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Der Graf von Moret

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»Und dieser kleine Saint-Simon sagte Euch das Alles, damit Ihr es mir hinterbrächtet?«

»Ich sehe schon, Monseigneur, dass ich seine eigenen Worte wiederholen muss. Er sagte: »Meine liebe Marion, ich glaube, dass hinter all' diesen Dingen eine Machination gegen den Kardinal Richelieu verborgen ist; man glaubt, dass Ihr Sr. Eminenz sehr ergeben seid; wenn das wahr ist, so erzählt ihm Alles und sagt ihm, dass ich zu seinen treuen Anhängern gehöre.«

»Das scheint ein Bursche von Geist zu sein, und ich werde mich seiner, wenn sich eine Gelegenheit dazu bietet, wohl erinnern; sagt ihm das. Was aber Euch anbelangt, meine liebe Marion, so suche ich vergebens nach einem Mittel, um Euch meine Erkenntlichkeit zu beweisen.«

»Ah, Monseigneur!«

»Ich werde darüber nachdenken, aber einstweilen —«

Der Kardinal zog einen prächtigen Brillantring von dem Finger.

»Einstweilen nehmt diesen Diamant zum Andenken.«

Marion aber streckte die Hand nicht nach dem kostbaren Geschenke aus; sie verbarg sie vielmehr hinter ihrem Rücken.

Der Kardinal beachtete indes dieses Sträuben nicht und steckte ihr fast mit Gewalt den Ring an den Finger. Dann küsste er ihre Hand und sagte:

»Bleibt mir immer eine so gute Freundin wie jetzt, Marion, und Ihr werdet es nie zu bereuen haben.«

»Monseigneur.« sagte Marion, »ich betrüge zuweilen meine Liebhaber, niemals aber meine Freunde.«

Und die Faust auf die Hüfte gestemmt, den Hut mit der wallenden Feder in der Hand, die Sorglosigkeit der Jugend und der Schönheit auf der Stirn, das Lächeln der Liebe und der Wollust auf den Lippen, den Diamant an ihrem Finger betrachtend und ein leichtfertiges Liedchen trällernd, kehrte Marion in ihre Wohnung zurück.

Der Kardinal blieb allein; er legte die Hand an die gerunzelte Stirn.

»Da wäre also der unsichtbare Strohhalm, das unbemerkte Sandkorn!« murmelte er.

Dann fügte er mit einem Ausdrucke unbeschreiblicher Verachtung hinzu:

»Und der Name dieses Strohhalmes, dieses Sandkorns – Baradas!«

V.
Der Entschluss des Kardinals

Richelieu hatte eine sehr unruhige Nacht, wie die schöne Marion es voraussetzte, die nur bei äußerst wichtigen Veranlassungen mit ihm in Berührung kam. Die durch Marion überbrachte Neuigkeit war sehr bedeutungsvoll: Die Versöhnung des Königs mit seinem Lieblinge, herbeigeführt durch Monsieur, den erbitterteren Feind des Kardinals, ließ den schlimmsten Vermutungen Tür und Thor offen. Der Kardinal prüfte die Lage der Sache nach allen Seiten, und als er am Morgen, wir können nicht sagen erwachte, denn er hatte nicht geschlafen, sondern sich aus seinem Bette erhob, hatte er seinen Plan für alle Möglichkeiten bereits entworfen.

Gegen neun Uhr Morgens kündigte man einen Boten des Königs an; er wurde in das Arbeitscabinet Richelieu's geführt, wo dieser sich bereits befand. Er übergab Sr. Eminenz mit tiefer Verbeugung einen mit einem großen roten Siegel verschlossenen Brief und der Kardinal händigte ihm, bevor er noch wusste, was das Schreiben enthalte, eine Börse mit zwanzig Pistolen ein. Er machte jedem Boten des Königs ein solches Geschenk, und hatte zu diesem Zwecke eine Anzahl gefüllter Börsen in der Schublade seines Schreibtisches liegen.

Ein Blick auf den Brief hatte dem Kardinal gesagt, dass derselbe direct vom Könige komme, denn sogar die Adresse trug die Schriftzüge Sr. Majestät. Er bat den Boten, in dem Kabinette seines Sekretärs Charpentier zu warten, für den Fall, dass eine Antwort nöthig wäre.

Dann schöpfte Richelieu, dem Athleten gleich, der für den bevorstehenden körperlichen Kampf seine Kräfte sammelt, tief Atem, nahm seine Geisteskräfte zusammen, um sich für den ihm bevorstehenden geistigen Kampf zu stählen, und erbrach erst nach einer ziemlich langen Pause das Siegel des Briefes.

Während dieser Zeit war jedoch, von ihm unbemerkt, eine Tür geöffnet worden und in der Spalte war das bleiche, besorgte Gesicht der Frau von Combalet erschienen. Sie hatte durch Guillemot erfahren, dass ihr Oheim schlecht geschlafen habe, und Charpentier sagte ihr, dass schon so früh ein Vote des Königs gekommen sei.

Darauf hin hatte sie es gewagt einzutreten, ohne gemeldet worden zu sein, da sie sicher war, stets von ihrem Onkel willkommen geheißen zu werden.

Als sie jedoch den Kardinal in einem Lehnstuhle sitzen und einen Brief in den Händen halten sah, den er zu lesen zögerte, begriff sie sofort seinen Seelenzustand, und obwohl sie von dem Besuche Marions nichts wusste, erriet sie doch, dass sich während der Nacht etwas Außerordentliches begeben haben müsse.

Jetzt begann der Kardinal zu lesen, und etwas wie ein Schatten lagerte sich auf seiner Stirn, als er die ersten Zeilen durchflogen hatte.

Frau von Combalet schlich, ohne Geräusch zu verursachen, längs der Wand hin, und blieb einige Schritte von dem Kardinal entfernt stehen, gestützt auf die Lehne eines Fauteuils.

Richelieu hatte eine Bewegung gemacht, da diese aber von keinem Worte begleitet war, glaubte Frau von Combalet nicht gesehen worden zu sein.

Der Kardinal las weiter und wischte sich von zehn zu zehn Sekunden den Schweiß von seiner Denkerstirn.

Augenscheinlich war er in großer Besorgnis.

Frau von Combalet näherte sich ihm und sie hörte, wie sich der Atem stoßweise seiner gepressten Brust entrang. Dann ließ er die Hand niedersinken, welche den Brief hielt, und ihre Last nicht mehr tragen zu können schien.

Sein Kopf drehte sich gegen seine Nichte und ließ diese in ein bleiches Gesicht sehen, über welches hin und wieder eine Fieberröte flog; dann reichte er ihr seine kalte, zitternde Hand.

Frau vom Combal et ergriff bewegt diese geliebte Hand und küsste sie inbrünstig.

Der Kardinal zog sie zu sich und reichte ihr den Brief, indem er nichts sprach als:

»Lies das, meine Liebe!«

Frau von Combalet fing an flüsternd zu lesen.

»Lies es laut,« sagte der Kardinal, »es ist notwendig, dass ich jedes Wort dieses Briefes kaltblütig erwäge; der Ton Deiner Stimme wird mich erfrischen.«

Frau von Combalet las:

»Herr Kardinal und Freund!

»Nachdem Wir reiflich über die innere und äußere Lage unseres Reiches nachgedacht und beide gleich ernst und verhängnisschwer gefunden haben; da Wir ferner der Ansicht sind, dass die innere Frage wegen der Wirren, die Herr von Rohan und seine Hugenotten im Herzen des Reiches heraufbeschwören, die bedeutungsvollere ist, haben Wir, im Vertrauen aus das politische Genie, von dem Ihr Uns so oft glänzende Beweist gegeben habt, beschlossen, Euch in Paris zu lassen, damit Ihr in Unserer Abwesenheit die Staatsgeschäfte leitet, wahrend Wir mit Unserem viel geliebten Bruder, Monsieur, als Generallieutenant, und den Herzogen von Angoulème, Bassompierre, Bellegarde und Guise, als Feldhauptleuten, Uns ins Feld begeben, um die Belagerung Casales aufzuheben und mit Güte oder Gewalt in die Staaten des Herzogs von Savoyen einzuziehen; indem Wir Uns vorbehalten, mit Euch durch tägliche Couriere in Verbindung zu bleiben, und Uns bei schwierigen Anlässen Euren weisen Rat zu erbitten.

»Weshalb Wir Euch ersuchen, Herr Kardinal, Uns eine genaue Liste Unserer Armee, ferner einen Bericht über die Anzahl der feldtüchtigen Artillerie und über die Summen zu geben, die Ihr Uns zur Verfügung zu stellen im Stande seid.

»Wir haben lange nachgedacht, ehe wir diesen Entschluss fassten, den Wir Euch hiermit zu wissen tun, denn Wir erinnerten Uns der Worte des großen italienischen Poeten, der, gezwungen, der herrschenden Unruhen wegen, in Florenz zu bleiben, während dringende Geschäfte seine Anwesenheit in Venedig notwendig machten, ausrief: »Wenn ich gehe, wer wird bleiben? Und wenn ich bleibe, wer wird gehen?« Glücklicher als er, besitzen Wir in Euch, Herr Kardinal und Freund, ein anderes Ich, und da Wir Euch in Paris zurücklassen, sind Wir in der angenehmen Lage, zugleich bleiben und gehen zu können.

»Da der Zweck dieses Briefes bereits ausgedrückt ist, erübrigt Uns nur noch, den Herrn zu bitten, er möge Euch in seinen heiligen Schutz nehmen.

»Euer wohl geneigter

»Ludwig.«

Die Stimme der Frau von Combalet war, je weiter sie den Brief las, immer bewegter geworden, und als sie zu den letzten Zeilen gelangte, war sie kaum mehr verständlich. Der Kardinal hatte übrigens den Brief so aufmerksam gelesen, dass sich jedes Wort desselben seinem Gedächtnisse unauslöschlich einprägte, und er bat seine Nichte nur deshalb, ihn nochmals zu lesen, weil ihre Stimme einen besänftigenden Eindruck auf sein erregtes Gemüt hervorzubringen Pflegte.

Als sie gelesen hatte, ließ sie ihre Wange auf den Kopf des Kardinals sinken.

»O die Bösewichte!« rief sie, »sie haben sich verschworen, Euch durch Gram zu tödten!«

»Nun, was würdest Du an meiner Stelle tun, Marie?«

»Es ist wohl nicht Euer Ernst, Oheim, dass Ihr mich um Rat fragt?«

»Es ist mein voller Ernst.«

»Nun, an Eurer Stelle würde ich —«

Sie zögerte.

»Was würdest Du? Vollende!«

»An Eurer Stelle würde ich sie Alle ihrem Schicksale überlassen; wenn Ihr nicht da wäret, wollte ich sehen, wie sie fertig würden!«

»Das ist also Deine Ansicht, Marie?«

Sie erhob sich und sagte, ihre ganze Energie zusammennehmend:

»Ja, das ist meine Ansicht! Alle diese Leute, Könige, Königinnen oder Prinzen, sind die Sorge nicht wert, die sie Euch verursachen.«

»Und was werden wir anfangen, wenn ich diese Leute, wie Du sie nennst, verlasse?«

»Wir werden uns in eine Eurer besten Abteien begeben und daselbst ein ruhiges Leben führen, ich, indem ich Euch liebe und pflege, Ihr, indem Ihr Euch ganz der Natur und der Poesie widmet und jene reizenden Verse macht, die Euch für Alles entschädigen werden.«

»Du bist der Trost in eigener Person, meine viel geliebte Marie, und ich habe Dich immer als gute Ratgeberin erkannt. Diesmal stimmt Dein Rat mit meinem Willen vollkommen überein. Gestern Abend, nachdem Du mein Kabinett verlassen hattest, wurde ich so ziemlich von dem benachrichtigt, was gegen mich im Werte war; ich hatte also die ganze Nacht Zeit, mich auf den Schlag vorzubereiten, der mich treffen soll, und mein Entschluss war im Voraus gefasst.«

 

Er streckte die Hand aus, zog ein Blatt Papier zu sich heran und schrieb:

»Sire!

»Ich fühle mich so sehr als möglich durch den neuen Beweis der Achtung und des Vertrauens geschmeichelt, mit dem Eure Majestät mich zu beehren beliebten; leider ist es mir jedoch unmöglich, ihn anzunehmen. Meine ohnehin schon wankende Gesundheit hat sich während der Belagerung von La Rochelle, die wir mit Gottes Hilfe zu einem glücklichen Ende führten, noch verschlimmert; die Anstrengungen dieser Belagerung haben mich vollends erschöpft und mein Arzt, meine Familie, meine Freunde verlangen dringend von mir das Versprechen, mich einer vollkommenen Ruhe zu überlassen, welche mir die gänzliche Zurückgezogenheit von allen Geschäften und die Abgeschiedenheit eines Landaufenthaltes gewähren können. Ich begebe mich also, Sire, in mein Haus zu Chaillot, welches ich in der Voraussicht eines solchen Bedürfnisses gekauft habe, indem ich Euch bitte, meine Demission anzunehmen, und mich nach wie vor für Euren ergebensten, namentlich für Euren treuesten Untertan zu halten.

»Armand Kardinal Richelieu.«

Frau von Combalet hatte sich bescheiden von dem Schreibtische entfernt gehalten. Der Kardinal bedeutete ihr, näher zu kommen und hielt ihr schweigend das Papier hin.

Während sie las, rollten große Tränen über ihre Wangen.

»Du weinst?« fragte der Kardinal.

»Ja, ich weine heilige Tränen.«

»Was nennst Du heilige Tränen?«

»Solche, die man über die Verblendung seines Königs und das Unglück seines Landes weint.«

Der Kardinal erhob das Haupt und legte seine Hand auf den Arm seiner Nichte.

»Ja,« sagte er. »Du hast Recht; aber Gott verlässt wohl zuweilen die Könige, doch nicht eben so leicht auch dir Völker. Das Leben des Einen ist vergänglich, das der Anderen dauert Jahrhunderte. Glaube mir, Marie, Frankreich nimmt einen zu wichtigen Platz unter den Ländern Europas ein, es hat in der Zukunft eine zu notwendige Rolle zu spielen, als dass Gott seine Blicke von diesem Lande abwenden sollte. Was ich begonnen habe, wird ein Anderer vollenden; ein Mensch mehr oder weniger zählt nichts gegenüber den ewigen. Geschicken.«

»Aber ist es auch gerecht,« sagte Frau von Combalet, »dass der Mann, welcher die Geschicke eines Reiches vorbereitet, nicht auch der sein soll, der sie einem segensreichen Ende zuführt? Ist es gerecht, dass die Arbeit und der Kampf dem Einen, der Ruhm aber dem Andern zufällt?«

»Du berührst da ein ewiges Rätsel. Seit drei Jahrtausenden fragen die Menschen, warum ist oder scheint Gott, die höchste Gerechtigkeit, manchmal so ungerecht?«

»Ich lehne mich gegen Gott nicht auf, mein Oheim; ich suche nur, ihn zu begreifen.«

»Gott hat das Recht, ungerecht zu sein, denn da er die Ewigkeit in seiner Hand hält, hat er die Zukunft, um seine Ungerechtigkeiten wieder gut zu machen. Wenn wir übrigens seine Geheimnisse erforschen könnten, so würden wir sehen, dass das, was in unseren Augen als ungerecht erscheint, nur ein Mittel ist, um sicherer zu seinem Ziele zu gelangen. Es war notwendig, dass diese große Frage früher oder später zwischen dem Könige, den Gott noch lange erhalten möge, und mir entschieden werde. Wird der König für seine Familie oder für Frankreich sein? Ich bin für Frankreich; Gott ist ebenfalls für das Land; wer soll also gegen mich sein, wenn Gott für mich ist?«

Der Kardinal griff an eine Glocke; bei dem zweiten Tone, der dem Metalle entquoll, trat der Sekretär Charpentier in das Zimmer.

»Charpentier, lasse sofort die Armee- und Artillerieliste zusammenstellen; ich bewirte Beide in einer Viertelstunde.«

Charpentier verbeugte sich und ging.

Nun nahm der Kardinal die Feder wieder zur Hand, und fügte dem Briefe an den König folgende Worte hinzu:

»P. S. Eure Majestät erhalten beiliegend die Listen der Armee und der Artillerie; was die Summe betrifft, welche von den sechs Millionen, die gegen meine Bürgschaft aufgenommen wurden, noch übrig ist, so betrügt sie 3,882,000 Livres, in einer Kasse eingeschlossen, deren Schlüssel mein Sekretär Euer Majestät mit diesem Briefe zugleich überreichen wird.

»Da ich kein Arbeitscabinet im Louvre besitze und den Transport wichtiger Staatsschriften für bedenklich halte, biete ich nicht allein mein Kabinett, sondern mein ganzes Haus, Euer Majestät an. Da Alles, was ich habe, von Euch kommt, Sire, so gehört auch Alles, was ich besitze, nur Euch, Meine Diener werden in dem Hause bleiben, um den Dienst zu erleichtern und die täglichen Berichte nicht in Stockung zu bringen.

»Heute um zwei Uhr können Ew. Majestät von meinem Hause Besitz nehmen lassen,

»Ich beendige diese Zeilen, wie ich die vorhergehenden beendigt habe, indem ich mich den aller gehorsamsten und aller treuesten Diener Eurer Majestät nenne.

»Armand Kardinal Richelieu.«

Während er schrieb, wiederholte der Kardinal die niedergeschriebenen Worte, so dass Frau von Combalet, als er zu Ende kam, mit dem Inhalte des Postscriptums bekannt war.

In diesem Augenblicke brachte Charpentier die verlangten Listen, Es waren 35.000 Mann und siebzig Feldstücke kriegsbereit.

Der Kardinal legte die Listen zu dem Briefe, tat Alles unter Couvert, rief den Boten und gab ihm den Brief mit den Worten:

»Für die Person Sr. Majestät.«

Und er fügte eine zweite Börse der ersten hinzu. Nach dem gegebenen Befehl stand der Reisewagen des Kardinals angespannt vor der Tür. Der Kardinal verließ sein Haus, ohne aus demselben mehr mitzunehmen, als die Kleider, die er auf dem Leibe trug, stieg mit Frau von Combalet in den Wagen, ließ Guillemot sich neben den Kutscher setzen und befahl:

»Nach Chaillot!«

Dann wandte er sich zu seiner Nichte und sagte: »Wenn der König nicht in drei Tagen nach Chaillot gekommen ist, so reisen wir am vierten Tage nach meinem Bistum Lucon ab.«

VI.
Die Raubvögel

Wie man gesehen haben wird, hatten sich die Worte des Herzogs von Savoyen, in die er seinen Ratschlag an die Königin-Mutter kleidete, vollständig erfüllt. »Wenn der italienische Feldzug,« hatte er geschrieben, »trotz unserer Opposition beschlossen wird, so sucht für Gaston unter dem Vorwand, ihn von dem Gegenstande seiner törichten Leidenschaft zu entfernen, das Kommando der Armee zu erhalten. Der Kardinal, dessen höchster Ehrgeiz es ist, für den ersten General seines Jahrhunderts gehalten zu werden, wird diese Schmach nicht ertragen und seine Demission geben. – Es bleibt nur die einzige Besorgnis, dass der König diese Demission nicht annimmt.«

Um zehn Uhr Morgens wusste man im Louvre die Entscheidung des Kardinals noch nicht, und erwartete sie mit Ungeduld. Merkwürdigerweise schien zwischen den erhabenen Personen, welche sie erwarteten, die größte Übereinstimmung zu herrschen.

Diese Personen waren: der König, die Königin, die Königin-Mutter und Monsieur.

Monsieur hatte sich mit seiner Mutter scheinbar versöhnt; wir sagen scheinbar, denn Monsieur hasste eigentlich ohne Unterschied die ganze Welt; er erriet die Verachtung, welche alle Welt gegen ihn hegte, unter den Lobsprüchen und Schmeicheleien, die ihm dargebracht wurden, und vergalt diese Verachtung mit Hass.

Der Ort der Vereinigung war das neben dem Schlafgemache der Königin Anna liegende Boudoir, in welchem wir einmal Frau von Fargis belauschten, wie sie ihrer Gebieterin Ratschläge gab.

In den Gemächern des Königs, der Königin-Mutter und Monsieurs hielt sich eine Anzahl von Personen auf, die auf das geringste Geräusch horchten, wie vor dem Feinde auf Vorposten stehende Schildwachen. In dem Zimmer des Königs befanden sich La Vieuville, Beautru und Baradas, welch' Letzterer wieder auf den Gipfel seiner Macht gelangt war; im Zimmer der Königin-Mutter warteten der Kardinal von Bérulle und Vauthier; in dem Zimmer des Herzogs von Orleans wartete der Arzt Sénelle, welchem Du Tremblaye den berüchtigten, in Chiffren geschriebenen Brief entwendet hatte, durch den Monsieur aufgefordert wurde, wenn er in Ungnade fallen sollte, nach Lothringen zu entfliehen. Der Doktor hatte geglaubt, der Brief sei ganz einfach verlorengegangen und er behielt daher in seinem Dienste den Menschen, der ihn verriet, und sich bereithielt, ihn abermals zu vermuten, da er für seinen Verrat reichlich belohnt worden war.

Auch in dem Zimmer der Königin war es nicht einsam; hier befanden sich Frau von Chevreuse, Frau von Fargis und die Zwergin Gretchen, für deren Treue, wie man sich erinnern wird, die Infantin Clara Eugenia sich verbürgt hatte, und welche durch ihre winzige Statur auch nützlich werden konnte, da sie dort durchzuschlüpfen vermochte, wo man sonst Niemand hinzuschicken wagte.

Um halb elf Uhr kam der an den Kardinal abgesandte Bote zurück. Er wurde unverzüglich in das Boudoir der Königin eingeführt.

Der König nahm den Brief mit sichtlicher Bewegung in die Hand, und Alle, die im Zimmer waren, betrachteten mit ängstlichen Blicken dieses Couvert, welches das Schicksal all' dieses Hasses und Ehrgeizes, die in ihren Herzen aufgespeichert waren, enthielt.

»Hat der Kardinal Dir nicht aufgetragen, mir etwas mündlich zu sagen?«

»Nein, Sire; er empfahl mir bloß, diesen Brief nur in die Hände Euer Majestät zu legen.«

»Es ist gut; Du kannst gehen.«

Der Bote entfernte sich.

Der König öffnete den Brief und schickte sich an, ihn zu lesen.

»Lest laut, Sire,« rief Maria von Medicis mit einem Tone, in welchem sich der Befehl mit der Bitte verband.

Der König blickte sie an, wie um sie zu fragen, ob das laute Lesen nicht etwas Unzukömmliches wäre.

»Nicht doch!« sagte die Königin-Mutter; »haben wir nicht Alle, die wir hier vereint sind, dasselbe Interesse?«

Ein leichtes Zucken der Augenbrauen des Königs verriet, dass Ludwig XIII. in diesem Punkte nicht ganz die Ansicht seiner Mutter zu teilen schien, aber sei es, um ihrem Wunsche zu entsprechen, sei es aus Gewohnheit des Gehorsams, er fing an den Brief zu lesen, den unsere Leser zwar schon kennen welchen wir indes wiederholen, damit sie die Wirkung beurteilen können, welche die einzelnen Sätze und Ausdrücke auf die verschiedenen Zuhörer machten.

Der König las also:

»Sire!«

Es wurde so still in dem Gemache, dass der König sich veranlasst fühlte, seine Augen von dem Papiere zu erheben und sich sein Auditorium zu betrachten, ob es nicht in lauter Phantome verwandelt worden sei.

»Wir hören, Sire!« sagte Maria von Medicis ungeduldig.

Der König, welcher am wenigsten ungeduldig von Allen war, vielleicht weil er vom Standpunkte des Königtums aus die Wichtigkeit der Situation am besten begriff, las nun langsam und mit einer Stimme, welche hörbar zitterte:

»Sire, ich fühle mich so sehr als möglich durch den neuen Beweis der Achtung und des Vertrauens geschmeichelt, mit dem Eure Majestät mich zu beehren beliebten.«

»O,« rief Maria von Medicis, unfähig ihre Ungeduld länger zu bemeistern, »er nimmt an!«

»Wartet, Madame,« sagte der König, »es ist hier noch ein Aber.«

»Also lest, Sire! Lest!«

»Wenn Ihr wollt, dass ich lese, Madame, so unterbrecht mich nicht.«

Und er fuhr fort:

»Leider ist es mir jedoch unmöglich, ihn anzunehmen.«

»Er weigert sich also?« riefen die beiden Königinnen.

Der König machte eine Bewegung des Missbehagens.

»Entschuldigt uns, Sire,« sagte Maria von Medicis, »und lest weiter.«

Anna von Österreich, obwohl eben so glücklich über den Entschluss des Kardinals, wie die Königin-Mutter, aber mehr Herrin ihrer selbst, legte ihre vor Erregung zitternde weiße Hand auf die Seidenrobe ihrer Schwiegermutter, um ihr Stillschweigen anzuempfehlen.

Der König las weiter:

»Meine ohnehin schon wankende Gesundheit hat sich während der Belagerung von La Rochelle, die wir mit Gottes Hilfe zu einem glücklichen Ende führten, noch verschlimmert; die Anstrengungen dieser Belagerung haben mich vollends erschöpft, und mein Arzt, meine Familie, meine Freunde, verlangen dringend von mir das Versprechen, mich einer vollkommenen Ruhe zu überlassen, welche mir die gänzliche Zurückgezogenheit von allen Geschäften und die Abgeschiedenheit eines Landaufenthaltes gewähren können.«

»O,« sagte die Königin-Mutter, aus tiefer Brust erleichtert aufatmend, »so möge er denn ausruhen zum Besten des Reiches und des europäischen Friedens!«

 

»Mutter, Mutter!« flüsterte der Herzog von Orleans, der mit Besorgnis sah, dass der Blick des Königs den Ausdruck des Zornes annahm

Anna von Österreich zog ihrerseits ihre Schwiegermutter heftiger am Kleide,

Diese aber war unfähig, sich zu beherrschen.

»Niemals, niemals werdet Ihr wissen, mein Sohn, was ich diesem Menschen vorzuwerfen habe.«

»In der Tat Madame,« sagte Ludwig XIII., »weiß ich es sehr wohl

Er legte auf die letzten Worte eine halb boshafte, halb düstere Betonung und fuhr dann im Lesen fort:

»Ich begebe mich also, Sire«, in mein Haus zu Chaillot, welches ich in der Voraussicht eines solchen Bedürfnisses gekauft habe, indem ich Euch bitte, meine Demission anzunehmen, und mich nach wie vor für Euren ergebensten, namentlich für Euren treuesten Untertan zu halten.

»Armand Kardinal Richelieu.«

Die Personen, die im Zimmer waren, erhoben sich sämtlich von ihren Sitzen, da sie den Brief beendet glaubten; die beiden Königinnen umarmten einander und der Herzog von Orleans näherte sich dem Könige, um ihm die Hand zu küssen. »

Aber der König hielt alle Welt mit seinem Blicke zurück.

»Der Brief ist noch nicht zu Ende; er hat noch ein Postskriptum.«

Obwohl Frau von Sevigne damals noch nicht gesagt hatte, dass der wichtigste Teil eines Briefes gewöhnlich die Nachschrift sei, blieben doch bei der Mitteilung von dem Vorhandensein einer solchen Alle in gespannter Erwartung stehen, und Maria konnte sich nicht enthalten, zu ihrem Sohne zu sagen:

»Ich hoffe, Sire, dass, wenn auch der Kardinal von seinem Entschluss zurückkommen sollte, Ihr dennoch in dem Euren nicht wanken werdet.«

»Ich habe das Versprechen gegeben, Madame!« sagte Ludwig XIII.

»Hören wir das Postskriptum!« drängte Monsieur.

Der König las:

»Eure Majestät erhalten beiliegend die Listen der Armee und der Artillerie; was die Summe betrifft, welche von den sechs Millionen, die gegen meine Bürgschaft aufgenommen wurden, noch übrig ist. so beträgt sie 3,882,000 Livres in einer Kasse eingeschlossen, deren Schlüssel mein Sekretär Euer Majestät mit diesem Briefe zugleich überreichen wird.«

»Mehr als drei Millionen!« rief die Königin-Mutter mit dem Ausdrucke einer Habgier, die sie nicht zu verbergen suchte.

Der König stampfte unwillig mit dem Fuße, worauf Stillschweigen eintrat.

»Da ich kein Arbeitscabinet im Louvre besitze und den Transport wichtiger Staatsschriften für bedenklich halte, biete ich nicht allein mein Kabinett, sondern mein ganzes Haus Euer Majestät an. Da Alles, was ich habe, von Euch kommt, Sire, so gehört auch Alles, was ich besitze, nur Euch. Meine Diener werden in dem Hause bleiben, um den Dienst zu erleichtern und die täglichen Berichte nicht in Stockung zu bringen.

»Heute um zwei Uhr können Euer Majestät von meinem Hause Besitz nehmen lassen.

»Ich beendige diese Zeilen, wie ich die vorhergehenden beendigt habe, indem ich mich den aller gehorsamsten und aller treuesten Diener Eurer Majestät nenne.

»Armand Kardinal Richelieu.«

»So!« sagte der König mit düsterem Blicke und rauer Stimme; »nun seid Ihr ja Alle zufrieden und Jedes von Euch glaubt bereits Herr zu sein.«

Die Königin-Mutter, welche auf diese Herrschaft am meisten zählte, antwortete zuerst.

»Ihr wisst besser als Jedermann, Sire, dass hier außer Euch Keiner Herr ist und dass ich die Erste sein werde, die das Beispiel des Gehorsams gibt; damit aber die Geschäfte nicht unter der Abwesenheit des Kardinals leiden, würde ich mir einen Vorschlag erlauben.«

»Und welchen, Madame? Jeder von Euch kommende Vorschlag wird Uns willkommen sein.«

»Er geht dahin, so bald als möglich einen Rat zu bilden, der die inneren Angelegenheiten in Eurer Abwesenheit, Sire, zu verwalten hätte.«

»Ihr scheint also jetzt nicht mehr dieselben Besorgnisse für meine Gesundheit zu hegen, da Ihr annehmt, dass ich in Gesellschaft meines Bruders in den Krieg ziehe, wie damals, wo Ihr glaubtet, ich würde es in Gesellschaft des Kardinals tun?«

»Ihr schient in diesem Punkte so entschlossen, mein Sohn, als Ihr meinen Bitten und denen Eurer Gemahlin so hartnäckig Widerstand leistetet, dass ich es nicht mehr wage, darauf zurückzukommen.«

»Und wen schlagt Ihr zur Bildung dieses Rates vor?«

»Ich sehe keinen Tauglicheren, als den Kardinal Bérulle, den Ihr an die Stelle des Kardinals Richelieu setzen könnt, Sire.«

»Und dann?«

»La Vieuville steht den Finanzen vor, Marillac ist Siegelbewahrer; man könnte sie auf ihren Posten belassen.«

Der König nickte.

»Und für den Krieg?«

»Ihr habet da den Bruder des Siegelbewahrers, Marschall Marillac. Solch ein Rat würde nach meiner Ansicht für die Sicherheit des Staates und den regelmäßigen Gang der Geschäfte genügen.«

Dann sind ja zwei Admiralsstellen, die von Lorient und die von Ponant, welche der Kardinal wohl zugleich mit seiner Ministerwürde niedergelegt hat,« sagte der Herzog von Orleans.

»Ihr scheint zu vergessen, Monsieur, dass er die eine von dem Herzog von Guise, die andere von dem Herzog von Montmorency gekauft und jede mit einer Million bezahlt hat.«

»Nun, so wird man sie ihm wieder abkaufen,« sagte Monsieur.

»Mit seinem eigenen Gelde, nicht wahr?« fragte der König, dem seine natürliche Gerechtigkeitsliebe diesen Handel, zu dem er Monsieur für fähig hielt, in seiner ganzen Schändlichkeit zeigte.

Monsieur fühlte den Stich und erwiderte:

»Nicht doch, Sire; mit der Erlaubnis Ew. Majestät würde ich die eine zurückkaufen, und ich glaube, dass der Herzog von Condé die andere gern an sich brächte, wenn es der König nicht vorzieht, dass ich beide kaufe; gewöhnlich waren es die Brüder der Könige, welche die stelle der Großadmirale von Frankreich bekleideten.«

»Gut,« sagte der König, »wir werden das überlegen.«

»Nur glaube ich, mein Sohn,« sagte die Königin-Mutter, »dass Ihr, bevor Ihr die Kasse des Kardinals Herrn von Vieuville zur Controlle übergebt, einige Schenkungen machen könntet, ohne dass irgend Jemand darum wissen müsste.«

»Auf keinen Fall an meinen Bruder,« sagte der König, »er ist, wie es scheint, reicher als ich selbst. Sagte er nicht soeben, er hätte zwei Millionen bereit, um die beiden Admiralitätsstellen des Kardinals zurückzukaufen?«

»Ich sagte, dass ich sie herbeischaffen würde, Sire. Hat der Herr Kardinal auf sein bloßes Wort sechs Millionen aufgetrieben, so wird es mir wohl gelingen, zwei aufzutreiben, wenn ich meine Güter verpfände.«

»Ich, die ich kein, Güter habe,« sagte Maria von Medicis, »brauchte sehr notwendig 100,000 Livres, welche ich vom Kardinal verlangte, der mir aber nur 50,000 Livres gab. Die anderen fünfzigtausend wollte ich meinem Maler, Rubens geben, welcher erst 10.000 Livres als Abschlagszahlung für die zweiundzwanzig Bilder bekommen hat, die er für die Galerie des Luxembourg malt, und die das Andenken Eures Vaters, Sire, verherrlichen sollen.«

»Und um das Andenken meines Vaters willen,« sagte Ludwig XIII. mit einer Betonung, die seine Mutter erbeben machte, »werdet Ihr die Summe erhalten.«

Dann wandte er sich an seine Gemahlin.

»Und Ihr, Madame? Habt Ihr kein derartiges Anliegen an mich?«

»Ihr habt mich ermächtigt, Sire,« sagte Anna, die Augen senkend, »bei Lopez eine Perlenschnur zu ergänzen, welche Ihr mir einst schenktet, und in welcher einzelne Perlen matt geworden waren. Diese Perlen sind jedoch von so seltener Größe, dass die Ergänzung eine Summe von mehr als 20,000 Livres kostet.«

»Ihr sollt sie haben, Madame, und so groß die Summe auch ist, so wird doch nicht zum zehnten Teil die Angst und Besorgnis um meine Gesundheit damit bezahlt, welche Euch gestern bewog, mich anzuflehen, ich möge mich nicht dem Schnee und den Stürmen der Alpen – an der Seite des Kardinals aussetzen. Habt Ihr vielleicht noch irgend eine Bitte?«

Anna schwieg.

Die Königin-Mutter nahm für sie das Wort.

»Ich weiß,« sagte sie. »dass es die Königin, Eure Gemalin, glücklich machen würde, wenn sie durch ein Geschenk von 10,000 Livres die Ergebenheit ihrer Ehrendame, der Frau von Fargis, belohnen könnte, welche ihrerseits die, Hälfte dieser Summe ihrem Gatten, unserem Gesandten in Madrid, schicken würde, der bei seinem geringen Gehalte nicht in der Lage ist, Euer Majestät würdig zu repräsentieren.«

»Das Begehren ist so bescheiden,« erwiderte der König, »dass ich es nicht unerfüllt lassen kann,«