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Der Graf von Moret

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Er nahm eine Landkarte zur Hand und verglich die verschiedenen Routen und die Marschtage, die er sowohl dem Grafen von Moret, als auch dem Herrn von Abrantes vorgezeichnet gehabt hatte.

»Es ist Alles richtig disponirt,« sagte er zufrieden; »Isabella kommt fünf Tage früher nach Paris als Moret, für das Uebrige hat dann meine Nichte zu sorgen.«

VI.
Die Krankheit des Königs

Mit der braunen Kutte eines Capuziners angethan, die Capuze weit über die Stirne herabgezogen, ritt der Cardinal Richelieu in der Nacht vom 18. auf den 19. April in ernstes Schweigen versunken, an der rechten Seite Latils zwischen Melun und Paris auf einem Maulthiere dahin.

Hinter diesen Beiden trippelte der Pouny, der des Gascogners Schützling, den Savoyardenknaben Georges Gravé trug. Dieser arme Junge war nach seinen Begriffen plötzlich ein reicher, großer Herr geworden. Bald betastete er seine Taschen, welche die zwei Goldstücke bargen, bald seinen neuen Anzug und darnach auch stets den Hals seines Pferdchens, um sich zu überzeugen, daß er wirklich das Glück genoß, auf einem lebenden Thiere zu reiten, wie er sich denn überhaupt nur in einem angenehmen Traum befangen hielt.

Als die vierte Morgenstunde schlug und ganz Paris noch im tiefsten Schlafe lag, ritt der Cardinal vom kleinen Georges begleitet, in sein Palais auf dem Place Royal ein. Latil, der vorausgesprengt war, erwartete ihn bereits seit einer Viertelstunde unter dem Thor.

Obgleich Richelieu sehr ermüdet war, dachte er dennoch an nichts weniger, als sich zur Ruhe zu begeben.

Er ließ Charpentier rufen, der, so wie die ganze übrige Dienerschaft höchst erstaunt und überrascht war, den Cardinal, den man in Foutenay nicht minder schwer erkrankt wähnte, als den König im Louvre, in Paris plötzlich so gesund und wohlan eintreffen zu sehen, als auf Richelieu überhaupt je diese Merkmale passen konnten.

Latil hatte den Insassen des Palais bereits den Befehl überbracht, daß bei Todesstrafe bis auf Weiteres von der Anwesenheit des Cardinals in Paris nichts verlauten und Niemand das Palais ohne dessen ausdrückliche Erlaubniß verlassen dürfe.

Charpentier, auf den sich Richelieu in der That unter allen Umständen verlassen kannte, wußte seinem Gebieter viel Neues und Wichtiges mitzutheilen. So bedenklich auch die Situation war, athmete der Cardinal doch etwas erleichtert auf, als er endlich alle Gefahren zu kennen glaubte, die ihn in der nächsten Stunde bedrohten.

»Wann war Pater Joseph zum letzten Male hier?« frug Richelieu.

»Gestern Mittags; er erzählte mir von seinem Mißerfolge bei der Marquise von Rambouillet und von der schweren Erkrankung Euer Eminenz in Fontenay, die er durch Latil erfahren, und dann —«-

»Dann?«

»Daun,« sagte er, »daß er sich sehr unwohl fühle. Und vor einigen Tagen sein Kloster nicht werde verlassen können.«

»Ich kenne diese Krankheit,« murmelte Richelieu düster vor sich. »und wo ist Frau von Combalet, wann traf Fräulein Isabella von Lautrec ein?«

»Befinden sich beide hier. Herr von Abrantes wurde in die Bastille gesetzt in derselben Stunde, als er vorgestern hier mit dem Fräulein eintraf.«

»In einer Woche erinnert mich, Charpentier, daß wir den Menschen wieder herauslassen oder noch besser, ich werde ihn nach Brouage senden, um dem Herrn Grafen von Urbano einige Zeit Gesellschaft zu leisten, und das könnt Ihr gleich verfügen.«

»Soll er dort in Haft behalten werden?«

»Warum nicht gar! Legt mir seine Ernennung zur zweiten Commandanten von Brouage zur Unterschrift vor. Die Stelle ist eben vacant.«

»Die Oberste du Polliére und de Grillet sind gestern Abends hier gewesen; sie stellen ihre Regimenter Euer Eminenz zur Verfügung.«

»Sehr gut«, nickte Richelieu, »wir werden sie vielleicht brauchen können. Wie viel Mann haben wir also nun im Ganzen hier in Paris zur Verfügung?«

»Im! Ganzen 4640 Mann, die Partei der Königinnen gebietet über 7000 Mann und Bassompierre führt den Oberbefehl.«

»Pah!« erwiderte der Cardinal geringschätzig, »den kleinen Unterschied der Zahlen wird wohl weine Person allein aufwiegen und dann rücken ja noch heute Nacht meine Garden nebst ein Paar Compagnien mir treu ergebener Musketiere ein; das gibt eine weitere Verstärkung von 500 Köpfen.«

»Der Herzog von Montmorency ist gestern früh in; Paris angelangt, er will unter Marillac nicht dienen.« meldete Charpentier weiter.

»Schade um diesen Montmorency,« sprach Richelieu vor sich, »ein echtes, edles Cavaliergemüth, aber excentrisch, und ich fürchte sehr, daß sich dieser Hitzkopf in böse Dinge einlassen wird – ich könnte ihm in der That sehr gut sein.«

»Lasset Frau von Combalet wecken,« setzte er nach einer Pause hinzu.

»Ist bereits geschehen. Eminenz!«

»Dann möge die Frau Herzogin baldigst erscheinen.«

Charpentier verschwand.

Der Frau von Combalet gebührte dieser pompöse Titel als Besitzerin des herzoglichen Schlosses und Gebietes von Aiguillon, welches im heutigen Departement Lot-Garonne, nordwestlich von Agen, am Einflusse der Lot in die Garonne gelegen ist. Dort verstarb sie auch im Jahre 1675 in hohem Alter.

Wenige Minuten darauf erschien Richelieus Nichte. – Weinend und schluchzend hing sie an seiner Brust. Die kritische Lage ihres Oheims war ihr wohlbekannt. Sie wußte, welche Wegen, welcher Kummer die ehrgeizige Brust dieses Mannes folterten und sie fühlte sie mit, denn sie lebte nur in seinem Geiste, in seinen Wünschen , und obgleich ihrem Herzen nichts ferner lag. als die Sucht nach dem Ruhme und den Ehren der Welt, obgleich sie sich mit Freuden stündlich in seiner Gesellschaft in die größte Einsamkeit zurückgezogen haben würde, empfand sie doch auch einen leicht verzeihlichen Stolz über die welterschütternde Größe des ihr so nahestehenden Mannes.

Als Frau von Combalet sich wieder etwas gefaßt und ihre Thränen getrocknet hatte, begann Richelieu von Fräulein von Lautrec zu sprechen. indem er frug:

»Hast Du ihr meinen Wunsch mitgetheilt, daß ihre Anwesenheit in Paris das größte Geheimniß bleibe?«

»Isabella ist ein Engel!« rief Frau von Combalet entzückt, »ja, sie ist bereit, in Allem Dir zu gehorchen, so sehr vertraut sie deinem Versprechen. daß sie hier in Paris sehr bald den Grafen von Moret wieder sehen werde.«

»Sie soll ihn auch wieder sehen,« erwiderte rasch der Cardinal und ein etwas unheimlicher Blitz zuckte in seinen Augen bei diesen Worten auf.

Frau von Combalet, der dieses böse, Unheil verkündende Wetterleuchten nicht entgangen war. sagte ganz erschrocken:

»Wie, mein guter Oheim, Ihr hättet Schlimmes mit ihr vor?«

»Ich will nur ihr Bestes,« entgegnete Richelieu so kurz und bestimmt, daß Frau von Combalet nicht den Muth fühlte, eine weitere Frage zu stellen.

»Hm Boinzeval schon lange nichts von sich hören lassen?« frug der Cardinal, nachdem er einige Male hastig auf und ab geschritten war.

»Seit vollen drei Wochen scheint er uns vergessen zu haben,« erwiderte Frau von Combalet.

»Der Undankbare!« rief Richelieu zornig, »aber ich werde ihn gefügig machen.«

Boinzeval war einer der ersten Kammerdiener des Königs. Zu diesem Posten, damals einer der wichtigsten Hofchargen, hatte ihm der Cardinal verholfen. – Und Boinzeval erschien für den Augenblick als eine um so beachtenswerthere Persönlichkeit, als er zwischen Fräulein von Hautefort und dem Könige deren sehr schwunghaft betriebene Correspondenz vermittelte.

Dieser Briefwechsel, von welchem sich aus jener Periode leider nur einzelne Bruchstücke erhalten haben, mußte aber von der höchsten Wichtigkeit für Alle sein, die sich für den jeweiligen Gemüthszustand des so wankelmüthigen Ludwig XIII. Interessirten, und zwar um so mehr, als der sonst so verschlossene mißtrauische König dabei in seinen Ausdrücken eine ganz ungewohnte Offenheit an den Tag legte. Seine schriftlichen Auslassungen konnten also für ein sicheres Barometer bezüglich der Stürme gelten, welche fortwährend bald der Partei der Königinnen, bald jener des Cardinals so zu sagen stündlich drohten.

Der Cardinal blickte nach der Uhr.

»Schon sieben? dann ist es höchste Zeit, daß ich mich in den Louvre verfüge. – Latil!«

Der Gerufene trat fast augenblicklich ein.

»Lasse eine Kutsche verfahren, aber die einfachste, die ich besitze.«

Nach diesem Befehl warf Richelieu einen einfachen leichten Mantel über das Cavaliercostüm, das er bei seinem Nachtritte unter der Capuzinerkutte getragen.

Nach einem flüchtigen Abschiede von Frau von Combalet verließ er sorgenvoll und bangen Gemüths sein Gemach.

Wäre plötzlich der rothe Hahn an allen Ecken und Enden des Louvre aufgetaucht, so hätte dort keine größere Verwirrung, ja Entsetzen entstehen können , als es das unvermuthete Erscheinen Richelieus mit sich brachte.

Die beiden Königinnen, welche noch fest schliefen, wurden mit Beiseitesetzung all der strengen Etiquette, welche sonst bei Hof zu herrschen pflegte, ohne Umstände geweckt und selbst in dem Vorzimmer des kranken Königs gaben sich unwillkürliche Ausrufe des Erstaunens und des Schreckens kund.

Der Cardinal der vorausgesehen, daß sein Erscheinen den Eindruck eines drohenden Gespenstes machen würde, benützte die erste Wirkung der allgemein herrschenden Ueberraschung und stürmte geraden Wegs auf die Appartements los, wo er des Königs Krankenlager wußte.

Er hätte in diesem Augenblicke kein Bedenken getragen, sogar unangemeldet einzutreten.

Aber ein Zufall begünstigte ihn hierbei, denn in dem Augenblicke, wo er die letzte Thür öffnen wollte, die ihn von dem Könige schied, traten aus derselben der Leibarzt Bouvard und Pater Coussin.

Letzterer prallte drei Schritte zurück und schlug ein Kreuz. Bouvard aber, der, obwohl bis jetzt kein entschiedener Cardinalist, mit Richelieu dennoch auf ziemlich gutem Fuße stand, fühlte sich, selbst unbewußt wie und warum, also ganz instinctartig veranlaßt, entschieden des Cardinals Partei zu ergreifen, indem er rief :

 

»Sire hat soeben von Euer Eminenz mit Ungeduld gesprochen und ich verspreche mir die beste Wirkung, daß der Wunsch Seiner Majestät. Euch zu sehen, so rasch in Erfüllung geht.«

Der Jesuit warf dem vorlauten Arzte einen wüthenden Blick zu, woran sich dieser aber durchaus nicht zu kehren schien, sondern vielmehr fortfuhr:

»Ich werde Seine Majestät von Euer Eminenz Anwesenheit in Kenntniß setzen.«

Sprachs und trat in das Gemach zurück. Als Arzt war jetzt er hier der Erste und sein Kommen und Gehen nicht an jene Regeln der Etiquette gebunden, welche strenge auch für ihn galten, wenn der König gesund war.

Bouvard fühlte heimlich ein großes Vergnügen darüber, daß nun er den lieben Pater Caussin weidlich zu ärgern vermochte, als Revanche für den Ingrimm, den ihm der fanatische Beichtvater durch einen stundenlangen Sermon an des Königs Bette bereitet hatte, eine Bußpredigt, die insbesonders gegen Richelieus gottlose Allianz mit dem Ketzerkönige Gustav Adolph von Schweden gerichtet war und den Kranken, der noch nicht die Krisis überstanden, in eine ungemeine Aufregung brachte.

Der Cardinal trat an das Lager des Königs, der, obwohl erst vor sechs Tagen erkrankt, kaum mehr einem Lebenden glich.

Ludwig XIII. nickte dem Cardinal schwach mit dem Kopfe zu und sagte mit leiser. ersterbender Stimme:

»Gut, daß Ihr kommt, ich habe eben viel wegen Euch ausstehen müssen!«

»Majestät! « rief Richelieu und sank auf ein Knie nieder, »ich bin trostlos Euch in diesem zustande zu sehen, aber wahrhaft unglücklich macht es mich, daß ich meinem guten Könige zu mißfallen scheine!«

»Nicht so!« flüsterte der Kranke, »ich weiß« Ihr liebt Frankreich und seinen Ruhm; Ihr habt viel für mich geleistet und schöne Lorbeeren auf mein Haupt gesetzt. Jetzt, wo der Tod an dem Fuße meines Bettes steht, will ich aufrichtig sein gegen Euch – ich habe Euch nie geliebt, manchmal sogar gehaßt, bitter gehaßt, denn ich war nichts, ich bin nichts, ich kann nichts sein an Eurer Seite. Die Welt spricht nur von Euch und auch die Geschichte wird einst desgleichen thun. – Aber meine Achtung habt Ihr stets besessen – — —« der König schwieg vor Erschöpfung.

Richelieu war wirklich tief erschüttert.

»Habt Dank. Sire!« rief er und küßte des Königs kalte, abgemagerte Hand, » habt Dank, Sire! Eure letzten Worte, Majestät, werden mich auf dem Schaffote trösten, das meine Feinde bereits aufgerichtet haben.«

»Ich werde Euch auch noch nach meinem Tode zu schützen wissen,« sagte der König, der wieder etwas erholt hatte, und nach Bouvard blickend, der ganz in der Nähe stand, fuhr er leisen Tones fort: »Hole Montmorency, er wird in der Nähe sein.«

Dann ließ der König sein Haupt aus das Kissen zurücksinken und schloß die Augen. Er schien bereits eine Leiche zu sein. Seine tiefeingefallenen Wangen färbten sich aschgrau.

Richelieu, der jetzt mit dem Könige einen Augenblick allein war, labte den Ohnmächtigen mit zitternden Händen, denn hatte er wirklich eine Leiche vor sich, so verließ er selbst nicht mehr den Louvre anders, als um in die Bastille zu wandern.

Bouvard. der bald zurückgekehrt war. löste den Cardinal in seinem Wärterdienste ab.

»Steht es denn wirklich so schlimm um den König?« frug letzterer leise mit fieberhafter Ungeduld.

»Heute Abends steht die Entscheidung zu erwarten.«

»Ich werde Chicot senden, sobald er von Fontenay ankommt.«

»Thut das Eminenz; Chicot ist mein Freund und auch der König mag ihn leiden.«

»Bouvard!« flüsterte der Cardinal dem Arzte in das Ohr, » Ihr habt mir heute einen großen Dienst erwiesen. Zählt auf meine Dankbarkeit.«

»St!« entgegnete der Arzt, »Seine Majestät kommt eben wieder zu sich.«

Inzwischen war auch der Herzog von Montmorency eingetreten. Ja seinen Zügen malte sich einiges Erstaunen über die ungewöhnliche Stunde, in der er, und über den Ort, wohin er beschieden wurde.

Der König winkte ihm, ganz nahe zu ihm heranzutreten.

»Schwört mir bei Eurer Ehre, bei Euren Ahnen, daß Ihr den Cardinal Richelieu unter sicherem Geleite nach Brouage bringen werdet, falls es dem Allmächtigen gefiele, mich abzuberufen!«

»Ich schwöre es!« erwiderte der Herzog von Montmorency ohne Besinnen, und er hob drei Finger seiner Rechten empor.

»Eure Kopf ist gesichert, Cardinal,« lispelte Ludwig XIII., »mehr kann Euer armer König nicht für Euch thun.«

Richelieu athmete tief erleichtert auf.

Der Herzog von Montmorency hatte sich für seine Sicherheit mit seinem Worte verbürgt und Montmorency war ein Charakter.

In Brouage hatte der Cardinal vor dem ersten Wuthausbruche seiner Feinde nichts zu fürchten, denn dort war er, wie wir schon wissen, souveräner Herr, und ging es späterhin schief, konnte er sich zur See flüchten. wohin es ihm beliebte.

Zwei Jahre später hätte, wir sagen hätte, Richelieu Gelegenheit gehabt, sich der hochherzigen Bürgschaft zu erinnern, die der Herzog von Montmorency für den Cardinal in dessen, vielleicht kritischestem Momente seines ganzen, so viel bewegten Lebens geleistet.

Doch wir wollen hier nicht dem Gange der Ereignisse vorgreifen und schon jetzt jene grauenhafte Episode behandeln, welche auf den Menschen Richelieu unleugbar den Schatten grassester Undankbarkeit wirft, wenngleich für den Staatsmann Richelieu einige Entschuldigungsgründe geltend gemacht werden können.

VII.
Liebeshändel

Wie Bouvard vorausgesagt, trat die Krisis in der Krankheit des Königs in der Nacht vom 18. auf den 19. April ein. Chicot, wie wir wissen, Richelieus Leibarzt, den er des Scheines wegen in Fontenay zurückgelassen, als er selbst sich in dem Gehöfte bei Melan versteckt hielt, war bereits Mittags in Paris eingetroffen und befand sich gleichfalls an des Königs Lager.

Die Rekonvaleszenz Ludwigs XlII. ging nur sehr langsam von Statten. Bouvard oder Chicot waren abwechselnd stets an seiner Seite bei Tag und bei Nacht.

Niemand erhielt Zutritt, selbst die Königinnen nicht. Bouvard hatte nämlich dem Könige für die von ihm verfaßte Order, daß ohne Vorwissen der Aerzte Bouvard oder Chicot Niemand vorgelassen werden dürfe, die Unterschrift abgelockt. Selbst der Beichtvater Caussin mußte es sich gefallen lassen, daß, wenn er jeden vierten oder fünften Tag nach langem Parlamentiren endlich Einlaß erhielt. Bouvard oder Chicot im Zimmer blieben, und stets gleich mit einer energischen Einsprache zur Hand waren, wenn der fanatische Jesuit allzusehr in Eifer gerieth. – In dieser Beziehung mäßigte sich endlich der fromme Mann ein für allemal, seit Chicot ihn bei solcher Gelegenheit sogar am Arme ergriffen und zur Thür hinausgeschoben hatte, ohne daß der König dagegen auch nur mit einer Miene Einsprache erhob.

In Fontainebleau, wohin man den König gegen Ende Mai transportirte, wurde die in Paris begonnenes Isolirung des Königs strenge fortgesetzt.

Ludwig XIIL schien gar nicht angehalten darüber, daß er schon seit vielen Wochen seine Gemahlin. seine Mutter und insbesonders den ihm so verhaßten Gaston von Orleans nicht mehr zu Gesicht bekam.

Nur nach Fräulein von Hautefort sehnte sich sein leeres, gelangweiltes Herz, und Boinzeval, sein erster Kammerdiener, dessen wir schon flüchtig erwähnten, ritt fleißig hin und her zwischen Fontainebleau und Versailles, in welchem letzteren Orte sich die Königinnen aufhielten, folglich auch Fräulein von Hautefort steh befand.

Richelieu hatte sich seit jenem Morgen, wo der hohe Kranke jeden Augenblick zwischen Leben und Tod geschwebt, nur zweimal wieder bei dem König sehen gelassen. Wußte er ihn doch in guten Händen.

Der Cardinal, welcher inzwischen das Staatsruder wie zuvor allein in seinen Händen hielt, legte aber in diesem Interregnum, wo Frankreich faktisch keinen König hatte, eine bei ihm ganz ungewöhnliche Milde und Mäßigung an den Tag. Er war zu klug, um sich etwa zu täuschen, daß der Krater, auf welchem er stand, bereits erloschen wäre, daß für alle Zukunft alle Gefahren für ihn vorüber seien. Er ahnte vielmehr eine zweite, weit fürchterlichere und gefährlichere Eruption als die erste, und, wie wir später erfahren werden, hatte sein Scharfblick ganz richtig gesehen. Offenbar sammelten seine Feinde nur ihre Streitkräfte; er hielt daher ganz im Stillen auch die seinigen schlagfertig, suchte die Anzahl seiner Anhänger zu vermehren und vermied es jetzt ängstlich. ohne allerdringenste Noth sich neue Feinde zu schaffen.

Selbst gegen Jene, welche er als Verräther kannte, wie den Pater Joseph und den Jesuiten Caussin, fuhr er fort den Freund zu spielen, und er spielte so gut, daß diese beiden Schlauköpfe nicht die mindeste Ahnung hatten, der Cardinal wisse um ihren Gesinnungswechsel und ihre intimen Beziehungen zur Partei der Königinnen.

»Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben,« so dachte Richelieu und er wußte seiner Zeit auch die Ehre dieses Sprichwortes von Neuem glänzend zu bewähren.

Die einzige Person, hinsichtlich derer der Cardinal in dieser Zeit der Waffenruhe der um die Herrschaft Frankreichs ringenden Parteien aus seiner rein objektiven Haltung heraustreten mußte, war Boinzeval, dessen bereits wiederholt Erwähnung geschah.

Richelieu sah es immer klarer ein. daß er von dem Inhalte der zwischen dem Könige und Fräulein von Hautefort so häufig gewechselten Briefe eine stete und volle Kenntniß besitzen müsse. um die jeweiligen Anschauungen und Meinungen des Königs zu wissen, sollte er nicht die Möglichkeit verlieren, den beiden Königinnen , welche zweifelsohne von dieser ganzen Correspondenz Einsicht nahmen, Widerpart zu halten.

Sehen wir zu, was der Cardinal thut, um zu diesem Zwecke zu gelangen.

Es war gegen den Abend des 28. Mai 1630, als Richelieu in seinem uns wohlbekannten Arbeitszimmer auf und ab schritt. Er hielt einen Brief in der Hand, den ihm Maria Délorme soeben übergeben hatte.

»Es ist gut,« winkte der Cardinal, »Charpentier wird Dir hundert Pistolen ausbezahlen.«

»Soll ich die kleine Amourschaft weiter fortspinnen?« frug die geheime Agentin, welche heute weibliche Kleidung trug und in der That äußerst verführerisch aussah.

»Mache den Narren so verliebt als möglich.«

Maria Délorme verschwand durch die geheime Thür, die, wie wir wissen, in ihre Wohnung im Nachbarhause führte.

Der Cardinal klingelte dann nach Rossignol. Seinem Dechiffreur.

Der Gerufene erschien innerhalb einer Minute. Die Hausmaschine im Palais des Cardinals war vortrefflich wie das beste Uhrwerk. Eine so flinke und verläßliche Bedienung. Wie sie Richelieu hier sich vom letzten Stallknechte aufwärts zu organisiren verstanden hatte, besaß kein damaliger Monarch in ganz Europa.

»Da ist ein Brief!« sagte der Cardinal kurz und zeigte ihn Rossignol.

»Ich sehe, Eminenz.«

»Aber der Brief ist versiegelt.«

»Man wird ihn öffnen, Eminenz.«

»Und dann copiren.«

»Und ihn dann wieder schließen, Eminenz?«

»Ganz richtig, aber —«

»Der Brief ist an Seine Majestät adressirt,« bemerkte Rossignol, »das heißt, eine Indiscretion darf nicht geahnt werden.«

»Es werden von nun an öfter solche Briefe einlaufen.«

»Man wird sie behandeln wie diesen.«

»Ganz so, aber vorsichtig, Rossignol, vorsichtig, und nun sputet Euch, ich erwarte hier Eure Zurückkunft.«

Der Chef des »schwarzen Cabinets« Seiner Eminenz eilte davon.

»Latil!« rief der Cardinal in das Vorzimmer.

Der Gascogner trat ein.

»Weißt Du, wo Villejuif liegt?«

»Etwas über Bicêtre hinaus, an der Straße von Fontainebleau.«

»Du und dein kleines Murmelthier. Ihr beide werdet mich um elf Uhr am Eingange von Villejuif erwarten. – Kannst gleich fortreiten. – Meinen Eisenschimmel läßt Du satteln und führ ihn am Zügel mit. Keine andere Begleitung als der Bube. Verstanden? Geh!«

Latil eilte über die Stiege hinab und murmelte vor sich: » Endlich einmal eine kleine Abwechslung; sitze jetzt schon einen vollen Monat da wie festgenagelt; der Cardinal rührte sich ja gar nicht aus seinen vier Mauern; kaum daß ich alle Woche einmal abkommen konnte, um Jacintha zu besuchen, und dazu erhielt ich stets nur die Erlaubniß auf ein paar Stunden. – Die gute Ninon ist bereits so dick vor lauter Stehen wie das Riesenfaß bei Meister Soleil. O Du lieber »gefärbter Bart« die ganze Zeit hindurch konnte ich nicht ein einziges Mal mehr deinen Götterwein kosten. – Doch halt! jetzt ist es erst sieben Uhr; nach Villejuif hinkt ein altes Weib zu Fuß in zwei Stunden. Bis neun Uhr könnte ich also in der Rue de l'Homme verbringen und ein Viertelstündchen wird dann wohl auch noch erübrigen, um im Vorbeireiten in der Rue Mouffetard der Zofe der Gräfin Urbano einen guten Abend zu wünschen.«

 

Gesagt, gethan.

Der Wein des Meisters Soleil mochte heute wohl eben so gut sein wie gewöhnlich, denn Latil konnte sich, als es bereits neun Uhr schlug, nur mit einem schweren Seufzer vom »gefärbten Barte« trennen. Aber er war im Dienste die Pünctlichkeit selbst und einen Richelieu etwa warten zu lassen. hätte die übelsten Folgen nach sich ziehen können.

Er bestieg etwas mürrisch seine braune Stute. Den kleinen Georges ihm zur Linken auf seinem Ponny, zwischen beiden des Cardinals EisenschimmeL steuerte Latil auf die Rue Mouffetard los.

»Par Dieu!« rief der Gascogner, erstaunt den Mund aufreißend, als er auf dem Boulevard de l·Hopital eben um die Ecke bog und von dem Eckhause der Rue Mouffetard und der Rue des Banquiers etwa noch zwei hundert Schritte entfernt war.

Sein Gesicht wurde kirschroth vom Zum und er griff unwillkürlich nach seinem Degen, aber er bezwang sich und ließ es nur der armen Ninon entgelten, der er krampfhaft die Sporen in die Flanken drückte.

Dann warf er das Pferd herum und sprengte, zur Barrière de Fontainebleau hinaus durch die ganze Rue de la Maison Blanche bis in die Nähe von Bicêtre.

Der kleine Gravé hatte Mühe ihm zu folgen und verlor die Steigbügel, da er für einen solch wüthenden Ritt noch zu wenig sattelfest war. Aber herab fiel er dennoch nicht.

Endlich kam der Gascogner wieder zur Besinnung.

»Arme Ninon!« rief er und streichelte den Hals des Thieres, »einen ordentlichen Degenstich soll der Spitzbube davontragen, der mich verleiten konnte. Dir so unbarmherzig die Sporen in den Leib zu jagen; ha! würde nicht der Cardinal warten, die Sache wäre schon jetzt ins Reine gebracht.

Bald nach zehn Uhr langte Latil bei den ersten Häusern von Villejuif an.

Er wünschte sich Glück, daß er pünktlich war, denn lange vor der festgesetzten Zeit, nämlich bereits noch vor zehn und ein halb Uhr, hielt in seiner Nähe die Miethkutsche, in der der Cardinal saß.

Der Wagen fuhr nach Paris zurück.

Richelieu bestieg seinen Eisenschimmel.

Ein Dutzend seiner berittenen Leibgarde kam im scharfen Trabe zehn Minuten später angeritten.

Cavois, der die kleine Escorte commandirte, ritt zum Cardinal heran und frug um seine weitern Befehle.

»Verbergt Euch mit Eueren Leuten hinter jener hohen Mauer.

Zwei Minuten später war Cavois mit seinen zwölf Mann unsichtbar geworden.

»Kennst Du Boinzeval?« frug Richelieu den Gascogner.

»Des Königs ersten Kammerdiener? Ja, Eminenz!«

»Derselbe. Jede Minute kann er von Bicêtre her des Weges kommen. Sobald Du ihn erblickst, gibst Du mir ein Zeichen.«

Richelieu ritt nach diesen Worten etwas abseits von der Straße.

Einige Minuten nach elf Uhr stieß Latil einen kurzen Pfiff aus. Der Cardinal spornte sein Pferd und war dem Gascogner bald zur Seite.

In dein Momente, als Letzteres geschah, stieß er mit einem Reiter, der sehr nachlässig in seinem Sattel saß, fast zusammen.

»Hol Dich der Teufels!« brummte der Mann ebenso verdrießlich als hochfahrend. Zwei wohlbewaffnete Diener ritten knapp hinter ihm einher.

»Guten Abend, Herr Boinzeval!« rief Richelieu.

»Seine Eminenz, der Cardinal!« entgegnete erschrocken der erste Kamnterdiener des Königs.

»Ja, ich bin es, und um das Vergnügen zu haben, Euch nach so vielen Monaten endlich wieder zu sehen, ließ ich mich den weiten Spazierritt hierher nicht verdrießen.«

Boinzeval biß verlegen auf die Lippen. Der Vorwurf des Cardinals, ihm seit seiner Rückkehr aus Italien noch keine einzige Aufwartung gemacht zu haben, traf ihn mitten durch die Brust. Wie bereits erwähnt worden, hatte er nämlich sein Glück einzig und allein Richelieu zu danken.

»Ich hätte mit Herrn Boinzeval ein Wort unter vier Augen zu sprechen,« fuhr der Cardinal gelassen fort, »sendet gefälligst Eure Diener voraus an das andere Ende des Ortes.«

Boinzeval that, wie es der Cardinal wünschte.

Hierauf winkte Richelieu dem Gascogner zu bleiben, wo er stand, und ritt selbst der Mauer näher. hinter welcher Cavois mit seinen Leuten sich befand. Boinzeval machte unwillkürlich diese kleine Schwenkung mit.

»Ihr seid der Briefbote zwischen Seiner Majestät und Fräulein von Hautefort,« begann dann der Cardinal kurz.

»Das ist kein Geheimniß,« entgegnete Boinzeval.

»Aber der Inhalt dieser Briefe, wenigstens für mich?« bemerkte scharf Richelieu.

»Ich befürchte, daß es kein Mittel gibt, um in diesem Punkte die Wißbegierde Euer Eminenz zu stillen,« warf Boinzeval ebenso bestimmt als spitzig hin.

»Es muß sich aber eines finden,« rief der Cardinal etwas heftig, »der Bote, welchen Seine Majestät nach Euch damit betraut, wird gefügiger sein.«

»Noch mir?« lächelte Boinzeval, ungläubig den Kopf schüttelnd, »warum sollte der König einen Anderen wählen ohne allen Grund?«

»Weil Ihr verschwinden, das heißt in einer Stunde in der Bastille sitzen werdet.«

»Entschuldigen Eminenz,« höhnte Boinzeval, »aber weder Euer Eisenschimmel noch jener braune Klepper werden im Stande sein, meinem edlen Berber vor Fontainebleau einzuholen, und dort mag dann Seine Majestät das Weitere entscheiden.«

Während dieser Worte ließ Boinzeval, der in der That ein sehr guter Reiter war und die Vorzüglichkeit seines Thieres nicht zu hoch angepriesen hatte, seinen feurigen Renner zur Seite courbettiren und gewann so die Straße, auf der er davonzusprengen begann.

Richelieu stieß, bevor noch Boinzeval zu sprechen aufgehört hatte, in das silberne Pfeifchen, das er an einem Schnürchen umgehängt trug.

Im Nu schwenkte auf dieses Signal hin Cavois mit seinen Leuten hinter der Mauer hervor quer über die Straße.«

Boinzeval mußte mit aller Gewalt sein Pferd zurückreißen, wollte er nicht in die ihm vorgehaltenen Schwerter stürzen.

Richelieu, der, von Latil begleitet, langsam hinzugeritten war. sagte ganz ruhig:

»Wir Drei wollen etwas absteigen, laßt unsere Pferde halten, Cavois.«

Boinzeval knirschte mit den Zähnen; zu spät bereute er jetzt seinen früheren geradezu frechen, herausfordernden Ton.

Der Cardinal begann nach einer Pause gelassen wie zuvor:

»Nun, Herr Boinzeval, was meint Ihr jetzt? Wollt Ihr in die Bastille oder – — —«

»Ich muß mich der Nothwendigkeit fügen,« erwiderte der überwältigte Bote, der sich aber dachte: »Wenn ich nur loskomme, das Worthalten ist dann etwas Anderes.«

»Also schließen wir das Geschäft ab, mein lieber Boinzeval; für jeden Brief, den Ihr mir ausliefert, natürlich nur für höchstens zwei Stunden, bekommt Ihr hundert Pistolen.«

»Generös ist der Cardinal,« dachte Boinzeval bei sich und seine Gewissensscrupel bestanden nur noch zur Hälfte.

Der Cardinal zog nach den obigen Worten ein Papier aus der Tasche, händigte es Latil ein und sagte zu demselben:

»Trete mit Herrn Boinzeval in jene nahe Wirthsstube ein; er wird die Güte haben unseren Contrart auszufertigen.«

Boinzeval fügte sich auch in dieses Geheiß, wollte aber zögern, das ihm vorgelegte Schriftstück abzuschreiben, sobald er es in der Wirthsstube gelesen. Das Concept, welches er ausstellen und unterfertigen sollte, lautete:

»Der Endesgefertigte hat sich dem Cardinal Richelieu verpflichten die gesammte Correspondenz zwischen Seiner Majestät dem Könige und Fräulein von Hautefort gegen das vereinbarte Honorar zu einhundert Pistolen für jeden Brief zur Einsicht auszufolgen.«

»Wird's werden?« rief Latil« als Boinzeval mit finsterem Ingrimme regungslos das leere Papier anblickte, auf das er die obigen verfänglichen Zeilen werfen sollte.

»Nun, wird's noch nicht?« rief Latil ein zweites Mal und zog seinen Dolch aus dem Gürtel, »schreibt gleich oder – —«

Der Gascogner machte hiermit keine leere Drohung; sein Scharfsinn errieth, daß der Cardinal sich zu weit eingelassen, um ohne Gefahr sich den Folgen einer längeren Weigerung Boinzeval's aussetzen zu können. Dieser mußte gehorchen oder auf der Stelle sterben, ein Drittes gab es nicht, denn mit der Bastille war es dem Cardinal gar nicht Ernst gewesen.

Auch Boinzeval begriff, daß es sich um sein Leben handle. Was nüßte es ihm einen verzweifelten Kampf mit Latil zu wagen? Draußen standen die Garben, in der Stube waren keine Gäste mehr zugegen, und um den Wirth, den einzigen Zeugen seines Todes, stumm zu machen, dazu gab es für einen Richelieu wohl mehr als hundert Mittel.