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Der Pastor von Ashbourn

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

XIV.
Die Zwillingsbrüder

Aber da die beiden armen Kinder einmal gekommen waren, so mußten wir am Ende sie wohl nach unseren besten Kräften empfangen.

Doch verhinderte mich nichts, die Vorsichtsmaßregeln zu treffen, welche den Einfluß des bösen Sternes unwirksam machen konnten, unter dem sie geboren waren.

Zuvörderst fing ich damit an, sie unter den unmittelbaren Schutz des Herrn zu stellen, indem ich sie taufte.

Sie werden sich erinnern, mein lieber Petrus, daß zu der Zeit, wo Jenny noch nicht einmal schwanger war, wir verabredet hatten, daß, wenn sie mir jemals eine Tochter schenkte, diese Tochter wie ihre Mutter, Jenny, und wenn es ein Sohn sei, dieser Sohn wie ich Williams heißen sollte.

Jenny hatte mir in ihrer mütterlichen Verschwendung nicht einen Sohn, nicht eine Tochter, sondern zwei Söhne geschenkt.

Wir wünschten so viel als möglich, daß sie unsere beiden Namen trügen. Dem zu Folge nannten wir den einen, – der zuerst gekommen und als der älteste angesehen wurde – Williams-John, und den anderen, jüngeren, John-Williams.

Diese Gleichheit in den Namen, die keinen andern Unterschied als ihre Stellung hatten, war um so gerechter, als die beiden Kinder sich auf eine Weise ähnlich zu sehen verhießen, welche späterhin unseren väterlichen und mütterlichen Scharfblick in Verlegenheit setzen sollte. – Als diese erste Vorsichtsmaßregel getroffen, beschloß ich, in dem Alterthume alle die Lagen aufzusuchen, welche einige Ähnlichkeit mit der dieser beiden Unglücklichen haben und mir beistehen könnten, ihre böse Bestimmung durch die Erfahrung der Geschichte und selbst die der Fabel zu beschwören.

Wie Sie wissen, mein lieber Petrus, sind Helden und sogar Götter der Gegenstand ähnlicher Prophezeiungen als die gewesen, welche meine beiden lieben Zwillinge verfolgten.

Zuvörderst Jupiter.

Es war Saturn prophezeihet worden, daß einer seiner Söhne ihm den Thron rauben würde, den sein Vater Uranus ihm unter der Bedingung abgetreten hatte, daß dieser Thron nach seinem Tode wieder seinem Bruder Titan zufallen sollte. Um die Prophezeihung unwirksam zu machen, die ihn sein Wort brechen lassen sollte, verschlang Saturn seine Kinder gleich, nach ihrer Geburt; er hatte auf diese Weise schon nicht wenige verschlungen, als Rhea, welche Jupiter geboren hatte, beschloß, dieses Kind, für welches sie eine weit größere Zärtlichkeit als für die anderen empfand, dem grausamen Schicksale zu entziehen, mit dem es bedroht war. Sie umwickelte einen Eckstein und reichte ihn Saturn, der, ohne Zweifel in diesem Augenblicke in Gedanken versunken, ihn verschlang, ohne weiter darauf zu achten. Durch diese Unterschiebung wurde Jupiter gerettet; die Prophezeiung ging in Erfüllung, der von seinem Sohne entthronte Saturn ging von dem Himmel auf die Erde hinab und rächte sich dadurch, daß er unsere Welt mit der wundervollen Regierung beschenkte, welche man das goldene Zeitalter nennt.

Trotz der getroffenen Vorsichtsmaßregel ging die Prophezeihung also in Erfüllung, was mich zu glauben veranlaßt, daß die unsrige wie die Jupiter’s eines Tages in Erfüllung gehen wird, und dies mit um so mehr Wahrscheinlichkeit, als las von Saturn eingeschlagene Verfahren mir widersteht, und ich, sollte ich auch von einem meiner Söhne entthront werden, mich niemals würde entschließen können, sie zu verspeisen.

Nachher Achilles oder vielmehr Akhill – denn ich habe nicht nöthig Ihnen zu sagen, daß der wahre Name des Besiegers des Hector in Prosa ’Άχιλλεύς und in Prosa Άχιλεύς geschrieben wurde – Akhill, der jüngere Bruder von sieben in dem Schooße seiner Mutter gestorbenen Kindern , dem ein glorreicher aber frühzeitiger Tod prophezeiht worden war. Als Thetis daher auch dieses Kind sah, welches zuerst sie mit dem Mutternamen begrüßt hatte, beschloß sie. ihren Sohn unverwundbar zu machen, und unterwarf das Kind einem Verfahren, welches dieses Resultat herbeiführen sollte.

Nun sind die Geschichtsschreiber, oder vielmehr die Mythologen über dieses Verfahren nicht einig.

Apollonius von Rhodus, Buch IV. pag. 814, sagt bestimmt, daß Thetis, um ihren Sohn unverwundbar zu machen, ihn in das Wasser des Styl tauchte, indem sie die mächtige Formel aussprach, welche die Ordnung der Natur umkehrte und die Unsterblichkeit verlieh. Unglücklicher Weise mußte man, damit das Kind nicht auf den Grund sank, es an irgend einem Theile des Körpers halten; Thetis hielt Akhill bei der Ferse: die Ferse blieb trocken, und mit dem leichten Pfeile des Paris oder vielmehr Alexanders – denn es ist jetzt bewiesen, daß Άλέϲανϐος der wahre Name des Sohnes des Priamus und der Hekuba ist – mit dem leichten Pfeile Alexanders drang der Tod in diesen Panzer, den man für ihn undurchdringlich hatte machen wollen.

Nach Appollodorus Buch III. MF. 6, wurde die Sache auf eine andere Art vorgenommen, ohne ein besseres Resultat gehabt zu haben. Kaum hatte Akhill die Augen ausgeschlagen, als Thetis seine zarten Glieder mit Ambrosia zu salben begann und ihn durch das Feuer zog. um Alles abzunehmen, was es an ihm an vergänglichen Elementen gab. Unglücklicher Weise hatte sie vergessen, Peleus zu benachrichtigen, welcher inzwischen erwachte, seinen Sohn mitten in den Flammen sah, und aus seinem Bette sprang, um ihn einer eingebildeten Gefahr zu entreißen, und sich des Kindes bemächtigte, indem er es bei der Ferse ergriff, eine unglückselige und profane Berührung, welche Alles unwirksam machte, was Thetis gethan hatte.

Möge nun die erste, oder die zweite dieser beiden Lesarten die wahre sein, das Orakel ging darum nichts destoweniger in Erfüllung, und Akhill, mit einem unsterblichen Ruhme gekrönt, fiel darum nichts destoweniger auf der Schwelle des Tempels des Apollo.

Indessen bemerken Sie wohl, daß die Vorsichtsmaßregeln der Thetis sich nicht darauf beschränkt hatten, ihren Sohn in den Styl zu tauchen oder ihn mit Ambrosia einzureiben; diese Prophezeihung, welche ihr in ihrer Hochzeitsnacht, die Einen sagen von den Parzen, die Anderen sagen von Themis, gemacht worden war, hatte einen zu tiefen Eindruck in ihrem Geiste oder vielmehr in ihrem Herzen zurückgelassen. Mit vierzehn Jahren wurde der zukünftige Freund des Patroklus zu seinem Großvater väterlicherseits Lyeomedes gesandt, denn man rüstete sich für den trojanischen Krieg und Akhill sollte in diesem Kriege umkommen. Der junge Held kam in Seyros in weiblichen Kleidern an, aber so schön, daß Hiräus, dieser Sohn der Aglaja (die durchsichtige Schönheit) und des Charops (des Mannes mit lieblichem Gesicht) sich von ihm als besiegt anerkannte. Dort blieb er einige Zeit unter den Frauen verborgen, welche die junge Prinzessin Deidamia, die Tochter des Lyeomedes, umgaben; aber Ulysses drang in diesen weiblichen Hof, zog unter seinem Mantel ein Schwert und einen Schild hervor, und Akhill entschied sich für den Ruhm und den Tod!

Ich hatte also wieder nichts zu hoffen, mein lieber Petrus, wenn ich für meine Kinder das Beispiel der Thetis befolgte. – Außerdem wußte ich weder den Styx, der unverwundbar macht, noch die Ambrosia, welche die Unsterblichkeit verleiht, aufzufinden. Ich setze daher meine Musterung fort und komme auf Oedipus, dem eine bei Weitem andere Prophezeihung gemacht war.

Das Orakel hatte gesagt:

»Das Kind, welches von Lajus und Jokaste entspringen wird, wird seinen Vater tödten und seine Mutter heirathen.«

Gegen seine Gewohnheit war das Orakel dieses Mal klar gewesen.

Das Kind wurde daher auch einige Stunden nach seiner Geburt einem Hirten übergeben, der zu gleicher Zeit den Befehl erhielt, es umzubringen.

Aber der Hirt begnügte sich damit, indem er durch den Cithäron ging, die Füße des verfluchten und namenlosen Kindes zu durchbohren und es an einem Riemen an einem Baume auszuhängen; eine Bluttaufe, die es von οίδεϊν, aufschwellen, und von ποΰς, Fuß. seinen Namen erhalten ließ. Ach! das Verhängniß wollte sein Opfer nicht verderben! Phorbas, der Hirt des Polybius, eilte bei dem Schmerzgeschrei des Kindes herbei, band es los, und trug es in den Palast. Polybius, der kein Kind hatte, glaubte, daß dieses da ihm von dem Himmel gesandt wäre, nahm es an Kindesstatt an, und ließ es wie seinen Sohn erziehen. . . . Sie wissen das Uebrige. mein lieber Petrus; Sie wissen sogar zuverlässig den Anfang eben so gut, als ich; aber ich kann mich nicht enthalten, bei allen diesen Umständen zu verweilen, in der Hoffnung, darin einen Ausweg der Rettung zu finden. Unglücklicher Weise ist das Verhängniß ein Labyrinth, zu dem die Vorsehung noch Niemand den Faden gegeben hat. Eines meiner Kinder zu tödten. damit es das andere nicht tödte, hieße mich desselben Verbrechens schuldig machen, das ich fürchte begangen zu sehen. Sie alle Beide oder eins von ihnen auszusetzen würde zu nichts helfen.

Indeß habe ich etwas bemerkt, nämlich, daß alle ausgesetzten Kinder große Bestimmungen gehabt haben; – ein Beweis ist Bacchus, der Indien eroberte; Theseus, der König von Athen wurde, und Romulus, der Rom gründete.

Hatte Romulus nicht die Ähnlichkeit mit William-John und John-Williams, daß er einen Zwillingsbruder, Remus, hatte, und – ich zögere diese Worte zu schreiben, mein lieber Peirus. – daß er seinen Bruder tödtete? . . .

Ah! wenn ich wenigstens gewiß wäre, daß der, welcher den anderen überlebt, ein Eroberer wie Bacchus, ein Bändiger von Ungeheuern wie Theseus, oder ein Städtegründer wie Romulus würde, so würde das nicht mein Herz trösten, aber meinem Stolze schmeicheln.

Meinem Stolze! Ah! mein Freund, ich habe da ein schreckliches Wort ausgesprochen, vor dem ich mich jetzt mehr als jemals in Acht nehmen muß, wo der Herr, indem er mir zwei Söhne bewilligt, meinen Freunden wie meinen Feinden sagen zu wollen scheint, daß er für mich nicht das Gleiche, wie für die anderen thut.

Inzwischen verflossen die Tage unter diesen Zweifeln, Nachforschungen und Träumereien. Nichts schien dem glücklichen Eintritte in das Leben der beiden Kinder und der schnellen Genesung ihrer Mutter hinderlich zu sein. Da uns, Gott sei Dank! durch meine zweihundert Pfund Sterling Gehalt das Geld nicht fehlte, so hatte man ein ziemlich reichliches Kinderzeug vorbereitet, so daß es, obwohl in der Erwartung eines einzigen Kindes angefertigt, im Nothfalle und für den Augenblick für zwei dienen konnte.

 

Es war daher nur noch eine zweite Wiege zu bestellen, und einstweilen benutzten die beiden Brüder, wie zwei unschuldige Engel, dasselbe Bett und schliefen mit umeinander geschlungenen Armen.

Nach Verlauf von acht Tagen war die zweite Wiege nach dem Muster der ersten gemacht und mit durchaus gleichen Stoffen behangen, weil wir von dem ersten Zeitabschnitte ihres Daseins an gegen die beiden Zwillingsbrüder uns die Verpflichtung auferlegten, niemals etwas für den einen zu thun. was wir nicht auch für den anderen thäten.

Indem wir ihnen aus diese Weise einen gleichen Antheil an unserer Liebe und an den Gaben derselben gewährten, hatten Jenny und ich die sehr berechtigte Hoffnung, daß, wenn jemals irgend eine Zwistigkeit unter ihnen entstände, sie nicht durch unsere Parteilichkeit für John-Williams oder Williams-John veranlaßt wäre.

Obgleich ich seit der Geburt der beiden Kinder die Erscheinung der grauen Dame weit weniger fürchtete, – da die Sage wollte, daß sie gewöhnlich sich sehen lasse, um diese Geburt zu prophezeihen, – ging ich doch keinen Augenblick lang von meinen gewöhnlichen Vorsichtsmaßregeln ab. Jeden Abend um zehn Uhr waren die beiden Kinder, Jenny und ich in das Schlafzimmer eingeschlossen, und um elf Uhr, wenn die Herren Williams-John und John-Williams uns die Erlaubniß dazu gaben, schlief Jedermann in dem Pfarrhause.

Die Genesung Jenny’s machte rasche Fortschritte, und gegen den zehnten oder elften Tag des Monats September konnte sie aufstehen und begann von Neuem ihre Haushaltung zu besorgen.

Aber beide fürchteten wir dermaßen, daß einem oder dem andern unserer beiden lieben Kinder ein Unglück zustoßen möchte, daß wir sie keinen fremden Händen anvertrauen wollten und uns so einrichteten, daß immer Einer von uns beiden ihre Wiegen bewachte.

Eines Abends, als an mir die Reihe war, und Jenny mit Mary ein kleines dunkles Cabinet säuberte, dessen Bedürfniß der Zuwachs unserer Familie uns fühlen ließ, – ein Cabinet, das vielleicht seit zweihundert Jahren kein menschliches Wesen auf seiner Schwelle hatte erscheinen sehen, – dachte ich, daß es Zeit sei, jenes große und herrliche Buch vom Ewigen Juden wieder vorzunehmen, und indem ich unterdessen Remus mit dem einen und Romulus mit dem andern Fuße wiegte, suchte ich, das Kinn auf die Hand gestützt und die Augen gen Himmel erhoben, eine der Erhabenheit des Gegenstandes würdige Einleitung, als die Thür plötzlich aufging, und Jenny mit einem Kistchen von geschnitztem Holz in der Hand eintrat.

– Sieh, Williams, sagte sie zu mir, da ist ein Kistchen, das ich in einem Winkel des dunkeln Cabinets gefunden habe; ich habe es nicht aufmachen können, da der Schlüssel verloren ist, aber Du kannst es mit einem Meißel, einer Feile oder irgend einem Werkzeuge öffnen. . . . Ich wünsche Dir Glück dazu und es sollte mich freuen, wenn Du die mit so vielem Eifer gesuchten Aufklärungen darin fändest.

Und indem sie das Kistchen auf meinen Schooß stellte, küßte sie mich ihrer Gewohnheit gemäß auf die Stirn und ging wieder zu Mary, nachdem sie einen Blick auf unsere beiden kleinen Engel geworfen und sich versichert hatte, daß sie alle beide ruhig schliefen.

Sie schliefen in der That so fest, daß weder der eine noch der andere erwachte, obgleich ich gänzlich aufhörte, sie zu wiegen.

Ich hatte damit aufgehört, weil ich in dem Augenblicke, wo Jenny das Kistchen auf meinen Schooß gestellt hatte, ohne Zweifel wegen einer dunkeln Ahnung seines Inhalts eine Art Schauder meinen ganzen Körper hatte überlaufen fühlen.

Ich berührte dieses wurmstichige und mit dem Staube von zwei Jahrhunderten bedeckte Kistchen mit einer Art von Schrecken; die Neugierde trug indessen den Sieg davon. Ich versuchte anfangs, es mit den bloßen Händen zu öffnen, aber obgleich ich fühlte, daß das Schloß und die Scharniere sehr durch die Zeit gelitten hatten, sah ich doch ein, daß es mir ohne irgend einen meißelartigen Gegenstand nicht gelingen würde, den Deckel aufzumachen.

Ich stand auf und blickte um mich.

Auf dem Kamine lag ein kleines Beil, um den Zucker zu zerschlagen.

Ich steckte es in die Spalte, und indem ich von oben nach unten drückte, sprengte ich den Deckel.

Das Kistchen enthielt ein in Pergament gebundenes Manuscript.

Das erste als Umschlag dienende Blatt enthielt zehn bis zwölf Zeilen von einer Handschrift, die mir nicht unbekannt schien.

In der That, kaum hatten sich meine Blicke auf diese Zeilen geheftet, als ich mich der Note des ehrwürdigen Doctors Albert Martronius, Magisters der Theologie und Pastors des Dorfes Waston, erinnerte, die ich bei meinen Nachsuchungen in den Archiven gefunden hatte.

Diese in lateinischer Sprache geschriebenen Zeilen sagten buchstäblich Folgendes:

»Dieses Manusscript ohne Namen des Verfassers scheint mir von der unglücklichen, in der Ecke des Kirchhofes begrabenen Frau geschrieben zu sein, deren steinernes Kreuz von mir ausgebessert worden ist.

»In dieser Ueberzeugung schließe ich es hier sorgfältig ein, und ich empfehle meinen Nachfolgern, den Pastoren von Waston, in ihrem eignen Interesse an, mit der Ruhe der Seele dieser Unglücklichen dasselbe Mitleiden wie ich selbst zu haben.

»Möchte der allmächtige Gott sie aus dem Orte des Leidens befreien, wohin ihr Verbrechen sie gestürzt hat, und ihr einen Platz, wäre es auch der letzte, in seinem göttlichen Paradiese bewilligen!

Waston, den 10. Juli des Jahres der Menschwerdung 1675.

Albert Martronius.«

Wie man wohl begreifen wird, steigerte diese Note meine Neugierde, eine Neugierde, welche, wie ich Ihnen gestehen muß, mein lieber Petrus, nicht frei von Schrecken war.

Ich wendete also mit ein wenig zitternder Hand dieses erste Pergamentblatt und gelangte zu dem Manuscripte selbst.

Ein gelbgewordenes Papier, das hundert Jahre älter als der Umschlag schien, zeigte sich meinen Augen.

Der Titel des Manuscriptes bedeckte in einer einzigen, eigenthümlich ausdrucksvollen Zeile von einer feinen und etwas zitternden Handschrift die zweite Seite. Diese Zeile lautete:

Was eine Frau leiden kann

Ich las diesen Titel zwei Male.

Bei dem zweiten Male hatte ich keinen Zweifel mehr; ich war jedenfalls in dem Besitze der so sehr gesuchten Geschichte der armen Selbstmörderin.

Sobald ich diesen Schatz erlangt, blieb mir nur noch übrig, ihn mit Ruhe zu genießen. Dazu mußte ich allein sein und anempfehlen, daß mich Niemand störe.

Ich rief Jenny; sie kam wie gewöhnlich mit lächelndem Gesichte.

– Wie weit bist Du mit Deinen Anordnungen? liebe Frau, fragte ich sie.

– Ei! mein Gott, sagte sie, ich war so eben damit fertig und im Begriffe zu Dir hinaufzugehen, weil ich dachte, daß Du abgelöst werden müßtest. . . Die Kinder haben also nicht geweint, da Du mich nicht nöthig gehabt hast?

– Nein, sie haben wie ein Paar Cherubim geschlafen; aber. Du siehst, meine liebe Freundin, sie ahnen ihre Mutter und erwachen und fordern ihr Abendessen.

In der That, die Kinder schlugen zu gleicher Zeit die Augen wieder auf, und drückten ihr Verlangen durch ein leises Stöhnen aus.

Jenny setzte sich und öffnete ihr Mieder, während ich ein Kind nach dem andern aus der Wiege nahm, und auf ihren Schooß legte.

Bald hing jedes von ihnen an einen dieser lieblichen Brüste, in welche die gütige und vorsichtige Natur die unversiegbare Lebensquelle dieser Kleinen eingeschlossen hat.

Nichts war schöner, lieblicher und reizender, als das Bild dieser jungen, ihre beiden Kinder auf ihrem Schooße haltenden Mutter.

Als sie so regungslos dasaß und auf das eine wie das andere einen gleich mütterlichen Blick heftete, konnte man sie für die von Raphael. dem Maler der Liebe und der Mutterschaft entworfene Statue der christlichen Liebe halten.

Ich betrachtete sie einen Augenblick lang, indem ich das Manuskript voller Angst an meine Brust drückte.

Indem ich mich hierauf dieser geliebten Gruppe näherte, und zuerst die Mutter und nachher die Kinder küßte, sagte ich:

– Jenny, das Kistchen, das Du mir gebracht hast, enthielt ein sehr interessantes und merkwürdiges Manuscript, das ich in der That seit langer Zeit suchte. . . Ich gehe in mein Arbeitszimmer hinab, um es zu lesen, ich werde es bis zum Ende lesen . . . Das wird vielleicht ein wenig lange dauern, denn es ist von einer unleserlichen Handschrift; aber so lange es auch währen möge, ich wünsche nicht gestört zu werden. Beunruhige Dich daher nicht, wenn Du mich nicht zu der gewöhnlichen Stunde heraufkommen siehst. . . Du weißt, was ich thue. – Ich empfehle die Kinder ihrer Mutter, und ihre Mutter Gott an.

Indem ich hierauf mein Gebet mit einem Blicke gen Himmel begleitete, ging ich das Herz – ohne daß ich wußte warum – von einer unendlichen Traurigkeit erfüllt, hinaus.

Ich rief Mary, die noch nicht fortgegangen war.

Sie war damit beschäftigt meine Arbeitslampe zurecht zu machen, denn ich hatte gesagt, daß ich noch am selben Abend mein großes Buch anfangen wollte.

Ich ließ diese angezündete Lampe in mein Arbeitszimmer tragen, da die Nacht bereits angebrochen war.

Da setzte ich mich vor meinen Schreibtisch, indem ich Mary einen Wink gab. die Thür hinter sich zu schließen, um mich so viel als möglich abzusondern, und begann alsdann mit einem Interesse, das man begreifen wird, das Lesen des Manuscripts.

Wie ich gesagt, war der Titel desselben:

Was eine Frau leiden kann

XV.
Was eine Frau leiden kann. (Manuscript der Selbstmörderin,)

Es giebt in dieser Welt Geschöpfe, die ohne Zweifel dazu bestimmt sind, die Vergehen und die Verbrechen ihres Nächsten zu büßen. Sie sind schon vor ihrer Geburt bezeichnet, und es ist ihnen eben so wenig möglich das Unglück zu vermeiden, als es der in einem Walde gewählten Eiche möglichst, das nicht zu werden, was dem Zimmermanne beliebt.

Wenn der Stamm der Eiche ein Block für den Scharfrichter wird, so ist es nicht seine Schuld: es ist die einer höheren Macht, welche ihn zu diesem Zwecke behauen, ein Beil neben ihn gelegt hat, und die Köpfe herbeiführt, welche sich auf ihn legen.

Ach! der Vergleich ist falsch. Ich bin nicht die gefühllose Eiche, welche der Scharfrichter mit fremdem Blute färbt; ich bin der auf den Block des Todes durch die Verzweiflung, diesen Peiniger der Menschheit, gebeugte Kopf, und ich erwarte so niedergeworfen den letzten Schlag, mit dem es den Herrn mich,zu treffen beliebt.

Am letzten Freitage, in der Nacht vom 28. auf den 29. September 1583, zwischen dem Sanct Gertrudis und Samt Michaels Tage, wie die Papisten sagen, habe ich meinen Gatten, den dritten Pastor von Waston, verloren.

Am Tage nach seinem Tode, bevor noch der würdige Mann, mit dem ich sechsundzwanzig glückliche Jahre verlebt habe, in das Grab gesenkt wurde, war sein Nachfolger angekommen.

Es ist ein Mann von strengem Gesicht, unter dessen Leitung ich zweifle, daß die Gemeinde von Waston eben so glücklich sein wird, als sie es unter der meines armen Gatten gewesen ist.

Die Frau scheint mir im Mysischen wie im Moralischen untergeordneter Art; ihre nichtssagenden Züge zeugten von der geringen Kraft ihrer Gefühle.

Sie haben Zwillingskinder, zwei ziemlich schöne Söhne die mir aber durch die zu große Liebe verzogen scheinen, welche ihre Eltern für sie hegen.

Sie kamen von Newport. Ein Wagen folgte ihnen, der ihre Möbeln fuhr.

Es scheint, daß man sich um die Stelle meines armen Seligen schon bei seinen Lebzeiten beworben hatte und sie bewilligt worden war.

Ein Bote wurde gleich nach seinem Tode an sie abgesandt. Dem muß so sein, da sie am Tage nach diesem Tode angekommen sind.

Die Leiche seines Vorgängers war also noch in dem Hause, als der neue Pastor in ihm erschien.

Er wollte so gütig sein, meiner Tochter Elisabeth und mir zu erlauben, bis zum folgenden Tage zu bleiben, um die Leiche begraben zu lassen.

Glücklicher, oder vielmehr unglücklicher Weise, – denn gar viele zukünftige Schmerzen sind vielleicht für mich in dieser scheinbaren Gunst enthalten, – glücklicherweise besteht eines der mit der Pfarre verbundenen Vorrechte darin, daß die Wittwe des letzten Pastors bis zu ihrem Tode eine Wohnung in dem Pfarrhause behält.

 

Diese Wohnung haben wir, Betsy und ich, bereits unter den bescheidensten Bedingungen gewählt, wie sie den neuen Pastor am wenigsten belästigen muß.

Es ist ein großes Zimmer in dem zweiten Stocke, zwischen einem Speicher und einer Art von Waschkammer.

Ich wollte diese Waschkammer mit meiner Wohnung vereinigen, und ich hatte das Recht dazu, aber meine arme Betsy sagte mit ihrer sanften und so schwermüthigen Stimme zu mir:

– Folge mir, gute Mutter, trennen wir uns nicht, nicht einmal durch eine Wand! Wir glaubten unseren geliebten Gestorbenen noch zehn Jahre, fünfzehn Jahre, vielleicht zwanzig Jahre zu behalten. und da verläßt er uns jetzt und wir müssen uns von ihm trennen . . . Gute Mutter, trennen wir uns nicht, so lange als wir leben! Wer weiß, mit Ausnahme Gottes, ob die Zeit lang oder kurz ist, die wir hienieden noch mit einander zuzubringen haben?

Und zum ersten Male habe ich das arme Kind, während es diese Worte sagte, mit Besorgniß angeblickt.

Zum ersten Male habe ich die Zartheit ihrer ganzen reizenden Person, die Feinheit ihrer Haare, die Durchsichtigkeit ihrer Haut, welche das Blut stellenweise färbte, die Klarheit ihrer Augen, die Röthe ihrer Lippen, die Biegsamkeit ihres für ihre Größe ein wenig zu langen Halses, die geringe Entwicklung ihrer Schultern, und diese Art von kindlichem Schmachten bemerkt, welches sie nach vorn beugt.

Und indem ich sie so betrachtete, fühlte ich wie ein dumpfer Schmerz an meinem Herzen nagte, und eine eisige Thräne in meinen Augen perlte.

– O! ja! rief ich aus. Du hast Recht, mein Kind, verlassen wir uns keinen Augenblick, keine Minute! denn die Augenblicke, die man sich unnöthigerweise verlassen hat, sind wie eben so viele Gewissensbisse, wenn man sich für die Ewigkeit trennen muß.

Dem zu Folge haben wir nur ein einziges Zimmer gewählt, nämlich das von mir bezeichnete. Wir werden freilich etwas eng wohnen, aber wird der, den wir betrauern, nicht noch weit enger wohnen, als wir?. . .

O letzte Wohnung! Du scheinst mir ganz die einzige zu sein, in der man Ruhe findet, und dabei noch. . . wer weiß?. . .

– Endlich schlug die Stunde, wo wir uns auf immer für diese Welt, Betsy von ihrem Vater, und ich von meinem Gatten trennen sollten. Ich wollte nicht, daß der arme Verstorbene von den fremden und unbekannten Händen dessen in das Grab gelegt würde, der uns aus dem Zimmer verjagte, in welchem meine Tochter geboren, Er gestorben ist. Ich hatte den ehrwürdigen John Müller, seinen zwanzigjährigen Freund und Pastor von Milfort benachrichtigt: er kam zur bestimmten Stunde mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern.

Der würdige Mann brachte Gebete für den Verstorbenen und Thränen für uns einzige Hinterbliebene mit; denn wir haben, so viel ich weiß, keinen Verwandten auf der Welt, und meine Tochter, und ich sind die letzten der Familie.

Wenn Gott auch uns beide wieder zu sich genommen hat, so wird, – es sei denn, daß Betsy sich verheirathet und Kinder hinterläßt, – keine andere Spur von unsern beiden Familien mehr übrig bleiben, als die leichte Erhöhung, die auf den Gräbern entsteht, und die in einigen Jahren von selbst unter dem Moose und Grase verschwindet.

Und wir werden so verschwinden; denn, mein Gott! wer wollte in einer hohen Stellung eine Waise ohne Vermögen heirathen? und Betsy wird niemals einwilligen, die Frau eines Handwerkers zu werden.

Die Ankunft des guten Herrn Müller öffnete eine neue Thränenquelle. Ach! bei großen Unglücksfällen, und wenn man mit Heftigkeit geweint hat, glaubt man zuweilen die Quelle versiegt, erschöpft, bis auf den letzten Tropfen ausgetrocknet; man fragt sich, indem man die Augen trocknet und glühend fühlt, wo man neue Thränen hernehmen solle, und plötzlich, bei dem Anhören eines einfachen Wortes, bei dem Anblick eines alten Freundes, schwillt das Herz von Neuem, die Thränen steigen auf, der Damm bricht, und das Gesicht bedeckt sich mit weit traurigeren und weit reichlicheren Thränen als jemals.

Das begegnete uns, als wir auf der Schwelle des Hauses Herrn Müller und seine Familie erscheinen sahen.

Dies war der Moment einer zweiten Trennung zwischen uns und dem geliebten Todten. Bis zu der Ankunft der Madame Müller und ihrer beiden Töchter waren Betsy und ich in dem Nebenzimmer geblieben, indem wir von Zeit zu Zeit unsere Lippen auf diesen gefühllosen Sarg drückten, wie als ob unsere Küsse hätten durch das Holz dringen und die Leiche in ihrem Grabtuche erbeben lassen können; sobald aber Herr Müller gekommen war, so mußte man den Sarg den Todtengräbern, den Körper dem Grabe, die Seele der Ewigkeit überliefern! Wir sagten der sterblichen Hülle dessen, der uns so sehr geliebt hatte, ein letztes Lebewohl, und ließen uns von Madame Müller und ihren beiden Töchtern mechanisch in unser Zimmer des zweiten Stockes fortziehen, in welchem wir von nun an leben sollten.

Uebrigens, und das war ein großer Trost für uns, siebt man aus den Fenstern dieses Zimmers auf den Friedhof.

Fast auf der Mitte des Leichenfeldes war eine gähnende Gruft bereitet, welche, indem sie sich füllte, die Ewigkeit zwischen uns, den Vater und den Gatten legen sollte.

O! als ich dieses Zimmer betrat und dieses offene Grab sah, war meine Gemüthserschütterung so heftig, daß ich ohnmächtig zu werden glaubte.

Aber Betsy näherte sich mir, und indem sie mich um den Leib faßte, flüsterte sie mir in’s Ohr:

Gute Mutter! sei ruhig, es bleibt für uns Platz neben ihm übrig.

Sie versteht zu trösten!

Meine Thränen flossen langsamer. Diese wenigen Worte hatten Hoffnung darunter gemischt, und dennoch wieder zu meinem geliebten Gatten zu gehen, hieße meine geliebte Tochter verlassen!

Aber das Herz hat seine Geheimnisse, seinen sinnlosen Glauben, seine unmöglichen Hoffnungen. Diese wenigen Worte meines Kindes thaten mir weit wohler als alle die freundschaftlichen Tröstungen der Madame Müller und ihrer beiden Töchter.

Freilich waren diese Worte von Betsy gesagt worden, von jedem Anderen, als von ihr ausgesprochen, wären sie vielleicht kalt über meinen Schmerz weggeglitten.

Während dieser Zeit trug man die Leiche weg. Durch das dumpfe Läuten der Glocken wurden wir benachrichtigt, daß sie in die Kirche gebracht wurde. Hierauf verfloß eine lange Zeit, während welcher kein Geräusch bis zu uns gelangte.

Man verrichtete still die Todtengebete, welche, leise auf der Erde ausgesprochen, den Aether durchziehn und auf den Flügeln des Glaubens gen Himmel steigen.

Sollte man nicht glauben, daß, je leiser man spricht, desto besser Gott uns verstände?

Plötzlich begann die Glocke wieder ihr Trauergeläut; sie verkündete uns, daß die Leiche die Kirche verließ, um sich auf den Friedhof zu begeben.

Bei jeder dieser Nachrichten, welche das Erbeben der Glocken uns von dem geliebten Verstorbenen zutrug, begannen die Thränen, die uns versiegt geschienen hatten, wieder ihren Lauf; das Schluchzen, das wir erloschen geglaubt hatten, entwand sich von Neuem unserer Brust.

Wir saßen; aber durch eine gleichzeitige Bewegung standen wir alle Beide auf und näherten uns dem Fenster.

Unsere Augen und besonders unsere Herzen wollten ein letztes Mal den Sarg wieder sehen.

Madame Müller und ihre Tochter versuchten, ohne Zweifel aus Furcht, daß dieser Anblick unsern Schmerz auf das Höchste steigern möchte, uns nach einem entgegengesetzten Punkte des Zimmers fortzuziehn, von welchem es uns unmöglich war, die Entwickelung der Trauer-Ceremonien zu beobachten.

Unsere grausamsten Feinde hätten gegen uns nicht das versucht, was diese ungeschickten Freunde unternahmen.

Durch den Ausdruck unserer Züge, durch die Geberde, mit welcher wir sie zurückwiesen, sahen sie ein, daß sie uns ganz unserm Entschlusse und unseren Schmerzen überlassen müßten.

Sie ließen uns frei.

Betsy umschlang mich, das zarte Kind; die schwache Rebe hatte, wo nicht die Macht, doch wenigstens den Willen, mich zu unterstützen.

Wir sahen zuerst die Leute des Dorfes eintreten, die einen großen Kreis um das Grab herum bildeten, dann die Vorsteher der Kirche, die Sänger, den Kirchendiener, den Küster; hierauf kam Herr Müller, wahrhaft würdig, wahrhaft schön.