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Der Graf von Moret

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X.
Dichterleiden und Freuden

Der entscheidende Sieg, welchen die Franzosen bei Avesne über die Spanier erfochten hatten, beseitigte jede Gefahr einer abermaligen, die Sicherheit von Paris und des nördlichen Frankreichs bedrohenden Invasion.

Richelieu, welcher nunmehr in dieser Beziehung schwerer und bedenklicher Sorgen entledigt war und von den Hofintriguen nichts Ernstliches, wenigstens vor der Hand zu befürchten hatte, lenkte jetzt nicht nur spielend die innere Verwaltung des Reiches, sondern griff auch, wo es Noth that, energisch in die Oberleitung der französischen Armeen ein, welche in Navarra, in Piemont, am Rhein und in Flandern standen.

Während drei gewöhnliche Menschen hierdurch vollauf beschäftigt worden wären, sah Richelieu jetzt seine Zeit kaum zu zwei Drittheilen ausgefüllt; er machte sich also daran, verschiedene Lieblingsideen, die ihm schon lange am Herzen lagen, ihrer Verwirklichung zuzuführen.

In erster Reihe nahm er die Gründung der Académie francaise vor, welche er reich dotirte und mit vielen Vorrechten ausstattete.

Dann ging er inmitten der größten Kriegswirren an die Schöpfung einer eigentlichen französischen Handelsmarine, welche damals fast nur Küstenfahrzeuge besaß, denn die überseeische Schifffahrt von und nach den französischen Häfen lag, ganz und gar in den Händen der Engländer, Holländer und Italiener. Frankreich besaß zu jener Zeit keine zwanzig Schiffe zur langen Fahrt, was hauptsächlich in dem gänzlichen Mangel einer französischen Kriegsmarine begründet war, wie denn Frankreich bis dahin zur See so viel wie nichts geleistet hatte.

Als aber schon nach ein paar Jahren einige respectable französische Fregatten auf der hohen See schwammen, erwachte mit einem Male die Spekulation für überseeische Schifffahrt und Unternehmungen derart, daß Richelieu, der eine eigene Intendanz des Handels und der Marine geschaffen, den Grund zur »Compagnie des Indes« legen konnte, welche bald sehr erfreulich zu gedeihen begann.

Auch die französische Literatur und namentlich das französische Theater nahmen unter der Aegyde des Cardinals einen bis dahin ungeahnten Aufschwung Richelieu beschloß nunmehr die Ausführung von »Mirame«, dessen Inhalt und Tendenz dem Leser bereits im dritten Bandes angedeutet wurden.

Der vornehme, sonst so sparsame Autor verwendete auf die Ausstattung dieses Stückes nicht weniger als einmal hunderttausend Thaler.

Die Proben, welche mit »Mirame« abgehalten wurden, dauerten mehrere Monate, für den armen Desmarets, der, wie wir schon wissen, seinen Namen als Verfasser hergeliehen hatte, eine lange qualvolle Zeit von Leiden und Prüfungen aller Art.

Eine der Generalproben war Ursache, daß Bois-Robert bei dem Cardinale in Ungnade fiel und erst nach ein paar Jahren wieder Verzeihung erhielt.

Bei einer der Proben bekam Bois-Robert, der eine Art Regisseur vorzustellen hatte, die Weisung, Schauspieler, Schauspielerinnen und Schriftsteller einzulassen, aber nur diese. Richelieu wollte sich überzeugen, wie das Stück auf Sachverständige wirke.

Die Weisung war eine ganz bestimmte; Bois-Robert jedoch konnte nichts abschlagen, wenn man recht dringend bat.

Ein hübsches, ziemlich schlecht beleumundetes Mädchen, Namens Saint-Amour, welche eine Zeit lang bei der Truppe Mondoris gewesen, drang so in ihn, daß er auch ihr den Zutritt gestattete, jedoch nur unter der Bedingung, daß sie dicht verschleiert bleibe.

Die Saint-Amour aber konnte es sich nicht versagen, den Schleier zu lüften, um Gaston von Orleans, der zufällig von Blois auf Besuch in Paris und bei der Probe anwesend war, einige sehr zweideutige Blicke zuzuwerfen.

Gaston, welcher nie eine Gelegenheit vorübergehen ließ, um Richelieu zu ärgern, sagte dem Könige, daß das neue Stück viel Anrüchiges enthalte und daß man zur Probe sogar die berüchtigte Saint-Amour zugelassen habe.

Der Cardinal wurde über letzteres wüthend, als er diese Aeußerungen Monsieurs erfuhr, und kam bald darauf, daß Bois-Robert der Verbrecher gewesen; er ließ ihn holen.

»Eminenz,« entschuldigte sich der Spaßmacher, »ich war der Meinung, alle Schauspielerinnen und Schriftsteller dürften zur Probe gelassen werden und die Saint-Amoar gehörte doch auch zum Theater.«

»Sie steht aber im allerschlechtesten Rufe.«

»Das ist wohl möglich,« entgegnete Bois-Robert gelassen, »aber in gutem Rufe steht gar keine.«

»Ihr habt aber dem Könige und mir einen Verdruß bereitet; geht!«

Alle Bitten halfen nichts. Bois-Robert wurde nach Rouen verbannt.

»Mirame« fiel bei der ersten Aufführung mit Eclat durch. – Richelieu begab sich noch denselben Abend nach Ruelle bei Paris, weit bitterer gekränkt und mißgestimmt, als nach dem famosen Tölpeltage.

Am andern Tage suchte ihn dort klopfenden Herzens der arme Desmarets auf.

Der Cardinal empfing ihn jedoch weniger rauh, als er befürchtet hatte, und rief that schon beim Eintritte entgegen:

»Mordieu! Ich fürchte, die Franzosen werden nie guten Geschmack besitzen, denn,»Mirame« hätte ihnen sonst gefallen müssen!«

»Eminenz!« erwiderte Desmarets rasch, froh aufathmend, »die guten Franzosen sind dabei vielleicht weniger schuldig, als sie es in Euren Augen erscheinen.«

»Wie!« rief der Cardinal erstaunt einen Schritt zurücktretend und die Stirne runzelnd. – Er vermeinte, Desmarets habe die Frechheit, den Mißerfolg dem Machwerke selbst zuzuschreiben.

»Ganz gewiß, Eminenz!« fuhr Desmarets ruhig fort, »war das Publikum im vollen Rechte, denn die Schauspieler spielten mehr als miserabel.«

Richelieus Antlitz heiterte sich auf und er sagte hastig: »Da ließe sich wohl Abhilfe treffen?

»Ich verbürge für die nächste Vorstellung den rauschendsten Beifall, falls mir Euer Eminenz freie Hand gibt, aber —«

»Nun, aber —«

»Es wird einiges Geld kosten.«

Statt aller Antwort schellte Richelieu heftig nach Charpentier, und rief, als derselbe eintrat:

»Ihr werdet Herrn Desmarets jede beliebige Summe, die er zum Arrangement der zweiten Vorstellung von »Mirame« benöthigt, ohne mich weiter zu fragen, ausbezahlen und solltet Ihr dabei bis auf den Grund meiner Casse langen müssen.«

Charpentier und Desmarets verbeugten sich. Letzterer begann:

»Ist es Euer Eminenz genehm, daß die zweite Vorstellung heute über acht Tage stattfinde?«

»Wie, schon in acht Tagen?« sagte der Cardinal freudig überrascht.

Desmarets nahm eine zuversichtliche Miene an und erwiderte: »Ja Eminenz, heute über acht Tage soll ganz Paris in Entzücken schwimmen.«

Der Pseudoautor hatte hiermit nicht zu viel versprochen, Desmarets war ein noch weit besserer Arrangeur als Dichter. Er stellte jedem der Schauspieler die Wahl zwischen einer Gratifikation von 100 bis 1000 Pistolen und der Bastille frei. Dann wurde eine kleine Armee,von Cardinalisten ins Theater commandirt und sämmtliche Hauptschreier von der Gegenpartei mit klingenden Gründen gewonnen.

Bei der zweiten Vorstellung leisteten Schauspieler und Publikum ihr Möglichstes. »Mirame« gefiel jetzt und in den nächstfolgenden Vorstellungen wirklich und auf die Dauer stimmte auch das große Publikum, welches damals ebenso skandalsüchtig war wie heute, in die große Lobposaune der ersten Abende ein, seit es ein öffentliches Geheimniß geworden war, daß das ganze Stück nichts Anderes sei als eine bittere Satyre auf die Königin Anna und ihre Liebe zu Buckingham.

Wen es interessiren sollte hierüber Näheres zu erfahren, möge die Bibliothèque du Theâtre francais, depuis son origine, tom. II. p. 569 u.s.w. Einsehen.

Richelieu fühlte sich jetzt wieder ganz glücklich und es gereuten ihn keinen Augenblick die 200.000 Thaler, welche die Wiederaufnahme der Vorstellungen zu »Mirame« seinem Säckel gekostet hatte. Seiner Marotte war Genüge geleistet und mit verdoppelter Energie und Lust arbeitete nun wieder der erste Minister, seit der Dichter Richelieu seine jedenfalls kostbaren Lorbeeren sich aufs Haupt gesetzt. – Dieser als Staatsmann so große Mann war eben auch nur ein Mensch, und da Frankreich nie Grund hatte zu klagen, daß des Cardinals persönliche Schwächen der Ehre und dem Wohle des Landes Eintrag thaten, so verdienen diese Schattenseiten seines Charakters eine weitaus mildere Beurtheilung, als sie von der Nachwelt mitunter gefunden haben.

Richelieu befand sich an einem der Septembertage des Jahres 1637 besonders guter Laune. – Die Witterung war vortrefflich; er beschloß daher zu Wagen, in Frau von Combalets Gesellschaft einen kleinen Abstecher auf seine Besitzung in Ruelle zu machen und klingelte deshalb gegen zwei Uhr Nachmittags nach Cavois, um demselben seine Befehle wegen der beizustellenden Escorte zu geben.

Der Gardecapitän, der vor ein paar Monaten einen schweren Sturz vom Pferde gethan, hinkte in das Zimmer und zwar, wie wir zu vermuthen Grund haben, etwas mehr als sein Zustand wirklich mit sich brachte.

»Oho!« rief ihm der Cardinal cordial entgegen, »will denn Euer Uebel sich durchaus nicht geben?«

»Eminenz!« entgegnete Cavois sein Gesicht so kläglich verziehend, als es ihm nur immer möglich war, »wenn es so fortgeht, werde ich bald nach der Krücke langen müssen.«

»Mein Gardencapitän auf Krücken,« lachte der Cardinal, »das würde sich nicht übel machen.«

Cavois, des Cardinals günstige Stimmung ersehend, nahm sich das Herz, heute einen schon lange beabsichtigten Coup zu wagen.

»Ja, Eminenz,« begann er von Neuem mit einer Jammermiene, »ich bin ein lahmer Invalide und Ihr werdet bald Gelegenheit haben, den Nachfolger Eures armen Cavois zu ernennen.«

»So, so,« sagte Richelieu, nachdem er seinen Gardecapitän einen Augenblick scharf fixirt hatte; » mein lieber Cavois, gib Dir nicht gar so viele Mühe, ein Leichenbittergesicht zu schneiden; Du bist zur Verstellung nun einmal nicht geboren und deshalb wirst Du Dir auf diese Art Deinen Abschied nicht erschleichen; sage es lieber offen heraus, Du bist bereits zu alt, zu dick und – zu reich, um länger dienen zu wollen.«

 

»Zürnt mir Eure Eminenz, wenn es so wäre?« frug Cavois den Cardinal, welchem er sonst vom Herzen treu ergeben war, ängstlich anblickend.

»Nein, nein, mein lieber Cavois,« erwiderte Richelieu rasch und klopfte dem Capitän vertraulich auf die Schulter, »daß Du zu reich geworden bist, ist ja am Ende nur meine Schuld; wie viel hat Dir und Souscarières bis jetzt das Privilegium mit den Sesseln eingetragen?«

»Von meinem Antheile habe ich durch die sieben Jahre bis zum letzten vorigen Monats mir 419.720 Livres bei Seite gelegt.«

»Ein nettes Sümmchen und ich wundere mich jetzt nur, daß Du nicht auf beiden Füßen hinkst und überdies die Arme in der Schlinge trägst, also, mein lieber Cavois, gehe nach Hause, bewahre mir ein freundliches Angedenken und grüße mir Deine Frau, die sich hoffentlich von heute an nicht mehr über mich beschweren wird.«

»Ihr grollt mir wirklich nicht, Ihr haltet mich für keinen Undankbaren?« rief der gute Cavois, dem die Thränen über die Wangen rollten vor Freude und Rührung.

Richelieu reichte Cavois die Hand und sagte: »Nein, nein, sei unbesorgt, und wenn heute oder morgen der Tod meinem Lager naht, dann, mein alter, wackerer Diener, hoffe ich Dich in meinen letzten Augenblicken wiederzusehen.«

»Möge mir dieser Schmerz und Frankreich dieses Unglück noch recht lange erspart bleiben,« erwiderte Cavois mit halberstickter Stimme und wankte zur Thür hinaus.

Auf ein anderes Zeichen trat nun Latil ein.

»Stephan,« sagte Richelieu, »der gute Cavois hat soeben seinen Abschied erhalten und bis ich seinen Nachfolger ernenne, wirst Du meine Garden befehligen.«

»Eminenz!« entgegnete Latil kurz, »man ist an Euch nicht gewohnt, daß Ihr eine und dieselbe Arbeit doppelt thut.«

»Was will dein vorwitziges Maul damit besagen?«

»Entschuldigt, Eminenz, aber Cavois' Nachfolger ist bereits ernannt.«

»Und wer wäre derselbe?«

»Meine Wenigkeit!« entgegnete der Gascogner trocken, riß seine Brieftasche heraus und reichte dem Cardinal einen Zettel, worauf geschrieben stand:

»Ich ernenne den Stephan von Latil zum Nachfolger meines Gardekapitäns Cavois.

Richelieu.«

Diese Zeilen hatte der Cardinal im Gehöfte bei Melun dem Gascogner am 18. April 1630, also vor mehr als sieben Jahren, ausgestellt.

Jetzt erst erinnerte sich Richelieu daran, und die Blöße, die er sich gegeben, geschickt maskirend, sagte er lächelnd:

»Ich sehe, Stephan, daß man Dich ohne Sorgen auch zur Aufbewahrung von wichtigen Schriften verwenden kann. Du hast deine Probe gut bestanden. – Also, Herr Gardekapitän, laßt Eure Leute antreten und wählt mir meine gewöhnliche Eskorte zur Spazierfahrt nach Ruelle; Punkt elf Uhr werde ich auf dem Rückwege bei dem Magdalenenkloster halten, wo Ihr mich erwartet.

Latil salutirte und wollte abtreten. Der Cardinal rief ihn zurück und sagte:

»He, was machen denn die jungen Herren von Latils, meine Pathen?«

»O, Eminenz, das ganze halbe Dutzend befindet sich sehr wohl und der älteste, der mit Ew. Eminenz Erlaubniß Euren Taufnamen Armand erhielt, exercirt bereits famos in der Uniform eines Garden. Der kleine sechsjährige Kerl reitet schon wie der Teufel aus dem alten Pony, welcher einst dem Georges Gravé gehörte.«

»Gut, daß Du mich an mein Murmelthier erinnerst,« bemerkte Richelieu und warf eine Notiz auf ein Blatt Papier. »Der König will ihn nach Paris kommen lassen und zum Ritter schlagen, zur Belohnung für den Heldenmuth, den er vor zwei Monaten in Flandern bei der Erstürmung von Tournay bewies. Auch seine jüngeren Brüder, die ich sammt der alten Mutter nach Frankreich kommen ließ, haben sich schon recht wacker herumgebalgt.«

»Für das bucklige Scheusal von einem Pisani hat Ew. Eminenz wirklich einen guten Tausch gemacht, einen Tausch, der mich noch heute reut. – Wenn wenigstens das Wartegeld von fünf Pistolen per Woche noch länger angedauert hätte, aber bei Castelnaudary mußte ich ja meine wandelnde Rente eigenhändig aus der Welt schaffen.«

»In meinem Dienste sollst Du nie zu Schaden kommen,« entgegnete Richelieu lächelnd. »Charpentier wird Dir daher den ganzen Nachtrag und die fünf Pistolen per Woche fortan so lange ausbezahlen, bis auch meine gute Freundin, die Frau Katharina von Rambouillet ihrem edlen Sohne in das Jenseits nachfolgt.«

»Die Frau Marquise möge lange leben!« rief Latil.

»Sich zur Qual,« murmelte Richelieu, der ihr die schnöde Abweisung seines Antrages noch immer nicht vergessen konnte.

XI.
Richelieu als Grotesktänzer

Um zehn Uhr Nachts hatte sich bereits der neuernannte Capitän der Leibgarden Seiner Eminenz des Herrn Cardinal-Ministers in der Nähe des Magdalenenklosters eingefunden. Er so wie die vier Garden, welche ihn begleiteten, hatten ihre auffallenden Uniformen abgelegt, und sich wie gewöhnliche Landedelleute costumirt.

Wenige Minuten vor elf Uhr hielt etwa hundert Schritte vom gedachten Kloster entfernt der Wagen Richelieus, in welchem sich auch Frau von Combalet befand.

Der Cardinal verließ den Wagen, welcher mit der Dame und, von der Gardeescorte geleitet, seinen Weg nach dem Place Royal weiter verfolgte.

In dem Nonnenkloster, an dessen Pforte auf Richelieus Befehl Latil gepocht hatte, verursachte die plötzliche Erscheinung des Cardinal-Ministers große Sensation.

Die Oberin, von dem hohen Besuche rasch unterrichtet, stürzte aus dem Chore, wo die Nonnen sich eben zum Mitternachtsgebete versammelt hatten, athemlos herbei und frug demüthig um die Befehle des allgewaltigen Mannes.

»Bescheidet Frau von Fargis in das Sprechzimmer und tragt Sorge, daß wir ungestört bleiben,« gebot Richelieu kurz, während er die Richtung nach dem ihm schon von früheren Zeiten her wohlbekannten Sprechzimmer einschlug.

Zehn Minuten später traf er dort die Gerufene, welche, wie wir schon in einem vorhergehenden Capitel erwähnten, kurz nach dem Tölpeltage in diesem Kloster internirt worden war.

Die sieben Jahre, welche der Kobold du Fargis in diesen heiligen Räumen ununterbrochen verbracht hatte, schienen an dieser Büßerin in jeder Beziehung spurlos vorübergegangen zu sein, denn sie erschien noch so frisch und rosig, ihr Auge glänzte noch so lebendig-schelmisch als zur Zeit, wo wir sie als die Schlange der Eva Anna kennen lernten. – Selbst an ihrer graziösen, mitunter etwas ungenirten Haltung des Leibes und an der gazelleaartigen Leichtigkeit ihres Ganges hatte sie nichts eingebüßt.

Freilich war die du Fargis, obwohl sie das Ordenskleid trug, keine Nonne, sondern nur der Zwitter einer Novizin, deren damals fast jedes Frauenkloster in Menge aufzuweisen hatte, da diese Orte theils als freiwillige Pensionate, theils als Staatsgefängnisse in sehr umfassender Weise in Anspruch genommen waren. Von diesen Insassen, besonders wenn sie Vermögen besaßen und vom Stande waren, wie die du Fargis, wurde die Beobachtung der Hausordnung, geschweige jene der Ordensregeln, nur in äußerst nachsichtiger Weise gefordert.

Madame du Fargis machte vor dem Cardinale ein so übertrieben devote Verbeugung, daß man derselben die Absicht zu carriciren ansehen mußte.

Richelieu trat auf sie zu, ergriff ihre Hand und indem er sich Mühe gab, ebenso wohlwollend als jovial zu erscheinen, sagte er:

»Es freut mich Euch so munter zu sehen.«

Die Schelmin verdrehte fromm die Augen und näselte indem sie die Hände über ihrem üppigen Busen faltete, höchst salbungsvollen Tones:

»Die Entbehrung sündiger Freuden ist es, welche das Herz bereichert.«

»Und solltet Ihr die sündigen Freuden der Welt seither wirklich gänzlich entbehrt haben, so daß Euer Herz bereits geistige Schätze zu sammeln vermochte?« frag der Cardinal spöttisch.

»Eminenz!« erwiderte Madame du Fargis im obigen Tone, »darüber müßt Ihr meinen Beichtvater befragen!«

»Hm!« bemerkte der Cardinal, mit den Augen etwas sonderbar zwinkernd, »Pater Harlincourt scheint mir viel zu nachsichtig gegen Euch zu sein und zu oft nach Eurem Willen zu thun; ich werde Euch einen älteren, häßlicheren und strengereren Gewissensrath besorgen, meine liebe du Fargis.«

»Nicht doch! fiel Madame du Fargis rasch ein, »ich bin mit seiner Methode und seinen Leistungen ganz und gar zufrieden, und da bei einem Arzte und einem Beichtvater das Vertrauen die Hauptsache ist, würde Eure übrigens wohlwollende Absicht meiner Buße und Besserung nur gewaltig Abbruch thun.«

»Im Ganzen,« fuhr Richelieu fort »weilet Ihr wohl schon lange genug in diesen Räumen, damit Eure Buße und Besserung endlich zum Durchbruche kommen könnte, aber,, aber ich fürchte sehr, daß dieser Augenblick nie eintreten wird und deshalb —«

Der Cardinal hielt absichtlich inne und betrachtete Madame du Fargis, deren Antlitz die gespannteste Neugierde verrieth, denn sie ahnte, daß Richelieus Besuch durch einen besonderen und wichtigen Grund herbeigeführt worden sei, welchen sie nunmehr kennen lernen sollte.«

»Deshalb,« begann Richelieu nach einer sehr langen Pause, sich an der verzehrenden Neugierde seiner bisherigen Feindin weidend, »deshalb möchte ich es beinahe als resultatlos aufgeben, Eure Buße noch länger fortzusetzen.«

Der Madame du Fargis entschlüpfte ein unwillkürliches Ah! der größten und freudigsten Ueberraschung, denn der Cardinal errieth offenbar die Absicht, den Käfig, welcher seit sieben vollen Jahren einen so lockeren Vogel beherbergte, zu öffnen.

»Eminenz!« rief Madame du Fargis mit von Aufregung zitternder Stimme, »jeder Eurer Wünsche wird mir in Zukunft Befehl sein; sprecht ein Wort und Ihr besitzt in mir eine treue und ergebene Dienerin.«

Nach diesen Worten ließ sich Madame du Fargis auf ein Knie nieder, erfaßte die Hände Richelieu's und bedeckte selbe mit hundert Küssen.

Er ließ sie eine Weile gewähren, dann hob er sie sanft auf und sagte sehr ernsten Tones:

»Wer aber bietet mir die Garantie, daß Ihr, sobald Ihr frei seid, nicht Euer altes Spiel gegen mich von vorne beginnt?«

»Mein Verstand!« entgegnete Madame du Fargis schnell, »mein Verstand, wenn Ihr schon meinen aufrichtigen Betheuerungen keinen Glauben schenken wollt. Nur ein Thor möchte es sich beisammen lassen, jetzt, wo Ihr zehnfach mächtiger seid als vor sieben Jahren, noch ferner Eure Pläne kreuzen, Eure gefährliche, ja vernichtende Feindschaft herausfordern zu wollen. – Haltet mich für schlecht, so viel Ihr wollt, aber haltet mich nicht für dumm, glaubt daher meiner Versicherung daß es mir ernst sei, Euch von nun an unbedingt und treu zu dienen.«

»Nun gut,« erwiderte der Cardinal »ich will einen Versuch wagen; morgen tretet Ihr wieder euren Dienst bei der Königin Anna an.«

»Bei der Königin!« rief höchst erstaunt Madame du Fargis. Einen so kühnen Wunsch hätte sie nicht einmal zu träumen gewagt; sie dachte, der Cardinal werde sie von nun nur als eines seiner gewöhnlichen Werkzeuge verwenden; jetzt aber begriff sie, daß man mit ihr etwas ganz Ungewöhnliches vorhabe.

»Vor Allem,« fuhr Richelieu fort, wollen wir den geschäftlichen Standpunkt ins Reine bringen. Ich liebe es, daß die Leute, welche mir dienen, wohlgemerkt, nach meinem Wunsche dienen, gleich in vorhinein im Klaren über die Vortheile seien, welche ihnen daraus entspringen. Was ein Jeder wagt, der meine Freundschaft zurückweist oder gar verräth, ist allbekannt und Ihr habt es außerdem persönlich erfahren; ich kann mir füglich in dieser letzteren Beziehung Euch gegenüber jede Auseinundersetzung ersparen. Hört also. Euer Gemahl, der im vorigen Jahre verstarb, hat Euch so viel wie nichts hinterlassen. Als Dame der Königin sollt Ihr jedoch glänzend dastehen, wozu der spärliche Gehalt nicht ausreichen würde. Ich sichere Euch eine jährliche Rente von 30.000 Livres zu; ferner werdet Ihr für die Königin Anna, welche nie bei Gelde ist, weil sie damit nicht umzugehen weiß und es für Putz und Flitter mit vollen Händen wegwirft, eine Anleihe nach der andern negociren. Als scheinbarer und sehr gefälliger Vermittler agirt dabei Herr Emery, der jetzt in meinen Diensten steht; die schönen Goldfüchse wird aber Charpentier liefern. Seht zu, daß diese Schulden recht bald eine horrende Summe erreichen. Geht meinetwegen bis zu einer Million. Nun aber zur Hauptsache, doch nein, die Wände könnten hier Ohren haben und die Sache ist zu hochwichtig, zu delicat und für uns Beide auch zu gefährlich, versteht mich wohl, gefährlich. Macht also dieser Tage Frau von Combalet einen Besuch und ich werde Gelegenheit finden, Euch auf ein Viertelstündchen allein zu sprechen. Lebt wohl, mein schöner Kobold.«

»Noch Eines, Eminenz,« rief Madame du Fargis dem sich Entfernenden nach, »gestattet Ihr, daß Pater Harlincourt auch nach ferner mein Beichtvater verbleibe?«

 

»Das steht ganz in Eurem Belieben, vorausgesetzt, daß Ihr jede Mittheilung strenge ausschließt welche auf unser gefärliches Geheimniß auch nur im Mindesten einen Bezug haben könnte; für diese Sünde werde ich Euch von Fall zu Fall selbst absolviren.«

Mitternacht war bereits längst vorüber, als der Cardinal sodann das Magdalenenkloster verließ.

Madame du Fargis fühlte sich überglücklich und eilte schwebenden Schrittes ihrer Zelle zu, die sie morgen mit einem prachtvollen Gemache im Louvre wieder vertauschen sollte.

Mit mehr Ernst, als ihr sonst innewohnte, dachte sie noch lange über ihre Unterredung mit dem Cardinal und ihren unverhofften Schicksalswechsel nach.

»Ja,« murmelte sie vor sich, »es wäre Thorheit, ihm nicht mit vollster und aufrichtigster Ergebenheit dienen zu wollen; wohin haben mich meine Intriguen zu Gefallen der beiden Königinnen gebracht? Hierher – und ein zweites Mal würde ich diese Mauern, falls mir nicht noch Schlimmeres bevorstünde, wohl nur als Leiche verlassen.«

Plötzlich lachte aber Madame du Fargis helllaut auf; eine gar zu komische Scene tauchte in ihrer Erinnerung auf.

»Bei allen Heiligen,« rief sie, nachdem sie ihrer unbändigen Lachlust durch einige Minuten gefröhnt, »bei allen Heiligen, wenn der Cardinal wüßte, daß auch ich hinter dem Schirme stand, als er die Sarabande tanzte, ich glaube, er würde sich nicht hierher bemüht haben.«

Mit dieser Sarabande hatte es folgende Bewandtniß:

Die Verehelichung Ludwigs XIII. erfolgte im Jahre 1615, also nachdem er noch nicht ganz das fünfzehnte Lebensjahr erreicht hatte. Seine Braut war im Alter nur um vierzehn Tage von ihm verschieden.

Richelieu, geboren im Jahre 1585, zählte demnach nur um beiläufig dreizehn Jahre mehr als das königliche Paar.

Im Jahre 1616 begann der Bischof von Lucon seine Carriere als Staatssecretär. Acht Jahre später hatte er sich bereits zum Minister emporgeschwungen, wenn auch nicht gleich anfangs mit jenen Machtvollkommenheiten ausgestattet, welche er erst im Verlaufe der Zeiten langsam und unbemerkt stückweise an sich zu reißen verstand.

Kurz nach seiner Ernennung zum Minister, so erzählt Tallemant de Reaux in seinen Memoiren, wagte es Richelieu die Etiquette gegen die Königin zur Galanterie und die Achtung zur Bekehrung zu treiben.

Eines Abends empfing Anna von Oesterreich einen Brief von dem Cardinal, der sie in wichtigen Angelegenheiten um eine Unterredung unter vier Augen ersuchte.

Die Königin bewilligte die Unterredung stellte aber in eine Fensterbrüstung eine alte spanische Kammerfrau, Namens Donna Estefania, welche ihr von Madrid nach Paris gefolgt war und nur etwas französisch sprach.

Richelieu trat ein. Die Königin empfing ihn mit freundlichen Lächeln.

Der Cardinal war ein so gewandter Diplomat, daß er seinen Antrag, wie seltsam er auch war, in so drängende Dilemmas hüllte, daß Anna von Oesterreich genöthigt wurde, ihn bis zu Ende anzuhören.

Als Vorwand brauchte er den Gesundheitszustand des Königs, die bedenkliche Krankheit, an welcher er damals gerade litt, und seine Besorgniß als getreuer Unterthan der Königin und Minister eines großen Staates, daß die Krankheit sich verschlimmern könnte. Er schilderte der Königin die unsichere Stellung, in welcher sie sich befinden würde, wenn der König sterben und sie als kinderlose Witwe zurücklassen sollte. Die Krone falle dann an den Herzog von Anjou, nochmals Gaston von Orleans. Ihre Todfeindin sei die Königin-Mutter, Maria von Medicis.

Die Königin erblickte schaudernd den Abgrund, an welchem sie stand.

»Wenn der König ohne Erben stirbt,« fuhr der Cardinal fort, »sind wir Beide verloren; mich verweist man in, mein Bisthum Lucon und Euch sendet man nach Spanien zurück. – Das wäre für wahr ein trauriges Resultat.«

Die Königin ließ betrübt das Haupt sinken und sagte: »Unser Geschick liegt in Gottes Hand wie das aller übrigen Menschen.«

»Allerdings,« antwortete Richelieu, »und deshalb sagt Gott auch zu seinen Geschöpfen: Hilf Dir selbst und der Himmel wird Dir helfen.«

»Ich verstehe Ew. Eminenz nicht,« entgegnete die Königin ganz naiv.

»Wünschet Ihr mich zu verstehen. Madame?« frug der Cardinal weiter.

»Ja, denn die Lage ist sehr ernst.«

»Majestät, das was ich zu sagen habe, ist sehr schwer zu sagen.«

»Gut, so deutet es nur an, Cardinal.«

»Wohlan, ich wage es mich deutlicher zu erklären; diese ganze düstere, drohende Zukunft verwandelt sich in eine helle, heitere, wenn man bei dem Tode des Königs, Frankreich ankündigen kann, es stehe ein Kronprinz zu erwarten.«

»Aber,« entgegnete die Königin erröthend, »ich glaube, daß Ihr von Seite des Königs die Unmöglichkeit dieses Ausweges wohl selbst wißt.«

»Eben weil die Schuld an dem Könige liegt,« sagte Richelieu trocken, »kann sie gut gemacht werden.«

»Ah!« rief die-Königin, verbarg jedoch ihre Entrüstung.

»Madame! Ihr versteht mich nun?« frug Richelieu lauernd.

»Ich glaube wenigstens zu verstehen.

»Ihr bietet mir vierzehn Jahre königlicher Herrschaft für eine Stunde der Sünde.«

»Ein ganzes Leben von Liebe und Hingebung lege ich zu Euren Füßen.«

Die Königin, obwohl innerlich empört über diesen insolenten Antrag, wollte dennoch sehen, wie weit zu gehen Richelieu wohl den Muth habe und sagte:

»Die Sache ist ungewöhnlich und verdient, wie Ihr selbst gestehen werdet, reifliche Ueberlegung; ich bitte Euch daher um Bedenkzeit bis morgen Abend.«

»Und morgen Abend,« frug Richelieu, »werde ich die Ehre haben dürfen, meine Huldigungen Ew. Majestät zu Füßen zu legen?«

»Morgen Abend,« antwortete die Königin, »werde ich Ew. Eminenz erwarten.«

Der Cardinal entfernte sich hocherfreut, nachdem er die Erlaubniß erbeten und erhalten hatte, der Königin die Hand zu küssen.

Gleich nach der Entfernung Richelieus ließ die Königin Frau von Chevreuse und Frau von Fargis zu sich rufen.

Diese Beiden hatten schon längst die Verehrung Richelieus für Anna von Oesterreich bemerkt und oftmals mit ihr darüber gesprochen und gelacht.

Nunmehr verabredeten sie einen Plan, der den heißblütigen Richelieu für immer von seiner Liebe zur Königin heilen sollte.

Am folgenden Abende fand sich Richelieu selbstverständlich pünktlich ein.

Die Königin empfing ihn sehr gnädig, ja fast vertraulich. Richelieu, der warm zu werden begann, betheuerte mit den feierlichsten Eiden, er sei bereit für die Königin Alles zu thun, was die berühmtesten Ritter Roland, Amadis, Galaor in alter Zeit für die Dame ihres Herzens gethan, und daß die Königin, wenn sie ihn auf die Probe stellen wolle, sehr bald hiervon die Ueberzeugung gewinnen werde.

Anna von Oesterreich unterbrach seine Herzensergießungen mit den Worten:

»Was für ein Verdienst soll es sein, Heldenthaten zu vollbringen, die Ruhm gewähren? Das thun alle Männer sowohl wohl aus Ehrgeiz, als auch aus Liebe. – Etwas würdet Ihr aber gewiß nicht thun, denn nur ein Mann, der wirklich liebt, würde sich dazu verstehen, vor mir – eine Sarabande zu tanzen.«

»Majestät!« antwortete Richelieu »ich bin auch Cavalier und Krieger und, Gott sei Dankt erhielt ich die Erziehung eines Edelmannes. Ich sehe also nicht ein, was mich hindern könnte, Eurem Wunsche zu entsprechen, zumal wenn Ihr mich dafür belohnt.«

»Ihr habt mich nicht ausreden lassen,« fiel die Königin ein, »ich wollte sagen, Ihr würdet vor mir nicht in der Kleidung eines spanischen Possenreißers tanzen.«

»Warum nicht?« entgegnete Richelieu, »da dieser Tanz an sich schon possenhaft ist, so ist es wohl sehr natürlich, ihn auch in der dazugehörigen Kleidung auszuführen.«

»Wie?« frug die Königin wirklich höchst verwundert, »Ihr würdet eine Sarabande im Harlekinanzuge mit Glöckchen an den Füßen und mit Castagnetten in der Hand vor mir tanzen?«

»Ja, vor Euch allein, wenn Ihr mir, wie schon gesagt, einen Lohn dafür verheißt.«

»Vor mir allein, das ist unmöglich, erwiderte die Königin, »es muß doch ein Musiker dabei sein, der den Takt angibt.«