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Der Pastor von Ashbourn

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

XVII.
Aus dem Regen in die Traufe

Wie wir es vorausgesehen, hatten wir nicht lange zu warten: gleich am folgenden Morgen erschien ein Unbekannter mit meinem Schuldscheine in der Hand, und verlangte die Bezahlung einer Summe von fünfzig Pfund Sterling.

Von Herrn Stiff war durchaus keine Rede; aber wir zweifelten keinen Augenblick daran, daß der Streich von ihm herrühre. Außerdem wurde ich schnell in diesem Glauben bestärkt.

Auf meine Antwort, daß ich diese Summe nicht zu meiner Verfügung hätte, sondern nur zwei Guineen, welche ich am Tage vorher Herrn Rham überbracht und die dieser zurückgewiesen hatte, entfernte sich der Unbekannte, indem er uns benachrichtigte, uns nicht zu verwundern, wenn von dem folgenden Tage an die gerichtliche Verfolgung beginnen und mit dem größten Eifer betrieben werden würde.

Ich antwortete, daß es meinem Gläubiger, wer es auch sein möchte, frei stände, zu handeln, wie es ihm gut dünkte; aber daß es mir schiene, als ob er, wenn er so handelte, nicht wie ein Christ handelte.

Hierauf nahm ich in dem Augenblicke, wo er sich entfernte, mein Fernrohr und ging auf den Speicher hinauf.

Das Pfarrhaus war das höchste Haus des Dorfes; das Fenster des Speichers übersah die ganze Umgegend; von diesem Fenster aus konnte ich dem unbekannten Manne folgen, und durch die Richtung, die er einschlagen würde, beurtheilen, von woher mir der Schlag käme.

Wie ich es mir dachte, sah ich meinen Unbekannten den Weg nach dem Schlosse einschlagen. Ungefähr eine halbe Meile weit von dem Dorfe Ashbourn wurde er von einem Manne zu Pferde angeredet, der ihn an dem Saume eines kleinen Waldes erwartete; dieses selben kleinen Waldes, durch den ich gegangen war, als ich von dem Schlosse zurückkehrte, und in welchem Jenny ausgerufen hatte, indem sie von dem Haushofmeister und seiner Frau sprach: »O! nicht wahr, mein Freund, Du wirst mich niemals Madame nennen?«

Ich richtete mein Fernrohr auf den Reiter, der meinem Unbekannten entgegenkam.

Dieser Reiter war Herr Stiff.

Diese beiden Männer verweilten einen Augenblick lang an dem Orte, wo sie zusammengekommen waren, unterhielten sich mit einander und untersuchten die Papiere, deren Ueberbringer der Unbekannte war; hierauf ging dieser Letztere, der die Papiere behielt und ohne Zweifel seine Verhaltungsvorschriften erhalten hatte, während Herr Stiff nach dem Schlosse zurückkehrte, um das Dorf herum, und erreichte auf der Heerstraße von Nottingham einen kleinen Wagen, der ihn erwartete, und der, sobald er eingestiegen war, rasch den Weg nach der Stadt wieder einschlug.

Am folgenden Tage erhielt ich durch den Gerichtsboten eine Aufforderung, daß ich binnen vierundzwanzig Stunden die Summe von fünfzig Pfund Sterling, Zinsen und Capital, zu bezahlen hätte.

Jenny und ich hatten die Frage verhandelt, ob man den Proceß betreiben sollte; ob man versuchen sollte, die Schuld abzuläugnen, kurz die Schikane dem Hasse entgegenzustellen.

Jenny war der Meinung gewesen, dem Processe seinen Lauf zu lassen, ohne daß wir irgend eine Einrede machten. Ein Proceß war ein Scandal, und sollte ich diesen Proceß auch gewinnen, so hätte ich zuverlässig dadurch nur an Achtung verloren, daß ich ihn betrieb. Wir antworteten daher auf diese erste Aufforderung nichts.

Drei Tage nachher erhielt ich die Aufforderung, vor dem Richter zu erscheinen, um die Schuld zu läugnen oder anzuerkennen.

Meine Meinung war. uns als nicht erschienen verurtheilen zu lassen, was uns das Recht gewährte, gegen das Urtheil einzukommen; aber das war nicht die Meinung Jenny’s.

– Geh zu dem Richter, sagte sie, und erzähle ihm die Sachen, wie sie sich zugetragen haben. . . Du kannst sie offen erzählen, mein lieber Williams, denn diese Thatsachen sind ganz zu Deiner Ehre.

Ich hatte beschlossen, mich in dieser Angelegenheit gänzlich von Jenny leiten zu lassen, deren gesunden Verstand und redliches Herz ich kannte.

Ich erschien daher an dem in der Vorladung bestimmten Tage und zur vorgeschriebenen Stunde vor dem Richter.

Ich glaubte dort meinen Gegner zu finden.

Ich irrte mich.

Der Richter ließ mich in sein Arbeitszimmer eintreten, verschloß die Thür hinter mir, und wir befanden uns allein.

Dieser Richter war ein guter Mensch, den ich dem Rufe nach kannte und der Herr Jenkins hieß.

Er grüßte mich höflich und lud mich ein, mich zu setzen.

– Herr Bemrode, sagte er mir, die Gerechtigkeit ist in ihrer Anwendung für Alle dieselbe; aber ich meine, daß sie in ihrer Form abwechseln muß. Ich habe von Ihnen sprechen hören; ich weiß, daß Sie ein ehrenwerther Mann sind; ich weiß, daß das Unglück Sie in diesem Augenblicke verfolgt; ich weiß endlich, daß Sie Feinde haben. Deshalb empfange ich Sie allein; deshalb will ich als Privatmann mit Ihnen sprechen; deshalb will ich Mensch sein, bevor ich Richter bin.

– Seien Sie von meiner Dankbarkeit überzeugt, mein Herr, erwiederte ich, aber Ihr guter Wille wird mich nicht retten und ich bin im Voraus verurtheilt.

– Sie sind also die Summe schuldig, die man von Ihnen verlangt?

– Ich bin sie schuldig, weil mein Vater für den gebürgt hat, der sie schuldig war, und ich für meinen Vater gebürgt habe.

– Kennen Sie irgend ein Mittel, diesen Schuldschein anzugreifen. Herr Bemrode?

– Nein, mein Herr, ich kenne keines, und wenn mir auch eins bekannt wäre, so würde ich es dennoch nicht benutzen . . . Ich habe gebürgt, ich muß bezahlen.

– Aber wenn es Ihnen unmöglich ist, zu bezahlen?

– Ich muß die Folgen meiner Schuld tragen.

– Aber wissen Sie, daß diese Folgen schrecklich sind?

– Ja, ich weiß es.

– Ich werde genöthigt sein, den Verkauf Ihrer Möbel zu verfügen . . .

– Meine Möbel gehören nicht mir, mein Herr; meine Möbel gehören meinen Pfarrkindern. Sie hatten sie mir in dem Glauben gegeben, daß ich ewig bei ihnen bleiben würde; ich verlasse sie zu meinem großen Bedauern, denn ich liebe sie und sie lieben mich; von nun an sind die Möbel nur ein Darlehen, und ich erwarte von Ihrer Billigkeit, daß sie unantastbar sind, damit ich sie denen zurückgeben kann, die sie mir gegeben haben.

– Ich bevollmächtige Sie hiermit, sie zurück zu geben, Herr Bemrode, aber nehmen Sie sich in Acht, diese Zurückerstattung wird vielleicht auf Kosten Ihrer Freiheit gemacht werden.

– Wie das?

– Der Ertrag des Verkaufes Ihrer Möbel hätte vielleicht Ihren Gläubiger bezahlt.

– Ich kann Möbel nicht verkaufen lassen, die mir die Liebe meiner Pfarrkinder gegeben hat.

– Sie wissen, Herr Bemrode, daß in Ermangelung von Bezahlung die englischen Gesetze die persönliche Haft zulassen.

– Ich weiß es.

– Und Sie sind darein ergeben?

– In Alles.

– Selbst darein, in das Gefängniß zu gehen?

Ich lächelte, obgleich ich das Wort Gefängniß nicht ohne einen gewissen Schauder hörte.

– Gott befindet sich in dem Gefängnisse eben so gut, als anderswo, antwortete ich.

– Aber Ihre Frau?. . .

Ich fühlte die Thränen, welche mir in die Augen kamen.

– Meine Frau hat ihren Platz an dem Tische und an dem Herde ihrer Mutter behalten.

– Sie weisen also jede Vertheidigung zurück?

– Jede Vertheidigung wäre eine Abläugnung der Schuld, und ich bin schuldig, da ich gebürgt habe.

Ich stand auf, indem ich diese Worte sagte und durch diese Bewegung andeutete, daß mein Entschluß gefaßt wäre, und daß ihn nichts ändern würde.

Der Richter stand gleichfalls auf und reichte mir die Hand.

– Mein Herr, äußerte er, man hatte mir die Wahrheit gesagt. Ich werde Sie verurtheilen, mein Herr, denn das englische Gesetz lautet bestimmt, aber indem ich Sie bedauere und Sie achte.

– Werden Sie den, der dieses Urtheil verschuldet, ebenfalls bedauern und achten, mein Herr? fragte ich den Richter.

– Ich werde ihn bedauern, mein Herr, aber ich werde ihn nicht achten. Gehen Sie, Herr Bemrode, und verzeihen Sie mir, wenn ich, nachdem ich meine Pflicht als rechtschaffener Mann gegen Sie gethan habe, jetzt meine Pflicht als Richter thun werde.

Herr Jenkins grüßte mich und ich verließ ihn.

Erklären Sie mir, mein lieber Petrus, diese Wunderlichkeit unserer armen menschlichen Natur: dieses Mal war Alles entschieden; die Zukunft meines Verderbens und meines Gefängnisses lag vor mir; ich konnte sie bis auf ihre dunkelsten Tiefen erforschen; O! ich verließ diesen Richter, der mich zu verurtheilen im Begriffe stand, mit leichtem Herzen und stolzem Blicke; ich war nahe daran. Jedermann auf meinem Wege anzuhalten und selbst dem Unbekannten zu sagen: »Wie Sie mich da sehen, werde ich in das Gefängniß gehen, nicht als ein Verbrecher, sondern als ein Märtyrer. . . ich habe die Rechtschaffenheit bis zum Uebermaß getrieben, und ich werde mit meiner Freiheit die Ehre bezahlen, der rechtschaffenste Mann zu sein, den ich kenne!«

Ach! mein lieber Petrus, scheint es Ihnen nicht, daß mein verteufelter Stolz mich überall, selbst in meinem Unglück, verfolgt?

Ich kehrte gegen sieben Uhr Abends nach Ashbourn zurück.

Jenny erwartete mich mit einer Neuigkeit, welche das Gegenstück zu der bildete, die ich ihr selbst zu melden kam: mein Nachfolger war angekommen. Es war, wie wir es ahneten, der Neffe des Rectors, der seine Mündel geheirathet hatte.

Er führte den Titel als Vicar mit sechzig Pfund Sterling Gehalt; aber, so leicht als die Pfarre für mich ein Vicariat geworden war, so leicht konnte sie, wenn es dem Herrn Rector gefiel, wieder eine Pfarre für seinen Neffen werden.

Ich nahm diese neue, – obschon erwartete Demüthigung mit derselben Seelenstärke auf, als die früheren.

Der folgende Tag war ein Sonntag. Ich hielt meiner Gemeinde meine Abschiedspredigt; ich nahm Abschied von ihr wie Jemand, der bedauert und der sicher ist, bedauert zu werden; die Stimme zitterte mir; alle meine Zuhörer hatten Thränen in den Augen.

 

Aber als ich sagte, daß am folgenden Tage das Pfarrhaus offen sein werde, damit Jeder kommen könnte, das zurückzunehmen, was er gebracht hätte; als ich sagte, daß, bis der Herr über mich für ein noch größeres Mißgeschick als das verfüge, was mich in diesem Augenblicke erwartete, ein kleines Zimmer auf einem Speicher mir und meiner Frau genügen würde, brachen Alle in Schluchzen aus, und es gab nicht einen dieser Landleute, der nicht ausrief:

– In meinem Hause, Herr Pastor. . . Kommen Sie zu mir.

Nun bemächtigte sich ein wenig christliches Gefühl meiner Seele; ich wünschte, daß mein Nachfolger meiner Predigt beiwohnte.

Das wäre eine schöne Rache gewesen! besonders eine sehr rechtmäßige Rache!

Aber, wie Sie wissen, mein Freund, ist die Rache, so schön und so rechtmäßig sie auch sein möge, keine christliche Tugend.

Als ich die Kirche verließ, erwartete mich das ganze Dorf auf dem Platze; kaum erblickte man mich, als die Rufe: » Es lebe Herr Bemrode! es lebe unser guter Pastor!« von allen Seiten erschallten.

Und nun eilte Jeder auf mich zu. die Einen, indem sie meine Hände, die Anderen, indem sie meine Kleider küßten und sagten:

– Es sind nur die Gerechten, welche die Verfolgung erreicht; trösten Sie sich, Herr Bemrode, Sie sind ein Gerechter.

Und sie führten mich aus diese Weise bis nach der Schwelle des Hauses, das ich zu verlassen im Begriffe stand. und als sie auf dieser Schwelle Jenny, meine schöne und gute Jenny sahen, die mich mit offenen Armen, mit Thränen in den Augen, aber mit freundlichem, lächelndem und ergebenem Gesichte erwartete, verdoppelte sich das Weinen, das Schluchzen und die Ausrufe der Begeisterung, und, ich gestehe es, ich fühlte mich nahe daran, ohnmächtig zu werden.

Das Mitleiden erweicht das Herz; die Dankbarkeit läßt es schmelzen.

Jenny und ich brachten den ganzen Tag in einer unglaublichen Ruhe des Geistes zu. Vielleicht ist es sehr anmaßend, unsere Lage mit der der ersten Christen zu vergleichen, die zu den wilden Thieren verurtheilt waren und am folgenden Tage in dem Circus kämpfen sollten; aber diese würdigen Märtyrer empfanden ohne allen Zweifel etwas der schwermüthigen Zufriedenheit Aehnliches, die sich unserer bemächtigt hatte.

Sobald Jenny oder ich unter der Thür erschienen, hörte jede Unterhaltung der guten Leute, – es war ein Sonntag, wie Sie sich erinnern werden, – hörte jede Unterhaltung auf, die Hände Aller griffen unwillkürlich nach den Hüten, und alle Köpfe entblößten sich.

Um acht Uhr hielten wir die letzte Mahlzeit, die wir in unserem armseligen kleinen Hause halten sollten, in welchem wir geglaubt hatten, ein ganzes, so glückliches und so unbekanntes Leben zuzubringen. Der Haß hatte uns unter diesem bescheidenen Dache aufgesucht, wie als ob es ein großes Glück gewesen wäre: Der Haß war willkommen!

Ich nannte diese letzte Mahlzeit die Henkersmahlzeit.

Hierauf zogen wir uns in das Schlafzimmer zurück, das ich für Jenny mit Frescomalerei ausgeschmückt hatte. Der Anblick dieser Malereien erinnerte mich an unser Glück, verlieh mir einen Augenblick des Zornes; ich hatte Lust einen groben Pinsel zu nehmen und Alles auszuwischen, aber Jenny hielt mich zurück, und indem sie sich vor ihrem Betstuhle auf die Knie warf, sagte sie:

– Herr! gieb, daß die, welche nach uns dieses Zimmer bewohnen, ebenso glücklich darin sein mögen, als wir es gewesen sind!

XVIII.
Das Gefängnis

Am folgenden Morgen um sieben Uhr stand, wie ich es meinen Pfarrkindern angezeigt hatte, die Thür des Pfarrhauses offen, und Jeder konnte die Möbel zurückholen, die er gebracht hatte.

Aber trotz der öffentlichen Aufforderung, die ich am Tage vorher bei der Predigt gemacht hatte, erschien Niemand.

Nun beauftragte ich den Magister, von Haus zu Haus zu gehen, und ein zweites Mal die Eigenthümer aufzufordern, sich wieder in den Besitz ihres Eigenthumes zu setzen es sei denn, daß sie die Absicht hätten, meinem Nachfolger ein Geschenk damit zu machen.

Dies Wort wirkte zauberisch. Dieser Nachfolger, – Gott ändere diese Geistesstimmung seiner Pfarrkinder gegen ihn! – Dieser Nachfolger war im Voraus verabscheuet.

Ich sah Männer, Frauen und Kinder herbeieilen.

Ich mußte allen diesen guten Leuten von Neuem erklären, daß ich das Haus im Laufe des Tages verlassen würde, damit sie sich entschlössen, das zurückzunehmen, was sie mir so großmüthiger Weise gegeben hatten.

Die Sache ging langsam vor sich. Jeder trug mit großem Bedauern sein Eigenthum fort. Gegen vier Uhr Nachmittags war Alles ausgeräumt.

Wir verließen als die Letzten das Haus, indem wir die Thüren offen ließen, damit der neue Bewohner desselben einziehen könnte, wann er wollte.

Hierauf nahmen wir für die kurze Zeit, die wir noch in Ashbourn bleiben sollten, unsere Wohnung bei dem Magister.

Das war eine Auszeichnung, welche wir diesem wackeren Manne für die Theilnahme schuldig zu sein glaubten, die er uns bezeigt hatte.

Am folgenden Tage statteten wir unseren theuren Eltern einen Besuch ab; sie kannten nicht ganz die Größe des Schlages, der uns traf.

Anfangs hatte Jenny Alles sagen wollen; aber ich hatte ihr begreiflich gemacht, daß das gut gewesen wäre, wenn sie uns hätten helfen können, während, überzeugt wie ich von ihrer Machtlosigkeit war, es mir grausam schien, sie mit unserem Unglücke bekannt zu machen, wo uns ihre eigne Armuth so sehr durch das Opfer bestätigt worden war. das Herr Smith gebracht, um seiner Tochter ein Klavier zu schenken.

Ich hatte also bestimmt zu lügen, indem sie ihren Eltern sagte, daß unsere in ein Vicariat verwandelte Pfarre vergeben, aber daß mir eine andere Pfarre versprochen sei.

Das Unglück war dadurch schon groß genug, da diese andere Pfarre, welche an dem entgegengesetzten Ende Englands sein konnte, die Trennung war.

Die Ursache der Lüge machte nach meiner Meinung die Lüge verzeihlich.

Den Aerzten ist gleichfalls erlaubt zu lügen; für sie ist es sogar eine Pflicht.

Was waren nun aber Jenny und ich bei dieser Veranlassung? Aerzte, welche den verzweifelten Zustand ihrer Kranken nicht gestehen wollten.

Als sie unseren Auszug aus dem Pfarrhause und unseren Einzug zu dem Schulmeister erfuhren, brachen sie auf der Stelle von Wirksworth auf, und kamen, uns Gastfreundschaft in ihrem Hause anzubieten.

Ja, ohne Zweifel, diese Gastfreundschaft wäre etwas Angenehmes, eine große Erleichterung unseres Unglückes gewesen, wenn wir nicht von einem zukünftigen, noch weit größeren Unglücke bedroht gewesen wären.

Sie waren durch das Pfarrhaus gegangen, in der Meinung, daß wir dort vielleicht noch durch irgend einen Zufall zurückgehalten wären.

Aber sie hatten das Pfarrhaus leer, alle Thüren offen gefunden. Man hätte es für eine seit zehn Jahren wüste Ruine halten können, die ewig unbewohnt bleiben sollte.

Der neue Vicar hatte noch nicht gewagt, einzuziehen, um das Haus so zu sagen warm von unserer Gegenwart zu übernehmen.

Sie fanden uns in einem kleinen Zimmer, umgeben von den armseligen Möbeln, die uns der Magister hatte leihen können, und welche gleichwohl die besten waren, die es in dem Hause gab.

Bei diesem Anblicke wurde das Herz der guten Madame Smith beklommen, und selbst die Heiterkeit der patriarchalischen Züge des Herrn Smith trübte sich.

Der würdige Mann machte uns nun Vorwürfe darüber, uns nicht zu ihm zurückgezogen zu haben; aber ich erklärte ihm, wie unnöthig es wäre, ihm diese Störung von einigen Tagen zu verursachen, indem ich ihm versicherte, – leider mit zu viel Gewißheit! – daß ich binnen Kurzem die Stelle und die Wohnung erhalten würde, die mir versprochen wäre.

Daran war ich, als der Magister mit einem Briefe in der Hand eintrat.

Dieser Brief hatte den Stempel von Nottingham.

Einen Augenblick lang glaubte ich, mein lieber Petrus, daß dieser Brief von Ihnen wäre, und daß Ihr Bruder, der ehrenwerthe Herr Samuel Barlow, sich mit mir beschäftigt hätte, und Sie mir irgend eine angenehme Nachricht übersendeten.

Aber dann hätte der Brief den Stempel von Cambridge gehabt, und nicht den von Nottingham.

Ich brach ihn auf.

Er war von dem Richter.

Herr Jenkins, immer unparteiisch als Richter und gut als Mensch, meldete mir, daß das Urtheil, welches mich zum Gefängnisse verdammen sollte, am folgenden Donnerstag erlassen werden würde, – daß es am Sonnabend executorisch wäre.

Wenn ich mir demzufolge den Scandal einer Verhaftung ersparen wollte, so hätte ich ihm nur einige Zeilen zu schreiben und zu versprechen, mich von selbst in das Gefängniß zu begeben.

Mein Wort würde hinreichen, und dann würden sich die Gerichtsboten nicht bemühen.

Die Befehle würden in dem Schuldgefängnisse gegeben werden, daß man mich in dasselbe einschlösse und mir das beste unter allen freien Zimmern gäbe.

Diese Güte des Herrn Jenkins rührte mich unendlich. In meinem Unglücke hatte ich so zu sagen die beiden Pole der Gesellschaft berührt: das, was es Schlimmstes, und das, was es Bestes gab.

Die Thränen kamen mir in die Augen und das Lächeln auf die Lippen, als ich diesen Brief las.

Als Madame Smith den Ausdruck meines Gesichtes sah, sagte sie daher auch:

– Eine angenehme Nachricht, mein Schwiegersohn, nicht wahr?

– Ja, liebe Mutier, eine vortreffliche. . . Dieser Brief meldet in der That, daß ich am Sonnabend untergebracht sein, und mich von diesem Augenblicke an um nichts mehr zu bekümmern haben werde.

Und ich reichte Jenny den Brief, die ihn las und wie ich lächelte.

Unsere armen Eltern verließen uns daher vollkommen ruhig.

Als sie sich entfernt, verlor ich keinen Augenblick, um Herrn Jenkins zu antworten.

Als sie von der Begleitung ihres Vaters und ihrer Mutter zurückkehrte, sah Jenny mich mit Schreiben beschäftigt; sie dachte mit Recht, daß das, was ich schriebe, die Antwort auf den Brief des Richters wäre.

Sie neigte sich daher auf die Lehne meines Stuhles und las über meine Schulter.

Ich schrieb Herrn Jenkins, daß ich am nächsten Sonnabend Mittag an die Thür des Schuldgefängnisses klopfen würde, und bat ihn, meinen Dank für den guten Rath zu genehmigen, den er mir gegeben hätte.

Nachdem ich den Brief unterzeichnet, schickte ich mich an, ihn zu versiegeln, als Jenny zu mir sagte, indem sie mir die Feder reichte, die ich weggelegt hatte:

– Mein geliebter Williams, Du vergißt Etwas. . .

– Was?

– Zu fragen, ob ich mit Dir in dem Gefängnisse zugelassen werden kann.

Ich wandte mich um; dicke Thränen kamen mir in die Augen; ich ergriff die beiden Hände Jenny’s und küßte sie innig.

– Du, im Gefängnisse. . . Du, eingesperrt? Du, ohne Luft, ohne Blumen, ohne Sonne?. . . Unmöglich!

– Bin ich nicht Deine Frau, mein Geliebter, und ist mein Platz nicht da, wo Du bist?

– Jenny, ich wiederhole es Dir, Du würdest es nicht aushalten.

– Und glaubst Du. daß ich unsere Trennung aushalten werde? Glaubst Du, mein lieber Williams, daß Deine Gegenwart mir nicht nothwendiger ist als die Luft, als die Blumen, als die Sonne? Schreib, mein Freund, schreib . .. und bitte diesen guten Herrn Jenkins um einen kleinen Platz für mich in einer Ecke Deines Gefängnisses.

Ich nahm die Feder aus den Händen Jenny’s, und bat um das, was sie wünschte.

O Petrus! Petrus! großer Philosoph! so sehr Philosoph, daß Sie unverheirathet geblieben sind, um der Philosophie nicht untreu zu werden, glauben Sie, daß Ihre gelehrte und spröde Geliebte Ihnen bei einer Veranlassung wie die, in welcher ich mich befinde, einen dem gleichen Trost gewährt hätte, den mir Jenny gewährte?

Nein, ich erkläre es, es giebt kein wirkliches Unglück, wenn der Herr erlaubt, daß man zu Zweien ist, um es zu ertragen.

Die Tage verflossen, ohne etwas in unserer Lage zu ändern. Ich hatte Ihnen, mein lieber Petrus, zu gleicher Zeit als dem Richter, Herrn Jenkins, geschrieben; aber was konnte ich von nun an von Ihnen und von Ihrem Bruder hoffen?

Eine Pfarrstelle! – das war es, warum ich nachgesucht hatte; wozu würde mir diese Pfarrstelle jetzt dienen? Konnte ich sie von meinem Gefängnisse aus versehen?

Was der Gefangene bedarf, ist die Philosophie oder die Ergebung.

Als Priester hoffte ich, mich höher als die Wissenschaft, hoffte ich, mich bis zur Tugend erhoben zu haben.

Am Freitag nahmen wir von Herrn und Madame Smith Abschied; sie wußten durchaus nicht, was wir in Nottingham zu suchen hätten.

Arme, gute Eltern, wenn sie hätten errathen können, daß es ein Gefängniß war!

Sie umarmten uns weinend, als wir sie verließen.

In welches Schluchzen sich diese Thränen verwandelt hätten, mein Gott, wenn die geringste Unbedachtsamkeit uns entschlüpft wäre.

 

Herr Smith hatte, wie er sagte, seit langer Zeit nöthig, nach Nottingham zu gehen; er wollte uns durchaus dorthin begleiten.

Mit großer Mühe redete ich es ihm aus, diese Reise mit uns zu machen.

Bei dieser Veranlassung bewunderte ich Jenny, mein lieber Petrus. Nicht eine Minute verlor sie den Muth.

Wir kehrten nach Ashbourn zurück; unsere Eltern begleiteten uns bis auf den halben Weg.

Als wir Abschied von einander nahmen und uns mitten auf der Heerstraße umarmten, kam der Wagen des Haushofmeisters vorüber.

Herr Stiff befand sich in seinem Wagen; er streckte seinen Fuchskopf aus dem Schlage; er sah uns ruhig, ergeben, fast lächelnd, und sandte mir eine drohende Geberde zu.

Ich sah diese Geberde und schüttelte den Kopf. Kein böses Gefühl, ich muß es sagen, antwortete ihm aus dem Grunde meines Herzens.

Ich streckte die beiden Hände nach seiner Seite aus und flüsterte leise:

– Gott ist mein Zeuge, böser Mensch, daß ich Dir verzeihe und Dich segne.

Ohne Zweifel irrte er sich über meine Absicht; er glaubte zuverlässig, daß ich wie er haßte und verwünschte.

Wir kehrten zu dem Magister zurück.

Ohne daß der Magister den Zweck unserer Reise kannte, wußte er, daß ich am folgenden Tage nach Nottingham gehen sollte. Er hatte sich erkundigt, ob nicht eines meiner Pfarrkinder mit einem Wagen nach der Stadt ginge, und es war ihm gelungen, eine Gelegenheit für uns zu finden.

Am folgenden Tage erwachten wir frühzeitig; wir verrichteten unser Gebet an den Herrn, und öffneten das Fenster der frischen Morgenluft.

Es war nicht ein Wagen, es waren vier Wägen, die uns vor der Thür erwarteten.

Alle die, welche in dem Dorfe eine Carriole und ein Pferd besaßen, hatten sie zu unserer Verfügung gestellt.

Ein armer Landmann, der nur einen Karren und einen Esel hatte, war wie die anderen in der Hoffnung gekommen, daß wir seine Niedrigkeit nicht verschmähen würden.

Er hatte Recht: er war es, den wir wählten.

Ist ein Esel nicht das Thier. welches Unser Herr an dem Tage wählte, wo er triumphirend in Jerusalem einzog?

Die Freude des guten Mannes war groß, und da die Anderen die Ursache unseres Vorzuges einsahen, so nahmen sie Abschied von uns, indem sie uns lobten und uns priesen.

Wir verwandten vier Stunden darauf, um die Reise zurückzulegen.

Jenny und ich saßen auf demselben Sitze: während der ganzen Reise hielten wir uns umarmt; nicht eine Secunde hörten unsere Herzen auf, an einander zu schlagen.

Pünktlich um zwölf Uhr, das heißt zu der bestimmten Stunde, befanden wir uns an der Thür des Gefängnisses.

Dort stiegen wir zum großen Erstaunen unseres Führers ab, der nicht wußte, wohin wir gingen, und der uns erklärte, daß, wenn er das Ziel unserer Reise gekannt hätte, er uns nicht hergeführt haben würde.

Ich dankte dem wackeren Manne, und da er mich um die Erlaubniß bat, mir die Hand zu drücken, so umarmte ich ihn.

Hierauf klopften wir ohne Zögern, ohne Furcht, ich möchte fast sagen ohne Bedauern, an die Thür des Gefängnisses, welche sich vor uns öffnete und sich hinter uns wieder verschloß.

Ach! mein lieber Petrus, diese höchstens vier Zoll dicke Thür von Eichenholz erhob eine unüberschreitbare Schranke zwischen der Welt und mir.