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Der Pastor von Ashbourn

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

XIII.
Was ich. Dank dem Fernrohre meines Großvaters, des Bootsmannes, durch das Fenster sah

Es war zuverlässig um Luft zu schöpfen, daß ich mich an das Fenster stellte. Der Himmel war so bedeckt, die Luft so nebelig, daß man kaum auf fünfhundert Schritte weit vor sich sah. Aber, als ob die Atmosphäre nur meine Anwesenheit erwartet hätte, um sich aufzuklären, in dem Augenblicke , wo ich die Augen auf das Feld warf, drang ein schwacher Sonnenstrahl durch zwei Wolken, und indem er sich in den Nebel mischte, anfing ihn mit einem gelblichen Scheine zu färben, welcher bald verschwindend, bald weit feuriger wieder erscheinend am Ende den ganzen Horizont erfüllte, und indem er sich zerriß, ließ der Himmel eine Ecke seines Blaues sehen.

Von nun an war die Aussicht vorhanden, daß der Tag wieder schön würde.

Bei Weitem mehr zur Träumerei als zur Arbeit gestimmt, heftete ich meine Augen auf diese blaue Ecke des Firmaments, indem ich mir mit jenem Aberglauben sagte, der in dem Herzen jedes Menschen liegt und der in diesem wichtigen, fast entscheidenden Augenblicke meines Lebens vielleicht noch mehr in meinem Herzen lag, als in dem der andern:

»Wenn dieses Blau, das die Hoffnung ist, sich über den ganzen Himmel verbreitet; wenn diese Sonne, welche das Glück ist, die Wolken und den Nebel verjagt, so wird es ein Zeichen sein, daß Gott mich beschützt und mir glückliche Tage vorbehält. Wenn es aber im Gegentheile diese Ecke des Firmaments ist, welche verschwindet; wenn die Sonne unter dem feuchten Schleier der irdischen Dünste »erlöscht, so ist das ein Zeichen, daß mein Leben traurig, einsam und unfruchtbar sein wird.«

Sie werden begreifen, mein lieber Petrus, welche Abgeschmacktheit von meiner Seite darin lag, die Bestimmung meines Lebens an die Launen eines gewitterhaften Junitages zu knüpfen; aber habe ich nöthig, Ihnen, dem ausgezeichneten Philosophen, zu sagen, daß der Mensch, ohne die Ursache dieser Erschlaffung seines Mutlos zu wissen, seine Tage der Niedergeschlagenheit hat, während welcher er sich von dem Gipfel seiner Kraft und seines Verstandes bis zu der Leichtgläubigkeit des Kindes oder bis zur Schwäche des Greises herabläßt?

Ich befand mich an einem dieser Tage da; mein Herz hatte viele verschiedene Eindrücke empfunden, meine Seele hatte zu viele außerordentliche Gemüthserschütterungen erlitten, – um sich wieder in ihren natürlichen Zustand zu versetzen, bedurften alle beide jener Schlafsucht, welche für den Geist das ist, was die Dämmerung für den Tag ist, ein Uebergang zwischen der Nacht und dem Lichte, zwischen der Ermüdung und der Ruhe.

Meine Augen hefteten sich daher eben so begierig auf den Himmel, als wenn ich an ihm entweder den Stern des Heils hätte erscheinen sehen sollen, der die auserwählten Hirten nach der Krippe führte, oder jene drei schrecklichen Worte, welche einen Augenblick lang vor den Augen Balthasars den Abgrund erleuchteten, in den er zu fallen im Begriff stand.

Während länger als einer halben Stunde war es mir unmöglich zu errathen, wem, dem guten oder dem bösen Genius, die mit einander kämpften, der Sieg bleiben würde, aber endlich trug ihn Oromaze davon. Ein leichter Wind, der ihm zu Hilfe kam, fing an, die Wolken durch den Raum wallen zu lassen, indem er sie in flockige Wogen theilte, dann zerriß sich der Mantel des Himmels Stück für Stück; die Strahlen, welche sich in dem Maße erweiterten als sie auf die Erde herabfielen, spalteten die Reste des Nebels mit ihren goldenen Klingen; ganze Theile des Himmels entblößten sich lachelnd durch den Azur; breite Spalten erlaubten dem Gesichte, sich über gewisse Theile der Ebene zu erstrecken; die Teiche funkelten; die am Horizonte sich schlängelnde Hügelkette zeigte den Schattenriß ihres Gipfels über breiten Streifen von Dünsten, welche sie von ihrem Fuße zu trennen schienen; ein Strom von Licht überschwemmte gleich einem Wasserfalle ein kleines, an dem Fuße des entferntesten dieser Hügel gelegenes Dorf in dem Grade, daß, obgleich eine Meile weit entfernt, man geglaubt hätte, es berühren zu können, wenn man die Hand ausstreckte. Endlich verschwanden allmälig alle diese Spiele der Sonne, alle diese Launen der Atmosphäre. Die Erde nahm ihr wahres Ansehen wieder an, der Himmel verjagte in die Tiefen des Westens Alles bis auf seine letzte Wolke, und triumphirend und strahlend blieb die Sonne allein Herrin des Raumes, alleinige Herrscherin des klaren und unendlichen Reiches.

Indem ich immerhin den Triumph des königlichen Gestirns theilte, ein Triumph, dem ich einen so glücklichen Einfluß auf meine Bestimmung bewilligte, suchte ich mit den Augen dieses kleine, so eben durch den Strahl der Sonne, der es erleuchtet hatte, so glänzende und so nahe Dorf das sich jetzt, in die gewöhnlichen Verhältnisse zurückgekehrt, an dem Horizonte verlor. Ich hatte einige Mühe, es wiederzufinden; aber am Ende erblickte ich in der bläulichen Ferne Etwas wie ein Rest von Häusern, daß eine in seinen einzelnen Umständen durchaus nicht zu bestimmende und in seinem Ganzen beinahe unsichtbare Masse bildete.

Nun befiel mich die Lust, noch einmal dieses aus der Nacht hervorgegangene, um sogleich wieder in sie zurückzukehren, kleine Dorf wiederzusehen.

Ich ergriff das Fernrohr meines Großvaters, des Bootsmannes, und stellte es nach meinem Auge. Ich lehnte es an die Ecke des Fensters. Ich suchte die Richtung des Dorfes, und ich betrachtete.

Anfangs sah ich, wie es sich immer ereignet, wenn man mit einem Fernrohr nicht vertraut ist, so gut es auch sein möge, etwas weniger gut als mit meinen Augen. Allmälig schienen sich indessen die Gläser aufzuklären, die Entfernung näherte sich, und ich unterschied vollkommen den Punkt, auf welchen der Zufall das Fernrohr gerichtet hatte.

Es war ein einsam liegendes kleines Haus, von Backsteinen erbaut, ehedem mit einem weißen Anstriche bedeckt, der, da er an verschiedenen Stellen abgesprungen war, durch diese Sprünge sein ursprüngliches Gerippe sehen ließ; diese durch die Zweige eines riesenhaften Epheus, der dieses Haus fast gänzlich überzog, unter sich verbundenen Farbentöne bildeten daraus für das Auge des Dichters oder den Pinsel des Malers ein reizendes und pittoreskes Gebäude, welches die Landschaft schmückte, während diese es gleichfalls hervorhob. An der einen seiner Ecken erhoben sich gleich einem dicken Glockenthurme drei so genau unter sich verbundene Pappeln, daß ihre Stämme allein die Trilogie andeuteten, während die vereinigten und dichten Zweige von derselben Farbe nur eine einzige Laubpyramide bildeten; an der anderen Ecke gruppirte sich ein dichtes Hollundergebüsch, das der Mai hatte blühen sehen und das sich an eine Gruppe rosiger und weißer Acacien anschloß, deren wohlriechende Blüthen man herabhängen und im Winde schaukeln sah.

Endlich öffnete sich über diesen Acacien in einem grünen Rahmen von Laub das Fenster eines kleinen Zimmers, in welches das Auge drang, aber ohne anfangs etwas Anderes in seinem Halbschatten unterscheiden zu können, als Vorhänge von weißem Mousselin, die ein Bett einhüllten.

Ich weiß nicht, warum das auf dieses Fenster gerichtete Fernrohr meines Großvaters, des Bootsmannes, sich nicht abwandte, um auf einem anderen Theile der Landschaft zu verweilen, und sich im Gegentheil mit jener sonderbaren Beharrlichkeit lebloser Dinge, die zuweilen glauben lassen könnte, daß sie eine Absicht und einen Willen haben, sich damit belustigte, mir dieses kleine Zimmer in allen seinen Umständen zeigen zu wollen. Es ging daraus hervor, daß mein Blick sich durch diesen Eigensinn meines Fernrohrs, statt ein anderes Haus oder sogar einen anderen Punkt des Hauses zu suchen, auf diese Oeffnung fesselte, durch dessen Rahmen es mir gelang, nicht allein die zuerst erblickten Gegenstände zu unterscheiden, sondern auch noch den übrigen Theil des Amöblements, der sich in dem Kreise meines Gesichtsstrahles befand.

Der übrige Theil dieses Amöblements, das heißt alles das, was ich davon sehen konnte, bestand aus einer mit Mousselin gleich den Vorhängen überzogenen Toilette, zwei Sesseln von weißem Stoff mit Rosen und einem Tische, der einen Topf von blauer Fayence voller Feldblumen trug.

Ich war ganz mit dieser Musterung beschäftigt, der ich eine Aufmerksamkeit schenkte, von der ich mir selbst keine Rechenschaft ablegte, als ich in dem Hintergrunde des Zimmers sich Etwas wie einen Schatten bewegen sah. Dieser Schatten nahm, indem er sich langsam dem Fenster näherte, einen Körper an, und dieser Körper schien mir in dem Maße, als er deutlicher wurde, der eines jungen Mädchens von achtzehn bis neunzehn Jahren.

Nun entstand in meinem Innern eine sonderbare Wirkung; es schien mir, als ob zu gleicher Zeit, als dieses junge Mädchen in meinen Horizont eintrat, es auch in mein Leben einträte.

Sie lehnte sich auf das Fenster, und der bis dahin leere Rahmen hatte sein Bild.

Und welches Bild! mein lieber Petrus, ein Bild, das sogar einen Professor der Philosophie an der Universität Cambridge hätte träumen lassen.

Stellen Sie sich ein junges Mädchen von achtzehn bis neunzehn Jahren vor, in einem weißen Kleide, das um die Taille, die man mit zwei Händen hätte umspannen können, mit einem blauen Gürtel zusammengezogen war, dessen beide Enden wallend herabfielen; mit einem Strohhute mit breiten Rändern bedeckt, welcher Schatten auf reizende Züge warf. Stellen Sie unter diesen Hut ein rundes, weißes, rosiges Gesicht, das von zwei reichen Büscheln blonder, feiner, seidiger Haare umgeben war, die sich bei der geringsten Bewegung der Luft erhoben, und Sie werden einen Begriff von der anmuthigen Bewohnerin des kleinen Winkels haben, auf den, wie ich gesagt, der Zufall das Fernrohr meines Großvaters gerichtet hatte.

Das junge Mädchen hielt einen Strauß von Kornblumen und gelb werdenden Aehren in der Hand, woraus sie einen Kranz flocht.

Dieser Kranz war für diesen Strohhut bestimmt. Sobald der Kranz beendigt war, zog daher auch das blonde Kind die Schleife ihres Hutes auf und nahm ihn von ihrem Kopfe.

 

Ein Zufall, der der feinsten Koketterie angemessen gewesen wäre, machte, daß bei dem Abnehmen desselben ihr Zopf sich auflöste und ihre Haare herabfielen.

O! mein lieber Petrus, welche prachtvolle Haare, und wie das junge Mädchen, die sich allein und unsichtbar glaubte, mir Zeit ließ, sie zu bewundern! Sie fing damit an, sie zwischen ihre beiden Hände zu nehmen; dann zog sie sie über ihre Schultern vor sich; sie fielen weit tiefer als die Lehne des Fensters, und man errieth, daß sie bis auf ihre Füße herab reichen müßten. Die Sonne, welche sie wiederspiegelten, machte aus ihnen Etwas wie einen goldenen Strahl eines Heiligenscheines, der in Cascaden auf dieses weiße Kleid herabfiel, das ihren Glanz und ihre seidige Natur hervorhob. Sie vereinigte sie, drehte sie und knüpfte sie wieder fest, ohne sich nur im Spiegel zu betrachten. Man fühlte, daß sie jene vollkommene Sicherheit hatte, welche die Jugend und die Schönheit verleihen.

Nun, statt den Kornblumenkranz auf ihrem Hute zu befestigen, setzte sie ihn auf ihren Kopf, indem sie sich nur der Fensterscheibe als Spiegel bediente.

Ich vermöchte, ich wagte Ihnen, dem ernsten Manne, fast nicht zu sagen, mit welcher Anmuth der Stellung, mit welcher Einfachheit der Geberde alle diese Bewegungen ausgeführt wurden. Man fühlte, daß in diesen wiederverknüpften Haaren, in diesem aufgesetzten Kranze in der Wirklichkeit nur die ungekünstelte Koketterie eines jungen Mädchens lag, die, vollkommen unwissend in der Kunst, sich mit der Natur hilft, um sich noch schöner zu machen, – nicht in den Augen Anderer, sondern nur in ihren eigenen Augen, und ich bin fest überzeugt, daß, wenn ich mich in dem Bereiche der Stimme befunden und sie gefragt hätte: Sie finden sich schön? – sie mir geantwortet hätte: Ja, – wie mir eine Rose,antworten würde, wenn ich sie fragte: Sind Sie wohlriechend? – wie mir eine Nachtigall antworten würde, wenn ich sie fragte: Haben Sie einen lieblichen Gesang?

In diesem Augenblicke trat die Sonne aus ihrer letzten Wolke hervor und erschien so glühend , daß das junge Mädchen die Schnur einer grünen Persienne aufknüpfte, die zwischen sie und mich herabfiel, sie meinem Blicke entzog und mir den Zugang zu diesem kleinen Zimmer verschloß, wohin meine Einbildungskraft allein fortfahren konnte, ihr zu folgen.

Ja, gewiß, sie fand sich schön; aber dennoch beschäftigte sie sich nur eine Secunde lang mit ihrer Schönheit, die Zeit sich zu betrachten und sich zuzulächeln. Hieran kehrte sie in das Zimmer zurück und nahm einen leeren Käfig, den sie vor das Fenster hing; dann stützte sie sich auf den Rand desselben, neigte sich hinaus, indem sie um sich blickte und irgend Etwas zu suchen schien. Fast sogleich flog ein kleiner Vogel auf ihre Schulter, pickte zwei oder drei Mal ihre Lippen, wie es jener von Catullus unsterblich gemachte Sperling mit denen Lespia’s machte, worauf er von selbst in seinen Käfig zurückkehrte, dessen Thür offen blieb, ohne daß er daran dachte, aus dieser Zufluchtsstätte zu entfliehen, die er augenscheinlich als einen Schutzort, und nicht als ein Gefängniß betrachtete.

Ich blieb noch länger als eine halbe Stunde, das Fernrohr auf das Fenster, das Auge auf das Fernrohr geheftet, in der Hoffnung, daß die Persienne sich wieder öffnen würde; aber sei es nun, daß meine unbekannte Schöne das Zimmer verlassen hatte, oder daß sie in der Frische und der Dunkelheit bleiben wollte, die sie sich geschaffen, die Persienne blieb hartnäckig verschlossen.

Ich mußte wohl, wenigstens für den Augenblick, darauf verzichten, sie zu sehen. Ich schob die Röhren von dem Fernrohre meines Großvaters , dessen wahren Werth ich zum ersten Male schätzte, wieder in einander.

In der That, ein Instrument, mit welchem man auf drei Viertelstunden weit erkennen konnte, zu welcher Familie eine Blume gehörte, von welcher Farbe Augen waren, von welcher Gattung ein Vogel war, war ein Schatz.

Ich wünschte mir daher auch sehr aufrichtig Glück, den Rath meiner Mutter befolgt zu haben, die mir so sehr anempfohlen hatte, mich unter keinem Vorwande dieses kostbaren Fernrohrs zu entäußern.

O! mein lieber Petrus, ich habe nicht allein bei dieser Veranlassung zu bemerken geglaubt, daß die Mütter die Gabe des doppelten Gesichts hätten.

Sie haben bemerkt, mein lieber Petrus, daß ich die Röhren meines Fernrohres wieder in einander geschoben hatte, wie als ob, wo diese Persienne geschlossen, nichts mehr in der Schöpfung würdig wäre, gesehen zu sein.

Und dennoch, würde ich, ich weiß nicht wie lange, noch an meinem Fenster geblieben sein, wenn ich nicht sich etwas in dem anstoßenden Zimmer hätte bewegen hören.

Ich wandte mich um, und sah die Tochter des Magisters. Ihr Vater sandte sie mir, damit sie meine Aufträge für das Mittagessen einholte. Ich hatte weder eine Magd, noch einen Bedienten, und der Magister, in der Meinung, daß ich ziemlich in Verlegenheit sein würde, mir mein Mittagessen selbst zuzubereiten, hatte ihr gesagt, sich zu meiner Verfügung zu stellen.

Ich nahm es für dieses Mal an, indem ich dabei erkannte, daß ich in dieser Beziehung einen Entschluß fassen müßte. Ich konnte nicht so allein mit einem jungen Mädchen bleiben und ihr die Besorgung meiner Haushaltung überlassen. Ich sah ein, daß ihr Ruf und der meinige bald darunter gelitten haben würden.

Ach! wie meine gute Mutter mir gesagt, war es eine Gefährtin, die ich nöthig hatte.

Ich stieß einen schweren Seufzer aus und ging mit dem jungen Mädchen hinab. Indem sie das Haus möblirten, hatten meine Pfarrkinder die Speisekammer und den Keller möblirt, so daß ich für einige Tage durchaus nichts zu kaufen hatte. Ich machte die Tochter des Magisters mit Allem bekannt, und ging in den Garten, um spazieren zu gehen.

Warum war ich denn so vergnügt und zugleich so traurig? Warum hatte denn die Stimme, welche in meinem Herzen sang, zugleich einen so lieblichen und so schwermüthigen Ausdruck? Waren nicht alle meine Wünsche erfüllt? Hatte ich nicht diese so sehr begehrte Pfarre? Waren die Schränke nicht mit Wäsche, die Truhe mit Geschirr, der Keller mit Bier, die Speisekammer mit Brod, der Garten mit Früchten versehen? Gewährten mir diese vier Linden, unter denen man meinen Tisch deckte, nicht selbst am vollen Mittage Schatten und Frische? Was fehlte mir noch und was hatte ich denn weiter nöthig?

Ach! mein lieber Petrus, ich hatte das nöthig, woran ich am Tage vorher nicht gedacht hatte, und das, wovon ich fühlte, daß ich von nun an beständig träumen würde, ich hatte ein Wesen nöthig, um mit ihm alle diese Güter zu theilen, die mir der Herr sandte, ich hatte Jemand nöthig, der sich neben mich an diesen Tisch setzte, an den ich mich allein setzen würde.

Es schien mir unerläßlich, damit mein Glück für den Fall, wo der Herr mir diesen Schutzengel meines Lebens bewilligen würde, vollständig wäre, daß dieser Engel lange blonde Haare, blaue Augen, ein rosiges Gesicht und ein weißes, mit einem Bande von der Farbe des Himmels zusammengehaltenes Kleid hätte.

XIV.
Welchen Einfluß ein offenes oder verschlossenes Fenster auf das Leben eines armen Dorfpastors haben Kann

In dem Augenblicke, wo ich mein einsames Mittagessen beendigte, führte die Tochter des Schulmeisters einen Landmann zu mir ein.

Dieser Landmann war ein Bote meines Amtsbruders, des Pastors von Wirksworth, – dieses wackern und vortrefflichen Herrn Smith, über den ich Ihnen einige Worte in meinem vorletzten Briefe gesagt zu haben glaube, mein lieber Petrus, – desselben, welcher meiner guten Madame Snart die letzten Ehren erwiesen hatte. – Sie erinnern sich, nicht wahr?

Dieser Bote überbrachte mir einen Brief von ihm.

Hier ist das, auf welche Veranlassung er mir schrieb:

Der Pastor eines kleinen benachbarten Dorfes von Wirksworth war krank geworden, und seit länger als sechs Wochen war seine Gemeinde des Wortes Gottes beraubt. Sie hatten sich demzufolge an Herrn Smith gewandt, damit er, wäre es auch nur ein einziges Mal, die Stelle seines kranken Amtsbruders verträte. Nun hatte Herr Smith an mich gedacht und mich diesen wackeren Leuten vorgeschlagen, indem er mit Recht meinte, mir zugleich ein Vergnügen zu erzeigen und mir nützlich zu sein, indem er mir die Gelegenheit zu einem neuen Triumphe bot. Da nun aber mein Beifall großes Aufsehen in der Umgegend gemacht hatte, so hatten die Landleute es mit vieler Freude angenommen, so daß Herr Smith, da die Sache jetzt nur noch von mir abhing, mich fragen ließ, ob es mir genehm sei, in Wetton – das war der Name des kleinen Dorfes – am folgenden Donnerstage zu predigen. Er wählte den Donnerstag, weil, da mein Sonntag von Rechtswegen meiner Gemeinde angehörte, er den Sonntag nicht andeuten konnte.

Uebrigens war dieser Donnerstag ein Festtag, und das kam für mich auf dasselbe heraus, da dieser Festtag mir ein zahlreiches Auditorium versprach.

Wenn ich es annähme, so würde der Pastor mich erwarten, um mich nach dem kaum eine Viertelstunde weit von Wirksworth gelegenen Dorfe zu führen, dann würden wir zurückkehren, und in seinem Pfarrhause im Familienkreise frühstücken.

Er verlangte eine bestimmte Antwort von mir, damit seine Frau und seine Tochter, welche in zwei Stunden abreisten, um, – die Frau ihrer Schwester, die Tochter ihrer Tante, die in Chesterfield wohnte, einen Besuch abzustatten, am folgenden Donnerstag zurückgekehrt wären, wenn ich die Einladung annähme; wenn ich sie im Gegentheile ausschlüge, so würden sie zwei oder drei Tage länger in Chesterfield bleiben.

Die Einladung war so herzlich, daß es mir nicht einfiel , sie auszuschlagen oder sie auf einen anderen Tag zu verlegen. – Ich ließ mir von der Tochter des Schulmeisters eine Feder, Tinte und Papier bringen, und antwortete meinem Amtsbruder auf der Stelle, daß er für den angedeuteten Tag auf mich rechnen könnte.

Um ihn nicht warten zu lassen, würde ich um acht Uhr Morgens in Wirksworth sein.

Ich wollte dem Boten einen Schilling für seinen Gang geben, aber er war bezahlt.

Ich ließ ihn ein Glas Bier mit mir auf die Gesundheit des guten Herrn Smith trinken, und er brach entzückt auf.

Jetzt, mein lieber Petrus, warum hatte ich die Einladung mit so vielem Eifer, ich möchte fast sagen, mit so vieler Freude angenommen?

War es, um den Kreis meines Rufes auszudehnen, war es, um die Einladung des Herrn Smith anzunehmen, war es, um einem Amtsbruder einen Dienst zu erzeigen? Es waltete ein Wenig von alle Dem ob.

Aber es war vor Allem der Wunsch, mich dem jungen Mädchen mit blonden Haaren und blauen Augen, mit rosigem Gesicht, mit dem weißen Kleide, mit dem himmelblauen Bande zu nähern, – und zu wissen, wer sie wäre.

Mit ein wenig Gewandtheit würde ich zuverlässig zu meinem Zwecke gelangen, ohne im Geringsten vor der Welt das Gefühl merken zu lassen, dem ich nachgab.

Als das Mittagessen beendigt, schickte ich mit Dank die Tochter des Magisters fort, und ging wieder in mein Zimmer hinauf.

Warum ging ich mit so viel Eifer wieder in mein Zimmer hinauf? Sie errathen es, mein lieber Petrus, nicht wahr? Es geschah, um das Fernrohr meines Großvaters zu nehmen, es wieder nach meinem Auge zu stellen und es auf Wirksworth zu richten; es geschah, um zu sehen, ob sich nicht etwa zufällig die Persienne des kleinen rothen und weißen Hauses unter ihrem Efeukleide erhoben hätte.

Sie war nicht allein immer noch herabgelassen, sondern es war auch noch vergeblich, daß ich von drei bis fünf Uhr Nachmittags dablieb, um zu erwarten, daß sie aufgezogen würde.

In alle dem lag nichts als etwas sehr Einfaches. An einem heißen Junitage verschließt Jedermann seine Fenster, um sich ein wenig Dunkelheit und Kühlung zu verschaffen: meine unbekannte Schöne hatte es wie Jedermann gemacht.

Mit der Dämmerung würde die Persienne sich erheben, um das kleine Zimmer durch diesen auf das Feld geöffneten Mund die ersten so frischen und nach einem gewitterhaften Sommertage so angenehmen Lüfte der Nacht einathmen zu lassen.

Das Ganze war also, noch zwei Stunden zu warten. Nur war das sehr lange . . . zwei Stunden.

Sehr lange, zwei Stunden! um eine Frau wiederzusehen! Begreifen Sie, mein lieber Petrus, ich, der ich drei und zwanzig Jahre gewartet hatte, ohne das Drückende der Zeit zu bemerken und ohne zu wünschen, irgend eine der Frauen wiederzusehen, die ich gesehen hatte, ich fand, daß zwei Stunden sehr lang wären!

Uebrigens gab es für mich ein Mittel, die Zeit abzukürzen, das bestand darin, nach der Seite des Dorfes Wirksworth spazieren zu gehen.

Es war sehr natürlich, daß ich, der Pastor von Ashbourn, ein Wenig Bekanntschaft mit der Umgegend dieses Dorfes machte.

 

Da nun aber Wirksworth zu der Umgegend gehörte, so fing ich mit Wirksworth an.

Warum nicht? es war eben so gut mit Wirksworth, als mit den anderen Dörfern anzufangen.

Ich ging aus; es war um jene Stunde des Tages, zu welcher die Landleute nach beendigter Arbeit in das Dorf zurückkehren; die Frauen erwarteten sie auf der Schwelle der Thür, die Kinder liefen ihnen entgegen, Alles lächelte sich zu, Alle umarmten sich in der großen menschlichen Familie.

Nun dachte ich an unseren sanften und zärtlichen Virgil, mein lieber Petrus, den fast christlichen Dichter, der so schön die großen weißen Ochsen mit langen Hörnern, wie sie die bleichen Kräuter im Schatten der Eichen wiederkauen, die sich drängenden Hammel, mit gesenktem Kopfe, unter der Huth des Hirten und der Hunde, wenn das Gewitter sich am Himmel zusammenzieht, und die an dem Felsen hängende und den bitteren Geisklee abrupfende Ziege schildert, und ich rief aus:

O fortunatos nimium, sua si bona norint Agricolas!

Aber ich dachte fast sogleich, daß die Anführung ungerecht wäre, und daß meine Landleute, – die des Dorfes Ashbourn, – ihr Glück kennten, und da sie vor Denen, von welchen Virgil spricht, das Glück voraus hatten, Christen zu sein, sie dem Himmel dafür dankten.

Aber was machte auch alle diese Männer so glücklich? Das waren die Frauen, welche sie auf der Schwelle der Thür erwarteten, das waren die Kinder, die ihnen entgegen liefen, das war das aus der Ferne ausgewechselte Lächeln, das war der in der Nähe gegebene Kuß.

Jeder dieser Männer hatte seinen Schutzengel, welcher das Haus lebendig in seiner Abwesenheit, liebend bei seiner Rückkehr machte.

Welchen Unterschied giebt es zwischen einem leeren Hause und einem vollen Grabe?

Das Grab ist unter der Erde gegraben, das Haus ist auf ihr erbaut. Das Haus ist das Gefängniß der Zeit, das Grab das der Ewigkeit.

O! wie würde mein Haus, das mir ein Grab schien, schön für mich sein, – wenn ich bei der Rückkehr von meinen kirchlichen Gängen aus der Ferne auf seiner Schwelle, mit ausgestreckten Armen und auf mich geheftetem Auge – eine weiße Gestalt sähe, von der ich allmälich und in dem Maße, als ich mich näherte, unter ihrem großen Strohhute das frische Gesicht, die blauen Augen und die blonden Haare unterscheiden würde!

Und während ich mir das sagte, hatte ich das Dorf Ashbourn verlassen, und näherte mich mit großen Schritten dem Dorfe Wirksworth, freilich wurde in dem Maße, als ich mich dem kleinen grünen, weißen und rothen, wie einen Vorposten an der Straße aufgestellten Hause näherte, mein Schritt langsamer; ich fing an, es durch die einbrechende Dämmerung mit unbewaffnetem Auge fast eben so gut zu unterscheiden, als ich es von dem Fenster meines Zimmers aus mit dem Fernrohre meines Großvaters unterschied. Aber trotz der Rückkehr der Dunkelheit, trotz der Abwesenheit der Sonne, trotz der eingetretenen Kühle, war das Fenster immer noch geschlossen.

Unglücklicher Weise aßen hundert Schritte weit von mir zwei oder drei Familien von Dorfbewohnern in der Kühle unter einem Baume zu Nacht, während fünf bis sechs Kinder auf dem Wege in der Runde tanzten.

Bereits mehrere Male hatten sie nach meiner Seite geblickt. – Wieder umzukehren hieß das Ansehen zu haben sie zu fliehen, ich ging bis zu ihnen mit der Absicht, sie gleichgültiger Weise über verschiedene Oertlichkeiten des Dorfes, und unter andern über das kleine Haus zu befragen, das nur noch drei bis vier Hundert Schritte weit von mir entfernt war.

Bei meinem Herannahen standen sie auf. Ich grüßte sie. Zwei unter ihnen hatten mich predigen hören und erkannten mich wieder, sie luden mich sogleich ein, mich zu ihnen zu setzen und ihr Mahl zu theilen, aber ich dankte ihnen. Die Kinder hatten ihren Tanz eingestellt und umringten mich, die Eltern baten mich, sie zu segnen.

– Ich bin zu jung, um zu segnen, antwortete ich, aber gleichviel, ich segne sie, Euch, Eure Früchte, Eure Ernten und Eure Häuser von Herzen.

Sie fragten mich nun, ob es wahr wäre, daß ich übermorgen in Wetten an der Stelle des kranken Pastors predigen sollte. Ich antwortete ihnen mit ja, da Herr Smith mich eingeladen, diese kleine Reise zu machen und mir die Gastfreundschaft in seinem Hause angeboten hätte.

Nun rühmten mir die Landleute die Biederkeit, die Rechtschaffenheit, die Weisheit des würdigen Herrn Smith. Seine Frau galt für die beste Haushälterin der Umgegend, und obgleich die Pfarre eben nicht mehr als sechzig Pfund Sterling eintrüge, so war die würdige Frau doch dazu gelangt, das am besten eingerichtete Haus des Dorfes zu haben. Es war bei ihr wie auf dem Schlosse des Grafen von Alton, das man auf dem Hügel erblickte, und zuverlässig hatte Herr Stiff, der Verwalter des Grafen, der im Begriffe stand, sich mit einer reichen Erbin von Chesterfield zu verheirathen, keine weißere und feinere Wäsche, kein schwereres und glänzenderes Silberzeug, kein dickeres und besser verzinntes kupfernes Küchengeschirr, als es die Wäsche, das Silberzeug und das kupferne Küchengeschirr der Madame Smith war.

Was die Tochter des Pastors anbetrifft, so gab es nichts Anderes über sie zu sagen, als daß sie ein Engel an Sittsamkeit, Religion und Wohlthätigkeit wäre.

Alles das hatte mich sehr weit von dem kleinen grünen, rothen und weißen Hause geführt. Wie darauf zurückkommen, nachdem man über das Schloß des Grafen von Alton, über die Wohnung, welche der Verwalter, Herr Stiff, für seine Frau einrichtete, über die Wäsche, das Silberzeug, das kupferne Küchengeschirr der guten Madame Smith, und über die Sittsamkeit, die Religion und die Wohlthätigkeit der Mademoiselle Smith gesprochen hatte?

Das war besonders für mich schwer, mein lieber Petrus, der ich, ich gestehe es Ihnen, kein Mann der Uebergange bin.

Außerdem war ich fast übler Laune, daß man mir so einstimmig das Haus des Herrn Smith, der Madame Smith und der Mademoiselle Smith rühmte, und daß man mir kein Wort über das kleine grüne, rothe und weiße Haus sagte, das drei Hundert Schritte weit von uns entfernt war, und von diesem reizenden Wesen mit blonden Haaren, blauen Augen und rosigen Wangen, neben welchem Mademoiselle Smith zuverlässig nur ein gewöhnliches Frauenzimmer sein mußte.

Diese üble Laune machte, daß ich Abschied von den Landleuten nahm und ganz verdrießlich nach Ashbourn zurückkehrte.

Ach! von Weitem sah ich das dunkle Pfarrhaus in der Nacht: Niemand erwartete mich auf der einsamen Schwelle. Ich hatte den Schlüssel in meiner Tasche, ich machte die Thür auf und ging tappend in der Dunkelheit, indem ich das Feuerzeug und die Schwefelhölzer suchte.

– Ach! armer Williams Bemrode! murmelte ich mit einem Seufzer, als der nach Schwefel riechende Schein längs der Wände des leeren Eßzimmers zitterte.

Die Reste des Mittagsessens befanden sich in dem Speiseschranke, aber ich hatte nicht den Muth, mich an den Tisch zu setzen; meine Lampe in der einen, und ein Stück Brod in der andern Hand, ging ich in das kleine Zimmer hinauf.

Ich machte mein Fenster auf, stellte einen Stuhl daran, und setzte mich.

Dieses Mal eilten meine Blicke über das Dorf weg und gingen geraden Weges nach den Lichtern, welche an dem Horizonte leuchteten. Unter allen diesen Lichtern suchte ich eines, welches in der Richtung des grünen, rothen und weißen Hauses war.

Ein ganz großer dunkler Raum erstreckte sich in. der Richtung, wo es gelegen war.

In diesem ganzen Raume fühlte man, daß die Nacht friedlich herrschte.

Ich konnte mich indessen nicht entschließen, dieses Fenster zu verlassen. Ich zerbrach mein Brod in kleine Stücken, und aß es betrübter Weise, ohne die Augen einen Augenblick lang von dem Punkte abzuwenden, auf den sie geheftet waren. Endlich schlug es Mitternacht, und, da ich keine Hoffnung mehr hatte, das kleine Fenster sich erleuchten zu sehen, so ging ich, nachdem ich einen nach dm andern die wie ein Nachtvogel mit Flügeln von Erz von dem Thurme davon fliegenden Schläge gezählt hatte, hinab und legte mich zu Bett.