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Der Graf von Moret

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Und Latil, dessen Bekanntschaft der Leser schon zu Anfang dieses Romanes gemacht, zog sich, statt die eingeschlagene Richtung weiter zu verfolgen, unter die nahen Bäume zurück, welche damals zwischen dem heutigen Palais Royal und der Rue des bons enfants ein kleines Wäldchen bildeten.

Kehren wir nun zur » grauen Eminenz« zurück.

Aeußerlich vollkommen ruhig wie gewöhnlich harrte Pater Joseph geduldig in dem finsteren Orte, wo ihn Madame Fargis zurückgelassen Nach kaum zehn Minuten erschien jedoch dieselbe wieder. Sie hatte bereits sich eines Theiles ihrer Pagenkleider entledigt und eine weite Damenrobe angelegt. Statt des Hutes trug sie eine Art Coiffure. ein wahres Mittelding zwischen männlicher und weiblicher Kopfbedeckung. Uebrigens paßte ihr das einfache dreieckige Hündchen wunderlieb zu ihrem schelmischen Gesichte.

»Ihre Majestäten,« begann sie, »sind von der Ankunft Ew. Hochwürden bereits unterrichtet; ein kleines halbes Stündchen und deren Toilette wird so weit gediehen sein, daß Allerhöchst dieselben in der kleinen Morgenassemblée zu erscheinen vermögen.«

»Ihr sprecht in der Mehrzahl?« sagte der Cupuziner erstaunt.

»Beide Königinnen werden erscheinen,« entgegnete Madame Fargis kurz, »doch treten wir immerhin ein, wir finden bereits eine kleine Gesellschaft von Herren beisammen, darunter Herr von Bassompierre, der immer etwas Kurzweiliges zu plaudern weiß.«

Madame Fargis faßte nach diesen Worten den Pater Joseph ohne alle Umstände am Arme und zog ihn mit sich fort.

Im drittnächsten Gemache, welches dann beide betraten, fanden sie Herrn von Bassompierre in Gesellschaft der Jesuiten Caussin und Monod, alle drei und insbesonders der Letztere, Todfeinde des Cardinals Richelieu.

Pater Joseph zuckte leicht zusammen« als er die drei genannten Personen gewahrte. Auf die Einladung Bassompierre's, der die Honneurs machte, ließ er sich auf einen Stuhl fallen« Coussin und Monod grüßten ihn sehr freundlich, ja fast vertraulich, hielten sich aber in gewisser Entfernung, wozu ihnen Bassompierre, der sehr gerne, sehr viel und sehr gut aus seinem bewegten Leben erzählte, den gewünschten Vorwand lieh, denn er nahm den Faden seines durch der Fargis und des Pater Joseph Eintritt unterbrochenen Gespräches wieder auf.

Wie die böse Welt sagte, war Bassompierre im Jahre 1606 einer der Liebhaber der Königin Mutter, der Maria von Medicis, gewesen. Bassompierre galt damals, wo er erst siebenundzwanzig Jahre alt war, für einen der schönsten Männer Frankreichs. Er hatte am 12.April 1579 das Licht der Welt erblickt, zählte also gegenwärtig, nämlich im April 1630, einundfünfzig Jahre.

Seine Schönheit hatte in seiner Jugend solches Aufsehen gemacht, daß man alle die, welche schön und galant waren, Bassompierre nannte. Sogar eine bekannte Buhlerin der damaligen Zeit rechnete es sich zur großen Ehre an, daß man sie La Bassompierre zu nennen pflegte.

Seine Galanterie gegen Damen ohne Unterschied des Ranges und des Alters kannte in der That keine Grenzen. So ist es z. B. Verbürgt, daß, als einer seiner Bedienten die bejahrte Gräfin de la Suze über den Hof des Louvre gehen sah, ohne daß ihr Jemand das Kleid trug, er die Schleppe ergriff und nachtrug, indem er sagte:

»Es soll nicht heißen, daß ein Bedienter des Herrn von Bassompierre, der eine Dame in Verlegenheit sah, sie darin gelassen hätte.«

Außerdem war dieser Edelmann sehr freigebig. Eines Abends spielte er im Louvre mit Heinrich IV., der sehr geizig war und im Spiele gern betrog.

Plötzlich schien der König zu bemerken, daß sich halbe Pistolen statt ganzer unter den Einsätzen befänden.

»Wer hat diese halben Pistolen unter die ganzen geschmuggelt?« frug der König Herrn von Bassompierre.

»Ihr, Sire!« erwiderte letzterer ganz keck.

»Ich?«

»Ja« Ihr, Sire!«

»Nein, Du hast es gethan, Bassompierre!«

»Ich habe es gethan?«

»Ja, ich schwöre es Dir!«

»Gut,« sagte Bassompierre, ersetzte die halben Pistolen durch ganze, warf erstere durchs Fenster den Bedienten im Hofe zu und nahm wieder ruhig seinen Platz ein.

»Ei« ei!« sagte Maria von Medici, »der König spielt Bassompierre und Bassompierre spielt den König!«

Bassompierre war, ohne im Spiele zu betrügen, doch sehr glücklich darin. Dem Herrn von Guise allein gewann er im Jahre durchschnittlich 50.000 Livres ab. Frau von Guise bot ihm eine lebenslängliche Rente von 10.000 Livres an, wenn er nicht mehr gegen ihren Gatten spielen wollte.

Bassompierre schlug aber diesen Antrag mit den Worten aus: » Ich würde zu viel dabei verlieren!«

Ueberhaupt führte er eine sehr scharfe, rücksichtslose Zunge.«

Einstens erzählte er dem Könige Heinrich IV., daß er als sein Gesandter in Madrid den Einzug auf einem andalusischen Maulthiere gehalten.

»Ah!« lachte Heinrich IV., »was das für ein schönes Schauspiel gewesen sein muß, einen Esel auf einem Maulthiere reiten zu sehen.«

»Langsam« Sire!« sagte Bassompierre ruhig, »ich stellte ja Ew. Majestät vor.«

Wir vermöchten noch einige Seiten voll von derlei pikanten Anecdoten aus Bassompierres Leben zu liefern, wir müssen uns jedoch beeilen, auch die beiden Jesuiten Cuassin und Monod dem Leser vorzuführen.

Ersterer war der Beichtvater Ludwigs XIII. Und – was für den Augenblick wenigstens ebensoviel besagen wollte, auch der des Fräuleins von Hautefort. – Richelieu hatte bisher alles Mögliche beigetragen, um ihn in dieser Doppelstellung zu befestigen, da er eigentlich nur seine Creatur und vielleicht der einzige Priester aus der »Gesellschaft Jesu« war, welchen er für verläßlich, sich und seinen Maximen wahrhaft treu ergeben glaubte. Seine Anwesenheit hier an diesem Orte flößte daher dem Pater Joseph gewissermaßen Beruhigung ein, obwohl er im Stillen etwas ungehalten war, daß Caussin seine Anwesenheit ganz und gar zu ignoriren schien, und ein Zeichen der Erkennung, des Einverständnisses nicht einmal verstohlen mit ihm gewechselt hatte.

Caussin spielte aber hier heute eine ganz neue Rolle, denn heute Nacht hatte er aufgehört zu den »Cardinalisten« zu gehören und war ein Ueberläufer in das Lager der beiden Königinnen geworden, eine Veränderung, von der Pater Joseph noch zur Stunde keine Ahnung besitzt.

Wer nur in etwas die Organisation der »Gesellschaft Jesu« kennt und weiß, wie tief und maßgebend deren Organe insbesonders dazumal in Frankreich in die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten eingriffen, müßte es gleich uns als eine absichtliche Täuschung oder als eine Naivetät sondergleichen ansehen, den Pater Caussin als einen Schwachkopf hinstellen zu wollen, der über Nacht plötzlich sein Programm gewechselt und leichtsinnig die viel verheißende Freundschaft des Cardinals Richelieu über Bord geworfen habe, um dafür die vernichtenden Bannstrahlen seines Zornes einzutauschen.

Wir wollen, wir müssen vielmehr und zwar sogar zur Ehre Caussins annehmen, daß er in der heutigen, für sein eigenes Geschick sehr schwer wiegenden Nacht nur einem ausdrücklichen Befehle seines Oberen gehorcht habe und daß Monod, wenn nicht dieser Obere selbst, so doch der Ueberbringer einer diesen plötzlichen Sinneswechsels Caussins auf natürliche Weise erklärenden Ordre gewesen sei.

Diese unsere Auffassung wird, abgesehen von zahllosen Andeutungen, die wir in Memoiren und Geschichtswerken der damaligen Epoche finden, überdies durch eine kurze nähere Betrachtung des Pater Monod bestätigt. – Monot war der Vermittler der Heirat der Prinzessin Christine mit dem Herzog Emanuel von Savoyen, er war dieses Fürsten erster Minister und außerdem stets heimlicher Anhänger jener auf Frankreichs Erniedrigung abzielenden österreichisch-spanischen Cabinetspolitik, welche in Paris die beiden Königinnen zu ihren eifrigsten Verfechtern zählte. Zur Ehre Annas von Oesterreich müssen wir aber hier beifügen, daß sie dabei nur im Interesse des Katholizismus zu handeln glaubte, den sie durch Richelieus Bündniß mit deutschen und schwedischen Ketzern arg compromittirt, ja ernstlich gefährdet wähnte. – Kein Wunder also, daß Monod, der an wilder, niederschmetternder Energie des Charakters Richelieu vielleicht sogar übertraf, obwohl ihm dessen alles durchdringender Geist fehlte, in Rom mehr galt und auf der geheimen Stufenleiter seines Ordens einen weit höheren Rang erklommen haben dürfte, als der mit nur ganz gewöhnlichen Gaben ausgestattete Caussin, welcher überdies für einen blinden Zeloten in Glaubenssachen galt, obwohl seine Fähigkeiten und seine Kenntnisse dem halb unwissenden, an Leib und Seele dahinsiechenden Ludwig XIII. gegenüber immerhin mehr ausreichend gewesen sein würden.

Richelieu, ein großer Menschenkenner, hatte auch schon vor Jahren die ganze volle Bedeutung des Mannes, der Monod hieß, auf den ersten Blick erkannt und gewürdigt, als der Herzog von Savoyen ihn nach Paris sendete, um die gedachte Heirat einzuleiten.

Richelieu überschickte ihm damals einen kostbaren silbernen Altar mit allen nöthigen Geräthen. Wir können uns einen Begriff von der Pracht und dem Werthe dieses Geschenkes machen, wenn wir erfahren, daß dasselbe nicht weniger als 300.000 Thaler gekostet, also fast mehr als der König in einem Jahre für seinen Hofstaat auszugeben vermochte. – Und dieser Gabe, nach welcher lüstern zu sein selbst für den heiligen Vater keine Schande gewesen wäre, lag ein Brief des Cardinals bei, der ihn ganz unverhüllt um seine Freundschaft bat und als Preis derselben jedes Opfer zu bringen sich bereit erklärte. Einen solchen zweiten Brief hat Richelieu weder früher noch später je wieder an irgend Jemand geschrieben. Und was that Monod? Nach dem wahrhaft königlichen Geschenke griff er mit beiden Händen und den Brief – warf er ins Feuer. Thatsächlich dankte er dann bald darauf durch neue Cabalen in Wien und Madrid, wodurch er Frankreich in den Krieg stürzte, dessen Beginn bereits im IV. Bande weitläufig dargestellt wurde und dessen dauerndes Ende im April 1630 noch gar nicht abzusehen war. Monods Gegenwart in Paris erscheint also gerade jetzt am so wichtiger und hatte jedenfalls einen tieferliegenden Grund, als dem Pater Caussin für sein erlauchtes Beichtkind eine neue Absolutionsformel persönlich zu dirtiren.

 

Der unermüdliche Bassompierre wollte eben die hundertste Anecdote zum Besten geben, offenbar hatte seine heutige Geschwätzigkeit den Hauptzweck, die Nothwendigkeit eines Gespräches zwischen der »grauen Eminenz« und den Patres Caussin and Monod zu verhindern, als ein Page die Thür aufriß und nach dem Rufe: »Zur Königin« eilends wieder verschwand.

Bassompierre reichte galant der Madame Fargis seinen Arm.

Letztere lud mit einer graziösen Handbewegung den Pater Joseph ein, an ihrer rechten Seite zu bleiben.

Der Capuziner beeilte sich dies zu thun, um jeder näheren Berührung mit Caussin und Monod wenigstens vorläufig enthoben zu sein.

Die beiden Königinnen hatten sich, aus ihren Schlafgemächern kommend, kurz vor dem Eintritte der vor sie beschiedenen obgenannten fünf Personen in große Lehnstühle niedergelassen gehabt.

Hinter denselben standen Donna Estefania, welche die Gemahlin Ludwigs XIII. von Madrid mit sich gebracht, dann ihre anderen Kammerfrauen, Madame de Guitaut, Frau von Chevreuse und Frau von Guémené, letztere ihre Vorleserin.

Die muthwillige Chevreuse gähnte ganz ungenirt hinter dem Stuhle Anna's von Oesterreich und blickte halb ärgerlich, halb spöttisch auf die »graue Eminenz«, als die unfreiwillige Ursache, daß sie noch nicht in den Federn liegen konnte.

Wenn wir Anna von Oesterreich betrachten, wie sie dasaß mit wahrhaft majestätischer Würde, wenn wir den Liebreiz bewundern, der über ihr ganzes Wesen ausgegossen liegt, wäre uns die totale Unempfindlichkeit ihres Gemahls gegen diese mehr als gewöhnliche Schönheit ein unerklärliches Räthsel, wenn wir nicht bereits von gewissen unnatürlichen Neigungen zu seinen männlichen Favoriten wüßten, Neigungen, welche sich gar sonderbar im Vergleiche zu jener prüden Schamhaftigkeit ausnahmen, die er dem weiblichen Geschlechte gegenüber an den Tag zu legen pflegte.

Anna von Oesterreich stand noch in der vollsten Blüthe. Ihre Augen erglänzten in Sanftmuth und Majestät. Ihr Mund war klein und schön geröthet und, obgleich die Unterlippe etwas hervortrat, ein charakteristisches stereotypes Merkmal ihrer Familie, so war er doch ebenso anmuthig im Lächeln als demüthigend in der Verachtung. – Als unvergleichlich besangen die Dichter jener Tage ihre unendlich schönen Arme und ihre Haut war berühmt wegen ihrer Zartheit und ihrer sammtartigen Weichheit. Selbst das etwas allzustark geröthete Gesicht und die nicht tadellos zarte Nase störten den bezaubernden imponirenden Eindruck ihrer Erscheinung keineswegs, da diese beiden einzigen Fehler, wenn sie überhaupt als solche gelten konnten und nicht blos als eine rein subjektive Ansicht ihrer Feinde anzusehen sind, gerade im Vereine mit ihrem in der Kindheit einst blonden aber nunmehr kastanienbraun gewordenen Haare einen gewissen Ausdruck in diese sonst vielleicht allzukalten, starren Züge brachten.

Sehr unvortheilhaft stach gegen Anna von Oesterreich ihre Schwiegermutter. Maria von Medicis, ab. Obwohl sie erst sechsundfünfzig Jahre zählte, erschien sie doch viel älter. Die Beleibtheit, deren sie sich schon in der Jugend erfreute und wegen welcher Heinrich IV. sie seine »dicke Banquiersfrau« zu nennen pflegte, war mit den Jahren beinahe in Fettsucht ausgeartet. Dazu ihr unheimlicher, unruhiger, wahrhaft dämonischer Blick, ihre fast stets zusammengekniffenen Lippen, ihre gemein-hochmüthigen Manieren in Wort und Miene, durch welche sie das ihr mangelnde Air eines edlen, königlichen Stolzes umsonst zu ersetzen versuchte, endlich die breiten schwarzen Ränder ihrer, ungeachtet ihrer Fleischfülle tief eingefallenen Augen und wir müssen gestehen, daß uns beinahe Abscheu ergreift vor diesem Weibe, das durch seine Herrschsucht so viel Unheil über Frankreich gebracht hat, und welches, selbst wenn wir drei Viertheile alles dessen in Vorhinein streichen. was die Geschichte von ihr zu erzählen weiß, dennoch nicht die mindeste Sympathie zu erwecken, nicht den mindesten Anspruch auf Achtung geltend zu machen im Stande ist.

Die beiden Königinnen haßten sich und dennoch standen sie in letzterer Zeit in fast allen Dingen, die die Angelegenheiten Frankreichs betrafen, zusammen; das gemeinsame Band dieser sonderbaren Allianz war ihr gemeinsamer Haß gegen Richelieu, der nur die Gemahlinnen der Könige von Frankreich gelten lassen wollte, aber keine regierenden Königinnen von Frankreich, so lange eben ein König auf dem Throne saß. Und Maria von Medicis wollte nicht die Königin-Witwe« sondern Frankreichs Beherrscherin sein.

Und von der Stunde an, als der Cardinal, wie sie es jetzt glühender wünschte als je, vom Schauplatze abtrat, war sie es auch. Die Lage Annas von Oesterreich würde dann wohl gar bald eine schlimmere geworden sein, als sie es gegenwärtig war. Starb der König, so mußte sie entweder des Königs Bruder, den ihr so verhaßten Gaston von Orleans, heiraten, oder sie wurde einfach nach Spanien zurückgeschickt, welch letzteres sogar das Wahrscheinlichere war. Der dritte Fall, daß sie Regentin im Namen eines Thronfolgers wurde, gehörte, wenigstens für den Augenblick, wo ihr Gemahl beinahe mit dem Tode rang, abgesehen von vielen Anderen, zu den Unmöglichkeiten. – Wir wollten hier nur dem Leser die Situation klar machen, woraus sich von selbst ergibt, daß Anna von Oesterreich durch ihre blinde Feindschaft gegen Richelieu sich eigentlich selbst den Stachel immer tiefer ins Fleisch trieb. Freilich war auch der Cardinal bereits in das Stadium des unversöhnlichsten Hasses gegen Anna von Oesterreich getreten. Letzteres konnte also wohl füglich nicht mehr zurücktreten von der gefährlichen, schlüpfrigen Bahn, auf die sie an der Hand der pfiffigen Italienerin unbemerkt gerathen war.

Madame Fargis schlüpfte hinter den Stuhl der Königin Anna zu ihrer Freundin und Genossin, der Herzogin von Chevreuse, während die vier Männer, Bassompierre, Pater Joseph und die beiden Jesuiten Caussin und Monod, in einer Linie stehend, vor den beiden Königinnen sich dreimal verbeugten und dann, wie es die Etiquette vorschrieb, hierauf geräuschlos drei Schritte zurücktraten.

Mit huldvollem Kopfnicken, welches bei Anna von Oesterreich einen bezaubernden, bei Maria von Medicis einen höchst abstoßenden Eindruck auf die Anwesenden wie gewöhnlich hervorbrachte. blickte Ludwigs XIII. Gemahlin etwas verlegen nach ihrer Schwiegermutter zur Seite, als ob sie es ihr überließe, den Reigen zu eröffnen, wobei ihre Miene deutlich zu sagen schien: »Wer diese Sache veranstaltet hat, soll sie auch ausmachen.«

Die Königin-Mutter verstand diese Sprache ohne Worte und indem sie suchte sich in Rede und Miene so angenehm als möglich zu geben, sagte sie zu Pater Joseph:

»Seid herzlichst willkommen, ehrwürdiger Vater!«

Die »graue Eminenz« verbeugte sich stumm.

Maria von Medicis fixirte ihn scharf und fuhr dann fort:

»Abgesehen von der großen persönlichen Achtung, die wir Eurer Person zollen, verpflichtet Uns schon Euer Priestergewand. für die kleine Nothlüge. durch die Ihr veranlaßt wurdet, in das Innere des Louvre einzutreten, Eure Entschuldigung zu erbitten.«

Die »graue Eminenz« verbeugte sich wieder stumm wie zuvor.

»Wir wußten nämlich.« fuhr die Königin-Mutter fort, »daß Ihr wohl Bedenken getragen hättet, einer direkten Einladung hierher zu folgen, daß Ihr, der »rechte Arm« Richelieus, in der Abwesenheit Eures Herrn und Meisters doppelt gefürchtet haben würdet, Euch verdächtig zu machen in seinen Augen, die Alles sehen und,« setzte sie mit Bitterkeit hinzu, »sogar in die Gemächer der Königinnen von Frankreich zu dringen wagen! Doch die Stunde ist nahe, wo wir Frankreich von seinem Tyrannen befreien und ihm seinen König wiedergeben werden!«

l»Und um das zu hören, mußte ich hierherkommen, ich, der »rechte Arm« dieses Tyrannen, wie Eure Majestät soeben zu sagen beliebten!« entgegnete ganz ruhig und gelassen die »graue Eminenz«, und des Capuziners Züge schienen aus Marmor gemeißelt zu sein wie immer, als er sich nach einer abermaligen tiefen Verbeugung wieder aufgerichtet hatte.

»Eben deshalb,« entgegnete Maria von Medicis und ihre Stimme wurde schrill und schneidend, »eben deshalb, weil Wir gewiß sind, daß Ihr Uns behilflich sein werdet, den Cardinal zu stürzen.«

Pater Joseph that als ob er nicht recht gehört hätte und sagte:

»Der Carneval ist doch längst vorüber; ich würde sonst in der That wähnen. daß meine niedrige Person ausersehen wurde. Ihrer Majestät zum Amusement zu dienen, eine Ehre, die ich natürlich nicht hoch genug anzuschlagen wüßte!«

Eine noch tiefere Verbeugung als die frühere begleitete seine letzten Worte.

»Nicht doch,« entgegnete rasch Maria von Medicis; »wo es sich um das Wohl des Reiches, um die heiligsten Interessen unserer Religion handelt, wagt die Witwe eines Heinrich IV. keine frivolen Späße, zumal wenn die Königin von Frankreich anwesend ist.« Und mit pathetischer Miene deutete sie dabei auf Anna nun Oesterreich.

Diese dadurch indirekt zum Sprechen aufgefordert und bereits von heimlicher Eifersucht gequält, daß ihre Schwiegermutter die ganze Angelegenheit allein zu Ende führen könnte, erhob sich von ihrem Sitze und trat aus Pater Joseph zu. Nur einen Schritt von ihm entfernt blieb sie stehen und mit dem ganzen Zauber, den sie in Haltung, Miene und Sprache zu legen wußte, wenn sie wollte, sagte sie:

»Ich glaub-, daß wir mit dem Cardinal und Minister Joseph du Tremblay viel leichter sprechen würden. als mit dem Diener eines Richelieu.«

Derselbe Blitz, welcher unter den gesenkten Augenlidern des Mönches gezuckt hatte, als der König ihn durch die Versprechung des Cardinalshutes für seinen Dienst zu gewinnen versucht hatte, leuchtete auch diesmal in Pater Josephs Blicken auf, aber auch diesmal bezwang er sich schnell, streckte wie zur Abwehr beide Hände vor sich hin und sprach:

»Ich habe es stets meinem Herrn und Meister überlassen, den Zeitpunkt zu bestimmen, ob und wann sein »rechter Arm« würdig sein dürfte. nach dem Cardinalshute zu langen.«

»Eure Freundschaft für den Cardinal ist wirklich rührend,« nahm die Königin-Mutter mit herausforderndem Hohne wieder das Wort, »ich wünsche von ganzem Herzen, daß Richelieu sie Euch auch lohnen möge!«

»Selbst der geringste Beweis seiner Freundschaft wird mir vom höchsten Werthe sein,« erwiderte festen Tones der Capuziner, und er verbeugte sich noch tiefer als seither.

»Ich bin überwunden!« sprach nun Maria von Mediris und lehnte, sich wie erschöpft in ihren Stuhl zurück, warf aber dabei einen schadenfrohen Blick dem Jesuiten Monod zu, welcher auf dieses Zeichen hin sich dem Pater Joseph näherte und sagte :

»Eure Seelengröße, mein Bruder, zwingt mir Bewunderung ab. denn ich bin nun fest überzeugt, selbst die Gewißheit, von Richelieu verlacht, verachtet, verspottet zu sein, würde Eure Anhänglichkeit an diesen Mann nicht zu erschüttern vermögen.«

Pater Joseph sah den Sprecher mit wahrhaft imponirendem Blicke an und eine sehr herbe Antwort saß ihm auf der Zunge, aber die Achtung, die er den anwesenden Königinnen schuldig war, nicht vergessend , begnügte er sich strengen Tones zu erwidern:

»Ihr habt etwas rein Absurdes ausgesprochen und darüber pflege ich keine Worte zu verlieren.«

Monod ließ sich jedoch nicht irre machen. Sondern fuhr fort :

»Ihr kennt doch des Cardinals Handschrift?«

Der Capuziner würdigte den Frager keiner Antwort, griff jedoch unwillkürlich nach dem Blatte Papier, das ihm – Monod entgegenhielt, und entfaltete es.

Pater Joseph hatte. vielleicht zum ersten Male in seinem Leben, sichtliche Mühe, seine äußerliche, stets unverwüstliche Ruhe zu behaupten. Er überlas zweimal, dreimal das Papier, das ihm der Jesuit gegeben. Er prüfte sorgsam jeden Zug von Richelieus so leicht kenntlicher, charakteristischer Handschrift. Der »rechte Arm« Seiner Eminenz hätte jetzt mit tausend Freuden seine fleischlichen Rechte darum gegeben, wäre die Schrift falsch gewesen. Doch nein! Die Schrift war echt, leider, nur der, der es geschrieben, war falsch, war zum Verräth er an seinem Freunde geworden.

Und was hatte Pater Joseph gelesen. daß sein fahles Antlitz noch todtenblässer wurde als gewöhnlich. daß seine Hand zitterte, als er Monod das Papier zurückgab, daß sein sonst so starrer Blick alle Flammen der Hölle zu speien schien und daß sein kühn und stolz über die ganze Welt hinwegsehendes Haupt mit düsterer Verzweiflung auf seine Brust sich niedersenkte und daß dieser Brust, kalt und ehern, dreifach gepanzert gegen alle Leiden und Freuden des menschlichen Daseins, ein Seufzer entstieg, so tief und schwer, als hätte er mit ihm ausgehaucht seine ganze Seele.

 

Lesen wir also den Inhalt des Quartblattes. das Pater Monod in Händen hält; es lautet:

»Grabschrift für meinen rechten Arm« – ich habe ihm bereits bei den Capuzinern in der Rue St.-Honoré neben dem guten Pater Ange von Joyeuse ein Plätzchen reserviren lassen, vielleicht werden sich die beiden Tröpfe noch nach dem Tode kaufen, wie sie es so oft im Leben gethan, zu meiner und Anderer Erlustigung, denn es bleibt immer ein köstliches Schauspiel, zwei Narren schon bei Lebzeiten um die Heiligsprechung wetteifern zu sehen, und damit sich mein guter Joseph noch im Grabe weidlich ärgert. will ich seinen Rivalen gleich zum » Engel« ernennen.«

Darunter stand weiters:

 
Cy git au coeur de cette Eglise,
Sa petite Eminence grinse.
Passant! n'est-ce pas chose étrange,
Qu'un Démon soit auprès d'un Ange?
 
 
(Hier in dieser Kirche Mitte
Liegt die kleine graue Eminenz.
Wunderer! ists nicht ein sonderbares Ding.
Daß ein Dämon ruht an eines Engels Seite.)
 

Richelieu hatte es mit diesem Scherze, den er in einem Anfalle seiner bizarren Dichterlaune auf ein Blatt Papier geworfen, gewiß nicht so böse gemeint, als es den Anschein gewann,und nichts lag seinen Wünschen ferner als der baldige Tod des Pater Joseph. der doch so treu und erfolgreich seinen Interessen diente. «

Aber der ehrgeizige Capuziner, der sich für den Cardinal durchaus unentbehrlich hielt, er, der bisher nichts von ihm als Lohn für seine Dienste beansprucht hatte. als seine Achtung und das zeitweise Geständniß, wie hoch er seine Dienste anschlage, sah sich von seinem bisherigen Idole von dem einzigen Manne, dem er das Recht zuerkannte, über ihn zu gebieten, verlacht, verhöhnt, dem Spotte der Nachwelt preisgegeben.

Das war zu viel für einen Charakter wie die »graue Erninenz«. die sich in so vielen Dingen ihrem Herrn und Meister ebenbürtig fühlte und es in der That auch gewesen ist.

Darf es also Wunder nehmen, daß sein ohnehin vergälltes Gemüth von diesem Augenblicke an alle Thüren und Thore dem ingrimmigsten Hasse gegen Richelieu öffnete und ihm Feindschaft und Rache schwur bis zum Grabe?

Wie kamen aber die Feinde des Cardinals zu diesem ominösen Quartblatte, aus welches sie wider ihn eine gefährliche Intrigue so geschickt zu basiren verstanden?

Die Erklärung ist folgende:

Zu jener Zeit und auch noch einige Jahre darnach stand als Untersecretär ein gewisser Cheret in Richelieu's Dienste. Dieser, der alles Wichtige in der Nacht arbeitete und wenig selbst schrieb, sondern fast immer dictirte, verwendete hierzu am allerliebsten Cheret, weil derselbe außerordentlich schnell und dabei doch leserlich schrieb.

Cheret war außerordentlich geldgierig und scharrte alle seine Einkünfte zusammen, so daß er bei der bekannten Generosität des Cardinals gegen jene, die er einmal in sein Vertrauen gezogen, binnen wenigen Jahren ein kleines Vermögen beisammen hatte.

Es ist wohl nichts natürlicher, als daß die Hofpartei sich ganz im Stillen um die Umgebung des Cardinals und deren Privatpassionen ebenso kümmerte, als Richelieu stets jene der Vertrauten der Königinnen für sich auszunützen suchte.

Ein Geschenk von fünfhundert Pistolen und das Versprechen, jeden weiteren Dienst besonders zu honoriren, machten Cheret zum Verräther an seinem Herrn, der ihn mit Vertrauen und Geld überschüttete.

Manchmal hatte Cheret noch einige Minuten mit dem Ordnen von Papieren im Arbeitscabinete des Cardinals zu thun, nachdem dieser bereits in sein Schlafgemach nebenan gegangen war. Cheret benützte immer diese kurzen Augenblicke, um auf dem Tische Papiere, die er nicht kannte, flüchtig durchzusehen und auch in dem Papierkorbe, der zur rechten Seite von Richelieus Stuhl stand, herumzuwühlen.

Bei dieser Gelegenheit stieß er vor einigen Monaten auf ein ziemlich stark zerknülltes Quartblatt, das er bereits wieder zurückfallen lassen wollte, aber er gewahrte den Namen des Pater Joseph darauf und rasch glitt das Papier in seine Tasche.

In einem Anfluge von Reue, hatte nämlich der Cardinal sich selbst der Undankbarkeit und des Mangels an Zartsinn, welche in dem urplötzlichen und unüberlegten Ergusse seiner satyrischen Laune lagen, geschämt und das Quartblatt in den Papierkorb geworfen.

Rief der Cardinal um einige Stunden später nach Cheret, so war der ganze Inhalt des Papierkorbes bereits in den Kamin gewandert und die Hofpartei wäre nicht in der Lage gewesen, ihm seinen treuesten, unbestechlichen Freund, seinen »rechten Arm«, abwendig zu machen. Ein neuer glänzender Beleg für das in der Weltgeschichte eine so wichtige Rolle spielende Capitel von den kleinen Ursachen und den großen Wirkungen.

Cheret hielt seinen Fund für höchst unbedeutend und war schon öfters nahe daran gewesen, ihn eigenhändig zu vernichten. Die lange Abwesenheit des Cardinals, während welcher er in Paris verblieb, beeinträchtigte seine zeitweiligen Einkünfte, die er durch eine dritte Hand aus dem Louvre bezog, gar sehr, und mehr von der Absicht geleitet, seine geheimen Beziehungen zu Maria von Medicis nicht gänzlich einschlummern zu lassen, als in der Voraussetzung, ihr einen wichtigen Dienst zu leisten, lieferte er in Ermanglung von etwas Anderen vor einigen Tagen das in Rede stehende Quartblatt aus. – Cheret war höchst erstaunt, als ihm Monod Tags darauf dafür eine Remuneration von nicht weniger als zweihundert Pistolen einhändigte.

Wir aber haben bereits gesehen, daß dieses kleine Stück Papier um diesen Preis nicht zu theuer bezahlt war.

Endlich erholte Pater Joseph von seiner Betäubung und wenige Minuten später stand er wieder da aufrecht in seiner stolzen« ruhigen Haltung.

»Wollt Ihr mir dieses Stück Papier als mein Eigenthum überlassen?« frug er ruhig den Jesuiten Monod und streckte die Hund nach ihm uns.

Monod blickte fragend nach der Königin-Mutter, welche ohne alles Besinnen sagte:

»Ohne Anstand, mein ehrwürdiger Vater, denn ich bin überzeugt, daß Pater Joseph gegen seine neuen Freunde keine Indiscretion begehen wird.«

Maria von Medicis erhob sich nach diesen Worten von ihrem Stuhle und trat auf den Capuziner zu, ihm die Hand zum Kusse reichend. .

Beinahe hastig langte dieser darnach, und indem er ein Knie beugte, rief er mit hohler Stimme:

»So wahr Gott lebt! der Cardinal soll nicht gelogen haben in seiner Grabschrift, er soll seinen Dämon kennen lernen!«

»Pater Monod wird des Weiteren mit Euch verhandeln und Euch Unsere Absichten zu wissen machen,« sprach die Königin-Mutter, welche ihre Freude über den gelungenen Coup zu verbergen kaum im Stunde war.

Auch Anna von Oesterreich erhob sich jetzt von ihrem Sitze und. näherte sich dem Capuziner. Auch sie reichte ihm die Hand zum Kasse und anmuthig lächelnd sagte sie:

»Ich preise glücklich diesen Morgen, der zum Heile Frankreichs angebrochen ist; seid im Voraus der Dankbarkeit und der Hochachtung Eurer Königin versichert.«

Die beiden Königinnen verließen hierauf mit ihrem ganzen weiblichen Gefolge das Gemach, nachdem sie den anwesenden vier Männern huldvoll zugenickt hatten, wobei ihre Blicke insbesondere auf der »grauen Eminenz« merklich länger als auf den übrigen Dreien haften blieben.

Herr von Bassompierre trat nach Entfernung der Königinnen in seiner chevaleresken Manier auf Pater Joseph zu, legte vertraulich seinen Arm in den des Capuziners und sagte :

»Ich werde die Ehre haben, Ew. Hochwürden bis zum Thore zu begleiten, es könnte die Ordre wegen Eures Austrittes aus dem Louvre noch nicht widerrufen sein. Den Ort unserer weiteren Zusammenkünfte werden wir später bestimmen.«

Bassompierre wandte sich zum Gehen.

Die Jesuiten Caussin und Monod verbeugten sich sehr achtungsvoll, ja fast so devot vor Pater Joseph, als wäre er wirklich bereits von der grauen zur rothen Erninenz avancirt.