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Der Pechvogel

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– Du hast Angst, aber Deine Feigheiten werden Dich nicht retten.

Beim Worte Angst zuckte der Prinz von Condé die Achseln und begann ein Liedchen zu pfeifen, indem er die Arme kreuzte und seinen Gegner anschaute.

Als er dann sah daß der Mann verblüfft über diese Kaltblütigkeit stehen blieb, sagte er:

– Nun wohl, auf was wartet Ihr noch? Ermordet mich, da das Eure Absicht ist.

– Nein, ich will Dich nicht ermorden; Du hast eine Flinte, vertheidige Dich; ich bin ein alter Soldat und kein Mörder.

– Das kann Euer Ernst nicht sein, mein lieber Herr, antwortete der Prinz von Condé im Tone der höchsten Verachtung; ein Duell zwischen Euch und mir! Was fällt Euch denn ein?

– Ha! sagte Franz Guichard, welchen unsere Leser nothwendig erkannt haben, so ein vornehmer Herr Sie sind, so wäre es doch nicht das erste Mal daß wir Feuer auf einander gegeben hätten; wir haben in Deutschland gekämpft, als Sie die Republik bekriegten. Sie waren der Feind, ich war Frankreich.

Bei dieser Erinnerung fuhr der Prinz zusammen, seine Lippen wurden weiß, seine Augen luden sich mit Blitzen; er fuhr unwillkürlich mit seiner rechten Hand nach dem Kolben der über seiner Schulter hängenden Flinte, dann aber warf er sie zurück, kehrte dem Fischer den Rücken und machte eine Bewegung um sich zu entfernen.

– Und ich soll Dich gehen lassen? ich soll Dein Verbrechen unbestraft lassen? Nein, nein, Du mußt sterben! Auch Du mußt sterben; mein Weib und meine Kinder müssen gerächt werden. Prinz von Condé, Franz Guichard ist es der Dich tödtet.

So sprechend legte der Fischer seine Flinte an, zielte dem sich umdrehenden Prinzen aus die Brust und drückte los.

Der Hahn schnappte mit einem trockenen Getöne zu, das Pulver der Zündpfanne brannte mit einem leichten Rauche auf, aber der Schuß ging nicht los.

Im Gesichte des Prinzen von Condé hatte keine Muskel gebebt.

Franz Guichard zertrümmerte seine Flinte an einem Eichenstumpf.

Bei diesem Getöse entflogen zwei Fasanen mit ungeheurer Schnelligkeit; der Prinz von Condé hatte seine Flinte ergriffen und auf dieselben angelegt; er schoß nach rechts und schoß nach links.

Eine Wolle von purpurrothen und goldgelben Federn wogte einen Augenblick im Wind und die zwei prächtigen Vögel fielen unter Beschreibung einer krummen Linie.

– Glaubst Du daß ich Dich gefehlt hätte? sagte der Prinz in ruhigem Tone zu dem Fischer.

Hier, fügte er hinzu, indem er eine Börse aus seiner Tasche zog, hier hast Du Gold: entferne Dich ehe meine Leute zurückkommen, und bitte Gott um Verzeihung für das Verbrechen das Du begehen wolltest.

Franz Guichard hatte zu zittern angefangen, seine Kniee wankten als wollten sie unter ihm brechen.

– Mein Gott! rief er, mein Gott! Wie ist es möglich daß Sie zu gleicher Zeit so edelmüthig und so hartherzig sind?

– Hartherzig! sagte der Prinz; zum Teufel, was schwatzest Du mir da vor?

– Daß Sie einem Menschen der Sie ermorden wollte verzeihen, und daß Sie einen Mann aus dem Hause jagen wo seine Kinder geboren wurden, wo seine Frau um die Gnade flehte sterben zu dürfen.

– Weiß ich denn auch nur ob Du eine Frau hast, ob Du Kinder und ein Haus hast? Vor fünf Minuten, mein guter Freund, wußte ich nicht einmal daß Du überhaupt auf der Welt warst.

– O! versetzte der Fischer mit ungläubig fragender Miene, o gnädigster Herr, erinnern Sie sich ein wenig an Franz Guichard.

– Franz Guichard!. . . Wart einmal. . .

Nachdem er sodann einige Secunden seinen Erinnerungen gewidmet, fuhr er fort:

– Ah! Du bist's der meine Fasanen umbringt, Spizbube!

– Ich, gnädigster Herr! Wird denn gar Niemand an meine Unschuld glauben? Ich, gnädigster Herr! Sehen Sie, mein armes Weib ist heute Nacht gestorben; sie steht jetzt vor dem Richterstuhl Gottes; möge er ihr das Paradies verschließen wenn ich Ihnen nicht die Wahrheit sage; ich wollte lieber einen Strick um meinen Hals legen als einen Messingdraht um den Hals eines elenden Kaninchens.

– Ach warum nicht gar? versetzte Herr von Condé; wie ist Dein Vater gestorben?

– Gnädigster Herr, er ist in Folge eines Wilddiebstahls gehenkt worden.

– Wirklich?

– Gnädigster Herr, man rühmt sich nicht damit daß sein Vater am Galgen gehangen, wenn es nicht wahr ist.

– Dieß ist für Dich ein Patent auf Unfehlbarkeit, ich kenne Deine Geschichte und ich werde Dich bei meinen Herrn Waldaufsehern wieder zu Ehren bringen; erzähle mir jetzt was Dir mit ihnen widerfahren ist.

Franz Guichard gehorchte den Prinzen. Als er ihn anflehte ihm die Hütte zu lassen wo, wie er noch diesen Morgen dem Fährmann Mathias geklagt, Alles ihm von den Kindern erzählte die er verloren hatte, da wurden die Augen des letzten der Condés feucht und glänzend.

– Du bist sehr glücklich in Deinem Unglück, sagte er; die Armuth hat Dir die Kraft gelassen Dich mit diesen letzten, erdrückenden Tröstungen zu nähren; ich bin ein Prinz, ich besitze Millionen und ich beneide Dich. Siehst Du dort? fügte er hinzu, indem er mit dem Finger auf ein hohes, düsteres Gemäuer zeigte das zwischen den Bäumen des Horizonts emporragte.Das ist Vincennes. Nun wohl! seit drei Jahren suche ich in meiner Seele vergebens den Muth auf einen Stein seiner Gräben niederzuknieen. Gleichwohl will ich es thun; es scheint mir als ob meine Seele Erleichterung finden würde, wenn ich diese Mauern berührte auf denen seine letzten Blicke geweilt; aber so oft ich mich zu nähern versuche, entfliehe ich mit Entsetzen.

Der alte Condé blieb einige Augenblicke stumm und nachdenklich stehen; endlich! hustete er geräuschvoll um seine Aufregung zu ersticken.

– Hebe dieses Geld auf, fuhr er fort; Du kannst dafür Deiner armen Todten ein Grab geben, was seit einem Vierteljahrhundert vielen Großen der Erde gefehlt hat; in Bezug auf Dein Haus kannst Du ruhig sein, man wird es in Zukunft respectiren.

Franz Guichard ergriff die Hand welche der Prinz ihm hinbot, und bedeckte sie mit seinen Küssen und seinen Thränen.

– Gnädig Herr, sagte er, was kann ich thun um Ihnen meine Dankbarkeit zu beweisen?

– Wenn Du für die Deinigen betest, antwortete der alte Prinz, so mische den Namen des Herzogs von Enghien unter die Namen Deiner Kinder; das ist Alles was ich von Dir verlange.

Der Fischer wollte sich entfernen, der Prinz von Condé rief ihn zurück.

– Einen Augenblick, sagte er; ich habe Dir den Boden geschenkt auf welchem Du kraft Deines revolutionären Rechtes ein Häuschen zu bauen Dir erlaubt hattest.

Da dieser Boden mir gehörte, so habe ich blos von meiner Gewalt als Eigenthümer Gebrauch gemacht; aber Du hast meine Aufseher durchgeprügelt, Du hast einen Gerichtsdiener halb ersäuft, und dafür bist Du Genugthuung schuldig.

– Was verlangen Ew. Hoheit von mir?

– Daß Du mir die Schnepfe wiederfindest welche dieser Einfaltspinsel von Simonneau verloren gehen ließ. Du siehst, ich bin kein sehr strenger Richter.

Franz Guichard begann den Vogel zu suchen und fand ihn auch wieder.

So wurde der Fischer rechtmäßiger Eigenthümer des Häuschens und des Gehäges bei der Fähre von Varenne.

Das so eben erzählte Ereigniß nahm fortan in den Erinnerungen des Franz Guichard einen ähnlichen und gleichbedeutenden Platz ein wie die Belagerung von Mainz bereits darin behauptete; es schloß die Reihenfolge von Erlebnissen welche den ersten Theil seiner Existenz bezeichnet hatten.

So sehr die Seele des Fischers von Sehnsuchtsschmerzen gequält wurde welche die Zeit nicht zu lindern vermochte, so stoßen doch die fünfzehn Jahre die auf den Tod seines Weibes folgten friedlich und eintönig für ihn dahin.

Einen Tag nachdem das von ihm ausgesonnene Verbrechen einen so unerwarteten Ausgang gefunden, geleitete Franz Guichard seine Luise zu ihrer letzten Wohnstätte; er verrichtete am Rande des noch offenen Grabes ein kurzes Gebet, dann ging er heim und verbrachte den Rest des Tages mit der kleinen Huberte in seinem Haus eingeschlossen.

Als er in dieses Zimmer zurückkam, das noch voll von jenem herben Geruche war welchen der Tod hinter sich läßt, hatte er zu weinen angefangen; aber Huberte, welche die letzt verflossenen Tage sehr traurig hingebracht hatte und sich nun an einem zwischen den Bäumen hindurchgleitenden und zu den Fenstern hereindringenden Sonnenstrahl ergötzte, Huberte schleppte sich bis an den Stuhl des Fischers, kroch an seinen Beinen hinauf, setzte sich aus seinen Schooß, begann ihre beiden Händchen in die verwelkten, runzeligen Wangen des Alten einzugraben, zerrte dieselben auseinander, drückte sie wieder zusammen und lachte laut auf über die Grimassen die aus dieser Hin-und herbewegung entstanden.

Franz Guichard wurde böse, aber er hatte nicht so bald die Thränen über die rosigen und marmornen Wangen des Kindes herabfließen gesehen, so vergaß er seinen eigenen Kummer, um nur noch an denjenigen zu denken welchen er diesem unschuldigen Geschöpfchen so eben verursacht hatte; er begriff daß Gott selbst ihn den gemeinsamen Bekümmernissen der Menschheit hatte entziehen wollen; er erkannte die Verpflichtungen welche seine Stellung gegenüber der Waise ihm auferlegten: er ahnte daß er Huberten nicht blos das tägliche Brod, sondern auch all die Zärtlichkeit und sanfte Pflege schuldete welche die vom Himmel ihr entrissenen beiden Mütter ihr gewidmet haben würden.

Guichard nahm die ihm zugefallene Mutterschaft sogleich aufs Ernsthafteste, und nie war eine Frau aufmerksamer und zärtlicher gegen ihr Kind als Franz Guichard gegen seine kleine Enkelin war.

Statt sich noch länger dem Schmerz hinzugeben, nahm er seine Netze und machte sich an seine Arbeit; aber während er seine Köder einsteckte, war er unruhig und voll Bangigkeit: er hatte Huberte allein gelassen; es könnte ihr ein Unfall zugestoßen sein. Das Haus war so nahe beim Wasser und das Wasser so tief. Alles schien ihr Gefahr zu drohen. Dieser Gedanke erfüllte ihn mit Schrecken und frischte zu gleicher Zeit seinen alten Schmerz wieder auf. Seine Bangigkeit wurde immer unerträglicher. Nach zehn Minuten ließ er seine Arbeit liegen, ging nach Hause zurück und verbrachte den Rest des Tages damit daß er im hinteren Theil seines Schiffes ein Plätzchen herrichtete wohin er die Kleine legen konnte, so daß er sie in den seltenen Momenten wo er seine Augen von ihr abwandte in Sicherheit wußte.

 

Von diesem Augenblick an trennte sich Franz Guichard nie mehr von der kleinen Huberte, er entsagte seinen nächtlichen Arbeiten, sonst alter erhielt sie keine andere Wiege als diejenige welche ihr der Fischer mit seiner Axt in die eichene Bank des Nachens geschlagen hatte.

Man wird die unendliche Liebe begreifen die sich auf das Haupt dieses kleinen Wesens und im Herzen des Franz Guichard concentrirte. Huberte faßte für diesen nicht blos die Welt und das Leben, sondern auch alle entschwundenen Seligkeiten zusammen deren lebendiger Zeuge sie war. Ihre Gegenwart ließ nichts vergessen: sie rief den Sehnsuchtskummer zurück, statt ihn zu schwächen; sie gab ihm einen Körper, eine Form, eine Existenz; und diese Erinnerungen, diese Sehnsuchtsschmerzen hätte der Fischer nicht gegen eine Krone vertauscht.

Die äußern Kundgebungen seiner Traurigkeit hatten sich nach dem Verlust seiner Sühne und seiner Tochter verändert; was dieselben hauptsächlich gekennzeichnet hatte, das war die üble Laune, diese Melancholie der Bauern; er war düster, trotzig geworden, und wenn man ihn in den Grabesträumereien störte worin er sich beinahe unaufhörlich gefiel, so wurde er so grimmig daß nur sehr wenige Leute die beinahe wilde Härte seines Blickes ertragen konnten.

Uebrigens häuften sich lange Zeit hindurch diese Gelegenheiten nicht. Bis ins Jahr 1834 blieben die Varenne, die Fähre und Franz Guichard in einer tiefen, beinahe absoluten Einsamkeit.

Gleichwohl hatten die Bewohner von Champigny und Creteil, an welche Franz Guichard sich wegen des Verlaufs seiner Fische wenden mußte, ergriffen von dem stets stummen, aber stets qualvollen Schmerz der auf seinem Gesichte ausgeprägt lag, ihm den Zunamen Pechvogel gegeben.

Im Jahr 1834, wo die Erzählung beginnt zu welcher die vorstehenden Capitel nur die Einleitung bilden, war Franz Guichard, genannt Pechvogel, fünfundsechzig Jahre alt. Trotz der unerhörten Anstrengungen seines rauhen Handwerks hatte sein Körper volle Manneskraft bewahrt; er hielt seinen Oberleib etwas vorgeneigt, aber blos weil er sichs angewöhnt hatte den Rückgrat zu biegen um seinen Rudern Nachdruck zu geben, denn wenn er, in sein Wurfgarn drapirt, seine hohe Gestalt emporrichtete um das Netz weithin zu werfen, so erinnerte er noch an den Schönsten in jener Masterade römischer Kaiser welche Leopold Robert die Fischer der Adria betitelt hat.

In Folge eines sehr logischen Contrastes hatten sich alle Symptome der Hinfälligkeit auf den Kopf und das Gesicht beschränkt, wo mehr Lebensthätikeit und schmerzliche Leiden als rauhe Arbeiten obgewaltet hatten. Die Sonne hatte der Haut des Alten einen fahlen Firniß gegeben, aber ohne Wärme, ohne jene röthlichen Marmorirungen die ihn gewöhnlich begleiteten; war der todte Ton der gebrannten Erde. Einige aderige, veilchenblaue Fäden, durch die Tausende von Falten geschlängelt die sich über seinen Backenknochen und seinen Brauen bildeten, verhinderten nicht daß man unter dem Sonnenbrand eine bei Arbeitern ungewöhnliche Blässe ahnte. Die Augen, fest in Höhlen eingerahmt über welche dichte Brauen herabhingen, waren roth, beinahe blutig. Diese Malzeichen der Verzweiflung worin der Fischer lebte, trugen stark dazu bei seiner Physiognomie jenes wilde Aussehen zu geben das wir bezeichnet haben; sie verschwanden wenn man, bei aufmerksamer Prüfung, sich überzeugte daß mitten in dieser Umgebung der Augenstern, dessen Blau in Grau überspielte, das Gepräge einer Sanftmuth beibehielt die oft bis zur Zärtlichkeit ging.

Huberte, oder vielmehr die Blonde – denn so bezeichnete sie gewöhnlich Vater Guichard, der seines Schwiegersohnes maßlose Verehrung für den Schutzpatron der Jäger nicht theilte – die B l o n d e ging in ihr siebzehntes Jahr.

Ihre ländliche Erziehung war der vorwiegenden Neigung ihrer Natur trefflich zu statten gekommen; sie war groß, von kräftigem Knochengerüst, ohne daß diese Fülle etwas Gemeines oder Plumpes hatte; ihr Wuchs war zwar keineswegs schlank, aber die Entwicklung ihrer Hüften, sowie der freie Sitz ihres Halses verliehen ihrer Tournüre, unter dem Zitskleid das ihre Formen stark anzeigte, etwas Ausgezeichnetes, was man bei den Frauenzimmern ihres Schlags selten vorfindet.

Sie war nicht hübsch, aber man fand sie allerliebst.

Ihre Stirne war etwas niedrig, ihre Nase etwas kurz, ihr Mund groß und unbestimmt in seinen Umrissen; ihr Kinn stand, wie bei den Träumern und schwachen Leuten, ein wenig zurück; die Sonne hatte ihr eine Schichte von jenem Rußbraun aufgelegt womit sie sich gegen Franz Guichard so verschwenderisch gezeigt hatte. Gegen Alles das war, wie man sieht, viel einzuwenden; aber nur ein Weib wäre auf die Idee gekommen seine Zeit mit dieser strengen Analyse zu verlieren. Ein Mann würde sich begnügt haben dieses lachende und aufgeweckte Gesicht, diesen Kranz von goldenen und gewellten Haaren, deren Spiralen unter dem Madrastüchlein hervorbrechen das sich vermaß sie gefangen halten zu wollen, diese beweglichen, blaßrothen Nasenflügel, welche Leben und Freude zugleich zu athmen schienen, diese frischen, jungen, fröhlichen Lippen, die zweiunddreißig Perlen zeigten wenn sie sich in einem Lächeln erschlossen, zu bewundern; er würde ihr nicht die goldenen Schattierungen ihrer Wangen vorgeworfen haben, wenn er unter der Falte des Halstüchleins ein Fleisch entdeckte dessen Weiße gegen die Farben derjenigen Theile abstach und protestierte welche man den Unbilden der Jahreszeiten preisgegeben hatte.

Huberte liebte ihren Großvater über Alles. Der arme Pechvogel hatte sichs zum Gesetz gemacht das Kind in seine Bekümmernisse nicht einzuweihen bevor es zehn Jahre zählte. Wenn Franz Guichard in den Ergießungen seiner der Vergangenheit zugekehrten Zärtlichkeit Thränen über sie vergaß, während er sie an sein Herz drückte, so erklärte die Blonde diese daher, weil sie die Einsamkeit seiner Hütte für ihn bevölkere; aber als sie heranwuchs, regte sich ihr Scharfblick, sie forschte nach den Ursachen der beständigen Melancholie ihres Großvaters, sie entdeckte was in seiner Seele vorging; die Leichenhymne welche das Herz dieses Gatten und Vaters sang gelangte bis zu ihr, und im Drang ihrer Dankbarkeit und innigen Gefühle unternahm sie es gegen die Muthlosigkeit und Verzweiflung anzukämpfen unter deren Gewichte er sonst, wie sie fürchtete, hätte erliegen können. Dieser Kummer ihrer Jugend verhinderte sie die Folgen der abscheulichen Erziehung zu empfinden welche Franz Guichard ihr gab, oder vielmehr des gänzlichen Mangels an Erziehung worin er sie ließ, weil er ihr nichts Anderes beibringen wollte als die Kunst die Hamen zu ködern, die Angeln zu entwirren, Netze zu flicken und einen Nachen gehörig zu tummeln. Sie unternahm es die Stirne des armen Mannes zu entrunzeln und sie widmete sich dieser Aufgabe vollständig. Zu diesem Behuf drängte sie in ihre Seele die angeborne Melancholie zurück, welche man so oft bei Mädchen findet die schon in früher Kindheit Waisen geworden. Sie wurde heiter, sie bemühte sich ihren Großvater in den Rundtanz hineinzureißen welchen ihre Einbildungskraft und ihr Geplauder beständig um ihn her aufführten; das Lachen wurde stereotyp auf ihrem Munde, und es verging kein Tag wo nicht die Echos der Marnehügel von ihrem fröhlichen Singen und Rufen erschollen.

Der Plan welchen diese kindliche Liebe sich vorgesetzt, war dem Gelingen nahe.

Nach den siebzehn Jahren an deren Ende wir unsere Personen wiederfinden, lebten Luise, die zwei jungen Soldaten und die Frau des Aufsehers noch immer im Herzen des Fischers, doch begann er sich von der feierlichen Insichgekehrtheit abbringen zu lassen, worin er diese theuren Phantome so gerne betrachtete; er unterhielt sich weniger oft mit seinen Todten, und seine Gespräche mit der Blonden erhielten einen Zauber der über allen Willen und Entschluß obsiegte; die Schmerzensrolle die er sich auferlegt verschwand nach und nach, und er überließ sich allmählig dem Glück der Gegenstand dieser kindlichen Schmeicheleien, dieser närrischen Zärtlichkeiten, dieser jeden Augenblick sich erneuernden Aufmerksamkeit von Seiten eines allerliebsten jungen Geschöpfes zu sein.

Das Glück ist der wahre Strom der Vergessenheit.

Das Verhängniß wollte daß Huberte den Zweck nicht erreichen sollte den sie sich vorgesetzt hatte.

Der Prinz von Condé war gestorben. Die Varenne wurde aus einer fürstlichen Domaine ein Speculantenbesitzthum; die schwarze Bande hatte sich über die Verhaue, die Ebenen und Heiden der Halbinsel herniedergelassen; sie verpachtete die Jagd an ehrliche Bürgersleute, bis einmal der Augenblick kam das herrschaftliche Gut mit Schnabel und Klauen zu zerhacken und allen Zufällen des Aufstreichs preiszugeben.

Schon vom frühesten Morgen an bedeckte sich Wald und Feld mit Herren in Sammetröeken und ledernen Kamaschen nebst Jagdtaschen und Flinten; deßgleichen mit Hunden von allen irgendwo beschriebenen Arten, weißen, schwarzen, grauen, rothen, und diese Bande verbreitete Angst und Schrecken unter der ganzen bestellten und befiederten Bevölkerung der Gegend.

Das bekümmerte unsern Pechvogel wenig.

Aber zu gleicher Zeit begannen auch Abenteurer aus der Vorstadt die ihre wöchentlichen Forschungen bisher auf Saint-Maux beschränkt hatten, angelockt durch die Gerüchte welche, nicht über die Schönheit der Lage, über den Glanz der Wasser in der Varenne, sondern von den fabelhaften Entwicklungen der Wasserbevölkerung, von den beschuppten und mit Floßfedern versehenen Geschöpfen, über welche Franz Guichard bisher als Tirann geherrscht hatte, zu verlauten anfingen, solche Abenteurer begannen auf beiden Ufern der Marne sich zu zeigen.

Von Zeit zu Zeit wenn er sein Schiffchen sanft dahingleiten ließ, ohne daß seine Ruder einen Lärm machten, ohne daß das Kielwasser des Fahrzeugs die Wasserfläche träufelte, sah der gute Mann mitten aus einem Weidengebüsch ein langes Rohr hervorragen; am einen Ende dieses Rohrs hing ein seidener oder härener Faden an welchen ein Pfropf gebunden war; am andern Ende entdeckte er einen Herrn der alle Intelligenz welche der liebe Gott dem König der Schöpfung zugetheilt darauf concentrirte, um den telegraphischen Signalen zu folgen welche dieser Anzeiger der Gefrässigkeit des Fisches auf dein nassen Spiegel machen könnte.

Im Gegensatz zu ihren Collegen in der Ebene, boten die Liebhaber der Ufer dem Auge eine große Mannigfaltigkeit dar; die Einen erschienen in der Blouse, die Andern im Camisol, Einige in Hemdärmeln, Andere im Frack, gleich als ginge es zu einer Hochzeit. Nur die Gesichter schienen eine Uniform zu tragen.

Die Angelfischerei ist die negativste von allen Leidenschaften; die Haupttugend der Jünger dieser Kunst heißt Geduld. Uebertriebene Beschäftigung damit erlöscht zuletzt die Thätigkeit des menschlichen Blickes, indem sie ihm Etwas von der Schlaffheit mittheilt welche das Auge der von dem Fischer ersehnten Beute kennzeichnet; zu gleicher Zeit lähmt sie auch alle ausdrucksamen Muskeln des Gesichtes. So verschieden zwei Angelfischer unter sich sein mögen, so findet sich doch auf ihren Gesichtern immer eine Seite welche starke Vergleichungspunkte darbietet: sie haben es so weit gebracht daß sie eine Abart in der menschlichen Species darstellen.

Unglücklicher Weise errangen die Ersten die sich auf diesen jungfräulichen Boden gewagt hatten schöne Erfolge.

Je geringfügiger microscopischer sogar das Ziel ist welches der Mensch anstrebt, um so mehr bemüht er sich es zu heben, um es auf das Niveau des Stolzes zu stellen von welchem er sich nie vollständig losmachen kann. Der Fischer und der Jäger legen auf das Bülletin ihres Ruhmes ebenso viel Gewicht wie ein General auf die Großthaten seiner Armee; beide erzählen ihre Heldenstücke mit dem gleichen Bombaste.

In den kleinen Cafes und Weinkneipen des Faubourg Saint-Antoine nahmen diese Heldenthaten homerische Verhältnisse an; die Gründlinge die man in Varenne aus der Marne zog, wogen nie weniger als ein halbes Pfund; von den Karpfen die entwischt waren erzählten die Helden dieser Darstellungen, sie würden, wenn nicht unter den Wechselfällen dieses Kampfes die Angelschnur zerrissen wäre, unfehlbar sie selbst in den Fluß hinabgezogen haben: der Fisch hätte um ein Haar den Fischer gefangen.

Die Zuhörer ließen sich durch die phantastische Färbung verlocken die man diesen Erzählungen gab; sie träumten beim Heimgehen von diesen pantagruelischen Mateloten und homerischen Pfannenvoll, und am folgenden Sonntag schlugen sie den Weg ein welchen die kühnen Plänkler vorgezeichnet hatten.

 

Noch unglücklicher fügte es sich daß, während das einen Augenblick erheiterte Gesicht Pechvogels sich von Neuem verdüsterte, Mathias der Fährmann immer freundlicher und vergnügter wurde.

Mathias hatte keine Poesie im Herzen; er hegte keinen höheren Wunsch in der Welt als daß die Zahl seiner Fahrkunden sich vermehren, die Einsamkeit von Varenne sich bevölkern möchte; Gläsergeklirre, Trinklieder und sogar betrunkenes Gestammel gingen ihm über Alles, Besonders wenn er seinen baaren Nutzen daraus ziehen konnte.

Am Tage wo der erste dieser Pioniere der Civilisation mit lüsternem Auge auf die Fähre und ihre Umgebung geschaut, hatte Mathias, um die Gelegenheit nicht zu versäumen, eine mit ihren Zweigen versehene Tanne vor seinem Hause aufgepflanzt, einem Weingärtner von der Anhöhe drei Flaschen blauen Wein abgekauft, von einem Keßler in der Rue de Lappe ein halb Dutzend alter Castrole erstanden, sein Ehegemahl keck in eine berühmte Köchin umgewandelt und an seine Mauer folgenden trügerischen Schild geschrieben:

Zum Stelldichein der geschickten Fischer.

Mathias, Weinwirth und Fischer.

Gibt Trinkgelage und Festmahle, Mate-
loten und gebackene Fische

Salons und Gesellschaftscabinete.

Alles war erlogen in dieser Ankündigung, aber Mathias hatte ihre Wirksamkeit geahnt.

Die seinem Namen angehängte Bezeichnung als Fischer prangte in dreifachen Hauptbuchstaben; auf sie hatte er, in Folge seiner Beobachtungen über den Lieblingsgeschmack der Gäste die er von der Vorsehung erflehte, hauptsächlich gerechnet um sein Glück zu machen. Er ahnte die Seligkeit von Leuten die nur gelegentlich, zum Zeitvertreib, ein Geschäft trieben, wenn sie sich mit wirklichen Männern vorn Fach reiben und ihnen die Hände drücken dürfen. Ueberdieß gab das Beiwort deutlich genug zu verstehen daß ein unglücklicher Liebhaber jederzeit Gelegenheit finden würde seinen Korb gegen billigen Preis mit Trostmitteln zu füllen.

Um die Wirksamkeit seines Schildes noch zu erhöhen, ersuchte er seinen Nachbar Guichard seine Netze und Garne aller Art vor der neuen Herberge trocknen zu lassen; Mathias hatte auf diese Inscenirung gerechnet um seine Kunden lüsterner zu machen.

Es versteht sich von selbst daß Franz Guichard diese Zumuthung mit Entrüstung zurückwies; er nahm sie zum Vorwand um mit seinem alten Freunde zu Brechen, dessen Vorliebe für die Fremden ihn empört hatte.

Aber der Ruf der Varenne als Ziel eines Spazierganges und als Schauplatz wunderbarer Fischzüge begann sich zu begründen. Einige Stadtleute, Familienväter ließen sich von ihren Weibern und Kindern auf ihren Ausflügen begleiten; bald kamen die Spaziergänger in Dutzenden von Saint-Maux her; jeden Sonntag mußte Mathias neue Verlängerungen zu den Tischen anfügen die er aus ungewaldrechtetem Holze zugehauen und am Ufer aufgepflanzt hatte. An Sonn- und Feiertagen wiederhallte dieser einst so friedsame kleine Winkel von Geschrei, Gesang, manchmal auch von Zänkereien, und eines Tage endlich als Franz Guichard in Begleitung der Blonden, die einen Armvoll Netze auf ihrem Kopfe trug, zum Fischen auszog, wandte sich diese gegen ihn und sagte:

– Ei sieh doch, Vater, was sind das für Leute da?

Pechvogel bemerkte drei Männer von denen der Eine ein Stadtherr, die beiden andern aber Maurer zu sein scheinen. Mit einer eisernen Kettenlinie maßen sie das Terrain ab welches zum Gehäge des Fischerhäuschens gehörte.