Tasuta

Der Graf von Moret

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

VI.
Eine gestörte Hochzeit

Einen Tag nach der Hinrichtung Montmorencys verfügte sich in später Abendstunde der Cardinal Richelieu in das Kloster der Capuziner zu Toulouse.

Innerhalb der Klosterpforte erwartete ihn der junge Capuziner, welchen wir bereits in Latil's Gesellschaft bei Castelnaudary angetroffen haben.

Der junge Mönch erfreute sich eines üppigen Haarwuchses im Gesichte, denn sein rabenschwarzer Bart, obwohl nicht sehr lange, schien dennoch dicht zu sein und bedeckte derart sein unteres Antlitz, daß von seinen Wangen nur sehr wenig zu sehen war.

»Nun,« frug der Cardinal leise den Mönch, der sich vor ihm tief verneigte, »nun, mein lieber de Lerida, wie bekommt Euch hier der Aufenthalt im Kloster? Ahnt wirklich Niemand, daß Ihr jemand Anderer sein könntet, als jener famose Cabalero, der wegen seines letzten Duells, mit Seiner Majestät Erlaubniß in diesen Mauern durch einige Zeit Buße thun will?«

»Selbst der Prior heilt mich für einen Spanier,« erwiderte der Büßer ebenso leise. »Mein Incognito ist also bis jetzt vollkommen gewahrt, obgleich, ich gestehe es offen, mein Blut etwas allzuheiß wallt in s einer Nähe. Eminenz, wenn ich aus der Rolle falle, die ich auf Euren Befehl hier spiele, so ist es wahrlich nicht meine Schuld.«

Die Blicke des Laienbruders erglänzten bei diesen Worten in einer leidenschaftlichen, verlangenden Weise, welche sehr schlecht zu seinem Gewande paßte.

»Steht Ihr mit dem Grafen von Moret auf gutem Fuße?« frug Richelieu weiter.

»Auf dem allerbesten seit dem Augenblicke seiner Gefangennahme.«

»Trägt er sich mit dem Wunsche nach Freiheit?«

»Ja, Eminenz! aber nur um Isabella von Lautrec aufzusuchen und vor ihr auf die Kniee zu stürzen. Er ist sehr s düster und schweigsam.

»Was spricht er von mir, sieht er mich noch als seinen Feind an?«

»Er würde Euch anbeten, Eminenz, wenn Ihr Isabella in seine Arme führt,« erwiderte de Lerida zähneknirschend.

»Da werde ich wohl für immer auf seine Verehrung verzichten müssen, « sagte Richelieu und ein höhnischer Zug umspielte seine Lippen.

»Wirtlich, wirklich?« rief de Lerida vor freudiger Aufregung zitternd. »Ihr denkt nie, nie daran, ihn mit Isabella zu vereinigen?«

»Niemals,« entgegnete in höchst bestimmtem Tone der Cardinal, »und wenn Ihr es zu Eurer Beruhigung wünscht, bin ich bereit es auf Frankreichs Ehre und Zukunft zu beschwören; wie Ihr wißt, ist dies der größte Schwur, den ich zu leisten vermag.«

»Habt Dank, tausend Dank!« hauchte de Lerida, und bevor es der Cardinal verhindern konnte, hatte er dessen Hände erfaßt und öfters geküßt.

Dann sagte er, vor einer Zelle im langen, breiten Corridore stehen bleibend: »Wir sind zur Stelle.«

Richelieu und der Novize traten ein. Die Zelle war unbeleuchtet. De Lerida zündete eine kleine Blendlaterne an, deren Licht er jedoch sorgfältig nach oben maskirte, so daß kein einziger Strahl nach der Zimmerdecke zu dringen vermochte.

Dann half er dem Cardinal eine kleine Leiter besteigen, welche er unter seinem Bette hervorgeholt und demselben gegenüber an die Wand gelehnt hatte. Hieran entfernte sich de Lerida aus der Zelle.

Knapp unter der Zimmerdecke schob Richelieu, der von dem was er nun zu thun hatte, schon im vorhinein gut unterrichtet schien, geräuschlos einen hölzernen Deckel zur Seite, steckte seinen Kopf in die Mauernische, die hinter demselben sich befand, und tastete an der Leinwand, auf die seine Finger stießen. – Bald hatte er auch hier sich zurechtgefunden, denn ein hervorstehender Lappen gab einem sanften Zuge nach und er konnte nun durch zwei kleine ovale Oeffnungen sehr bequem in die Zelle nebenan blicken. Diese Oeffnungen waren nichts Anderes, als die durch den Zug am gedachten Lappen beseitigten Augen eines lebensgroßen Christusbildes, dessen Rahmen in die Mauer selbst eingefalzt sich befand.

Das Gemach, in welches Richelieu blickte, war eine gewöhnliche, aber ziemlich geräumige Zelle, wie solche alle übrigen Bewohner des Klosters inne hatten. Der Cardinal hätte seine Anwesenheit beinahe durch einen Ausruf des Erstaunens verrathen, als er des Grafen von Moret, welcher, das Gesicht ihm halb zur Seite zugewendet, auf einem Betschämel kniete, ansichtig wurde.

Das Gemach war sehr düster und zwar nur von einer einzigen Ampel, welche oberhalb des Betschämels vor dem Madonnenbilde hing, erleuchtet. – Der Wiederschein, den das grünliche Glas, welches den obersten Rand der Ampel einfaßte, auf das nach dem Madonnenbilde aufblickende Gesicht Moret's warf, verlieh seinen eingefallenen verstörten Zügen eine entsetzliche Todesfarbe und man wäre in der That versucht gewesen, den Knieenden für eine Leiche zu halten, wenn nicht seine Brust gewagt, sein Athem gekeucht und sein Auge fieberhaft geglänzt hätte.

»O, diese fürchterliche Mitternachtsstunde,« preßte er mit vertrockneter Kehle von sich, und Frost schüttelte seine Glieder; o, diese fürchterliche Mitternachtsstunde! Werden auch heute die Gräber sich wieder öffnen und die Stimmen aus dem Jenseits warnend und strafend an mein Ohr tönen? Wahnsinn droht meinen Geist zu umnachten, denn nicht länger vermag ich die Schrecken zu ertragen, welche in jeder Nacht hier auf mich hereinstürmen. Gibt es denn keine Buße, keinen Bann, der mich davon zu befreien vermöchte?«

Im Corridor schlug die große alte Wanduhr die zwölfte Stunde.

Mit dem letzten Schlage sauste ein Windstoß durch die Zelle Morets. Die Ampel erlosch, eine sanfte Musik wie von Aeolsharfen tönte vor dem Fenster seiner Zelle, die in den Klostergarten ging. Allmälig verstummten aber diese lieblichen Klänge vor einem dumpfen grollenden Geräusche, das immer näher zu kommen schien. Ein das Auge blendender jäher Blitz durchzuckte plötzlich das Gemach und ein donnerähnlicher Schlag erfolgte. – Hierauf trat lautlose Stille ein, dichte Finsterniß herrschte. Auf einmal erhellte sich die weißgetünchte Wand gerade gegenüber der Stelle, wo Moret in stummer Angst, halb besinnungslos auf dem Boden kauerte. Der Schatten Heinrichs IV. wurde sichtbar und blickte seinen Sohn mit furchtbar drohender Miene an.

Die Wunden des Ermordeten klafften und schienen um Rache zu schreien. Ganz unmerklich verwandelte sich die drohende Erscheinung des Gemordeten so eine starre Leiche, neben welcher die frohlockenden Gestalten der Maria von Medicis und des Marschalls dAnere auftauchten. Diese Gestalten verblaßten allmälig; statt ihrer wurden die Umrisse einer Frau sichtbar, welche mit den Wellen kämpfte und vergeblich die Hände nach den Ufern ausstreckte, wo der Graf von Moret stand und gleichgültig dem Todeskampfe der Ertrinkenden zusah. Als die Arme in ihrem nassen Grabe spurlos verschwunden war, wölbte sich über demselben plötzlich ein herrlicher, festlich geschmückter Dom; vor dem Altare stand ein Brautpaar, bereit des Priesters Segen zu empfangen. – Isabella von Lautrec reichte ihre Hand dem Marquis de Pontis.

»Spiegelfechterei der Hölle!« schrie der Graf von Moret, dem das letzte Bild, das er heute zum ersten Male sah, alle Besinnung raubte. – Er raffte sich vom Boden auf, erhob seine Rechte und stürzte wüthend auf die Wand los. – In diesem Augenblicke aber verschwand der Spuk und dichte Finsterniß herrschte wieder in der Zelle. Das dumpfe Grollen, wie von einem fernen Donner, wurde wieder hörbar. Moret taumelte wie unsinnig eine Weile in dem Gemache hin und her. Einer Ohnmacht nahe, wankte er zum Fenster, stieß es auf und griff mit beiden Händen nach dem Gitter, um sich daran festzuhalten. Die erste Stunde nach Mitternacht schlug eben aus. Mit einem gellenden Schrei stürzte jetzt Moret zu Boden und wie vom Blitze getroffen blieb er regungslos und gelähmt, bis der Morgen graute.

Die ganze Stunde über, während welcher die soeben geschilderten Erscheinungen stattfanden, hatte sich Richelieu nicht von seinem Posten gerührt, sondern einen höchst aufmerksamen Beobachter aller Scenen abgegeben.

Einige Minuten nach ein Uhr trat de Lerida wieder ein. Er sah etwas echauffirt aus.

Der Cardinal, welcher inzwischen den geheimen Lug wieder entsprechend maskirt hatte und von der Leiter herabgestiegen war, sagte zu de Lerida:

»Ihr habt Eure Sache recht gut gemacht, aber mir scheint, die letzte Nervenerschütterung, die Moret bekam, war vielleicht doch etwas zu stark.«

»Mit nichten,« erwiderte de Lerida ruhig. »Ihr wißt wohl am besten, Eminenz, daß ich eher mein Leben zehnmal opfern würde, bevor ich das seine in Gefahr brächte.– Jedenfalls war der elektrische Schlag, den er heute bekam, etwas stärker als gewöhnlich; es ist aber nicht meine Schuld; der Apparat des Muster Gilbert scheint einer Vervollkommnung noch sehr bedürftig; bei einer und derselben Anzahl von Reibungen sind die elektrischen Funken nie gleich stark.«

Master Gilbert, ein Engländer, dessen de Lerida erwähnte, war einer der vorzüglichsten Experimental-Phhsiker seiner Zeit und wurde deshalb von den blödem abergläubischen Massen, selbst in seinem Vaterlande, als Hexenmeister arg verschrieen. – Er war es, der zuerst entdeckte, daß die Elektricität nicht ausschließlich dem Bernsteine zukommt, sondern eine allgemeine Eigenschaft der Körper sei, welche durch die entsprechende Reibung von irgend je zwei ungleichartigen Stoffen wahrnehmbar gemacht werden könne. – Gilbert war auch der erste Erfinder der Elektrisirmaschine und sein im Jahre 1633 erschienenes, in lateinischer Sprache geschriebenes Werk, welches den Titel » Neue Physiologie vom Magneten« führte, muß als Vorläufer und Grundlage der im Jahre 1671 zuerst gedruckten, in der Physik Epoche machenden »Experimenta Magdeburgica« des berühmten Otto von Guericke angesehen werden.

Richelieu hatte zufällig vor drei Jahren Gilbert in Paris kennen gelernt und denselben großmüthig in die Lage versetzt, kostspielige Experimente anzustellen, da sich auch bei ihm das Sprichwort »nemo probetheta in patria« bewahrheitete. Gilbert war es, der nun in Toulouse auf Befehl des Cardinals die »Spukzelle«, die Moret bewohnen sollte, eingerichtet und den gelehrigen de Lerida in den von demselben im Gebiete der Magie zu veranstaltenden Vorstellungen unterrichtet hatte.

 

Ueber die Leichtigkeit, womit sich der Graf von Moret durch diese heut zu Tage jedem Schulknaben bekannten Experimente täuschen ließ, dürfen wir uns keineswegs wundern. Kenntnisse in den Naturwissenschaften gehörten damals noch nicht zu den Erfordernissen einer guten Erziehung oder zu den unabweislichen Bedürfnissen des praktischen Lebens. Selbst die gebildetsten Cavaliere der damaligen Zeit hatten, obgleich sie in der Regel Virgil, Horaz und Homer beinahe auswendig wußten, es in der Botanik nicht über die galante Blumensprache, in der Zoologie nicht über die Elemente des Sports und in der Mineralogie nicht über die Edelsteinkunde hinausgebracht. Mechanik, Physik, Astronomie wurden als reine Fachstudien betrachtet, mit denen sich ein Gentleman, ohne sich herabzusetzen, eigentlich gar nicht befassen durfte. Sternkunde und Sterndeuterei waren noch identische Begriffe und die Astrologen fanden noch sehr guten Verdienst, selbst in den höchsten Regionen, wo der grasseste Aberglaube eben so gut herrschte wie unter dem Bürger- und Bauernstande. Sahen wir doch, daß Maria von Medicis, Gaston von Orleans, Coigneaux, Puy-Laurent u.s.w. auf Duvals Horoskop hin, welches den baldigen Tod Ludwigs XIII. Prophezeite, ihr ganzes Verhalten basirten!

Der Cardinal sann, nachdem de Lerida seine obige Meinung abgegeben, eine Weile nach und sprach dann:

»Ich hoffe, daß wir den armen Teufel da drüben mit den Spukgeschichten bald in Ruhe lassen können. Jedenfalls müßte eine neue Scenerie Platz greifen. Durch die wirklichen Ereignisse, welche morgen vorfallen werden, veralten die bisherigen Bilder von selbst. Gott befohlen, meine liebe Mathilde. Im Laufe des Tages sollt Ihr durch Latil weitere Nachrichten bekommen.«

Der Cardinal hüllte sich dicht in seinen Mantel und verließ die Zelle. De Lerida gab ihm das Geleite bis zur Pforte, vor welcher auf der Straße Latil seiner harrte.

Schweigend verfügten sich Beide in den nahen erzbischöflichen Palast, wo Richelieu für die Dauer seines Aufenthaltes in Toulouse zu wohnen beschlossen hatte.

Am nächstfolgenden Abende, als es kaum zu dunkeln begann, also gegen die sechste Stunde, verfügte sich Richelieu abermals nach dem Cupuzinerkloster.

Diesmal begab er sich direkt nach des Priors Zelle, der den hohen Besucher mit der größten Ehrerbietung empfing. Der Prior zählte zu den eifrigsten und verläßlichsten Anhängern des Cardinals.

»Ich danke Euch, mein lieber Dubois, für die Bereitwilligkeit und die Umsicht, womit Ihr meine Pläne unterstützt.«

Der Prior verneigte sich fast bis zur Erde.

»Sind die Beiden angekommen und ist Alles für dir Ceremonie bereit?« frug der Cardinal nach einer Pause.

»Alles wird nach Eurem Wunsche geschehen, Eminenz!« versicherte eifrig der Prior.

»Es weiß wohl Niemand in Eurem Kloster, daß der Bruder Antoine der Graf von Moret ist?«

»Außer mir und Bruder Fernandez, der ihn hierher brachte und die Zelle nebenan bewohnt, ahnt Niemand den hohen Rang des Büßers. Uebrigens glaubt ja die ganze Welt steif und fest, daß der Graf von Moret bei Castelnaudary den Tod gefunden habe.«

»Jedenfalls wird es gut sein,« bemerkte Richelieu, »den Bruder Antoine von hier fortzuschaffen; auch möchte ich ihn näher bei Paris zur Hand haben.«

Der Prior biß etwas piquirt auf die Lippen, denn es schmeichelte seinem Ehrgeize, und Pater Dubois war ungemein ehrgeizig, daß ihm vom Cardinal ein so wichtiges Geheimniß anvertraut worden war und nun sollte der Gegenstand desselben seinen Händen entschlüpfen.

»Und wann,« begann Pater Dubois nach einer Weile mit schlecht verfehltem Verdruße, »gedenken Ew. Eminenz den Bruder Antoine meiner Obhut zu entziehen?«

»Wer sprach denn davon, ihn Eurer Obhut zu entziehen?« entgegnete rasch der Cardinal. »Ihr und Bruder Fernandez werdet ihn begleiten, und auch ferner über ihn wachen.«

Pater Dubois war nicht nur sehr ehrgeizig, sondern such sehr neugierig; er vermochte es daher nicht über sich, die Frage, wohin er den hohen Büßer zu begleiten habe, zu unterdrücken.

»Nun, nach Rouen,« sagte Richelieu gelassen.

»Nach Rouen, hm! Hm!« bemerkte kopfschüttelnd Pater Dubois, »meines Wissens befinden sich dort zwar drei Capuzinerklöster, aber keines von meiner Regel.«

»Bruder Antoine soll in gar kein Kloster mehr gebracht werden.«

»In kein Klosters Ach Du mein Gott, Ew. Eminenz scherzt nur, wo soll denn ich dann in Rouen meinen Unterstand finden?.«

»Im bischöflichen Palais!« erwiderte Richelieu kurz, den die fieberhafte Neugierde des Prior amusirte.

»Im bischöflichen Palais?!« rief Pater Dubois, noch mehr den Kopf schüttelnd als zuvor.

»Ich glaube, daß der Bischof in sein Palais gehört.«

»Eminenz!« rief der Prior mit zitternder Stimme, während er vor innerer Aufregung bald blaß, bald roth wurde. »Eminenz! Ihr seid grausam in Eurer guten Laune!«

»Da lest und behaltet gleich diese Schrift!« sagte der Cardinal und reichte Pater Dubois ein Pergament, welches des Königs Unterschrift und Siegel trug. Es war wirklich die Ernennung des Pater Dubois für den erledigten Bischofssitz von Rouen.

Der Prior stürzte dem Cardinal zu Füßen und stotterte seinen Dank. Richelieu hob ihn auf und sagte:

»Man wirft mir eine allzugrausame Strenge gegen meine Feinde vor, aber ich glaube, daß meine Freunde um so weniger Grund haben, mit mir unzufrieden zu sein. Doch jetzt laßt mich zum Grafen von – wollte sagen, zu Bruder Antoine eilen.«

Der Prior schritt als Wegweiser voran und schloß die wohlversperrte Thür zu dem Seitentracte auf, in welchem ganz abgesondert von allen übrigen Insassen des Klosters die Zellen der Laienbrüder Antoine und Fernandez gelegen waren.

Der Gras von Moret befand sich also im Kloster in strenger Haft, da wohl Fernandez de Lerida, aber nicht er die erforderlichen Schlüssel besaß, um den genannten Seitentract nach Belieben zu verlassen. – Diese beiden Laienbrüder speisten nicht einmal im gemeinschaftlichen Refectorium und kamen mit den übrigen Patres und Fratres, die paar Betstunden im dunklen Chore ausgenommen, auch sonst in gar keine persönliche Berührung.

Der Graf von Moret kniete bei dem Eintritte Richelieu's in die Zelle wieder auf dem Betschämel. – Er war jetzt wo möglich noch blässer und verstörter als heute Nacht.

Als er den Cardinal, hinter welchem der auf dem Gange harrende Prior die Thür schloß, gewahrte, zuckte er leicht zusammen, sammelte sich aber bald und nachdem er den Betschämel verlassen, trat er dem Besucher ziemlich festen Schrittes entgegen, indem er dumpfen, unwilligen Tones sagte:

»Seit wann habt Ihr es Euch zum Geschäft gemacht, auch die Todten zu beunruhigen? Verfolgt mich Euer Haß, Eure Rache selbst bis hierher? Fließt nicht genug des Blutes auf dem Schaffote oder feiern etwa Eure Henker, daß Ihr Euch an den Martern meiner Seele laben müßt, nachdem Ihr mein elendes Dasein geschont?«

»Monseigneur!« erwiderte der Cardinal ruhig, »ich bin es zu sehr gewohnt, meine Handlungen falsch, das heißt zu hart beurtheilt zu sehen, und bei Euch finde ich die Bitterkeit Eurer Ausdrücke sogar gewissermaßen entschuldigt, weil Ihr alle Beweggründe, die mich bestimmten, so und nicht anders, als ich gethan, gegen Euch zu handeln, nicht kennt.«

»Ich verzichte im Vorhinein darauf, in Eure Machinationen des Nähern eingeweiht zu werden; selbst in meiner jetzigen Erniedrigung halte ich mich noch für viel zu gut, um durch Euer Vertrauen Euer Mitschuldiger zu werden,« entgegnete Moret hochfahrend und wandte sich verächtlich halb zur Seite. —

»Ei, ei!« sagte Richelieu gelassen, »Ihr habt es in letzter Zeit in Betreff der Mitschuld doch nicht gar so genau genommen, denn wenn ich schon so weit gehe, es mit dem sehr gewagten Ausdrucke einer bloßen Verirrung zu bezeichnen, daß Ihr, ein Sohn Heinrichs IV., Kopf und Hand dazu herliehet, um die Principien seiner auf Frankreichs Ruhm und Größe abzielenden Politik, eine Politik, die, nebenbei gesagt, noch die meinige ist, zu bekämpfen, so muß ich es jedoch Euch geradezu als eine namenlose Schmach, als ein schweres, kaum zu sühnendes Verbrechen anrechnen, Jemanden, der die Mörder Eures Vaters gedungen, Jemanden, der über das Gelingen der ruchlosen Frevelthat jubelte, Euch als Freund, als Helfershelfer angeschlossen zu haben. Nun, Anton von Bourbon, fühlt Ihr noch den Muth und die Berechtigung in Euch, mich, den Erben und den Verfechter der Ideen des großen Königs, mich, den die Vorsehung zu seinem Rächer bestellt, zu verachten, die Mitschuld an meinen Thaten als ehrlos zu brandmarken?«

Richelieu hielt inne und seine Augen schienen den Grafen von Moret zu durchbohren, in dessen Ohren die mit Kraft und Affekt gesprochenen Worte des Cardinals gleich den Posaunen des Weltgerichtes wiederhallten. Die Visionen der letzten Nächte zogen rasch an seinem geistigen Auge vorüber und seine erhitzte, krankhaft aufgeregte Phantasie ließ ihm in diesem Augenblicke Richelieu als ein überirdisches Wesen, als einen Boten des Himmels erscheinen, abgesandt, um ihn, den Lebendig-Todten, zu richten und zu strafen.

»Und Ihr könntet beweisen,« hauchte nach einer langen Pause der Graf von Moret, »Ihr könntet beweisen, daß es noch Jemanden gebe auf dieser Welt, der seine Hände in das Blut meines Vaters getaucht, daß ich diese verruchten Hände in Freundschaft gedrückt?«

»Schwört mir bei Eurer Ehre, bei dem Andenken an Euren unglücklichen Vater, daß Ihr als ein ewiges tiefes Geheimniß den Beweis, den Ihr verlangt, in Eurer Brust begraben wollt, und Ihr sollt ihn haben, zur Stelle haben.«

Der Graf von Moret erhob seine Rechte zum Schwure und sagte in furchtbar feierlichem Tone:

»Vor Gott und der Welt will ich ehrlos und verflucht sein in alle Ewigkeit, alle Hoffnung, meinen edlen Vater dort im Himmel wieder zu sehen, soll für mich unwiederbringlich verloren sein, wenn ich das Geheimniß je verrathe, so Ihr mir mittheilen werdet.«

Richelieu zog aus seiner Brust jenes verhängnißvolle Blatt Papier, welches ihm einst der König in Chaillot übergeben und welches der Cardinal bei seiner Audienz in Versailles fälschlich als bereits vernichtet bezeichnet hatte.

Der Graf von Moret las mit fieberhafter Hast Ravaillacs letztes Bekenntniß. Der Cardinal erläuterte ihm mit kurzen Worten, wie es in Ludwig XIII. und dann in seinen Besitz gelangt sei.

Mit zitternden Händen gab Moret das inhaltsschwere Pergament dem Cardinal zurück. Sein ohnehin blasses Gesicht wurde nun erdfahl und um nicht umzusinken, mußte er sich auf den harten Stuhl, der neben seinem Lager stand, fallen lassen.

Reue und Verzweiflung spiegelten sich in den Mienen des unglücklichen jungen Mannes auf eine wahrhaft Erbarmen erregende Weise.

Wohl an zehn Minuten verbrachte Moret stumm in dieser fürchterlichen Lage; dann aber raffte er sich mühsam auf, wankte auf Richelieu zu und sagte mit hohler Stimme und irrem Blicke:

»Ihr habt Recht, Cardinal, ich bin ein ehrloser Verbrecher geworden durch meine Gemeinschaft mit Maria von Medicis; es gibt keine weltliche Strafe, die mein Vergehen zu sühnen vermöchte. Ich bin nicht einmal würdig, ein Schaffot zu besteigen, ich muß also leben, lange leben; nur die fürchterlichen Qualen, die mir jeder Augenblick meines vergifteten Daseins bereiten wird, können vielleicht dereinst meinen unglücklichen Vater dort oben im Himmel versöhnen. – Sprecht,« fuhr der Unglückliche halb wahnwitzig fort und streckte flehend die Hände dem Cardinal entgegen, »sprecht, welcher Jammer soll heute noch hereinbrechen über mich, damit meine Sühne noch heute beginne; sucht ihn aus den schrecklichsten aller Schmerzen, der mich noch zu treffen, mein Herz zu zerfleischen vermag; ich bitte, ich beschwöre Euch, schont mich nicht, ich will. Leiden, unsäglich leiden!«

Ein Schatten des Unmuthes über sich selbst überflog Richelieus Züge. – Die Verzweiflung und die Seelenleiden des erbarmungswürdigen Moret gaben sich in solch erschütternder Weise kund, daß selbst das steinerne Herz des Cardinals eines Anwandlung von Gewissensbissen verspürte. – Aber gewohnt, die Menschen ohne Unterschied des Standes und Ranges nur als Werkzeuge seines Willens und seiner Pläne zu betrachten und zu behandeln, unterdrückte er schnell die gedachte sentimentale Regung seines Gemüthes als ungehörig und sein Ziel wieder ins Auge fassend, ergriff er den Büßer am Arme, indem er sagte:

»Kommt, Bruder Antoine, – der Prior, welcher draußen harret, wird Euch auf den Chor geleiten; was dort Ihr seht und hört, soll der Anfang Eurer schweren Buße sein.«

 

Der Graf von Moret hüllte sich wie vom Froste geschüttelt, fester in seine Kutte und nachdem er die Capuze tief über das Gesicht gezogen, folgte er wie ein Automat den Schritten Richelieus auf den Corridor hinaus, wo der Prior und Bruder Fernandez bereits ihrer warteten. Diese Beiden nahmen den armen Büßer der halb besinnungslos dahin wankte, in ihre Mitte; der Cardinal verlor sich unbemerkt, als man den Haupttrakt des Klosters erreicht hatte.

Der Prior und Bruder Fernandez lenkten ihre Schritte nach dem Chor und postirten dort Moret, der ganz willenlos sich benahm, an ein Gitter, durch welches man auf den Hauptaltar unterhalb zu sehen vermochte.

Moret fiel mechanisch auf die Knie und lehnte seine brennendheiße Stirne an das Eisengitter, dessen eisige Kälte ihm wohlzuthun schien.

Inzwischen zündeten die Ministranten unten im Schiffe der Kirche und an dem Hochaltare sämmtliche Wachslichter an. Eine besonders feierliche kirchliche Ceremonie schien noch in so später Stunde, es war bereits gegen neun Uhr geworden, bevorzustehen.

Die große Orgel intonirte einen Ritualgesang; das Schiff der Kirche begann sich im Hintergrunde allmälig mit Menschen zu füllen, die sich nach und nach immer weiter vorschoben. – Eine Spalier königlicher Garden schloß den Raum in der Nähe des Hochaltares ab und ließen in denselben nur einzelne wenige Personen männlichen und weiblichen Geschlechtes eintreten, welche offenbar durchaus den höhern und höchsten Ständen angehörten.

Endlich öffnete sich die Thür der Sakristei. Eine dicht verschleierte, prachtvoll gekleidete Dame trat um Arme eines jungen, eben so schönen als eleganten Cavaliers zu dem Tabourete, welches dem Altare gegenüber aufgestellt war. Diesen Beiden folgten vier andere Cavaliere unmittelbar nach und stellten sich zur rechten und linken Seite des Paares auf.

Einige Minuten später erschien ein Priester im Festornate mit zahlreichem Ministrantengefolge.

Kein Zweifel, es sollte jetzt eine Trauung vor sich gehen, Theilnahmslos hatte bis zu diesem Augenblicke der Graf von Moret durch das Gitter nach dem Hochaltare hinabgestarrt. Als er aber den überglücklichen und stolz um sich schauenden Bräutigam gewahrte, stockten alle seine Pulse und die Erinnerung an seine nächtlichen Visionen trat mit aller Macht vor seine Seele.

»Es ist Pontis, Pontis!« feuchte er dumpf vor sich; krampfhaft schüttelte er an den massiven Eisenstäben und drückte dann an diese sein von Fieberhitze geröthetes Antlitz.

Der Priester begann die Ceremonie.

Die Braut schlug den Schleier zurück; Moret preßte sein Antlitz noch fester an das Gitter, aber dennoch vermochte er nicht ihre Züge zu erkennen, weil sie ihm zur Seite abgewandt stand.

Marquis de Pontis erwiderte auf die Frage, ob es sein ernstlicher Wille sei, die neben ihm stehende Isabella von Lautrec zum Eheweibe zu nehmen, mit einem frohen lauten »Ja«.

Die Braut vermochte nicht auf die ähnliche Frage des Priesters zu antworten, denn kaum war aus dem Munde des Marquis de Pontis das » Ja« erschollen, als ein gellender, markerschütternder Schrei, der nichts menschliches an sich hatte, hinter den Gitterstäben eines der Chorfenster ertönte und allen Anwesenden das Blut erstarren machte.

Erschrocken wie alle Uebrigen wandte auch die Braut ihr Antlitz nach der Stelle, von woher der Schrei gekommen.

»Isabella!« kreischte dieselbe Stimme in dem nämlichen durchdringenden Tone. Und nochmals begann derselbe Schrei zu erzittern, aber dieses Mal schien schon die erste Sylbe erstickt worden zu sein.

Isabella von Lautrec wurde todtenbleich. Umsonst versuchte sie sich zu fassen, ihr schwindendes Bewußtsein zu fesseln. Sie allein von allen Anwesenden hatte diese Stimme erkannt, sie allein ahnte jetzt, daß Moret noch zu den Lebenden zähle. De Pontis versuchte vergeblich ihr Muth einzusprechen, sie über diese sonderbare Störung zu beruhigen. Auch der Priester zeigte sich bereit, die unterbrochene heilige Handlung fortzusetzen. Doch war letzteres unmöglich geworden, denn Isabella, dem Kampfe, der in ihrem Innern wüthete, unterliegend, wurde blaß und kalt wie Marmor und sank ohnmächtig in die Arme ihres zu Tod erschrockenen Bräutigams.

Allein und Verzweiflung im Herzen kehrte de Pontis in sein bräutlich geschmücktes Haus zurück.

Isabella von Lautrec wurde zu Frau von Cambalet gebracht, welche ihren Oheim auf der Reise nach Toulouse begleitet hatte.

Während der Unordnung, welche in Folge dieses ungeahnten Zwischenfalles in der Kirche herrschte, war Richelieu, der hinter einem anderen Chorfenster stand, zu Moret geeilt, welchen der Prior und de Lerida glücklich geknebelt und gebunden hatten, bevor er sich durch weitere Ausrufe näher zu verrathen vermochte.

Moret, welcher inzwischen bewußtlos geworden war« wurde nun rasch in seine Zelle getragen.

Dort kam er alsbald wieder etwas zu sich. Chicot, des Cardinals Leibarzt, der eiligst herbeigerufen worden war, untersuchte genau des Leidenden Zustand. Vor Allem fand er die Anwendung eines tüchtigen Aderlasses für nothwendig.

Der Kranke sprach irre und schien am ganzen Leibe wie gelähmt.

»Nun, Chicot!« frug nach einer guten halben Stunde der Cardinal in gespanntester Erwartung, »wir steht es mit dem Patienten?«

»Eminenz!« erwiederte Chieot, »es ist eine gewaltige Geistesstörung eingetreten und ich fürchte, daß es vielleicht Jahre brauchen wird, um den Kranken wieder herzustellen, wenn dies überhaupt noch möglich ist.«

Der Cardinal kniff die Lippen zusammen, blickte düster vor und abermals überflog ein Schatten des tiefsten Unmuths seine Züge.

»Wann wird der Kranke im Stande sein« eine Reise in einer Sänfte zu ertragen?« frug er dann kurz.

»Zu jeder Stunde und ich wünsche es sogar, daß er baldigst diesen Ort verlasse, in welchem seine Heilung in vorhinein als unmöglich angesehen werden müßte.«

»Glaubt Ihr, daß sein Wahnsinn in Tollsucht ausarten könnte?«

»Das bezweifle ich zwar, Eminenz, aber Vorsichtsmaße regeln werden immerhin nothwendig sein.«

»Chicot! mir liegt sehr viel an diesem Mann, so viel als an meinem eigenen Leben. Ihr erweist mir daher den Gefallen, den Kranken persönlich nach Rouen zu geleiten. Ihr und Bruder Fernandez werdet Euch Dubois, den neuen Bischof von Rouen, der morgen schon sich auf die Reise macht, anschließen.«

Chicot verbeugte sich gleich Dubois und de Lerida, welche ebenfalls in der Zelle Moret's anwesend waren.

»Kennt Ihr Euren neuen Patienten näher oder gar schon von früher her?« frag dann der Cardinal und blickte seinen Leibarzt auf eine etwas sonderbare Weise an.

Chicot diesen Wink verstehend, erwiderte rasch:

»Der Kranke besitzt zwar einige Aehnlichkeit mit Anton von Bourbon, der in der Schlacht bei Castelnaudary fiel; aber ich kenne den Mann da schon von Kindheit an und kann daher Jedermann, der es will, erzählen und beweisen, daß es nicht der Graf von Moret ist.«

»Ich hoffe,« entgegnete Richelieu bedeutsam, »daß Ihr unter »Jedermann« nöthigenfalls sogar Seine Majestät unseren allergnädigsten König verstehen werdet?«

»Eminenz! Lächelte Chicot, »ich glaube mich Euch gegenüber noch nie begriffsschwer erwiesen zu haben; es handelt sich also nur, daß Monseigneur Dubois und jener junge Spanier mit mir auf der gleichen Höhe einer Euch entsprechenden Fassungsgabe sich befinden.«

»Monseigneur Dubois und Cabalero de Lerida,« erwiderte Richelieu, »werden Euch nie Lügen strafen, mein lieber Chicot, und ich wünschte nur, daß Eure Kunst an Bruder Antoine sich ebenso glänzend bewähren möge, als die bisherigen Bemühungen Eurer beiden künftigen Helfer für den Augenblick leider etwas zu erfolgreich gewesen sind.«

»Eminenz!« sagte Chicot, den Irrsinnigen, der theilnahmslos auf seinem Bette kauerte und mit irren Blicken das Gemach und die Anwesenden musterte, als ob er durchaus neue ihm unbekannte Dinge wahrnehme, »Eminenz! wie schon gesagt, es wird eine lange Cur werden und eine gänzliche Herstellung bleibt zweifelhaft.«