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Der Pastor von Ashbourn

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Man sah an seiner schwermüthigen Heiterkeit, an seiner Ruhe voller Hoffnung und zugleich Ergebung, daß er die ganze Größe der Sendung fühlte, die der Mann vollzieht, wenn er mit seinem Gebete die von der Erde gen Himmel aufsteigende Seele begleitet.

Hinter ihm gingen die Träger.

Zwei Todtengräber warteten stehend, der eine auf seinen Spaten, der andere auf seine Hacke gestützt, in verschiedenen Stellungen.

Als die Leiche sich dem Grabe näherte, traten sie zur Seite, um ihr Platz zu machen.

Das letzte menschliche Werk ward vollbracht.

Die Träger setzten einen Augenblick lang den entblößten Sarg an den Rand der Gruft; wir waren so nahe daran, daß wir die Nägel und die Beschläge desselben unterscheiden konnten.

Ich sage wir, denn ich bin überzeugt, daß Betsy Alles zu gleicher Zeit als ich sah.

Man flüsterte noch zwei oder drei Gebete.

Hierauf hoben die vier Träger den Sarg, nicht mehr mit der Bahre, sondern mit Stricken auf, hielten ihn einige Secunden lang über der Gruft im Gleichgewichte, und ließen ihn in den Abgrund hinab.

Als der Sarg den Grund berührt hatte, ließen zwei der Träger den Strick los, den sie hielten; die beiden Anderen zogen ihn an sich, und die beiden wie zwei Schlangen beweglichen Taue kehrten aus der Tiefe auf die Oberfläche der Erde zurück, wo sie regungslos liegen blieben.

Nun näherten sich die beiden Todtengräber wieder; der eine fuhr mit seiner Hacke, der andere mit seinem Spaten in die frische Erde.

Ich fühlte, daß diese erste, auf den Sarg geworfene Schaufel Erde die wahre Trennung, die unüberschreitbare Kluft wäre.

Ich eilte an das Fenster, um es aufzumachen. Die drei Frauen stießen einen Schrei aus.

Sie wußten nicht, was ich machen wollte.

Betsy allein wußte es.

Sie sagte daher auch, indem sie die Hand ausstreckte:

– Lassen Sie!

Ich machte das Fenster auf, und bevor das Geräusch der Erde auf dem Sarge verschallt war, riefen wir alle Beide mit einer Stimme aus:

– Leb’ wohl!

In diesem Augenblicke rollte die Erde dumpf und fast donnernd auf den Sarg.

Es schien mir. als ob diese erste Schaufel Erde auf mein Herz fiele und es mit dem begrübe, das nicht mehr schlug.

Ich stieß einen leisen Schrei aus und sank in Ohnmacht.

Ich war an dem Ende meiner Kräfte, aber nicht an dem meines Schmerzes!

Nach jenen Ohnmachten der Seele, welche den großen Katastrophen des Herzens folgen, ist es sehr selten, – es sei denn, daß es bei ungewöhnlichen Naturen der Fall wäre, – ist es sehr selten, sage ich, daß der Körper auf der Stelle seine Fähigkeiten wieder gewinnt.

Dann verbreitet sich über das Leben eine Art schwarzer Schleier; dann entsteht in dem Dasein eine Art finstere Nacht; hinter diesen dunkeln Schleier und in die Tiefe dieser Nacht vermag die Erinnerung nicht zu dringen, oder wenn sie hineindringt, vermag sie nicht deutlich zu sehen, was sich zuträgt. Ebenso giebt es zwischen dem Wachen und dem Schlafen einige unauffaßbare Minuten, während welcher alle Gegenstände eine Aschfarbe annehmen und ihre Umrisse in jenem phantastischen Nebel verlieren, den die Dämonen der Finsterniß von ihren schweigenden Fittigen zu schütteln scheinen.

In solchen Momenten weiß man nicht, wie man lebt. Nach solchen Momenten weiß man nicht, wie man gelebt hat. Dann kommt endlich die Stunde herbei, wo der Stoff sich wieder beseelt, wo der Körper wieder auflebt, wo allmählig alle Bedürfnisse des Lebens ihre Rechte wieder einnehmen, sich durch einen tiefen Schmerz fühlen lassen, und wo man sich sagt:

– Ich lebe, denn ich leide.

Als ich aus diesem Zustande der Erstarrung, den ich zu beschreiben versucht habe, erwachte, weinte meine Tochter an dem Fuße meines Bettes und die Kinder des neuen Pastors spielten lärmend auf dem Hofe.

XVI.
Was eine Frau leiden kann. (Manuscript der Selbstmörderin.) Fortsetzung

Von dem Augenblick an, wo das Leben zurückgekehrt war, mußte man sich mit seinen Bedürfnissen beschäftigen.

Die Besoldung der Pfarre war gering; mein armer Gatte bezog im Ganzen sechzig Pfund Sterling jährlich.

Den Wittwen der Pastoren dieses unglücklichen kleinen Dorfes des Fürstenthums Wallis war keine Pension bewilligt.

Nur zwei Pastoren hatten vor uns das Pfarrhaus bewohnt.

Der erste war nicht verheirathet.

Der zweite war es; aber seine Frau war vor ihm gestorben.

Das Schauspiel der Armuth einer Wittwe hatte daher bis dahin die Gemeinde nicht mit seinem betrübenden Anblicke beschäftigt.

Ich war die erste, an welcher das Unglück diesen Versuch machte.

Während des Laufes von fünf und zwanzig Jahren, die wir das Pfarrhaus bewohnt und während welcher mein Gatte die Pfarre verwaltet, hatten wir einige Ersparnisse gemacht: ungefähr den Gehalt eines Jahres.

Aber die Krankheit meines Gatten hatte mehr als die Hälfte dieser Summe gekostet.

In dem Augenblicke des Todes des würdigen Mannes blieben mir daher kaum fünf und zwanzig Pfund Sterling übrig.

Der größte Theil von dem Mobiliar gehörte dem Pfarrhaus nur war in der Art von Vertrag, welcher der Wittwe des verstorbenen Pastors eine Wohnung bewilligte, gesagt, daß sie aus dem Mobiliar, welches bis dahin das ihrige gewesen, Alles, was als das nöthigste Bedürfniß anzusehen war, nehmen sollte.

Ich war bescheiden in meiner Wahl. Eine Bettstelle von Eichenholz für mich, eine Art von Gurtenbett für meine Tochter, vier Strohstühle, zwei Sessel, ein Spiegel, ein Tisch, ein Schrank, einige Küchengeräthschaften, – darauf beschränkten sich alle meine Ansprüche.

Ich ließ den neuen Pastor herauf kommen, damit er mit eigenen Augen die Bescheidenheit meiner Wünsche beurtheile.

Er übersah Alles mit seinem finstern Blicke und begnügte sich damit, zu sagen:

– Es ist gut; wenn Sie noch etwas Anderes nöthig haben, so nehmen Sie es; aber nehmen Sie es auf der Stelle, damit wir einander nicht weiter stören.

– Ich danke! antwortete ich ihm, wir haben Alles, was wir bedürfen.

Während dieser Zeit warfen die beiden auf der Treppe stehenden Kinder einen neugierigen Blick durch die halb offen stehende Thür, und bildeten durch ihr Gelächter einen grellen Contrast mit meiner armen Elisabeth, welche weinte.

Das Gelächter dieser Kinder war mir schmerzlich. Ich schritt auf die Thür zu, um sie zu schließen.

Der Pastor verstand meine Absicht.

– Es ist unnöthig – ich gehe.

Und er entfernte sich in der That; auf einen Wink folgten ihm seine Kinder, aber nicht ohne sich umzuwenden und durch neues Gelächter unsere Armuth zu verhöhnen.

Vielleicht sah auch mein schmerzerfülltes Herz das Böse, wo es nicht war; die Sorglosigkeit des Alters dieser beiden Kinder ist vielleicht ihr einziges Verbrechen gegen mich; es scheint mir indessen, daß jedes Alter, so unwissend es auch sein möge, die Thränen achtet.

Der Schmerz ist eine der Seiten der Gottheit.

Obgleich Elisabeth nichts gesagt, obgleich sie die Lustigkeit der Kinder nicht einmal zu bemerken geschienen hatte, die mir so schmerzlich gewesen war, so hatte diese Lustigkeit sie dennoch ohne Zweifel grausam berührt: denn, indem sie mit ihrer Hand über ihre von Schweiß feuchte Stirn fuhr, stand sie auf, um das Fenster zu öffnen: aber auf dem halben Wege, – ich folgte dem armen Kinde beständig mit dem Blicke einer Mutter, – aber auf dem halben Wege blieb sie stehen, erbleichte, wankte, und indem sie die Arme ausstreckte, wie um ihrer Brust Luft zu geben, sagte sie:

– Ach! mein Gott! was ist mir denn, meine Mutter?. . . Es scheint mir, als ob ich nicht mehr Athen, holen kann! ich ersticke! . . .

Sie wäre in der That fast erstickt zu Boden gesunken, wenn ich nicht zu ihr herbeieilte, sie sich aus einen Stuhl setzen ließ, und den Stuhl an das Fenster zog, das ich aufmachte.

Nach einigen Anstrengungen, welche meine Brust mehr noch als die ihrige zerrissen, fand sie endlich ihren verlorenen Athem wieder und mit diesem schien das Leben in sie zurückzukehren.

Ihre Augen öffneten sich wieder, aber feucht; ihre trockenen Lippen verlangten Wasser, und das Blut, gleichsam froh, seinen unterbrochenen Lauf wieder aufnehmen zu können, beeilte sich zu den Schläfen herbeizuströmen, die es heftig klopfen ließ, und zu den Wangen, die es mit Flammenstecken färbte.

Ach! sollte mein armes Kind denn kränker sein, als ich glaubte?

Ich werde unsere Freunde im Dorfe bitten, wenn sie den Arzt von Milfort auf einem Besuch in Waston sehen, ihn zu ersuchen, zu uns heraufzukommen.

Elisabeth, in ihrer Rückkehr zum Leben, ich in meinen traurigen Ahnungen wurden durch den Gewürzkrämer des Dorfes unterbrochen; er kam, mir die Rechnung über die zwanzig Schillinge zu bringen, die ich ihm schuldig war, und uns zu sagen, daß er uns bäte, in Zukunft, statt vierteljährlich mit ihm abzurechnen, Alles gegen baar zu nehmen, oder einem Andern die Ehre unserer Kundschaft zu übertragen.

Ich verstand vollkommen, daß er, da er die Quelle unseres Einkommens durch den Tod meines armen Gatten versiegt wußte und er wenig Vertrauen zu der Zahlungsfähigkeit einer Wittwe und einer Waise hatte, ihnen keine Vorschüsse zu machen wünschte.

Ich antwortete ihm stolz, ohne Schwanken in der Stimme, aber mit einem Herzen voller Thränen, daß sein neuer Beschluß mit dem unsrigen übereinstimme, und indem ich ihm die zwanzig Schilling gab, die er zu fordern kam, schickte ich ihn fort.

Ohne Zweifel erwartete er diese scheinbare Sanftmuth und diese schnelle Bezahlung seiner kleinen Schuld nicht, denn auf dem Vorplatze, und bevor er sich von mir trennte, versuchte er einige Entschuldigungen wegen des Elends der Zeit und den Anempfehlungen der Sparsamkeit zu stammeln, die ihm seine Frau mache.

Ohne ihn anzuhören, verschloß ich die Thür hinter ihm.

Das ist zuverlässig ein Feind, den ich uns gemacht habe; aber während ich den Muth gehabt, seine Hartherzigkeit ruhig hinzunehmen, vermochte ich nicht, seine Gemeinheit zu ertragen.

 

Es ist augenscheinlich, daß er fürchtet, unsere Kundschaft zu verlieren, so armselig sie auch geworden sein mag.

O! mein Gott! Was wird denn aus meiner armen Betsy und mir inmitten einer Menschheit werden, die im Großen oder im Kleinen dem Manne gleich ist, der uns verläßt, wenn uns das Geld fehlt?

Wir frühstückten gewöhnlich eine Tasse Milch. Unser armer Seliger – der nicht ohne Besorgniß über die Gesundheit seiner Tochter war und zuweilen mit väterlicher Traurigkeit dieses schwache Wesen anblickte – unser armer Seliger sagte, daß die Milch die beste Nahrung wäre, die sie zu sich nehmen könnte.

Um das Kind an dieses Frühstück zu gewöhnen, gegen welches sie anfangs einen gewissen Widerwillen zeigte, hatte ich mich daher wie sie der Milch bedient.

Am folgenden Tage nach dem, an welchem wir den Besuch des Gewürzkrämers erhalten hatten, bemerkten wir – denn unsere Aufmerksamkeit gegen einander war gleich – bemerkten wir, sage ich, daß weder die Eine noch die Andere von uns mehr Honig in ihre Milch that.

Eine allein hätte eine Entschuldigung finden und der Anderen sagen können, daß sie dieselbe unvermischt besser fände; aber wir vermochten alle Beide uns nur einander in die Arme zu werfen und zu weinen.

Endlich kam Elisabeth zuerst wieder zu sich.

– Mutter, sagte sie, mein Vater hat mir, Gott sei Dank, eine gute Erziehung gegeben.

Obgleich wir das Fürstenthum Wallis bewohnen, verstehe ich das Englische und das Französische vollständig, und ich meine, daß ich in irgend ein adeliges Haus als Erzieherin eines jungen Mädchens oder bei irgend einem reichen Handelsmanne von Pembroke oder von Milfort eintreten könnte, um bei ihm die Bücher zu führen.

Ja. gewiß, mein Kind, das ist möglich, sagte ich zu ihr. aber dann müßten wir uns verlassen.

Elisabeth erhob die Augen gen Himmel und stieß einen Seufzer aus. Sie schien zu sagen: »Ach! mein Vater hat uns auch verlassen, und für immer: Gott lehrt uns durch diese ewige Trennung, daß es ein Glück ist, sich nur für einige Zeit zu trennen.«

Ich wollte selbst den Gedanken beseitigen, den die theure Tochter in mir hatte entstehen lassen.

– Mein Kind, sagte ich zu ihr, glücklicherweise sind wir noch nicht so weit. Mit Sparsamkeit können wir von unserm kleinen Schatze ein Jahr und sogar noch länger leben. Nun! wenn die schmerzliche Stunde gekommen sein wird, werden wir Gott um Kraft bitten, und ich habe die Hoffnung, daß er sie uns verleihen wird.

Jede von uns trank nun ihre Tasse Milch vollends aus, und nach Verlauf von drei Tagen hatten wir uns vollkommen daran gewöhnt, sie ohne Honig zu trinken; wir fanden sogar eine Feinheit des Geschmackes an ihr, die wir bis dahin nicht bemerkt hatten.

Ich war es, welche die Bemerkung zuerst machte.

– Sieh, sagte Elisabeth, wie viele ähnliche Bedürfnisse erzeugt die Gewohnheit, und wie viele Dinge kann man entbehren, ohne darunter zu leiden, wenn man es nur will.

Diese Bemerkung meiner armen Kleinen war das Signal zu neuen Aenderungen; Alles, was wir von unserer bereits so bescheidenen Lebensweise abzubrechen vermochten, brachen wir von ihr ab, und Dank dieser Ersparniß lebten wir, ohne eine einzige Schuld in dem Dorfe zu machen, mit weniger als zwölf Pfund Sterling sechs Monate lang.

Aber die Erfahrung war gemacht, daß es unmöglich sei, weniger auszugeben, als von uns geschah.

Wir hatten also noch für sechs Monate auf diese Weise zu leben, und dann mußte Alles aufgezehrt sein.

Außerdem blickte ich von Zeit zu Zeit meine arme Elisabeth mit zunehmender Besorgniß an; obgleich sie sich niemals beklagte, obgleich sie jedesmal, wo mein Blick dem ihrigen begegnete, zu lächeln versuchte, obgleich sie mich bei jeder Veranlassung mit einem leichten Nicken des Kopfes beruhigte, veränderte sie sich doch sichtlich, besonders für das Auge einer Mutter.

Dann entschlüpfte ihr zuweilen ein leichter, trockner und nervöser Husten, der weit anhaltender und weit hartnäckiger beim Nordwind war, und Schauder liefen über ihren ganzen Körper, obgleich ihre Hände trocken und sogar glühend waren.

Sie litt augenscheinlich, aber wenn ich sie über dies Leiden befragte, so war es ihr unmöglich, mir weder die Ursache, noch den Sitz desselben zu sagen.

Aber in dem Maße, als ihr Körper gegen irgend ein zerstörendes Princip zu kämpfen schien, nahm ihr Kopf eine immer göttlichere Lieblichkeit an; lebendig schien sie gen Himmel aufzusteigen und ein Engel zu werden, obgleich sie noch auf der Erde war.

Ich habe gesagt, daß sie zuerst den Gedanken an eine Trennung ausgesprochen hatte, und dennoch protestirte jede ihrer Handlungen im Voraus gegen einen solchen möglichen Fall. Alle Nadelarbeiten waren ihr vertraut, besonders stickte sie wie eine Fee!

Sie machte sich an das Werk und führte Wunder aus; aber außer der Schwierigkeit, Nutzen aus diesen Meisterstücken in einem kleinen Dorfe, wie Waston, zu ziehen, war sie bald genöthigt, auf diese Arbeit zu verzichten.

Sich gebückt zu halten, erstickte sie; von Zeit zu Zeit stand sie auf, schüttelte den Kopf, versuchte Athem zu schöpfen, und sank unter schrecklichen Krämpfen mit zurückgeworfenem Kopfe wieder auf ihren Stuhl zurück.

Da es vor Allem die Gesundheit des theuren Kindes war, die man erhalten mußte, so wandte ich meine mütterliche Gewalt an, und die Arbeit wurde unterbrochen.

Der Winter kam herbei, wir hatten ohne ihn gerechnet.

Dieses unter dem Dache gelegene Zimmer, das im Sommer ein glühender Ofen war, wurde im Winter eisig.

Es war uns unmöglich, Holz und Kohlen zu missen; wir hätten lieber das Brod entbehrt.

Außerdem hustete die arme Betsy noch weit heftiger, als vorher, seitdem die Kälte eingetreten war.

Dieser Husten zerriß mir das Herz, und in der Hoffnung, ihn zu stillen, wenn ich die uns umgebende Atmosphäre erwärmte, hätte ich selbst meine Bettstelle in’s Feuer geworfen.

Eines Tages sah ich sie voller Besorgniß ihr Taschentuch betrachten.

– O! Mutter, sagte sie, was habe ich denn, ich speie Blut!

Der Schlag traf mich um so schmerzlicher im Herzen, als ich ihr meine Besorgniß verbergen mußte.

– Es hat nichts zu bedeuten, sagte ich zu ihr, Du wirst eine zu große Anstrengung beim Husten gemacht haben . . . kannst Du nicht vorsichtiger husten?

Sie lächelte schwermüthig.

– Ich werde es versuchen, sagte sie, – und sie steckte ihr geröthetes Schnupftuch wieder in die Tasche.

Ich ging zu einer Art von Droguisten, der einige medicinische Studien in Pembroke gemacht hat, und Tränke für kranke arme Leute bereitet.

Ich sagte ihm, was Betsy zugestoßen war.

Er hörte mich an, und indem er die Achseln zuckte, sagte er:

– Das ist nicht zu ändern, die jungen Mädchen sind so vielen Beschwerden unterworfen! Aber lassen Sie dieses Kraut in Wasser kochen, versüßen Sie den Trank mit Honig und ihr Kind wird sich gut dabei befinden, vorausgesetzt, daß das Zimmer gehörig warm ist.

Feuer und Honig! das wäre unter den gewöhnlichen Verhältnissen unseres Lebens ein großer Luxus gewesen; aber für die leidende Betsy war nichts mehr Luxus und jede Anempfehlung wurde eine Nothwendigkeit.

Ich ging zu dem Gewürzkrämer.

– Ah! Nachbarin, äußerte er, man sieht, daß Sie das buchstäblich genommen haben, was ich Ihnen gesagt, Sie werden sehr selten.

Ich entschuldigte mich mit unseren geringen Bedürfnissen.

– Woher kommen Sie denn jetzt? fragte er mit der Neugierde gemeiner Kaufleute.

– Ich habe Kräuter bei dem Droguisten gekauft.

– Welche Kräuter? ich verkaufe auch Kräuter. . . warum sind Sie nicht zu mir gekommen? ich hätte sie Ihnen eben so gut als er verkauft.

– Ich wußte nicht, welche ich nöthig hatte.

– Ah! Ja . . . und er hat Ihnen eine Verordnung gegeben? Der Schurke mischt sich darein, Arzneikunde zu treiben! Wer ist denn krank bei Ihnen?

– Elisabeth.

– Was fehlt ihr?

– Das arme Kind hustet, und das so schrecklich, daß es soeben Blut gespieen hat.

– Lassen Sie sehen, was hat er Ihnen für diesen Husten gegeben? Königskerze, Kräuterthee?

– Nein! eine Art von Moos . . . sehen Sie!

– Ei, isländisch Moos! Ihre Tochter ist also schwindsüchtig?

Ein kalter Schweiß fuhr mir über den Körper, die Rohheit dieses Menschen antwortete so verhängnißvoll auf meine Gedanken, daß ich mich wanken fühlte; ich hielt mich an dem Ladentisch, um nicht rücklings zu Boden zu sinken.

– Und wie theuer hat er Ihnen das verkauft? fragte der Gewürzkrämer.

– Zwei Pence, antwortete ich mit erstickter Stimme.

– Zwei Pence! o! der Spitzbube! es ist höchstens für einen Penny. Kommen Sie künftighin zu mir, Frau Nachbarin, ich gebe Ihnen das Doppelte für den halben Preis . . . obgleich, sehen Sie, das wahre Mittel für die Krankheit Ihrer Tochter – wenn es dagegen überhaupt ein Mittel giebt – ein Land wäre, wo es wärmer als in dieser Gegend hier ist. Unsere Gebirgsluft ist nicht gut für Brustkranke; sie rafft sie schnell dahin, und ich würde mich nicht wundern, wenn nächstes Jahr um diese Zeit Ihre arme Tochter . . . ah! Sie verstehen wohl . . . Guten Abend!

Ich vermochte nicht zu antworten, Schluchzen erstickte mich. Ich nahm mit der einen Hand meine Tasse Honig, mit der anderen mein Packet isländisch Moos, und kehrte in das Pfarrhaus zurück, indem ich davor zitterte, daß meiner armen Elisabeth während meiner Abwesenheit irgend ein neuer Unfall zugestoßen sein möchte.

Aber glücklicherweise befand sie sich besser. An dem Tische sitzend, schrieb sie einen Brief, den sie mir zu verbergen suchte.

Ich kannte die Züchtigkeit des Herzens des armen Kindes, und ich befragte sie nicht einmal darum.

Sie hatte daher alle Zeit, das Papier in das Mieder ihres Kleides zu stecken.

Eine Stunde nachher ging sie unter irgend einem Vorwande aus; ich folgte ihr durch den halb geöffneten Vorhang mit den Augen, und sah sie den Brief auf die Post tragen.

XVII.
Was eine Frau leiden Kann. (Manuscript der Selbstmörderin.) Fortsetzung

Sei es nun, daß, Dank dem mit Honig versüßten Tranke von isländischem Moos, den ich mein theures Kind nehmen ließ, das Blutspeien aufgehört hatte, oder sei es. daß Elisabeth aus Furcht, mich zu beunruhigen, mir verheimlichte, daß es zurückgekehrt sei; ich glaubte an eine Besserung, die nach meiner Meinung in der That bestand.

In unserm Zimmer eingeschlossen, und ohne daß sich Elisabeth erlaubte. es zu verlassen, sahen wir die drei letzten Monate des Winters verfließen. Von Zeit zu Zeit, wenn der Himmel weniger mit Wolken beladen, die Erde weniger mit Schnee bedeckt war. wenn dieses große und traurige Laken, das ein über unsern Häuptern ausgebreitetes Leichentuch zu sein schien, zerriß und durch diesen Riß ein Sonnenstrahl fiel, so öffnete ich sogleich diesem befreundetem Strahle das Fenster und Betsy eilte, ihren Stuhl nachziehend, herbei, um sich in die liebliche und laue Atmosphäre zu setzen, welche der mitleidige und gütige Herr einen Augenblick lang für sie allein zu schaffen schien.

Dort schien sie wieder aufzuerstehen und sich wieder zu beleben; ihre schmachtenden Augen öffneten sich wieder, ihr Mund sog die Lust ein. ihre Arme versuchten ein unsichtbares Phantom zu ergreifen, das bereit war, wieder zu entschlüpfen. Man sieht nicht deutlicher eine Blume unter den Strahlen des Mai-Monates wieder aufleben, als man damals meine arme Betsy zu dem Dasein zurückkehren sah.

Der Frühling vollendete die Kur: gleich einer Pflanze, welche ein Gärtner durch viele Pflege vor dem Froste bewahrt, war sie aus dem Winter gerettet.

Aber welche Vorsichtsmaßregeln, mein Gott! und welche Traurigkeit, wenn sie durch die Spalten der mit Eis bedeckten Fensterscheiben die beiden Kinder des Pastors, deren lustiges Geschrei sie anlockte, auf dem zugefrorenen Bache gleiten, oder mit Schneebällen improvisirte Feinde bekämpfen sah.

Endlich kam der Mai herbei. Man hätte sagen können, daß er auch für Elisabeth der Blüthe-Monat wäre. Niemals färbte sich eine Rose frischer als ihre Wangen; niemals schaukelte sich eine Lilie anmuthiger auf ihrem Stengel, als ihr beweglicher Kopf auf ihrem biegsamen Halse.

Ihr, wie der Kelch einer Blume, offener Mund schien, wie er, das Licht, die Luft und den Thau einzusaugen, um sie in Wohlgerüchen wieder zurückzugeben.

Sie war so schön, daß ich mich zuweilen nahe daran fühlte, von der mütterlichen Liebe zu der göttlichen Verehrung überzugehen und zu vergessen, daß sie meine Tochter sei, um eine andere Maria aus ihr zu machen.

Wenn ich sie so sah, so wurde ich unendlich betrübt. Statt mich zu beruhigen, erschreckte mich diese Art von Verklärung. »Gott zieht sie an sich!« sagte ich mir, und ich sah nach, ob ihre Füße noch den Boden berührten.

 

Dann vereinigte sich eine materielle, aber nicht weniger schreckliche Sorge mit dieser. Es war seit dem Tode meines Gatten ein Jahr verflossen; während dieses Jahres hatten wir mit weniger als zwanzig Pfund Sterling gelebt. Als ich nachzählte, was uns übrig blieb, fand ich. daß unser ganzes Vermögen aus zwei Pfund, drei Schilling und sechs Pence bestand.

Elisabeth und ich hatten soeben traurig diese Berechnung gemacht, als der Postbote mit einem Briefe von Milfort eintrat.

Kaum hatte er gesagt, was ihn herführte, als Elisabeth einen Schrei ausstieß und auf ihn zueilte.

Sie warf die Augen auf die Adresse des Briefes und brach ihn hastig auf.

Er war die Antwort auf den, welchen ich sie einige Monate vorher hatte schreiben sehen, und den sie bei meiner Ankunft in ihrem Mieder verborgen hatte.

Er war zugleich wie eine Antwort der Vorsehung auf die Frage, die wir gerade in dem Augenblicke, wo dieser Brief ankam, mit den Augen, wo nicht mit den Lippen an uns richteten, indem wir unsere zwei Pfund, drei Schillinge und sechs Pence betrachteten: »Was wird aus uns werden?«

Elisabeth hatte an einen alten Freund ihres Vaters geschrieben, ihr eine Stelle entweder als Erzieherin in einem großen Hause, oder als Rechnungsführerin, oder selbst als Haushälterin zu suchen.

Man bot ihr fünfzehn Pfund Sterling und die Kost, um bei dem reichsten Handelsmanne in Milfort die Bücher zu führen.

Ach! das war eine sehr mit Traurigkeit gemischte Freude, die uns da zukam! Betsy und ich hatten uns niemals, ich will nicht sagen, einen Tag, sondern eine Stunde verlassen.

Freilich konnte ich, da Milfort nur zwei Meilen von Waston entfernt war, dem armen Kinde von Zeit zu Zeit einen Besuch abstatten.

O! ich erkläre es, wenn es eine Trennung für immer hätte sein müssen, wie eingeschränkt hätten wir lieber gelebt! wir wären auf die Gefahr hin, vor Hunger zu sterben, bei einander geblieben!

Ueberzeugt, daß ich mich dem widersetzen würde, daß sie das ihr gemachte Anerbieten annehme, nahm Elisabeth alle ihre Kräfte zusammen, um mich zu bitten, sie ein Opfer bringen zu lassen, das unsern Lebensunterhalt sicherte; dann, als ich nachgegeben hatte – denn ich sah die ganze dringende Notwendigkeit eines solchen Entschlusses ein – war sie es, der es an Kraft fehlte, die auf ihre beiden Kniee sank, und die ihre in Thränen gebadeten Augen und ihre schmerzlich gerungenen Arme gen Himmel erhob.

Uebrigens war dabei keine Zeit zu verlieren, und der Entschluß, welcher er auch sein mochte, mußte auf der Stelle gefaßt werden.

Man hatte sechs Monate die Erledigung einer Stelle abgewartet; diese Stelle war an demselben Tage frei geworden, an welchem unser Freund uns davon benachrichtigte.

Der Handelsmann, der seine Bücher nicht im Rückstand lassen konnte, gewährte Elisabeth, um sich zu entscheiden, nur drei Tage, den inbegriffen, an welchem der Brief geschrieben worden war.

Wir hatten dm Brief an einem Montage um elf Uhr Vormittags erhalten; wenn Betsy es annahm, so mußte sie sich am Donnerstage nach ihrer Bestimmung begeben haben.

Unglücklicherweise hatten wir keine Wahl: man mußte es annehmen, oder vor Hunger sterben. Ich bemerkte das Erstaunen der Landleute von Waston, die mich zwar mit großer Sparsamkeit, aber doch leben sahen, die mich zwar wenig kaufen, aber doch das Wenige bezahlen sahen, was ich kaufte.

Es versteht sich von selbst, daß unsere Garderobe nicht erneuert worden war; aber, geschickt wie eine Fee, war es Elisabeth gelungen, sich eine Art von Ausstattung zu machen, aus was? Gott weiß es! Was mich anbetrifft, so hatte ich mein Trauerkleid. welches, schlecht gefärbt, die Farbe gewechselt hatte und grau geworden war, aber dessen weit dauerhafterer Stoff mir einen noch ziemlich langen Dienst versprach.

Elisabeth hatte also nicht allein Nichts zu kaufen, sondern sie nahm auch noch die Stickerei mit, die sie gearbeitet, und deren Ausführung die Schwäche ihrer Gesundheit unterbrochen hatte, indem sie mir versprach, daß sie irgend einen Nutzen daraus ziehen würde, sobald sie einmal in der Stadt wäre.

Der Moment der Trennung kam herbei. Betsy hatte dem Freunde ihres Vaters geantwortet, daß sie das Anerbieten des Handelsmannes annehme, und dieser hatte sie dagegen benachrichtigen lassen, daß ein Esel – dessen sich die Frauen gewöhnlich und oft sogar die Männer in unserem Fürstenthume Wallis bedienen – sie im Laufe des Tages abholen würde.

Der Esel kam zur bestimmten Stunde mit seinem Führer an. Die Pünktlichkeit ist die Haupttugend der Handelsleute.

Dieser Führer war ein Knabe von zehn bis zwölf Jahren; ich war entzückt darüber; sein Alter berechtigte mich, mein liebes Kind bis nach Milfort zu begleiten.

Unser Freund gab mir den Rath, meine Tochter nicht bis zu dem Handelsmanne, einem Manne voller Mißtrauen, zu begleiten, der, wenn er mich mit ihr kommen sehe, sich einbilden könnte, daß ich mich bei ihm einzuschleichen hoffte.

O! wenn dieser Mann mich hätte zu sich nehmen wollen! ich glaube, daß ich als Magd bei ihm eingetreten wäre, um mich nicht von meinem Kinde zu trennen.

Aber der Vorschlag war mir nicht gemacht, und ich wagte nicht, ihn anzubieten.

Anfangs wollte Betsy, da sie wußte, daß ich zu Fuß zurückkehren müßte, daß ich auf dem Esel ritte; aber leider war ich, die mit Jahren belastete Frau, die stärkere; das junge Mädchen, die erst achtzehn Jahre zu tragen hatte, beugte sich im Gegentheile in dem Frühlinge des Lebens unter der Last ihrer achtzehn Jahre!

Als sie sah, daß ich mich beharrlich weigerte, an ihrer Stelle den Esel zu besteigen, wollte sie neben mir gehen. Ihren Bitten zu widerstehen, hieß sie betrüben.

Wir gingen neben einander, indem sie sich zugleich auf meinen Arm und auf meine Schulter stützte.

Und dennoch blieb sie trotz dieser doppelten Stütze nach Verlauf einer Viertelstunde athemlos stehen; die Anstrengung, welche sie mit großer Mühe, aber mit hohem Muthe gemacht, hatte mich einen Augenblick lang an ihre Kraft glauben lassen; als ich sie aber aufmerksam anblickte, sah ich den Schweiß auf ihrem ganzen Gesichte perlen. Sie erbleichte, und indem sie die Hand auf ihr Herz legte, blieb sie stehen.

Ein heftiges Herzklopfen erstickte sie.

Sie hustete mehrere Male und wandte sich um, um auszuspeien; sie war so schwach, oder dieser Husten war so stark, daß sie wankte und mir nahe daran schien, zu fallen.

Ich eilte auf sie zu und schloß sie in meine Arme; ihr erbleichter Kopf bog sich nun auf meine Schulter zurück.

– Rühre Dich nicht, gute Mutter, sagte sie mit erloschener Stimme, ich befinde mich in dieser Lage wohl . . .

Und sie stieß einen Seufzer aus.

Ich ließ sie sich einen Augenblick lang ausruhen; dann, als ich sah, daß sie regungslos blieb, fing ich an, mich zu beunruhigen, und indem ich ihren Kopf von meiner Schulter auf meinen Arm gleiten ließ, bemerkte ich, daß sie, wenn nicht ohnmächtig, doch wenigstens schwach geworden war.

Ich stieß einen Schrei aus.

Aber bei diesem Schrei schlug sie die Augen wieder auf und erhob den Kopf.

– Ach! wie gut es ist, zu leben! sagte sie.

Und ihre ganze Person nahm einen Anschein von Glück an, welcher hätte glauben lassen können, daß sie in der That von der Nacht zum Tage, von dem Tode zum Leben zurückkehrte.

Ich hatte eine Ahnung: ich wollte sie ihre Reise nicht fortsetzen lassen; es schien mir, als ob ich eine Wolke in meinen Armen hielte, die bereit wäre, sich aufzulösen; daß sie zu verlassen eben so viel wäre, als sie zu verlieren.

– O! sagte ich zu ihr, Kind meines Herzens, geh nicht weiter. . . kehre nach Waston zurück, und wenn die Mittel uns fehlen werden, so wird Gott für unsere Bedürfnisse sorgen.

– Sie schüttelte lächelnd den Kopf.

– Warum das? sagte sie. ist der Entschluß nicht gefaßt? Was hat sich denn seit heute Morgen geändert? . . . Begegnet mir das nicht alle Tage, was mir so eben begegnet ist? Nein, gute Mutter, hilf mir auf diesen Esel zu steigen, der mich anblickt und auf mich wartet, und setzen wir unseren Weg fort.

Wir suchten einen Stein, der Betsy helfen könnte, sich auf den Esel zu setzen; aber da wir keinen fanden, so nahm ich sie in meine Arme und hob sie hinaus.