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Der Pastor von Ashbourn

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Ich antwortete ihm, daß ich mich in dieser Beziehung auf sein Wohlwollen verließe, ein Wohlwollen, von dem er mir einen so großen Beweis gegeben hätte.

Der Rector brummte einige Worte, die weder eine Versicherung, noch eine Drohung waren; dann, als ich bemerkte, daß nach seinem Wunsche mein Besuch lange genug gedauert hätte, nahm ich Abschied von ihm und entfernte mich.

Sobald ich einmal ernannt war, hatte ich Eile, wieder zu meiner guten Adoptivmutter zu gehen und Besitz von diesem schönen Pfarrhause zu nehmen, das so gut mit allen Dingen versehen war, daß mir, da ich nichts auf der Welt zu kaufen hatte, diese Herabsetzung von zehn Pfund Sterling jährlich, angenommen, daß sie stattfände, kaum fühlbar sein würde. Demzufolge benachrichtigte ich, bevor ich zu meinem Wirthe, dem Kupferschmied, zurückkehrte, den Miethkutscher, daß er mir die Carriole mit ihrem Kutscher zu senden und es so einzurichten hätte, daß ich noch an demselben Tage um Mittag oder spätestens um ein Uhr abreisen könnte.

Um halb ein Uhr war die Carriole vor meiner Thür.

Mein Wirth, der Kupferschmied, schien zugleich traurig und vergnügt über meine Abreise: traurig, daß ich ihn verließe, vergnügt darüber, daß ich ihn für diese gute Pfarre verließe, von der ich ihm, wie von dem nec plus ultra meiner Wünsche gesprochen hatte. In dem Augenblicke, wo wir uns zu verlassen im Begriffe standen, bat er mich daher auch mit ganz gerührtem Herzen, zum Andenken von ihm drei oder vier Kasserole und einen oder zwei Kessel anzunehmen, die bestimmt wären, den Anfang meines Küchengeschirres zu bilden; aber da ich bei meine! Wittwe eine Menge von weit schöneren und weit größeren Kasserolen und Kesseln als die gesehen hatte, die mir mein Wirth anbot, so schlug ich es aus, indem ich ihm vielleicht ein wenig zu offenherzig die Ursache meiner Weigerung sagte; so daß er empfindlich wurde, seine Kasserole und seine Kessel wieder nahm, sie an ihren Nagel hing, und mit einer Kälte von mir Abschied nahm, die mich bekümmerte, aber die zu bekämpfen ich unter meiner Würde hielt.

Mein Auszug bedurfte keiner langen Vorbereitungen, alle meine Kleidungsstücke bestanden aus einem Ueberrocke, einem Fracke, zwei Paar kurzen Beinkleidern, zwei Westen, vier Paar Strümpfen, fünf oder sechs Hemden, zwei Paar Schuhen und einem Hute.

Als einziges Möbel hatte ich nur das Fernrohr meines Großvaters, des Bootsmannes.

Ich legte mein Bündel in den Wagen, stellte mein Fernrohr zwischen meine Beine, und indem ich selbst durch ein Schnalzen der Zunge das Signal zum Aufbruche gab, entfernte ich mich, ohne meinen Wirth, den Kupferschmied, zu umarmen, welche Lust ich im Grunde des Herzens auch dazu hatte.

Als ich, indem ich mich entfernte, hinter mich durch ein kleines in der Carrio^e angebrachtes Fenster blickte, schien es mir, den würdigen Mann in seinen Laden zurückkehren zu sehen, indem er den Kopf schüttelte und eine Thräne abtrocknete.

Ich hatte den Gedanken, wieder umzukehren, um mich mit ihm zu versöhnen; aber ich fürchtete mich zu irren, und demzufolge einer lächerlichen Regung nachzugeben.

Meine bereits, um die Schulter des neben mir sitzenden Kutschers zu berühren, ausgestreckte Hand sank daher wieder auf mein Knie zurück, während ich leise murmelte:

– Ah! meinetwegen! warum ist er so empfindlich!

Mein lieber Petrus, ich habe mir seitdem mehr als ein Mal gesagt, daß diese Empfindlichkeit sehr natürlich war. Was dieser wackere Mann mir anbot, bot er mir von Herzen an, und so gering ein Geschenk auch sein möge, so giebt es doch eine gewisse Art es anzubieten, welche macht, daß es immer angenommen werden muß.

Vielleicht würde ich mich mit diesem Umstande ohne das Ereigniß noch mehr beschäftigt haben, das mich auf andere Gedanken brachte, und das wichtig genug war, um plötzlich selbst die Erkaltung meines Wirthes, des Kupferschmieds, zu vergessen.

Ich hatte keine Veränderung auf der Straße gefunden; sie war immer noch heiter und lebendig; aber bei meiner Ankunft an den ersten Häusern des Dorfes schien es mir, als ob ein Trauerschleier über die Gesichter verbreitet wäre, die sich mir zeigten. Statt meiner Carriole entgegenzueilen und mich willkommen zu heißen, senkten die Landleute den Kopf und wandten die Augen ab. Bei diesem Anblicke fühlte ich etwas so Schmerzliches mir das Herz beklemmen, daß ich nicht den Muth hatte zu fragen; ich setzte, oder ließ vielmehr das Pferd den Weg fortsetzen, ohne seinen Schritt weder zu beschleunigen, noch zu mäßigen, und ich kam auf diese Weise vor der Thür des Pfarrhauses an.

Meine Augen senkten sich sogleich in den Hof, und ich sah diesen Hof voll schwarz gekleideter, alle dem Dorfe fremder, alle mir unbekannter Leute: es gab deren vor der Thür, es gab deren an den offenen Fenstern, und alle sprachen unter einander voller Eifer und schienen sehr geschäftig.

Ich fing an, ein gräßliches Unglück zu vermuthen.

Ich sprang aus der Carriole; ich drang in das Haus; ich schritt durch den Speisesaal, ich trat in das Schlafzimmer, das einzige, welches leer war, und dort sah ich auf dem Boden, auf den Steinplatten, mitten in diesem gänzlich ausgeräumten Zimmer, einen Sarg von Tannenholz, dessen nicht recht schließender Deckel andeutete, daß er noch nicht zugenagelt wäre.

Ein Schauder rollte mir durch die Adern; ich hatte Alles errathen.

Ich verschloß die Thür hinter mir; ich blieb an dieser Thür stehen, indem ich meine Hand auf mein klopfendes Herz legte, um wieder ein wenig Kräfte zu sammeln; dann, meiner weit sicherer, ging ich gerade auf den Sarg zu, dessen Deckel ich aufhob.

Meine gute Adoptivmutter lag darin in einem ganz zerrissenen Leintuche; ihr zurückgeworfener Kopf ruhte hart auf einer Querleiste von Holz.

Diese Männer und diese Frauen, welche das Haus erfüllten, waren jene Erben im zehnten Grade, von welchen sie mir als von Leuten gesprochen hatte, denen sie keine Rechenschaft von ihrem Vermögen schuldig sei.

Ich fing damit an, ein frommes Gebet neben diesem entseelten Körper zu verrichten; dann entrüstet und betrübt, daß diese würdige Frau, deren Schränke von so schöner Wäsche strotzten, in ein so armseliges Grabtuch gebettet war und ihren Kopf auf einer so harten Querleiste ausruhte, verließ ich das Zimmer, und kaufte von dem Einen dieser Erben ein Leintuch, von dem Andern ein Kopfkissen; ich kehrte zu ihr zurück und hüllte diese arme Leiche in dieses neue Betttuch, indem ich die Querleiste wegnahm, und an ihrer Stelle unter ihren Kopf, der so ruhig war, daß sie eingeschlafen schien, dieses Kopfkissen schob, auf welchem sie während der Ewigkeit ausruhen sollte.

Ich warf mich auf die Knie und betete, bis daß die Tischler, die zum Trinken gegangen waren, zurückkehrten, um den Sarg zu vernageln.

Als ich sie mit ihren Hämmern in der Hand und ihren Nägeln in ihrer Schürze eintreten sah, begriff ich, daß die Stunde gekommen wäre, dieser armen Leiche ein letztes Lebewohl zu sagen; ich kreuzte ihre Hände auf ihre Brust; ich ging in den Garten, um einen Zweig von jeder der drei Weiden zu pflücken, welche an den Geburtstag ihrer Töchter erinnerten; ich legte die drei Zweige unter ihre Hände und auf ihre Brust, und küßte sie ehrerbietig auf ihre Stirn, indem ich zu ihr sagte:

– Geh, würdige Mutter! geh, fromme Gattin! Dich in dem Himmel wieder mit allen denen zu vereinigen, die Du geliebt hast! . . . Der Mensch ist nur ein Fremdling auf Erden!

Einige Augenblicke nachher hatten sechs Nägel und vier Bretter von Tannenholz zwischen sie und mich den Abgrund der Ewigkeit gelegt.

XII.
Huf welche Weise sich das leere Hans möblirte

Wie war jetzt diese würdige Frau gestorben? Das ist es, wonach mich zu erkundigen ich vorher nicht gedacht hatte: ich hatte ihre Leiche vor Augen, ich konnte nicht an diesem Unglücke zweifeln, ich hatte nicht nöthig, mehr darüber zu wissen.

Aber als man mich von ihr zu trennen kam, – als ich sie verließ, um sie nicht mehr wiederzusehen, erkundigte ich mich.

Am Tage vorher, bei der Rückkehr von dem Kirchhofe, wo sie ihr tägliches Gebet auf dem Grabe ihrer Töchter verrichtet, hatte sie auf der Schwelle ihrer Thür einen Anfall von Schlagfluß gehabt, der sie auf der Stelle getöhtet. Das Gerücht von diesem Tode hatte sich verbreitet, und sogleich waren die Verwandten herbeigeeilt, und, während die Leiche noch da war, vor ihrem aufgedeckten Gesichte, hatten sie sich in diese schöne Wäsche, dieses schöne kupferne Küchengeschirr und dieses schöne Silberzeug getheilt, das mein Eigenthum werden sollte.

Die Karren waren schon vor der Thür, bereit, das Erbe zu den verschiedenen Erben zu bringen.

Uebrigens, mein lieber Petrus, glauben Sie das, was ich Ihnen sagen werde; ich habe mich bis jetzt offenherzig genug vor Ihren Augen geschildert, so daß Sie hoffentlich nicht an meinem Worte zweifeln. Wenn ich in den verächtlichen Theilen des Herzens einiges Bedauern über alle diese schönen Sachen empfand, die mir entgingen, so wurde es schnell unter dem edlen und wirklichen Schmerze erstickt, den mir dieser Tod einflößte.

Das Begräbnis, sollte um fünf Uhr Abends stattfinden. Da man meine Ankunft nicht wußte, so hatte man den Pastor von Wirksworth für das Leichenbegängniß entbieten lassen: alle Erben hatten Eile, Ashbourn zu verlassen; jeder wollte noch am selben Abende mit der Todesbeute nach Haus zurückgekehrt sein.

Dieser Pastor war ein Mann von sechszig bis fünfundsechzig Jahren, mit sanftem und freundlichem Gesicht; er begrüßte mich als seinen Amtsbruder, indem er mir sagte, daß er von den Leuten des Dorfes so viel Gutes über mein Talent und über meine Person hätte sagen hören, daß er deshalb ein großes Verlangen getragen mich zu sehen.

Er lud mich demzufolge ein, ihn in seinem kleinen Hause in Wirksworth zu besuchen, das er seit seiner Geburt bewohnte.

Er war verheirathet und hatte eine ’Frau und eine Tochter.

 

Ich war durch diese Complimente und diese Einladung weniger geschmeichelt, als ich es unter einem andern Umstande gewesen wäre; alle meine Geisteskräfte waren durch den unermeßlichen Schmerz in Anspruch genommen, den ich über den Verlust dieser würdigen Madame Snart empfand.

Ich drückte daher einfach und allein Herrn Smith die Hand, indem ich einige Worte des Dankes stammelte; hierauf wandte ich mich wieder um, um zu weinen: die Thränen erstickten mich.

Ich hörte ihn murmeln:

– Guter junger Mann! . . . man hatte mich nicht getäuscht.

Es schlug fünf Uhr; die Träger nahmen die Leiche; Herr Smith und ich gingen ihr voraus, die Erben und die Leute des Dorfes folgten ihr.

Das Auffallende dabei war, daß die wahrhaft Betrübten die aller Verwandtschaft und jedem Interesse fremden wackeren Leute des Dorfes waren.

Die Erben gingen, indem sie sich mit einer fast Aergerniß erregenden Gleichgültigkeit mit einander unterhielten.

Man weiß, wie einfach unsere Leichenbegängnisse sind: kein Priestergepränge, keine, frommen Gesänge; – nur Gebete.

Nach einer Station in der Kirche, trug man die Leiche daher auf den Friedhof.

Wenn es mir nicht durch das gegrabene Grab angedeutet gewesen wäre, so hätte ich dennoch den Ort erkannt, wo die würdige Frau während der Ewigkeit ruhen sollte.

Es war der Mittelpunkt dreier Gräber, welche alle drei weit eher das Ansehen eines freundlichen Gartens, als das eines Leichenbettes hatten. Das eine, – das der Aeltesten, – war ganz duftend von Rosen; das zweite, – das der Jüngeren, – verschwand unter Immergrün; – das dritte,– und es war das der Jüngsten, eines armen Kindes von sieben Jahren, welches das Almosen in die Hand der Bettlerin gedrückt hatte, und die, zuerst befallen, zuerst ihre Engelsflügel geöffnet hatte, um gen Himmel zu fliegen, – das dritte war mit Veilchen bedeckt.

Seit dem Tode ihrer drei Töchter brachte Madame Snart täglich dort eine Stunde zu, indem sie die Blumen, die sie auf ihre Gräber gepflanzt hatte, pflegte und begoß, und ihre letzte Wohnung in diesem geheiligten Triangel vorbereitete.

Der mit so vieler Ungeduld von ihr erwartete Tag war endlich gekommen: ein Grab war gegraben worden und erwartete sie.

Herr Smith und ich verrichteten ein Gebet über diesem bescheidenen Sarge, welcher, als das Gebet beendigt, auf den Stricken gleitend und die engen Wände der Gruft schlagend, hinunter sank. Bald meldeten die knarrend wieder heraufkommenden Stricke, daß der Sarg den Grund berührt hätte; ein letztes Gebet wurde durch diese Todtengruft der Leiche zugesendet, die bereits in dem Schatten der Ewigkeit schwebte; dann rollte unter dem Spaten des Todtengräbers die erste Schaufel voll Erde, die auf den Sarg mit jenem so dumpfen Klange fiel, daß der, der ihn ein Mal gehört hat, ihn niemals vergißt; dann kamen die anderen weniger geräuschvollen Schaufeln; dann endlich erhob das gefüllte Grab über dem Grase jenen grauen Hügel, der außerhalb der Erde an die Form des Sarges erinnert, den man in seinen Eingeweiden begraben hat.

Ich hatte Lust, auf diesem Grabe einige Worte des Abschiedes auszusprechen, aber in dem Augenblicke, wo ich den Mund öffnete, erstickte Schluchzen meine Stimme.

Dieses Schluchzen sagte mehr, als die beredteste Leichenrede gesagt hätte.

Wenn ich hätte sprechen können, so ist hier das, was ich ohngefähr gesagt hätte:

– Fromme Frau! edles Herz! glückselige Seele! der Tod, den Du ohne Ungeduld, wie ohne Schrecken erwartetest, hat Dich endlich heimgesucht, um Deine Schmerzen zu beruhigen, Deine Leiden und Deine Besorgnisse zu beendigen . . . In diesem Augenblicke, gute Mutter, hast Du Deine drei Kinder wiedergefunden; der Anblick ihrer Leichenkränze läßt Deine Thränen nicht mehr fließen, denn diese Kränze leuchten frisch, duftend, unsterblich auf ihrer Engelsstirn. Der, welcher weint, bin ich, der Dich überlebt hat. Der noch nicht weiß, was das Leben ihm für Wonnen und für Schmerzen vorbehält, und der ich mich, glückselige Frau, auf Deine Gebete verlasse, um von mir die Bangigkeiten abzuwenden, die Du erlitten hast, oder, wenn Du sie nicht abwenden kannst, mir wenigstens die Kraft zu verleihen, sie zu ertragen, wie Du sie selbst ertragen hast! . . .

Das ist es, was ich laut gesagt hätte; das ist es, was ich leise stammelte.

Schweigend, ohne ein einziges Wort auszusprechen, kehrte ich auf den Arm des würdigen Herrn Smith gestützt zurück.

An dem Thore des Friedhofes zerstreute sich das Gefolge; die Erben allein blieben in einer Gruppe, und erreichten das Haus wieder, indem sie den Schritt beschleunigten.

Wie ich gesagt, hatten sie Eile, das Dorf zu verlassen, indem Jeder das mitnahm, was ihm zukam.

Als ich gleichfalls ankam, konnte ich daher auch die letzten, mit Möbeln beladenen Karren um die Ecke der Straße fahren sehen.

– Werde ich mit Ihnen eintreten, oder Sie hier verlassen, mein Amtsbruder? fragte Herr Smith.

– Ich danke für Ihr Anerbieten, antwortete ich ihm, aber ich habe das Bedürfniß, allein zu sein . . .

–Dann umarmen Sie mich, sagte er, und erinnern Sie sich, daß Sie eine Meile weit von hier, in dem Dorfe Wirksworth, einen Freund haben.

Wir umarmten uns; hierauf entfernte er sich, nachdem er mir die Hand gedrückt.

Ich wartete auf der Schwelle, bis daß ich auch ihn hatte verschwinden sehen, und nun betrat ich das einsame, leere und auf seine vier Wände beschränkt? Haus.

– Nein, mein lieber Petrus, in meinem Leben hatte ich nicht, noch werde ich wahrscheinlicher Weise jemals ein solches Gefühl der Traurigkeit, der Verlassenheit, der Einsamkeit empfinden. Alle Thüren und alle Fenster standen offen; man fühlte, daß der Tod hier durchgekommen war, und daß sich vor diesem unumschränkten Gebieter, wie vor einer geheiligten Majestät, Thüren und Fenster geöffnet hatten.

Stumm, und selbst gleich einem Schatten, irrte ich überall herum.

Ein einziger Schemel, von zu geringem Werthe gehalten, um mitgenommen zu werden, war in einer Ecke geblieben, und lehnte sich wackelnd an die Wand. – Dieser Schemel und das Fernrohr meines Großvaters, des Bootsmannes, war der Anfang meines zukünftigen Mobiliars, und mit einer Guinee und einigen in meiner Tasche verlorenen Schillingen war das Alles, was ich auf der Welt besaß.

Ich verschloß die Thüren und die Fenster; ich trug meinen Schemel in das Zimmer der Wittwe, lehnte ihn an die Wand, an dieselbe Stelle, wo ihr Bett stand und setzte mich darauf, indem ich flüsterte:

– O! wie Du Recht hattest, junges Mädchen, als Du von Deinen sterbenden Lippen jene letzten Worte fallen ließest: » Der Mensch ist nur ein Fremdling auf Erden!«

Die Dunkelheit senkte sich vom Himmel herab; sie erfüllte das Innere des Hauses, und bald befand ich mich nicht allein in der Einsamkeit, sondern auch noch in der Finsterniß.

Es lag mir wenig daran! denn so dunkel und so einsam dieses Haus auch war, mein Herz war sicher, immer noch weit leerer und weit dunkler als dasselbe zu bleiben!. . .

Am folgenden Morgen klopfte man mit Tagesanbruche an die Hausthür.

Ich erhob mich von meinem Schemel, auf welchem ich am Ende gegen ein Uhr Morgens eingeschlafen war, und machte die Thür auf.

Der, welcher anklopfte, war der Schulmeister.

Ich gab ihm einen Wink einzutreten und blieb in dem Eßzimmer stehen, indem ich erwartete, daß er mir den Grund seines frühen Besuches erklärte.

Der wackere Mann schien sehr verlegen; er drehte seinen Hut in seinen Händen und stammelte unverständliche Worte.

Ich ermuthigte ihn, indem ich lächelte und mich entschuldigte, ihm keinen Stuhl anzubieten, weil die Erben als einziges Möbel nur den Schemel zurückgelassen hätten, auf dem ich die Nacht zugebracht.

– Und das ist gerade die Ursache meines Besuches, Herr Pastor, sagte er. Die Leute des Dorfes wissen, daß Madame Snart, die Sie als Mutter angenommen hatten, Sie als ihren Sohn betrachtete und Sie zu ihrem Erben machen wollte. . . Der Tod hat sie unvorbereitet überrascht, ohne daß die würdige Frau die Zeit gehabt hätte, weder eine Schenkung, noch ein Testament zu schreiben, so daß Sie jetzt hier ohne einen Vorhang, ohne einen Stuhl, ohne eine Matratze sind.

– In der That, mein Freund, sagte ich, wenn ich Ihnen meine Armuth auch verbergen wollte, so vermöchte ich es nicht.

– Nun denn! Herr Pastor, begann der Schulmeister wieder, indem er immer dreister wurde, hier ist mit Ihrer Erlaubniß das, was sie beschlossen haben . . .

– Wer das?

– Ihre Pfarrkinder . . . Gestern Abend haben sie sich also versammelt und beschlossen, daß jeder je nach seinen Mitteln Ihnen einen Theil seiner kleinen Haushaltung anbieten sollte: dieser die Bettstatt, jener den Pfühl, der Eine die Matratze, ein Anderer die Betttücher, ein Anderer die Vorhänge; der Tischler wird Ihnen einen Tisch liefern; der Drechsler wird Ihnen Stühle geben, und so fort, Herr Pastor.

– Wie! rief ich aus, diese wackeren Leute haben das beschlossen?

– Ja, Herr Pastor, immer vorbehältlich Ihrer Erlaubniß, und heute Morgen haben sie mich an Sie abgesandt, indem sie zu mir sagten: »Benachrichtige den Herrn Pastor von unserer Absicht, und mache ihm wohl bemerklich, daß das, was wir ihm anbieten, von keinem großen Werthe ist, wir wissen es, aber daß es mit gutem Herzen angeboten ist.«

– Vortreffliche Leute! rief ich aus; wo sind sie denn, damit ich ihnen danke?

– Ah! sie sind zu Haus, indem sie ein Wort der Erlaubnis, erwarten, um Alle herbeizueilen, Ihnen ihre kleine Gabe anzubieten . . . Nur zwei oder drei befinden sich auf dem Marktplatze, wo sie das Ansehen haben, sich zu unterhalten . . . Ich will ihnen einen Wink geben, daß Sie es annehmen, nicht wahr, Herr Pastor?

– Nicht doch!

– Wie! Sie schlagen es aus?

– Im Gegentheile, ich will ihnen selbst sagen, wie sehr ich dankbar bin.

Indem ich hierauf nach der Thür eilte und die Arme öffnete, rief ich ihnen mit Thränen in den Augen zu:

– Kommt, kommt! Ich nehme es an! ich nehme es von ganzem Herzen und mit großer Freude an, und ich lege ein öffentliches Zeugniß der Armuth ab, damit Ihr wißt, daß Euer demüthiger Pastor nichts Eigenes hat, und daß Alles, was er besitzt, Euch gehört.

Ich hatte noch nicht ausgesprochen, als die drei Männer des Marktplatzes unter Freudengeschrei in drei verschiedenen Richtungen davon eilten.

Fünf Minuten nachher kam aus jeder Thür ein Mann, eine Frau oder ein Kind heraus. Keiner hatte leere Hände, Alle gingen nach dem Pfarrhause.

Mein Herz war mit Freude und mit Stolz erfüllt, und ich sagte mir im Stillen, – ich bitte Gott und Sie darüber um Verzeihung, mein lieber Petrus:

– Ich habe also einigen Werth, daß man mich so liebt? . . .

Ich schloß die ersten, welche erschienen, in meine Arme; ich umarmte sie, Männer, Frauen, Kinder, wie ich meine Brüder, meine Frau und meine eigenen Kinder umarmt hätte.

– Jetzt, Herr Pastor, sagte der Schulmeister zu mir, müssen Sie sie handeln lassen, ihnen das Pfarrhaus überlassen, und mit mir zum Frühstück kommen. Leider bin ich einer der ärmsten, und ich habe Ihnen nur das Frühstück geben können: aber meine Frau und meine Tochter haben sich alle beide daran gemacht, und sie zu zwei werden Ihnen vielleicht am Ende irgend etwas zubereiten, das nicht zu unwürdig ist, Ihnen angeboten zu werden.

Ich gehörte mir nicht mehr an, ich gehörte diesen wackeren Leuten; ich ließ daher mit mir schalten. Da ich nicht mehr sprechen konnte, so sehr erstickten mich die Thränen, so dankte ich ihnen durch Zeichen und folgte dem Schulmeister.

Wie der wackere Mann gesagt, sein Haus war eines der ärmsten des Dorfes; wir frühstückten aus irdenem Geschirr und mit zinnernen Löffeln, aber ich zweifle, daß ich selbst an der Tafel des Königs von England ein eben so gutes Mahl gehalten hätte.

Während des Frühstücks stand mein Wirth zwei oder drei Mal auf, um Berathungen mit dem einen oder anderen meiner wackeren Pfarrkinder zu halten. Er hatte mich gebeten, nicht eher nach Haus zurückzukehren, als bis er mir sagen würde, daß es Zeit dazu sei. Ich erwartete daher seine Meldung, indem ich mich mit seiner Tochter und seiner Frau unterhielt.

Gegen elf Uhr öffnete sich die Thür der armen Hütte. Die beiden ältesten Greise der Gemeinde erschienen in ihren Sonntagskleidern auf der Schwelle.

– Wenn der Herr Pastor jetzt kommen will, sagten sie, wir erwarten ihn.

Ich ging hinaus. Das ganze Dorf war längs der Straße in zwei Reihen aufgestellt; der Boden war mit grünen Blättern und mit Blumen bestreut, wie man es an den Tagen großer Kirchenfeierlichkeiten macht; meine Thür selbst war ganz mit Zweigen und geflochtenen Blumenkränzen beschattet.

Das war der Triumph des Bescheidenen.

 

Ich blieb auf der Schwelle stehen, indem ich sie Alle einlud einzutreten; aber mit einem außerordentlichen Zartgefühl schlugen sie es aus.

– Wir danken, Herr Pastor, sagten sie; wir haben mit großem Vergnügen den dritten Theil des Tages für Sie verloren; aber Jeder muß an seine Arbeit zurückkehren, die Einen auf die Felder, die Anderen in die Werkstatt. Kehren Sie nach Haus zurück, und verzeihen Sie uns, wenn wir es nicht besser gemacht haben.

Ich umarmte die beiden Greise, und indem ich mich an alle diese wackeren Leute wandte, sagte ich zu ihnen:

– Freunde, Ihr habt für mich Etwas gethan, das ich niemals vergessen, und wofür ich Euch eine ewige Dankbarkeit erhalten werde . . . Geht in dem Frieden Eures Bewußtseins und unter der Obhut des Herrn!

Alle dankten mir einstimmig und entfernten sich weit zufriedener und weit glücklicher, als ich es vielleicht selbst war; denn ich hatte empfangen, wahrend sie gegeben hatten.

Ich trat in das Haus; zwei Stunden hatten hingereicht, um es gänzlich zu verändern. Ich hatte es traurig und leer verlassen, ich fand es heiter und möblirt wieder.

Ich fing mit dem Speisezimmer an. In der Mitte stand ein runder, mit einer feinen Matte bedeckter Tisch; um den Tisch herum standen sechs Strohstühle, an der Wand ein Schrank von Nußbaumholz; in diesem Schranke befanden sich Gläser, Krüge von Steingut, Fayencen mit Blumen und Vögeln; – alles das ohne Zweifel nicht kostbar, aber sauber, freundlich und glänzend.

In den Schubladen befanden sich zwölf Couverte von Zinn, welche wie Silber glänzten.

Vor den Fenstern hingen schneeweiße Vorhänge, die von baumwollenen Schnüren zurückgehalten waren.

Ich ging, indem ich die Hände faltete und zugleich Gott und diesen wackeren Leuten dankte, in das Schlafzimmer.

Ein gutes Bett erwartete mich dort; zwei große Sessel öffneten mir ihre Arme; eine Kommode mit einem kleinen Spiegel darüber stand dem Bette gegenüber, und sechs große Vorhänge von Baumwollenzeug machten das Amöblement vollständig, indem zwei von dem Himmel des Bettes und vier von den Fensterstangen herabfielen.

Ich ging in die Küche hinab; nichts fehlte darin, und dennoch, indem ich einen Gedanken zurückwarf, bedauerte ich die drei oder vier Kasserole und die beiden Kessel, die mir mein Wirth angeboten und die ich ausgeschlagen hatte.

Aus der Küche ging ich in das kleine Zimmer hinauf, das ich während der beiden Reisen bewohnt hatte, die ich nach Ashbourn gemacht; es war von den wackeren Leuten in ein Arbeitszimmer verwandelt worden, an dessen Wand sich ein mit Federn, Tinte, Federmesser, Linealen, Bleistiften und Papier bedeckter Schreibtisch lehnte.

Das Papier war prachtvoll.

– O, rief ich aus, nicht später als morgen werde ich mein großes Werk ansangen! . . . Morgen, fügte ich hinzu, warum morgen, und nicht auf der Stelle? . . .

Demzufolge nahm ich einen Stuhl, stellte ihn vor den Schreibtisch, setzte mich, schnitt eine Feder, und schrieb auf die erste Seite:

»Abhandlung über die vergleichende Philosophie.«

Aber ich hatte zu sehr auf die Kraft meiner Seele und die Klarheit meines Kopfes gerechnet. Die Ereignisse, die sich zugetragen, hatten mich zu sehr aufgeregt; ich hatte in diesem Augenblicke offenbar nicht die Kraft, meine Ideen zu ordnen und ihnen eine Richtung zu geben; zerstreut und unschlüssig bei dem Anblicke des Todes, wie bei dem Erblicken des Wolfes erschreckte Schafe, mußte ich ihnen die Zeit lassen, sich zu sammeln und zu beruhigen. Einstweilen klammerte sich jeder meiner Gedanken an Etwas an: an die drei mit Rosen, Immergrün und Veilchen bedeckten Gräber, in deren Mitte sich ein viertes Grab geöffnet hatte; – an die abscheuliche Gleichgültigkeit dieser Erben, die einem Leichenzuge mit demselben Gesicht gefolgt waren, das sie bei einer Hochzeit gemacht hätten; – die meisten gruppirten sich, wie Bienen sich um blühende Zweige gruppiren, an die Güte dieser wackeren Leute, die mir in ihrer Mitte ein so gutes und freundliches Nest bereitet hatten. Ich ging in meinem Gedächtnisse alle meine Reichthümer durch; sie stellten sich meinen Augen wieder vor, dann erinnerte ich mich dessen, was mir meine gute Mutter bei meiner zweiten Reise von meiner Jugend, von dem Alleinsein meines Herzens, von dem Bedürfnisse gesagt hatte, das ich nach einer Gefährtin empfinden würde. Ich sagte mir, daß ich mich in der That, so heiter das Haus auch geworden war, so freundlich sein Mobiliar auch war, welche Liebe ich auch für meine Pfarrkinder hegen, welche Zuneigung sie mir auch erwiedern möchten, immer zu gewissen Stunden des Tages mit mir selbst allein befinden würde; ich fragte mich, was ich mit dieser Haushaltung anfangen sollte, die vielleicht ein wenig beschränkt für zwei Personen, aber zuverlässig zu beträchtlich für eine einzige war. Wer würde über die Ordnung des Hauses wachen? Wer würde sich um die Mahlzeiten bekümmern? Wer würde mich bei meiner Rückkehr von meinen Gängen, entweder in dem Dorfe oder in der Umgegend, mit jenem vergnügten Gesicht erwarten, welches mit weit rascherem Schritte den nach Hause zurückführt, der von ihm entfernt war? Sollte ich mit alle dem eine Fremde beauftragen? Ach, mit einer Fremden in dem Hause würde das Haus nur um so leerer und mein Herz um so einsamer sein!

Ich ließ die Feder meiner Hand entfallen; ich stieß einen Seufzer aus, und indem ich fühlte, daß das Blut mir in die Brust und in das Gesicht stieg, ging ich das Fenster aufzumachen, um freier zu athmen.

Am folgenden Tage würde mein Geist ruhig sein und Nichts sich dem widersetzen, daß ich mich an meine Abhandlung der vergleichenden Philosophie machte.