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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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CLXVIII
Der 1. September

Man vernehme, was in Folge des so eben von uns erzählten tragikomischen Ereignisses geschah.

Ins Gefängniß vom Chatelet eingeschlossen, wurde Herr von Beausire der Jury zugeschieden, welche speziell mit der Verfolgung der am 10. August und an den folgenden Tagen begangenen Diebstahlsvergehen beauftragt war.

Es war nicht möglich, zu leugnen: das Factum war zu klar erwiesen.

Der Angeschuldigte beschränkte sich auch einfach darauf, daß er seine Schuld in Demuth gestand und die Milde des Gerichtes anflehte.

Das Gericht gab Befehl, die Antecedentien von Herrn von Beausire zu erforschen, und wenig erbaut durch die Aufschlüsse, die es erhielt, verurtheilte es den ehemaligen Gefreiten zu fünf Jahren Galeeren und zur Ausstellung.

Herr von Beausire brachte vergebens vor, er sei zu diesem Diebstahle durch achtbare Gefühle, das heißt durch die Hoffnung, seiner Frau und seinem Sohne eine ruhige Zukunft zu sichern, angetrieben worden; nichts vermochte den Spruch zu beschwören; und da in seiner Eigenschaft als specielles Gericht dieses keine Appellation ließ, so wurde am zweiten Tage nach der Verurtheilung der Spruch executorisch.

Ach! warum war er es nicht auf der Stelle!

Das Verhängniß wollte, daß man am Vorabend des Tages, wo Herr von Beausire ausgestellt werden solle, in das Gefängniß einen seiner früheren Kameraden einführte. Die Wiedererkennung fand statt; die vertrauten Eröffnungen erfolgten.

Der neue Gefangene war, wie er sagte, eingesperrt worden wegen eines vollkommen organisirten Complottes, das auf dem Grève-Platze oder auf dem Platze des Justizpalastes zum Ausbruche kommen sollte.

Die Verschworenen würden sich hier in beträchtlicher Anzahl unter dem Vorwande, sie wollen die erste Ausstellung sehen, welche stattfände, – man stellte damals ohne Unterschied auf der Grève und vor dem Justizpalaste aus, – versammeln und auf das Geschrei: »Es lebe der König! Es leben die Preußen! Tod der Nation!« des Stadthauses bemächtigen, die Nationalgarde, i der zwei Drittel Royalisten oder wenigstens Constitutionelle seien, zu Hilfe rufen, die Abschaffung der am 20. August durch die Nationalversammlung cassierten Commune behaupten und endlich die royalistische Contrerevolution vollführen.

Zum Unglücke war es dieser neu verhaftete Freund von Herrn von Beausire, der das Signal geben sollte: die anderen Verschworenen, welche nichts von seiner Verhaftung wußten, würden sich am Tage der Ausstellung des ersten Verurtheilten auf den Platz begeben, und da Niemand da wäre, um zu rufen: »Es lebe der König! Es leben die Preußen! Tod der Nation!« so würde die Bewegung nicht stattfinden.

Dies sei um so bedauerlicher, fügte der Freund bei, als nie eine Bewegung besser kombiniert gewesen sei und ein sichereres Resultat versprochen habe!

Die Verhaftung des Freundes von Herrn von Beausire hatte überdies das Beklagenswerthe, daß sicherlich im Tumulte der Verurtheilte befreit worden, zu entfliehen und so der doppelten Strafe der Brandmarkung und der Galeeren zu entgehen im Stande gewesen wäre.

Herr von Beausire, obgleich kein Mann von einer sehr entschiedenen Meinung, hatte sich im Grunde doch immer zum Königthum geneigt; er fing also an bittet für den König und sodann, subsidiär, für sich zu bedauern, daß die Bewegung nicht stattfinden konnte.

Plötzlich aber schlug er sich vor die Stirne: er war von einem Gedanken erleuchtet worden.

»Ei!« sagte er zu seinem Kameraden, »diese erst Ausstellung sollte ja die meinige sein!«

»Allerdings; was, ich wiederhole es Dir, ein große Glück für Dich gewesen wäre.«

»Und Du sagst, Deine Verhaftung sei unbekannt?«

»Völlig.«

»Also werden sich die Verschworenen nichtsdestoweniger versammeln, als ob Du nicht verhaftet worden wärest?«

»Gewiß.«

»So daß, wenn Jemand das verabredete Signal gebe, die Verschwörung losbrechen würde?«

»Ja . . . Wer soll es aber geben, da ich, verhaftet bin, und nicht mit außen Rücksprache nehmen kann?«

»Ich!« erwiederte Beausire mit dem Tone von Medea im Trauerspiele von Corneille.

»Du?«

»Allerdings, ich! Ich werde dort sein, nicht wahr, ich es bin, den man ausstellt? Nun wohl, ich werde rufen: »»Es lebe der Königs Es leben die Preußen! Tod der Nation!«« Das ist nicht sehr schwer, wie mir scheint!«

Der Kamerad von Beausire war ganz verblüfft.

»Ich sagte immer, Du seist ein Mann von Genie!« sagte er.

Beausire verbeugte sich.

»Und wenn Du das thust,« fuhr der royalistische Gefangene fort, »so wirst Du nicht nur befreit, nicht nur begnadigt, sondern Du magst Dich, da ich laut erklären werde, man verdanke Dir das Gelingen der Verschwörung, zum Voraus rühmen, Du werdest eine schöne Belohnung empfangen!«

»Nicht in Rücksicht hierauf handle ich,« erwiederte Beausire mit der uneigennützigsten Miene der Welt.

»Bei Gott!« sagte der Freund; »doch kommt die Belohnung, so rathe ich Dir, sie nicht auszuschlagen.«

»Wenn Du es mir räthst . . . « versetzte Beausire.

»Ich thue mehr, ich fordere Dich hierzu auf, und Nothfalls befehle ich es Dir!« sprach majestätisch der Freund.

»Es sei!« erwiederte Beausire.

»Nun wohl!« sagte der Freund, »morgen werden mit einander frühstücken: der Director des Gefängnisses wird diese letzte Gunst zwei Kameraden nicht verweigern; – und wir werden eine gute Flasche Wein auf das Gelingen der Verschwörung trinken!«

Beausire hegte wohl noch einigen Zweifel über die Gefälligkeit des Directors vom Gefängniß hinsichtlich des Frühstücks am andern Tage; doch ob er mit seinen Freunde frühstückte oder nicht frühstückte, – er war entschlossen, das Versprechen, das er geleistet, zu halten.

Zu seiner großen Zufriedenheit wurde vom Director die Bewilligung gegeben.

Die zwei Freunde frühstückten mit einander: sie tranken nicht eine Flasche, sondern zwei, sondern drei, sondern vier!

Bei der vierten war Herr von Beausire ein wüthender Royalist. Zum Glücke holte man ihn, um ihn auf den Grève-Platz zu führen, ehe die fünfte Flasche in Angriff genommen war.

Er bestieg den Karren, als wäre es ein Triumph wagen, und schaute verächtlich diese Menge an, der er eine so furchtbare Ueberraschung vorbehielt.

Auf dem Weichsteine des Pont Notre-Dame warteten eine Frau und ein kleiner Knabe auf ein Vorüberziehen.

Herr von Beausire erkannte die arme Oliva, welche in Thränen zerfloß, und den jungen Toussaint, der, als er seinen Vater in den Händen der Gendarmerie sah, ausrief:

»Das ist wohlgethan! warum hat er mich geschlagen?«

Beausire sandte ihnen ein Lächeln der Protection zu, und er würde eine Geberde beigefügt haben, welche sicherlich voll Majestät gewesen wäre, hätte er nicht die Hände auf den Rücken gebunden gehabt.

Der Platz des Stadthauses war bedeckt von Menschen.

Man wußte, daß der Verurtheilte einen in der Tuilerien begangenen Diebstahl büßte; man kannte, durch den Bericht der Verhandlungen, die Umstände, welchen diesen Diebstahl begleitet hatten und ihm gefolgt waren, und man war ohne Mitleid für den Verurtheilten.

Als der Karren am Fuße des Prangers anhielt, hatte die Wache auch alle erdenkliche Mühe, um das Volk im Zaume zu halten.

Beausire schaute diese große Bewegung, diesen ganzen Tumult, diese ganze Menge mit einer Miene an, welche besagen wollte: »Ihr sollt sehen! das wird sogleich ganz anders sein!«

Sobald er auf dem Pranger erschien, war es ein allgemeines Hurrah; als jedoch der Augenblick der Execution herannahte, als der Henker den Ärmel des Verurtheilten aufgeknöpft, seine Schulter entblößt halte, und er sich bückte, um das glühende Eisen aus dem Ofen zu nehmen, da geschah, was immer geschieht: vor der erhabenen Majestät der Justiz schwieg Alles.

Beausire benützte den Augenblick und rief, alle eine Kräfte zusammenraffend, mit einer vollen, sonoren, schallenden Stimme:

»Es lebe der König! Es leben die Preußen! Tod er Nation!«

Welchen Tumult auch Herr von Beausire erwartet hatte, das Ereigniß überstieg bei Weitem seine Hoffnungen: das war nicht Geschrei, sondern Gebrülle.

Diese ganze Menge stieß ein ungeheures Gebrülle aus und stürzte sich auf den Pranger.

Diesmal war die Wache unmächtig, Herr von Beausire zu beschützen; die Reihen wurden durchbrochen, das Gerüste wurde erstürmt, der Henker von der Estrade geworfen, und der Verurtheilte in die verschlingenden Ameisenhaufen gestürzt, die man die Menge nennt.

Er war nahe daran, getödtet, zermalmt, in Stücke zerhackt zu werden, als zum Glücke ein mit seiner Schärpe umgürteter Mann von der Freitreppe des Stadthauses herab, wo er dieser Execution anwohnt, herbeieilte.

Dieser Mann war der Procurator der Gemeinde, Manuel.

Es war in ihm ein großes Gefühl von Menschen liebe, welches er manchmal in der Tiefe seiner Seele zu verschließen genöthigt war, das aber unter Umständen, wie dieser, daraus hervordrang.

Er gelangte mit großer Mühe bis zu Herrn von Beausire, streckte die Hand über ihm aus und sprach mit starker Stimme:

»Im Namen des Gesetzes reclamire ich dieser Menschen!«

Das Volk zögerte, zu gehorchen; Manuel macht seine Schärpe los, ließ sie über der Menge flattern und rief:

»Zu mir, alle gute Bürger!«

Etwa zwanzig Männer liefen herbei und drängten sich um ihn.

Man zog Beausire aus den Händen der Menge er war halb todt.

Manuel ließ ihn nach dem Stadthause bringen; bald wurde aber das Stadthaus ernstlich bedroht, so groß war die Erbitterung.

Manuel erschien auf dem Balkon.

»Dieser Mensch ist schuldig,« sagte er, »jedoch eines Verbrechens, für welches er nicht gerichtet worden ist. Ernennt unter Euch eine Jury; diese Jury wird sich in einem der Säle des Stadthauses versammeln und über das Loos des Schuldigen entscheiden. Der Spruch, wie er auch sein mag, wird vollzogen werden, doch es finde ein Spruch statt.«

 

Ist es nicht seltsam, daß am Tage vor der Metzelei der Gefängnisse einer von den Männern, die man dieser Metzelei bezichtigt, eine solche Sprache führt?

Es gibt Anomalien in der Politik: erkläre sie, wer kann.

Diese Aufforderung beschwichtigte die Menge. Eine viertelstunde nachher kündigte man Manuel die Volksjury an; sie bestand ans einundzwanzig Mitgliedern; die einundzwanzig Männer erschienen auf dem Balcon.

»Sind diese Männer wirklich Eure Abgeordneten?« sagte Manuel.

Die Menge klaschte, statt jeder Antwort, in die Hände.

»Es ist gut,« sagte Manuel, »da hier die Richter sind, so wird Gerechtigkeit geübt werden.«

Und wie er es versprochen, führte er die Jury in einen der Säle des Stadthauses ein.

Herr von Beausire erschien, mehr todt als lebendig, er diesem improvisirten Tribunal; er suchte sich zu verteidigen: doch das zweite Verbrechen war so klar erwiesen wie das erste: nur war es in den Augen des Volkes unendlich gewichtiger.

Rufen: »Es lebe der König!« während der König als Verräther anerkannt im Tempel gefangen saß; rufen: »Es leben die Preußen!« während die Preußen Longwy genommen hatten und nur noch sechzig Meilen von Paris entfernt waren; rufen: »Tod der Nation!« während die Nation im Todeskampfe röchelte; das war ein entsetzliches Verbrechen, welches eine höchste Strafe diente! Die Jury entschied auch, daß der Schuldige nicht mit dem Tode bestraft, sondern um seinem Tode Schmach beizufügen, welche ihm das Gesetz die Guillotine dem Galgen substituirend zu benehmen sich bestrebt habe, als Ausnahme vom Gesetze, gehenkt, und er auf dem Platze, wo das Verbrechen begangen worden gehenkt werden sollte.

Dem zu Folge erhielt der Henker Befehl, auf dem Gerüste, wo sich der Schandpfahl erhob, den Galgen zu errichten.

Der Anblick dieser Arbeit und die Gewißheit, daß der Gefangene, der scharf bewacht wurde, nicht entkommen konnte, beschwichtigte die Menge vollends.

Dies war also das Ereigniß, das, wie wir am Ende von einem der vorhergehenden Kapitel gesagt haben, die Nationalversammlung beunruhigte.

Der andere Tag war ein Sonntag, ein erschwerender Umstand; die Nationalversammlung begriff, daß Alles der Metzelei zuschritt. Die Commune wollte sich um jeden Preis behaupten: die Metzelei, das heißt der Schrecken, war hierfür eines der sichersten Mittel.

Die Nationalversammlung wich vor dem zwei vorher gefaßten Beschlusse zurück: sie widerrief ihr Decret.

Da erhob sich eines ihrer Mitglieder und sprach:

»Es ist nicht genug, daß Ihr Euer Decret widerruft; vor zwei Tagen, als Ihr es erlassen, habt Ihr erklärt, die Commune habe sich um das Vaterland wohlverdient gemacht; das Lob ist zu unbestimmt denn Ihr könntet eines Tages sagen, die Commune habe sich um das Vaterland wohlverdient gemacht, dieses oder jenes Mitglied der Commune sei jedoch nicht im Lobe begriffen; dann würde man dieses oder jenes Mitglied verfolgen. Man muß also sagen, nicht die Commune, sondern die Mitglieder der Commune

Die Nationalversammlung votierte: die Repräsentanten der Commune haben sich um das Vaterland wohlverdient gemacht.

Zu gleicher Zeit, da die Nationalversammlung dieses Votum ergehen ließ, hielt Robespierre in der Commune eine lange Rede, in welcher er sagte, da die Nationalversammlung es durch schändliche Manoeuvre dahin gebracht habe, daß die Commune das öffentliche Vertrauen verloren, so müsse sich der Generalrath zurückziehen und das einzige Mittel anwenden, das ihm bleibe, um das Volk zu retten, nämlich die Gewalt dem Volke anheimstellen.

Wie immer, blieb Robespierre zweifelhaft und unbestimmt, aber erschrecklich.

Die Gewalt dem Volke anheimstellen, – was bedeutete diese Phrase?

Hieß dies den Beschluß der Nationalversammlung unterzeichnen und die Neuwahl annehmen? Das war nicht wahrscheinlich.

Hieß es die gesetzliche Gewalt niederlegen und, sie niederlegend, eben hierdurch erklären, die Commune, nachdem sie den 10. August gemacht, betrachte sich als unmächtig vor der Fortsetzung des großen revolutionären Werkes und beauftrage das Volk, es zu vollenden?

Das Volk aber, ohne Zügel, das Herz voll Rache, beauftragt, das Werk vom 10. August fortzusetzen, das war die Ermordung der Menschen, welche gegen dasselbe am 10. August gekämpft hatten und seitdem in den verschiedenen Gefängnissen von Paris eingesperrt waren!

Soweit war man am l. September Abends, so ist es, wenn ein Sturm in der Atmosphäre lastet und man die Blitze und den Donner über allen Häuptern schweben fühlt.

CLXIX
In der Nacht vom 1. auf den 2. September

So standen die Dinge, als am 1. September, Abends um neun Uhr, der Willfährige von Gilbert, – der Name Bediente war als antirepublicanisch abgeschafft worden, – der Willfährige von Gilbert in das Zimmer des Doctors eintrat und meldete:

»Bürger Gilbert, der Fiacre wartet vor der Thüre.«

Gilbert drückte seinen Hut auf die Augen, knöpfte seinen Ueberrock bis an den Hals zu, und schickte sich an, wegzugehen; doch auf der Schwelle der Wohnung stand ein Mann in einen Mantel gehüllt und die Stirne von einem breitkrämpigen Hute beschattet.

Gilbert wich einen Schritt zurück: in der Dunkelheit und in einem solchen Augenblicke ist Alles Feind.

»Ich bin es, Gilbert,« sagte eine wohlwollende Stimme.

»Cagliostro!« rief der Doctor.

»Gut! nur vergessen Sie, daß ich nicht mehr Cagliostro heiße, und daß ich mich Baron Zannone nenne. Freilich für Sie, lieber Doctor, verändere ich weder meinen Namen, noch Herz, und bin immer, ich hoffe es wenigstens, Joseph Balsamo.«

»Oh ja, und zum Beweise mag dienen, daß ich im Begriffe war, zu Ihnen zu gehen.«

»Ich vermuthete es, und darum komme ich hierher; denn Sie können sich wohl vorstellen, daß ich in solchen Tagen nicht thue, was Herr von Robespierre gethan hat: ich begebe mich nicht aufs Land.«

»Ich befürchtete auch, Sie nicht zu treffen, und ich bin sehr glücklich, daß ich Sie sehe . . . Treten Sie doch ein . . . ich bitte, treten Sie ein!«

»Nun wohl! hier bin ich. Sprechen Sie; was wünschen Sie?« fragte Cagliostro, der Gilbert bis ins abgelegenste Zimmer der Wohnung des Doctors folgte.

»Setzen Sie sich, Meister.«

Cagliostro setzte sich.

»Sie wissen, was vorgeht?« fragte Gilbert.

»Sie wollen sagen, was vorgehen soll,« erwiederte Cagliostro; »denn für den Augenblick geht nichts vor.«

»Nein, Sie haben Recht; doch etwas Erschreckliches bereitet sich vor, nicht wahr?«

»Erschrecklich, in der That . . . Das Erschreckliche wird auch manchmal nothwendig.«

»Meister,« sagte Gilbert, »wenn Sie solche Worte mit Ihrer unerbittlichen Kaltblütigkeit aussprechen, machen Sie mich schauern!«

»Was wollen Sie? Ich bin nur ein Echo: das Echo des Verhängnisses!«

Gilbert neigte das Haupt.

»Erinnern Sie sich, Gilbert, was ich Ihnen an dem Tage sagte, wo ich Sie in Bellevue sah, am 6. October, als ich Ihnen den Tod des Marquis von Favras prophezeite?«

Gilbert bebte.

Er, der so stark den Menschen und sogar den Ereignissen gegenüber, fühlte sich vor diesem geheimnißvollen Manne schwach wie ein Kind.

»Ich sagte Ihnen,« fuhr Cagliostro fort, »wenn er König in seinem Gehirne ein Körnchen von dem Verhaltungsgeiste hätte, den er, wie ich hoffe, nicht habe, würde er fliehen.«

»Nun! er ist geflohen.«

»Ja; doch ich verstand hierunter, so lange es noch Zeit wäre; und als er floh! . . . ei! Sie wissen, das war nicht mehr Zeit! Ich fügte bei, was Sie wohl nicht vergessen haben, wenn der König widerstände, wenn die Königin widerstände, wenn die Adeligen widerständen, so würden wir eine Revolution machen.«

»Ja, Sie haben auch diesmal Recht: die Revolution ist gemacht,« sprach Gilbert mit einem Seufzer.

»Nicht völlig,« entgegnete Cagliostro; »doch sie macht sich, wie Sie sehen, mein lieber Gilbert. Erinnern Sie sich ferner, daß ich mit Ihnen von einem Instrumente sprach, das einer meiner Freunde, der Doctor Guillotin, erfand? . . . Sind Sie über den Carrousel-Platz gegangen . . . dort, den Tuilerien gegenüber? . . . Nun wohl dieses Instrument, dasselbe, das ich der Königin im Schlosse Taverney in einer Carafe zeigte . . . Sie erinnern sich, Sie waren dabei, noch ein kleiner Knabe, nicht höher als so, und schon der Liebhaber von Mademoiselle Nicole . . . deren Mann, dieser liebe Herr von Beausire, zum Henken verurtheilt worden ist! . . . nun wohl! dieses Instrument functioniert.«

»Ja,« erwiederte Gilbert, »und sogar zu langsam, wie es scheint, da man ihm die Säbel, die Pieken und die Dolche beigeben will.«

»Hören Sie,« sprach Cagliostro, »man muß Eines zugestehen: daß wir es mit grausam halsstarrigen Menschen zu thun haben! Man gibt den Aristokraten, den Hofe, dem König, der Königin alle Arten von Warnungen, und das nützt zu nichts; man nimmt die Bastille das nützt zu nichts; man macht den 5. und 6. October: das nützt zu nichts; man macht den 20. Juni: das nützt zu nichts; man macht den 10. August: das nützt zu nichts, man sperrt den König im Tempel ein; man sperrt die Aristokraten in der Abtei, in der Force, in Bicêtre ein: das nützt zu nichts! Der König im Tempel freut sich über die Einnahme von Longwy durch die Preußen; die Aristokraten in der Abtei rufen: »Es lebe der König! es leben die Preußen!« Sie trinken Champagner unter der Nase des armen Volkes, das Wasser trinkt sie essen Trüffelpasteten unter dem Barte des armen Volkes, dem es an Brod fehlt! Es ist Keiner, bis auf König Wilhelm von Preußen, an den man nicht schreibt: »»Nehmen Sie sich in Acht! Ueberschreiten Sie Longwy, machen Sie einen Schritt mehr ins Herz von Frankreich, so wird dies das Todesurtheil des Königs sein!«« und der nicht antwortet: »»Wie gräßlich auch die Lage der königlichen Familie sein mag, die Heere dürfen nicht zurückgehen. Ich wünsche von ganzer Seele, rechtzeitig anzukommen, um den König von Frankreich zu retten; vor Allem aber ist es meine Pflicht, Europa zu retten!«« Und er marschirt gegen Verdun . . . Man muß wohl ein Ende machen.«

»Doch mit was ein Ende machen?« rief Gilbert.

»Mit dem König, der Königin, den Aristokraten.«

»Sie würden den König ermorden? Sie würden die Königin ermorden?«

»Oh! nein, sie nicht! das wäre eine große Ungeschicklichkeit! man muß sie richten, verurtheilen, öffentlich enthaupten, wie man es mit Karl I. gemacht hat; aller Uebrigen aber muß man sich entledigen, und zwar je eher, desto besser.«

»Und wer hat dies entschieden? Sprechen Sie!« rief Gilbert; »ist es die Intelligenz? ist es die Redlichkeit? ist es das Gewissen dieses Volkes, von dem Sie eben? Wären Sie, da Sie Mirabeau als Genie, Lafayette als Redlichkeit, Vergniaud als Gerechtigkeit hatten, gekommen und hätten nur im Namen dieser drei Männer gesagt: »»Man muß tödten!«« so würde ich, geschauert haben, wie ich schauere; doch ich hätte gezweifelt. In wessen Namen sagen Sie das aber heute? Im Namen von einem Hébert, einem Contremarquenhändler; von einem Collot-d’Herbois, einem ausgepfiffenen Komödianten; von einem Marat, einem kranken Geiste, – dem sein Arzt zur Ader lassen muß, so oft er fünfzigtausend, hunderttausend, zweimal hunderttausend Köpfe verlangt! Laffen Sie mich, lieber Meister, diese mittelmäßigen Menschen verwerfen, welche rasche und pathetische Krisen, augenblickliche Veränderungen brauchen; diese schlechten Dramaturgen, diese unmächtigen Rhetoren, die sich in den plötzlichen Zerstörungen gefallen, die sich für geschickte Zauberer halten, wenn sie, einfache Sterbliche, das Werk Gottes zunichte gemacht haben; die es schön, groß, erhaben finden, gegen diesen Lebensfluß zu schiffen, der die Welt nährt, indem sie mit einem Worte, mit einem Winke, mit einem Blick vertilgen, indem fiel mit einem Hauche das lebendige Hinderniß verschwinden machen, welches ihnen zu schaffen die Natur zwanzig, dreißig, vierzig, fünfzig Jahre gebraucht hat. Diese Menschen, lieber Meister, sind Elende! und Sie, Sie gehören nicht zu diesen Menschen!«

»Mein lieber Gilbert,« entgegnete Cagliostro, »Sie täuschen sich abermals. Sie nennen diese Menschen Menschen; Sie thun ihnen zu viel Ehre an: es sind nur Werkzeuge.«

»Werkzeuge der Zerstörung!«

»Ja, aber zum Nutzen einer Idee. Diese Idee, Gilbert, ist die Befreiung der Völker; es ist die Freiheit; es ist die Republik, nicht die französische, Gott behüte mich vor einem so egoistischen Gedanken! sondern die universelle Republik, die Brüderschaft der Welt! Nein, diese Menschen haben nicht das Genie; nein, sie haben nicht die Redlichkeit; nein, sie haben nicht das Gewissen; doch sie haben, was stärker, was unerbittlicher, was unwiderstehlicher ist als Alles dies: sie haben den Instinct.«

 

»Den Instinct von Attila!«

»Ganz richtig, sie haben es gesagt: von Attila, der sich Gottes Geißel nannte und mit dem barbarischen Blute der Hunnen, der Alanen, der Sueven die durch vierhundert Jahre der Regierung der Nero, der Vespasian, der Heleogabalus verdorbene römische Civilisation wieder stärkte.«

»Aber fassen wir doch zusammen, statt zu generalisiren!« rief Gilbert.

»Wohin soll die Metzelei führen?«

»Zu etwas höchst Einfachem: die Nationalversammlung, die Commune, das Volk, ganz Paris zu compromittiren. Man muß Paris mit Blut beflecken, Sie begreifen das wohl, damit Paris, dieses Gehirn Frankreichs, dieser Geist Europas, diese Seele der Welt, – damit Paris, fühlend, es sei für dasselbe keine Verzeihung mehr möglich, sich erhebt wie ein einziger Mensch, Frankreich vor sich hertreibt und den Feind vom heiligen Boden des Vaterlands wirft.«

»Sie sind kein Franzose!« rief Gilbert; »was ist Ihnen daran gelegen?«

»Ist es möglich, daß Sie, Gilbert! Sie, eine erhabene Intelligenz, eine mächtige Organisation, zu einem Menschen sagen: »»Mische Dich nicht in die Angelegenheiten Frankreichs, denn Du bist kein Franzose!«« Sind die Angelegenheiten Frankreichs nicht die Angelegenheiten der Welt? Arbeitet Frankreich für sich allein, armer Egoist? Starb Jesus für die Juden allein? Mit welchem, Rechte hättest Du zu einem Apostel gesagt: »»Du ist kein Nazaräer!«« Höre, höre, Gilbert, ich habe alle diese Dinge mit einem Geiste erörtert, der viel stärker als der meinige, als der Deinige; mit einem Manne oder einem Dämon, den man Althotas nannte, – eines Tages, als er mir die Berechnung des Blutes machte, das zu vergießen wäre, ehe die Sonne über der Freiheit der Welt aufginge. Nun wohl, die Vernunstschlüsse dieses Mannes haben meine Ueberzeugung nicht erschüttert; ich bin gegangen, ich gehe, ich werde gehen, Alles niederwerfend, was ich vor mir finde, und mit ruhiger Stimme, mit heiterem Blicke sprechend: »»Wehe einem Hinderniß! ich bin die Zukunft!«« Du hattest nun die Begnadigung von irgend Jemand von mir zu erbitten, nicht wahr? Diese Begnadigung bewillige ich Dir zum Voraus. Sage mir den Namen von demjenigen, oder von derjenigen, welche Du retten willst.«

»Ich will eine Frau retten, welche weder Sie, noch ich, Meister, können sterben lassen.«

»Du willst die Gräfin von Charny retten?«

»Ich will die Mutter von Sebastian retten.«

»Du weißt, daß Danton es ist, der, als Minister der Justiz, die Schlüssel des Gefängnisses in der Hand hält?«

»Ja, doch ich weiß auch, daß Sie zu Danton sagen können: »»Oeffne oder schließe die Thüre.««

Cagliostro stand auf, trat an den Sekretär, macht auf ein Blättchen Papier eine Art von cabbalistischem Zeichen, reichte das Papier Gilbert und sagte:

»Nimm, mein Sohn, suche Danton auf und verlange von ihm, was Du willst.«

Gilbert erhob sich.

»Was gedenkst Du aber nachher zu thun?« fragt ihn Cagliostro.

»Nach was?«

»Nach den Tagen, welche nun verlaufen werden, wenn die Reihe an den König gekommen sein wird.«

»Ich gedenke mich, wenn ich kann, zum Mitglied des Convents ernennen zu lassen und mich mit meiner ganzen Macht dem Tode des Königs zu widersetzen.«

»Ja,« sagte Cagliostro, »ich begreife das. Handle also nach Deinem Gewissen, Gilbert; doch versprich mir Eines.«

»Was?«

»Es gab eine Zeit, wo Du ohne Bedingung versprochen hättest, Gilbert.«

»Damals sagten Sie mir nicht, man heile ein Volk durch die Metzelei, eine Nation durch den Mord.«

»Es mag sein . . . Nun wohl, versprich mir, Gilbert, daß Du, wenn der König abgeurtheilt, wenn der König hingerichtet ist, den Rath befolgen wirst, den ich Dir gebe.«

Gilbert reichte ihm die Hand und erwiederte:

»Jeder Rath, der von Ihnen kommt, Meister, wird mir kostbar sein.«

»Und er wird befolgt werden?« fragte Cagliostro.

»Ich schwöre es, wenn er mein Gewissen nicht verletzt.«

»Gilbert, Du bist ungerecht,« sagte Cagliostro. Ich habe Dir viel geboten; habe ich je etwas gefordert?«

»Nein, Meister,« antwortete Gilbert: »und auch haben Sie mir ein Leben geschenkt, das mir theurer, als das meine.«

»Geh also,« sprach Cagliostro, »und der Genius Frankreichs, von dessen edelsten Söhnen Du Einer bist, führe Dich!«

Cagliostro ging ab; Gilbert folgte ihm.

Der Fiacre wartete immer noch; der Doctor stieg ein und befahl, nach dem Justizministerium zu fahren: dort war Danton.

Danton, als Justizminister, hatte einen scheinbaren Vorwand, nicht in der Commune zu erscheinen. Wozu brauchte er übrigens dort zu erscheinen? Marat und Robespierre waren ja da? Robespierre blieb gewiß nicht hinter Marat zurück, Beide zogen den blutigen Revolutionswagen und Beide wurden von Tallier, der Creatur Dantons, überwacht.

Zwei Dinge erwarteten Danton: angenommen, er entscheide sich für die Commune, ein Triumvirat mit Marat und Robespierre; angenommen, die Nationalversammlung entscheide sich für ihn, eine Dictatur als Justizminister.

Er wollte Robespierre und Marat nicht, die Nationalversammlung wollte aber ihn nicht.

Als man ihm Gilbert meldete, war er mit seiner Frau oder, vielmehr, seine Frau lag zu seinen Füßen; die Metzelei war zum Voraus so bekannt, daß sie ihn anflehte, dieselbe nicht zu gestatten.

Danton konnte ihr etwas, was doch sehr klar war, nicht begreiflich machen: daß er nichts vermochte gegen die Entscheidungen der Commune, ohne eine dictatorische Gewalt übertragen von der Nationalversammlung; mit der Nationalversammlung war Chance des Sieges, ohne die Nationalversammlung sichere Niederlage.

»Stirb stirb! stirb, wenn es sein muß.« rief die arme Frau; »doch diese Schlächterei finde nicht statt.«

»Ein Mann, wie ich, stirbt nicht unnütz,« antwortete Danton. »Ich will sterben, aber mein Tod nütze dem Vaterlande.«

Man meldete den Doctor Gilbert.

»Ich gehe nicht weg, ehe Du mir versprochen hat, Du, werdest Alles in der Welt thun, um dieses abscheuliche Verbrechen zu verhindern.«

»So bleibe,« sagte Danton.

Madame Danton machte drei Schritte rückwärts und ließ ihren Mann allein dem Doctor, den er von Gesicht und dem Rufe nach kannte, entgegengehen.

»Ah! Doctor,« sagte er, »Sie kommen gelegen, und hätte ich Ihre Adresse gewußt, so würde ich nach Ihnen geschickt haben!«

Gilbert grüßte, und als er hinter ihm eine Frau in Thränen sah, verbeugte er sich.

»Sehen Sie, hier ist meine Frau, die Frau des Bürgers Danton, des Justizministers; sie glaubt, ich sei für mich allein stark genug, um die von der ganzen Commune angetriebenen Herren Marat und Robespierre zu verhindern, zu thun, was sie thun wollen, das heißt sie zu verhindern, daß sie tödten, vernichten, erwürgen.«

Gilbert schaute Madame Danton an; diese hatte die Hände gefaltet und weinte.

»Madame,« sprach Gilbert, »wollen sie mir erlauben diese barmherzigen Hände zu küssen?«

»Gut!« sagte Danton, »da bekommst Du Verstärkung.«

»Oh! mein Herr!« rief die arme Frau, »erklären sie ihm doch, daß dies, wenn er es gestattet, ein Blutflecken auf seinem ganzen Leben ist!«

»Wenn es nur das wäre,« erwiederte Gilbert; »wenn dieser Flecken auf der Stirne eines einzigen Menschen bliebe, und dieser Mensch im Glauben, der Flecken, sich seinem Namen anhängen wird, sei seinem Vaterlande nützlich, für Frankreich nothwendig, sich aufopfern, die Ehre in den Schlund werfen würde, wie Decius den Leib darein warf, so wäre das nichts! Was ist mit Umständen, wie die, in welchen wir uns befinden, beben, am Rufe, an der Ehre eines Bürgers gelegen? Doch das wird ein Flecken an der Stirne von Frankreich sein!«

»Bürger,« erwiederte Danton, »wenn der Vesuv strömt, nennen Sie mir einen Mann, der mächtig, um seine Lava zurückzuhalten; wenn die Flut kommt, nennen Sie mir einen Arm, der stark genug, um den Ocean zurückzudrängen.«

»Heißt man Danton, so fragt man nicht, wo dieser Arm ist; man sagt: »»Hier ist er!«« Man fragt nicht, wo dieser Arm ist: man handelt!«

»Ei!« sprach Danton, »Ihr seid lauter Wahnsinnige. Ich muß Euch also sagen, was ich mir nicht sagen ließe? Nun wohl, ja, ich habe den Willen; nun ja, ich habe den Geist; nun wohl ja, wenn die Nationalversammlung wollte, hätte ich die Stärke! Doch wissen Sie, was mir geschehen wird? Was Mirabeau widerfahren ist: sein Genie konnte nicht über seinen schlechten Ruf triumphiren. Ich bin nicht der wüthende Marat, der Nationalversammlung Schrecken einzuflößen; ich bin nicht der unbestechliche Robespierre, um ihr Vertrauen einzuflößen; die Nationalversammlung wird mir die Mittel, den Staat zu retten, verweigern; ich werde die Strafe für meinen schlechten Ruf erdulden; man wird ganz leise sagen, ich sei ein Mensch ohne Moralität, die Mensch, dem man nicht einmal für drei Tage eine volle unumschränkte, willkürliche Gewalt geben könne; man wird eine Commission von ehrlichen Leuten ernennen, und mittlerweile wird die Metzelei stattfinden, und es werdet wie Sie gesagt haben, das Blut von einem Tausend Schuldiger, das Verbrechen von drei bis vierhundert Trunkenen über die Scenen der Revolution einen roten Vorhang ziehen, der ihre Erhabenheit verbergen wird! Nun wohl, nein,« fügte er mit einer großartigen Geberde bei, »nein, nicht Frankreich wird man anklagen, sondern mich: ich werde von Frankreich den Fluch der Welt abwenden und ihn auf mein Haupt rollen machen!«