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Der Graf von Moret

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XXII.
Der Bruder

Es mochte etwa acht Uhr Abends am darauffolgenden Tage sein, als an dem Thore der Festung Pignerol ein junger Mann von 24 bis 25 Jahren in der Kleidung der Bergbewohner von Aosta erschien, und in dem piemontesischen Gebirgsdialekt sagte, er hieße Gaetano.

Er gab sich für den Bruder der Kammerfrau der Gräfin Urbano aus, in deren Hause er während seines Aufenthaltes in Piemont mit dem Herzog von Montmorency Gastfreundschaft genossen hatte, welche er dadurch vergalt, dass er allen weiblichen Wesen des Hauses, also auch der Kammerfrau, die Cour machte.

Er fragte daher nach der Signora Jacintha.

Die Signora Jacintha, welche durch einen Soldaten der Garnison benachrichtigt wurde, stieß einen leisen Schrei der Überraschung aus, den man allenfalls für einen Freudenschrei halten konnte; aber als ob sie, um der Stimme des Blutes, die sie durch den Mund ihres Bruders an das Thor der Festung rief, zu gehorchen, der Erlaubnis ihrer Gebieterin bedürfte, stürzte sie zuerst nach dem Zimmer der Gräfin. Sie verließ dasselbe nach fünf Minuten durch eben die Tür, durch welche sie eingetreten war; die Gräfin aber eilte durch eine entgegengesetzte Tür eine kleine Treppe hinab, welche zu einem reizenden Gärtchen führte, das sie sich zu ihrem alleinigen Gebrauche vorbehalten hatte, und auf welches die Fenster von Jacintha's Stube hinausgingen.

Als sie den Garten erreicht hatte, vertiefte sie sich in den entferntesten Teil desselben, das heißt in eine Ecke, die mit Citronen-, Orangen- und Granatbäumen dicht bepflanzt war.

Während dessen schritt Jacintha über den Hof, mit dem freudigen Ausdrucke einer Schwester, die einen geliebten Bruder nach längerer Trennung wieder sieht. Dabei rief sie mit gerührter Stimme:

»Gaetano! Mein teurer Gaetano!«

Der Graf Urbano, der eben auf den Festungsmauern die Wachen revidierte, war Zeuge der rührenden Szene, welche die Kammerfrau seiner Gemahlin mit ihrem angeblichen Bruder aufführte.

Jacintha machte dem Herrn Grafen einen Knix und bat ihn um die Erlaubnis, ihren Bruder einige Tage bei sich beherbergen zu dürfen, weil derselbe ihr, wie es schiene, Familienangelegenheiten von großer Wichtigkeit mitzuteilen habe.

Der Graf ließ Gaetano zu sich kommen, unterhielt sich eine Weile mit ihm und gab ihm die Erlaubnis, eine Zeit lang in der Festung zu verweilen.

Dieser Aufenthalt sollte jedoch nicht lange dauern, da Gaetano sagte, er habe nur zwei Tage Zeit, um sie bei seiner Schwester zuzubringen.

Der Graf, der nicht länger mit dem Burschen plaudern mochte, da er fürchtete, sich dadurch in den Augen seiner Soldaten herabzusetzen, verabschiedete ihn mit einer gnädigen Handbewegung und ging in das Haus.

Gaetano hatte leicht bemerken können, dass der Graf übler Laune sei und da ihn dies mehr zu interessieren schien, als man es von einem Bauer hatte vermuten können, für den es keinen Grund gab, sich um die Angelegenheiten der großen Herren zu kümmern, erzählte Jacintha ihm die doppelte Ursache, die der Graf hatte, sich über den Herzog zu beschweren. Zunächst war dies, dass der Herzog der Gemahlin in Gegenwart des Gemahls eben so eifrig als unverschämt den Hof gemacht hatte; – dann der unerwartete Befehl, den der Graf drei Tage zuvor empfangen hatte, sich in die Zitadelle einzuschließen und dieselbe zu verteidigen, bis kein Stein mehr aus dem andern bliebe! – Der Graf Urbano hatte sich überdies nicht gescheut, in Gegenwart seiner Frau und Jacintha's zu äußern, wenn er Gelegenheit fände, mit denselben Vorteilen, wie in Piemont, in den Dienst Spaniens, Österreichs oder Frankreichs zu treten, so würde er sich keinen Augenblick besinnen, es zu tun.

Gaetano schien über diese Mitteilung so erfreut zu sein, dass er in dem dunklen Gange, in welchem er dieselbe erfuhr, von einer gesteigerten Zärtlichkeit für seine Schwester ergriffen wurde, so dass er Jacintha in seine Arme schloss und ihr einen herzhaften Kuß auf jede Wange drückte.

Das Zimmer Jacinthas lag an dem Corridor; sie lieh ihren angeblichen Bruder eintreten und verschloss die Tür.

Gaetano stieß, sobald er im Zimmer war, einen Freudenruf aus.

»Da bin ich endlich!« frohlockte er. »Was macht Deine schöne Gebieterin?«

»Ich glaubte, dass Ihr meinetwegen hierher gekommen wäret!« lachte das junge Mädchen.

»Deinet, und ihretwegen, aber vor Allem ihretwegen; ich habe politische Geschäfte mit Deiner Gebieterin in Ordnung zu bringen und Du weißt, Geschäfte gehen Allem vor.«

»Und wo werdet Ihr diese wichtigen Geschäfte abmachen?«

»In Deinem Zimmer, wenn Du nichts dagegen hast.«

»Vor mir?«

»O nein; so viel Vertrauen wir auch in Dich setzen, sind unsere Geschäfte dennoch zu wichtig, um einen Zeugen zu dulden.«

»Und was soll ich dann tun?«

»Du wirst bei dem Bette Deiner Gebieterin sitzen, dessen Vorhänge zugezogen sein müssen, weil sie sehr leidend ist, und wirst Acht geben, dass ihr Gemahl ihr Zimmer nicht betritt.«

»Ach, Herr Graf,« sagte Jacintha mit einem Seufzer, »ich wusste nicht, dass Ihr ein so großer Diplomat seid.«

»Du irrtest Dich, wie Du siehst; da aber für einen Diplomaten die Zeit das Kostbarste ist, so sage mir schnell, wo Deine Gebieterin sich befindet.«

Jacintha stieß einen zweiten Seufzer aus, öffnete das Fenster und sagte das einzige Wort:

»Sucht!«

Der Graf erinnerte sich jetzt daran, dass Mathilde ihm zwanzigmal von diesem einsamen Garten erzählt hatte, in welchem sie so oft ungestört von ihm träumte. Er erinnerte sich eben.so, von dem Granaten, Orangen-, und Citronengebüsch gehört zu haben, das am hellen Tage so dunkel war, um so mehr also am Abend. Kaum hatte er daher das Fenster geöffnet, als er auch schon auf die Brüstung desselben und von der Brüstung hinab in den Garten sprang. Während Jacintha dann eine Träne trocknete, die sie vergebens zurückzuhalten versucht hatte, eilte der Graf von Moret dem dichtesten Teile des Gebüsches zu, indem er rief:

»Mathilde! Mathilde! Mathilde!«

Gleich das erste Mal, als ihr Name gerufen wurde, hatte Mathilde die Stimme erkannt, welche ihn rief und in der Richtung fort stürzend, aus welcher die Stimme ertönte, rief sie ihrerseits:

»Antonio!«

Dann erblickten sich die beiden Liebenden, sanken einander in die Arme und hielten sich innig umschlungen, gestützt an den Stamm eines Orangenbaumes, der sie mit seinen duftenden Blüten überschüttete.

So blieben sie einen Augenblick stehen, und wenn sie nicht stumm waren, so sprachen sie zu einander doch nur in einzelnen, unzusammenhängenden Lauten, wie sie dem Munde Liebender entströmen, und antworteten sich so, indem sie sich ohne ein einziges Wort eine unendliche Menge von Dingen sagten.

Endlich schienen Beide ans dem reizenden Linde, der Träume zurückzukehren und flüsterten von Zeit zu Zeit:

»Bist Du es denn wirtlich?«

Und Beide antworteten zugleich in einem einzigen Kusse:

»Ja. ich bin es!«

Die Gräfin, gewann zuerst ihre volle Besinnung wieder und rief erschrocken:

»Aber mein Mann?«

»Alles ist vollkommen so gelungen, wie wir es hofften,« entgegnete der Graf. »Er hat mich für dm Bruder Jacinthas gehalten und mir erlaubt, in dem Schloss zu bleiben.«

Darauf setzten sich Beide neben einander, die Hände verschlungen haltend. Die Stunde der Erklärungen war gekommen.

Die Erklärungen aber sind lang zwischen Liebenden! sie wurden von dem Garten bis in die Stube Jacinthas fortgesetzt und die Zofe brachte, wie es verabredet worden war, die Nacht auf einem Sessel vor dem Bette ihrer Gebieterin zu.

–         –         –         –         –         —

Am anderen Morgen um acht Uhr klopfte es leise an die Tür des Festungskommandanten; er war bereits wach und angekleidet, da er um sechs Uhr eines Couriers wegen geweckt wurde, welcher die Nachricht brachte, die Franzosen seien in Rivoli und verrieten die Absicht, Pignerol zu belagern.

Er war sehr besorgt, das ließ sich schon ans dem barschen Tone entnehmen, mit dem er »Herein!« rief.

Die Tür tat sich auf und zu seinem großen Erstaunen sah er seine Gattin auf der Schwelle.

»Ihr seid es. Mathilde? Wisst Ihr schon die Neuigkeit und verdanke ich ihr das Vergnügen dieses unerwarteten Morgenbesuches?«

»Welche Neuigkeit?«

»Dass wir wahrscheinlich belagert werden.«

»Ja, und ich wollte darüber mit Euch sprechen.«

»Aber durch wen erfuhrt Ihr die Sache?«

»Ich werde es sogleich sagen; ich konnte die ganze Nacht darüber nicht schlafen.«

»Man sieht es an Eurer Gesichtsfarbe; Ihr seht blass, und angegriffen aus.«

»Ich erwartete mit Ungeduld den Morgen, um Euch aufzusuchen.«

»Konntet Ihr mich nicht wecken lassen? Die Neuigkeit war doch wichtig genug.«

»Diese Neuigkeit erweckte so viele Erinnerungen und Zweifel in mir, dass ich wollte, Ihr möchtet sie früher erfahren und darüber nachdenken, ehe ich mit Euch davon sprach.«

»Ich verstehe Euch nicht, Madame, und habe Euch auch noch nie über Staatsgeschäfte und Krieg reden hören.«

»Man verachtet unseren schwachen Verstand zu sehr, um uns in solchen Dingen um Rat zu fragen.«

»Und Ihr behauptet, man habe Unrecht?« fragte lächelnd der Graf.

»Ohne Zweifel; denn gewiss könnten wir zuweilen gute Ratschläge geben.«

»Und wenn ich Euch nun in der Lage, in welcher wir uns jetzt befinden, um Rat fragen würde, was wäre Eure Ansicht?«

»Vor Allem würde ich daran erinnern, wie undankbar der Herzog von Savoyen sich gegen Euch gezeigt hat.«

»Das wäre überflüssig, Madame; diese Undankbarkeit wird mir immer erinnerlich bleiben.«

»Ich würde Euch sagen: Gedenkt der Feste in Turin, bei denen mir eben der Fürst, welcher den Gedanken zu unserer Verbindung anregte, Zumutungen machte, welche eben so beleidigend für Eure Ehre waren, wie für die meinige.«

 

»Ich erinnere mich nur zu gut an diese Zumutungen, Madame.«

»Ich würde Euch sagen, vergesst nicht die harte und rohe Weise, aus welche er Euch den Befehl erteilte, Rivoli zu verlassen und die Franzosen in Pignerol zu erwarten.«

»Ich habe nichts vergessen und erwarte den Augenblick, in welchem ich von meinem guten Gedächtnisse Beweise geben kann.«

»Wohl an, mein Herr, dieser Augenblick ist gekommen, und Ihr seid in einer jener entscheidenden Lagen, in welchen der Mensch Herr seines Schicksals ist, und zwischen einer Zukunft der Sclaverei und einer Zukunft der Freiheit und des Genusses eines ungeheuren Reichtums die freie Wahl hat.«

Der Graf blickte seine Gattin mit erstaunter Miene an.

»Ich gestehe Euch, Madame,« sagte er, »dass ich vergebens zu erraten suche,«wohin Ihr zielt.«

»Ich will daher auch ohne Umschweife zu der Sache kommen.«

Das Staunen des Grafen verdoppelte sich. »Der Bruder Jacinthas ist im Dienste des Grafen von Moret.«

»Des natürlichen Sohnes Heinrichs IV.?«

»Ja, mein Herr!«

»Nun, Madame?«

»Nun, vorgestern äußerte der Kardinal Richelieu in Gegenwart des Grafen von Moret, dass er eine Million Demjenigen gäbe, der ihm die Schlüssel von Pignerol überliefern würde.«

Die Augen des Grafen schossen einen Blitz der Habgier.

»Eine Million?« rief er. »Bei Gott, ich möchte sie sehen.«

»Ihr werdet sie sehen, sobald Ihr es wollt, mein Herr!«

Der Graf schloss krampfhaft seine Fäuste.

»Eine Million, das würde sich der Mühe lohnen, aber woher wisst Ihr, Madame, dass diese Summe zu verdienen ist?«

»Ganz einfach; der Graf von Moret hat seinen Diener Gaetano mit dem Auftrage hergeschickt, das Terrain zu sondieren.«

»Und deshalb kam dieser Gaetano her, um seine Schwester zu besuchen?«

»So ist es; Jacintha bat mich, ihn zu empfangen; so wurde der Vorschlag mir gemacht, und nur ich allein bin kompromittiert, wenn die Sache scheitert.«

»Und warum sollte sie scheitern?«

»Wenn Ihr zum Beispiel den Vorschlag zurückwiest?«

»Und welches sind die Bürgschaften, die man uns bietet?«

»Das Gold.«

»Und welche Bürgschaften soll ich bieten?«

»Eine Geißel.«

»Wer soll diese Geißel sein?«

»Ich; es ist doch natürlich, dass Ihr in einem Augenblick der Belagerung Eure Gattin aus der zu belagernden Festung entfernt, die Ihr bis auf das Äußerste zu verteidigen entschlossen seid. Ich schickt mich daher zu meiner Mutter nach Selemo, und dort warte ich, bis Ihr mir sagen lasset, in welcher Stadt Frankreichs ich zu Euch kommen soll; – denn ich erwarte, dass Ihr euch nach irgend einer Stadt Frankreichs zurückziehen werdet.«

»Und die Million wird bezahlt werden?«

»In Gold.«

»Wann?«

»Sobald Ihr die unterzeichnete Kapitulation und die Erlaubnis zu meiner Abreise Gaetano übergeben haben werdet.«

»Gaetano soll am Abende mit der Million kommen, und haltet Ihr Euch bereit, mit ihm abzureisen.«

Am Abend zog der Graf von Moret, noch immer unter dem Namen Gaetano, mit einem Maultiere, welches eine Million Gold trug, in die Festung ein, und verließ dieselbe kurz darauf mit der Gräfin.

Diese überbrachte dem Kardinal die Kapitulation, welche von dem zweiten Tage darauf datiert war, um dem Kardinal Zeit zu lassen, die Anstalten zur Belagerung der Festung zu treffen.

Die Garnison zog mit allen Kriegsehren frei ab.

XXIII.
Der Adler und der Fuchs

Zwei Tage darauf zog der Kardinal in die Festung Pignerol in eben dem Augenblick ein, in welchem Carl Emanuel Turin verließ, um derselben Beistand zu bringen.

Als er aber drei Stunden von Turin entfernt war. meldete ihm seine Avantgarde, dass ein Korps von ungefähr achthundert Mann unter der Fahne Savoyens entgegenkäme.

Er schickte einen seiner Offiziere voraus, um zu Rekognoszieren, was das für ein Corps wäre; zu seinem großen Erstaunen lautete der Rapport, es sei die Garnison von Pignerol, welche nach Turin zurückkehrte, da die Festung übergeben wäre.

Diese Meldung machte auf Carl Emanuel einen fürchterlichen Eindruck. Er hielt einen Augenblick an, wurde leichenblass, fuhr sich dann mit der Hand über die Stirne und rief den Kommandanten seiner Reiterei heran.

»Greift die Canaillen an!« gebot er auf die armen Teufel deutend, welche unschuldig waren; denn nicht die Garnison hatte sich ergeben, sondern der Kommandant. »Und wenn es möglich ist, so haut sie bis auf den letzten Mann nieder!«

Der Befehl wurde buchstäblich erfüllt und drei Viertel der Unglücklichen fanden in dem Gemetzel den Tod.

Die Übergabe der Festung Pignerol, deren Ursachen für den Herzog ein Geheimnis blieben, zeigte ihm seine Lage aus ihrem wahren Gesichtspunkte. Er erkannte, dass sie verhängnisvoll sei. Alle List, alle Intrigen einer Regierung, von beinahe vierzig Jahren – und diese ganze Regierung war von List und Intrigen erfüllt gewesen – hatte also nur dazu gedient, einen furchtbaren Feind in das Herz seiner Staaten zu führen. Sein einziges Hilfsmittel war jetzt, sich den Spaniern und den Österreichern in die Arme zu werfen und Spinola, einen Genueser also einen Feind, um Hilfe anzuflehen, oder Wallenstein, einen Böhmen, das heißt einen Fremden.

Er musste sich unter der eisernen Hand der Notwendigkeit beugen. Der Herzog berief Spinola, den kommandierenden General der Spanier und Colalto, den Führer der in Italien eingedrungenen Deutschen, ihm gegen die Franzosen Beistand zu leisten. Aber Spinola, ein großer Kriegsheld, der, so lange er das Mailändische besetzt hielt, Carl Emanuel nicht aus dem Auge verloren hatte, fühlte nicht die geringste Sympathie für diesen kleinen intrigierenden und ehrgeizigen Fürsten, der ihn schon so oft durch den Wechsel seiner Politik dahin gebracht hatte, den Degen ziehen und wieder in die Scheide stecken zu müssen.

Was Colalto betraf, so hatte derselbe nur einen Zweck vor Augen gehabt, indem er nach Italien kam: seine Armee und sich selbst zu ernähren und zu bereichern und als Krönung des Feldzuges, den er als echter Condottieri für seine eigene Rechnung führte, Mailand zu nehmen und zu plündern. Männer solcher Art lassen sich. wie man einsehen wird, nicht leicht durch die Klagen eines Herzogs von Savoyen rühren.

Spinola erklärte daher, er dürfte seine Armee durchaus nicht schwächen, sondern müsste sie in ihrer vollen Stärker beisammen halten, um seine Absichten auf Montferrat auszuführen.

Bei Colalto war es etwas Anderes; wie wir sagten, konnte er aus Deutschland so viele Mannschaft ziehen, als er wollte. Wallenstein, der wieder an die Spitze seiner Banden getreten war, kommandierte mehr als hunderttausend Mann oder wurde vielmehr von ihnen kommandiert. Er erschreckte Ferdinand II. durch seine Nacht und wurde zuweilen selbst dadurch erschreckt; nichts war ihm daher erwünschter, als Teile seiner Truppen an alle Fürsten zu überlassen?, die gezeigt wären, sie ihm abzukaufen. Es war daher ganz einfach eine Geldfrage, die es zwischen Carl Emanuel und Colalto zu verhandeln galt, und diese Verhandlungen endeten nach manchen Hin- und Her-reden mit einem tüchtigen Aderlass, welcher der Kasse des Herzogs von Savoyen beigebracht wurde und wofür derselbe zehntausend Mann erhalten sollte. Übrigens war zu dem Abschlusse dieses fürchterlichen Handels der ganze Hass Carl Emanuels gegen Frankreich erforderlich; denn er führte dadurch in sein Land einen Feind, der viel mehr zu fürchten war, als der, welchen er dadurch vertreiben wollte. In dem französischen Lager herrschte die strengste Disziplin. Die Soldaten verlangten nichts Anderes, als mit dem Gelde in der Hand, die Deutschen dagegen streckten die Hand nur aus, um zu plündern.

Der Herzog von Savoyen erkannte daher bald, das Beste was er zu tun hatte, würde sein, noch einen letzten Versuch zumachen, umzusehen, was sich von Richelieu erwarten ließe.

Zwei Tage nach der Einnahme von Pignerol saß der Kardinal arbeitend in eben dem Kabinett des Grafen Urbino von Espalomba, an dessen Tür wir die Gräfin so früh, am Morgen nach der Ankunft Gaetano''s klopfen sahen; da meldete man ihm die Ankunft eines jungen Offiziers, der von dem Kardinal Barberini geschickt worden sei, dem Neffen des Papstes und dessen Legaten an dem Hofe Carl Emanuels.

Der Kardinal erriet sogleich, um was es sich handeln Würde, und da es Stephan Latil war, welcher ihm die Meldung machte, er aber nicht nur in den Mut, sondern auch in den Scharfsinn seines Gardelieutenants großes Vertrauen setzte, sagte er zu demselben:

.»Tritt näher!«

»Hier bin ich, Euer Eminenz,« entgegnete Latil, indem er die Hand an den Hut legte.

»Kennst Du den Abgeordneten des Kardinal Barberini?«

»Ich habe ihn nie gesehen, Monseigneur.«

»Und sein Name?«

»Mir durchaus unbekannt.«

»Dir wohl, aber mir vielleicht nicht.«

Latil schüttelte den Kopf.

»Es gibt wenig bekannte Namen, die ich nicht auch kenne,« sagte er.

»Und wie heißt er?«

»Mazarino Mazarini, Monseigneur.«

»Mazarino Mazarini! – Du hast Recht. Stephan, den Namen kenne ich nicht! Der Teufel! Ich liebe es nicht, zu spielen, wenn ich nicht ein wenig in die Karten meines Gegenspielers sehen kann. – Ist er jung?«

»Kaum sechs- bis achtundzwanzig Jahre.«

»Hübsch oder hässlich?«

.Hübsch.«

»Glück bei den Weibern oder den Prälaten! Aus welchem Teile von Italien?«

»Nach seinem Akzent glaube ich, dass er aus dem Königreich Neapel ist.«

»Verschlagenheit und List! Elegant oder nachlässig in seiner Kleidung?«

»Kokett.«

»Halten wir uns gut, Latil! Achtundzwanzig Jahre, hübsch, kokett, gesendet durch den Kardinal Barberini, den Neffen Urbans VIII. Das muss entweder ein Einfaltspinsel sein, was ich auf den ersten Mick sehen werde, oder ein sehr gewandter Mensch, was schon schwieriger zu erkennen wäre. Lass ihn eintreten. Jedenfalls werde ich, Dank sei Dir, durch ihn nicht überrascht werden.«

Fünf Minuten darauf wurde die Tür wieder geöffnet und Latil meldete:

»Der Kapitän Mazarino Mazarini.«

Der Kardinal richtete die Augen auf den jungen Offizier. Er war ganz so, wie Latil ihn geschildert hatte.

Der junge Offizier, den wir Mazarin nennen wollen, weil er 1639, als er in Frankreich nationalisiert wurde, die beiden letzten Buchstaben seines Namens weg ließ, und weil die Geschichte ihn unter dem Namen Mazarin als einen der größten Schelme eingetragen hat, welche jemals die Geschicke eines Reiches lenkten, – der junge Offizier, sagen wir, grüßte seinerseits mit großer Ehrerbietung den Kardinal, und grüßte denselben dabei so vollständig, wie ein Mann von Geist dies mit einem einzigen durchdringenden Blick zu tun vermag.

Indem wir Sully und Richelieu einander gegenüberstellten, haben wir früher die Vergangenheit und die Gegenwart gezeigt. Der Zufall macht, dass wir, Richelieu und Mazarin einander gegenüberstellend, jetzt die Gegenwart und die Zukunft zeigen können.

Wir durften indes diesmal unserem Capitel nicht wieder die Überschrift geben: »Die beiden Adler,« sondern wir müssen für dasselbe den Titel wählen: »Der Adler und der Fuchs.«

Der Fuchs trat also mit seinem scharfen, und listigen Blicke ein.

Der Adler empfing ihn mit feinem scharfen, durchdringenden Blicke.

»Monseigneur,« sagte Mazarin mit geschickt erheuchelter großer Befangenheit, »verzeiht die Aufregung, in der ich mich so natürlich befinde, indem ich, der einfache, unbedeutende Kapitän der päpstlichen Truppen, der noch so junge Mann, mich dem ersten politischen Genie des Jahrhunderts gegenüber erblicke.«

»In der Tat,« entgegnete der Kardinal, »scheint Ihr kaum sechsundzwanzig Jahre alt zu sein.«

»Ich bin dreißig, Monseigneur.«

Der Kardinal lachte.

»Mein Herr.« sagte er, »als ich mich nach Rom begab, um die bischöfliche Weihe zu empfangen, fragte Papst Paul V. mich nach meinem Alter. Wie soeben Ihr machte ich mich älter, indem ich mich für fünfundzwanzig Jahre ausgab, während ich in der Tat nur dreiundzwanzig zählte. Er gab mir die Weihe als Bischof; nachdem ich sie empfangen, warf ich mich ihm zu Füßen und bat um Absolution für meine Lüge. Wünscht Ihr etwa auch eine Absolution zu empfangen?«

»Ich werde Euch darum bitten, Monseigneur,« entgegnete Mazarin ebenfalls lachend, »sobald ich Bischof zu werden wünsche.«

»Sollte das Eure Absicht sein?«

»Allerdings; wenn ich die Hoffnung hegen dürfte, eines Tages Kardinal zu werden, wie Monseigneur.«

»Bei den Protektionen, die Ihr besitzt, wird Euch das leicht werden.«

»Wer sagte Eurer Eminenz, dass ich Protektionen besitze?«

»Die Sendung, mit der Ihr beauftragt seid, denn man berichtete mir, Ihr wolltet mich im Auftrage des Kardinal Antonio Barberini sprechen.«

 

»Meine Protektion rührt danach jedenfalls nur von zweiter Hand her, denn ich bin nur ein Schützling von dem Neffen Seiner Heiligkeit selbst.«

»Verschafft mir die Protektion eines Neffen Seiner Heiligkeit, gleichviel eines welchen, und ich überlasse Euch die Seiner Heiligkeit selbst.«

»Ihr wisst gleichwohl, Monseigneur, was Seine Heiligkeit von ihren Neffen denken?«

»Ich glaube, der Papst sagte von ihnen eines Tages, in einem Augenblicke der Aufrichtigkeit, sein erster Neffe, Franz Barberini, den er dem heiligen Collegium zuteilte, sei nur gut dazu, Paternoster zu beten; dessen Bruder Antonio, der Euch zu mir sendet, besäße kein anderes Verdienst, als den Gestank seiner Kutte, und er hätte ihm deshalb auch den Talar des Kardinals gegeben; der jüngere der Brüder, Antonio, mit dem Beinamen »der Demosthenes« – welcher stottert— wäre zu weiter nichts fähig, als sich dreimal täglich zu berauschen. Der jüngste von Allen endlich, Thadeus. den er zum Generalissimus der päpstlichen Truppen ernannt hatte, eignete sich besser dazu, eine Spindel, als einen Degen zu tragen.«

»Ach, Monseigneur, ich werde meine Fragen nicht weiter treiben; nachdem Ihr mir gesagt habt, was der Oheim von dem Neffen denkt, mochtet Ihr sonst im Stande sein, mir zu wiederholen, was die Neffen von dem Oheim sagen.«

»Nicht wahr, dass die großen Gunstbezeigungen, die sie von Urban VIII. empfangen, nur die wohlverdiente Belohnung für die Mühe sind, die sie sich gegeben haben, um seine Wahl durchzusetzen? Dass der zukünftige Papst bei dem ersten Scrutinium nicht eine Stimme hatte; dass sie sich dann unter den römischen Pöbel mischten und ihn durch Geld aufhetzten, so dass sie unter den Fenstern der Engelsburg, in welcher die Wahl vor sich ging, laut schrien: »Mord und Brand, oder Barberini Papst!« – Bei dem nächsten Scrutinium hatte er fünf Stimmen für sich; das war schon etwas, aber er bedurfte zu seiner Wahl dreizehn. Zwei Kardinale leiteten die Cabale, welche um keinen Preis von ihm etwas wissen wollte. Binnen drei Tagen verschwanden die beiden Kardinäle; der eine starb, wie man sagte, an einem Schlagflusse; der andere erlag einer Herzerweiterung. Sie wurden durch zwei Anhänger des Kandidaten ersetzt; das machte sieben Stimmen. Zwei Kardinäle, die zu der hartnäckigsten Opposition gehörten, starben plötzlich; man sprach von einer Epidemie und Alle sehnten sich danach, das Conclave zu verlassen; Barberini erhielt daher fünfzehn Stimmen statt der dreizehn, deren er bedurfte.«

»Das hieß nicht zu theuer die Größe der Reformen bezahlen, welche Seine Heiligkeit Urban VIII. sofort nach der Thronbesteigung proclamirte.«

»Ja, in der Tat,« entgegnete Richelieu, »verbot er den Barfüßern, die Sandalen und die spitze Capuze der Kapuziner zu tragen, Ebenso untersagte er es den alten Carmelitern, sich Carmeliter von der verbesserten Regel zu nennen. Er verlangte, dass die Prämonstratenser Spaniens die frühere Kleidung und den Namen Fratres ablegen sollten, die sie aus Stolz angenommen hatten. Er sprach zwei Fanatiker der Theatiner selig, Andreas Avellino und Gaetano von Tiano; einen unbeschuhten Carmeliter, Felix Cantalice; den Florentiner Carmeliter Corsini; zwei extatische Frauen, Maria Magdalena von Pazzi und Elisabeth, Königin von Portugal, und endlich den höchstseligen heiligen Roch und dessen Hund.«

»Ich sehe,« sagte Mazarin, »dass Eure Eminenz über Seine Heiligkeit, dessen Neffen und den Hof von Rom gut unterrichtet sind.«

»Aber wie kommt es,« entgegnete Richelieu, »dass Ihr selbst, der Ihr ein Mann von Geist zu sein scheint, im Dienste solcher Nullen steht?«

»Man beginnt, wie man kann, Monseigneur,« sagte Mazarin mit feinem Lächeln.

»Das ist wahr,« meinte Richelieu; »jetzt aber, da wir genug von Jenen gesprochen haben, lasset uns auch von uns selbst sprechen. Was wollet Ihr von mir?«

»Eine Sache von Euch verlangen, die Ihr mir nicht gewähren werdet.«

»Weshalb nicht?«

»Weil sie einfältig ist.«

»Weshalb habt Ihr sie dann übernommen?«

»Um mich dem Manne gegenüber zu befinden, den ich auf der Welt am meisten verehre.«

»Und was ist das für eine Sache?«

Mozarin zuckte die Achseln.

»Ich bin beauftragt, Eurer Eminenz zu sagen, dass der Herzog von Savoyen seit der Einnahme von Pignerol sanft geworden ist wie ein Lamm, und geschmeidig wie eine Schlange. Er hat daher Seine Eminenz, den Herrn Legaten, gebeten, Euch fragen zu lassen, ob Ihr aus Rücksicht auf die Prinzeß von Piemont, die Schwester des Königs, die Großmut besitzen würdet, die Festung Pignerol zurückzugeben, was sehr zur Beschleunigung des Friedens beitragen würde.«

»Wisst Ihr wohl, mein lieber Kapitän, dass Ihr wohl daran tatet, den Anfang mit der Erklärung zu machen, die Ihr ausspracht? Denn sonst würde ich mich gefragt haben, ob Ihr ein Einfaltspinsel wäret, weil Ihr eine solche Botschaft übernahmt, oder ob Ihr mich selbst für einen solchen Einfaltspinsel hieltet. – Nein; auf keinen Fall! Die Entäußerung der Feste Pignerol war eine Schmach für die Regierung Heinrichs III.; die Wiedererwerbung derselben wird ein Ruhm für die Regierung Ludwigs XIII. sein.«

»Soll ich Eure Antwort in den Ausdrücken überbringen, die Ihr gebrauchtet?«

»Nicht genau in denselben.«

»So teilt sie mir mit, Monseigneur«

»Seine Majestät haben die Einnahme von Pignerol noch nicht erfahren. Ich kann nichts tun, bevor der König mir erklärt hat, ob er den Platz behalten will, oder ob er geneigt ist, seiner Schwester damit ein Geschenk zu machen. Man schreibt mir, dass der König von Paris abgereist ist und dass er nach Italien kommt; warten wir, bis er Lyon oder Grenoble erreicht hat; dann kann man in eine ernste Unterhandlung treten und eine bestimmte Antwort geben.«

»Ihr dürft überzeugt sein, Monseigneur, dass ich Eure Antwort Wort für Wort überbringe. Wenn Ihr es mir gestattet, werde ich ihnen die Hoffnung lassen.«

»Was werden sie damit anfangen?«

»Sie, nichts; ich aber vielleicht etwas.«

,Denkt Ihr denn in Italien zu bleiben?«

»Nein; aber ehe ich es verlasse, will ich von ihm Alles erlangen, was es mir noch gewähren kann.«

»Glaubt Ihr denn, Italien könne Euch nicht eine Zukunft bieten, die Eurem Ehrgeiz genügt?«

»Italien ist ein für mehrere Jahrhunderte verurteiltes Land, Monseigneur; jeder Italiener, der einem Landsmann begegnet, muss ihm zurufen: »Memento mori!« Das letzte Jahrhundert, Monseigneur, war ein Jahrhundert des Zusammensturzes, das wisst Ihr selbst besser, als ich es Euch sagen kann; es hat Alles zertrümmert, was von den Zeiten des Feudalismus uns noch übriggeblieben war. Die beiden großen Einheiten des Mittelalters, das Kaiserreich und die Kirche, haben sich von einander getrennt. Der Papst und der Kaiser waren die beiden Hälften Gottes; seit Rudolph von Habsburg ist das Kaiserreich eine Dynastie geworden; seit Luther, ist der Papst nur noch der Repräsentant einer Sekte.«,

Mazarin schien sich unterbrechen zu wollen.

»Fahret fort! Fahret fort!« sagte Richelieu. »Ich höre Euch aufmerksam an.«

»Ihr hört mich mit Aufmerksamkeit an, Monseigneur? Bis zu dem heutigen Tage zweifelte ich an mir selbst. Ihr hört mich an; ich zweifle nicht mehr. Es gibt noch Italiener, aber es gibt kein Italien mehr. Spanien besitzt Neapel, Mailand, Florenz und Palermo, vier Hauptstädte; Frankreich hält Savoyen und Mantua besetzt; Venedig verliert täglich mehr von seinem Einfluss; Genua lebt von einem Tage zu dem andern; ein Stirnrunzeln Philipps IV. oder Ferdinands II. macht den Nachfolger Gregors VII. erzittern. Die Autorität hat überall den Sieg über die Freiheit errungen, nur fehlt es der Autorität an Kraft; der Adel hat das Volk vernichtet, aber er ist zu der Klasse der Höflinge herabgesunken. Die monarchische Gewalt hat überall gesiegt und überall wird sie von fürchterlichen und unsichtbaren Feinden umringt, die sie zwingen, sich mit stehenden Heeren zu umgeben, mit Sbirren, mit Brawi, sich gegen das Gift zu sichern, sich mit Panzerhemden zu bekleiden und – was noch schlimmer ist – die Hand dem Concile von Trient, der Inquisition, dem Index zu reichen. Das Fieber der Kämpfer auf den öffentlichen Plätzen und aus den Schlachtfeldern ist verschwunden, mit ihm aber auch das Leben. Die Ordnung herrscht überall; die Ordnung aber ist der Tod der Völker.«

»Und wohin werdet Ihr gehen, wenn Ihr Italien verlasst?«