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Der Pastor von Ashbourn

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X.
Die Nacht von dem Sanct Gertrudis- auf den Sanct Michaelis-Tag

Hierbei, mein lieber Petrus, blieb nicht allein das Manuskript der grauen Dame, sondern auch die Note des Doctor Albert Matronius stehen.

Ich hatte diese lange und traurige Geschichte mit solcher Aufmerksamkeit gelesen, daß. so sehr ich auch von Natur ein Ausleger bin, doch bei keinem einzigen Kapitel verweilt hatte, um Selbstbetrachtungen anzustellen. Nein. Wie Jemand, der in einem reißenden Wasser schwimmt, hatte ich mich durch den Strom forttragen lassen, indem ich mir nur an dem Ende jedes Kapitels sagte: » Weiter! weiter! weiter!« und war so bis an das Ende gekommen.

Dieses große Geheimniß, dessen Lösung ich mit so vieler Beharrlichkeit gesucht hatte, war mir also entschleiert! Nicht allein die Erscheinungen, sondern auch die Ursachen der Erscheinungen waren mir also bestätigt; – die Ursachen durch die graue Dame selbst; die Erscheinungen nicht mehr durch rohe Landleute, sondern durch einen gelehrten Doctor der Theologie, der, ohne daß es ihm gelang, gethan hatte, was er vermocht, um diesen Erscheinungen ein Ende zu machen.

Diese fanden, wie ich es bereits wußte, zwischen dem Feste der heiligen Gertrudis und des heiligen Michael (katholischen Styls), in der Nacht vom 28. auf den 29. September statt.

Aber ich wußte nicht, und erst die Note meines Vorgängers, des gelehrten Doctor Albert Martronius theilte mir mit, daß diese Erscheinungen, von denen ich glaubte, daß sie unveränderlich während der Schwangerschaft stattfänden, eben so gut auch nach der Entbindung einträfen.

Die Sache hing einfach und allein von der Zeit der Entbindung ab. Wurde die mit Zwillingen schwangere Frau nach der Nacht von dem 28. auf den 29. September entbunden, so fand die Erscheinung vor der Niederkunft statt; war sie vor dieser Nacht entbunden, so geschah es nach der Entbindung. Das war aber gerade der Fall mit Jenny: die Entbindung hatte am 15. August stattgefunden, und Jenny war, wie Sie wissen, mit Zwillingen niedergekommen. So lange als diese verhängnißvolle Nacht von dem 28. auf den 29. September, von dem Samt Gertrudis- auf den Sanct Michaelis, Tag, nicht vorüber war, konnte die graue Dame also erscheinen.

An welchem Datum des Monats waren wir? Um das zu erfahren, mein lieber Petrus, begann ich mit etwas klopfendem Herzen und mit fieberhaft zitternder Hand einen Kalender zu suchen, und zwar mit um so größerer Ungeduld, als meine Lampe mir durch ihr Knistern andeutete, daß ihr Oel fast zu Ende und demzufolge ihr Erlöschen nahe sei.

Endlich fand ich. was ich suchte, und meine Augen richteten sich voller Bangigkeit auf den Kalender, – wir hatten den vierten Donnerstag des Septembers.

In dem Maße, als ich in der Reihe der Monatstage hinunterging und mein Finger über eine Woche nach der anderen hinglitt, nahm mein Schauder zu. Plötzlich stieß ich einen Schrei aus, und meine Augen blieben auf den Datum dieses vierten Donnerstags geheftet, – denn es war der 28. September, der Tag der heiligen Gertrudis!

Aber wieviel Uhr war es? Ich hatte meine Uhr auf dem Kamine in dem Zimmer Jenny’s gelassen, und war so sehr in mein Lesen vertieft gewesen, daß ich vergessen hatte, die Stunden zu zählen, welche die Uhr des Dorfes schlug; ich mußte also recht schnell wieder hinaufgehen, um mich von dieser Stunde zu versichern, und um zu wissen, ob sie vorüber sei, oder ob ich sie noch lange zu erwarten hätte.. Wenn Letzteres der Fall war. so beschloß ich sie in Gesellschaft zu erwarten, so herzhaft ich auch sein mochte; demzufolge nahm ich meine Lampe und ging nach der Thür zu.

Auf dem Wege von meinem Schreibtische nach der Thür nahm das Knistern meiner Lampe in dem Grade zu, daß ich etwas Uebernatürliches darin sah, und mich beeilte. In meiner Uebereilung wäre ich beinahe gefallen, indem ich mit großem Lärme mit den Beinen an einen Schemel stieß. Vergebens suchte ich meine Flucht zu beschleunigen, meine Lampe schien sich dem gleichfalls mit jener Hartnäckigkeit zu widersetzen, welche leblose Dinge zuweilen entfalten: ihr Knistern verdoppelte sich, und nach einem nochmaligen hellen Aufflackern, welches ziemlich dem Ende eines Feuerwerkes glich, erlosch sie, indem sie mich in gänzlicher Finsterniß ließ.

Je finsterer die Dunkelheit war, die mich umgab, desto leichter wird man begreifen, daß ich in der Geistesstimmung, worin ich mich befand, Eile hatte, an einen bewohnten und erleuchteten Ort zu gelangen.

Eine Hand auf meiner Stirn, um den Schweiß von ihr abzutrocknen, und die andere vor mir ausgestreckt, suchte ich daher die Thür, und ergriff, als ich sie gefunden und erkannt, den Drücker. Von dort nach dem Zimmer Jenny’s war der Weg leicht, selbst in der größten Dunkelheit, denn ich hatte nur den Corridor entlang zu gehen, an dessen Ende sich die Treppe befand, und außerdem öffnete sich auf dem Vorplätze von Jenny’s Zimmer, wie Sie sich erinnern werden, ein Fenster, welches selbst des Nachts der Treppe ein gewisses Licht gab. Aber es war wahrlich auch nöthig, daß dieser Weg so leicht zurückzulegen, ich gestehe es, mein lieber Petrus, um ohne Hinderniß nach diesem so ersehnten Zimmer zu gelangen.

Uebrigens ging Alles auf das beste. Ich hatte die Thür gefunden; ich war den Corridor entlang gegangen, hatte die Treppe erreicht und erfaßte das Geländer. Plötzlich erschallte in dem Augenblicke, wo ich den Fuß auf die erste Stufe setzte, die Glocke der Kirche, indem sie die vier Schläge that, welche anzeigen, daß die Welt um sechszig Minuten älter geworden ist, und eine neue Stunde beginnt. Hierauf sing es an, langsam, schallend und grausig zu schlagen.

Ich schauderte am ganzen Körper, denn aller Wahrscheinlichkeit nach war es Mitternacht.

Ich ging rasch die Treppe hinauf, indem wider meinen Willen die Stufen unter meinen Füßen krachten; aber beim dritten Schlage der Mitternachtsstunde auf dem Vorplätze angelangt, blieb ich bestürzt stehen.

Es schien mir, als ob ein die Treppe des zweiten Stockes herabkommender Schatten mir entgegenkäme und in dem Maße, als er eine Stufe nach der andern hinabschritt und sich dem Fenster näherte, mehr sichtbar würde.

Es war eine steife, schweigende, und wegen der Farbe ihrer Kleider halb in der Dunkelheit verlorene Frau.

– Die graue Dame!. . . murmelte ich, indem ich mich in die entfernteste Ecke des Vorplatzes zurückzog.

Der Schatten blieb einen Augenblick lang stehen, als ob er gehört hätte, was ich zu mir selbst gesagt, und als ob er die Absicht gehabt hätte zu antworten: Ja, ich! . . .

Hierauf setzte er seinen Weg fort, aber, wie entsetzlich! ohne daß er die Stufen zu berühren schien, ohne der wurmstichigen Treppe irgend ein Geräusch zu entlocken. So ging er bleich, still und stumm, einen Schritt weit vor mir vorüber. – Ich hielt meinen Athem an, zog meine Hände zurück, war wenigstens eben so bleich, ebenso still, ebenso stumm, als die graue Dame, und nur das Klopfen meines Herzens zeugte noch von meinem Leben.

In dem Augenblicke, wo der Schatten an mir vorüber kam, schien es mir, sei es nun, daß die Furcht mir die Brust zusammenschnürte, – was, ich gestehe es, mein lieber Petrus, nicht unmöglich war, – oder daß wirklich eine Veränderung in der Atmosphäre entstand, als ob ich nur noch eine Art von Dunst einathmete, wie er lange verschlossenen Begräbnissen entströmt, wenn man sie öffnet.

Ich war nahe daran ohnmächtig zu werden und fühlte, wie ich an der Wand hinabglitt. Ich mußte mich fast an dem Fenstergesims festhalten. Aber dieser Zustand von Schwäche dauerte nur so lange, bis die graue Dame an mir vorübergegangen war. Sei es nun, daß mein gewöhnlicher Muth zurückkehrte, oder daß ich durch eine Neugierde angetrieben wurde, die noch größer als meine Furcht war, oder daß endlich eine unwiderstehliche Macht mich diesem Gespenst« nachzog, ich ging gleichfalls die Treppe hinab, sobald dasselbe einige Stufen hinabgeschritten war. Dabei erschreckte mich jedoch die Wahrnehmung, daß meine Schritte in ihrem Gefolge so geräuschlos wie die ihrigen geworden waren.

Der letzte Schlag der Mitternachtsstunde erschallte, als die graue Dame unten an der Treppe war und den Weg nach dem Garten einschlug.

Sie hatte nicht nöthig, irgend eine Bewegung zu machen, um sich den Weg zu bahnen, denn die Thüren öffneten sich von selbst vor ihr und nichts beschleunigte oder mäßigte ihren Schritt. Für sie schienen die krumme Treppe, die sie hinabgestiegen war, oder der glatte Rasen des Gartens, ein ebener Pfad zu sein, auf welchem sie, wie gesagt, weit eher zu gleiten, als zu gehen schien.

Obgleich der Mond durch Wolken verschleiert war, sah ich dennoch, in dem Garten angelangt, das phantastische Wesen, mit dem ich zu thun hatte, weit deutlicher. Es war wirklich das schreckliche Gespenst, das mir die Nachbarin und der Bergmann, denen es erschienen, geschildert hatten.

Die graue Dame schlug den Weg nach der Akazie ein, ohne im Geringsten von der geraden Linie abzuweichen, und ich folgte ihr unwillkürlich bis zu dem Augenblicke, wo ich fühlte, daß ich nicht weiter zu gehen vermochte. Ich befand mich ungefähr fünfzehn Schritte weit von der Akazie und blieb stehen, als ob sich ein Abgrund von mir geöffnet hätte.

Die graue Dame setzte sich nun auf die Bank von Granit, indem sie ihre beiden Arme an ihre Seite herabsinken ließ, und regungslos wie eine Träumende dasaß. In diesem Augenblicke zerrissen die Wolken, der Mondschein fiel von dem Himmel auf die Erde, und erleuchtete durch die Zweige der Akazie das Gesicht des Gespenstes.

Es war das einer Frau von fünf und dreißig bis vierzig Jahren, und trug die Spuren einer vergangenen Schönheit, soviel ein tiefer Schmerz davon zurückzulassen vermag. Aber während ich mit Hilfe des Mondscheines dies Gesicht mit der größten Aufmerksamkeit betrachtete, sah ich es allmählig verschwinden; die Züge verschmolzen sich, selbst der Körper verlor seine Umrisse; die graue Dame stand auf, vergrößerte sich, schien die Erde zu verlassen, schaukelte sich einen Augenblick lang wie ein Dunst und verschwand!. . .

 

Alle Bedingungen der verhängnißvollen Sage waren also erfüllt. Die Frau des Pastors von Waston war mit Zwillingen niedergekommen; die graue Dame war nach der Ueberlieferung in der Nacht von dem 28. auf den 29. September erschienen, indem sie durch diese Erscheinung die Geburt von Zwillingen und ihr schreckliches Recht auf dieselben bestätigte. Wenn dann die erforderlichen Tage verflossen, und die Zeit in Erfüllung gegangen war, brauchte sie nur noch zum zweiten Mal zu erscheinen, um den Brudermord zu melden. . . .

Bei diesem entsetzlichen Gedanken fand ich meinen Muth wieder. Mit einer gewaltsamen Anstrengung entriß ich meine Füße dem Boden, in welchem sie seit einigen Minuten eingewurzelt zu sein schienen, und indem ich so zu sagen den Zauber brach, der mich den Schritten der grauen Dame nachgezogen hatte, kehrte ich im vollen Laufe nach dem Hause zurück.

Dieses Mal begegnete ich Niemandem, weder in dem Corridor noch auf der Treppe, und bleich, bestürzt und athemlos machte ich heftig die Thür des Zimmers auf.

Jenny hatte sich nicht zu Bett gelegt; sie erwartete mich, indem sie verschiedene Gegenstände nähte, die noch an ihrem doppelten Kinderzeuge fehlten.

– Die Kinder! die Kinder! rief ich aus, wo sind die Kinder?

Jenny zeigte mir mit ihrem heiteren Gesicht, ihrer unerschütterlichen Ruhe, alle beide in derselben Wiege schlafend. Ihre Arme waren verschlungen, ihre Gesichter berührten sich, der eine sog den Athem des andern ein.

– O! rief ich aus, wer vermöchte zu glauben, daß der eine dieser kleinen Engel sich eines Tages Kain nennen wird!. . . und ich sank vernichtet auf einen Sessel in die Arme der erschreckten Jenny.

Epilog

zum
Pastor von Ashbourn
Geschichte zweier Geschichten

I.
Holland-House

Ich hatte in Paris einen Nachkommen der Stuarts. Lady Holland, gekannt, bei der mich mein lieber Graf von Orsay eingeführt, derselbe, dem meine Memoiren gewidmet sind, und der, noch so jung! immer so schön und so elegant! vor Kurzem gestorben ist.

Ich war von Lord Holland in Florenz und von Lady Holland in Paris eingeladen worden, wenn ich nach England kommen würde, einen Besuch in Holland-House abzustatten.

Ich begab mich im Jahre 1850 nach England, und hatte nichts Eiligeres zu thun, als der artigen Einladung, die an mich gerichtet worden war, Folge zu leisten.

Holland-House liegt in der Vorstadt von Kensington. an dem äußersten Ende des Hyde-Park. Es ist ein von dem Grafen von Oxfort gegen das Ende des sechszehnten Jahrhunderts unter der Regierung Jakob’s I., dieses furchtsamen Sohnes der Maria Stuart, den der Anblick des entblößten Degens erbleichen ließ, erbautes Schloß. Freilich sah seine mit ihm schwangere Mutter so viele entblößte Degen den armen Rizzio treffen, daß man sich nicht darüber verwundern darf, wenn der Sohn ihres Leibes bei einem solchen Anblicke schauderte.

Es giebt nichts Wundervolleres, nichts was einen so deutlichen Begriff von Reichthum oder Macht giebt, als diese großen englischen Residenzen!

Wenn man Holland-House gegenüber ankommt, so erblickt man das, wie Saint Germain, aus Backsteinen erbaute Schloß, aber in eben so leichtem Styl, als der von Saint Germain schwerfällig ist, und sieht es einen unermeßlichen Rasen überragen, auf welchem Thiere wie auf einer Wiese weiden.

Aber man lasse sich durch unsere kleinen Parke, unsere kleinen Gebüsche, unsere kleinen Rasen nicht verleiten, die Sache mit umgewendetem Fernrohre zu betrachten, welches die Gegenstände verkleinert; nein, nein, man halte das Fernrohr in der richtigen Weise ans Auge, oder betrachte vielmehr mit seinen eigenen Augen und stelle sie sich recht groß vor.

Der Rasen ist eine halbe Meile lang; er ist mit einem Gürtel hundertjähriger Bäume umgeben, die eine breite Allee bilden, in welcher drei Wagen neben einander sich den Preis eines Wettrennens streitig machen könnten, und wenn ich sage, daß Vieh auf dem Rasen weidet, so verstehe ich darunter nicht zwei oder drei weiß gekämmte muntere Hämmel mit Rosa-Schleifen, um die Kinder zu belustigen, und eine unglückliche, an ihren Pfahl gebundene Ziege, welche in dem ganzen Bereiche ihres Strickes das Gras abweidet: nein, ich verstehe darunter eine Heerde von hundert Stück Hornvieh, Kühen, Ochsen, Stieren, welche liegen, wiederkäuen, brüllen und mit vorgestrecktem Halse, starren Augen und dampfendem Maule die Reisenden vorüberkommen sehen.

Cromwell, dessen kleines Landhaus an das unermeßliche Schloß grenzte, führte daher auch seinen Schwiegersohn Ireton mitten auf diese große Ebene, um ihm seine königsmörderischen Pläne zu erklären. Warum mitten auf diese große Ebene? Weil Ireton das Unglück hatte, taub zu sein, und Cromwell in dieser mit Wald bewachsenen Gegend nur von dieser großen Ebene glaubte, daß sie ihm alle Sicherheit verleihen könnte, von Niemand gehört zu werden.

Mein Wagen setzte mich an dem Eingänge der Terrasse ab.

Ich hatte nur eine Furcht: nämlich, daß Lord und Lady Holland, die ich, den einen seit zehn Jahren, die andere seit sechs oder acht Monaten nicht gesehen hatte, in Paris, Florenz oder Neapel sein möchten.

Der Zufall wollte nicht alle meine Hoffnungen an demselben Tage täuschen: meine hohen Wirthe waren in dem Park.

Aber da dieser zwei oder drei Meilen im Umkreise hat, da er Waldungen, Berge, Ebenen, Obstgärten, Wiesen und Seen enthält, so übernahm es ein Diener, mich an die Stelle zu führen, die man die Blumenwiese nannte. Das war der Lieblingsort der Lady Holland.

Auf einer Höhe angelangt, zeigte mir mein Führer in der That seine edle Gebieterin, in ein weites Morgenkleid von Batist gehüllt, mit einem himmelblauen Hute auf dem Kopfe und einem Buche in der Hand, welche langsamen Schrittes um eine wahre Blumenebene herumging.

Dort wuchsen auf einem Raume von ungefähr einer» viertel Meile Rittersporn, Geranium, Tabacksstauden und Eisenkraut wie Klee, Esparsette und Lucerne auf einem Felde. Nichts war für das Auge blendender, als dieser unermeßliche, weiß, blau und rosa gestickte Teppich.

Nachdem der Diener mir Lady Holland mit der Hand gezeigt, entfernte er sich.

Ich schritt auf sie zu.

Die Aufmerksamkeit, welche sie ihrem Lesen widmete, veranlaßte, daß sie mich weder sah noch kommen hörte; doch blieb ich an dem Rande des Weges stehen, auf dem sie ging, und der Schatten, den ich in dem Augenblicke ihres Vorüberkommens auf sie warf, veranlaßte sie, sich umzusehen.

Sie war so weit davon entfernt, meinen Besuch zu erwarten, daß sie mich anfangs nicht erkannte; ihre Augen richteten sich indessen abwechselnd von mir aus ihr Buch und von ihrem Buche auf mich; hierauf sagte sie mit ihrem liebenswürdigen Lächeln:

– Sehen Sie, was ich las.

Und sie reichte mir einen Band von Bragelonne, wohlverstanden, die belgische Ausgabe.

– Ich suchte Jemand, um mich bei Ihnen einzuführen, Madame, und ich war weit davon entfernt, zu ahnen, daß die Sache bereits geschehen sei.

– O! sagte sie zu mir, ich bin an einer sehr merkwürdigen Stelle: es ist die, wo Ludwig XIV. in der Bastille und sein Bruder in Fontaineblau ist. Es scheint mir, daß Sie einen Augenblick lang die Versuchung gehabt haben, den wahren Ludwig XIV. im Gefängnisse, und seinen Bruder regieren zu lassen.

– In Ihrer Eigenschaft als Frau wissen Sie, was es ist, zu versuchen oder versucht zu werden, Madame. . . Ja, ich gestehe es, das Paradoxe hat mich einen Augenblick gereizt; Mery oder Theophile Gautier hätten dem nicht widerstanden: ich bin stark gegen mich selbst gewesen, und habe mir die belustigende Genugthuung versagt, fünf und fünfzig Jahre der Geschichte Frankreichs zu ändern.

– Und warum haben Sie es nicht gethan?

– Weil man in unseren Tagen so wenig glaubt. Madame, daß ich gefürchtet habe, unseren Glauben noch mehr zu verringern, wenn ich die Geschichte wieder in Frage stellte.

– Ah! aber ich habe Ihnen Ihr Buch gereicht und nicht meine Hand. . . Es ist außerordentlich artig von Ihnen, sich Ihres Versprechens erinnert zu haben! Geben Sie mir den Arm, damit ich Sie zu Lord Holland führe.

Ich gab dieser liebenswürdigen Frau den Arm. welche wie die Engländerinnen von Nebel und Thau geschaffen und durch einen nur bleichen Sonnenstrahl beseelt schien, und ohne sie auf mich oder an mich sich stützen zu fühlen, ging ich, von ihr geführt, nach einem Treibhause, in welchem Lord Holland einem Secretair seine diplomatischen Erinnerungen dictirte, ein reizendes Buch, in welchem sich wie die drei kostbaren Metalle in dem Erz von Corinth die Kenntnisse des Staatsmannes, die Höflichkeit des Edelmannes und der Witz des Weltmannes verschmelzen.

Noch ganz jung, litt Lord Holland dermaßen an der Gicht, daß er genöthigt war, zu dictiren, da er nicht schreiben konnte.

Bei dem Geräusche, das wir beim Eintritte machten, unterbrach sich der Secretair; Lady Holland verließ meinen Arm, und indem sie ihre Hand auf die Schulter ihres Gatten legte, sagte sie:

– Mylord, da ist Herr Dumas, der in Holland-House einen Roman in zwölf Bänden und ein Drama in fünfzehn Gemälden zu machen kommt. Ich habe Befehl gegeben, ihm die Wohnung der Dichter zurecht zu machen.

Nur die, welche England bereist und die Aristokratie im vertraulichen Kreise gesehen haben, können sich einen Begriff von der Art und Weise machen, mit der diese Gastfreundschaft auf den Schlössern ausgeübt wird. Wie Lucullus in seinem Landhause bei Neapel die Speisesäle der Diana, des Apollo und Castors hatte, so hat Holland-House seine Gemächer der Könige, der Gesandten und der Dichter.

– Ein Drama in fünfzehn Gemälden und ein Roman in zwölf Bänden! dann ist es kaum ein Monat, den Sie uns schenken? sagte Lord Holland lachend.

– Ach! Milord, antwortete ich. ich bin nicht so glücklich, mir diese Freude erlauben zu können. Ich habe Proben abzuhalten, die meine Anwesenheit in Paris nothwendig machen, und statt dreißig guter, langer Tage, von denen Sie sprechen, sind es nur dreißig sehr abgekürzte Stunden, die ich Ihnen anbieten kann.

– Mylord, Herr Dumas kennt Holland-House noch nicht, da er erst so eben ankommt; wenn wir ihm die Ehren desselben erzeigt haben, wird er dem Gute vielleicht bewilligen, was er dem Gutsherrn abschlägt. . . Addison war auch für drei Tage nach Holland-House gekommen, und er ist fünf Jahre hier geblieben . . . Wollen Sie der Cicerone des Herrn Dumas sein, oder übertragen Sie mir dieses Amt?

– Sie wissen, mit welcher Mühe ich gehe, sagte Lord Holland; ich würde die dreißig Stunden, welche Herr Dumas uns schenkt, nöthig haben, um ihn sehen zu lassen, was Sie ihm in einer Stunde zeigen werden … Machen Sie daher die große Runde und ich kehre auf dem kürzesten Wege in das Schloß zurück. Eine Viertelstunde vor dem Frühstücke wird die Glocke Sie benachrichtigen, mein lieber Gast.

. – Gefällt Ihnen das so? fragte mich Lady Holland.

Ich antwortete ihr dadurch, daß ich ihr den Arm bot, und wir schlugen unsern Weg wieder durch die Blumen ein.

Auf der Höhe eines Hügels erhob sich eine Gruppe prachtvoller Ledern.

– O! Mylady, rief ich aus, ich glaubte nicht, daß Holland-House dem Libanon so nahe wäre!

– Sie wollen von diesen Cedern sprechen, nicht wahr? sagte sie.

– Ja, sie sind prachtvoll!

– Prachtvoll, das ist der richtige Ausdruck, und um sie nach Verdienst schätzen zu lassen, fehlt uns nur die Sonne. Sie haben außerdem mit ihren Brüdern von Palästina, mit denen Sie sie so eben verglichen, eine Aehnlichkeit, die ihren Werth erhöht: sie haben beinahe Napoleon gesehen.

– Wie so? im Jahre 1815?

– Nicht doch. . . im Jahre 1805.

– Ah! zur Zeit des Lagers von Boulogne?

– Ja. . . Besorgt über die Vorbereitungen des neuen Kaisers, hatte die Regierung beschlossen, aus diesem Hügel den letzten Wall von London zu machen, und eine Batterie von fünf und zwanzig Kanonen sollte unter dem Schatten dieser Cedern errichtet werden.

– O! aber in der That, Holland-House ist ganz mit kaiserlichen Erinnerungen erfüllt. . . Lord und Lady Holland sind die Vertheidiger Nopoleon’s im Parlamente und in den Salons von London gewesen, und während der Gefangene von Sanct Helena in dem Memorial von Las Cafes seinen Peiniger von Longwood verwünscht, segnet er mehr als einmal seinen Schutzengel von Holland-House.

– Ja, sehen Sie, hier ist eine Büste des Kaisers von Erz, welche als Zeichen der Protestation gerade an dem Tage hier aufgestellt worden ist, an welchem die englische Regierung beschlossen hat, daß der Gast des Bellerophon an den Felsen von Sanct Helena gefesselt werden sollte.

 

– Von wem ist die an dem Gestelle eingegrabene Inschrift?

– Von Homer.

– Ah! Ah! dem Dichter des Achilles!

– Nein, dem Dichter des Ulysses.

– In der That, die Verse waren nicht der Iliade. sondern der Odyssee entliehen. Ihre Uebersetzung lautet:

»Der Held ist nicht gestorben, sondern er athmet gefangen jenseits der Meere auf einer von den Wellen gepeitschten Insel, wo Menschen ohne Erbarmen ihn trotz seiner Betheurungen bewachen.«

Einige Schritte weiter hin erhob sich Karl Fox’ Statue, der ein eben so großer Freund Frankreichs, als sein Nebenbuhler Pitt der Todfeind desselben war.

Soweit waren wir mit unserem Besuche, als die Glocke zum Frühstück läutete; wir hatten nach der Aussage des Herrn vom Hause selbst noch eine Viertelstunde vor uns: wir verwandten sie dazu, um in dem sogenannten französischen Garten die Nachkommen der ersten Dahlias zu sehen, welche im Jahre 1804 für Lady Holland aus Amerika gebracht waren.

Es versteht sich, daß diese gute Lady Holland, die Freundin Napoleons, die großmüthige Frau, welche ihm nach Sanet Helena Bücher, Broschüren und sogar Wein sandte, der Napoleon durch sein Testament eine Camee vermacht hat und für welche man im Jahre 1804 aus Amerika diese Dahlia zurückgebracht hatte, deren reiche Nachkommenschaft wir bewunderten, nichts als die Güte und die Erhabenheit des Herzens mit der anmuthigen Lady Holland gemein hatte, die ich am Arm führte, und deren Großmutter sie hätte sein können.

Nach den Dahlias kam, was man in Holland-House die Grotte Rogers’ nennt; denn das Wunderbare dieses königlichen Schlosses ist, daß es sich in gewisser Art einen materiellen Ruhm mit allen seinen vergangenen und der Zeit angehörenden Verherrlichungen erworben hat. Rogers, der Dichter und der Banquier Rogers, der Verfasser von Jaequeline, der Thräne Chloé’s, der Freuden des Gedächtnisses und des menschlichen Lebens, ist der Hausgenosse von Holland-House gewesen; mehrere Bruchstücke des Gedichtes der Freuden des Gedächtnisses, dem besten der Werke Samuel Rogers’, sind in dieser Grotte gedichtet worden, und sie heißt nicht mehr die Grotte von Holland-House, sie heißt die Grotte Samuel Rogers’.

Als das Frühstück beendigt, setzten wir in dem Innern des Schlosses den außerhalb angefangenen Besuch fort; aber vor Allem ließ man mich in die Wohnung der Dichter führen. Das war meine Wohnung für die ganze Zeit, die es mir gefallen würde auf dem Schlosse zu bleiben.

Bevor sie die Wohnung der Dichter hieß, nannte man sie die Werkstatt der Maler. Van Dyck, der abenteuerliche Schüler Rubens’, Van Dyck, der Goldsucher, hatte sie im Jahre 1638 bewohnt, und darin drei oder vier jener wundervollen Portraits gemalt, die ihn zum Nebenbuhler Titians gemacht haben.

Dann kam Chardin, unser berühmter Reisender, der, jung nach Persien gesandt, um dort Handel mit Diamanten zu treiben, seinen verlängerten Aufenthalt in diesem Lande der Mährchen benutzte, um es zu studiren und es uns kennen zu lehren. Bei seiner Rückkehr nach Frankreich waren die Verfolgungen gegen die Protestanten in der Mode, und man marterte sie in den Cevennen: Chardin wanderte freiwillig aus, ging nach England und wurde dort aus das beste von Karl II. empfangen, der ihn zu seinem bevollmächtigten Gesandten bei den Staaten von Holland ernannte; aber in der Zwischenzeit war er in Holland-House mit der gewohnten Gastfreundschaft aufgenommen worden; seine Tochter war darin geboren und er hatte daselbst einen guten Theil seiner Reise in Persien geschrieben.

Dann Addison, der ehemalige Staatssecretair, der Verfasser Cato’s von Utica und des Zuschauers, dieser Großmutter der Revuen, welche das Recht der Presse auf den Gemeingeist gründete. Nach dem Tode der Königin Anna so ziemlich in Ungnade gefallen, gänzlich unglücklich nach seiner Verheirathung, fand er in Holland-House eine Zuflucht, wo er starb, indem er seine Vertheidigung der christlichen Religion unbeendigt hinterließ.

Dann Sheridan, der Sohn des Schauspielers, dramatischer Dichter, Staatsmann, Stoiker wie Zeno, leidenschaftlich wie Mirabeau, der als Antwort auf folgende Aeußerung eines englischen Ministers, welcher auf Veranlassung des Blutbades von Quiberon sagte: »Möge England sich beruhigen, das englische Blut ist aus keiner Wunde geflossen!« erwiederte: »Möge England Trauer anlegen, die englische Ehre ist aus allen Poren geflossen!« Sheridan, der Director von Drury-Lane, durch die Feuersbrunst seines Theaters zu Grunde gerichtet, das er ruhig brennen sah, indem er ein kleines Brödchen aß, so daß die, welche versuchten, den Vulkan zu löschen, – ein unmögliches Werk, – ihn im Vorüberkommen schimpften, ihn einen Faullenzer, einen Egoisten nannten, während er die Achseln zuckend antwortete: »Laßt doch einen armen Mann ruhig sein Brod bei seinem Feuer essen!« Sheridan, der Spieler, der Wüstling, der Mann von Genie, der Verfasser der Nebenbuhler, der Duègna, der Schule des Scandales, dessen Leben ein wahrer Kampf gegen das Elend war, den die Gerichtsboten bis auf sein Todtenbett verfolgten; dessen sich die Gerichtsdiener noch in seinem Sarge bemächtigten, und dessen Leiche Lord Holland, damit sie in Westminster, das heißt in dem königlichen Begräbnisse begraben werden konnte, gegen eine Summe von sechshundert Pfund Sterling aus den Händen der Gerichtsboten loskaufte.

Dann kamen Rogers und Lutrell, welche ihre Namen in die Bäume und Felsen von Holland-House eingruben.

Dann endlich Byron, der glorreich diese Reihe von Dichtern und von Verbannten schloß. Byron, der freiwillig Geächtete, bereit, seine zweite Reise anzutreten, verweilte dort schmerzlich, um einen langen und letzten Blick voller Thränen auf England zu werfen, das ihn verleumdete, auf seine Frau, die allmälig Haß gegen ihn faßte, auf seine Tochter, die ihn nicht kannte, auf sich selbst, den das Unglück den Thränen und dem Genie weihte.

Was sagt man zu dieser Reihe von Gästen, Künstlern, Reisenden, Gesetzgebern und Dichtern: Van Dyck, Chardin, Addison, Sheridan, Samuel Rogers, Lutrell und Byron? Man warte! es folgen noch die, welche nur Staatsmänner, Minister, Prinzen oder Könige sind.

Sully, der Gesandte Heinrichs IV., der im Namen seines Herrn kam, Elisabeth, die protestantische Königin, um Unterstützung an Mannschaft und Geld zu bitten. Sully, den Voltaire aus der Henriade verbannte, um ihn, wo nicht in Person, doch wenigstens durch Ignoriren an seinem Namen dafür zu bestrafen, daß einer seiner Nachkommen ihm, Voltaire, vor seinem Hause und ohne ihm beizustehen, Stockschläge von dem Herrn Chevalier von Rohan hatte geben lassen; Sully, für dessen Empfang man ausdrücklich eine Galerie einrichtete, die noch heute so ist, wie sie zu jener Zeit war, und die uns eine prachtvolle Probe von der Ausschmückung der Tapeten und der Möbeln jener Zeit gilbt.

Dann William Penn, der moderne Lyeurgus: Penn, der Sohn jenes berühmten Admirals, der den Stuarts so große Dienste erzeigte; Penn, der Quäker, der sich in Irland zwei Male in das Gefängniß werfen, und aus dem väterlichen Hause wegen seiner Hartnäckigkeit in dem, was man seine Ketzerei nannte, fortjagen ließ, und der während dieser doppelten Verfolgung eine Zuflucht in Holland-House suchte, wo er sich versteckt hielt, als er plötzlich eine Million und eine Schuldforderung an die englische Regierung von viermalhunderttausend Franken erbte. Daher kam es, daß er, zuerst von ihr verfolgt, sie recht gern wieder verfolgte, bis die Regierung ihm gegen diese Schuldforderung das Eigenthum des ganzen im Westen des Flusses Delawara unter englischer Hoheit gelegenen Gebietes abtrat, welches drei Millionen Morgen Land betrug. Daher rührt der Ursprung von Pennsylvanien und die Gründung von Philadelphia; daher rührt die Verfassungsurkunde, welche der der Vereinigten Staaten zum Muster gedient hat.