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Der Pechvogel

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– Auf morgen.

– Ja, auf morgen.

Und Richard hob Huberte auf um sie in seinen Kahn zu tragen. Valentin riß Challamel die Kette womit er das Schiff festhielt aus den Händen und stieß es mit einem kräftigen Fußtritt ins Wasser zurück.

Die Möve drehte sich mehrere male um sich selbst, gab der Strömung nach, gehorchte ihr langsam, beschleunigte ihre Bewegung, flog pfeilschnell dahin, erschien eine Sekunde lang mitten in der breiten Fläche welche das Wasser beim Hinabsteigen in die Schleuse machte, versenkte sich dann mit demselben im Abgrund, und einige Balken welche die Fluth da und dort schaukelte, waren das Einzige was von der triumphirenden Gölette übrig blieb.

Richard stieß einen furchtbaren Fluch aus.

– Valentin, jetzt ist es an mir zu schwören daß ich Dich morgen tödten werde.

– Es sei, antwortete Valentin, es wird bald morgen werden, aber bis dahin bleibe ich so gut wie Du bei Huberte, und ich will erfahren ob Du mir die Wahrheit gesagt hast.

– Das wollen wir sehen, versetzte der Bildhauer mit einem Hohnlachen.

Zu gleicher Zeit, und trotz der Last mit welcher er beladen war, eilte er querfeldein und entfloh mit solcher Schnelligkeit, daß Valentin, der ihm folgte, ihn im Nebel bald aus dem Auge verlor.

XVII.
Das Zimmer Valentins

—–

Während der Nacht durchlief Valentin die Halbinsel in ihrem ganzen Umfang. Er klopfte an allen Wirthshäusern der umliegenden Dörfer an; aber nirgends fand er Richard, niemand vermochte ihm Aufschluß über den Weg zu ertheilen welchen sein ehemaliger Freund eingeschlagen hatte.

Jede der Strapazen die er seit beinahe vier und zwanzig Stunden, theils in Folge der Hinterlist des Befehlshabers der dahingeschiedenen Möve, theils nach dem Raube Hubertens ausgestanden, hatte auf den Kleidern des Arbeiters ihre Spuren zurückgelassen; sie waren beschmuzt vom Koth, triefend vom Wasser, zerrissen von den Gesträuchen. Der Schmerz der seine Seele zermalmte spiegelte sich aus seiner Physiognomie; aber die sittliche Thatkraft theilte diesem schwächlich scheinenden Körper eine solche Macht mit, daß er, nachdem er überlegt daß der Bildhauer ohne Zweifel das Schiff eines seiner Kameraden benützt habe um in die Stadt zurückzukommen, den Abgang der Wagen nicht abzuwarten beschloß, sondern sich rüstig zu Fuß auf den Heimweg machte. Der Tag begann anzubrechen; breite, rothgelbe Streifen erhoben sich am Horizont über den Hügeln welche die große Stadt einrahmem als der junge Mann sich an dem ungeheuern Zugang befand der in Vincennes beginnt und mit der Barrière du Trone endigt.

Er beschleunigte seinen bereits raschen Schritt; er betrachtete es als Ehrensache daheim zu sein ehe Richard oder seine Zeugen erschienen wären; die Herausforderung welche der Bildhauer an ihn erlassen ertönte in seinen Ohren wie ein tröstendes Todtengeläute. Sie war der Gegenstand aller seiner Gedanken, das Ziel seiner Hoffnungen geworden; er hatte ein Recht darauf zu zählen daß sein alter Freund ihr Folge leisten würde: er kannte ihn als tapfer, denn er hatte ihn in den Julikämpfen an seiner Seite bei der Arbeit gesehen.

Er ging daher nicht in seine Werkstatt, sondern wartete den ganzen Tag hindurch in der Rue Saint-Sabin, konnte aber in seiner fieberhaften Ungeduld keine Minute ruhig bleiben, sondern schritt hastig in seinem Zimmer auf und ab, öffnete und schloß jeden Augenblick das Fenster, und fuhr zusammen so oft es im Haus läutete.

Nicht jedoch als ob Valentins Herz sich wilden Rachegelüsten hingegeben hätte; edle und erhabene Naturen sind niemals großmüthiger als wenn sie leiden. Gleich den kostbaren Metallen, glänzen sie inmitten der Flammen in ihrer ganzen Reinheit.

Welche Qualen er auch erdulden mochte, Valentin sorgte nicht um sich selbst; seine Gedanken waren ausschließlich derjenigen gewidmet die er liebte. Er hielt es gar nicht für möglich daß der Kampf zu seinen Gunsten ausfallen würde: er wünschte es nicht einmal. Sein eigener Tod interessirte Niemand; er würde keinem einzigen Auge eine Thräne entlocken, während er, wenn er selbst Richard tödtete, Hubertens Herz traf. Er war also mit vollkommener Ergebung zum Opfer seines Lebens entschlossen, und in dem Zustand der Niedergedrücktheit welchen die Täuschungen seiner Liebe hervorgerufen, betrachtete er dasselbe als die Ruhe, als den Hafen nach dem Sturm, ja er sann sogar auf Mittel seinen Tod dem jungen Mädchen noch nützlich zu machen. Er zweifelte nicht daran daß die letzte Bitte eines sterbenden Freundes, zumal wenn er von der Hand seines Freundes starb, einen tiefen, heilsamen Eindruck auf den Geist, wo nicht auf das Herz des Bildhauers machen würde. Diese letzte Bitte formulierte Valentin zum Voraus in seinem Kopfe: sie sollte das Glück und die Zukunft des Kindes von Franz Guichard betreffen.

Der ganze Tag verging in dieser Erwartung. Die Schatten glitten an den Häusern entlang hinab; die Nacht kam und Valentin wartete noch immer: Niemand war gekommen, Niemand kam.

Eine Ahnung fuhr ihm durch den Kopf.

Vielleicht war Huberten ein Unglück zugestoßen.

Diese Vermuthung vermochte er nicht zu ertragen. Er ging hastig aus, er lief zu allen Freunden Richards, an alle Orte die derselbe gewöhnlich besuchte, wie er in der vorhergehenden Macht auf der Halbinsel herumgelaufen war; seine Nachforschungen hatten in Paris eben so wenig Erfolg als sie in Varenne gehabt hatten.

Der Montag ist ein Tag welchen die Schiffsleute gewöhnlich ihren Vergnügungen weihen; Valentin begab sich nach Bercy und begann auf den Ouais herumzuschwärmen; er bemerkte in der That das kleine Geschwader das die Seine in allen Richtungen durchkreuzte; er wagte es nicht die darauf befindlichen Personen anzureden; er fürchtete ihre Spöttereien nicht um seiner selbst willen, sondern weil sie nothwendig auf Huberte zurückfallen mußten.

Zuweilen erfaßte ihn tiefe Muthlosigkeit und er sagte zu sich selbst: Wozu diese Nachforschungen? Was soll mein Einschreiten jetzt noch helfen? Liegt es nicht klar am Tage daß er mich nicht belogen hat und daß sie wirklich seine Geliebte ist? Warum eine Gewißheit suchen die mich nur vollends ganz zu Boden drücken kann?

Dann versuchte er sich zu entfernen; er warf sich in eine der Straßen die ins Innere der Stadt zurückführen; aber nach einigen Schritten warf ein unüberwindlicher Wille seinen Reiseplan über den Haufen und er befand sich wieder am Ufer.

So kam er an einen Restaurant dessen Facade beleuchtet war.

Zu diesem Restaurant gehörte eine von riesigen Kastanienbäumen beschattete Terrasse; hinter ihr befand sich ein Garten wo man Orchestermusik hörte.

Dieß war der Ball der Schiffsleute.

Valentin schritt rasch über die Schwelle; aber als er sich dem Tanzsaal näherte, als er das buntscheckige aufgeregte Gewühl bemerkte, da bekam er Angst.

Befand sie sich bereits unter diesem Schwarm?

So viel Naivität, so viel Unschuld, so viele Reize, hatten sie so schnell zu diesem Pandämonium aller Befleckungen und aller weiblichen Laster geführt?

Er schauderte bei dieser Idee; er zitterte daß er Huberte bemerken möchte.

Er flüchtete sich unter die Lindenallee, die ihm verlassen schien.

Am entgegengesetzten Ende vom Eingang bemerkte er, an einem der Tische die unter der Terrassenmauer entlang standen, einen Mann und ein Frauenzimmer.

Er schaute lange hin; seine Augen täuschten ihn nicht; dieser Mann war wirklich Richard und dieses Frauenzimmer war wirklich Huberte.

Valentin wollte gerade auf sie zugehen; er ließ sich, ohne es selbst zu bemerken, von einem jener Wuthanfälle hinreißen denen selbst die Besten sich nicht entziehen können, als er die tiefgreifende Veränderung erkannte welche bloß vier und zwanzig Stunden auf den Zügen des jungen Mädchens hervorzubringen vermocht hatten.

Man hätte sagen können, sie habe an einem einzigen Tag die Frische und Heiterkeit verloren die ihrem Gesicht so großen Zauber verliehen; sie war blaß, ihre Wimpern von Thränen befeuchtet; von Zeit zu Zeit marmorirten sich ihre Wangen, wie wenn das Fieber ihrem Blut den ihm mangelnden Anstoß gegeben hätte, mit blauen Flecken; sie hatte den Kopf auf ihre Hand gestützt, ihr Ellenbogen ruhte auf dem Tisch, gegenüber einem vollen Teller den sie noch nicht berührt hatte, ihre ganze Haltung war so trübsinnig und trostlos, daß Valentins Zorn, der sein Herz angefressen und im ersten Augenblick das Mädchen und den Bildhauer im selben Verlangen nach Rache umfaßt hatte, plötzlich dahinschwand. Ein matter Hoffungsschimmer stellte sich ein; was er vor Augen hatte, das waren weder die Liebe noch die Betäubungen des Lasters; es konnte die Reue sein, aber es konnte auch die Verzweiflung dieser ehrlichen Seele über die Lage sein in weiche sie sich hatte hineinreißen lassen.

Richard sprach mit außerordentlicher Heftigkeit, aber so leise, daß Valentin seine Worte nicht hören konnte. Von Zeit zu Zeit legte er die Hand an seine Brust, als wollte er sein Herz als Zeugen für seine Worte anrufen; endlich hob er, wie ein schwörender Schauspieler, seinen Arm in die Höhe.

Bei dieser Geberde erheiterte sich das Gesicht Hubertens, die ihn bisher mit ziemlicher Gleichgültigkeit anzuhören geschienen hatte; Thränen traten in ihre Augen, ihr Blick wurde mild und sanft;. sie ergriff die Hand des Bildhauers und führte sie mit einem Ausdruck der Dankbarkeit an ihre Lippen.

– Halten Sie Ihre Schwüre, Richard, sagte sie; dann werde ich nicht bloß den Kummer vergessen den Sie mir verursacht haben, sondern ich will auch meinerseits schwören daß niemals ein Mann eine hingebendere und unterwürfigere Frau gefunden haben soll als Sie.

Valentin lauschte nicht länger; er entfloh ohne hinter sich zu blicken.

Noch war er nicht um die Straßenecke gekommen« als er hastige Tritte hinter sich vernahm und seinen Namen laut rufen hörte.

 

Es war ihm als erkenne er die Stimme Richards.

Er hätte zehn Jahre seines Lebens dafür gegeben um ihm in diesem Augenblicke ausweichen zu können; er fühlte daß er diesen Menschen eben so haßte wie er ihn früher geliebt hatte; aber der Bildhauer kam seinem alten Freund immer näher.

– Halt doch! Halt doch! Valentin! rief er; man sollte meinen Du habest Angst vor mir.

Valentin machte plötzlich Rechtsumkehrt und schritt dem Schiffer entgegen, der bald vor ihm stand.

Richard schien so verblüfft, so verlegen, daß Valentin in seiner Seelengröße diese Verlegenheit nicht noch durch die Bemerkung steigern wollte er habe den ganzen Tag auf ihn gewartet.

– Was willst Du von mir? fragte er.

Der Bildhauer zuckte die Achseln.

– Soll dieser Zwist zwischen zwei alten Freunden ewig bestehen? antwortete er; verlangst Du denn durchaus daß wir um eines Mädchens willen einander die Hälse brechen sollen?

– Nein, sagte Valentin mit Anstrengung.

– Um so besser, tausend Stückpforten, denn ich kann jetzt nicht.

– Freut mich daß Du zu bessern Gesinnungen zurückgekehrt bist, Richard.

– Mir brauchst Du nicht dafür zu danken, sondern ihr. . . sie hat mir einen Schwur abgenommen daß ich auf unser Duell verzichte.

– Das ist ziemlich natürlich, sagte Valentin mit Bitterkeit.

– Ja, ich habe mit einem ganzen Geschwader von Schwüren aufrücken müssen; aber auf diesem da bestand sie ganz besonders, fuhr Richard mit seinem gewöhnlichen plumpen Lachen fort.

Valentin war dem Ersticken nahe.

– Im Uebrigen begreifst Du wohl daß dieses Duell auch ohne ihr ausdrückliches Verlangen nicht stattgefunden hätte; ich hätte wahrlich nicht alle die Verpflichtungen vergessen können die ich gegen Dich eingegangen habe.

– Ich erlasse sie Dir, adieu!

– Ei wahrhaftig, sagte Richard mit der majestätischen Herablassung glücklicher Leute, ich will nicht länger dieses Gesicht an Dir sehen das auf eine Meile nach der Morgue riecht; ich erinnere mich noch sehr wohl wie wir einander bei dem großen Contretanz im Juli gegenüberstanden, und daß es in der guten Stadt Paris Pflastersteine gibt ausweichen Dein Blut sich mit dem meinigen vermengt hat. . . Tausend Stückpforten! wenn ich gewußt hätte daß Dir so viel daran läge!

– Und er glaubt sie zu lieben! dachte Valentin« dessen Betrachtung sich durch einen tiefen Seufzer übersetzte.

– Hör einmal, ich will Dir jetzt wiederholen was Du so oft zu mir gesagt hast: Sei ein Mann, was Teufels! Bloß zwei und dreißig Pfund Gußeisen in der Brust sind ein Uebel das keine Abhilfe gestattet; für das warum Du jetzt ein so langes Gesicht schneidest, für das was Deinen Lungen diese Seufzer entlockt bei denen die arme Möve, wenn sie noch am Leben wäre, zehn Knoten schwimmen könnte, weiß ich Mittel genug, und zwar von ausgezeichneter Art. Komm, mach mit mir einen Gang auf den Tanzplatz, so will ich Dir welche von einem famösen Modell zeigen.

– Nein, Richard, nein, laß mich.

– Komm doch, ich versichere Dich, ehe eine halbe Stunde vergeht, wird die Windstille auf den Sturm folgen. Komm; wenn Huberte uns beisammen sieht, so wird sie fest überzeugt sein daß ich Dich nicht umbringen werde, was sie so sehr fürchtete. Vielleicht wird das sie bestimmen auf den Tanzplatz zu gehen, den sie nicht betreten will. Ei so komm, Du sollst sehen daß ich alles Menschenmögliche aufbieten werde um das Leid wieder gut zu machen das ich einem Freund zugefügt habe.

– Ich verlange nur eine einzige Sache von Dir, Richard, sagte Valentin mit ernster und fester Stimme.

– Sprich, es ist zum Voraus bewilligt, auf Männerehre! Ich wollte sagen aus Matrosenehre, denn ich vergaß daß ich jetzt so wenig mehr eine Gölette habe als der erbärmlichste Gendarm.

– Richard, ich will die Worte gebrauchen welche Huberte eben selbst zu Dir sagte: Halte die Schwüre die Du ihr gethan hast, und vielleicht wirst Du, wenn Du einigen Werth auf meine Freundschaft legst, sie eines Tages wieder finden.

Der Bildhauer antwortete einige Augenblicke nicht: diese Phrase Valentins schien seine Reue und seine freundschaftlichen Gesinnungen die er gegen seinen alten Kameraden ausgesprochen hinweggeblasen und sie verscheucht zu haben.

– Ja« antwortete er, indem er seine üble Laune unter dem Schein beleidigten Stolzes zu decken suchte; ja, aber unter der Bedingung daß Niemand sich in meine Angelegenheiten mischt.

– Immerhin, versetzte Valentin, wenn sie nur glücklich ist, so soll mir nichts daran liegen daß ich selbst nichts zu ihrem Glück beitragen konnte; Adieu!

Der Bildhauer beantwortete diesen Abschiedsgruß ziemlich kalt; aber als sein Freund einige Schritte gethan hatte um sich zu entfernen, rief er ihn zurück.

– Apropos, sagte er, morgen werde ich in die Rue Saint-Sabin schicken um meine sieben Sachen holen zu lassen.

– Du brauchst Dir diese Mühe nicht zu geben, antwortete Valentin; ich nehme eine Stelle die man mir in London angeboten hat und kann Dir übermorgen die Wohnung überlassen.

– Wirklich? ah das trifft sich gut, versetzte der Bildhauer, ohne seine Befriedigung verbergen zu wollen, denn die Bottlerei mag sich allerdings für einen Honigmond recht gut schicken, aber sie hat in Wahrheit nichts Olympisches.

Zwei Tage später erschien Richard allein in der Rue Saint-Sabin.

Der Concierge übergab ihm den Schlüssel der Wohnung« mit dem Bemerken sein alter Kamerad sei am Abend zuvor abgereist.

– Der Bildhauer holte sogleich Huberte; die Wohnung der beiden Freunde war von Valentin mit einer Sauberkeit gehalten worden die ihr beinahe etwas Kokettes gab, und Richard empfand eine stolze Zufriedenheit sie dem jungen Mädchen zeigen zu können.

Er führte sie in seine Werkstatt und zeigte ihr alle seine Gypsfiguren, alle seine Anlagen, alle seine Möbel, welche sie mit kindlicher Neugierde betrachtete.

– Wohin geht es da? fragte Huberte, indem sie vor der Thüre stehen blieb die dem Zimmer Richards gegenüberstand.

–– Das ist das Zimmer Valentins, antwortete der Bildhauer, der, wenn er seine Geliebte betrachtet hätte, bemerkt haben würde daß sie die Farbe wechselte; willst Du es sehen?

– Nein, erwiderte Huberte.

– Er hat den Schlüssel stecken lassen; nehmen wir ihn heraus und mißbrauchen wir das Vertrauen der Freundschaft nicht.

Richard versteckte ihn in der Höhlung eines Gypskopfes.

Aber sobald der Bildhauer ausgegangen war, holte Huberte, die sich das Plätzchen gemerkt hatte, den Schlüssel, steckte ihn in das Schloß von Valentins Zimmer, zögerte eine Weile, drehte ihn aber dann, einem gebieterischen Gedanken gehorchend, herum und öffnete die Thüre.

Das Zimmer des Arbeiters war in der größten Unordnung verlassen worden.

Die Schubladen der Commode standen offen; in der Hast der Abreise hatte er steh nicht die Zeit genommen sie wieder zu verschließen.

Das Bett war nicht zum Schlafen benützt worden, aber es war zusammengedrückt, wie wenn Jemand sich ans den Matratzen gewälzt hätte, und aus der Fußdecke befanden sich zahlreiche Beschmutzungen von Straßenkoth.

Vor dem Kamin lag die Gruppe der Brüderschaft in tausend Stücke zertrümmert.

Ohne zu wissen was sie vorgestellt hatten, hob Huberte voll Pietät die Trümmer auf und legte sie dann auf dem Bette aus.

Das Kissen hatte den Eindruck von Valentins Kopf bewahrt. Huberte legte ihre Hand darauf; sie fühlte in der Leinwand eine eigenthümliche Feuchtigkeit; es schien ihr als habe man an dieser Stelle geweint.

Dann sank sie aus ihre Kniee und betete lange.

XIII.
Welcher Abschnitt endet wie der Honigmond in vielen Liebesgeschichten

—–

Richard hatte Alles was er gewünscht, und gleichwohl brachte ihm sein Glück bisweilen weniger Wonnen als er gehofft hatte. Die Erschütterung welche die ganze Existenz Hubertens über den Haufen geworfen, hatte bei ihr einen Eindruck hinterlassen der sich in ihr nicht leicht verwischen zu lassen schien. Während sie bei ihrem Großvater so gerne gelacht und gescherzt hatte, zeigte sie sich jetzt in der Rue Saint-Sabin ernst, schwermüthig und schweigsam; ihre angeborne Sanftmuth hatte sich nicht verändert; aber diese Sanftmuth bot große Aehnlichkeit mit Ergebung dar. Sie, die nie ihre Zeit mit Gedanken verloren hatte, blieb stundenlang düster und vertieft sitzen und ließ ihren Geist in allen Gebieten der Träumerei umherschweifen.

Vergebens holte der Bildhauer das ganze Repertoire seiner Spässe hervor, vergebens bemühte er sich das Gekrähe des Hahnes, das Gebelle des Hundes, das Gezische der Säge, das Gesumme einer Mücke am Fenster nachzuahmen, Kunststücke womit er früher so oft das Zwerchfell der armen Blonden erschüttert hatte; es gelang ihm nicht die leichte Furche von ihrer Stirne zu verwischen welche die Schwermuth bereits darin eingegraben hatte; kaum vermochte er ein Lächeln des Wohlgefallens auf die Lippen des jungen Mädchens zu locken, und auch dann war der Ausdruck dieses Lächelns von der Art daß es nur als eine neue Kundgebung von Traurigkeit erschien.

So wenig Richard erwartet hatte sich bei dieser Gelegenheit in einen Pygmalion umgeschaffen zu sehen, so entsagte er doch nicht sogleich der Hoffnung dieses so plötzlich zu Marmor gewordene Fleisch von Neuem zu beleben. Er versuchte die Coketterie der Blonden anzustacheln; er brachte ihr ein Kleid, einige Juwelen, er wandte sich an ihre bekannte Vergnügungssucht; sie blieb kalt gegen seine Geschenke, gleichgültig gegen seine Vorschläge, die Seide blieb als Stück in der Schachtel, Huberte konnte sich nie entschließen ihn auf den Ball oder ins Theater zu begleiten wie der Bildhauer gewünscht hatte, und als Richard zuletzt, der Sache überdrüssig, sie um jeden Preis aus dieser Erschlaffung zu ziehen suchte, als er sie bat seinen Arm zu nehmen und mit ihm einen sentimentalen Spaziergang aus den Ufern des Kanals zu machen, da sagte sie:

– Später, wenn ich einmal Ihre Frau bin, will ich Alles thun was Sie wünschen; aber jetzt ist es mir als müßte ich vor Scham sterben wenn ich einem Bekannten begegne.

Der Bildhauer runzelte die Brauen und bestand nicht mehr auf seinem Verlangen.

Er befand sich in der Lage eines Menschen der den Vogelgesang liebt und, um ihn recht für sich allein zu haben, die Grasmücke aus seinem Garten im Schlage fängt, sie in den Käfig setzt und sich dadurch für immer des lieblichen Gezwitschers beraubt das die ganze Nachbarschaft erheitert hatte.

Der Künstler mußte sich in dieses Leben zwischen vier Wänden, das nicht in seinen Gewohnheiten lag, ergeben, aber die Neuheit hatte solche Reize für ihn, daß er sich dießmal noch von dem Zauber des Ungewohnten hinreißen ließ. Er fügte sich so ziemlich in das was er bei seiner Geliebten als eine unbegreifliche Krankheit betrachtete, und er begann den Hausvater mit jenem Ernste zu spielen welchen wir ihn entwickeln sahen wenn er den Matrosen der Möve das Manöver commandirte.

Um gegen Richard gerecht zu sein, müssen wir zugeben daß er sich vielleicht nicht einzig und allein von dem Einfluß bestimmen ließ den die Phantasie auf seine Seele ausübte. Er war unfähig lange genug zu überlegen um eine ganz genaue Anschauung von der Lage zu gewinnen die er Huberten geschaffen hatte; aber vielleicht begriff er unbewußt daß sein Verhalten gegen das Fischermädchen ihm ernste Pflichten auferlegte, und ließ sich dadurch zur Erfüllung derjenigen unter diesen Pflichten bestimmen die seinen Instincten am wenigsten widerstrebten.

Immerhin bleibt wahr daß er es acht Tage lang den musterhaftesten aller Ehemänner im Quartier du Marais, das doch durch die ausgezeichnete Feigheit der ehelichen Typen die es der Welt darbietet so berühmt ist, weitaus zuvorthat.

Er war es der am Morgen die Milch in dem blechernen Napf holte; er machte seiner Genossin die Ehre streitig das Feuer in dem großen gußeisernen Ofen anzuzünden der die Werkstatt heizte, und welchem man, seit Huberte die Wohnung bezogen, eine culinarische Bestimmung zuerkannt hatte. Er schämte sich keineswegs seine Anlage zu verlassen um nachdem pot-au-feu zu schauen; er erschien ganz glücklich und ganz stolz wenn er, nachdem er die Suppe in einer großen Schüssel angerichtet die ursprünglich zur Benetzung der Leinwand gedient hatte, sich zu dem jungen Mädchen an einen Tisch setzte, der weit weniger durch den Luxus seiner Gedecke glänzte als durch die sinn- und geistvolle Art wie er, mit Hilfe von allerlei Figürchen aus der Werkstatt, den Mangel aller gastronomischen Utensilien ersetzte die man in den ärmsten Haushaltungen trifft, die eine solche aber welche den Künstler als ihr Haupt anerkannte stets entbehren zu können glaubt.

So angenehm diese Zerstreuungen sind, so wird man ihrer in der Länge doch müde. Bei Richard trat dieß um so schneller ein, als er von Knirps auf Beschäftigungen ertappt wurde die einem Capitän, wenn er auch nur von der Sequanermarine, nicht gerade anstanden; er schälte philosophisch Kartoffeln, während er einem Gericht Bohnen, mit Hammelsbraten der in einem gußeisernen Pfännchen knisterte, die nöthige Aufmerksamkeit widmete. Knirps konnte ein spöttisches Lächeln nicht verdecken. Der Excapitän der Möve warf ärgerlich seine Schalen und das Bossirholz womit er sein Fleisch umdrehte weg, und gab von nun an seiner Genossin die Verrichtungen zurück die ihrem Geschlecht zukommen. Huberte nahm sie wieder mit der Passivität welche sie schon gezeigt hatte als Richard sie an sich gezogen; aber so armselig auch diese Hilfsmittel gegen die lange Weile waren welche den Bildhauer bereits zu quälen anfing, so waren sie doch immerhin besser als gar nichts.

 

Er schlief, er gähnte, er bemühte sich von Neuem die Stirne seiner Geliebten zu entrunzeln; dann als ihm nichts gelungen war, dachte er an die Arbeit als den letzten Nothanker.

Bei einer Natur die so sehr ihren ersten Eingebungen folgt wie Richard, konnte es nicht fehlen daß eine erste Idee, nachdem sie kaum zur Welt gekommen war, alsbald eine zweite erzeugte.

Er wollte also arbeiten; er wollte eine Velleda machen und mit dieser Velleda trinniphirend in die Ausstellung zurückkehren.

Während Richard seine zukünftigen Erfolge in seiner Phantasie berechnete, betrachtete er Huberte mit Aufmerksamkeit,

Der Kummer welcher das junge Mädchen untergrub, hatte ihr bereits den Reichthum der Umrisse geraubt der gegen jede Vergleichung zwischen ihr und der Freundin protestirt hätte.

So wie sie in diesem Augenblicke war, konnte eine vollendete Velleda aus ihr werden.

Richard theilte ihr augenblicklich seinen Plan mit.

Huberte war zu unwissend um etwas von den technischen Ausdrücken zu begreifen womit der Künstler ihr die Schönheiten bezeichnete die er zu benützen gedachte; aber sobald sie die Nothwendigkeiten des Costüms ahnte das zur Rolle der Velleda erforderlich war, empörte sich ihre Sittsamkeit; sie wies seinen Vorschlag zuerst mit Festigkeit, dann mit Entrüstung zurück.

Für diese gerade und ehrliche, von Künstlerspitzfindigkeiten noch nicht verderbte Seele war eine solche eigentliche Darstellung ihrer Formen eine Abscheulichkeit.

Jetzt brach der Sturm der schon seit langer Zeit in Richards Herzen sich angesammelt hatte in seiner ganzen Wuth aus.

Er hatte eine Schlechtigkeit und eine Dummheit begangen; obschon er sich selbst diese Wahrheit noch nicht gestanden hatte, so machte ihn doch das Bewußtsein derselben sehr ärgerlich, und Huberte mußte das Gewicht dieser üblen Laune ertragen.

Mit der prächtigen Naivetät der Egoisten überhäufte er sie mit Vorwürfen; er habe einen Augenblick des Rausches benützt um sie aus dem väterlichen Hause wegzuziehen, nun aber könne er wohl ihr die ganze Verantwortlichkeit einer Verbindung zuschreiben die sein Leben lähme, seinem Genius Fesseln anlege, die Quelle seiner Arbeit vertrocknen mache.

Während er sprach, betrachtete Huberte ihn mit verstörten Augen; sie blieb stumm, unbeweglich, und von Zeit zu Zeit fuhr sie mit der Hand über ihre Stirne, als wollte sie sich versichern daß sie noch lebe und von keinem Traum irre geführt werde.

Richard wartete übrigens keine Antwort von ihr ab; er ging hinaus und schlug die Thüre der Werkstatt heftig hinter sich zu.

Er hatte noch keine zehn Schritte auf der Straße gemacht als sein Gesicht sich wieder erheiterte. Die Freie Luft einathmen, sich am Lärm und an der Bewegung erfreuen, Lebenslust in seinen Adern fühlen, einer Traurigkeit entfliehen von welcher er einen Augenblick geglaubt hatte sie werde ansteckend werden: das war im Grund Alles was er wünschte.

Von diesem Tage an wurde er wieder der Richard aus den schönen Zeiten der Möve.

Er fand alle seine ehemaligen Freunde wieder und nahm alle seine alten Gewohnheiten von Neuem an: er stand spät auf, ging aus und kehrte sehr spät in der Nacht heim.

An den ersten Abenden öffnete er sein Zimmer mit einer gewissen Aengstlichkeit; er erwartete Huberte in Thränen zu finden, ihr Schmollen mit ansehen und ihre Vorwürfe hören zu müssen.

Zu seiner Ueberraschung sagte sie ihm kein Wort über sein langes Ausbleiben. Diese Gleichgültigkeit verletzte zwar seine Eigenliebe ein wenig; aber auf der andern Seite taugte sie so gut zu seinen unabhängigen Neigungen, daß er, wenn er im Grund seiner Seele noch einigen Groll gegen das Mädchen hegte, sich doch wenigstens den Anschein gab als ob er sie nicht bemerkt hätte.

Wir müssen nothwendig erklären wie Huberte zu dieser in ihrer Lage so eigenthümlichen Ergebung gekommen war.

Ein Capitän welcher das Recht hatte sich aus Bravour zu verstehen sagte: Der und der zeigte sieh brav an dem und dem Tag. Was sich aus den Muth der Männer anwenden läßt, ist eben so wahr von der Tugend der Frauen.

Die Natur hat nichts Absolutes gemacht; so aufrichtig diese Tugend sein mag, so kann sie doch den menschlichen Gebrechen, die ihr als Windeln dienen, einen Augenblick nachgeben, ohne daß sie aufhört es zu sein. Ein Augenblick der Schwäche darf nicht gegen sie geltend gemacht werden; die gediegenste Vernunft, die innigste Liebe zum Guten haben jene Stunde gekannt in welcher sie gegen die Erde gebeugt waren wie ein im Sturme ächzender Baum.

Wenn diese Gefühle glücklich genug waren, daß die Versuchung sich nicht just zu dieser Stunde einstellte, so haben sie Widerstand geleistet; sie können Gott danken, aber sie dürfen nicht voll Eitelkeit frohlocken, denn während der Wipfel des Baumes im Sturm sich krümmte und wand, hat eine feindliche Hand ihn in seinen Wurzeln untergraben; er vermochte sich nicht mehr aufzurichten, sondern lag aus dem Boden.

Huberte war nicht so glücklich gewesen: ein armer, vom Sturme gekrümmter Baum, hatte sie sich bis zum Brechen gebogen, und Richard hatte sie beherrschen können als sie nicht mehr sich selbst angehörte, als sie sich ganz ihrer Verzweiflung hingab.

Ihre erste Regung, als sie das Vorgefallene mit kälterem Blut ins Auge faßte, war daß sie ihr Unglück verwünschte, und ihr erster Gedanke war im Tode die Sühnung ihres Fehltrittes zu suchen. Zwei Beweggründe sehr verschiedener Art verliehen ihr die Kraft ihre Stellung zu ertragen. Sie wollte daß um jeden Preis ihr Unglück Valentin nicht das Leben kosten sollte, an welchen sie, seit sie einem Andern gehörte, mit einer für sie selbst überraschenden Gemüthsbewegung dachte.

Richards Versprechungen, woran er es nicht fehlen ließ, verliehen ihr die Hoffnung, daß der Tag der Wiedergutmachung für sie anbrechen könne, und diese Wiedergutmachung war das letzte Glück das sie ihrem armen Großvater wohl schuldete; sie überwand ihren Widerwillen, sie verstand sich dazu bei Richard zu bleiben, sie verweigerte dieses Zusammenwohnen nicht mehr, das einer Verbindung vorhergehen sollte welche er zu einer wirklichen und gültigen zu machen versprach, sobald er die unumgänglichen Förmlichkeiten erfüllt hätte.

Erst als sie zur wirklichen Vollbringung dessen kam was bereits ein Opfer war, bemerkte sie daß sie ihren Kräften zu viel zugetraut hatte, und nun bemächtigte sich ihrer die Schwermuth die wir oben bezeichnet haben.

Sie haßte Richard nicht, sie hätte ihn gerne lieben mögen; sie war erstaunt, dann empört darüber daß ihr Herz sich gegen ihren Willen sträubte; sie kämpfte, aber was sie auch thun mochte, sie war nicht im Stande es zu bändigen. Mit jedem Tag schwanden die liebenswürdigen Eigenschaften die sie bei dem Bildhauer gefunden hatte, eine um die andere dahin, wie die Sterne dahinschwinden wenn die Sonne am Horizont erscheint, und das Gestirn das ihn erblassen machte war eine Gestalt die sich gespenstisch vor dem jungen Mädchen emporrichtete und es mit Schmerz und Bangigkeit zugleich erfüllte: mit Schmerz weil sie aus kein Wiedersehen auf dieser Welt mehr hoffte, mit Bangigkeit weil ihr Liebhaber ihr so oft wiederholt hatte sie sei vor Gott seine Frau, und ihrer Verbindung fehle nichts mehr als die von den Menschen erfundene Bestätigung, daß sie diese Gedanken als ein neues Verbrechen betrachtete.