Tasuta

Die beiden Dianen

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

IX.
Kriegslist

So chimärisch sie ihm auch erschien, so wurde die Hoffnung von Martin-Guerre doch verwirklicht. Als Gabriel nach tausend Gefahren in den Wald kam, wo ihn der Baron von Vaulpergues erwartete, war das erste Gesicht, das er erblickte, das seines Stallmeisters, der erste Schrei, den er von sich gab:

»Martin-Guerre!«

»Ich selbst, gnädiger Herr,« antwortete der Stallmeister entschlossen. Diesem Martin-Guerre brauchte man die Unverschämtheit nicht zu empfehlen.

»Bist Du lange vor mir gekommen, Martin?« fragte Gabriel.

»Ich bin seit einer halben Stunde hier, gnädiger Herr.«

»In der That! doch mir scheint, Du hast Deine Kleidung verändert; Du hattest, als Du mich vor drei Stunden verließest, nicht diesen Leibrock?«

»Nein, gnädiger Herr, ich erbat ihn mir von einem Bauern, und gab ihm den meinigen dafür.«

»Gut! Und es ist Dir nichts Schlimmes begegnet?«

»Nein, gnädiger Herr.«

»Im Gegentheil,« sagte der Baron von Vaulpergues, welcher eben hinzukam, »der Bursche wurde, als er hier eintraf, von einem sehr hübschen Mädchen begleitet, von einer flämischen Marketenderin, wie wir aus ihrer Sprache schließen konnten. Die arme Kleine schien sehr zu weinen, doch er hat sie, trotz ihrer Thränen, am Saume des Waldes mit barschem Tone verabschiedet.«

»Nicht ohne sie zuvörderst von einem Theile ihrer Waaren befreit zu haben, sprach, der falsche Martin-Guerre mit seinem frechen Gelächter.«

»Ah! Martin! Martin! der alte Mensch erscheint wieder,« versetzte Gabriel.

»Der gnädige Herr will sagen, der junge Mensch. Doch Verzeiht!« fügte Arnauld sich seiner Rolle erinnernd bei, »ich raube mit meinen Possen die so kostbaren Augenblicke Eurer Gnaden.«

»Oh!« sagte der Baron von Vaulpergues, »wenn es Eure Ansicht wäre, Herr d’Ermès, und die des Admirals, so würden wir erst in einer halben Stunde aufbrechen. Es ist noch nicht Mitternacht und ich bin dafür, daß wir gegen drei Uhr vor Saint-Quentin ankommen. Dies ist der Augenblick, wo die Wachsamkeit ermattet und erschlafft. Denkt Ihr nicht auch so, Herr Vicomte?«

»Allerdings, und die Instructionen von Herrn von Coligny stimmen ganz mit Eurer Meinung überein. Um drei Uhr Morgens wird er uns erwarten, und zu dieser Stunde müssen wir ankommen, wenn wir überhaupt ankommen.«

»Oh! wir kommen an, gnädiger Herr, erlaubt mir Euch das zu versichern,« sagte Arnauld-Martin. Ich habe, als ich an dem Lager der Wallonen vorüberging die Gelegenheit benützt, um die Gegend zu betrachten, und ich werde Euch sicherer führen, als wenn ich seit vierzehn Tagen in der Nachbarschaft umhergelaufen wäre.«

»Das ist wunderbar, Martin!« rief Gabriel. »Was hast Du Alles in so kurzer Seit gethan! Ich werde fortan dasselbe Vertrauen zu Deinem Verstand, wie zu Deiner Treue haben.«

»Oh! gnädiger Herr, wenn Ihr nur auf meinen Eifer, und besonders auf meine Verschwiegenheit vertraut, höher strebe ich nicht.«

Die Sache des schlauen Arnauld war durch den Zufall und durch seine Keckheit so gut angesponnen, daß der Betrüger seit der Ankunft von Gabriel nur die Wahrheit gesprochen hatte.

Während Gabriel und Vaulpergues sich im Stillen über den Gang besprachen, den sie zu verfolgen hätten, dachte er sich seinen Plan vollends aus, um die wunderbaren Chancen nicht zu stören, die ihn bis dahin bedient hatten.«

Man vernehme, was geschehen war. Nachdem sich Arnauld mit Hilfe von Gudule aus dem Lager geflüchtet, wo man ihn gefangen gehalten hatte, schweifte er achtzehn Stunden lang in den umliegenden Wäldern umher, denn aus Furcht, wieder in die Hände des Feindes zu fallen, wagte er es nicht, herauszugehen. Gegen Abend glaubte er im Walde von Angimont Spuren von Reitern zu erkennen, die sich verbergen mußten, da sie sich auf so wenig gebahnte Pfade gewagt hatten. Es waren also Franzosen, welche im Hinterhalt lagen, und Arnauld suchte zu ihnen zu dringen, was ihm auch gelang. Da verabschiedete er auf das Allerleichteste die arme Gudule, welche weinend zu den Zelten zurückkehrte, ohne zu vermuthen, daß sie nach dem Verlust ihres Liebhabers ein anderes Selbst von ihm finden sollte. Arnauld begrüßte der erste Soldat von Vaulpergues mit dem Namen Martin-Guerre, und er strafte ihn natürlich nicht Lügen. Indem er mit allen Ohren hörte und so wenig als möglich sprach, erfuhr er bald Alles. Der Vicomte d’Ermès sollte in derselben Nacht zurückkommen, nachdem er den Admiral von der Ankunft von Vaulpergues in Saint-Quentin benachrichtigt und mit ihm die erforderlichen Verfügungen getroffen hatte, um das Hereinbringen des Detachement in die Festung zu bewerkstelligen. Martin-Guerre würde ihn begleiten. Man hielt also natürlich Arnauld für Martin und befragte ihn über seinen Herrn.

»Er wird kommen,« sagte er, »wir haben verschiedene Wege gewählt.«

Und in seinem Innern berechnete er, wie vortheilhaft es in diesem Augenblick für ihn wäre, sich mit Gabriel zu verbinden; einmal wäre sein Unterhalt in den so schweren Zeiten gesichert; dann wußte er, daß der Connétable von Montmorency, sein Herr zur Stunde Gefangener von Emanuel Philibert, weniger unter der Schmach seiner Niederlage und seiner Gefangenschaft, als durch den Gedanken litt, daß sein verhaßter Nebenbuhler, der Herzog von Guise, alle Gewalt am Hofe und allen Einfluß auf den Geist des Königs haben sollte. Sich an die Schritte eines Freundes von Guise anhängen, hieß also für Arnauld sich an die Quelle aller Nachrichten stellen, welche er theuer genug an den Connétable verkaufen würde. War endlich Gabriel nicht der persönliche Feind der Montmorency und das Haupthinderniß bei der Heirath des Herzogs Franz mit Frau von Castro?

Arnauld erinnerte sich aller dieser Umstände, doch er dachte zugleich mit Schwermuth daran, daß die Rückkehr von Martin-Guerre zu seinem Herrn seine schönen Pläne ein wenig stören müßte. Um nicht des Betrugs überwiesen zu werden, lauerte er auch mit der größten Sorgfalt auf Gabriel, in der Hoffnung, Martin-Guerre zu entfernen oder zu beseitigen. Doch wie groß war seine Freude, als er sah, daß der Vicomte d’Ermès allein ankam und sogleich in ihm seinen Stallmeister erkannte! Arnauld hatte wahr gesprochen, ohne es zu wissen. Dann überließ er sich seinem Glück; er rechnete darauf, daß der Teufel sein Patron den armen Martin in die Hände der Spanier habe fallen lassen, und bemächtigte sich kühn der Rolle des Abwesenden, was ihm, wie wir gesehen, auch gelang.

Als jedoch die Besprechung von Gabriel und Vaulpergues beendigt war und man die drei Abtheilungen bildete, um sich auf verschiedenen Seiten in Marsch zu sehen, bat Arnauld dringend, ihn Gabriel auf dem Wege an den wallonischen Zelten vorüber begleiten zu lassen. Dies war der Weg, den der wahre Martin hatte nehmen müssen, und wenn man ihm wieder begegnen würde, so wollte Arnauld dabei sein, um ihn entweder verschwinden zu machen, oder im Falle der Noth selbst zu verschwinden.

Doch man überschritt die Höhe des Berges ohne das Mindeste von Martin zu finden, und der Gedanke an diese sehr geringfügige Gefahr verschwand bald für Arnauld vor der sehr nahen Gefahr, die ihn mit Gabriel und der Truppe, zu der er gehörte, an den überall eingeschlossenen Mauern von Saint-Quentin erwartete.

Im Innern der Stadt war die Angst nicht geringer, wie man sich leicht denken kann; denn die Rettung oder der Untergang von Allen hing von dem kühnen Handstreich von Gabriel und Vaulpergues ab. Der Admiral machte auch schon um zwei Uhr Morgens selbst seine Runde bei den zwischen ihm und Gabriel verabredeten Punkten, und empfahl den ausgewählten Schildwachen, die man an diese schwierigen Posten gestellt hatte, die größte Aufmerksamkeit. Dann stieg Gaspard von Coligny auf den Wartthurm, der die Stadt und die Umgegend Beherrschte, und stumm, unbeweglich, den Athem an sich haltend, horchte er und schaute hinaus in die schweigsame Nacht. Doch er hörte nur das dumpfe, entfernte Geräusch der spanischen Minen und der französischen Gegenminen; er sah nur die Zelte des Feindes, und in größerer Entfernung den düsteren Wald von Origny, der sich schwarz im schwarzen Schatten abhob.

Unfähig, seine Unruhe zu bemeistern, wollte sich der Admiral wenigstens dem Orte nähern, wo sich das Schicksal von Saint-Quentin entscheiden sollte. Er stieg von dem Wartthurme herab und eilte zu Pferde, gefolgt von einigen Officieren, nach dem Boulevard de la Reine zu einer der Schlupfpforten, wo Vaulpergues ankommen sollte, und wartete hier auf einer Ecke des Walles.

Als es drei Uhr auf der Collegiale schlug, ertönte das Geschrei einer Eule in den Sümpfen der Somme.

»Gott sei gelobt! sie sind da!« rief der Admiral.

Auf ein Zeichen von Coligny machte sich Herr du Breuil aus den Händen ein Sprachrohr und erwiderte das Signal, indem er ganz deutlich das Geschrei des Nachtraben nachahmte.

Dann erfolgte eine Todesstille. Der Admiral und seine Umgebung blieben unbeweglich und wie von Stein, das Ohr auf der Lauer und das Herz zusammengeschnürt.

Doch plötzlich vernahm man einen Musketenschuß in der Richtung, woher der Schrei gekommen war, und beinahe in demselben Augenblick ein allgemeines Feuern, begleitet von Stöhnen, Schmerzgeschrei und gräßlichem Lärmen.

Die erste Abtheilung war entdeckt worden.

»Schon hundert Brave weniger»rief der Admiral.

Dann ging er rasch vom Boulevard herab stieg wieder zu Pferde und wandte sich, ohne ein. Wort beizufügen, nach dem Boulevard Saint-Martin, wo er eine andere Abtheilung von der Compagnie von Vaulpergues erwartete.

Hier ergriff ihn dieselbe Angst. Gaspard von Coligny glich einem Spieler, der um sein Vermögen auf drei Würfe spielt: er hatte die erste Partie verloren, welches Glück sollte der zweiten zu Theil werden?

Ach! man vernahm denselben Ruf jenseits des Walles, derselbe Ruf antwortete in der Stadt; dann, als ob diese Scene nur die unselige Wiederholung der ersten wäre, machte eine Schildwache abermals Lärm, und das Musketenfeuer und die Schreie verkündigten den erschrockenen Saint-Quentinern einen zweiten Kampf oder Vielmehr eine neue Schlächterei.

 

»Zweihundert Märtyrer« sprach Coligny mit dumpfem Tone.

Und er sprang abermals auf sein Pferd und war in zwei Minuten an der Schlupfpforte der Vorstadt, die der dritte zwischen ihm und Gabriel verabredete Punkt war. Er ritt so schnell, daß er sich zuerst und allein auf dem Walle befand und seine Officiere ihn nur allmälig einholten. Aber sie mochten immerhin insgesamt horchen, man hörte nur in der Ferne das Geschrei der Sterbenden und die Ausrufungen der Sieger.

Der Admiral hielt Alles für verloren. Man hatte im feindlichen Lager die Lärmsignale gegeben. Jeder spanische Soldat war erweckt. Derjenige, welcher die dritte Truppe befehligt würde es für geeignet erachtet, sich einer so tödtlichen Gefahr nicht preiszugeben, und sich ohne etwas zu unternehmen zurückgezogen haben. So entging auch diese dritte und letzte Hoffnung dem bestürzten Spieler. Coligny sagte sich sogar zuweilen, das letzte Detachement sei vielleicht mit dem zweiten überfallen worden, und es habe sich nur der doppelte Lärmen der Schlächtereien in einem einzigen vermengt.

Eine Thräne, eine brennende Thräne der Verzweiflung und Wuth floß über die gebräunten Wangen des alten Admirals. Durch diese letzte Niederlage abermals entmuthigt, würde in einigen Stunden die Bevölkerung mit lauter Stimme die Uebergabe des Platzes verlangen, und wäre dies auch nicht der Fall, so verleugnete sich Gaspard von Coligny doch nicht, daß vor so entmuthigten Truppen, wie es die seinigen waren, der erste Sturm den Spaniern die Thore von Saint-Quentin und von Frankreich öffnen müßte. Und dieser Sturm würde nicht auf sich warten lassen, man würde das Signal dazu bei Tagesanbruch geben, oder vielleicht auf der Stelle, noch in der Nacht, so lange diese dreißig tausend Mann, stolz darauf, daß sie drei hundert erwürgt, von einem so glorreichen Triumph berauscht wären.

Als wollte er die Befürchtungen von Gaspard von Coligny bestätigen, ließ der Gouverneur du Breuil den Ruf: »Habt Acht!« mit gedämpfter Stimme ertönen, und als der Admiral sich gegen ihn umwandte, zeigte er ihm im Graben eine schwarze, schweigsame Traube, welche im Schritt im Schatten zu marschieren und sich gegen die Schlupfpforte zu wenden schien.

»Sind es Freunde oder Feinde?« fragte du Breuil mit leiser Stimme.

»Stille,« erwiderte der Admiral, »wir wollen jedenfalls auf unserer Hut sein.«

»Warum machen sie denn kein Geräusch mehr?« sagte der Gouverneur. »Es scheint mir doch, ich sehe Pferde, und nicht ein Kiesel ertönt und die Erde sogar scheint taub unter ihren Tritten; Es ist in der That, als wären es Gespenster!«

Hiebei machte der abergläubische du Breuil zu größerer Sicherheit das Zeichen des Kreuzes. Doch Coligny, der ernste Denker schaute aufmerksam, ohne Furcht und ohne Grauen die schwarze, stumme Truppe an.

Als die Ankommenden nur noch fünfzig Schritte entfernt waren, ahmte Coligny selbst das Geschrei des Nachtvogels nach.

Das Geschrei der Eule antwortete.

Außer sich vor Freude stürzte der Admiral zu dem Wachtposten der Schlupfpforte, gab Befehl, sogleich zu öffnen, und hundert Reiter, sie wie ihre Thiere in dunkle Mantel gehüllt, ritten stets gleich schweigsam in die Stadt ein. Doch man konnte nun sehen, daß die Hufe der Pferde, welche so matt auf dem Pflaster aufschlagen, mit Leinwandstücken, die man mit Sand gefüllt, umwickelt waren. Durch dieses Mittel, auf das man erst verfiel, als man die zwei andern Abtheilungen durch das Geräusch verraten sah, war es der dritten Truppe gelungen, ohne Hindernis die Stadt zu erreichen.

Und derjenige, welcher dieses Auskunftsmittel ersonnen hatte und die Truppe befehligte, war kein Anderer, als Gabriel.

Diese Hilfe von hundert Mann war allerdings wenig, doch sie genügte, um ein paar Tage zwei bedrohte Posten zu unterhalten, und es war das erste glückliche Ereigniß einer an Unglücksfällen so fruchtbaren Belagerung. Die Kunde von so guter Vorbedeutung durchlief auf der Stelle die ganze Stadt. Die Thüren öffneten sich die Fenster wurden erleuchtet, und ein einstimmiger Beifallsjubel empfing bei ihrem Einzug Gabriel und seine Reiter.

»Nein, keine Freude!« sagte Gabriel mit ernstem Tone. »Denkt an die zwei hundert, welche dort gefallen!«

Und er lüpfte den Hut, als wollte er diese todten Helden begrüßen, unter denen der brave Vaulpergues sein mußte.

»Ja,« sprach Coligny »wir beklagen und bewundern sie. Doch Ihr, Herr d’Ermès, was soll ich Euch sagen und wie soll ich Euch danken? Laßt Euch wenigstens in meine Arme schließen, Freund, denn Ihr habt Saint-Quentin schon zweimal gerettet.«

Gabriel drückte ihm die Hand und erwiderte abermals:

»Herr Admiral, Ihr werdet mir das in zehn Tagen sagen.«

X.
Die Rechnung von Arnauld du Thill

Es war Zeit, daß der Streich gelang und die ersehnte Hilfe in die Stadt kam, denn der Tag brach an. Halb gelähmt vor Müdigkeit, weil er vier Tage lang beinahe nicht ausgeruht hatte, wurde Gabriel vom Admiral in das Rathhaus geführt, wo er ihm ein Zimmer neben dem geben wollte, welches er selbst inne hatte. Er warf sich hier erschöpft auf ein Bett nieder und entschlummerte, als ob er nie mehr erwachen sollte.

Er erwachte in der That erst gegen vier Uhr Nachmittags, und es war Coligny, der durch seinen Eintritt diesen erquickenden Schlaf unterbrach, dessen der junge Mann, trotz seiner Sorgen, so sehr bedurfte. Es war im Verlaufe des Tags ein Sturm vom Feinde versucht und muthig zurückgeschlagen worden; aber er verkündigte ohne Zweifel einen andern für den nächsten Tag, und der Admiral, der sich bis jetzt bei den Rathschlägen von Gabriel so wohl befunden hatte, kam, um sich abermals solche von ihm zu erbitten.

Gabriel war bald von seinem Bette aufgestanden und bereit, Coligny zu empfangen.

»Nur ein Wort zu meinem Stallmeister, Admiral, und ich bin ganz zu Euren Diensten,« sagte er.

»Thut es, Herr Vicomte d’Ermès,« erwiderte Coligny. »Da ohne Euch die spanische Fahne jetzt auf diesem Rathhause flattern würde, so kann ich Euch wohl sagen: Ihr seid zu Hause.«

Gabriel ging an die Thüre und rief Martin-Guerre. Martin-Guerre lief sogleich herbei. Gabriel nahm ihn bei Seite und sprach zu ihm:

»Mein braver Martin, noch gestern sagte ich Dir, ich habe nun ein eben so großes Vertrauen zu Deinem Verstand, wie zu Deiner Treue. Ich will es Dir beweisen. Du gehst auf der Stelle in die Ambulanz des Faubourg d’Ile. Dort fragst Du nicht nach Frau von Castro, sondern nach der Superiorin der Benedictinerinnen, der ehrwürdigen Mutter Monica, und sie allein bittest Du, die Schwester Bénie, verstehst Du wohl, die Schwester Bénie zu benachrichtigen, der Vicomte d’Ermès, vom König nach Saint-Quentin abgesandt, werde in einer Stunde bei ihr sein und beschwöre sie, ihn zu erwarten. Du siehst, Herr von Coligny wird mich einige Zeit hier zurückhalten, und ein Interesse, das über Leben und Tod entscheidet, zwingt mich, meine Pflicht immer meiner Freude voranzustellen. Gehe also: sie erfahre wenigstens, daß mein Herz bei ihr ist.«

»Sie soll es erfahren, gnädiger Herr,« erwiderte der eilfertige Martin, der in der That wegging und seinen Herrn etwas minder ungeduldig und etwas mehr ruhig zurückließ.

Und er beeilte sich wirklich bis zur Ambulanz des Faubourg d’Ile, und fragte überall mit großem Eifer nach der Mutter Monica.

Man zeigte ihm die Superiorin.

»Ah! meine Mutter!« sagte der listige Bursche zu ihr, »wie froh bin ich daß ich Euch endlich treffe! mein armer Herr wäre so traurig geworden, wenn ich meinen Auftrag bei Euch und bei Frau Diana von Castro nicht hätte erfüllen können.«

»Wer seid Ihr denn, mein Freund, und wer schickt Euch?« fragte die Superiorin, eben so erstaunt, als betrübt darüber, daß sie das Geheimnis, welches sie Gabriel empfohlen hatte, so schlecht von ihm bewahrt sah.

»Ich komme im Auftrage des Vicomte d’Ermès,« erwiderte der falsche Martin-Guerre, Einfalt und Gutmüthigkeit heuchelnd. »Ihr kennt hoffentlich den Vicomte d’Ermès, die ganze Stadt kennt nur ihm.«

»Gewiß kenne ich unserer Aller Retter,« sprach die Superiorin. »Wir haben viel für ihn gebetet. Auch hatte ich schon gestern die Ehre, ihn zu sehen, und zählte seinem Versprechen gemäß darauf, ihn heute wiederzusehen.«

»Er wird kommen, der würdige Herr, er wird kommen,« antwortete Arnauld du Thill. »Doch Herr von Coligny hält ihn zurück, und in seiner Ungeduld hat er mich zu Euch, zu Frau von Castro vorausgeschickt. Wundert Euch nicht, gnädige Frau, daß ich diesen Namen weiß und auspreche. Eine alte, zwanzigmal erprobte Ergebenheit erlaubt meinem Herrn, sich mir wie sich selbst anzuvertrauen, und er hat keine Geheimnisse für seinen redlichen Diener. Ich habe nur Geist und Verstand, wie die Leute sagen, um ihn zu lieben und zu vertheidigen, doch diesen Instinkt besitze ich wenigstens in hohem Maße, und Niemand kann ihn mir absprechen, bei den Reliquien des heiligen Quentin! Oh! verzeiht mir, meine Mutter, daß ich so in Eurer Gegenwart schwöre. Ich dachte nicht daran, und die Gewohnheit, seht Ihr, und der Herzenserguß . . .«

»Es ist gut! es ist gut!« sprach die Mutter Monica. »Herr d’Ermès gedenkt also zu erscheinen? Er wird willkommen sein. Die Schwester Bénie wünscht besonders seine Gegenwart, um durch ihn Nachricht vom König zu erhalten, der ihn abgesandt hat.«

»Ei, ei!« versetzte Martin einfältig lachend, »der ihn nach Saint-Quentin, aber nicht zu Frau Diana abgesandt hat, denke ich.«

»Was wollt Ihr damit sagen?«

»Ich sage, daß ich, der ich den Vicomte zugleich wie einen Herrn und wie einen Bruder liebe, in der That sehr froh bin, daß Ihr, eine so achtenswerthe und so angesehene Frau, Euch ein wenig in die Liebschaft vom gnädigen Herrn und von Frau von Castro mischt.«

»Liebschaft von Frau von Castro!« rief die Superiorin erschrocken.

»Ei! allerdings,« versetzte der scheinbare Schwachkopf, »hat Euch Frau von Castro nicht Alles anvertraut, Euch, ihrer ehrwürdigen Mutter und einzigen Freundin?«

»Sie hat mir unbestimmt von tiefem Herzenskummer gesprochen,« antwortete die Nonne, »doch von dieser profanen Liebe und dem Namen des Vicomte wußte ich nichts, durchaus nichts.«

»Ja, ja, Ihr leugnet . . . aus Bescheidenheit,« entgegnete Arnauld, mit einer klugen Miene den Kopf schüttelnd. »Ich finde Euer Benehmen in der That sehr schön, und ich bin Euch meines Theils äußerst dankbar dafür. Ihr handelt wenigstens sehr muthig. »Ah!« habt Ihr Euch gesagt, »der König widersetzt sich dem Liebesverhältniß dieser Kinder? ah! der Vater von Diana würde in einen furchtbaren Zorn gerathen, wenn er nur den Verdacht bekam, sie könnten zusammentreffen? Nun wohl! ich, eine fromme und würdige Frau, werde der königlichen Majestät und dem väterlichen Ansehen trotzen; ich werde meinen armen Verliebten die Sanction meines Beistands und Charakters bieten, ich werde ihnen Gelegenheit zu Zusammenkünften bereiten, ich werde ihnen Hoffnung geben und ihre Gewissensbisse zum Schweigen bringen.« Das ist herrlich, das ist prächtig, was Ihr da thut, hört ihr?«

»Jesus!« seufzte nun die Superiorin, ein furchtsames Herz, ein ängstliches Gewissen, indem sie vor Erstaunen und Schrecken die Hände faltete. »Jesus, einem Vater, einem König trotzen, und mein Name, mein Leben vermengt mit Liebesintriguen! oh!«

»Hört,« sagte Arnauld, »ich erblicke gerade dort meinen Herrn, welcher herbeiläuft, um Euch für Eure gute Vermittlung zu danken, und Euch, der ungeduldige junge Mann! zu fragen, wann und wo er mit Eurer Hilfe seine angebetete Geliebte sehen könne.«

Gabriel erschien wirklich athemlos. Doch ehe er sich ihr genähert hatte, hielt ihn die Superiorin durch eine Gebärde zurück, und sprach zu ihm, indem sie sich voll Würde hoch aufrichtete:

»Keinen Schritt, kein Wort mehr. Ich weiß nun, unter welchem Titel und in welchen Absichten Ihr Euch Frau von Castro nähern wollt. Hofft nicht, daß ich fortan meine Hände zu Plänen biete, welche, wie ich befürchte, eines Edelmanns unwürdig sind. Und ich darf und will Euch nun nicht nur nicht mehr hören, sondern ich gedenke mich meiner Autorität zu bedienen, um Diana jede Gelegenheit und jeden Vorwand zu entziehen, Euch zu sehen und mit Euch zusammenzutreffen, sei es im Sprechzimmer des Klosters, sei es in den Ambulanzen. Ich weiß, sie ist frei und hat noch kein Gelübde abgelegt, das sie bindet, doch so lange sie in der von ihr erwählten Zufluchtsstätte unseres frommen Klosters verweilen will, wird sie es für gut finden, daß mein Schutz ihre Ehre und nicht ihre Liebe bewacht.«

Die Superiorin grüßte mit einer eisigen Miene den vor Erstaunen unbeweglichen Gabriel, und entfernte sich, ohne seine Antwort anzuhören und ohne sich nur ein einziges Mal gegen ihn umzuwenden.

 

»Was soll das bedeuten?« fragte, nachdem er einen Augenblick ganz verwundert geschwiegen, der junge Mann seinen angeblichen Stallmeister.

»Ich weiß es eben so wenig, als Ihr, gnädiger Herr,« antwortete Arnauld, der seiner inneren Freude die Maske der Bestürzung gab. »Die Frau Superiorin hat mich, wenn ich es sagen soll, sehr schlimm empfangen und mir erklärt, sie wisse Alles von Euren Plänen, aber sie müsse sich den selben widersetzen und die Absichten des Königs unterstützen, und Frau Diana liebe Euch nicht mehr, wenn sie Euch auch je geliebt.«

»Diana liebt mich nicht mehr!« rief Gabriel erbleichend »Ah! ah! . . . desto besser vielleicht! Doch ich will sie noch einmal sehen, ich will ihr beweisen, daß ich weder gleichgültig, noch schuldig gegen sie bin. Du mußt mir nothwendig beistehen, Martin-Guerre, daß ich diese letzte Unterredung erlange, welche ich so nothwendig brauche, um mich in meiner Aufgabe zu ermuthigen.«

Demüthig antwortete Arnauld:

»Der gnädige Herr weiß, daß ich ein ergebenes Werkzeug seines Willens bin, und daß ich ihm in allen Stücken gehorche, wie die Hand der Stirne gehorcht. Ich werde, wie ich es so eben gethan, alle meine Kräfte aufbieten, damit der gnädige Herr die gewünschte Unterredung mit Frau Von Castro erlangt.«

Der listige Bursche folgte hiernach in die Faust lachend, Gabriel, der ganz niedergeschlagen in das Rathhaus zurückkehrte.

Als sich am Abend, nach einer Runde auf den Wällen der falsche Martin-Guerre, in seiner Stube allein befand, zog er aus seiner Brust ein Papier, das er mit einer Miene lebhafter Befriedigung zu lesen anfing.

»Rechnung von Arnauld du Thill für den Herrn Connétable von Montmorency, seit dem Tag, wo genannter Arnauld mit Gewalt von seinem gnädigsten Herren getrennt worden ist. (Diese Rechnung enthielt sowohl die öffentlichen, als die geheimen Dienste.)

»Dafür, daß er, als er Gefangener des Feindes nach dem Saint-Laurent-Tage war und vor Philibert Emanuel geführt wurde, diesem General den Rath gegeben, den Connétable ohne Lösegeld zu entlassen, unter dem Scheinvorwand der gnädigste Herr würde den Spaniern durch sein Schwert weniger Schaden zufügen, als durch seine Rathschläge beim König Nutzen bringen, fünfzig Thaler.

»Dafür, daß er durch List aus dem Lager, wo man den genannten Arnauld gefangen hielt, entwichen ist und dadurch dem Herrn Connétable die Kosten des Lösegelds erspart hat, die er edelmüthig bezahlt haben würde, um einen so treuen und so kostbaren Diener wiederzubekommen, – hundert Thaler.

»Dafür, daß er geschickt und auf unbekannten Pfaden das Detachement führte, das der Vicomte d’Ermès Saint-Quentin und dem Herrn Admiral von Coligny, dem vielgeliebten Neffen des Herrn Connétable, zur Hilfe brachte, – zwanzig Franken.«

Es fand sich in der Note von Arnauld noch mehr als ein Artikel, der von eben so großer Habgier zeugte, als die vorhergehenden. Der Spion überlas dieselben, indem er sich den Bart streichelte. Als er bis zum Ende gelesen hatte, nahm er die Feder und fügte der Liste bei:

»Dafür, daß er, nachdem er in den Dienst des Vicomte d’Ermès unter dem Namen Martin-Guerre eingetreten, den genannten Vicomte der Superiorin der Benedictinerinnen als Liebhaber von Frau von Castro verraten und so für lange Zeit diese zwei jungen Leute getrennt hat, wie es im Interesse des Herrn Connétable liegt, zwei hundert Thaler.«

»Das ist nun einmal nicht theuer,« sagte Arnauld zu sich selbst, »es ist eines von den Kapiteln, das die anderen durchgehen machen wird. Die Gesamtsumme ist im Ganzen rund. Wir sind nahe an tausend Livres, und mit etwas Einbildungskraft werden wir wohl bis zu zwei tausend kommen; habe ich diese, so ziehe ich mich, meiner Treue! von den Geschäften zurück, ich heirathe, ich werde Vater von meinen Kindern und Kirchenvorsteher meiner Gemeinde in irgend einer Provinz sein, und so verwirkliche ich den Traum meines Lebens und das redliche Ziel aller meiner schlimmen Handlungen.«

Arnauld legte sich nieder und entschlummerte über diesen tugendhaften Entschließungen.

Am andern Tag wurde er von Gabriel aufgefordert, abermals Diana zu suchen, und man erräth, wie er sich dieses Auftrags entledigte. Gabriel selbst verließ Herrn von Coligny, um sich zu erkundigen und nachzufragen. Doch gegen zehn Uhr Morgens unternahm der Feind einen wüthenden Sturm, und er mußte nach den Boulevards eilen. Gabriel verrichtete, seiner Gewohnheit gemäß, Wunder der Tapferkeit und benahm sich, als hätte er zwei Leben zu verlieren.

Dies geschah, weil er zwei zu retten hatte.

Ueberdies würde Diana vielleicht von ihm hören, wenn er sich auszeichnete.