglück widerfährt, würde ich zu den Richtern gehen und ihnen Eure Weigerung erzählen.«

»Nun, so sucht Cotton auf!«

»Wo ist er?«

»In Fontainebleau; aber es ist unnöthig, dass Ihr dahin geht; ich werde ihn selbst aufsuchen.«

Da ich seinem Worte nicht traute, wollte ich am andern Tage eben einen Wagen nach Fontainebleau mieten, als ich verhaftet wurde.«

»Und wie hieß jener Jesuit, mit dem Ihr spracht?«

»Pater Philipp.

»Aus dem Gefängnisse schrieb ich noch zweimal an die Königin, und ich bin überzeugt, dass einer der Briefe ihr zugekommen ist.«

»Und der andere?«

»Den anderen hatte ich an Sully adressiert.«

»Durch wen sandtet Ihr ihn?«

»Durch Fräulein von Gournay.«

»War das nicht eine alte Jungfer, die Verse machte?«

»So ist es, Monseigneur. Sie suchte Sully im Arsenal auf, aber da in dem Briefe die Namen Epernon und' Concini standen, wagte er nicht, ihn dem Könige zu zeigen. Er sagte Sr. Majestät nur, dass er wiederum Nachricht von einer Verschwörung erhalten habe, aber der König wurde zu jener Zeit so sehr mit ähnlichen Nachrichten überhäuft, das er die Achseln zuckte, worauf Sully den Brief dem Fräulein von Gournay mit dem Bemerken zurückgab, dass er keinen Glauben verdiene.«

»Welches Datum trug dieser Brief?«

»Er war vom 10. oder 11. Mai.«

»Glaubt Ihr, dass Fräulein von Gournay den Inhalt des Briefes kannte?«

»Es ist möglich; ich habe sie nicht wiedergesehen. Ich wurde aus meinem Gefängnisse Nachts entführt. Ich zählte damals noch die Tage; es war am 28. October 1619. Ein Huissier trat in meine Zelle, hieß mich aufstehen und las mir einen Spruch des Parlaments vor, welches mich verurteilte, den Rest meines Lebens in einer Zelle ohne Tür und, mit einer vergitterten Öffnung als Fenster zuzubringen und' zur Nahrung nichts als Brot und Wasser zu erhalten.

»Ich fand es schon hart und ungerecht, im Gefängnisse zu schmachten, weil ich den König retten wollte; diese neue Verurteilung vernichtete mich; während ich sie anhörte, fiel ich ohnmächtig auf das Steinpflaster meines Kerkers nieder.

»Ich war damals siebenundzwanzig Jahre alt, und wie viele Jahre des Leidens standen mir noch bevor!

»Während meiner Ohnmacht wurde ich ergriffen und in einen Wagen gebracht. Die frische Luft, welche mir über das Gesicht strich, brachte mich zu mir.

»Ich saß zwischen zwei Polizeigefreiten, deren jeder eine meiner Hände mittelst einer kleinen Kette gefesselt hielt; als Kleidung trug ich eine Art Kutte von schwarzem Wollstoff, deren letzte Lumpen ich noch auf meinem Körper habe.

»Ich wusste, dass man mich in das Kloster der Büßerinnen bringen würde, aber ich kannte diesen Orden nicht einmal dem Namen nach, und wusste auch nicht, wo sich das Kloster befinde.

»Endlich rollte der Wagen durch einen Thorweg und in einen Hof ein, wo er stillhielt.

»Wir befanden uns vor jenem Grabe, aus dem Ihr mich befreit habt. In demselben war eine Öffnung, durch welche man mich hineingehen hieß, während einer' der Leute, die mich gebracht hatten, die Zelle nach mir betrat.

»Ich war halbtodt, und leistete keinen Widerstand; man brachte mich in den Hintergrund dieses Grabes, welches, nachdem der eine Wächter, welcher mit mir eingetreten war, mich wieder verlassen hatte, sofort zugemauert wurde.

»Als ich die Hammerschläge hörte, erwachte ich zum Leben; ich stieß einen Schreckensschrei aus, und wollte mich ins Freie stürzen, aber ich war durch die Kette zurückgehalten, die man zur größeren Vorsicht um meinen Hals geschlungen hatte; ich versuchte mich mit dieser Kette zu erdrosseln, aber auch das ging nicht, da dieselbe keinen laufenden Knoten hatte. Da endlich die Kette losgelassen wurde, welche einer der draußen stehenden Wächter an ihrem Ende hielt, sprang ich auf die Öffnung zu, aber man hatte bereits Zeit gehabt, sie zu drei Vierteilen zu vermauern. Ich steckte meine Hände durch die nun schon sehr klein gewordene Öffnung, um dieses frische Bauwerk zu zerstören, da warf einer der Maurer Mörtel auf eine dieser Hände und der andere legte einen schweren Ziegelstein darauf. Ich war wie in einer Falle gefangen.

»Ich schrie, ich weinte; ich übersah sofort die neue Strafe, die ich mir selbst durch meine Angst zugezogen hatte; ich bat um Gnade, da hob man den Stein von meiner bereits eingemauerten Hand, und erschöpft durch die entsetzlichen Aufregungen, fiel ich von Neuem ohnmächtig nieder. Während meiner Ohnmacht wurde das grässliche Werk vollbracht.

»Als ich wieder zu mir kam, war die Pforte vermauert; ich war lebendig begraben.

»Das Urteil des Parlaments war vollzogen.

»Während der ersten acht Tage rastete ich; ich wälzte mich auf dem Boden und stieß entsetzliche Schreie aus; ich aß nicht und wollte verhungern; ich dachte, dass ich die Kraft dazu haben würde; aber der Durst besiegte mich. Meine Kehle brannte entsetzlich, ich trank einen Schluck Wasser und hatte mich damit wieder dem Leben in die Arme geworfen.

»Dann sagte ich mir, dass dem Allen ein Missverständnis zu Grunde liegen müsse, das sich eines Tages aufklären würde; dass es unmöglich sei, mich zu strafen, da ich dem Könige Heinrich IV. das Leben hatte retten wollen, so. mich grausamer zu strafen, als man seinen Mörder gestraft hatte, dessen Marter ja nur eine Stunde dauerte, während die meinige eine Ewigkeit dauern muss.

»Aber auch diese Hoffnung sollte erlöschen.

»Als ich entschlossen war, am Leben zu bleiben, verlangte ich ein wenig Stroh zu meinem Lager, aber die Oberin gab zur Antwort, dass hiervon das Urteil des Parlamentes nichts erwähnte; man verweigerte mir also, was man den niedrigsten Haustieren gern bewilligt, einen Arm voll Stroh.,

»Ich hatte gehofft, dass, wenn erst die kalten und langen Mitternächte hereinbrächen, ich vor Kälte sterben würde, und ich hatte gehört, dass das Erfrieren ein sehr angenehmer Tod sei. Auch schlief ich während des ersten Winters oft ein, oder vielmehr ich wurde vor Kälte ohnmächtig. Ich erwachte dann erstarrt, gelähmt, aber – ich erwachte.

»Ich sah den Frühling wiederkehren mit seinen Blumen, seinen Düften, seinen lauen Winden, die bis in das Innere meines Grabes drangen; ich kehrte ihnen mein in Tränen gebadetes Gesicht zu, denn der Frühling hatte meine Tränenquellen, die im Winter versiegt waren, wieder erschlossen.

»Es würde mir schwer sein, Euch zu schildern, Monseigneur, in welche süße Melancholie mich der erste Sonnenstrahl versetzte, der in meine Zelle drang; ich breitete ihm meine Arme entgegen, ich versuchte ihn zu haschen, ihn an mein Herz zu pressen; ach, er entschlüpfte mir wie meine Hoffnungen, deren Symbol er mir zu sein schien.

»Während der ersten vier Jahre und auch in einem Teile des fünften verzeichnete ich die Tage auf der Mauer meines Gefängnisses durch Striche, die ich mit einem Glasscherben machte, den ein Straßenjunge nach mir geworfen hatte. Aber als ich zum fünften Male den Winter wiederkehren sah, verließ mich der Mut; wozu sollte ich die Tage meines hoffnungslosen Lebens zählen? Das Beste, was ich tun konnte, war – Alles zu vergessen und weder an die Vergangenheit noch an die Zukunft zu denken.

»Da ich stets auf dem nackten feuchten Boden schlief, fingen nach Verlauf eines Jahres meine Kleider an sich abzunützen; als zwei Jahre vorüber waren, zerrissen sie wie feuchtes Papier und fielen in Lumpen von meinem Körper herab. Ich wartete die äußerste Notwendigkeit ab, um andere Kleider zu verlangen; aber wieder lautete die Antwort, dass ich nach dem Urteile des Parlaments bloß Brot und Wasser bekommen sollte, und kein Recht hätte, irgend etwas Anderes zu fordern.

»Abermals nahte der Winter und ich war beinahe nackt; ich sollte diese schrecklichen Nächte, denen ich kaum in meinen schützenden Kleidern widerstanden hatte, nun unbekleidet ertragen; ich sammelte die Lumpen und klebte sie so zu sagen auf meinen Körper, aber sie fielen stets immer wieder von mir ab, wie die geborstene Rinde von einem alten Baumstamm. Von Zeit zu Zeit kamen Priester, um mich durch mein Luftloch zu betrachten. Die ersten, welche ich sah, flehte ich an; ich nannte sie die Diener des Herrn, die Engel der Menschheit. Sie lachten mich aus. Seitdem ich nackt war, kamen noch mehr wie zuvor, aber ich sprach nicht mehr zu ihnen und so viel ich es vermochte verhüllte ich mich mit meinen Haaren und meinen Händen. Nun begann für mich ein vollkommen tierisches Leben; ich dachte nicht mehr, ich aß, ich trank, ich kämpfte gegen die Kälte, ich schlief, wenn es möglich war; während ich schlief, fühlte ich wenigstens nicht, dass ich lebte.

»Vor drei Tagen brachte man mir meine Nahrung nicht zur gewöhnlichen Stunde; ich glaubte, dass dies eine unfreiwillige Vergessenheit sei und erwartete den Abend. Der Abend kam, ich hatte Hunger, ich rief, man antwortete mir nicht. In der Nacht konnte ich, obwohl ich bereits gewaltig litt, noch schlafen. Kaum brach aber der Tag an, als ich schon bei dem Gitter war und sehnsüchtige Blicke nach außen warf, um zu sehen, ob mir mein Brot gebracht würde. Es kam Niemand; Nonnen gingen vorüber, ich rief ihnen zu, aber sie drehten nicht einmal den Kopf nach mir um und beteten ihren Rosenkranz ruhig weiter. Wieder kam die Nacht, und nun sing ich an, zu begreifen, dass man mich verhungern lassen wollte. Obwohl ich den Tod als ein ungeheures Glück betrachten musste, fürchtete ich ihn dennoch.

»In dieser zweiten Nacht vermochte ich bloß eine oder zwei Stunden zu schlafen und während dieses kurzen Schlummers hatte ich entsetzliche Träume; dann wurde ich durch fürchterliche Magenkrämpfe geweckt. Der Tag kam, aber ich erhob mich nicht mehr von meinem Lager, um nach meiner Nahrung umzublicken; ich wusste wohl, dass sie nicht kommen würde; der Tag verstrich unter meinem Geschrei; ich schrie nicht mehr nach Brot, sondern aus Schmerz, doch Niemand hörte auf mich.

»Ich versuchte mehrmals zu beten, aber vergebens; ich fand das Wort »Gott« nicht, welches mir jetzt wie von selbst auf die Lippen tritt

»Der Tag verstrich, die Nacht warf ihre Dunkelheit zuerst in mein Grab, dann in den Klosterhof. Ich stand eine entsetzliche Angst aus, denn ich fühlte den Tod mit seinen Schrecken nahen. Ich hatte nicht mehr Kraft genug, zu schreien; ich stöhnte.

 

»Während meiner Angst zählte ich die Stunden; der Klöppel der Glocke, der sie verkündete, schien an meine Hirnschale zu schlagen, und Millionen Funken aus derselben zu locken. Mitternacht war vorüber, als das Geräusch eines Thores, welches man öffnete und wieder schloss, ein um diese Stunde in diesem Gebäude ungewöhnliches Geräusch, an mein Ohr drang; ich schleppte mich zu dem Fenster meiner Zelle und hielt mich mit beiden Händen und mit den Zähnen am Gitter fest, um nicht umzusinken. Ich sah ein Licht, welches von der Freitreppe in den Hof herabkam und sich mir näherte. Einen Augenblick lang hoffte ich, aber als ich sah, dass der Mann, der in der Begleitung der Oberin kam, ein Mönch sei, war meine Hoffnung zu Ende, meine Hände ließen die Gitterstangen los und ich kauerte mich in den Winkel, wo Ihr mich fandet.

»Es war Zeit! Einige Stunden später hättet Ihr nur noch meinen Leichnam gefunden! —«

Als hätte sie das Ende dieser schaurigen Erzählung abgewartet, und vielleicht war dies wirklich der Fall, bei den letzten Worten der Frau Coëtman trat die Oberin auf die Schwelle des Gemaches.

»Die Befehle Monseigneurs?« fragte sie.

»Zuerst,« sagte der Kardinal, »eine Frage, und auf diese muss, wie ich es Euch schon einmal gesagt habe, genau und der Wahrheit gemäß geantwortet werden.«

»Ich erwarte die Frage, Monseigneur!« sagte die Oberin, sich verbeugend.

»Wer kam, um Euch zu sagen, dass man darüber staune, dass diese arme, lebendig begrabene, halbnackte, nur von Wasser und Brot sich nährende Frau so lange lebe?«

»Es ist Monseigneur, welcher mir zu reden befiehlt?« sagte die Oberin.

»Ich bin es, der kraft meiner doppelten Gewalt Euch sagt, dass ich es wissen muss, wer den Tod dieses Weibes befahl.«

»Es ist Monsieur Vauthier, der Astrologe und Arzt der Königin-Mutter.«

»Gut,« sagte der Kardinal, »es ist nöthig, dass der Wunsch dieses würdigen Mannes erfüllt werde. Für alle Welt, ausgenommen für Euch und für mich, ist Frau von Coëtman todt. Ihr habet heute Nacht ihren Kerker geöffnet, um ihre Leiche einscharren zu lassen, und nun lasset Ihr wirklich ein Begräbnis veranstalten und begrabt einen Stein, ein Stück Holz, oder eine Leiche, die Ihr dem ersten besten Spital entnehmen könnt; das ist Eure Sache.«

»Der Befehl Monseigneurs wird pünktlich vollzogen werden.«

»Drei Eurer Untergebenen wissen um das Geheimnis: die Pförtnerin, die uns öffnete, und die zwei Schwestern, welche das Abendessen gebracht haben.

»Ihr werdet ihnen erklären, wie es Denen ergeht, welche reden, wahrend sie schweigen sollen. Übrigens werdet Ihr das Beispiel dieser Unglücklichen vor Augen haben.«

Und er bezeichnete mit seinem weißen, dürren Finger Frau von Coëtman.

»Ist das Alles. Monseigneur?«

»Es ist Alles! Nun könnt Ihr beim Hinabgehen den Trägern meiner Sänfte sagen, dass ich in einer Viertelstunde noch eine zweite Sänfte brauchen werde, welche mit Vorhängen versehen und versperrbar ist.«

»Ich werde die Befehle Monseigneurs den Leuten überbringen.«

»Und nun,« sagte der Kardinal in seinem heitersten Tone zu Frau von Coëtman, »nun glaube ich, dass Ihr so weit hergestellt seid, um einen Flügel dieses Huhnes essen und ein halbes Glas Wein auf die Gesundheit unserer guten Oberin trinken zu können.«

Drei Tage später schrieb der Chronist L'Etoile nach den Mitteilungen, die ihm von der Oberin gemacht wurden, folgende Notiz in sein Tagebuch!

»In der Nacht vom 13. zum 14. Dezember starb in einem Verließ, das für sie in dem Kloster der Büßerinnen erbaut worden war, und welches sie seit neun Jahren, das heißt seit dem Urteile des Parlaments, welches sie zu lebenslänglichem Kerker bei Wasser und Brot verdammte, nicht verlassen hatte, Jacqueline Levoyer, auch Frau von Coëtman genannt, welche im Verdachte stand, die Mitschuldige Ravaillac's bei der Ermordung unseres guten Königs Heinrich IV. gewesen zu sein. Sie wurde in der folgenden Nacht auf dem Friedhof des Klosters begraben.«