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Der Pastor von Ashbourn

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III.
Die Probezeit

Ich kehrte allein in den Salon zurück. Nachdem sie ihre Mutter, der sie auf dem Hofe begegnet war, mit einer Zärtlichkeit und einer Rührung umarmt hatte, welche die gute Frau in Erstaunen versetzten, ging Jenny in ihr Zimmer hinauf, wo sie bis zu der Stunde des Mittagessens blieb.

Und, wie sonderbar! Diese Abwesenheit machte mich fast vergnügt! mein Herz sagte mir, daß Jenny sich nicht, um mich zu fliehen zurückgezogen hätte, sondern, um sich wieder allein mit mir zu befinden; sie hatte dieses kleine Zimmer wiedersehen wollen, von dem ich ihr gesprochen hatte, und vielleicht – das Herz ist schnell bereit, sich solche Eitelkeiten einzubilden – vielleicht suchte auch sie mit den Augen mein Fenster, wie ich das ihrige gesucht hatte.

Den Kopf frei und mit freudigem Herzen, unterhielt ich mich während dieser Zeit mit ihrem Vater. . . Ueber was?. . . Ich will es Ihnen sagen, mein lieber Petrus: über die Menschen, die ich niemals so gut, über die Natur, die ich niemals so schön, über Gott, den ich niemals so erhaben gefunden hatte.

Uno der Greis hörte mich mit einem liebevollen Erstaunen an, und zuweilen schüttelte er sanft den Kopf, indem er sagte:

– O Jugend! o Jugend!. . .

Wie lange ich so überströmend, beredtsam. begeistert sprach? ich weiß es nicht: – es gab in mir eine unerschöpfliche Quelle von Danksagungen für den Herrn, der mir das Leben so süß und so angenehm machte.

Endlich trat die gute Mutter wieder ein. Als ich sie erblickte, war auch ich von einer großen Lust ergriffen, meine beiden Arme um ihren Hals zu schlingen . . . Vielleicht kam das daher, weil Jenny sie umarmt hatte.

Sie kam um zu melden, daß das Mittagessen angerichtet wäre.

Wir gingen in den Speisesaal.

– Wo ist Jenny? fragte Herr Smith.

Die Mutter blickte um sich.

– Ich weiß es nicht, sagte sie, ohne Zweifel in ihrem Zimmer . . . Verzeihung für die kleine Wilde, Herr Bemrode, die uns so verläßt. . .

O! theure Jenny, wie sehr Dir verziehen war!

In diesem Augenblicke störte ich, so leicht er auch war, ihren Schritt auf der Treppe und ihr das Geländer streifendes Kleid; ich errieth. daß mein Auge sie bei ihrem Eintritte in das Zimmer erröthen lassen würde: ich wandte mich daher auch erst einen Augenblick nach ihrem Eintritte um.

Erhabener Instinct der Liebe! sie hatte mich verstanden, und dankte mir mit dem Blicke.

Jenny wurde mir gegenüber gesetzt, ihre Mutter zu meiner Rechten, ihr Vater zu meiner Linken.

Dort sah ich nochmals ein. daß wenn ich sie anblickte, mein Blick sie in Verlegenheit setzen würde; daß, wenn ich schwiege, mein Schweigen ihr schwer zu ertragen sein würde.

Ich sprach daher! – ich sprach von den gleichgültigsten Dingen, aber es lag in meiner Stimme ein Ausdruck, welcher sagte: »Jenny, meine geliebte Jenny, in Ermangelung meiner Augen, blickt Dich mein Herz an!. . . Jenny, meine geliebte Jenny, in Ermangelung meiner Stimme, sagt Dir mein Herz, daß ich Dich liebe!«

Und dieser Blick und dieses Geständniß meines Herzens wurden von dem schönen jungen Mädchen verstanden; es lag in ihrem Schweigen etwas Athemloses, das mir antwortete: »Ich höre Dich, ich verstehe Dich!«

Und, wie als ob das Alter und die Jugend zwei verschiedene Sprachen sprächen, der Vater und die Mutter sahen Nichts, hörten Nichts, nur blickte Herr Smith von Zeit zu Zeit seine Frau lächelnd an.

– Nun Mutter, sagte er endlich zu ihr, findest Du nicht, daß dieses Mittagessen besser ist. als das Frühstück, daß wir es ungezwungener, freier, vergnügter genießen, Jenny mit inbegriffen, die heute Morgen die Augen schließen zu wollen schien, um unseren lieben Gast nicht zu sehen, die Ohren zu schließen, um ihn nicht zu hören, und die ihn jetzt verstohlen anblickt und Alles verschlingt, was er sagt?

Jenny schlug die Augen nieder und erröthete, um die Rose erbleichen zu lassen, die sie in ihren Haaren hatte.

– Nun denn, woher kommt das Alles? begann der Greis wieder: daher, daß wir uns erklärt haben, daß jeder von uns mit Aufrichtigkeit denkt, spricht und handelt.

– Das ist wahr. Vater, antwortete Madame Smith; ich kann es nicht ändern, ich war thöricht!

– Sag an. Jenny, fuhr der Greis fort, bist Du nicht der Meinung Deiner Mutter? Findest Du Dich nicht in Gegenwart des Herrn Bemrode weit ungezwungener, seitdem Du die Absichten unseres lieben Nachbars kennst? Nun denn! so antworte doch.

– Ja, lieber Vater, stammelte Jenny. . . Aber beliebt es Ihnen nicht, daß ich in den Keller ginge, um eine Flasche von dem alten Cläret zu holen, den Ihnen der Herr Graf von Alton bei seiner letzten Reise gesandt hat?

– Bei meiner Treue! Du hast Recht, Jenny, und ich weiß nicht, wie ich es vergaß, unseren lieben Nachbar damit zu traktiren. . . Weh, Jenny geh, . . . und wir werden auf die Gesundheit der Braut des Pastors von Ashbourn trinken.

Jenny, welche aufgestanden war, wankte beinahe.

– Nun denn! nun denn! sagte der Greis, Du hast indessen diese verwünschten Pantoffeln nicht mehr an, die Dich straucheln ließen . . . Geh. mein Kind, geh!

Sie verließ das Zimmer; aber bevor sie verschwunden war, begegneten sich unsere Augen, Ich sandte ihr mein Herz in meinem Blicke zu: sie faltete ihre beiden Hände über ihre Brust, und entfernte sich ohne die Thür zu verschließen, indem sie den Kopf wie eine bestürzte Nymphe schüttelte.

– Ei! aber was hat denn dieses kleine Mädchen? fragte die Mutter.

– Was sie hat? erwiederte der Pastor, das brauchst Du noch zu fragen? sie ist noch ganz verwirrt über Deine Absichten von heute Morgen, – worüber ich Sie von Neuem um Verzeihung bitte, mein lieber Amtsbruder. . . aber Sie müssen dem guten Wesen nicht bös darüber sein; ich habe den Fehler begangen, indem ich ihr zu viel Gutes über Sie sagte. . . Nun Frau, Du hast darüber nicht zu erröthen: Jede Mutter, welche ihre Tochter liebt, wünscht ihr Glück, und Du sagtest Dir: »Meine Jenny wird glücklich sein, wenn sie die Frau des Herrn Bemrode ist!« Und, glauben Sie es mir, lieber Nachbar, meine Jenny ist nicht zu verschmähen, denn, jetzt wage ich es zu sagen, sie ist ein gutes, ein vortreffliches Kind, und wer der Mann auch sein möge, der sie zur Gattin haben wird, er kann gewiß sein, ein züchtiges und ehrbares Wesen in seine Arme zu schließen. . . Das werden Sie nicht sein, ich bedaure es. . . sprechen wir nicht mehr davon, und verzeihen Sie uns.

Indem er diese Worte sagte, reichte mir der Greis die Hand.

Ich fühlte, daß ich nicht die Kraft hatte, mein Geheimniß länger zu bewahren: mein Herz strömte über.

Ich ergriff die Hand des Pastors, und indem ich sie an meine Lippen drückte, sagte ich zu ihm:

– Ich bin es, mein Vater, der Sie bittet, mir zu verzeihen! Ich habe Sie hintergangen, ich habe gelogen, als ich Ihnen sagte, daß ich eine andere Frau liebte. . . Die Frau, welche ich liebe, ist Jenny, ist Ihre Tochter! und ich liebe sie in dem Grade, daß ich. ich sage es Ihnen, sterben würde, wenn Sie mir sie ausschlügen!

Die Mutter stieß einen Schrei aus und stand auf.

– O mein Gott! rief sie aus, was sagte er?

– Gut! sagte der Pastor, jetzt ist es wohl eine andere!. . . Meine Tochter ist es, welche Sie lieben, und Sie werden sterben, wenn wir sie Ihnen ausschlagen?

– O! dieses Mal lüge ich nicht. . . dieses Mal ist es wirklich die Wahrheit!

– Und Sie haben ihr während Ihres Spazierganges etwas über diese Veränderung gesagt?

– Etwas. . . ja. . . antwortete ich stammelnd.

– Und wie hat sie es aufgenommen?

– Sie hat gesagt, daß sie mich noch nicht liebte, aber daß sie nichts thun würde, um mich nicht zu lieben.

– O! Vater! Vater! rief Madame Smith aus, das ist Gottes Fügung!

– Nun, schweig Frau! Alles das ist sehr ernst. Indem er sich hierauf an mich wandte:

– Ihr Wort, mein lieber Bemrode, daß Sie Jenny keine Sylbe von dem Geständnisse sagen, das Sie uns gemacht haben…

– Aber, lieber Herr Smith . . .

– Ihr Wort. . .

– Ich gebe es Ihnen.

– Und jetzt ein Versprechen . . .

– Welches?

– Daß Sie acht Tage bleiben, ohne hierher zu kommen, ohne daß Sie Jenny zu sprechen suchen.

– Aber sie wird glauben, daß ich sie nicht mehr liebe!

– Ich erlaube Ihnen, ihr zu sagen, daß wir das von Ihnen verlangt haben.

– Aber den Grund einer so langen Abwesenheit nach alle dem. was ich ihr von meiner Liebe gesagt habe?

– Gut! so eben hatten Sie ihr nur Etwas davon gesagt!

– Verzeihung. . . Verzeihung. . . ich werde Alles thun. was Sie wollen . . .

– Still! da kommt Jenny!

In der That. ich hörte ihren Schritt sich nähern, und bald erschien sie wieder mit der Flasche in der Hand, welche den Grund zu ihrer Abwesenheit gegeben hatte, – eine Abwesenheit, während welcher so Vieles gesagt worden war!

– Dann gestehen Sie also, lieber Herr Bemrode, begann plötzlich Herr Smith wieder, daß Sie Locke Leibnitz vorziehen.

– Ich, stammelte ich ganz verblüfft, ich sage das nicht . . .

– Es ist also Leibnitz, den Sie Locke vorziehen?

– Ich sage das gleichfalls nicht. . .

– Man muß indessen für den einen oder für den andern sein, mein lieber Nachbar, fuhr Herr Smith fort, indem er sich über meine Verlegenheit belustigte.

– Es ist schwer, antwortete ich, zwischen zwei Männern zu wählen, von denen der eine der Weise, und der andere der Gelehrte genannt worden ist.

O! ich frage Sie nicht über ihren persönlichen Werth, sondern über die Moralität ihrer Systeme. Locke verwirft in seinem Versuche über den menschlichen Verstand die Hypothesen der angebornen Begriffe, betrachtet die Seele bei der Geburt wie einen leeren Tisch; erklärt alle unsere Begriffe durch die Erfahrung, aus welcher sie durch zwei Kanäle abstammen: die Empfindung und die Ueberlegung. Leibnitz behauptet dagegen, daß bei dem Menschen die Seele und der Körper nicht die eine ohne den anderen handelt, sondern daß zwischen diesen beiden Kräften eine so vollkommene Uebereinstimmung besteht, daß jede von ihnen, indem sie sich immerhin nach den Gesetzen entwickeln, die ihnen eigen sind, Veränderungen empfinden, welche genau den Veränderungen der anderen entsprechen. Das ist es, was er, wie Sie wissen, mein lieber Nachbar, die vorausbestimmte Uebereinstimmung nennt. Er sagt nicht allein mit der Schule: Nihil est in intellectu quin prius fuerit in sensu, sondern er fügt auch noch hinzu: Nisi ipse intellectus. – Fühlen Sie wohl den Werth dieses Nisi ipse intellectus?

 

Ich verstand, besonders in diesem Augenblicke, mein lieber Petrus, den Werth davon so gut, daß zwischen dem Pastor Smith und mir über den Materialismus und den Fatalismus Lockes, und über den Spiritualismus Leibnitz eine Erörterung entstand, die bis zu dem Ende des Mittagessens dauerte, und die Jenny alle Freiheit gewährte, an Alles zu denken, was sie wollte.

Außerdem, obgleich wir die Flasche Cläret geleert hatten, vergaß man dennoch, die Gesundheit der zukünftigen Gattin des Pastors Bemrode auszubringen.

Nach dem Mittagessen, während Herr Smith seine Mittagsruhe hielt, oder das Ansehen hatte sie zu halten, und Madame Smith die Haushaltung besorgte, näherte ich mich Jenny.

Sie schien mir ein wenig zu schmollen. Ohne Zweifel hatte sie gefunden, daß es den Geist sehr frei zu haben hieße, so in ihrer Gegenwart von Philosophie zu sprechen.

– Liebe Jenny, flüsterte ich leise, erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, daß es etwas giert, das ich wohl zu sehen wünschte, und das Sie vergessen haben, mir zu zeigen.

– Was? fragte Jenny.

– Dieses kleine Zimmer mit weißen Vorhängen, mit Möbeln von Zitz mit Rosen. . . Glauben Sie denn, daß ich nicht neugierig bin. dieses Heiligthum in allen seinen Umständen zu sehen, in welchem Sie zu Gott beten, der Sie so schön, so gut, so liebend gemacht hat, und das für mein Glück. . . wie ich hoffe. . .

– Lieber Nachbar, sagte sie zu mir, ich dachte, daß Sie, der Sie so Vieles wissen, auch wüßten, daß die Schwelle von dem Zimmer eines jungen Mädchens von keinem Manne überschritten werden darf, es sei denn, daß dieser Mann der Bruder oder der Verlobte derer wäre, die er besucht.

– Nun denn! haben Sie mir nicht gesagt, daß Sie mich bereits wie einen Bruder liebten, und daß Sie sich nicht gegen Ihr Herz vertheidigen würden, wenn es demselben einfiele, mich aus eine andere Weise zu lieben? Bedenken Sie, liebe Jenny, daß ich acht Tage, acht lange Tage zubringen werde, ohne Sie zu sehen, wenn es nicht mit diesem glücklichen Fernrohre geschieht, das leider zu ungenügend ist, seitdem ich Sie in der Nähe gesehen und seitdem ich Sie gesprochen habe!

– Acht Tage ohne uns zu besuchen? antwortete mir Jenny, indem sie ihre schönen Augen erstaunt auf mich heftete. Warum das?

– Weil Ihr Vater es mich hat versprechen lassen.

– Zu welchem Zwecke?

– Fragen Sie Ihn darum. Jenny, und trachten Sie, daß er mir mein Wort zurückgiebt, denn, acht Tage ohne Sie zu sprechen, ich versichere es Ihnen, das wird sehr lange sein!. . . Deshalb, theure Jenny, möchte ich Sie sehen, nicht allein, wenn Sie an Ihrem Fenster sein werden, – denn Sie werden zuweilen an ihm erscheinen, nicht wahr? – deshalb sage ich, möchte ich Sie nicht allein mit den Augen des Körpers, sondern auch, wenn dieses Fenster geschlossen sein wird, mit den Augen der Seele sehen. . . .

– Es sei, sagte sie, aber mit der Erlaubniß meiner Mutter.

Und indem sie sich der guten Frau näherte, welche auf den Fußzehen wieder eintrat, um Herrn Smith nicht zu wecken, der vielleicht nicht schlief, sagte sie leise einige Worte zu ihr. auf welche Madame Smith laut, und indem sie die Augen gen Himmel erhob, antwortete:

– Thue es, mein Kind, thue es. . . Hat Dein Vater, der die Weisheit selbst ist, nicht heute Morgen gesagt: »Was in den Rathschlüssen Gottes liegt, wird sich immer erfüllen. möge der Mensch sich nun darein mischen oder sich nicht darein mischen?«

Und sie küßte Jenny auf die Stirn.

Diese näherte sich mir und sagte:

– Kommen Sie, da Sie das Zimmer Ihrer Schwester zu sehen wünschen, so wird Ihre Schwester es Ihnen zeigen.

Ich folgte Jenny; aber beim Hinausgehen schien es mir, als ob der Pastor Smith ein Auge aufgeschlagen und mit diesem Auge einen Blick mit den beiden Augen der Madame Smith ausgewechselt hätte.

IV.
Das Ende meines Romans

Dieses Zimmer war wirklich das, welches ich aus der Ferne flüchtig gesehen hatte, und das ich geträumt haben würde, selbst wenn ich es nicht flüchtig gesehen hätte. – ein wahres Schwanennest.

Ich begrüßte nach einander alle die Gegenstände, mit denen es möblirt war: die Vorhänge von Zitz mit Rosen, die Vasen von weißem und blauem Porcellan.

Ich küßte die Vorhänge des Bettes.

Jenny blickte mich halb vergnügt, halb lächelnd an; ich war der erste Mann, der jemals ihr Zimmer betreten hatte.

Das Fenster stand offen, um die rothen Flammen einer schönen untergehenden Sonne einzulassen, die bis in den Hintergrund des Zimmers drang, und in einem Spiegel, den sie zu zerbrechen schien, ihren Lichtstrahl in’s Unendliche verlängerte.

Das junge Mädchen stellte sich an das Fenster und erforschte, ohne etwas zu sagen, den Horizont. Der Horizont war das Dorf Ashbourn.

Unter allen diesen fernen Fenstern, welche Jenny neugieriger Weise erforschte, erkannte ich das Fenster meines kleinen Zimmers, welches, wie das Jenny’s, offen stand. Obgleich sie mich nicht darum gefragt hatte, sagte ich dennoch zu ihr, indem ich die Hand ausstreckte:

– Dieses da ist es, das, welches ganz mit Weinreben bedeckt ist.

Sie lächelte.

– Es ist sehr weit für die, sagte sie, welche kein Fernrohr haben.

– Ich würde Ihnen wohl das meinige senden, Jenny, aber ich würde in Wahrheit zu viel dabei verlieren.

– O! es liegt nichts daran, ich habe vortreffliche Augen, und ich werde es wohl sehen, wenn Sie an Ihrem Fenster sein werden.

– Jenny, seit fünf Tagen bin ich fast nur dort, und während der acht Tage, wo es mir verboten ist, hierher zu kommen, werde ich fast nirgends anders sein.

– Ich werde es wohl sehen, sagte Jenny.

– Dann, theure Geliebte, rief ich aus, werden Sie selbst hier sein?. . .

– Ist es nicht das Zimmer, das ich bewohne? sagte sie. . . es sei denn, daß meine Mutter mich ein zweites Mal nach Chesterfield führt, um mir dort eine zweite Toilette machen zu lassen.

– O! für solche, Jenny, wird es hoffentlich nicht nöthig sein nach Chesterfield zu gehen, um sie zu bestellen: man findet überall ein weißes Kleid und einen Myrtheukranz.

– Still, mein Herr Bruder! sagte Jenny, Sie sprechen von unserer Verheirathung, als ob ich bereits meine Einwilligung dazu gegeben hätte…

– Es ist wahr, sagte ich zu ihr, ich vergaß, daß ich erst in acht Tagen das Recht habe, etwas zu verlangen.

– Und sind Sie denn so sicher, daß man es Ihnen in acht Tagen bewilligen wird?

– Jenny, sagte ich in einem bittenden Tone und mit einem flehenden Blicke zu ihr, ich hoffe es!

– Und da die Hoffnung eine der drei göttlichen Tugenden ist, so will ich sie Ihnen nicht rauben.

– O! Jenny, Jenny! rief ich aus, indem ich ihre Hand ergriff, wie gut Sie sind und wie sehr ich Sie liebe.

Indem Jenny ihre Hand zurückzog, legte sie den Zeigefinger auf ihre Lippen.

– Still! mein Herr Bruder: dieses Zimmer darf solche Worte nicht hören, und da ich glaube, daß Sie nicht für sich bürgen würden, so wollen wir, wenn es Ihnen gefällig ist, wieder in den Salon hinuntergehen. Außerdem wird es spät; Sie haben Ihre Pfarrkinder seit heute Morgen nicht gesehen, und irgend eines unter ihnen kann Sie nöthig haben.

Was Jenny sagte, war wahr; ich hatte mich weit über die Stunde hinaus vergessen, bis zu welcher ich in Wirksworth bleiben durfte. Ich stieß einen Seufzer aus, sagte jedem der Möbeln dieses kleinen Zimmers mit den Augen und mit dem Herzen: Auf Wiedersehen! und ging hinab.

Der Pastor hatte seine Mittagsruhe, und Madame Smith die Besorgung ihrer Haushaltung beendigt; alle Beide erwarteten mich in dem Salon.

Es war augenscheinlich, daß sie, wie ihre Tochter, meinten, daß die Stunde gekommen wäre, mich zu entfernen. Außerdem giebt es selbst mitten in dem Glücke Momente, in denen der Mensch das Bedürfniß empfindet, mit seinen Gedanken allein zu sein. Ich nahm Abschied von ihnen, indem ich sie umarmte; ich küßte Jenny die Hand. Herr und Madame Smith begleiteten mich bis an die Thür, und grüßten mich mit den Worten.

– In acht Tagen!

Ich suchte mit den Augen Jenny, um auch ihr, wo nicht mit der Stimme, doch wenigstens mit den Augen zu sagen: »In acht Tagen!« aber sie war verschwunden.

Mein erstes Gefühl war ein Bedauern, fast eine Anklage. Wir trennten uns für acht Tage, und Jenny blieb nicht bis zum Augenblicke des Aufbruchs bei mir!

Was hatte sie denn Dringenderes zu thun, als Abschied von mir zu nehmen?

Ich stieß einen schweren Seufzer aus und murmelte leise:

– O! Jenny! Jenny! warum Deiner Abwesenheit, wäre es auch nur eine Minute, wäre es auch nur eine Secunde hinzufügen? Eine Minute der Wonne ist so kostbar! eine Secunde des Glückes ist so selten!

Plötzlich schlug ich mich vor die Stirn; meine Brust erweiterte sich; das Lächeln kehrte auf meine Lippen zurück, und ich beeilte den Schritt. Ich hatte Eile, mich zu entfernen, ich hatte Eile, um die Ecke des Hauses zu gehen und mich wieder auf der Heerstraße zu befinden.

Ich hatte eine Hoffnung gefaßt!

Jenny hatte mich verlassen, um wieder in ihr Zimmer hinaufzugehen; Jenny mußte an ihrem Fenster sein.

O! wie mein Herz klopfte, als mein Kopf sich umwandte! . . . Wenn sie nicht dort sein sollte?

Aber sie war Gott sei Dank dort.

Ich machte eine solche Bewegung der Freude, ich streckte die beiden Arme mit so viel Feuer nach ihr aus, daß sie zurückwich.

Ich blieb bittend und mit gefalteten Händen auf derselben Stelle.

Sie näherte sich allmälig wieder.

Die Sonne ging vollends unter; ihr letzter Strahl fiel gerade auf Jenny, indem er ihr eine feurige Strahlenkrone bildete, und sie mit Gold bekleidete.

.Sie selbst ahnete nicht, wie schön sie auf diese Weise war. – Man hätte sie für eine jener Jungfrauen der katholischen Kirchen halten können, wie deren die italienischen Maler des sechzehnten Jahrhunderts nach dem Abendlande sandten.

Jenny gab mir lächelnd einen Wink, meinen Weg fortzusetzen. Ohne diesen Wink wäre ich dort geblieben, indem ich die ganze Welt in der Beschallung ihres lieblichen Gesichts vergaß.

Ich wanderte weiter; aber man hätte sagen können, daß ich, wie der Gott Merkur, Flügel an den Fersen hätte, nur daß diese Flügel mich zurückzögen.

Die Sonne ging unter; dann kam Dämmerung, hierauf die Nacht. So lange als ich Jenny an ihrem Fenster erblicken konnte, wandte ich mich um; sogar noch lange nachdem Alles in dem grauen Scheine der ersten Finsterniß verschwunden war. wandte ich mich noch um.

Ich sah sie nicht mehr, aber ich errieth sie.

Es war an einem jener warmen Abende der ersten Julitage, an denen man so zu sagen das Herz der Natur klopfen fühlt; an denen Alles in der Schöpfung singt, das Rothkehlchen in dem Gebüsche, die Heuschrecke auf ihrer Aehre, die Grille in dem Grase.

Und auch ich hatte einen Vogel in dem Herzen, der sein Jubellied sang; dieser Vogel nannte sich das Glück.

Ich weiß nicht, ob Sie jemals solche Augenblicke gehabt haben, mein lieber Petrus, aber dann gelangt man zu dem Glauben, der Schmerz sei für ewig von der Erde verbannt, und es gebe keine Leiden.

Ich kehrte in mein Pfarrhaus zurück. O! dieses Mal war es nicht mehr leer, nicht einmal mehr dunkel: es schritt mir ein liebliches Phantom voraus, das es bevölkerte und erleuchtete.

Es schritt lustig die Stufen der Treppe hinauf, die nach meinem Zimmer führte; ich folgte ihm in dasselbe, dann schien es mir durch das Fenster davon zu fliegen, und an seiner Stelle sah ich an dem Horizonte ein Licht, einen funkelnden, in der Nacht leuchtenden Stern, dem ich. ein neuer Copernicus, ein neuer Galilei, ein neuer Newton, den süßen Namen Jenny gab.

Nun sah ich ein, daß ich sie sah. und daß sie mich nicht sähe; ich zündete nun auch eine Wachskerze an, und sah auf der Stelle meinen Stern sich bewegen. Es schien mir, daß sie einen Namenszug in der Nacht beschrieb; ich antwortete ihr dadurch, daß ich durch flüchtige Lichtfurchen die ersten Buchstaben unserer beiden Taufnamen mit einander verschlang; nun schien mein Stern sich in den Himmel zu erheben und erlosch, – ein Symbol des Glaubens, der zu Gott aufsteigt!

 

Mein lieber Petrus, ich will Ihnen die Geschichte dieser acht Tage nicht entwerfen; das hieße alles das von Neuem anfangen, was ich ihnen bereits erzählt habe, nochmals das zu sagen, was ich Ihnen gesagt habe. Am Morgen erwartete das gerichtete Fernrohr die Erscheinung Jenny’s und da sie weit eher errieth. daß ich dort wäre, als sie mich sah. so schwenkte sie ihr weißes Taschentuch, ein jungfräulicher Gruß, der mich gegen das Vergessen beruhigte! Am Abend erleuchtete sich unser Himmel, und wie Vieles wir uns mit der Bewegung unserer Lichter sagten!

Ich glaubte, daß diese acht Tage niemals endigen würden, und dennoch zögere ich nicht zu sagen, daß es die süßesten, die zärtlichsten, die geheimnißvollsten acht Tage sind, die ich gelebt habe. Während dieser acht Tage, ich bemerkte es, mein lieber Petrus, starb Niemand in meiner Gemeinde, zwei Kinder wurden geboren, zwei Brautpaare heiratheten sich.

Man hätte sagen können, daß mein Glück sich über diese ganze kleine Welt erstreckte, zu deren Pastor mich die Vorsehung gemacht hatte.

Mit welcher Freude, welcher Dankbarkeit und welchem Vertrauen zu Gott ich alle meine während dieser Periode mir so leicht gewordenen geistlichen Amtsverrichtungen versah! wie ich mit freudigen Worten das Leben dieser Kinder eröffnete, die ich zu Christen machte! wie lange und glückliche Tage ich diesen Verlobten verhieß, die ich zu Gatten machte!

Endlich verflossen die acht Tage; es waren nur noch Stunden und eine Nacht, die mich von dem Augenblicke trennten, an welchem Jenny’s Thür mir wieder offen stehen würde.

Dann erschien der Tag. und es waren nur noch Minuten.

Mit der Morgendämmerung hatte ich mich auf den Weg begeben; als ich es aber fünf Uhr auf dem Thurm von Ashbourn schlagen hörte, kehrte ich wieder nach Haus zurück, wie Sie wohl begreifen werden.

Nun spielte das Fernrohr seine Rolle; aber sei es nun, daß Jenny nicht aufgestanden war, oder daß sie mir an diesem Tage zuviel zu sagen hatte, sie machte ihr Fenster nicht auf, und sogar die Vorhänge blieben fest verschlossen.

Ich wartete bis um sieben Uhr. – Was wollte diese Abwesenheit sagen, eine zuverlässig freiwillige Abwesenheit? War es, damit die Besorgniß meinen Besuch beschleunigte?

Ich legte es so aus. und ich begab mich auf den Weg.

Während dieser zwei langen Meilen wandten sich meine Augen keinen Augenblick, keine Secunde lang von meinem Ziele ab! Dieses verschleierte Fenster hörte nicht aus, mein Horizont zu sein; oft sah ich es nur noch durch eine Wolke, so hartnäckig war die Stetigkeit meines Blickes.

Nicht einen Augenblick lang sah ich Jenny erscheinen. Nur schien es mir ein Mal, ein einziges Mal, den Vorhang zittern zu sehen, wie als ob er, leicht zur Seite geschoben, wieder zurückgefallen wäre.

Ich beschleunigte den Schritt. Mein Herz klopfte mit einer solchen Gewalt, daß ich es schlagen hörte. – Endlich wandte ich mich um die Ecke des Hauses; endlich erreichte ich die Thür, und streckte meine zitternde Hand aus, um zu klopfen. . .

Nun ging die Thür von selbst auf, und der Pastor Smith und seine Frau erschienen lächelnd auf der Schwelle.

Meine Freude war so groß, daß ich stehen blieb, indem ich durch meinen ganzen Körper etwas wie einen Schwindel fühlte.

Ich wollte sprechen, meine Stimme erstarb auf meinen Lippen.

Der Pastor sah, was in mir vorging.

– Sei willkommen, mein Sohn, sagte er. Deine Mutter und ich erwarteten Dich auf der Schwelle dieser Thür, um Dich zu Deiner Braut zu führen.

Ich stieß einen Freudenschrei aus, und da ich in dem Hintergrunde der Hausflur Jenny schüchtern und erröthend erblickte, schob ich sie alle Beide zur Seite, und auf sie zuschreitend, sank ich ohne Stimme und fast ohne Bewußtsein zu ihren Füßen.

Sie neigte sich zu mir. und indem sie mich wieder aufhob, reichte sie mir, selbst zu erschüttert, um mir ein Wort zu sagen, ihre Stirn zum Kusse.

Endlich fand ich die Stimme wieder, und rief aus dem Grunde meiner Seele aus:

– Sei gepriesen, allmächtiger Gott, für die Gnade, die Du mir erzeigst!

Einen Monat nachher heirathete ich Jenny.