Tasuta

Der Pastor von Ashbourn

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

XV.
Die Uebertragung in Blanco

Ich weiß nicht, mein lieber Petrus, ob mir in der Wirklichkeit ein Beistand von oben zukam, oder ob es die natürliche Wirkung eines Schlages, so heftig er auch sein möge, ist, sich allmählich zu mildern; aber so viel weiß ich, daß wir nach einer ziemlich ruhigen Nacht fast in unser Schicksal ergeben erwachten.

Gleich am Abende vorher, mein Freund, hatte ich Ihnen geschrieben, Ihre Bitten bei Ihrem Bruder Samuel zu verdoppeln. Ich hatte, Sie werden sich dessen erinnern, in diesem Briefe sogar hinzugefügt, daß ich, um meiner Jenny einen Lebensunterhalt zu sichern und die alten Tage unserer Eltern nicht zu belästigen, bereit wäre, mit meiner Frau auszuwandern, nach Newyork oder Boston abzureisen, oder sogar in das Innere des amerikanischen Gebietes zu dringen. Dieser Gedanke war mir durch die Verbindungen eingegeben worden, welche Ihrem lieben Bruder sein Handel auf allen Punkten der neuen Welt eröffnet.

Da diese Idee der Verbannung die schmerzlichste für uns war, so war sie es, an welche wir uns am folgenden Morgen gefesselt hatten, und am zweiten oder dritten Tage hatten wir uns bereits daran gewöhnt.

Jetzt, wo ich meines Unglückes sicher war, blieb mir eine einzige Unruhe übrig, – wohlverstanden, mein Unglück nicht gerechnet: das war die der Schuld, welche mir mein Vater vermacht hatte, und deren Zahlungsweise ich so unvorsichtig geändert hatte. Die Verfallzeit des zweiten Termins nahte heran, und, wie ich Ihnen gesagt, hatte ich Jenny die fünfzehn Pfund Sterling gegeben.

Diese fünfzehn Pfund Sterling und fünf, die uns von dem ersten Quartale übrig blieben, das war unser ganzes Vermögen. Zwanzig Pfund Sterling! damit mußten wir die glücklichen oder unglücklichen Ereignisse abwarten, und in ihrer Erwartung bis zu der Stunde leben, wo unser Mißgeschick sich entweder noch mehr verschlimmern oder in ein günstigeres Loos verwandeln würde.

War es in dieser Lage nicht redlich, nach der Stadt zu gehen und meinen Gläubiger um eine neue Frist zu bitten, bevor der zweite Zahlungstermin herbeigekommen war?

Aber welche Sicherheit ihm für seine Bezahlung geben, indem ich diese neue Frist von ihm verlangte? Er mußte zuverlässig meine Zurückberufung kennen, und die Hoffnung, sei es nun in einem andern Theile Englands, oder sei es sogar in Amerika, angestellt zu werden, die hinreichend für uns war, um nicht in Muthlosigkeit zu versinken, war unzulänglich, um einem Fremden eine Sicherheit zu gewähren.

Gleichviel; ich beschloß nichtsdestoweniger, dieses Mittel zu versuchen, um mindestens für den Augenblick aus der Verlegenheit zu kommen; aber da wir von der Verwendung Ihres vortrefflichen Bruders überzeugt waren, – so war Zeit gewonnen, viel gewonnen.

Ich wandte daher das Verlangen vor, einen neuen Versuch bei dem Rector zu machen, und brach eines Morgens nach Nottingham auf. Dieses Mal geschah es nicht in der Carriole des Pächters, denn seit meinem Streite mit dem Haushofmeister hätte ich nicht gewagt, einen solchen Dienst von Jemand zu verlangen, der von ihm abhing.

Ich brach zu Fuß auf; aber da es gerade Markttag war, so hoffte ich, daß irgend eines meiner zu Wagen zurückkehrenden Pfarrkinder mich mit sich zurücknehmen würde.

Als ich Ashbourn verließ, war ich voller Entschlossenheit; aber in dem Maße, als ich mich der Stadt näherte, wankte mein Vertrauen; bei meiner Ankunft an den ersten Häusern in Nottingham war mein Muth gänzlich verschwunden. So gänzlich verschwunden, daß ich, statt den Weg nach dem Hause des Handelsmannes einzuschlagen, nach dem Hause meines Wirthes, des Kupferschmiedes, ging.

Dieser wackere Mann war meine letzte Zuflucht, mein lieber Petrus; – spes ultima! wie Virgil sagt.

Unglücklicher Weise war er nicht zu Hause; seine Geschäfte hatten ihn seit zwei Tagen in die Umgegend gerufen, und er sollte erst am folgenden Tage von seiner Reise zurückkehren.

Bis zum folgenden Tage zu bleiben, hieß in der Lage, in der wir uns befanden, Jenny die größten Besorgnisse verursachen; außerdem war es nicht mein Wirth, der Kupferschmied, den ich in Nottingham hatte besuchen wollen, es war der Handelsmann, dessen Schuldner ich so unglückseliger Weise war.

Nachdem ich mich einige Minuten lang bei dem erstem aufgehalten und ein Glas Bier angenommen hatte, das mit seine Frau anbot, entschloß ich mich, nach der Wohnung des zweiten zu gehen.

Während ich mich seinem Hause näherte, konnte ich nicht verhindern, eine Hoffnung in meinem Geiste entstehen zu sehen, nämlich daß der Handelsmann Rham eben so wenig zu Hause sein würde, als mein Wirth. Dann würde ich nicht die Demüthigung haben, mit ihm zu sprechen und ihn um eine Nachsicht zu bitten; ich würde ihm schreiben, und da mit der Feder in der Hand Alles eine Frage des Styles wurde, so war ich des meinigen sicher genug, um zu glauben, daß mein Brief Alles das sagte, was meine Schüchternheit niemals zu sagen wagen würde.

Dieses Mal wurde meine Erwartung nochmals getäuscht: die erste Person, welche ich beim Eintritte in das Comtoir erblickte, war der Handelsmann selbst.

– Ah, bei Gott! sagte er, als er mich sah, Sie sind es, Herr Bemrode. Es ist mir meiner Treue leid, gestern eine Wette ausgeschlagen zu haben, welche mir der Herr Rector in Bezug auf Sie anbot.

– Eine Wette mit dem Herrn Rector? Und auf welche Veranlassung? fragte ich.

– Ei, auf Veranlassung unserer kleinen Rechnung. Ich sagte ihm, daß Sie nach dem Tode Ihres Vaters für eine ziemlich beträchtliche Summe gebürgt hätten, für welche Ihr Vater selbst gebürgt hatte; daß Sie mir vierteljährlich eine Guinee bezahlten; daß Sie mich bis jetzt sehr pünktlich und sogar vorausbezahlt hätten . . . worauf er mir antwortete. daß Sie mich nicht allein nicht mehr voraus, sondern sogar wahrscheinlich gar nicht mehr bezahlen würden . . .

Das Blut stieg mir in das Gesicht.

– Mein Herr, antwortete ich, ich weiß nicht, warum der Herr Rector Ihnen das gesagt hat; wenn er es that, weil er mir meine Pfarrstelle genommen, so irrt er sich; man hat, Gott sei Dank, Hilfsquellen, und ich kam gerade, um Ihnen zu sagen, daß Sie vollkommen ruhig sein könnten.

Sie sehen, lieber Petrus, mein verwünschter Stolz spielte mir nochmals einen schlimmen Streich. Ich war zu Herrn Rham gekommen, um ihn demüthig um Zeit zu bitten, und jetzt verpflichtete ich mich mit meiner aufgeblasensten Miene, pünktlich am Verfalltage zu bezahlen.

Sie werden begreifen, daß nach einem solchen Versprechen nichts mehr übrig blieb, als meinen Hut zu nehmen und mich zu empfehlen.

Das war es, was ich that.

Der Handelsmann begleitete mich mit jedem erdenklichen Beweise von Achtung bis an die Thür, indem er wiederholte:

– O, ich wußte es wohl! ich wußte es wohl!

So lange als ich in dem Hause und diesem Manne gegenüber gewesen war, hatte mich mein Stolz unterstützt; aber einmal draußen, einmal allein, drückte ich meine beiden Hände auf meine Stirn, indem ich diesen unglückseligen Stolz verwünschte, der zuverlässig die Quelle meines Verderbens sein wird.

So war es das zweite Mal, daß ich zu diesem Manne mit der Absicht ging, etwas zu thun, und daß ich im Gegen«heile etwas ganz dem Entgegengesetztes that, was ich beschlossen hatte.

Ich suchte keine Gelegenheit, um nach Ashbourn zurückzukehren, wie ich es mir bei meinem Aufbruche vorgenommen hatte; wenn sich eine geboten hätte, so würde ich sie ausgeschlagen haben. Die Niedergeschlagenheit meines Geistes machte eine kräftige Gegenwirkung meines Körpers nothwendig. Ich empfand keine körperliche Ermüdung; ich hatte im Gegentheile einen Nervenreiz, der mich hätte glauben lassen, daß ich im Stande wäre, wie der ewige Jude die Runde um die Welt zu machen.

Ich verwandte nicht mehr als zwei und eine halbe Stunde darauf, um von Nottingham nach Ashbourn zurückzukehren; nur kam ich mit von Staub bedeckten Kleidern und mit von Schweiß triefender Stirn an.

Als mich Jenny erblickte, war sie erschreckt.

– O, mein Gott! sagte sie zu mir, was hat sich zugetragen?

Ich hatte große Lust, ihr Alles zu erzählen, und hätte wohl gethan. wenn ich dieser ersten Eingebung nachgab, aber ich wagte es nicht.

– Es hat sich weiter nichts zugetragen, als daß ich nichts erlangt habe, sagte ich zu ihr.

Das war die Wahrheit, aber ich hatte auch nichts verlangt, und durch eine Art von Zweideutigkeit, die ich mir vorwarf, indem ich sie immerhin beging, antwortete ich »Handelsmann«, wenn man mir von dem Rector sprach.

– Ist das Alles? fragte mich Jenny mit ihrem freundlichen Lächeln.

– Gewiß! antwortete ich ihr. ist es denn nicht genug?

– O! äußerte sie, von Seiten des Herrn Rectors habe ich niemals Deine Hoffnung getheilt, mein lieber Williams. Ich habe Dich nach Nottingham gehen lassen, weil ich es mir mein ganzes Leben lang vorgeworfen haben würde. Dich verhindert zu haben, einen Schritt zu thun, der am Ende gelingen konnte; aber ich war im Voraus fest überzeugt, daß Du scheitern würdest. Wenn Du daher für mich eine getäuschte Hoffnung fürchtest, so tröste Dich, die getäuschte Hoffnung besteht nur da, wo es eine Hoffnung giebt, und ich habe immer nur auf Gott gehofft.

Ich schloß sie in meine Arme.

– Und Gott beschützt mich sichtlich in meinem Unglücke, sagte ich zu ihr, indem er mir eine so muthige Frau giebt! In dem römischen Alterthume wärst Du eine Lucretia oder eine Cornelia gewesen, in dem jüdischen Alterthume eine Judith oder eine Jahel!

Jenny lächelte über meine Begeisterung.

– Leider, mein Freund, sagte sie zu mir, übertreibst Du immer, und besonders, wenn es sich um meine Eigenschaften handelt. Ich bin hier weder eine Lucretia, noch eine Judith, weder eine Cornelia, noch eine Jahel: ich bin eine gute, liebevolle und ergebene Frau, das ist Alles . . . Und jetzt komm, fügte sie hinzu. Du mußt Nahrung und Schlaf nöthig haben. . . komm. Dein Abendessen erwartet Dich.

 

Und sie ging mir in das Eßzimmer voraus. Es war leicht zu sehen, daß das Mittagsessen der armen Frau dem Abendessen nicht geschadet hatte.

Zwanzig Male war ich während des Abendessens, und als wir uns in unser kleines Zimmer zurückgezogen, das ich mit so vielem Eifer gemalt hatte und das ich gezwungen sein würde zu verlassen, – zwanzig Male war ich nahe daran, ihr Alles zu gestehen.

Mein böser Genius hielt mich immer davon ab.

Die Tage Verflossen. Außer der Gewißheit unseres Unglücks war nichts in unserem Leben geändert.

Endlich nahete die Zeit heran, wo ich meinem Handelsmanne die beiden Guineen bezahlen mußte, so daß ich, da ich mich nicht entschließen konnte. Jenny Alles zu sagen, beschloß, meinem Gläubiger zu schreiben, um ihm zu gestehen, daß ich eine Verpflichtung gegen ihn angenommen hätte, die zu halten mir unmöglich wäre, und ihn um eine Frist zu bitten.

Wir hatten nur noch sechs Tage vor dem unglückseligen Termin.

Ich schrieb ihm einen langen, sehr ausführlichen, sehr rührenden, sehr rechtschaffenen Brief. Ich glaubte, daß wenn ich einen solchen Brief erhalten hätte, ich Alles gethan haben würde, was man von mir verlangte.

Aber ich, mein lieber Petrus, ich bin kein Handelsmann, kein Geschäftsmann, kein Geldleiher.

Ich bin ganz einfach ein Mann mit vielen Fehlern; aber wenn ich den des Stolzes habe, so habe ich wenigstens nicht den des Geizes.

Ach! mein Handelsmann antwortete mir, daß er für den 15. September eine Zahlung zu machen hätte, und daß ihm all seine Gelder zu dieser Zeit nöthig wären; er hätte daher gegen mich wie gegen Andere eine allgemeine Maßregel angenommen, welche darin bestände, für diesen Tag alles Geld einzuziehen, das man ihm schuldig sei.

Jenny war anwesend, als ich den Brief erhielt, und ich vermochte mich nicht genug zu beherrschen, um den Eindruck zu verbergen, den er auf mich hervorbrachte.

Ein kalter Schweiß perlte auf meiner Stirn; Jenny sah mich ganz erbleichend diesen Schweiß mit meinem Taschentuche abtrocknen.

Sie dachte sich, daß das, was mir diese Gemüthsbewegung verursachte, dieser unglückselige Brief wäre; sie streckte einfach die Hand mit ihrem so sanftmüthigen und so schwermüthigen Lächeln aus.

Es war keine Zeit mehr, zu warten; es war keine Möglichkeit mehr, ihr etwas zu verbergen; ich gab ihr den Brief.

Sie las ihn.

– Nun denn, mein Freund, sagte sie, Du mußt morgen nach Nottingham gehen und diesem Manne seine zwei Guineen bringen. Aus diese Weise gewinnen wir sechs Monate und ersparen uns vielleicht ein großes Unglück.

– Aber zwei Guineen weniger, in unserer Lage, theure Jenny . . .

– Aber eine Summe von fünfzig Guineen, die durch die Verspätung eines Tages verfallen ist, lieber Williams. . .

– Du hast Recht, Jenny, ich werde morgen nach Nottingham gehen.

Ich muß Ihnen Eines sagen, mein lieber Petrus, nämlich daß ich von diesem Augenblicke an weit ruhiger war. Die Nacht, welche dem Tag folgte, wo dieser Entschluß gefaßt worden, war vielleicht die einzige, in welcher ich nicht träumte, daß ich wegen Schulden verhaftet und in’s Gefängniß geführt wäre.

Am folgenden Morgen brach ich mit Tagesanbruch auf. Es war der letzte Tag; aber der Act lautete bestimmt: wenn ich bezahlte, wäre es auch am letzten Tage, so konnte man von mir nicht die Bezahlung der ganzen Summe verlangen.

Wie ich daher auch stolz und mit zufriedenem Blick nach Nottingham ging! Es schien mir, als ob ich mit den fünf oder sechs Guineen, die uns übrig blieben, bis an das Ende des achtzehnten Jahrhunderts ausreichen würde.

Ich kam in Nottingham an. Dieses Mal fiel es mir nicht einmal ein, zu meinem Wirthe, dem Kupferschmied, zu gehen. Leider! mein lieber Petrus, muß ich etwas zu meiner Schande gestehen, nämlich, daß ich an diesen wackern Mann eben nur dann dachte, wenn ich ihn nöthig hatte.

Nein, ich ging geraden Weges zu meinem Handelsmanne.

Ich trat festen Schrittes wie Jemand in das Comtoir, der weiß, daß er das Recht hat, gut empfangen zu werden, da er Geld bringt.

– Herr Rham? fragte ich, obgleich ich ihn recht gut an seinem Schreibtische sitzen sah.

– Da ist er, sagte ein alter Commis zu mir, indem er mich über seine Brille anblickte.

– Ah, sehr wohl! antwortete ich.

Und ich näherte mich ihm.

– Mein Herr, sagte ich zu ihm, ich hatte Sie wegen der unglücklichen Lage, in der ich mich befinde, gebeten, mir ein wenig Zeit für die zwei Guineen zu bewilligen, die ich Ihnen schuldig bin,

– Ja, mein lieber Herr Bemrode, ja, Sie haben mir geschrieben; ich habe Ihnen sogar geantwortet, daß es mir unmöglich wäre, Ihre Bitte zu bewilligen, da ich morgen eine beträchtliche Zahlung zu machen habe, für welche ich aller meiner Gelder bedarf . . . Haben Sie denn meinen Brief nicht erhalten?

– Doch, mein Herr, und ich bringe Ihnen Ihre zwei Guineen.

Und ich nahm majestätisch die beiden Goldstücke aus meiner Tasche.

– Haben Sie demzufolge die Gefälligkeit, fuhr ich fort, mir eine Quittung für diese Zahlung zu geben.

– Das würde mit großem Vergnügen geschehen, mein lieber Herr Bemrode, wenn die Schuldforderung noch mein wäre.

– Wie, wenn sie noch Ihnen gehörte? Was wollen Sie damit sagen?

– Ich will damit sagen, daß die Schuldforderung in andere Hände übergegangen ist.

– Sie ist in andere Hände übergegangen! wiederholte ich.

– Ja, und ich bin Ihr Gläubiger nicht mehr.

– Aber wem bin ich dann schuldig?

– Meiner Treue! Sie mögen mir es glauben oder nicht, mein lieber Herr Bemrode, aber ich will verdammt sein, wenn ich es weiß.

– Ich verstehe Sie nicht, mein Herr.

– Was ich Ihnen da sage, ist indessen klar.

– Und Sie sagen mir? . . .

– Ich sage Ihnen, daß gestern ein Unbekannter zu mir gekommen ist und mich gefragt hat, ob ich nicht der Inhaber einer Schuldforderung auf Sie wäre . . .

– Ein Unbekannter?

– Sie werden begreifen, daß ich keinen Grund hatte, wem es auch auf der Welt wäre, zu verhehlen, daß ich Ihr Gläubiger war: Eine Schuldforderung auf Herrn Bemrode? Meiner Treue! ja, antwortete ich, und nach den Nachrichten, die ich über ihn erhalten, würde der willkommen sein, der mir die Hälfte für diese Schuldforderung anböte. – Beträgt die Schuld nicht fünfzig Pfund? fragte der Unbekannte. – Ganz recht, antwortete ich. – Und Sie haben gesagt, daß Sie dieselbe für fünfundzwanzig Pfund geben würden? – Meiner Treue! ja, ich habe es gesagt, und ich nehme mein Wort nicht zurück; geben Sie mir fünfundzwanzig Pfund und sie gehört Ihnen; aber ich sage Ihnen, daß ich glaube, Sie werden Ihr Geld verlieren. – Gleichviel, mein Herr, ich nehme sie. Hier sind die fünfundzwanzig Pfund, jetzt bitte, übertragen Sie mir die Schuld. – Auf welchen Namen? – Das ist vollkommen unnöthig; lassen Sie den Namen unausgefüllt. Das Wichtige ist. daß Sie bezahlt sind, und Sie sind es. – Nun, da es in der That nichts dagegen einzuwenden gab, so habe ich nichts gesagt . . . als daß ich das Geld eingezogen und die Papiere übergeben habe.

– Sie haben das gethan! rief ich, die Hände faltend, mit einem Seufzer aus.

– Meiner Treue! hören Sie doch, mein lieber Herr Bemrode, der Rector benachrichtigt mich, daß Sie keine Stelle mehr haben; Sie versprechen mir, mich trotz Ihrer Absetzung zu bezahlen, aber die Tage verfließen, ohne daß ich Ihr Geld kommen sehe; endlich erhalte ich einen Brief, ich erkenne Ihre Handschrift, ich breche ihn auf: dieser Brief eröffnet mir Ihre bedrängte Lage und verlangt von mir eine Frist; da ich mein Geld so nöthig hatte, so hätte ich Ihnen diese Frist nicht bewilligen können . . . ich kannte Sie als einen wackern Mann und ich zögerte, Ihnen wehe zu thun. . . Plötzlich bietet man mir fünfundzwanzig Pfund für eine Schuld an, die ich für verloren hielt, oder auf welche ich im entgegengesetzten Falle nur zwei Pfund einzunehmen hatte. »Ah, wahrhaftig! habe ich mir gesagt, ich ziehe es vor, daß ein Anderer Herrn Bemrode verklagt; ich mache es wie Pilatus, ich will keinen Theil daran haben.«

– Sie glauben also, fragte ich zitternd, daß der, welcher es auch sein möge, der diese Schuldforderung gekauft hat, mich verklagen will?

– Meiner Treue! ich will Ihnen nicht verhehlen, daß es mir schien, als ob er nicht gute Absichten gegen Sie hätte.

– Aber, mein Herr, rief ich aus, Sie hätten sich wenigstens seinen Namen und seine Adresse geben lassen müssen, damit ich vor Ablauf der Nothfrist, wenn das möglich wäre, die zwei Guineen an ihn auszahlte.

– Das’ ist es wirklich auch, was ich habe thun wollen, aber er hat mir weder Namen noch Adresse angeben wollen, indem er sagte, daß sein Incognito die erste Bedingung des Handels wäre. Da nun aber das Geschäft gut für mich war, so habe ich nicht auf einen Umstand bestanden, der den Abschluß desselben verhindern konnte.

Herrn Rham länger zu befragen, um etwas zu erfahren, was er selbst nicht wußte, war durchaus unnöthig; gegen sein Verfahren zu schelten, das am Ende jeder Geschäftsmann an seiner Stelle beobachtet hätte, führte doch zu keinen Resultate. Ich nahm daher Abschied von ihm. indem ich Gott bat, ihm das Böse zu verzeihen, das er mir zugefügt hatte.

Hierauf ging ich in aller Eile zu meinem Wirthe, dem Kupferschmiede, in der Hoffnung, daß ein Mann, der mir immer einen so gesunden Verstand gezeigt hatte, mir irgend einen guten Rath in einer so schrecklichen Lage ertheilen würde.

XVI.
Orestes der Zweite

Dieses Mal war ich so glücklich, ihn zu finden und ihn allein zu finden.

Ich erzählte ihm Alles.

Er hörte meine Erzählung an, indem er von Zeit zu Zeit den Kopf schüttelte.

– Den Teufel! den Teufel! den Teufel! sagte er, als ich geendigt hatte, das ist ein schlimmer Handel, Herr Bemrode.

– Sie glauben?

– Ich bin überzeugt davon. Wer kann ein Interesse dabei haben, eine Schuldforderung gegen Sie zu besitzen, wenn es nicht ein Feind ist? Und warum sollte ein Feind diese Schuldforderung gekauft haben, wenn er es nicht that, um Ihnen Böses zuzufügen.

– Inder That, mein lieber Wirth, was Sie mir da sagen, habe ich mir gedacht.

– Sehen Sie wohl!

– Aber was dabei thun?

– Haben Sie die fünfzig Pfund, die man zuverlässig übermorgen von Ihnen verlangen wird?

– Leider! nein; wie sollte ich fünfzig Pfund haben, ich, der ich abgesetzt bin!

– Hat Ihr Schwiegervater sie?

– Eben so wenig als ich!

– Kennen Sie einen Freund, von dem Sie sie borgen könnten?

– Ich habe nur einen Freund!

Der wackere Mann blickte mich mit weit geöffneten Augen und mit lächelndem Munde an und wartete.

– Das ist Herr Petrus Barlow, ein sehr gelehrter Mann, Professor der Philosophie an der Universität Cambridge . . . Ich habe Ihnen bereits davon gesprochen.

– In der That, ich erinnere mich. . . Und Sie können auf diesen Herrn Barlow rechnen? fragte mein Wirth. indem er leicht die Lippen zusammenkniff.

– O! Gewiß! . . . nur. . .

– Nur?

– Ist Petrus wahrscheinlich eben so arm als ich. . .

– Dann ist es eine schlimme Geschichte, Herr Bemrode! eine schlimme Geschichte! murmelte mein Wirth, indem er fortwährend den Kopf schüttelte.

– Das ist also immer noch Ihre Meinung?

– Mehr als jemals.

– Nun denn, geben Sie mir einen Rath.

– Ich gebe Ihnen den Rath, zu warten.

– Aber, wenn das Unglück kommt? und das Unglück wird kommen!. . .

– Dann, lieber Herr Bemrode, werden Sie ihm als Philosoph die Stirne bieten und es als Mann bekämpfen.

– Das ist also der ganze Trost, den Sie mir geben?

– Es giebt im Leben Unglücksfälle, gegen welche es keinen vorbereitenden Trost giebt; man muß sie festen Fußes erwarten, da man sie nicht vermeiden kann, gegen sie kämpfen, und sie durch Beharrlichkeit, Willen und Ergebung überwinden. Wenn der Mensch es recht will, so ist er der mächtigste Kämpfer: Gott hat ihm die Kraft gegeben. Alles zu überwinden, ausgenommen den Tod.

– Aber was werde ich am Ende nach Ihrer Meinung in dem Unglücke thun müssen?

– Die Lage kaltblütig untersuchen und den möglichst besten Nutzen daraus ziehen. Es ist sehr selten, daß eine so verzweifelte Lage für ein scharfes Auge nicht einen für die Rettung offenen Weg hat.

– Aber wenn die meinige keinen hat, wenn, nach welcher Seite auf Erden ich auch blicke, jeder Weg mir verschlossen ist?. . .

– Dann, Herr Bemrode, werden Sie gen Himmel blicken, und wenn Gott in den Augen, die Sie zu ihm erheben, die Würde des Mannes und den Glauben des Christen sieht, so glauben Sie mir, – und ich sollte es nicht sein, um es Ihnen zu sagen, – so glauben Sie mir, daß Gott Sie nicht verlassen wird.

 

Ich stieß einen Seufzer aus, welcher bedeutete: Aber wenn er diesen Glauben und diese Würde nicht in meinen Augen sieht, so verläßt mich Gott?. . . .

Mein Wirth verstand mich.

– Dann, sagte er zu mir, suchen Sie, ob Sie nicht auf der Welt einen andern Freund, als Herrn Petrus haben, und wenden Sie sich an diesen Freund.

– Ich habe keinen, antwortete ich.

Der wackere Mann stieß einen Seufzer aus.

– Umso schlimmer, Herr Bemrode! um so schlimmer!

– Ah! sagte ich. ich sehe wohl, daß ich nur auf mich allein rechnen kann. . . Leben Sie wohl, mein lieber Wirth.

– In jedem Falle, Herr Bemrode, sagte der wackere Mann zu mir, versprechen Sie mir Eines.

– Was?

– Mich immer von den Ereignissen in Kenntniß zu setzen.

– Wozu würde mir das dienen, da Sie mir nicht einmal einen Rath ertheilen können?

– Zuweilen ist es weit leichter, einen Dienst zu erzeigen, als einen Rath zu geben . . . Aber, Verzeihung, Herr Bemrode, wie Sie sehen, bin ich allein im Laden, und da kommt ein Käufer . . . Sie versprechen mir das? nicht wahr?

– Was?

– Daß Sie mir schreiben werden. . .

– Ei! mein Gott, ja, antwortete ich ihm, obgleich ich nicht recht sehe, von welchem Nutzen es für mich sein kann, einem Manne zu schreiben, der mich in der Lage verläßt, in welcher ich mich befinde, um einen Kunden zu bedienen, der vielleicht für einen halben Schilling kauft!

Ich war tief verletzt; weil mein Wirth nicht im Stande war, mich zu trösten, so schien er mir gleichgültig gegen mein Unglück.

Ohne Zweifel war das eine Ungerechtigkeit, und diese Ungerechtigkeit verletzte ihn.

Er kam zu mir, und ich glaubte zu sehen, daß er Thränen in den Augen hätte.

– Herr Bemrode, sagte er zu mir, an diesem halben Schilling Waare, die ich an diesen Kunden verkaufen werde, den ich für Sie warten lasse, verdiene ich vielleicht einen halben Penny; nun, indem ich einen auf den andern, halben Penny auf halben Penny legte, bin ich dazu gelangt, mir ein kleines Vermögen von fünfzehnhundert bis zweitausend Pfund Sterling zu sammeln, das bei Veranlassung mir erlauben würde, einem Freunde einen Dienst zu erzeigen, wenn dieser Freund in Verlegenheit wäre. . . Glücklicher oder unglücklicher Weise, wie Sie wollen, lieber Herr Bemrode, habe ich keinen Freund, ohne Zweifel, weil ich ein armer Handwerker, und nicht ein gelehrter Professor bin . . . Aber entschuldigen Sie mich, ich sehe meinen Kunden ungeduldig werden; er könnte gehen, wenn er sieht, daß ich mich nicht um ihn bekümmere, und ich könnte es versäumen einen halben Penny zu verdienen, worüber ich mich niemals trösten würde. – Leben Sie wohl, mein lieber Herr Bemrode, schreiben Sie mir.

Und er verließ mich, um seinem Kunden eine Kohlenpfanne zu verkaufen.

Was mich betrifft, so entfernte ich mich tief betrübt über die Gleichgültigkeit dieses Mannes, bei dem ich ein gutes Herz vermuthet hatte, und schlug wieder den Weg nach Ashbourn ein. indem ich murmelte:

– Alle diese Handelsleute, große oder kleine, sind dieselben feilen Seelen!

Dieses Mal war ich ganz im Gegentheile von dem andern gänzlich niedergeschlagen. Glücklicher Weise traf ich auf der Straße einen Landmann, der mit einem leeren und bedeckten Wagen zurückkehrte; er bot mir einen Platz darauf an, den ich annahm, obgleich dieses Beförderungsmittel mich augenscheinlich um eine Stunde verspäten mußte.

Jeden Falles würde ich für die Nachricht, die ich überbrachte, immer noch früh genug ankommen.

Ich kam mit anbrechender Nacht an.

Jenny erwartete mich vor der Thür; sie hatte ein ruhiges und ein wenig lächelndes Gesicht.

Welches andere Unglück konnte sie in der That voraussehen, als die Nothwendigkeit, in welcher ich gewesen war, die zwei Guineen zu geben, welche unser kleines Vermögen um so viel verringerten?

Und ich, als ich dieses sanfte und vertrauungsvolle Gesicht sah, ich sagte mir:

– Unglücklich ist der, der diese Ruhe in Aufregung, dieses Lächeln in Thränen verwandeln wird!

Ach! ich war es, der diese traurigen Verwandlungen bewirken sollte!

Sie erwartete mich nicht auf diesem Wagen, der so langsam fuhr.

Der Wagen hielt indessen vor der Thür des Pfarrhauses, und Jenny erblickte mich in seiner dunkelsten Tiefe.

Sie stieß einen leisen Freudenschrei aus.

– Du bist es, mein lieber Williams, sagte sie.

Als sie hierauf die Langsamkeit meiner Bewegungen bemerkte, fügte sie hinzu:

– Ach! mein Gott! wärest Du etwa krank oder verwundet?

– Wollte der Himmel, antwortete ich ihr, daß ich das viertägige Fieber oder mir ein Bein gebrochen hätte, und daß es nur das wäre!

Nun sah sie ein, daß ich die Nachricht von irgend einem großen Unglück überbrächte.

– Gott sendet Dich mir gesund zurück, Geliebter meines Herzens, sagte sie, das Uebrige ist Nichts!

Hierauf half sie mir aussteigen, dankte dem Landmann mit jener freundlichen Stimme, die eine Belohnung ist, und der Landmann entfernte sich, indem er leise zu mir sagte:

– O! Herr Bemrode, welcher Segen des Himmels eine solche Frau ist!

Wir kehrten in das Haus zurück. Ich ging voraus und kam bis in mein Arbeitszimmer, ohne ein Wort zu sprechen.

Dort setzte ich mich, und indem ich Jenny auf meinen Schooß zog, sagte ich zu ihr:

– Theures Kind, sei gefaßt auf ein großes Unglück, das uns treffen wird . . .

Jenny erbleichte.

– O! mein Gort! rief sie aus, wäre etwa mein Vater oder meine Mutter gestorben?

– Nein.

– O! sagte sie weit freier athmend, Du bist gesund, mein Vater und meine Mutter leben, Gott sei gepriesen! Ich erwarte das Unglück, das Du mir bringst, Williams, und erwarte es, ich will nicht einmal sagen mit Ergebung, sondern mit Freude, denn es kommt von dem Herrn und durch Dich!

Ich erzählte ihr Alles, was sich bei dem Handelsmann zugetragen hatte; nur, da ich glaubte, daß ich mich über meinen Wirth, den Kupferschmied zu beklagen hätte, so sprach ich nicht ein Mal von dem Besuche, den ich ihm gemacht hatte.

Während ich erzählte, fühlte ich zwei oder drei Schauder, die Jenny’s Körper überliefen.

Diese Schauder bewiesen mir, daß sie nicht so gefühllos gegen das war, was uns zustieß, als sie mich hätte glauben lassen wollen.

– Ja, sagte sie ernst, als ich geendigt hatte. Du hast Recht, mein Freund, das ist bedenklich!

– Was meinst Du von dem Unbekannten, fragte ich sie, der diese unglückselige Schuldforderung gekauft hat?

– Ich meine, daß es ein Feind ist. . .

Mein Wirth, der Kupferschmied hatte mir dasselbe gesagt; es mußte also der Fall sein; zwei Leute von so gesundem rechtschaffenen Verstande als dieser Mann und Jenny konnten sich nicht zugleich irren.

– Ich denke wie Du, meine Jenny; aber wer kann dieser Feind sein?

– Wer ist der Feind, den Du haben kannst, Williams? Ueberlege es wohl.

– Ei, mit Ausnahme des Rectors, der seinen Neffen an meine Stelle setzen will, wüßte ich nicht, daß ich einen Feind hätte.

– Gutes Herz! murmelte Jenny; nun denn, besinne Dich genauer.

– Ich suche vergebens fern von mir oder in meiner Nähe.

– Suche nicht weit, mein armer Williams.

– Also in der Nähe?

– Ja.

Ich ließ Alle die Musterung passiren, aus denen mein Verdienst mir Feinde in der Welt hatte machen können.

Dann die, deren Interesse ich in dem Dorfe hatte verletzen können.

Dann alle die, welche ich vielleicht wissentlich oder unwissentlich in ihrem Stolze getroffen hatte.

Plötzlich hatte ich eine schreckliche Idee.

Ich erbleichte.

Jenny sah meine Blässe, und machte mit dem Kopfe eine bejahende Bewegung.

– Du glaubst? fragte ich sie.

– Ich bin überzeugt davon, mein Freund.

– Wie! dieser Lakai, dieser Elende, dieser Schändliche, dieser Stiff?

– Ist unser Gläubiger.

– Dann laß uns auf die ganze Strenge des Gerichtes gefaßt sein! – Alle Mittel des Hasses werden sie schärfen!

– Mein Freund, sagte Jenny mit einem erhabenen Vertrauen, nach der irdischen Gerechtigkeit giebt es die himmlische Gerechtigkeit; hinter dem menschlichen Hasse befindet sich die Liebe des Herrn.

– Wohlan, warten wir! sagte ich fast mit Ergebung; außerdem werden wir nicht lange zu warten haben, und morgen wissen, woran wir uns zu halten… in jedem Falle, fügte ich leise hinzu, und wie um meinem Stolze einen letzten Trost zu gewähren, werde ich noch mit mehr Ruhm unterliegen, als Polykrates: er hatte nur einen Orestes, und ich habe deren zwei.