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Die beiden Dianen

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Frau Diana konnte sich eines ungläubigen Lächelns vor diesem heldenmüthigen Vertrauen eines jungen Mannes nicht erwehren, das sie nicht kannte und nicht zu begreifen vermochte.

»Ich verstehe Euer Lächeln, Madame,« sprach Gabriel mit einem schwermüthigen Blick. »Ihr glaubt, ich werde dieser großen Aufgabe unterliegen, nicht wahr? Mein Gott! das ist möglich. Es ist möglich, daß meine Ahnungen mich trügen. Doch dann werde ich sterben! Ja, Madame, ja, Sire, wenn die Feinde vor Ablauf von acht Tagen in Saint-Quentin eindringen, so lasse ich mich auf der Bresche der Stadt tödten, die ich nicht zu vertheidigen im Stande gewesen bin. Gott, mein Vater und Ihr könnt nicht mehr von mir verlangen. Mein Geschick wird dann in dem Sinne in Erfüllung gegangen sein, den der Herr gewollt hat: mein Vater wird im Kerker sterben, wie ich auf dem Schlachtfelde sterbe, und Ihr werdet natürlich zu gleicher Zeit von der Schuld und dem Gläubiger befreit sein.«

»Was er sagt, ist wenigstens richtig!« flüsterte Diana dem nachdenkenden König ins Ohr.

Dann sprach sie zu Gabriel, während Heinrich immer noch sein träumerisches Stillschweigen beobachtete:

»Ist es in dem Fall, daß Ihr unterliegen und Euer Werk unerfüllt lassen würdet, mein Herr, nicht schwer anzunehmen, es werde Euch kein Erbe, Eurer Schuldforderung, kein Vertrauter Eures Geheimnisses überleben?«

»Ich schwöre Euch bei dem Heile meines Vaters, daß, wenn ich sterbe, Alles mit mir sterben, und daß Niemand das Recht oder die Macht haben wird, Seine Majestät hierüber zu belästigen. Ich unterwerfe mich zum Voraus den Plänen Gottes, wie Ihr, Sire, seinen Dazwischentritt anerkennen müßt, wenn er mir die erforderliche Kraft verleiht, mein großes Vorhaben zu erfüllen. Sterbe ich, so spreche ich Euch von jeder Verbindlichkeit, sowie von jeder Verantwortung, wenigstens gegen die Menschen, frei; denn die Rechte des Allerhöchsten sind unverjährbar.«

Heinrich bebte; doch diese von Natur unentschlossene Seele wußte nicht, wozu sie sich entscheiden sollte, und der schwache Fürst wandte sich gegen Frau von Poitiers, als wollte er von ihr Rath und Beistand fordern.

Diese begriff seine Unentschlossenheit, an welche sie übrigens gewöhnt war, und sprach mit einem seltsamen Lächeln:

»Ist es nicht Eure Ansicht, Sire, daß wir an das Wort von Herrn d’Ermès, der, wie mir scheint, ein redlicher und ganz ritterlicher Edelmann ist, glauben müssen? Ob seine Bitte begründet ist oder nicht, weiß ich nicht, und das Stillschweigen Eurer Majestät in dieser Hinsicht erlaubt weder mir, noch irgend Jemand, etwas zu behaupten, und läßt alle Zweifel hierüber bestehen. Doch nach meiner unmaßgeblichen Ansicht, Sire, kann man ein so edles Anerbieten nicht zurückweisen, und wenn ich an Eurer Stelle wäre, so würde sich Herrn d’Ermès mein königliches Wort verpfänden, daß ich ihm, wenn er seine heldenmüthigen und abenteuerlichen Versprechungen verwirklicht, jede Gnade bewilligen werde, die er dagegen verlangen dürfte.«

»Ah! Madame, das ist Alles, was ich wünsche!t« sprach Gabriel.

»Doch noch ein letztes Wort,« sagte Diana, indem sie ihren durchdringenden Blick auf den jungen Mann heftete: »Wie und warum habt Ihr Euch entschlossen, von einem Geheimniß, das mir wichtig zu sein scheint, vor einer Frau zu sprechen, welche vielleicht ziemlich indiscret und, wie ich denke, diesem ganzen Geheimniß völlig fremd ist?«

»Ich hatte zwei Gründe, Madame,« antwortete Gabriel mit vollkommener Kaltblütigkeit »Einmal dachte ich, es könnte und müßte kein Geheimniß für Euch im Herzen Seiner Majestät bestehen. Ich theilte Euch also nur mit, was Ihr später erfahren hättet, oder schon wußtet. Sodann hoffte ich, was auch geschehen ist, Ihr würdet die Gnade haben, mich beim König zu unterstützen, Ihr würdet ihn antreiben, mich zu dieser Prüfung abzusenden, und Ihr, eine Frau, würdet abermals, wie Ihr es stets sein mußtet, auf der Partei der Milde sein.«

Es wäre dem aufmerksamsten Beobachter unmöglich gewesen, in dem Tone von Gabriel die geringste ironische Absicht, und in seinen unempfindlichen Zügen das mindeste Lächeln der Verachtung herauszufinden Der durchdringende Blick von Frau Diana verlor hier seine Mühe.

Sie erwiderte das, was im Ganzen ein Compliment sein konnte, durch eine leichte Verbeugung des Kopfes.

»Erlaubt mir nun eine Frage,« sprach sie sodann. »Es ist nur ein Umstand, der meine Neugierde reizt. Wie könnt Ihr, der Ihr noch so jung, im Besitze eines achtzehnjährigen Geheimnisses sein?«

»Ich werde Euch um so lieber antworten, »Madame, sprach Gabriel ernst und düster, »als meine Antwort dazu dienen soll, Euch von dem Dazwischentritt Gottes bei dem Allem zu überzeugen. Ein Stallmeister meines Vaters, Perrot Avrigny, der bei den Ereignissen, welche das Verschwinden des Grafen herbeiführten, getödtet wurde, ist mit der Erlaubniß Gottes aus seinem Grabe erstanden und hat mir das, was ich Euch gesagt habe, mitgetheilt.«

Bei dieser Antwort, welche mit feierlichem Tone gegeben wurde, richtete sich der König bleich und mit keuchender Brust hoch auf, und selbst Frau von Poitiers konnte sich, trotz ihrer stählernen Nerven, eines Schauers nicht erwehren. In jener abergläubischen Zeit, wo man gern an Erscheinungen und Gespenster glaubte, mußte das Wort von Gabriel, mit der Ueberzeugung der Wahrheit gesprochen, in der That furchtbar für zwei geängstigte Gewissen sein.

»Das genügt, mein Herr,« sprach der König hastig und mit bewegter Stimme, »ich bewillige Euch Alles, was Ihr von mir verlangt. Geht! geht!«

»Ich kann also auf der Stelle, dem Worte Eurer Majestät vertrauend, nach Saint-Quentin aufbrechen?« versetzte Gabriel.

»Ja, reist, mein Herr,« sprach der König, der trotz der ermahnenden Blicke von Diana große Mühe hatte, sich von seiner Unruhe zu erholen, »reist auf der Stelle ab, thut, was Ihr uns versprochen habt, und ich gebe Euch mein Ehrenwort als König und Edelmann, daß ich thun werde, was Ihr wollt.«

Gabriel verbeugte sich mit freudigem Herzen vor dem König und vor der Herzogin, und ging dann hinaus, ohne ein Wort zu sprechen, als hätte er, nachdem er erlangt, was er wünschte, keine Minute mehr zu verlieren.

»Endlich ist er fort!« sprach Heinrich, indem er, wie von einer ungeheuren Last befreit, athmete.

»Sire,« sagte Frau von Poitiers, »beruhigt und bewältigt Euch. Ihr hättet Euch beinahe vor diesem Menschen verraten.«

»Es ist nicht ein Mensch, Madame, es ist meine Reue, welche lebt, es ist mein Gewissen, welches spricht,« erwiderte der König.

»Wohl, Sire,« versetzte Diana, die sich wieder erholte, »Ihr habt Recht gehabt, diesem Gabriel seine Bitte zu bewilligen und ihn dahin zu schicken, wohin er geht; denn wenn ich mich nicht sehr täusche, wird Eure Reue vor Saint-Quentin sterben und Ihr werdet von Eurem Gewissen frei sein.«

Der Cardinal von Lothringen kehrte in diesem Augenblick mit dem Briefe zurück, den er an seinen Bruder geschrieben hatte, und der König fand nicht Zeit, zu antworten.

Als Gabriel mit leichtem Herzen vom König wegging, hatte er nur einen Gedanken in der Welt, und nur einen Wunsch: voll Hoffnung diejenige wiederzusehen, welche er voll Angst verlassen hatte; Diana von Castro Alles zu sagen, was er nun von der Zukunft erwartete. und aus ihren Blicken den Muth zu schöpfen, dessen er so sehr bedürfen sollte.

Er wußte, daß sie in ein Kloster gegangen war, doch in welches Kloster? Ihre Frauen waren ihr vielleicht nicht gefolgt, und er wandte sich nach der Wohnung, die sie früher im Louvre inne gehabt hatte, um Jacinthe zu befragen.

Jacinthe hatte ihre Gebieterin begleitet; doch Denise, die zweite Kammerfrau, war geblieben, und sie empfing Gabriel.

»Ah! Herr d’Ermès,« rief sie, »seid willkommen! Bringt Ihr mir zufällig Nachricht von meiner guten Gebieterin?«

»Ich komme im Gegentheil, um bei Euch mich zu erkundigen, Denise,« erwiderte Gabriel.

»Ah! heilige Jungfrau! ich weiß ganz und gar nichts, und Ihr seht mich gerade sehr beunruhigt.«

»Und warum diese Unruhe, Denise?« fragte Gabriel, der selbst sehr unruhig zu werden anfing.

»Wie!« versetzte die Zofe, »Ihr wißt ohne Zweifel nicht, wo sich Frau von Castro befindet?«

»Ich weiß es durchaus nicht, Denise, und hoffte es von Euch zu erfahren.«

»Jesus! gnädiger Herr, hat sie sich nicht vor einem Monat entschlossen, den König um Erlaubniß zu bitten, sich ins Kloster zurückziehen zu dürfen?«

»Dies ist mir bekannt, hernach?«

»Hernach! das ist gerade das Furchtbare, denn wißt Ihr, welches Kloster sie gewählt hat? das der Benedictinerinnen, dessen Superiorin ihre alte Freundin, Schwester Monica, ist, in Saint-Quentin, gnädiger Herr! in Saint-Quentin, welches gegenwärtig belagert wird, oder gar schon von diesen heidnischen Spaniern und Engländern genommen worden ist. Sie war noch nicht vierzehn Tage dort angekommen, gnädiger Herr, als die Belagerung des Platzes begann.«

»Oh!« rief Gabriel, »in dem Allem ist der Finger Gottes, er belebt immer den Sohn durch den Liebenden und verdoppelt so meinen Muth und meine Kräfte. Ich danke, Denise, das ist für Deine gute Auskunft,« fügte er bei, indem er ihr eine Börse in die Hände legte. »Bete zu Gott für Deine Gebieterin und für mich.«

Eiligst ging er hierauf in den Hof des Louvre hinab, wo Martin-Guerre seiner harrte.

»Wohin gehen wir nun, gnädiger Herr?« fragte ihn der Stallmeister.

»Dahin, wo die Kanone donnert, Martin, nach Saint-Quentin! nach Saint-Quentin! wir müssen übermorgen dort sein und brechen in einer Stunde auf, mein Braver.«

»Ah! desto besser!« rief Martin. »O großer heiliger Martin, mein Patron,« fügte er bei, »ich will mich noch darein fügen, daß ich ein Täufer, Spieler und Unzüchter bin. Doch ich würde mich, das sage ich Euch zum Voraus, mitten durch die feindlichen Bataillons stürzen, wenn ich je feig wäre.«

V.
Jean Peuquoy, der Weber

Es fand im Rathhause der Stadt Saint-Quentin eine Versammlung der militärischen Häupter und bürgerlichen Notabilitäten am 15. August statt. Die Stadt hatte sich noch nicht übergeben, doch man sprach stark von Uebergabe. Die Leiden und die Entblößungen der Einwohner hatten den höchsten Grad erreicht, und da sie ihre Stadt nicht mehr zu retten hoffen durften, da sich der Feind derselben einen Tag früher oder später bemächtigen mußte, war es nicht besser, wenigstens so viel Elend abzukürzen?

 

Gaspard von Coligny, der muthige Admiral, den der Connétable von Montmorency, sein Oheim, mit der Vertheidigung des Platzes beauftragt hatte, wollte den Spanier nur bei der äußersten Nothwendigkeit einlassen. Er wußte, daß jeder Tag Aufschub, so schmerzlich er auch den armen Belagerten war, die Rettung des Königreiches sein konnte. Doch was vermochte er gegen die Entmuthigung und das Gemurre einer ganzen Bevölkerung? Der Krieg außen gestattete keine Chancen eines Kampfes im Innern, und wenn die Bewohner von Saint-Quentin sich eines Tags weigerten, die Arbeiten zu verrichten, die man von ihnen ebenso gut, als von den Soldaten verlangte, so wurde jeder Widerstand unnütz, und man hatte nur noch Philipp II. und seinem General Emanuel Philibert von Savoyen die Schlüssel der Stadt und den Schlüssel von Frankreich zu übergeben.

Doch ehe es so weit kam, wollte Coligny einen letzten Versuch machen, und deshalb hatte er diese Versammlung der Vornehmsten der Stadt zusammenberufen, welche uns vollends über den verzweifelten Zustand der Festungswerke und besonders über den Zustand des Muthes, dieses besten Festungswerkes, belehren wird.

Auf die Rede, mit der der Admiral die Sitzung eröffnete, indem er an die Vaterlandsliebe derjenigen appellierte, welche ihn umgaben, antwortete man nur durch ein düsteres Stillschweigen. Dann rief Gaspard von Coligny unmittelbar den Kapitän Oger, einen von den braven Edelleuten auf, die ihm gefolgt waren. Er hoffte, mit den Officieren beginnend, die Bürger zum Widerstand nachzuziehen. Doch die Ansicht des Kapitän Oger war leider nicht die, welche der Admiral erwartete.

»Da Ihr mir die Ehre erweist, mich um meine Meinung zu fragen, Herr Admiral,« sprach der Kapitän, »so werde ich sie Euch mit Betrübnis, aber offenherzig sagen. Saint-Quentin kann nicht länger widerstehen. Wenn wir die Hoffnung hätten, uns nur acht Tage, nur vier Tage, nur zwei Tage zu halten, so würde ich sagen: »Diese zwei Tage können der Armee gestatten, sich hinter uns zu organisieren, diese zwei Tage können das Vaterland retten, lassen wir die letzte Mauer und den letzten Mann fallen, und ergeben wir uns nicht.« Doch ich bin überzeugt, daß der erste Sturm, der vielleicht in einer Stunde stattfindet, uns dem Feinde preisgeben wird. Muß man es also nicht vorziehen, da es noch Zeit ist, durch eine Capitulation das zu retten, was sich von der Stadt retten läßt, und wenn wir die Niederlage nicht vermeiden können, wenigstens die Plünderung zu vermeiden?«

»Ja, ja, so ist es; gut gesprochen, das ist der einzige vernünftige Beschluß, den man fassen kann,« murmelte die Versammlung.

»Nein, nein, meine Herren,« rief der Admiral, »es handelt sich hier nicht um die Vernunft, sondern um das Herz. Daß ein einziger Sturm den Spanier in den Platz bringen soll, während wir schon fünf zurückgeschlagen haben, kann ich übrigens nicht glauben. Sprecht, Lauxford, Ihr, der Ihr die Leitung der Arbeiten und der Gegenminen habt, nicht wahr, die Festungswerke sind in hinreichend gutem Zustand, um noch lange zu halten? Sprecht offenherzig, macht die Dinge nicht besser und nicht schlimmer, als sie sind, wir haben uns versammelt, um die Wahrheit kennen zu lernen, und die Wahrheit ist es, was ich fordere.«

»Ich will sie Euch also sagen,« sprach der Ingenieur Lauxford, »oder vielleicht die Umstände werden sie Euch besser als ich und ohne Schmeichelei sagen. Hierzu wird genügen, daß Ihr mit mir im Geist die verwundbaren Punkte der Wälle untersucht. Herr Admiral, vier Thore sind zu dieser Stunde dem Feinde geöffnet, und ich wundere mich, wenn ich es gestehen soll, daß er noch nicht davon Gebrauch gemacht hat. Erstens ist auf dem Boulevard Saint-Martin die Bresche so breit, daß zwanzig Mann neben einander durchpassiren können. Wir haben dort mehr als zweihundert Mann, lebende Mauern, verloren, welche jedoch nie die steinernen Mauern werden ersetzen können. An der Porte Saint-Jean steht nur noch der große Thurm, und der beste Theil des Mittelwalles ist niedergerissen. Wohl ist dort eine ganz geschlossene und zugerüstete Gegenmine, doch ich befürchte, wenn man sie gebrauchen will, wird sie den großen Thurm einstürzen machen, der noch allein die Angreifenden im Schach hält, während seine Trümmer ihnen als Leitern dienen würden. Im Flecken Remicourt haben die Laufgräben der Spanier die Rückseite des Grabens durchbrochen, und sie haben sich dort unter dem Schutze einer Blendung festgestellt, unter der sie die Mauern ohne Unterlaß angreifen. Ihr wißt endlich, Herr Admiral, daß die Feinde auf der Seite des Faubourg d’Ile nicht nur Herren der Gräben, sondern auch des Boulevard und der Abtei sind, und daß sie sich dort so gut einquartiert haben, daß es kaum mehr möglich ist, ihnen auf diesem Punkte Schaden zuzufügen, während sie Schritt für Schritt die Brustwehr, welche nur fünf bis sechs Fuß dick ist, gewinnen, mit ihren Batterien die Arbeiter des Boulevard de la Reine in den Flanken fassen, und eine solche Verheerung unter ihnen anrichten, daß man darauf verzichten mußte, sie bei diesem Werke zurückzuhalten. Der Rest der Wälle würde sich vielleicht noch halten, doch das sind vier tödtliche Wunden, durch welche das Leben der Stadt bald entströmen muß, Herr Admiral. Ihr habt Wahrheit von mir verlangt, ich gebe sie Euch, so traurig sie auch ist, und überlasse Eurer Weisheit und Behutsamkeit die Sorge, davon Gebrauch zu machen.«

Hierüber entstand abermals ein Gemurmel der Menge, und wenn es Niemand wagte, laut das Wort zu nehmen, so sagte doch Jeder leise:

»Das Beste ist, sich zu übergeben und sich nicht den unseligen Wechselfällen eines Sturms bloßzustellen.«

Doch der Admiral sprach, ohne sich entmuthigen zu lassen:

»Meine Herren, noch ein Wort. Entgehen uns unsere Mauern, wie Ihr gesagt habt, Herr Lauxford, so haben wir, um sie zu ersetzen, muthige Soldaten, lebendige Wälle. Ist es mit ihnen und unter der eifrigen Mitwirkung der Bürger nicht möglich, die Einnahme der Stadt um einige Tage zu verzögern? Und was heute noch schmählich wäre, würde dann glorreich . . . ja, die Festungswerke sind zu schwach, das gebe ich zu, doch unsere Truppen sind zahlreich genug, nicht wahr, Herr von Rambouillet?«

»Herr Admiral,« sprach der aufgerufene Kapitän, »wären wir dort auf dem Platze, mitten unter der Menge, welche den Erfolg unserer Berathungen erwartet, so würde ich Euch antworten: ja; denn man müßte Allen Hoffnung und Vertrauen einflößen. Doch hier im Rathe, vor diesen durch ihren Muth erprobten Männern, zögere ich nicht, Euch zu sagen, daß die Mannschaft nicht genügt für den harten, gefahrvollen Dienst, den wir zu thun haben. Wir haben Waffen allen denjenigen gegeben, welche sie zu tragen im Stande waren. Die Anderen sind bei den Vertheidigungsarbeiten beschäftigt, zu denen Kinder und Greise beitragen. Selbst die Frauen helfen uns, indem sie den Verwundeten beistehen und sie pflegen. Nicht ein Arm ist unnütz, und dennoch fehlt es an Armen. Auf keinem Punkte der Wälle ist ein Mann zu viel, und häufig sind es zu wenig. Man mag immerhin sich vervielfältigen, und kann es doch nicht machen, daß nicht fünfzig Mann mehr an der Porte Saint-Jean, und wenigstens fünfzig weitere auf dem Boulevard Saint-Martin nothwendig sind. Die Niederlage an Saint-Laurent hat uns der Vertheidiger beraubt, auf die wir hoffen konnten, und wenn Ihr keine von Paris erwartet, Herr Admiral, so ist es Eure Sache, in Betracht zu ziehen, ob in einem solchen äußersten Fall Grund vorhanden ist, die wenigen Streitkräfte, die uns bleiben, und diese Trümmer unserer muthigen Kriegsleute zu wagen, welche noch so wirksam zu Erhaltung anderer Plätze und vielleicht zur Erhaltung des Vaterlandes dienen können.«

Die ganze Versammlung unterstützte und billigte diese Worte durch ihr Gemurmel, und der Ruf der Menge, welche sich um das Rathhaus drängte, erläuterte dieselben noch viel beredter.

Doch nun rief eine Donnerstimme:

»Stille!«

Und es schwiegen in der That Alle, denn derjenige, welcher so laut und so fest sprach, war Jean Peuquoy, der Altmeister der Weberzunft, ein sehr geachteter, sehr gehörter und ein wenig gefürchteter Bürger der Stadt.

Jean Peuquoy war das Musterbild jener braven bürgerlichen Race, welche ihre Stadt zugleich wie eine Mutter und wie ein Kind liebte; sie anbetete und schmälte, für sie lebte und im Fall der Noth für sie starb. Für den ehrlichen Webermeister gab es auf der Welt nur Frankreich und in Frankreich nur Saint-Quentin. Niemand kannte, wie er, die Geschichte und die Ueberlieferungen der Stadt, die alten Gebräuche und die alten Legenden. Es gab kein Quartier, keine Straße, kein Haus, das in der Gegenwart und in der Vergangenheit etwas Verborgenes für Jean Peuquoy hatte. Er war der eingefleischte Bürgersmann. Seine Werkstätte war der zweite Marktplatz, und sein hölzernes Haus in der Rue Saint-Martin das zweite Rathhaus. Dieses ehrwürdige Haus machte sich durch ein ziemlich seltsames Schild bemerkbar: durch ein bekränztes Weberschiff zwischen dem Geweih eines Zehnenders. Einer von den Ahnen von Jean Peuquoy (denn Jean Peuquoy zählte Ahnen wie ein Edelmann!), ein Weber wie er, wie sich von selbst versteht, und dabei ein berühmter Bogenschütze, hatte auf mehr als hundert Schritte mit zwei Pfeilschüssen die Augen dieses schönen Hirsches ausgehöhlt. Man sieht noch in Saint-Quentin, in der Rue Saint-Martin, das herrliche Gestänge. Auf zehn Meilen in der Runde kannte man damals das stattliche Geweih und den Weber. Jean Peuquoy war also gleichsam die lebendige Stadt, und jeder Einwohner von Saint-Quentin vernahm, wenn er ihn hörte, die Stimme seines Vaterlandes.

Deshalb rührte sich Keiner mehr, als der Weber mitten unter dem Lärmen ausrief:

»Stille!«

»Ja, stille!« fuhr er fort, »ich bitte Euch, meine guten Landsleute und theure Gefährten, schenkt mir eine Minute Aufmerksamkeit. Betrachten wir, wenn es Euch gefällt, mit einander, was wir schon gethan haben, und es wird uns vielleicht über das belehren, was wir noch thun sollen. Als der Feind unsere Mauern zu belagern anfing, als wir unter der Anführung des furchtbaren Emanuel Philibert alle diese Spanier, Engländer, Deutsche und Wallonen wie Unglücksheuschrecken um unsere Stadt her niederfallen sahen, nahmen wir unser Schicksal muthig an, nicht wahr? Wir murrten nicht, wir klagten die Vorsehung nicht darüber an, daß sie gerade Saint-Quentin als das Sühneopfer Frankreichs bezeichnete. Der Herr Admiral wird uns in dieser Hinsicht Gerechtigkeit widerfahren lassen; von dem Tage an, wo er hier ankam und uns den Beistand seiner Erfahrung und seines Muthes brachte, suchten wir seine Pläne durch unsere Personen und durch unsere Güter zu unterstützen. Wir haben unsere Mundvorräthe, unsere Güter und unser Geld preisgegeben, und selbst die Armbrust, die Pike oder die Haue genommen. Diejenigen, welche nicht Schildwachen auf den Wällen waren, machten sich zu Arbeitern in der Stadt. Wir trugen dazu bei, die meuterischen Bauern der Umgegend, welche sich weigerten, mit ihrer Arbeit die Zufluchtsstätte zu bezahlen, die wir ihnen gegeben hatten, zu zügeln und zu disziplinieren. Alles endlich, was man von Menschen fordern konnte, deren Handwerk der Krieg nicht ist, haben wir, wie ich glaube, gethan. Wir hofften auch, der König, unser Herr, würde bald an seine braven Bürger von Saint-Quentin denken und uns schleunigst Hilfe schicken. Dies geschah. Der Connétable von Montmorency eilte herbei, um die Truppen von Philipp II. von hier zu verjagen, und wir dankten Gott und dem König. Doch der unselige Saint-Laurent-Tag hat in wenigen Stunden unsere Hoffnungen zerstört. Der Connétable wurde gefangen genommen, sein Heer vernichtet, und wir sind nun verlassener als je. Es sind seitdem fünf Tage abgelaufen, und der Feind hat diese fünf Tage benützt. Drei heftige, hartnäckige Stürme haben uns mehr als zweihundert Mann und ganze Mauerflügel gekostet. Die Kanonen hören nicht mehr auf zu donnern, und sie begleiten sogar meine Worte. Wir wollen sie jedoch nicht hören, und wir horchen nur nach der Seite von Paris, ob nicht irgend ein Geräusch uns eine neue Hilfe verkündigte. Doch nichts! Die letzten Quellen sind, wie es scheint, für den Augenblick erschöpft. Der König läßt uns im Stich und hat etwas ganz Anderes zu thun, als an uns zu denken. Er muß dort sammeln, was ihm an Kräften bleibt; er muß das Königreich vor einer Stadt retten, und wenn er zuweilen noch die Augen und den Geist gegen Saint-Quentin wendet, so thut er es, um sich zu fragen, ob sein Todeskampf Frankreich Zeit lassen werde, zu leben. Doch Hoffnung, doch Aussichten auf Rettung und Hilfe gibt es für uns jetzt nicht mehr, theure Mitbürger und Freunde. Herr von Rambouillet und Herr von Lauxford haben die Wahrheit gesprochen. Die Mauern und die Soldaten fehlen uns, unsere alte Stadt stirbt, und wir sind verlassen, in Verzweiflung, verloren! . . .«

 

»Ja! ja!« rief einstimmig die Versammlung, »man muß sich ergeben.«

»Nein,« entgegnete Jean Peuquoy. »Man muß sterben.«

Das Stillschweigen des Erstaunens folgte auf diesen unerwarteten Schluß. Der Weber benützte es, um noch energischer fortzufahren.

»Man muß sterben. Das, was wir schon gethan haben, befiehlt uns das, was uns noch zu thun bleibt. Die Herren Lauxford und von Rambouillet sagen, wir können nicht widerstehen. Doch Herr von Coligny sagt, wir müssen widerstehen. Widerstehen wir! Ihr wißt, ob ich unserer guten Stadt Saint-Quentin ergeben bin, meine Brüder. Ich liebe sie in der That, wie ich meine alte Mutter liebte. Jede von den Kugeln, welche an ihre ehrwürdigen Mauern schlägt, scheint mich in’s Herz zu treffen. Und dennoch, da der General gesprochen hat, finde ich, daß man gehorchen muß. Der Arm empöre sich nicht gegen den Kopf, und Saint-Quentin gehe unter! Der Herr Admiral weiß, was er thut und was er will. Er hat in seiner Weisheit die Geschicke einer Stadt und die Geschicke Frankreichs abgewogen. Er findet gut, daß Saint-Quentin wie eine Schildwache auf ihrem Posten sterbe, und es ist gut. Derjenige, welcher murrt, ist ein Feiger, und derjenige, welcher nicht gehorcht, ist ein Verräther. Die Mauern stürzen ein, machen wir Mauern aus unsern Leichnamen; gewinnen wir eine Woche, gewinnen wir zwei Tage, gewinnen wir eine Stunde um den Preis von all unserem Blut, von all unserer Habe. Der Herr Admiral weiß wohl, was dies Alles werth ist, und da er Alles von uns fordert, so braucht er es. Er wird Gott und dem König seine Rechenschaft ablegen, das geht uns nichts an. Unsere Aufgabe ist es zu sterben, wenn er zu uns sagt: »Sterbt.« Das Gewissen von Herrn von Coligny mag das Uebrige ordnen. Er ist verantwortlich seien wir gehorsam.«

Nach diesen düsteren, feierlichen Worten schwiegen Alle und neigten das Haupt, und Gaspard von Coligny wie die Anderen und mehr als die Anderen. Es war in der That eine schwere Last, die ihm der Altmeister der Weberzunft auferlegte, und er konnte sich eines Schauers nicht erwehren bei dem Gedanken an alle die Existenzen, für welche man ihn verantwortlich machte.

»Freunde und Brüder,« fuhr Jean Peuquoy fort, »aus Eurem Stillschweigen sehe ich, daß Ihr mich begriffen habt und meine Worte billigt, doch man kann von Gatten und Vätern nicht verlangen, daß sie laut ihre Kinder und Frauen verurtheilen. Hier schweigen heißt antworten. Ihr laßt den Herrn Admiral Eure Frauen zu Witwen, und Eure Kinder zu Waisen machen; doch nicht wahr, Ihr könnt ihr Urtheil nicht selbst fällen; das ist richtig. Sagt nichts und sterbt. Niemand hätte die Grausamkeit, von Euch zu verlangen, Ihr sollet rufen: »Es sterbe Saint-Quentin!« Doch wenn Eure patriotischen Herzen, wie ich glaube, mit dem meinigen im Einklang stehen, so könnt Ihr wenigstens rufen: »Es lebe Frankreich!«

»Es lebe Frankreich« wiederholte ein Gemurmel schwach wie eine Klage und düster wie Schluchzen.

Doch Gaspard von Coligny erhob sich nun tief erschüttert und rief:

»Hört! hört! ich übernehme nicht allein eine so furchtbare Verantwortlichkeit; ich konnte Euch widerstehen, als Ihr dem Feinde weichen wolltet, doch wenn Ihr mir nachgebt, kann ich nicht streiten, und da Ihr endlich in dieser Versammlung Alle gegen meine Ansicht seid, und Alle Euer Opfer für unnütz haltet . . .«

»Gott verzeihe mir,« unterbrach ihn eine starke Stimme. in der Menge, »Gott verzeihe mir, ich glaube Ihr wollt auch von Uebergabe sprechen, Herr Admiral.«