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Der Pastor von Ashbourn

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

XII.
Vorsichtsmaßregeln

Sobald Jenny wieder in das Haus zurückgekehrt war, nahm Alles wieder seinen gewöhnlichen Gang an. Sie war vergnügt und voller Hoffnung.

Ich, traurig und sorgenvoll, denn ich dachte nur an die graue Dame.

Ich hatte mir selbst Wort gehalten, welche Lust ich auch haben mochte, Jenny mein Unternehmen in dem vermauerten Zimmer zu erzählen, welche Genugthuung mein Stolz auch bei einer solchen Erzählung empfunden hätte, ich hatte kein Wort davon gesagt.

Aber sie hatte meine Tiefsinnigkeit gesehen; Jenny hatte bemerkt, daß der Kalk, welcher das Zimmer der grauen Dame verschloß, neu aufgetragen war; sie befragte Mary.

Mary, welche wahrscheinlich eine unbezwingliche Begierde hatte, Alles zu erzählen, wie Jenny selbst es nicht erwarten konnte, Alles zu hören, Mary erzählte das Ereigniß mit allen seinen Umständen.

Jenny eilte zu mir. Aus ihren ersten Worten ersah ich, daß sie Alles wisse.

Ich ließ sie die Erzählung Mary’s vom Anfang bis zum Ende wiederholen; ich verbesserte einige Punkte dieser zu ungekünstelten Erzählung, welche mich vielleicht nicht ganz in dem Lichte zeigten, in welchem ich, ich will nicht sagen, mich selbst sah, sondern von Jenny gesehen zu werden wünschte, denn nach meiner Meinung, und ich bin überzeugt, daß Sie wie ich denken, mein lieber Petrus, ist es politisch, sich der Frau nur mit allen den Vorzügen und aller der Ueberlegenheit zu zeigen, welche der Mann beständig über sie behalten muß.

Zu meinem großen Erstaunen beschäftigte diese ganze phantastische Odyssee Jenny nur wenig; sie sah in diesem Zimmer nur das, was wir selbst Materielles in ihm gesehen hatten, das heißt, verfallende Läden, in Fetzen herabhängende Tapeten, ein eingefallenes Bett, leere und offenstehende Schränke, einige auf dem Boden liegende Enden Stricke, und ein Bündel an einem Nagel hängender Kleider.

Das Herabfallen dieses Bündels Kleider durch meine Berührung schien ihr ganz natürlich.

– Was giebt es dabei zu verwundern, sagte sie mit ihrem treuherzigen Blicke und ihrem vertrauensvollen Lächeln, was giebt es dabei zu verwundern, daß ein von dem Roste verzehrter Nagel, der seit drei Jahrhunderten eine Last trägt, bei der geringsten Erschütterung dieser Last bricht?. . .

Nach dem Brechen des Nagels war es noch weniger zu verwundern, daß nach dem Gesetze der Schwerkraft, durch welches feste Körper herabfallen, sobald sie ihres Stützpunktes beraubt sind, die Gruppe Kleider auf den Fußboden fiel.

Was den Staub anbetrifft, der durch ihren Fall emporstieg, so lag nichts darin an einem seit drei Jahrhunderten verschlossenen Orte, und das Nichtvorhandensein dieses Staubes wäre ein Wunder gewesen.

Es versteht sich von selbst, daß Jenny mit ihrer Schärfe des Verstandes die sich von selbst wieder öffnenden Schränke, die sich belebenden und sich auf dem Fußboden windenden Stricke, und die längs der Mauer wieder emporsteigenden und ihren ursprünglichen Platz an dem dreimalhundertjährigen Nagel wieder einnehmenden Kleider als Täuschung verwarf.

Sie behandelte diesen Epilog des Gedichtes, wie man eine Schöpfung des Geistes, einen Traum der Einbildungskraft behandelt, das heißt, daß sie das Genie des Dichters anerkannte, aber die Wirklichkeit der Erzählung läugnete.

Indessen, da sie nicht in Abrede stellte, daß alle diese Gerüchte eine Quelle hätten, und da sie mich tief und ernstlich besorgt sah, so beschloß sie so viel als es in ihren Kräften stände, mir diese Quelle erforschen zu helfen, indem sie überzeugt war, daß in dem Maße, als wir uns der Wirklichkeit nähern würden, diese Alles, was Erschreckendes in der Sage lag, verschwinden lassen, und unserer philosophischen Anschauung eine fast unbedeutende Thatsache liefern würde.

Ich fuhr nun fort, in den Papieren der Sacristei und in den Archiven der Gemeinde nachzuforschen; aber vergebens durchblätterte ich die Acten und Bücher Seite für Seite, ich fand nichts als die bereits angeführte Note des Doctor Albert Martronius, Magisters der Theologie, welche sich, wie Sie wissen, auf die Ausbesserung des kleinen, in der Ecke des Friedhofes befindlichen steinernen Kreuzes bezog.

Die Thür aber trocknete allmählich aus, und kein Sprung deutete an, daß die graue Dame sich bemüht hätte, sie wieder zu öffnen.

Inzwischen schritt Jenny in ihrer Schwangerschaft vor, sie hatte ihren sechsten Monat erreicht, und wir waren im Anfange des Juni. Ich berechnete mit großer Freude, daß der Zufall, oder vielmehr die Vorsehung die Zeit so eingerichtet habe, daß Jenny vor dieser berüchtigten Nacht von dem achtundzwanzigsten auf den neunundzwanzigsten September, der Nacht des Sanct Gertrudis- auf den Samt Michaels-Tag, entbunden sein würde, während welcher die graue Dame die Gewohnheit hatte zu erscheinen.

Aber da am Ende nirgends gesagt war, daß die graue Dame nur in dieser Nacht erschiene, so war ich durch diesen Datum nicht gänzlich beruhigt, und da ich es für die Wirksamkeit ihrer Erscheinung nothwendig hielt, daß sie sich entweder vor dem Vater oder der Mutter der Kinder sehen ließe, die sie bedrohte, so trug ich Sorge, daß weder Jenny noch ich den Weg betraten, den sie zurückzulegen hatte, um von dem vermauerten Zimmer nach der Akazie zu gehen, einen Weg, den sie. wie man sich erinnern wird, einzuschlagen Pflegte.

Dem zu Folge änderte ich meine Arbeitsstunden. Oft hatte mich Jenny darüber gescholten, daß ich des Nachts statt am Tage arbeitete, und im Interesse meiner Gesundheit hatte sie sich darüber beunruhigt, daß ich so spät ins Bett kam.

Eines Abends erklärte ich ihr. daß ich in Bezug auf die Vorwürfe, welche sie mir seiner Zeit gemacht hatte, auf welche sie aber nicht mehr zurückkam, da sie dieselben ohne Zweifel für nutzlos hielt, gänzlich ihrer Meinung sei, und daß ich von nun an wollte, daß um neun Uhr Jedermann – selbst ich – in dem Pfarrhause zu Bette sei. Auf diese Weise konnte ich vor Tagesanbruch aufstehen, und ohne Ermüdung meine literarischen und philosophischen Arbeiten, – die eine so unermeßliche Entwickelung anzunehmen im Begriffe standen, sobald mein Geist frei genug war, um mich an mein großes Werk zu machen, – mit den Pflichten meines Amtes und den Anforderungen meines Standes vereinigen.

Jenny fragte mich nicht nach der Ursache dieser Veränderung; sie nahm sie mit Freuden an; sie hatte es immer so in dem Pfarrhause von Wirksworth gesehen und sie kehrte also nun zu ihren Jugendgewohnheiten zurück.

Durch diese neue Berechnung lief ich nicht mehr wie ehedem Gefahr, der grauen Dame zu begegnen, wenn ich mein Arbeitszimmer verließ, um in das Zimmer meiner Frau hinaufzugehen, da die graue Dame – ich schmeichelte mir, daß das eine erwiesene Thatsache sei – nur um Mitternacht erschien.

Sie werden mir sagen, mein lieber Petrus, daß sie eben so gut in Jenny’s Zimmer, als auf der Treppe, in dem Corridor oder in dem Garten erscheinen konnte; aber darauf antworte ich, daß ich seit meinem Einfall, ein großes Werk über die Erscheinungen zu schreiben, die Sitten und Gebräuche der Gespenster vielfach studirt und gefunden habe, daß sie im Allgemeinen gleichfalls angenommenen Gewohnheiten folgen, auf welche sie nicht so leicht als ich verzichten, und da es die Gewohnheit der grauen Dame war, ihr Zimmer zu verlassen, die Treppe hinabzuschreiten, durch den Garten zu gehen und sich unter die Akazie zu setzen, so hoffte ich, daß sie eigensinnig genug sein würde, um von ihren Gewohnheiten nicht abzugehen.

Hätte sie es außerdem auch versucht, mir zu erscheinen, wenn ich einmal zu Bett lag, so weiß ich nicht, wie sie es hätte anfangen sollen: unter der Zahl der neuen Gewohnheiten, welche ich annahm, befand sich auch die, mit dem Kopfe unter meiner Decke zu schlafen; anfangs hatte ich Mühe, mich daran zu gewöhnen und mehr als ein Mal wäre ich beinahe erstickt; aber am Ende überwand ich es. und jetzt bin ich dazu gelangt, mein lieber Petrus ^– das scheint mir ein Fall, der nicht ohne Wichtigkeit für die Wissenschaft ist, und wenn Sie ihn in irgend einem Werke anführen, so sehe ich nichts Unpassendes dabei, daß Sie meinen Namen nennen – bin ich dazu gelangt, während des Schlafes ungefähr drei Mal weniger Luft zu verbrauchen, als im wachenden Zustande.

Jeden Abend waren wir daher beständig um neun Uhr zu Bett, jede Nacht schlief ich daher um Mitternacht, oder wenn ich nicht schlief, so that ich wenigstens so, und hielt die Augen bei Weitem fester geschlossen als im Schlafe, da es durch die Kraft meines Willens geschah.

Dann, ich bürge Ihnen dafür, so sehr ist die Macht des Willens bei mir entwickelt, wäre es allen grauen Damen der Welt nicht gelungen, mich meine Decke herabschlagen oder die Augen aufmachen zu lassen.

Jenny, welche die Ursache dieser Vorsichtsmaßregeln nicht kannte, und die mich zwei oder drei Male auf dem Punkte sah, aus Mangel an Luft zu ersticken, versuchte mit ihrer gewöhnlichen Sanftmuth, mir einige Bemerkungen darüber zu machen, aber ich führte ihr das Beispiel verschiedener großer Männer an, die so handelten. Epaminondas hatte die Gewohnheit, gänzlich in seinen Mantel gehüllt zu schlafen, und der frostige Augustus, welcher, wie Jedermann weiß, selbst in seinem Bette wollene Strümpfe trug, schlief niemals, als mit Über seinen Kopf geworfener Decke.

Sie werden begreifen, daß vor solchen Beispielen die bescheidene Jenny schwieg, und mir wenigstens in dieser Beziehung gestattete, mich nach diesen beiden großen Männern zu richten.

Das hinderte jedoch nicht, daß in dem Maße, als das Ende der Schwangerschaft Jenny’s herannahte, meine Bangigkeit sich verdoppelte. Endlich erreichten wir so die ersten Tage des Monats August ohne irgend eine Veränderung weder in dem Zustande Jenny’s, noch in den Gebräuchen des Hauses. Jetzt erklärte Jenny selbst, daß sie sich um acht bis vierzehn Tage geirrt zu haben glaube und ihre Entbindung weit näher sein müsse. Dem zu Folge ließ ich den Arzt von Milfort, der zur Zeit meines hitzigen Fiebers nach dem Pfarrhause von Waston gekommen war, benachrichtigen, er möge sich darauf einrichten, daß man ihn während der nächsten Tage oder Nächte für eine Entbindung holen würde.

 

Der Arzt, dem ich seine beiden Besuche sehr gut bezahlt hatte, antwortete mir. daß er sich bereit hielte und auf das erste Verlangen im Pfarrhause sein würde.

Wenn ich ihm hatte sagen lassen, daß man seine Behandlung für einen der nächsten Tage oder Nächte in Anspruch nehme, so werden Sie sehr wohl den Vorzug begreifen, den ich in diesem Falle dem Tage vor der Nacht gab. Des Nachts konnte die graue Dame die Dunkelheit benutzen um zu erscheinen, während ich das Vertrauen hatte. daß sie am Tage nicht erscheinen würde, da sie meinen wenig nachgiebigen Charakter kannte.

Sie werden mir vielleicht sagen, mein lieber Petrus, daß es zwei starke Meilen sind um nach Milfort zu gehen, und wieder zwei starke Meilen, um von dort zurück zu kehren; daß also, während erst mein Bote und dann der Arzt den Weg zurücklegten, Jenny – besonders wenn der Doctor zufällig nicht zu Haust wäre – alle Zeit haben würde, zu leiden. Aber darauf muß ich Ihnen antworten, daß ich es nicht bin, der die geographische Lage von Waston bestimmt und der es verhindert hat so groß zu werden, daß ein Arzt es für angemessen hielt, sich in ihm niederzulassen. Außerdem besitzt das Dorf in Ermangelung des Arztes eine Art von Hebamme, welche in den gewöhnlichen Fällen, für die Frauen der Landleute vollkommen hinreichend ist. Man konnte also zuerst diese Hebamme holen, und in ihren Händen die arme, zu diesem kritischen Augenblicke gelangte Jenny so gut als möglich den Doctor abwarten lassen.

Außerdem mit wundervoll gebautem Körper begabt, eben so stark von Geist, hatte Jenny nur die gewöhnlichen Zufälle zu fürchten. Nun aber ist nach meiner Ansicht, mein lieber Petrus, die Frau ganz besonders aus den Händen des Herrn zu dem Zwecke der Fortpflanzung des menschlichen Geschlechtes hervorgegangen; wie groß die Liebe eines Gatten zu seiner Frau auch sein mag, darf er sich daher auch nicht einer übertriebenen Furcht hingeben, wenn liest Frau unter dem Auge Gottes und in den Händen der Natur das Werk vollbringt, für das sie geschaffen worden ist.

Ich war daher bei weitem mehr über die Stunde besorgt, zu welcher das Ereigniß stattfinden, als über die Art und Weise, mit der es sich beendigen würde.

Aber man hätte sagen können, daß der Herr selbst geruhte, meinen Befürchtungen zuvorzukommen. Am fünfzehnten August, gegen sieben Uhr Morgens, hatte Jenny die ersten Wehen.

Ich eilte zuerst, Mary zu holen, und gab ihr den Befehl, selbst die Hebamme zu rufen.

Fünf Minuten nachher waren die Hebamme und Mary bei meiner lieben Kranken.

Ich war entschlossen, die Reise nach Milfort selbst zu machen, wohin zuverlässig Niemand schneller als ich gehen würde; nichts destoweniger wollte ich nicht eher abreisen, als bis Mary und die Hebamme angekommen wären.

In solchen Momenten, mein lieber Petrus – Sie. als Junggeselle, wissen das nicht – ruft man die Hoffnung von allen Seiten herbei, und sie ist willkommen, woher sie auch kommen möge.

Als ich die Hebamme eintreten sah, eilte ich ihr daher entgegen und indem ich ihr Jenny zeigte, die mir zulächelte, um ihre ersten Schmerzen zu verbergen, sagte ich zu ihr:

– Hier ist Die, welche ich Ihrer Pflege anempfehle, während ich selbst von Milfort den Beistand des Doctors hole. Sie glauben wohl, nicht wahr, meine gute Frau, daß sie im Stande ist, ein Kind auf die Welt zu setzen?

– Im Stande ein Kind auf die Welt zu setzen? rief die Matrone aus; ach! ich glaube es wohl, Herr Bemrode, und sogar eher zwei als eins.

Ich gestehe Ihnen, mein lieber Petrus, daß der Schlag mich mitten in das Herz traf; es fehlte wenig, daß ich nicht einen Schrei ausstieß; ich fühlte den Angstschweiß auf meiner Stirn perlen, und wenn es Nacht gewesen wäre, so hätte ich es nicht gewagt, auszugehen.

Aber es war heller Tag. Ich nahm meinen Stock und meinen Hut und umarmte Jenny, die mich an ihr Herz drückte, indem sie lispelte:

– Komm bald wieder, mein Freund!

Und ich stürzte ans dem Zimmer, indem ich meinerseits flüsterte:

– Weit eher zwei als eins . . . weit eher zwei als eins! Der Teufel drehe Dir den Hals um, alte Hexe!

XIII.
Der ewige Jude

Das war ein schlechter Wunsch, ich weiß es wohl, mein lieber Petrus, besonders von Seiten eines Geistlichen;– aber es ist nicht zu ändern, die Antwort dieser Frau hatte mich außer mich gebracht.

Die Erbitterung, in welcher ich mich befand, hatte den Vortheil, daß sie, indem sie mein Nervensystem aufregte, die Schnelligkeit meines Ganges, ohne daß ich es bemerkte, verdoppelte und mich nicht die geringste Ermüdung empfinden ließ; meine Muskeln schienen von Stahl, und meine Beine bewegten sich mit ganz mechanischer Behendigkeit und Schnelle.

Wenn ich einen langen Bart und eine Tunica getragen hätte, statt daß mein Kinn rasirt und ich mit kurzen Hosen bekleidet war. so hätten mich die Leute, die mich vorüberkommen sahen, zuverlässig für den Helden des alten französischen Liedes von dem Ewigen Juden gehalten.

Ich machte mir diese Bemerkung selbst, indem ich meine Schritte zählte, mit welchen meine Füße gleich einem kolossalen Zirkel die Entfernung maßen.

Und in Bezug auf diese Bemerkung, welche der Zufall in meinem Geiste entstehen ließ, würdigen Sie, mein lieber Petrus, den Reichthum der menschlichen Erfindungsgabe im Allgemeinen, und den Ueberfluß der meinigen im Besonderen. Kaum hatte ich meine Gedanken auf diese poetische Erfindung des ewigen Juden gerichtet, als ich sie vor meinen Augen sich verwirklichen und wachsen sah, wie vor den Augen Camoëns die Erscheinung des Riesen Adamastor.

Es schien mir, daß der Schriftsteller, der sich dieser Dichtung des ewigen Juden aus dem Gesichtspunkte der Legende bemächtigte; der in dem verfluchten Unsterblichen die Fortschritte des menschlichen Geistes zur Anschauung brächte; der ihn durch die verschiedenen Zeitalter bald an den Hof Nero’s, bald an den Karl’s des Großen, bald an den Philipp’s II., bald an den Ludwig’s XIV. führte; der Ereignisse für die Zukunft und eine Entwickelung gleich der erfände, welche die heiligen Schriften der Welt als Gegenstück der Sindfluth verheißen; – es schien mir, sage ich, daß der Dichter, welcher diesen Mann, das Bild der Reue, von einem Engel, dem Sinnbilde der Unschuld, begleiten ließe; der den Engel mit Liebe für den Mann, aber nach der Art der Engel, das heißt, aus Mitleid und Barmherzigkeit, erfüllte, es schien mir. daß ein solcher ein schönes Buch schreiben würde, das weder der Iliade, noch der Aeneïde, noch der göttlichen Komödie, noch dem verlorenen Paradies, noch der Dunciade gliche, sondern ein originales, merkwürdiges Buch wäre, voller malerischer und poetischer Schilderungen, welche je nach den Zeitaltern und Jahrhunderten den Wechsel des Styls und der Färbung desselben bestimmen könnten.

Und während ich meine Schritte beschleunigte, sagte ich mir: Warum sollte ich dieses Buch nicht schreiben? was verhindert mich daran? was steht denn im Wege? hat mir Gott nicht die Wissenschaft, die Erfindungsgabe und die Poesie verliehen, die dazu nöthig sind? habe ich nicht den Menschen unter allen seinen Ansichten, die Schöpfung in allen ihren Umständen studirt? Bin ich nicht auf der Höhe der Fortschritte des menschlichen Geistes? Bin ich nicht, ohne daß ich bis jetzt weder ein Heldengedicht, noch ein Trauerspiel, noch ein Drama, noch eine philosophische Abhandlung, noch eine Geschichte geschrieben habe. Dichter, Tragiker. Dramaturg, Philosoph, Geschichtsschreiber? Ja, ich bin Alles das! noch mehr: daß dieses Buch noch nicht geschrieben ist, kommt daher, daß der, welcher es schreiben sollte, noch nicht erschienen ist. Das werde ich mit Gottes Hilfe sein, und das Erste, was ich thun will, ist – damit Niemand mir meinen Gegenstand nimmt – den Titel davon niederzuschreiben und meiner Absicht alle mögliche Oeffentlichkeit zu verleihen.

Auf diese Weise wird der Titel mein Eigenthum werden, und Niemand in England wird es wagen, sich dieses Stoffes zu bemächtigen, da er weiß, daß der Doctor Williams Bemrode eines Tages denselben behandeln will.1

Die einfache Eintheilung des Gegenstandes in Zeitalter beschäftigte mich dermaßen, daß ich in Milfort ankam, ohne den Weg bemerkt zu haben, den ich zurückgelegt hatte.

An den ersten Häusern blieb ich stehen und legte die Hand an meine Stirn, wie Jemand, der wieder zu sich kommt.

Der wundervolle Stoff, den ich gefunden hatte, wie man fast immer auf die kostbarsten Schätze durch einen Zufall stößt, hatte sich dermaßen meiner Einbildungskraft bemächtigt, daß er jeden anderen Gedanken aus ihr verscheuchte, und daß ich gänzlich vergaß, was ich in Milfort thun wollte.

Ich glaubte einen Augenblick lang, daß ich nach Waston zurückkehren müßte, um dort den unterbrochenen Faden meiner Ideen wieder anzuknüpfen; aber endlich fand ich mich durch eine gewaltsame Anstrengung meines Willens wieder in dem wirklichen Leben zurecht und kam wieder zur Besinnung.

Ich war gekommen, weil meine liebe und gute Jenny in Kindesnöthen lag.

Ich beeilte mich, zu dem Arzte zu gehen.

Er war ausgegangen, und ich sah mich genöthigt, eine halbe Stunde zu warten.

In meiner Ungeduld stand ich im Begriffe, mich an irgend einen anderen zu wenden, als er nach Haus kam.

Ich theilte ihm den Zweck meines Besuches mit; er befahl sogleich, daß man sein Pferd sattle, und da er an dem Staube, der meine Kleider bedeckte, sah, daß ich zu Fuß gekommen sei, bot er mir an, hinter ihm aufzusitzen.

Aber, wie Sie wissen, mein lieber Petrus,, habe ich auf die Ausbildung meines Geistes eine so große Sorgfalt verwandt, daß ich die Leibesübungen wenig getrieben habe, und die Reitkunst ist eine von denen, in welcher ich das wenigste Geschick habe. Ich schlug daher das gefällige Anerbieten des Doctors aus, indem ich den Vorwand gebrauchte, daß ich ihn dadurch verspäten würde, meine theuere Jenny aber die Pflege des gelehrten Reiters dringend nöthig hätte.

Und dann gestehe ich, daß ich, obgleich stark wie Zeno gegen den eigenen Schmerz, schwach wie ein Kind bei dem Schmerze Anderer bin, besonders wenn dieser andere der Theil meines Herzens ist, der in einem andern Körper lebt. Ich wünschte daher in meiner Selbstsucht. erst dann anzukommen, wenn Alles vorüber wäre, indem ich außerdem über alle bedenklichen Unfälle durch die Überzeugung d<r unglückseligen Hebamme beruhigt war, daß Jenny so stark gebauet sei, um eher zwei Kinder, als eins, gebären zu können.

Durch die Gründe bestimmt, die ich ihm angab, ohne Zweifel auch erfreut, sein Pferd von einer zweiten Last zu befreien, welche das Kreuz des armen Thieres bedroht hätte, nahm sich der Doctor nur die Zeit, mit mir ein Glas Port auf die glückliche Entbindung Jenny’s zu trinken, und nachdem er sich auf sein Pferd geschwungen, sprengte er im scharfen Trabe in der Richtung von Waston fort.

Ich folgte ihm.

Der Einfall, den ich gehabt hatte, mich mit Zeno zu vergleichen, war mir im Kopfe geblieben, und meine Einbildungskraft versetzte sich in die schönen Zeiten des Alterthumes zurück. Ich fragte mich, warum dieses so bewunderungswürdige, so gelehrte Alterthum, das so voller Geschmack und Eleganz bei Alcibiades und Perikles, so voller Energie bei Krates und Diogenes, mit Ausnahme von Sokrates und Plato ganz materialistisch ist?

So stellt Alles, bis auf den dieser Schule, deren Haupt Zeno ist, gegebenen Namen Stoiker, in dem Alterthume den materiellen Begriff vor; denn ich habe nicht nöthig, Ihnen zu sagen, mein lieber Petrus, daß stoisch von στοά herkömmt, was Säulenhalle bedeutet, und zwar, weil Zeno seine Schule unter der berühmten, Poikile genannten Säulenhalle von Athen hielt. Indessen, in diesem Zeno. den einige falsche Gelehrte mit Zeno von Elea verwechselt haben, der unter Parmenides studirte, und der, als er sein Vaterland hatte befreien wollen, in die Gewalt eines Tyrannen fiel (der Name dieses Tyrannen ist mir unbekannt, wenn Ihre gelehrten Nachforschungen Ihnen den selben offenbart haben, so lassen Sie es mich wissen), und sich mit seinen Zahnen die Zunge abschnitt, um seine Mitschuldigen nicht zu verrathen, – in diesem in Cittium auf der Insel Cypern gebornen, von dem Cyniker Krates, dem megarischen Philosophen Stilpo und den Akademikern Xenokrates und Polemon erzogenen Zeno finden wir indessen einige Begriffe von Gott und der Seele, obgleich er behauptet, daß alle unsere Begriffe ihren ersten Ursprung in unseren Sinnen haben. In der That, in der Kenntniß der Natur unterscheidet er für die Welt, wie für den Menschen, zwei Grundsätze, den einen passiv: den Stoff, den Körper; den anderen activ, belebend: Gott und die menschliche Seele. Nach ihm ist die Seele eine glühende Luft, Gott ein feuriges, allgemein verbreitetes Princip, das Alles beseelt und durch seine Vorsehung (πϱουοία), – denn er spricht das Wort aus, – alle Wesen nach den unwandelbaren Gesetzen der Ordnung und der Vernunft leitet, und darin entfernt er sich von dem Cyniker Krates, – welcher, wie Sie wissen, trotz seiner Mißgestalt die schöne und reiche Hipparchia heirathete, und nachdem er alle ihre Güter verkauft, den Erlös unter ihre Landsleute vertheilte – und von Stilpo, welcher die Wirklichkeit der abstracten Ideen leugnete und die Weisheit in der Unempfindlichkeit und in der Gefühllosigkeit bestehen ließ; ein falscher Grundsatz, der aber nichts destoweniger die Augen des Demetrius Poliorcetes in dem Grade verblendete, daß, als er die Zerstörung von Megara befahl, er seine Krieger anwies, das Haus des Philosophen zu verschonen, – während er dagegen, um wieder auf Zeno zurückzukommen, sich Sokrates und Plato, seinen Vorgängern und wahren Lehrern, nähert.

 

Aber warum denn fast immer von dem physischen, und fast niemals von dem moralischen Schmerze sprechen?

Das kommt daher, weil der göttliche Tröster, der, welcher gekommen ist. um dem Menschen zu sagen: »Mein Reich (und dem zu Folge das deinige) ist nicht von dieser Welt,« noch nicht erschienen war.

Dieser ist der wahre Gott der Betrübten, mein lieber Petrus, und diese Stütze, welche er der menschlichen Schwäche gab, machte seine göttliche Kraft aus.

Ich kehrte zurück, und während meines Selbstgespräches ging mein Gedächtniß wie ein Freund, der leise mit uns, von der Vergangenheit spricht, unter einer fast sichtbaren Gestalt an meiner Seite und sagte mir Alles das, was ich Ihnen wiederhole, und ich schenkte ihm eine so wirkliche Aufmerksamkeit, daß ich bei meiner Ankunft auf dem Platze von Waston stehen blieb, um meinem Gedächtnisse zu antworten, dem meine Vernunft einige Einwürfe zu machen hatte.

Nun aber hatten mein Gedächtniß und meine Vernunft einen Streit angefangen, welchem ich in dem Interesse, das ich daran nahm, regungslos beiwohnte, bereit als unparteiischer Richter dem Recht zu geben, dem es gebührte, als ich wie durch eine Wolke auf der Schwelle meiner Thür Jemand zu erblicken glaubte, der mir Zeichen machte.

Ich erhob die Augen: es war Mary, die mich nicht allein mit der Geberde, sondern auch mit der Stimme rief.

– Ei! Herr Bemrode, rief sie mir zu, indem sie meine Regungslosigkeit dem Zögern, und das Zögern der Furcht zuschrieb. Ei! Herr Bemrode, kommen Sie doch . . . Es ist Alles vorüber!

– Wie, rief ich aus, Alles ist vorüber?

– Ja, ja.

Ich stürzte auf das Haus zu.

– Jenny ist entbunden?

– Und glücklich, Gott sei Dank! Herr Bemrode.

– Ach! wie gütig Gott ist! wie groß Gott ist! sagte ich die Hände faltend.

Und ich trat in das Haus.

Unten an der Treppe begegnete ich dem Doctor, er trug ein Kind in seinen Armen.

– Nehmen Sie, glücklicher Vater, sagte er zu mir, umarmen Sie Ihren Sohn.

– O! Doctor, rief ich aus, indem ich ihm das Kind aus den Armen riß und es an meine Brust drückte, o! Doctor, es ist ein Sohn! . . . in der That, Doctor, Sie sagten die Wahrheit, ich bin ein glücklicher Vater!

Und ich bedeckte den Neugebornen mit Küssen. In diesem Augenblicke hörte ich das Geschrei eines Kindes in Jenny’s Zimmer.

– O! mein Gott, fragte ich erbleichend, wer schreit denn da?

– Ei. der andere, bei Gott! sagte der Doctor.

– Wie, der andere?

Und ich war nahe daran, das Kind aus meinen Armen fallen zu lassen.

– Ohne Zweifel, der andere. . . der andere, den die Hebamme einwickelt. Madame Bemrode ist von Zwillingen entbunden . . . Nun was machen Sie denn?

Er nahm mir das arme Kind ab, das ich nicht mehr die Kraft hatte zu tragen.

Ich stieß einen Schrei aus und stürzte in das Zimmer, wo Jenny mich mit offenen Armen erwartete, und mehr todt als lebendig sank ich vor ihrem Bette auf die Knie.

– O! Zwillinge! Zwillinge! rief ich aus.

– Nun, antwortete mir Jenny, hältst Du Gott nicht für mächtig genug, daß seine Barmherzigkeit sich auf diese beiden unschuldigen Kleinen erstreckt?

– Ohne Zweifel! Gott vermag Alles, was er will, erwiederte ich mit einem Seufzer, aber wird Gott wollen? . . .

– Still! sagte Jenny, für die gewöhnlichen Menschen ist zweifeln nur zweifeln; aber für Dich, mein Freund, für Dich, den Priester des Herrn, ist der Zweifel eine Gotteslästerung!

Aber ich wiederholte nichts destoweniger leise, indem ich den Kopf schüttelte:

– Zwillinge! Zwillinge! . . .

1Da die verschiedenen Ereignisse, die in dem Leben des Pastors Williams Bemrode auf einander folgten, ihn daran verhindert haben, diese riesenhafte Idee auszuführen, und er nur den Titel des Buches niedergeschrieben hat, so haben wir uns erlaubt, seine Idee an der Stelle aufzufassen, wo er sie aufgegeben hatte, und, wie man es hat sehen können, unter dem Titel Isaac Laquedem die Herausgabe eines Buches anzufangen, das nichts Anderes als die Entwickelung der Idee sein wird, welche der würdige Pastor gehabt hat, als er von Milfort einen Geburtshelfer für seine Frau holte.