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Die Dame von Monsoreau

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»Aber was macht Dich denn so ungläubig?«

»Dass Du so gut gehört hast.«

»Begreifst Du nun, warum ich Dich hier bleiben ließ?«

»Bei Gott!« rief Chicot.

»Damit Du selbst hörst, was die Stimme sagen wird.«

»Wenn ich wiederhole, was ich gehört habe, so wird man denken, es sei irgend ein Scherz. Chicot ist so nichtig, so unbedeutend, so närrisch, dass es Niemand glauben wird, wenn ich es auch Jedermann sage.«

»Warum ist nicht vielmehr anzunehmen, mein Freund, ich entdecke Eurer wohlbekannten Treue dieses Geheimnis?« versetzte der König.

»Ah! lüge nicht, Heinrich, denn wenn die Stimme kommt, so wird sie Dir auch diese Lüge vorwerfen, und Du hast schon genug an Deinen andern Sünden. Aber gleichviel! ich nehme den Vorschlag an. Es ist mir nicht unangenehm, die Stimme des Herrn zu hören, sie wird mir vielleicht auch etwas sagen.«

»Nun, was ist zu tun?«

»Du musst Dich niederlegen, mein Sohn.«

»Aber, wenn im Gegenteil …«

»Kein aber.«

»Jedoch …«

»Glaubst Du zufällig, Du werdest die Stimme Gottes verhindern, zu sprechen, weil Du aufbleibst? Ein König überragt die andern Menschen nur um die Höhe der Krone, und wenn er baarhaupt ist, glaube mir, so ist er von demselben Wuchse und zuweilen noch kleiner, als sie.«

»Wohl, Du bleibst?«

»Es ist abgemacht.«

»So will ich mich niederlegen.«

»Gut!«

»Doch Du legst Dich nicht schlafen?«

»Ich werde mich wohl hüten.«

»Ich ziehe nur mein Wamms aus.«

»Nach Deinem Belieben.«

»Ich behalte meine Beinkleider an.«

»Eine gute Vorsichtsmaßregel.«

»Und Du?«

»Ich bleibe, wo ich bin.«

»Und Du wirst nicht schlafen?«

»Dafür kann ich nicht stehen; der Schlaf ist wie die Furcht, mein Sohn, eine von dem Willen unabhängige Sache.«

»Du wirst wenigstens tun, was Du kannst!«

»Sei unbesorgt, ich will mich kneifen; überdies wird mich die Stimme erwecken.«

»Scherze nicht mit der Stimme,« sprach Heinrich, der bereits ein Bein im Bette hatte und es zurückzog.

»Vorwärts! soll ich Dich schlafen legen?«

Der König stieß einen Seufzer aus und schlüpfte, nachdem er in großer Unruhe alle Winkel und Ecken des Zimmers mit dem Blicke durch späht hatte, ganz zitternd in sein Bett.

»Gut, nun ist es an mir,« sagte Chicot. Und er streckte sich in seinem Lehnstuhl aus, und ordnete rings um sich her und unter sich Kissen und Polster.

»Wie befindet Ihr Euch, Sire?«

»Nicht schlecht,« sprach der König, »und Du?«

»Sehr wohl; gute Nacht, Heinrich.«

»Gute Nacht, Chicot; doch schlafe nicht ein.«

»Teufel! ich werde mich wohl hüten,« erwiderte Chicot gähnend, dass er sich den Kiefer beinahe ausrenkte.

Beide schlossen die Augen, der König, um sich zu stellen, als schliefe er, Chicot, um wirklich zu schlafen.

Achtes Kapitel
Wie sich die Stimme des Herrn täuschte und zu Chicot sprach, während sie zu dem König zu sprechen glaubte

Der König und Chicot blieben ungefähr zehn Minuten lang unbeweglich und still. Plötzlich erhob sich der König und setzte sich in seinem Bette auf.

Durch die Bewegung und das Geräusch der süßen Ermattung entzogen, welche dem Schlummer vorhergeht, tat Chicot dasselbe.

Beide schauten sich mit flammenden Augen an.

»Was?« fragte Chicot mit leiser Stimme.

»Der Hauch,« sagte der König noch leiser, »der Hauch!«

In demselben Augenblick erlosch eine von den Kerzen, die der Satyr in der Hand hielt; dann eine zweite, dann eine dritte, und endlich die letzte.

»Oh! oh!« sagte Chicot, »welch ein Hauch!«

Chicot hatte die letzte Silbe dieser Worte nicht so bald gesprochen, als die Lampe ebenfalls erlosch und das Gemach nur durch den letzten Schimmer des Herdes beleuchtet blieb.

»Aufgepasst!« sagte Chicot, sich völlig erhebend.

»Er wird sprechen,« versetzte der König sich in seinem Bette krümmend, »er wird sprechen.«

»So höre,« flüsterte Chicot.

In demselben Augenblick hörte man wirklich eine hohle und in Zwischenräumen pfeifende Stimme im Bettgange sagen:

»Verhärteter Sünder, bist Du da?«

»Ja, ja, Herr,« antwortete Heinrich, dessen Zähne vor Angst klapperten.

»Oh! oh!« sagte Chicot, »diese Stimme, welche vom Himmel kommen soll, ist sehr heiser! Gleichviel, das ist furchtbar.«

»Hörst Du mich?« fragte die Stimme.

»Ja, Herr,« stammelte Heinrich, »und ich höre gebeugt unter Deinem Zorn.«

»Glaubst Du mir dadurch gehorcht zu haben,« fuhr die Stimme fort, »dass Du alle die äußeren Mummereien gemacht hast, die Du heute machtest, ohne dass der Grund Deines Herzens ernstlich berührt wurde?«

»Gut gesagt,« rief Chicot, »oh, gut getroffen!«

Die Hände des Königs schlugen an einander, während er sie falten wollte; Chicot näherte sich ihm.

»Nun!« murmelte Heinrich, »glaubst Du jetzt, Unglücklicher?«

»Warte,« flüsterte Chicot.

»Was willst Du?«

»Stille doch! Höre: schlüpfe ganz sachte aus Deinem Bett und lass mich an Deine Stelle.«

»Warum dies?«

»Damit der Zorn des Herrn zuerst auf mich fällt.«

»Denkst Du, er werde mich verschonen?«

»Versuchen wir es immerhin.«

Und mit einer liebevollen Zudringlichkeit stieß er den König ganz sachte aus dem Bett und legte sich an seine Stelle. Dann sagte er leise:

»Nun setze Dich auf meinen Stuhl und lass mich machen.«

Der König gehorchte; er fing an zu erraten.

»Du antwortest nicht,« sprach die Stimme, »ein Beweis, dass Du in der Sünde verhärtet bist.«

»Oh! Gnade, Gnade, Herr,« sagte Chicot, näselnd wie der König.

Dann sich gegen Heinrich ausstreckend:

»Das ist komisch, begreifst Du, mein Sohn, der gute Gott erkennt Chicot nicht.«

«Potz tausend!« flüsterte der König, »was soll das bedeuten?«

»Warte, warte, Du wirst noch ganz andere Dinge sehen.«

»Unglücklicher!« sprach die Stimme.

»Ja, Herr, ja,« antwortete Chicot, »ja, ich bin ein verhärteter Sünder, ein furchtbarer Sünder.«

»So erkenne Deine Verbrechen und bereue sie.«

«Ich erkenne,« sagte Chicot, »ich erkenne, dass ich ein großer Verräter gegen meinen Vetter Condé gewesen bin, dessen Frau ich verführt habe, und bereue es.«

»Aber was sagst Du denn da?« murmelte der König, »willst Du wohl schweigen! Es ist schon lange nicht mehr hiervon die Rede.«

»Ah! wirklich,« versetzte Chicot, »gehen wir zu etwas Anderem über.«

»Sprich,« sagte die Stimme.

»Ich erkenne,« fuhr der falsche Heinrich fort, »ich erkenne, dass ich ein großer Dieb gegen die Polen gewesen bin, die mich zum König gewählt hatten; ich verließ sie in einer schönen Nacht und nahm alle Diamanten der Krone mit, und das bereue ich.«

»Ah! verfluchter Kerl!« sagte Heinrich, »woran erinnerst Du da? das ist vergessen.«

»Ich muss ihn zu täuschen fortfahren,« versetzte Chicot. »Lass mich machen.«

»Sprich,« sagte die Stimme.

»Ich erkenne,« fuhr Chicot fort, »dass ich den Thron meinem Bruder Alençon geraubt habe, dem er von Rechts wegen zukam, denn ich leistete förmlich darauf Verzicht, als ich den Thron von Polen annahm, und das bereue ich.«

»Schelm!« flüsterte der König.

»Das ist es immer noch nicht,« sprach die Stimme.

»Ich erkenne, dass ich im Einverständnis mit meiner guten Mutter Catharina von Medicis meinen Schwager, den König von Navarra, nachdem ich alle seine Freunde, und meine Schwester, die Königin Margarethe, nachdem ich alle ihre Liebhaber umgebracht, aus Frankreich vertrieben habe, worüber ich eine aufrichtige Reue fühle.«

»Ah! Schuft, der Du bist,« murmelte der König, die Zähne vor Zorn zusammenpressend.

»Sire, beleidigen wir Gott nicht dadurch, dass wir ihm zu verbergen suchen, was er so gut weiß, als wir.«

»Es handelt sich nicht um Politik,« fuhr die Stimme fort.

»Ah! sind wir so weit,« sprach Chicot mit einem kläglichen Tone. »Es handelt sich um meine Sitten, nicht wahr?«

»Ganz richtig,« sagte die Stimme.

»Mein Gott, es ist wahr,« antwortete Chicot, immer im Namen des Königs sprechend. »Ich bin sehr weibisch, sehr träg, sehr weichlich und sehr heuchlerisch.«

»Ganz richtig,« wiederholte die Stimme mit ihrem hohlen Tone.

»Ich habe die Frauen misshandelt, besonders die meinige, eine so würdige Frau.«

»Man muss seine Frau lieben, wie sich selbst, und sie allen Dingen vorziehen,« sprach die wütende Stimme.

»Ah!« rief Chicot mit verzweiflungsvollem Tone, »dann habe ich viel gesündigt.«

»Und Du hast die Andern zur Sünde verleitet, indem Du ihnen das Beispiel gabst.«

»Das ist wahr, das ist abermals wahr.«

»Du hast den armen Saint-Luc beinahe in Verdammnis gebracht.«

»Bah!« erwiderte Chicot, »mein Gott, weißt Du gewiss, dass ich ihn nicht völlig in Verdammnis gebracht habe?«

»Nein, aber es könnte ihm wohl begegnen und Dir auch, wenn Du ihn nicht spätestens morgen früh zu seiner Familie zurückschickst.«

»Ah! Ah!« sagte Chicot zu dem König, »die Stimme scheint mir mit der Familie Cossé befreundet.«

»Und wenn Du ihn nicht zum Herzog und seine Frau zur Herzogin machst,« fuhr die Stimme fort, »um ihn für die Tage seiner vorzeitigen Witwerschaft zu entschädigen.«

»Und wenn ich nicht gehorche?« entgegnete Chicot, indem er in seine Stimme eine Ahnung von Widerstand einfließen ließ.

»Wenn Du nicht gehorchst,« antwortete die Stimme, sich auf eine furchtbare Weise verstärkend, »wenn Du nicht gehorchst, so wirst Du die ganze Ewigkeit hindurch in dem großen Kessel braten, in welchem Dich Sardanapal, Nebukadnezar und der Marschall Retz erwarten.«

Heinrich III. stieß einen Seufzer aus. Die Furcht fasste ihn bei dieser Drohung noch grausamer als zuvor.

»Pest!« flüsterte Chicot, »bemerkst Du, Heinrich, wie der Himmel sich für Saint-Luc interessiert? Man sollte beim Teufel glauben, er habe den guten Gott in seinem Ärmel.«

 

Aber Heinrich hörte die Scherze von Chicot nicht, oder wenn er sie hörte, so vermochten sie ihn nicht zu beruhigen.

»Ich bin verloren,« sagte er ganz bestürzt, »ich bin verloren! und diese Stimme von oben bringt mich um.«

»Stimme von oben!« entgegnete Chicot, »ah! diesmal täuschest Du Dich; höchstens Stimme von der Seite.«

»Wie! Stimme von der Seite?« fragte Heinrich.

»Ja wohl, hörst Du denn nicht, mein Sohn, dass die Stimme von jener Wand kommt? Heinrich, der gute Gott wohnt im Louvre. Wahrscheinlich reist er wie Kaiser Karl V. durch Frankreich, um in die Hölle hinabzusteigen.«

»Atheist! Gotteslästerer!«

»Das ist ehrenvoll für Dich, Heinrich, und ich mache Dir mein Kompliment. Doch ich muss gestehen, ich finde Dich sehr kalt gegen die Ehre, die Du empfängst. Wie! der gute Gott ist im Louvre und nur durch einen Verschlag von Dir getrennt, und Du stattest ihm nicht einen Besuch ab? Auf, Valois, daran erkenne ich Dich nicht, Du bist nicht höflich.«

In diesem Augenblick entzündete sich ein in einer Ecke des Kamins verlorener Ast und beleuchtete, einen Schimmer in das Gemach werfend, das Gesicht von Chicot.

Dieses Gesicht hatte einen solchen Ausdruck von Heiterkeit und Spott, dass der König darüber erstaunte.

»Wie!« sagte er, »Du hast das Herz, zu spotten, Du wagst es …«

»Ja wohl, wage ich es,« antwortete Chicot, »und Du wirst es sogleich selbst wagen, oder der Teufel soll mich holen! Doch sei vernünftig, mein Sohn, und thue, was ich Dir sage.«

»Ich soll sehen …«

»Ob der gute Gott wirklich in dem Zimmer neben an ist.«

»Doch wenn die Stimme abermals spricht?«

»Bin ich nicht da, um zu antworten? Es ist sogar gut, wenn ich in Deinem Namen zu sprechen fortfahre, denn das wird die Stimme, welche mich für Dich hält, glauben machen, Du seist immer noch da; sie ist schön leichtgläubig, die göttliche Stimme, und erkennt nicht einmal ihre Leute. Wie? seit einer Viertelstunde schreie ich, und sie hat mich noch nicht erkannt? Das ist demütigend für einen Geist.«

Heinrich runzelte die Stirne. Chicot hatte so viel gesagt, dass seine unfaßliche Leichtgläubigkeit wankend wurde.

»Ich glaube, Du hast Recht, Chicot,« sprach der König, »und ich habe große Lust …«

»Gehe doch,« versetzte Chicot ihn vorwärts treibend. Heinrich öffnete sachte die Türe des Ganges, der in das anstoßende Zimmer führte, welches, wie man sich erinnert, das ehemalige Zimmer der Amme von Karl IX. und in diesem Augenblick von Saint-Luc bewohnt war. Doch er hatte nicht sobald vier Schritte im Gange getan, als er die Stimme ihre Vorwürfe verdoppeln hörte. Chicot antwortete durch die kläglichsten Ausrufungen.

»Ja,« sprach die Stimme, »Du bist unbeständig wie eine Frau, weichlich wie ein Sybarite, verdorben wie ein Heide.«

»Wehe! wehe!« winselte Chicot. »Ist es mein Fehler, großer Gott, dass Du meine Haut so zart, meine Hände so weiß, meine Nase so fein, meinen Geist so veränderlich gemacht hast? Doch nun ist es vorbei, mein Gott, von heute an will ich nur noch Hemden von grober Leinwand tragen. Ich will mich in einen Düngerhaufen begraben wie Hiob und Kuhmist essen wie Ezechiel.«

Heinrich ging indessen immer weiter und bemerkte mit Verwunderung, dass in demselben Grade, in welchem die Stimme von Chicot abnahm, die Stimme seines Gegenredners stärker wurde, und dass diese Stimme wirklich aus dem Zimmer von Saint-Luc zu kommen schien.

Heinrich wollte eben an die Türe klopfen, als er einen Lichtstrahl durch das weite Loch des ziselierten Schlosses dringen sah.

Er bückte sich bis zu dem Schloss und schaute hinein.

Plötzlich wurde Heinrich, der sehr bleich war, rot vor Zorn; er erhob sich und rieb seine Augen, als wollte er besser das sehen, was er nicht glauben konnte, obgleich er es sah.

»Gottes Tod!« murmelte er, »ist es möglich, dass man mich so zu verhöhnen gewagt hat?«

Man vernehme, was der König durch das Schlüsselloch erblickte:

In einer Ecke dieses Zimmers stand Saint-Luc in seidenen Beinkleidern und in einem Schlafrock und sprach in ein Rohr die bedrohlichen Worte, die der König für göttliche Worte hielt; an seiner Seite und auf seine Schulter gestützt gewahrte Heinrich eine junge Frau in weißem, durchsichtigem Gewand, welche von Zeit zu Zeit das Rohr aus seinen Händen riss und, ihre Stimme tiefer machend, alle närrischen Einfälle, welche zuerst in ihren boshaften Augen und auf ihren lachenden Lippen sichtbar waren, hineinblies. So oft das Manoeuvre des Sprachrohrs wiederholt wurde, entstand eine tolle Freude, während Chicot wehklagte und weinte, um an den König glauben zu machen; die Nachahmung war so vollkommen und das Näseln so natürlich, dass er sich selbst von diesem Gange aus wehklagen und weinen hörte.

»Jeanne von Cossé in dem Zimmer von Saint-Luc, ein Loch in der Wand, mir eine Mystifikation!« murrte Heinrich. »Oh! die Elenden! sie sollen es mir teuer bezahlen.«

Und auf eine Phrase, welche noch beleidigender war, als die vorhergehenden, und von Frau von Saint-Luc in das Sprachrohr geblasen wurde, wich Heinrich einen Schritt zurück und stieß mit einem für einen weibischen Menschen sehr männlichen Fußtritt die Türe ein, deren Angeln sich halb aus der Wand lösten, während das Schloss völlig absprang. Halb nackt, verbarg sich Jeanne mit einem furchtbaren Schrei hinter den Vorhängen, in welche sie sich den Kopf verbergend einhüllte. Das Sprachrohr in der Hand, bleich vor Schrecken, stürzte Saint-Luc vor dem zornigen König auf die Knie nieder.

»Ah!« rief Chicot aus dem königlichen Zimmer, »ah, Barmherzigkeit! Ich beschwöre die Jungfrau Maria und alle Heilige … ich werde ohnmächtig, ich sterbe.«

Doch in dem Zimmer nebenan hatte noch keine von den handelnden Personen der von uns erzählten burlesken Szene die Kraft gewonnen, um zu sprechen, so rasch war eine dramatische Wendung eingetreten. Heinrich brach das Stillschweigen durch ein Wort und diese Unbeweglichkeit durch eine Gebärde.

»Hinaus!« sagte er den Arm ausstreckend. Und einer Bewegung von Wut nachgebend, welche eines Königs unwürdig war, entriss er das Sprachrohr den Händen von Saint-Luc und hob es auf, als wollte er ihn schlagen. Doch Saint-Luc sprang auf, als ob ihn eine Stahlfeder auf die Beine geschnellt hätte, und rief:

»Sire, Ihr habt nur das Recht mich an den Kopf zu schlagen, denn ich bin Edelmann.«

Heinrich warf das Sprachrohr auf den Boden. Chicot hob es auf; als nämlich dieser das Geräusch der zerbrochenen Türe hörte, dachte er, die Gegenwart eines Vermittlers wäre nicht überflüssig, und lief herbei. Er ließ Heinrich und Saint-Luc ihren Streit nach ihrem Belieben ausmachen, eilte geraden Wegs auf den Vorhang zu, unter dem er Jemand vermutete, und zog die arme Frau ganz zitternd hervor.

»Halt! halt!« rief Chicot, »Adam und Eva nach dem Sündenfall! Und Du verjagst sie, Heinrich?« fügte er, den König mit den Blicken befragend, bei.

»Ja,« antwortete Heinrich.

»Warte, ich will den Engel der Vertilgung machen.«

Und sich zwischen den König und Saint-Luc werfend, streckte er sein Sprachrohr über dem Haupt der Schuldigen aus und rief:

»Dieses ist mein Paradies, das Ihr durch Euren Ungehorsam verloren habt. Ich verbiete Euch, dahin zurückzukehren.«

Dann sich an das Ohr von Saint-Luc neigend, der, um seine Frau nötigenfalls gegen den Zorn des Königs zu beschützen, den Arm um ihren Leib schlang, sagte Chicot leise: »Wenn Ihr ein gutes Pferd habt, so reitet es zu Tode. Doch macht zwanzig Meilen von jetzt bis morgen.«

Neuntes Kapitel
Wie Bussy, immer mehr überzeugt, es wäre eine Wirklichkeit, Nachforschungen über seinen Traum anstellte

Bussy und der Herzog von Anjou waren indessen, Beide träumerisch, zurückgekehrt; der Herzog, weil er die Folgen des kräftigen Ausfalls befürchtete, zu dem ihn Bussy gleichsam genötigt hatte; Bussy, weil ihn die Ereignisse der vorhergehenden Nacht ungemein in Anspruch nahmen und beschäftigten.

»Kurz,« sagte er zu sich selbst, als er seine Wohnung wieder erreichte, nachdem er dem Herzog von Anjou viel Schönes über die Energie, die er entwickelt, gesagt hatte, »kurz, es ist gewiss, dass ich angegriffen worden bin, dass ich mich geschlagen, dass ich eine Wunde erhalten habe, denn das fühle ich hier an meiner rechten Seite, und die Wunde ist sogar viel schmerzhafter geworden. Während ich mich aber schlug, sah ich, wie ich dort das Kreuz der Petits-Champs sehe, die Mauer des Hotel des Tournelles und die Zinnen der Bastille. Auf dem Platze der Bastille, etwas vor dem Hotel des Tournelles, zwischen der Rue Sainte-Catherine und der Rue Saint-Paul, wurde ich angegriffen, als ich nach dem Faubourg Saint-Antoine ging, um den Brief der Königin von Navarra zu holen. Dort also wurde ich angegriffen, bei einer Türe, woran eine Schießscharte, durch welche ich, sobald die Türe hinter mir geschlossen war, Quélus erblickte, der sehr bleiche Wangen und sehr flammende Augen hatte. Ich war in einem Gange; am Ende des Ganges fand sich eine Treppe. Ich fühlte noch die erste Stufe dieser Treppe, als ich darauf strauchelte. Ich wurde ohnmächtig. Dann begann mein Traum. Später erwachte ich wieder bei einem sehr frischen Winde auf der Böschung der Gräben des Temple liegend, zwischen einem Augustinermönche, einem Fleischer und einem alten Weibe.

Wie kommt es nun, dass meine anderen Träume so schnell und vollständig aus meinem Gedächtnis entschwinden, während dieser sich immer mehr eingräbt, je mehr ich mich von dem Zeitpunkte, wo ich ihn gehabt, entferne?«

»Ah!« sagte Bussy, »das ist das Geheimnis.«

Und er blieb an der Türe seines Hotel, das er in diesem Augenblick erreichte, stehen, lehnte sich an die Mauer an, schloss die Augen und fuhr fort:

»Bei Gott! ein Traum kann unmöglich einen solchen Eindruck im Geiste zurücklassen. Ich sehe das Zimmer mit seiner Tapete und den Figuren darauf, ich sehe den gemalten Plafond, ich sehe mein Bett von geschnitztem Eichenholz mit seinen weiß und goldenen Damastvorhängen, ich sehe das Portrait, ich sehe die blonde Frau; ich bin minder sicher, dass das Portrait und die Frau eines und dasselbe sind. Ich sehe endlich das gute und freundliche Gesicht des jungen Arztes, den man mit verbundenen Augen an mein Bett führte. Das sind doch Anzeichen genug. Durchgehen wir es noch einmal: eine Tapete, ein Plafond, ein geschnitztes Bett, Vorhänge von weiß und goldenem Damast, ein Portrait, eine Frau und ein Arzt. Vorwärts! vorwärts! ich muss Nachforschungen nach Allem dem anstellen, und wenn ich nicht der aller dümmste Mensch bin, die Sache auch finden.

»Vor Allem,« schloss Bussy, »vor Allem wollen wir, um das Geschäft gut zu beginnen, eine für einen Nachtschwärmer passendere Tracht wählen, dann zur Bastille!«

In Folge dieses Entschlusses, der eben nicht sehr vernünftig für einen Mann war, welcher, nachdem er am Abend zuvor beinahe an einem Orte ermordet worden wäre, am Tage darauf ungefähr zu derselben Stunde, um Nachforschungen anzustellen, an denselben Ort ging, in Folge dieses Entschlusses, sagen wir, ging Bussy in seine Wohnung hinauf, ließ die Binde, welche seine Wunde schloss, durch einen Lackei befestigen, der ein wenig Wundarzt war und für alle Fälle in seinen Diensten stand, zog lange, bis mitten an die Schenkel gehende Stiefeln an, wählte seinen zuverlässigsten Degen, hüllte sich in seinen Mantel, setzte sich in seine Sänfte, ließ am Ende der Rue du Roi de Sicile halten, stieg aus, befahl seinen Leuten zu warten, erreichte die große Rue Saint-Antoine und wanderte nach dem Platze der Bastille.

Es war ungefähr neun Uhr Abends. Die Glocke, welche damals das Zeichen gab, dass die Bürgerschaft nach Hause gehen sollte, hatte sich bereits hörbar gemacht. Paris wurde öde. In Folge des Tauwetters, das ein wenig Sonne und ein wenig laue Atmosphäre im Verlaufe des Tages herbeigeführt hatten, machten die Pfützen von gefrorenem Wasser und die Schlammlöcher auf dem Platze der Bastille einen mit Seen und Abstürzen überstreuten Boden, den wie eine Chaussee der von uns bereits erwähnte gebahnte Weg umzog.

Bussy schaute sich um; er suchte die Stelle, wo sein Pferd gefallen war, und glaubte sie gefunden zu haben; er machte dieselben Bewegungen des Rückzuges und des Angriffes, die er gemacht zu haben sich erinnerte; er wich bis an die Mauer zurück und untersuchte jede Türe, um den Winkel, an den er sich angelehnt, und das Gitter zu finden, durch das er Quélus betrachtet hatte. Doch alle Türen hatten einen Winkel und beinahe alle ein Gitter; es fand sich ein Gang hinter den Türen. Durch einen misslichen Umstand, der weniger außerordentlich erscheinen wird, wenn man bedenkt, dass der Concierge in jener Zeit bei bürgerlichen Häusern etwas Unbekanntes war, hatten drei Viertel der Türen Gänge.

 

»Bei Gott!« sagte Bussy mit tiefem Ärger zu sich selbst, »wenn ich an jede von diesen Türen klopfen, alle Mietsleute fragen, tausend Thaler ausgeben müsste, um die Bedienten und alten Weiber zum Sprechen zu bringen, ich werde erfahren, was ich wissen will. Es sind fünfzig Häuser, bei zehn Häusern für den Abend verliere ich fünf Abende; ich werde nur warten, bis es ein wenig trockener ist.«

Als Bussy dieses Selbstgespräch vollendete, gewahrte er ein kleines, zitterndes, bleiches Licht, das, in den Pfützen sich spiegelnd wie ein Leuchtfeuer im Meere, herbei kam.

Dieses Licht näherte sich sehr langsam und ungleich, blieb von Zeit zu Zeit stehen, ging bald rechts, bald links ab, strauchelte plötzlich und fing an zu tanzen wie ein Irrlicht, bekam dann wieder seinen ruhigen Gang und überließ sich wieder neuen Abschweifungen.

»Der Platz der Bastille ist offenbar ein sonderbarer Platz,« sagte Bussy. »Doch gleichviel, wir wollen warten.«

Und um bequemer zu warten, hüllte sich Bussy in seinen Mantel und drückte sich in die Ecke einer Türe. Die Nacht war sehr finster, und man konnte sich nicht auf vier Schritte sehen.

Die Laterne setzte ihren Weg fort und machte immer tollere Evolutionen. Doch da Bussy nicht abergläubisch war, so blieb er überzeugt, das Licht, das er sah, wäre kein irrendes Feuer, von der Natur derjenigen, welche die Reisenden so sehr im Mittelalter erschreckten, sondern ganz einfach eine Stocklaterne, welche an einer Hand hängen müsste, die wiederum an irgend einem Körper befestigt wäre.

Nachdem er einige Sekunden gewartet, bestätigte sich wirklich seine Mutmaßung. Bussy erblickte dreißig Schritte von sich eine schwarze, pfahlartig dünne und lange Form, welche Form allmählich den Umriss eines lebendigen Wesens annahm, das die Laterne an seinem rechten Arme hielt und diesen bald gerade ausstreckte bald auf die Seite hinaus stieß, bald an seiner Hüfte herabhängen ließ. Dieses lebendige Wesen schien für den Augenblick der Brüderschaft der Trunkenbolde anzugehören, denn nur der Trunkenheit ließen sich die seltsamen krummen Linien, die es beschrieb, und die Philosophie voraussetzen, mit der es in die Kothlöcher stolperte und in den Wasserlachen herumpatschte. Einmal geschah es ihm sogar, dass es auf einer schlecht aufgetauten Eislache ausglitschte, und ein dumpfer Schall, begleitet von einer unwillkürlichen Bewegung der Laterne, welche von oben nach unten zu stürzen schien, deutete Bussy an, nicht sehr sicher auf seinen beiden Beinen, habe der nächtliche Spaziergänger einen solideren Schwerpunkt gesucht.

Bussy fing nun an, in seinem Innern jene Ehrfurcht zu fühlen, welche alle edle Herzen für verspätete Trunkenbolde hegen, und er ging vor, um diesem Dienstmann des Bacchus, wie Meister Ronsard sagte, Hilfe zu leisten, als er sah, dass die Laterne sich mit einer Schnelligkeit erhob, welche andeutete, der Träger derselben besitze mehr Festigkeit, als man bei dem ersten Anscheine hätte glauben sollen.

»Gut, noch ein Abenteuer, wie es scheint,« murmelte Bussy.

Und da die Laterne wieder ihren Gang nahm und gerade auf ihn zuzukommen schien, so drückte er sich tiefer als zuvor in den Winkel der Türe.

Die Laterne machte zehn Schritte, und nun sah Bussy bei dem Scheine, den sie von sich gab, etwas Seltsames, nämlich, dass der Mensch, der sie trug, eine Binde über den Augen hatte.

»Bei Gott!« sagte Bussy, »es ist doch ein sonderbarer Gedanke, mit einer Laterne blinde Kuh zu spielen, namentlich bei einem Wetter wie heute und auf einem Boden wie dieser. Sollte ich zufällig wieder anfangen, zu träumen?«

Bussy wartete abermals, und der Mensch mit der Binde machte wieder fünf bis sechs Schritte.

»Gott vergebe mir!« sagte Bussy, »ich glaube, er spricht ganz allein. Das ist weder ein Betrunkener, noch ein Narr, sondern ein Mathematiker, der die Lösung eines Problems sucht.«

Diese Ansicht wurde dem Beobachter durch die letzten Worte eingegeben, die der Mann mit der Laterne gesprochen und Bussy gehört hatte.

»Vierhundert acht und achtzig, vierhundert neun und achtzig, vierhundert neunzig murmelte der Mann mit der Laterne, »das muss ganz hier in der Nähe sein.«

Und dann hob der Geheimnisvolle mit der rechten Hand seine Binde auf, sah sich einem, Hause gegenüber und näherte sich der Türe. Als er bei der Türe war, schaute er sie aufmerksam an.

»Nein,« sagte er, »diese ist es nicht.«

Dann ließ er seine Binde herab und setzte sich rechnend wieder in Marsch.

»Vierhundert ein und neunzig, vierhundert zwei und neunzig, vierhundert drei und neunzig, vierhundert vier und neunzig; ich muss ganz nahe daran sein,« sagte er. Und er hob abermals seine Binde auf, näherte sich der Türe zunächst von der, an welcher sich Bussy verborgen hielt, und betrachtete sie mit nicht geringerer Aufmerksamkeit, als die erste.

»Hm! hm!« sagte er, »das könnte es wohl sein; nein, ja, nein, diese Teufel von Türen gleichen sich alle.«

»Eine Betrachtung, die ich bereits angestellt habe,« sagte Bussy zu sich selbst, »das flößt mir Ehrfurcht vor dem Mathematiker ein.«

Der Mathematiker ließ seine Binde wieder herab und setzte seinen Weg fort.

»Vierhundert sechs und neunzig, vierhundert sieben und neunzig, vierhundert acht und neunzig, vierhundert neun und neunzig … wenn mir gegenüber eine Türe ist, so muss diese es sein,« sprach der Sucher.

Es fand sich in der Tat eine Türe, und diese Türe war diejenige, an welcher sich Bussy verborgen hielt; in Folge hiervon hob der mutmaßliche Mathematiker seine Stocklaterne bis zu einer Mannshöhe empor, nahm seine Binde ab, und so standen Bussy und er einander gegenüber.

»Nun!« sprach Bussy.

»Oh!« machte der nächtliche Spaziergänger, einen Schritt zurückweichend.

»Halt!« sagte Bussy. »Es ist nicht möglich!« rief der Unbekannte.

»Doch wohl, nur ist es wunderbar. Ihr seid der Arzt?«

»Und Ihr der Edelmann?«

»Ganz richtig.«

»Jesus! welch ein Zufall!«

»Der Arzt,« fuhr Bussy fort, »der gestern Abend einen Edelmann verband, welcher einen Degenstich in die Seite bekommen hatte …«

«Allerdings.«

»Es ist so, ich erkannte Euch auf der Stelle; Ihr habt eine so zarte, so leichte und zugleich so geschickte Hand.«

»Ah! mein Herr, ich erwartete nicht, Euch hierzu finden.«

»Was suchtet Ihr denn?«

»Das Haus.«

»Ah!« rief Bussy, »Ihr suchtet das Haus?«

»Ja.«

»Ihr kennt es also nicht?«

»Wie soll ich es kennen,« entgegnete der junge Mann, »da man mich mit verbundenen Augen dahin geführt hat!«

»Man hat Euch mit verbundenen Augen dahin geführt?«

»Allerdings.«

»Ihr seid also wirklich in diesem Hause gewesen?«

»In diesem oder in einem von den anstoßenden; ich kann nicht' sagen, in welchem, denn ich suche es.«

»Gut,« versetzte Bussy, »also habe ich nicht geträumt.«

»Wie? Ihr habt nicht geträumt!«

»Ich muss Euch sagen, mein lieber Freund, ich glaubte, dieses ganze Abenteuer wäre, wohl verstanden abgesehen von dem Degenstich, nur ein Traum.«

»Ihr setzt mich nicht in Erstaunen, mein Herr,« entgegnete der junge Arzt.

»Wie so?«

»Ich vermutete, es walte ein Geheimnis dabei ob.«

»Ja, mein Freund, und zwar ein Geheimnis, das ich aufklären will; nicht wahr, Ihr werdet mir dabei behilflich sein?«

»Sehr gern.«

»Gut; vor Allem zwei Worte.«

»Sprecht.«

»Wie heißt Ihr?«

»Mein Herr,« antwortete der junge Arzt, »ich werde mich nicht eigensinnig zeigen; ich weiß wohl, dass ich, in guter Manier und nach der Mode, auf eine solche Frage stolz mich auf einen Fuß stützen und die Hand auf der Hüfte zu Euch sagen müsste: ›Und Ihr, mein Herr, wenn es Euch beliebt!‹ Doch Ihr habt einen langen Degen, und, ich habe nur meine Lanzette. Ihr habt das Aussehen eines würdigen Edelmanns, und ich muss Euch wie ein Schelm vorkommen, denn ich bin bis auf die Knochen durchnässt und bis auf den Rücken mit Kot überzogen. Ich entschließe mich also, ganz offenherzig Eure Frage zu beantworten und sage: Ich heiße Remy der Haudouin.«

»Sehr gut, mein Herr, tausend Dank. Ich bin der Graf Louis von Clermont, Herr von Bussy.«

»Bussy d'Amboise, der Held Bussy,« rief der junge Doktor mit einer offenbaren Freude. »Wie! mein Herr, Ihr wäret der berühmte Bussy, der Oberst, der … der … oh!«

»Ich bin es, mein Herr,« erwiderte bescheiden der Edelmann. »Und nun, da wir gegenseitig über unsere Personen aufgeklärt sind, so bitte ich Euch, befriedigt meine Neugierde, so schmutzig und nass Ihr auch seid.«