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Der Graf von Moret

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»Ihr werdet noch heute Nacht Eure Rückreise nach Brouage antreten und dieses Packet mitnehmen,« redete ihn der Cardinal an.

Herr von Abrantes verneigte sich stumm und nahm das Paguet von Charpentier in Empfang.

»Ihr werdet dieses Packet mit Eurem Leben vertheidgen« und es eher vernichten, als es Euch abnehmen lassen; außer mir darf es nur Charpentier, Rossignol, Cavois, oder Latil Euch abfordern. – Nehmt diesen Beutel; es sind 1000 Pistolen Reisegeld darin, aber schont die Pferde nicht. – Laßt zehn meiner Garden Euch in Verkleidung begleiten, vermeidet mir aber alles Aufsehen. – Gott befohlen!«

»Wo Stephan nur stecken mag!« begann Richelieu nach einer Weile wieder; »seit vierzehn Tagen läßt er und der schöne Cabalero de Lerida nichts mehr von sich hören. Ueber Moret sind auch von anderer Seite keine neueren Nachrichten eingelaufen« nicht wahr, Charpentier?«

»Nicht das Mindeste« Eminenz!«

»Was soll mit Sirdoni geschehen?« frug nun Rossignol.

»Auf diesen Spitzbuben hätte ich bald vergessen!« rief der Cardinal ärgerlich; »nun, mit dem werden wir kurzen Proceß machen, wenn es zum Aeußersten kommt. Sechs Jahre Galgenfrist hat er bereits genossen. Merkt wohl auf, Rossignol. Sobald Ihr morgen mit voller Bestimmtheit erfahrt, daß ich nicht mehr Frankreichs erster Minister bin, laßt Ihr ihm dieses Pülverchen da credenzen; in einem Moment ist es aus mit ihm, er kommt also dabei viel besser weg, als wenn er gerädert würde.«

Rossignol versorgte das ihm dargereichte kleine Papierchen, das einen so gefährlichen Inhalt barg, in seiner Brieftasche.

Wie der Wolf in der Fabel trat kurz darauf Latil ein. Er war von der Sonne ganz dunkel gebrannt, die Farbe seiner Kleidung konnte man vor Staub nicht erkennen und ungeachtet der heutige Spätherbsttag sich ziemlich kalt anließ, perlte dennoch der Schweiß von seiner Stirne. Der Gascogner mochte einen langen und scharfen Ritt gemacht haben.

»Nun, was bringst Du Neues, Stephan?« rief ihm der Cardinal entgegen, innerlich sehr erfreut, daß er seinen erprobten Liebling nach fast fünf Monaten wieder zu Gesicht bekam. Am Vorabende eines so wichtigen Tages wie der morgige konnte ein Kopf und ein Arm wie der Latil's von unberechenbarem Nutzen sein.

»Der Graf von Moret reitet in zwei Stunden in das Hotel »Montmorency« ein, Eminenz!«

»Ah!« rief Richelieu ebenso erstaunt als unangenehm berührt.

»Seit acht Tagen scheint er endlich im Reinen darüber, daß er nur gefoppt wurde.«

»Ist er Euch je begegnet?«

»Weder mir noch meinen Begleiterer, obwohl wir ihm bald voraus, bald hinter ihm her waren. Ich bilde mir ein, gerade kein dummer Kerl zu sein, aber was das Foppen anbelangt, da muß ich vor der Frau Gräfin von Urbano die Segel streichen.«

»Wo ist mein schöner Cabalero de Lerida?«

»Die verwitwete Gräfin von Urbano ist nach Brouage gereist, um ihre Erbschaft in Empfang zu nehmen.«

»Teufel!« rief der Cardinal unwillig, »sie wird doch nicht ihr Incognito aufgegeben haben?«

»Ich wollte sagen, der Cabalero de Lerida ist nach Brouage gereist,« erwiderte Latil gelassen.

»Treibst Du schon wieder Possen?«

»Durchaus nicht, Eminenz, Die Gräfin von Urbano ist ja von ihrem Gemahl enterbt und bekommt von der gewissen Million blos einen Pflichttheil von hundert Livres. So stehts geschrieben.«

»Stephan!« drohte der Cardinal, »ich bin heute sehr wenig zum Scherzen aufgelegt.«

»Weiß auch warum,« entgegnete der Gascogner in seiner von Jugend auf gewohnten Ungenirtheit, die mitunter sehr stark an Frechheit grenzte, wie dieses Mal.

»Was weißt Du?« zürnte Richelieu, indem er bei sich dachte: »Wie! sollte in Paris mein Sturz schon so bekannt geworden sein, daß ihn Stephan bereits erfahren konnte, während er durch die Straßen von Paris ritt?«

»Vier Lieues von hier, als ich zum letzten Male meinem schon ganz erschöpften Andalusier etwas Ruhe gönnen mußte,« begann Latil, »hielt vor derselben Herberge, wo ich eingekehrt, ein verschlossener Wagen, der von Paris kam. Ob wer darin saß oder nicht, ich wußte es nicht. – Während an diesem Wagen die Pferde gewechselt wurden, bekam ich zufällig etwas Streit mit dem Wirthe. Ich wurde etwas laut, sehr laut, Da hörte ich plötzlich meinen Namen rufen, Ich sehe mich um der Ruf wiederholt sich; er kommt aus dem Wagen; ich trete hin, wer sitzt darin, – mein kleines Murmelthier und Herr Boinzeval; ich schlüpfe in den Wagen und bis die Pferde vorgespannt sind, erfahre ich da schöne Geschichten.– »Potz Wetter!« dachte ich mir, »Jetzt kann mich mein Cardinal vielleicht gerade brauchen.« – Der arme abgehetzte Andalusier, es ist dasselbe Pferd, das ich dem Grafen von Moret abkaufte, würde mich nur im Schritte, also in sieben bis acht Stunden, hierher getragen haben. Ich bin aber so glücklich«, einen frischen Gaul auszutreiben, der auch tüchtig die Sporen kosten mußte, denn die vier Lieues habe ich in nicht ganz zwei und einer halben Stunde zurückgelegt.«

Der Cardinal warf dem Gascogner einen huldvollen Blick zu und frug:

»Wie verhält es sich aber mit der Gräfin von Urbano, wie kommst Du dazu, zwischen ihr und dem Cabalero de Lerida einen solchen Unterschied zu machen, wie Du es zuvor gethan?«

»Und gerade dieser Unterschied, Eminenz, ist jetzt ebenso wichtig als nothwendig; er wiegt nicht weniger als eine volle baare Million.«

Latil trocknete sich den Schweiß von der Stirne, räusperte sich und pustete dann eine Weile fort. – Richelieu bezähmte seine Ungeduld, da er wohl wußte, daß der Gascogner, wenn er ordentlich erzählen sollte, in seinen mitunter etwas ungeschlachten Manieren nicht gestört werden durfte.

»Wie Ihr wißt, Eminenz!« begann endlich Latil, »so verhinderte den Grafen von Urbano bis vor vierzehn Tagen das Zipperlein, von der Erlaubniß, nach Paris zu kommen, den ersehnten Gebrauch zu machen. – Heute sind es gerade sieben Tage, daß wir in der Nähe von Tours auf ihn stießen. Ich zog mich natürlich zurück, denn er kennt mich noch von Briancon her, wo ich ihn und seine Million den Musketieren zur Escorte nach Brouage übergab.« – Jacintha folgte mir schnell, Cabalero de Lerida aber, statt es mir nachzutun, ist so tollkühn, sich dem Grafen von Urbano vorzustellen und richtig erkennt dieser blöde Hahnrei seine eigene Gemahlin nicht. – Durch ein paar Stunden benahmen sich diese zwei Leutchen wie die dicksten Freunde; auf einmal bricht mein lieber Spanier eine Gelegenheit vom Zaune und fängt mit dem Grafen Streit an; man zieht die Degen und siehe, auf den zweiten Gang stürzt der ehemalige Herr Commandandant von Pignerol zu Boden, denn Cabalero de Lerida hatte sich während unserer Reise zu einem ganz famosen Fechter ausgebildet.« – Der herbeigerufene Arzt gab dem Verwundeten nur noch zwei Stunden Lebensfrist.« – »Holt mir einen Notar,« stöhnte der Sterbende« »die elende Mathilde soll um ihre Hoffnungen gebracht werden; hätte ich meine Million nicht in Brouage zurückgelassen, ich würde sie hier in die Loire werfen lassen. – Der Spanier, der mich endlich von diesem elenden Leben befreite, soll mein Universalerbe sein.« – Der Akt wurde aufgesetzt und von ihm und den Zeugen unterschrieben; eine halbe Stunde später war der Graf eine Leiche und unser guter de Lerida dürfte zur Stunde seine Million in Brouage bereits in Empfang genommen haben.«

So schloß Latil seinen Bericht, der dem Cardinal jedoch nicht sehr behagte, denn die Gräfin von Urbano war unvermuthet in materieller Beziehung von ihm ganz unabhängig geworden, und ihren Herrn Gemahl, mit welchem er sie noch weiter zu vexiren gedachte, hatte sie sich selbst vom Halse geschafft. Es blieb ihm also nur noch ihre Leidenschaft für den Grafen von Moret zur Disposition, um auf sie einzuwirken, Richelieu wünschte jetzt selbst im Geheimen, daß der Graf von Urbano seine Million in die Loire geworfen hätte.

Nachdem der Cardinal noch mehrere Befehle gegeben, die die Rettung seines Silberzeuges und Baargeldes betrafen und nachdem er besonders Latil eingeschärft hatte, sich von morgen Früh acht Uhr an mit einigen Dutzend verkleideter Leibgarden in der Nähe des Luxembourg herumzuschleichen, verabschiedete er Charpentier, Rossignol und den Gascogner mit dem Auftrage, das Palais mit keinem Fuße zu verlassen.

Richelieu wollte sich hierauf eben zur Frau von Combalet begeben, als der Graf von Moret in Reisekleidern und nicht weniger bestaubt und erhitzt, als es Latil gewesen, in's Zimmer stürzte.

Haß, Zorn und Unmuth spiegelten sich in seinen Mienen.

»Cardinal!« schnaubte der Graf von Moret, »ich komme Euch meinen Dank abzustatten.«

»Euren Dank, Monseigneur?«

»Ja, meinen Dank für die schöne Gelegenheit, die Ihr mir seit fünf Monaten gebt, alle Nonnenklöster von Frankreich kennen zu lernen,« höhnte der gefoppte Bräutigam; »seit acht Tagen aber bin ich endlich im Klaren, was ich von Euch zu halten habe, denn jetzt weiß ich es bestimmt, Isabella von Lautrec ist außerhalb des Landes gebracht worden. Adieu, adieu, Eminenz! wir treffen uns bei den Königinnen wieder; dort werdet Ihr mich in Zukunft zu suchen haben.«

Nach diesen mit unterdrückter Wuth herausgestoßenen Worten stürzte Graf von Moret wie unsinnig davon.

»Also ein Todfeind, ein grimmiger Todfeind mehr und gerade er, auf den ich die Pläne für Frankreichs Zukunft baue,« murmelte Richelieu, indem er sich abermals anschickte, seine Nichte zu besuchen; »doch wenn die Vorsehung will, daß ich morgen siege, so hat der kindische Zorn dieses Mannes wohl nichts zu bedeuten; denn, mein lieber Graf von Moret, Du bist nichts als ein Werkzeug in des Meisters Hand, und ich, ich – Richelieu,« bin Frankreichs und seines Schicksals Meister.«

XIII.
Der Tölpeltag

Am 11. November 1630, jenem in der Geschichte Frankreichs ewig denkwürdigem Tage, an welchem es nur von seinem Haare abhing, ob von nun an Richelieu's kühne, welterschütternde Politik oder die finsteren, unheilvollen Pläne der Camarilla in den Gang der Geschicke Europas entscheidend einzugreifen haben, machte der Cardinal-Minister gegen die elfte Morgenstunde mit seiner Nichte, Maria von Combalet, die Ausfahrt im Palais Luxembourg, wo die beiden Königinnen seit der Rückkehr von Versailles sich aufhielten.

 

»Fast gleichzeitig kam auch der Wagen des Königs, der im Louvre residirte, angefahren.

In den Vorgemächern traf letzterer mit dem Cardinal und Frau von Combalet zusammen.

Ludwig XIII., der, soweit er überhaupt einer Zuneigung und Achtung für Frauen fähig war, beides wirklich für die Nichte des Cardinals fühlte, bot der Frau von Combalet den Arm und nachdem er Richelieu durch eine Handbewegung angedeutet, ihm zu folgen, schritt er unter dem Vortritte eines Kämmerlings geraden Weges auf den Saal zu, wo die Königinnen bereits seiner harrten.

»Fasset Muth!« flüsterte der König während des Gehens der Frau von Combalet zu, deren Arm er auf dem seinigen beben fühlte, »fasset Muth, ich bleibe in Eurer Nähe und werde Euch zu schützen wissen.«

Bei dem Eintritte des Königs erhoben sich Maria von Medicis und Anna von Oesterreich von ihren Sitzen und traten demselben, der Etiquette gemäß, drei Schritte entgegen.Der König entließ nun Frau von Combalet von seinem Arme, welche sich hierauf vor jeder der Königin dreimal ehrfurchtsvoll verbeugte.

Die übrigen zahlreichen Anwesenden, es waren fast sämmtliche höhere Würdenträger des Reiches zugegen, welche bei dem Eintreten des Königs sich tief verneigt hatten, lauschten nun in athemloser Stille der Dinge, die da kommen würden. Von den Anhängern des Cardinals waren nur wenige erschienen, dagegen sah man jene der Königinnen fast vollzählig vertreten. Besonders aufgeblasen benahm sich der Cardinal Berulle, Richelieus voraussichtlicher Nachfolger, falls die Partei der Maria von Medicis siegte.

Der König, welcher zwischen den Königinnen und der Stelle, wo Frau von Combalet sich befand, so ziemlich in der Mitte stand, wandte sich, als dem Ceremoniell Genug geschehen war, an seine Mutter und seine Gemalin und sagte:

»Ich habe hiermit die Ehre, Euch Frau Maria von Combalet, Herzogin von Aiguillon, in Gnaden vorzustellen.«

Anna von Oesterreich machte eine fast unmerkliche Bewegung ihres schönen und stolzen Hauptes gegen die Herzogin, aber Maria von Medicis blieb steif und unbeweglich. Ihr Busen arbeitete jedoch heftig und ihre Augen begannen Blitze des ingrimmigsten Hasses zu sprühen.

Verwirrt blickte Frau von Combalet zu Boden und sagte, nachdem sie lange aber vergeblich auf die Ansprache gewartet, weiche nun von den Königinnen hätte ausgehen sollen, mit zitternder Stimme:

»Ich schätze mich überglücklich, daß Ihre Majestäten meiner unterthänigsten Bitte um die allerhöchste Gnade dieser Vorstellung Folge gaben.«

Maria von Medieis und Königin Anna verblieben stumm. Dieses hartnäckige Stillschweigen begann beleidigend zu werden und verstieß überdies gegen alle Regeln der Etiquette, die doch in diesen Räumen so strenge gehandhabt wurde. Der Cardinal, der im Hintergrunde stand und nach Frau von Combalet vorgestellt werden sollte, zitterte; der König blickte finster vor sich; die Feinde Richelieu's warfen sich frohlockende Blicke zu.

Ueber eine Minute wartete die Herzogin von Aiguillon abermals vergeblich auf eine Ansprache. Ebenso gekränkt als empört, wollte sie bereits ihre dreimalige Verbeugung machen und sich dann stumm zurückziehen, als der König, diese ihre Absicht errathend, mit einer gewissen Heftigkeit zwei Schritte gegen die Königinnen that und ausrief:

»Mesdames! wenn ich das erste Mal vielleicht zu leise sprach, als ich Euch die Herzogin von Aiguillon vorstellte, so will ich jetzt etwas lauter meine Stimme erschallen lassen.«

Anna von Oesterreich, welche in des Königs Nähe immer einen gewissen Respect oder besser gesagt Furcht fühlte, schrak zusammen und blickte nach ihrer Schwiegermutter, welche durch des Königs ziemlich barsche Worte nichts weniger als eingeschüchtert, sondern nur noch mehr aufgeregt worden war.

Ihr heftiges, leidenschaftliches Temperament, ihr glühender Haß gegen den Cardinal und alle, die zu ihm standen, überwältigte sie, ließ sie alle Schranken des Anstandes und der Ueberlegung vergessen und durchbrechen.

»Soll ich vielleicht entzückt sein, diese Dame da und jenen Herrn dort im Hintergrunde bei mir zu sehen? Ha! sind nicht beide die Ursache, daß wir hier im Luxembourg die Rolle von Verbannten spielen müssen, während der König, von seiner Gemahlin freiwillig geschieden, im Louvre thront?! Aber so Gott der Allmächtige und Gerechte will, wird der König nicht länger vergessen, daß er eine Gattin, daß er eine Mutter nach besitzt, und er wird und muß endlich jene Frechen, die ihm seine Familie zu entfremden verstanden, von sich weisen, sie bestrafen, vernichteten.«

»Majestät!« rief Frau von Combalet mit von Thränen fast erstickter Stimme, »gestattet, daß ich mich zurückziehe.«

»Ja, ja geht, geht, Frau Herzogin von Aiguillon und erspart mir auch für alle Zukunft das Verhaßte von Eurem und Eures Oheims Anblick,« schrie Marie von Medicis, in der alle Furien ihres wilden Temperamentes losgebrochen waren.

Der König war so perplex über diesen unvermutheten Losbruch, daß er zu träumen glaubte und in einem Zustande der vollkommensten Rathlosigkeit sich befand.

Frau von Combalet, welche mit Recht, aber vergeblich erwartet hatte, daß der König, der ihr doch seinen Schutz versprochen, sich ihrer annehmen werde, warf ihm einen bitteren, vorwurfsvollen Blick zu und trat, nachdem sie sich mit unnachahmlicher Grazie vor den Königinnen dreimal verbeugt, auf Richelieu zu, der sie am Arme faßte und absichtlich die Gebote der Hofetiquette verletzend, mit ihr ohne alle Umstände den Luxembourg verließ.

Ludwig XIII. mochte über die klägliche Rolle, die er soeben gespielt, innerlich sehr beschämt sein, denn kurz nach Richelieu verließ auch er den Audienzsaal, ohne ein Wort zu sprechen, gesenkten Blickes, den Hut tief in die Stirne gedrückt.

Statt in den Louvre zurückzukehren, befahl er die Straße nach Versailles einzuschlagen.

St. Simon, des Königs Stallmeister, begleitete den Wagen, zur Seite reitend.

In demselben Momente, wo die königliche Kutsche aus dem Thore des Luxembourg etwas scharf um die Ecke bog, riß St. Simon sein Pferd zurück und flüsterte in dem kurzen Augenblicke, in welchem er stillhielt, einem in seinen Mantel dicht eingemummten Manne zu: »Kommt sogleich nach Versailles; bei Grinel »zu den drei Lilien« erwartet weitere Botschaft.«

Der Angeredete verschwand. Es war Latil, der hastig nach einer Seitengasse eilte, wo einer der verkleideten Garden des Cardinals die dicke Ninon und sein eigenes Pferd am Zügel auf- und abführte.

»Mein lieber Dubaret,« redete Latil den ihm untergebenen Gardereiter an, indem er sich auf seine Stute schwang, »sprengt auf den Place Royal und meldet unserem Capitän Cavois, daß ich Herrn Grinel besuchen muß.«

Unmittelbar nachdem der König den Audienzsaal verließ, suchten erschreckt und bestürzt auch die wenigen »Cardinalisten«, die dort gewesen, das Weite.

Der Sturz des Cardinal-Ministers schien entschieden. Sowohl die Freunde als auch die Feinde Richelieus hielten sich zu diesem Schlusse durch des Königs in der That höchst sonderbares Benehmen berechtigt. Ja man ging endlich sogar so weit, anzunehmen, die tödtliche Beleidigung, die der Cardinal in seiner Nichte erfahren, sei zwischen Maria von Medicis und Ludwig xIII verabredet gewesen, um Richelieu zu zwingen, selbst seine Entlassung anzusuchen.

Die Königin-Mutter hielt sich ihres Sieges so gewiß, daß sie diesen und die folgenden Tage die Huldigungen, die ihr von allen Seiten als Regentin dargebracht wurden, auf die ostensibelste Weise entgegennahm, eine Ministerliste entwarf, die Ernennungen für die übrigen wichtigsten Staatsämter mündlich aussprach, große und zahlreiche Gnadengaben zusagte u.s.w. kurz sie benahm sich so, als ob der Cardinal gar nicht mehr zu den Lebenden zähle und ihr Sohn Ludwig XIII. noch ein Wickelkind wäre.

Richelieu verbrachte indessen den 11., 12. und 13. November in der düstersten Laune. Frau oon Combalet lag im hitzigen Fieber. Ohne diesen Zwischenfall würde er wahrscheinlich Paris bereits schon am 11. Abends verlassen haben.

Seiner Wuth über die seiner Nichte angethane Schmach hielt nur die Indignation über das schmähliche Benehmen des Königs die Wagschale, und er war in der That entschlossen einem Monarchen, welcher sich so sehr der Größe und des Ruhmes, die sein Genie in so reichlichem Maße über ihn ausgegossen, unwürdig zeigte, den Rücken zu kehren.

Merkwürdig ist es jedenfalls, daß der Cardinal weder nach Brouage, noch nach Aiguillon sich zurückzuziehen gedachte, sondern den Befehl gegeben hatte, alle seine Effekten, und sein Geld nach Havre de Grace zu transportiren. Wer weiß, ob er nicht aus Rache am Ende zu dem Entschlusse gelangt wäre, nach England zu fliehen und von dort aus, Frankreich gegenüber, die Rolle eines Coriolanns zu spielen.

Am 13. Abends, als der Cardinal soeben vom Krankenlager seiner Nichte zurückgekehrt war und von Chicot zu seiner größten Befriedigung erfahren hatte, daß Frau von Combalet per Boot zur Reise morgen bereits fähig sei,stürmte Latil ohne alle Umstände in des Cardinals Arbeitszimmer.

Der Gascogner war ganz athemlos. Der Ausdruck der größten, innigsten Freude spiegelte sich in seinem vor Staub und Schweiß glänzenden Antlitze.

»Eminenz, Eminenz!« keuchte er, »werft schnell Euren Mantel um, die Kutsche habe ich schon anspannen lassen, aber macht doch schnell, schnell, der König will Euch sehen-; St. Simon sendet mich – Victoria!«

Richelieu schnellte wie elektrisirt von seinem Lehnstuhle empor, in welchem er düster dahinbrütend bei Latil's Eintritte gesessen, und rief, vor Aufregung am ganzen Leibe bebend:

»Der König läßt mich rufen, Du schreist Victoria?«

»Ja, ja und noch hundertmal Viktoria; aber, Eminenz, der Wagen wartet, der König wartet, also —«

Der Cardinal stürzte aus dem Zimmer, ihm nach Latil.

Eine Stunde später stand Richelieu vor Ludwig xIII. Dieser trat dem Cardinal-Minister rasch entgegen und reichte ihm die Hand. – Richelieu küßte sie ehrerbietig.

»Wir sind quitt,« rief der König und ein boshaftes Lächeln umspielte seine Lippen.

Richelieu blickte ihn etwas verwundert an.

»Ja, quitt sind wir, mein lieber Cardinal!« wiederholte Ludwig XIII.; »diese drei Tage sollen Euch als Strafe an-gerechnet sein und nun, mein Freund,« der König betonte dieses Wort mit besonderem Nachdrucke, »arbeitet an Frankreichs Wohl und Größe ruhig und getrost weiter wie bisher.«

»Und was hat meinen guten König veranlaßt, mich zu strafen?« frug Richelieu, froh aufathmend, denn in diesem warmen, freundlichen Ton hatte Ludwig xIII. bisher noch nie die Verdienste des Cardinals offen anerkannt.

»Ventre-Saint-Gris! würde der große Heinrich ausrufen auf Eure etwas naive Frage. He! Cardinal, glaubt Ihr denn, ich fand einen besonderen Gefallen daran, daß meine Briefe an die Hautefort Eure Censur passirten. – Leugnet nicht, jetzt bin ich besser davon unterrichtet als dazumal, wo ich etwas ungeschickt den Instructionsrichter spielte – wie gesagt, Ihr seid für Euren Vorwitz hinlänglich bestraft und ich halte diese Sache für abgethan und vergessen.«

Richelieu erachtete es für angemessen zu schweigen und den König, der heute ungewöhnlich guter Laune schien, in seinem Redeflusse nicht zu stören.

Uebrigens mußte er sich selbst gestehen, daß die Freiheit, die er sich mit des Königs und des Fräuleins von Hautefort Correspondenz genommen, am Ende nicht ganz und gar durch bloße Staatsrücksichten gerechtfertigt werden konnte, sondern daß er dabei ebensowohl das Maß des Erlaubten als auch des Nothwendigen weit überschritten habe.

»Wie wird wohl,« fuhr der König fort, innerlich hocherfreut, einmal auch den Cardinal überlistet zu haben, »wie wird wohl der 11. November einst in der Geschichte genannt werden; was meint Ihr, Cardinal?«

»Ich schlage dafür den Namen »Tölpeltag« vor« denn an diesem Tage hat Ludwig XIII. beide Parteien, die sich um die Suprematie stritten, arg zu Tölpel gemacht, indem er sich über beide Parteien stellte. Gebe Gott, daß unser guter König diese Freiheit der Gesinnung stets bewahre.«

»Er wird es, er wird es,« fiel der König eifrig ein, »so Gott will, gibt es bald in Frankreich nur eine Partei, die meinige, oder, was dasselbe ist, die Eurige.«

»Majestät!« rief Richelieu entzückt, sich auf ein Knie niederlassend, »ich weiß kaum mein Glück zu fassen!«

Der König hob ihn auf und sagte ernst: «

»Cardinal, Ihr besitzt mehr Großmuth, als ich Euch je zugetraut. Ihr glaubtet Euch meine Ungnade zugezogen zu haben, sogar Eure Freiheit und Euer Leben stand scheinbar auf dem Spiele und dennoch habt Ihr es verschmäht mich aufzusuchen und mit einem gewissen Papiere in der Hand vor mich hinzutreten, die Erfüllung eines Versprechens fordernd, das ich Euch zu Chaillot in einer sehr ernsten Stunde gab.«

 

»Majestät!« erwiderte Richelieu, »dieser Beweis von der Schande Eurer Mutter existirt nicht mehr. Ich habe ihn noch in derselben Stunde, als Ihr mir ihn überliefertet, verbrannt. Ich halte es nicht für passend, daß ein Unterthan je in der Lage sei, die Familie seines Königs dem gerechten Hasse der Nachwelt preiszugeben.«

Ludwig XIII. warf dem Cardinal einen Blick voll Anerkennung und Dankbarkeit zu; um aber von diesem ihm sehr peinlichen Thema das Gespräch abzubringen, stellte er die Frage nach Frau von Combalets Befinden.

»Ich hoffe, « entgegnete der König auf Richelieu's Mittheilung, daß selbe bereits sich wieder erholt habe und die Nachricht von der Gnade Sr. Majestät sie wohl sogleich gänzlich herstellen dürfte, »ich hoffe, daß die Herzogin Euch das nächste Mal hierher begleiten wird. Ich trage Verlangen, Ihr, die vor Zeugen beleidigt wurde, auch vor Zeugen mein lebhaftes Bedauern über das Benehmen der Königinnen auszudrücken.«

Der Cardinal äußerte auf die glühendste Weise seinen Dank über diesen neuerlichen Beweis der königlichen Gunst. Daß Ludwig XIII. so weit gehen würde, seine Mutter und seine Gemahlin sogar öffentlich zu desavouiren, hätte er nicht zu träumen gewagt. – Sein Triumph über seine Feinde war vollständiger als je.

»Sire,« schloß Richelieu seine begeisterten Danksagungen, »Sire, die Wendung, welche Euer Wille dem Geschicke Frankreichs zum Besseren gegeben, indem Ihr die Politik des großen Heinrich wieder aufnehmt und auch dieses Mal glücklich den Schlingen der österreichisch-spanischen Hauspolitik zu entgehen wußtet, macht jedoch einige Maßregeln nothwendig, deren Ergreifung keinen Aufschub leidet, soll nicht Eure eigene Person in die allergrößte Gefahr gebracht werden, unsere Armee in Piemont dem sicheren Verderben ausgesetzt sein. Gestattet, Majestät, daß ich Euch sogleich die Sachlage darstelle und —«

»Ich glaube,« unterbrach der König den Cardinal, »es wird weit einfacher sein, daß Ihr sogleich die nöthigen Befehle ausfertigt. Ich werde inzwischen meine Abendpromenade im Garten machen. In einer Stunde oder sobald Ihr fertig seid, laßt mich es wissen, Macht es Euch bequem dort bei meinem Schreibtische.«

Ludwig xIII. eilte nach diesen Worten hastig davon, innerlich froh, den langen Exposees seines ersten Ministers auf diese Weise glücklich entwischt zu sein.

Bevor noch Richelieu sich beim Schreibtische des Königs niederließ, gab er den Auftrag, die Marschälle von Schomberg und d'Etrées zu ihm zu bescheiden.

Der Cardinal schrieb nun in fieberhafter Aufregung ein Dutzend Ordonnanzen in wahrhaft lakonischen Style. – Jede Zeile enthielt jedoch einen vernichtenden Donnerkeil für seine Feinde.

Bevor noch eine halbe Stunde verflossen war, trat der König wieder ein. – Er durchflog blos flüchtig die ihm von Richelieu dargereichten Papiere und setzte unter jedes seinen Namen. Dann entfernte er sich eilig in seine Schlafgemächer. Es war bereits elf Uhr Nachts. Um diese Stunde spätestens pflegte er sein Lager aufzusuchen; er fürchtete morgen von Bouvard tüchtig ausgezankt zu werden, wenn dieser erführe, daß er sein strenges Gebot, noch vor Mitternacht schlafen zu gehen, außer Acht gelassen hätte.

Der Marschall von Schomberg trat kurz nach des Königs Entfernung ein. – Er war erstaunt, den Cardinal welchen die ganze Welt in Ungnade gefallen glaubte, hier zu treffen.«

»Mein lieber Marschall,« rief ihm Richelieu entgegen, »ich gratulire Euch zu Eurer Ernennung als Commandant der Armee in Piemont.«

Mit diesen Worten überreichte er ihm das bezügliche königliche Dekret.

Als Schomberg den Text von des Cardinals Hand geschrieben sah, ahnte er, daß seit zwei Stunden ein gewaltiger Umschwung der Dinge eingetreten sein mochte.

»Wie, Eminenz,« rief er, als er den Schlußsatz gelesen. »wie, ich habe den Marschall von Marillac zu arretiren und nach Frankreich abführen zu lassen?«

»So ist es,« entgegnete kurz Richelieu, »Ihr werdet aber über den ganzen Zweck Eurer Reise, die Ihr noch diese Nacht anzutreten habt, selbstverständlich das größte Geheimniß obwalten lassen, und nun Gott befohlen, zeigt Euch, würdig des Vertrauens Seiner Majestät.«

»Und des Eurigen, Eminenz!« fiel der Marschall von Schomberg rasch ein. Zwei seiner glühendsten Wünsche, der Commandostab in Italien und Rache an Marillac, seinem Todfeinde, waren ihm ganz unvermuthet in Erfüllung gegangen.

Gleich nach Schomberg trat der Marschall d'Etrées ein. Derselbe commandirte die Garden in Versailles. Seiner Zeit werden wir ihn auch in Compiègne wieder treffen. d'Etrées gehörte gleich Schomberg zu den bewährtesten Anhängern des Cardinals.

Dem Marschall d'Etrées drückte Richelieu nicht weniger als acht verschiedene königliche Ordonnanzen in die Hand, indem er sagte:

»Mein wackerer d'Etrées, Ihr werdet heute vollauf zu thun haben, wollt Ihr vor Tagesanbruch alle diese Befehle Seiner Majestät vollziehen.«

Der Marschall d«Etrées durchflog eilig die ihm dargereichten Papiere. Ein wiederholtes »Ah!« entschlüpfte ihm über deren Inhalt, denn was er las, waren sieben Verhaftsbefehle für Personen aus der Umgebung der beiden Königinnen.

Die achte Ordonnanz, welche zu unterst sich befand, erregte aber noch mehr sein Erstaunen als alle übrigen. Diese Ordonnanz enthielt nämlich in den gnädigsten Ausdrücken die Enthebung der »grauen Eminenz« von jeder weiteren Betheiligung an den Staatsgeschäften und den Allerhöchsten Wunsch, daß Pater Joseph sich von nun an nur noch den religiösen Pflichten des von ihm gestifteten Ordens der »Brüder vom Calvarienberge« widmen möge.

Richelieu nahm hierdurch an seinem »rechten Arme« nicht nur für den früheren Verrath Rache, sondern machte auch zugleich seine weiteren Intriguen unmöglich,welchen, wie der Cardinal dieser Tage als bestimmt erfahren, die Entdeckung des Königs von Boinzevals Einverständnisse zu danken war.

Als Marschall d'Etrées sodann forteilen wollte, hielt ihn der Cardinal zurück, indem er sagte:

»Ihr könnt mit mir in meinem Wagen nach Paris fahren, auch ich habe dort heute Nacht noch Einiges in Ordnung zu bringen.«

»Ich fürchte, Eminenz,« sagte d'Etrées lächelnd, während er mit dem Cardinal das Gemach verließ, »ich fürchte, daß das, was Ihr heute Nacht ordnet, viele Andere sehr derangiren wird.«