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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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CLXXI
Maillard

Der Mann des 14. Juli, der Mann des 5. und des 6. Octobers, der Mann des 20. Juni, der Mann des 10. Augusts, sollte auch der Mann des 2. Septembers sein.

Nur sollte der ehemalige Huissier beim Chatelet eine Form, einen feierlichen Gang, einen Anschein von Gesetzlichkeit bei der Metzelei anwenden: er wollte, daß die Aristokraten getödtet werden, nur wollte er, daß sie gesetzlich getödtet werden, auf ein Urtheil ausgesprochen vom Volke, das er als den einzigen unfehlbaren Richter betrachtete, und dem allein auch des Recht, freizusprechen, zustand.

Ehe Maillard sein Tribunal installirte, waren schon ungefähr zweihundert Personen geschlachtet.

Eine einzige war gerettet worden: der Abbé Sicard.

Zwei andere Personen, welche begünstigt durch den Tumult aus einem Fenster gestiegen waren, befanden sich plötzlich in der Mitte vom Ausschusse der Section, der seine Sitzung in der Abtei hielt: das waren der Journalist Parisot und der Intendant vom Hause des Königs la Chapelle. Die Mitglieder des Ausschusses ließen die Flüchtlinge an ihre Seite sitzen und retteten sie auf diese Art; doch man brauchte den Schlächtern keinen Dank dafür zu wissen, daß diese zwei Letzteren ihnen entkommen: das war nicht ihre Schuld.

Wir haben gesagt, eines von den der Besichtigung werthen Actenstücken in den Archiven der Polizei sei die Ernennung von Marat in den Aufsichtsausschuß; ein anderes, nicht minder interessantes, ist das Register der Abtei noch heute mit dem Blute befleckt, das bis auf die Mitglieder des Tribunals spritzte.

Laßt Euch dieses Register zeigen, Ihr, die Ihr aufregende Erinnerungen sucht, und Ihr werdet jeden Augenblick auf den Rändern, unter der einen oder der andern von diesen zwei Noten, geschrieben mit einer großen, schönen, festen, vollkommen leserlichen, vollkommen ruhigen, vollkommen von Bangigkeit, Furcht oder Gewissensbissen freien Schrift, Ihr werdet, sagen wir, unter der einen oder der andern von diesen zwei Noten: »Getödtet durch das Urtheil des Volkes,« oder: »Freigesprochen durch das Volk,« den Namen: Maillard sehen.

Die letzte Note ist dreiundvierzigmal wiederholt.

Maillard hat also in der Abtei dreiundvierzig Personen das Leben gerettet.

Folgen wir übrigens, während er in Function tritt, zwischen nenn und zehn Uhr Abends zwei Männern, welche von den Jacobinern weggehen und auf die Rue Sainte-Anne zuschreiten.

Es sind der Hohepriester und der Adept, es sind der Meister und der Schüler: es sind Saint-Just und Robespierre.

Saint-Just, der uns am Abend der Aufnahme der drei neuen Maurer in der Loge der Rue Platrière erschienen ist; Saint-Just, mit dem blassen, zweifelhaften Teint, zu weiß für einen Männerteint, zu bleich für einen Frauenteint, mit der gestärkten, steifen Halsbinde, der Zögling eines kalten, trockenen, harten Meisters, härter, trockener, kälter als sein Meister.

Für den Meister gibt es noch einige Aufregung in diesen Kämpfen, wo der Mensch mit dem Menschen zusammenstößt, – die Leidenschaft, die Leidenschaft! Für den Zögling ist das, was vorgeht, nur eine Schachpartie auf einer großen Stufenleiter, wobei der Einsatz das Leben ist.

Nehmt Euch in Acht, daß er nicht gewinnt, Ihr, die Ihr gegen ihn spielt, denn er wird unerbittlich sein, und den Verlierenden keine Gnade gewähren!

Ohne Zweifel hatte Robespierre seine Gründe, an diesem Abend nicht nach Hause, zu den Duplay, zu gehen.

Er halte am Morgen gesagt, er werde sich wahrscheinlich aufs Land begeben.

Das Zimmerchen im Hotel garni von Saint-Just, einen, jungen Manne, wir möchten sagen, einem noch unbekannten Kinde, dünkte ihm vielleicht für diese erschreckliche Nacht vom 2. auf den 3. September sicherer, als seine Stube.

Beide traten ungefähr um elf Uhr Abends ein.

Man braucht nicht zu fragen, wovon diese zwei Männer sprachen: sie sprachen von der Metzelei; nur sprach der Eine davon mit der Empfindelei eines Philosophen aus der Schule von Rousseau; der Andere mit der Trockenheit eines Mathematikers aus der Schule von Condillac.

Robespierre beweinte, wie das Krokodill der Fabel, zuweilen diejenigen, welche er verurtheilte.

Als er in sein Zimmer eintrat, legte Saint-Just seinen Hut auf einen Stuhl, nahm seine Halsbinde ab, zog seinen Rock aus.

»Was machst Du?« fragte ihn Robespierre.

Saint-Just schaute ihn mit einem so erstaunten Auge an, daß Robespierre wiederholte:

»Ich frage Dich, was Du machst?«

»Ich lege mich, bei Gott! zu Bette,« antworte der junge Mann.

»Und warum legst Du Dich zu Bette?«

»Ei! um zu thun, was man in einem Bette thut: um zu schlafen.«

»Wie!« rief Robespierre, »Du denkst an das Schlafen in einer solchen Nacht?«

»Warum nicht?«

»Während Tausende von Opfern fallen, während diese Nacht die letzte für so viele Menschen sein wird, welche heute Abend noch athmen und morgen zu leben werden aufgehört haben, gedenkst Du zu schlafen?«

Saint-Just blieb einen Augenblick nachdenkend.

Sodann, als hätte er während dieses kurzen Momentes der Stille eine neue Ueberzeugung aus seinem Herzen geschöpft, sagte er:

»Ja, es ist wahr, ich weiß das; doch ich weiß auch daß es ein nothwendiges Uebel ist, da Du selbst dazu ermächtigt hast. Nimm ein gelbes Fieber an, nimm eine Pest an, nimmt ein Erdbeben an, und es werden ebenso viel Menschen sterben, mehr vielleicht, und es wird nichts Gutes für die Gesellschaft daraus entspringen, indeß aus dem Tode unserer Feinde eine Sicherheit für uns hervorgeht. Ich rathe Dir also: begib Dich nach Hause, legt Dich zu Bette, wie ich mich zu Bette legen werde, und suche zu schlafen, wie ich schlafen werde.«

Und nachdem er so gesprochen, legte sich der kalt, unempfindliche Politiker zu Bette.

»Gute Nacht,« sagte er; »morgen!«

Und er entschlief.

Sein Schlaf währte so lange, war so ruhig, so friedlich, als ob nichts Außerordentliches in Paris vorgegangen wäre; er war gegen halb elf Uhr Abends eingeschlafen und wachte gegen sechs Uhr Morgens auf.

Saint-Just sah etwas wie einen Schatten zwischen dem Tageslichte und sich; er wandte sich nach den Fenster um und erkannte Robespierre.

Er glaubte, am vorhergehenden Abend abgegangen, sei Robespierre schon wieder gekommen.

»Was führt Dich so früh zurück?« fragte er.

»Nichts.« antwortete Robespierre; »ich bin nicht weggegangen.«

»Wie! Du bist nicht weggegangen?«

»Nein.«

»Du hast nicht geschlafen?«

»Nein.«

»Und wo hast Du die Nacht zugebracht?«

»Hier, stehend, die Stirne ans Fenster gedrückt, und auf die Geräusche der Straße horchend.«

Robespierre log nicht: war es Zweifel, war es Angst, waren es Gewissensbisse? er hatte nicht eine Secunde geschlafen.

Was Saint-Just betrifft, so hatte der Schlaf bei ihm keinen Unterschied gemacht zwischen dieser Nacht und den anderen Nächten.

Jenseits der Seine, im Hofe der Abtei, war übrigens ein Mann, welcher nicht mehr als Robespierre geschlafen hatte.

Dieser Mann stand im Winkel des letzten Thorweges der nach dem Hofe ging, angelehnt und fast verloren im Halbschatten.

Es war folgendes Schauspiel, das das Innere dieses in ein Tribunal verwandelten Thorweges bot.

Um einen großen Tisch, beladen mit Säbeln, Degen, Pistolen, und beleuchtet durch zwei kupferne Lampen, deren Licht selbst am hellen Tage nothwendig war, saßen zwölf Männer.

An ihren trüben Gesichtern, an ihren robusten Formen, an den rothen Mützen, die sie auf dem Kopfe hatten, an den Carmagnolen, die ihre Schultern bedeckten, erkannte man Menschen aus dem Volke.

Ein Dreizehnter, in ihrer Mitte, mit fadenscheinigem schwarzem Fracke, weißer Weste, kurzer Hose, feierlichem, düsteren Gesichte und entblößtem Haupte, präsidirte.

Dieser, der Einzige vielleicht, der lesen und schreiben konnte, hatte ein Gefangenenregister, Papier, Federn und Tinte vor sich.

Diese Menschen waren die Richter der Abtei, erschreckliche Richter, Urtheile ohne Appellation fällend, die auf der Stelle von fünfzig mit Säbeln, Messern, Pieken bewaffneten Henkern, welche von Blut triefend in Hofe wateten, vollzogen wurden.

Ihr Präsident war der Huissier Maillard.

War er von selbst hier gekommen? War er von Danton geschickt worden, der gern in den Gefängnissen, das heißt bei den Carmelitern, im Chatelet, in der Force, hätte thun mögen, was man in der Abtei that: einige Personen retten?

Niemand weiß es.

Am 4. September verschwindet Maillard; man sieht ihn nicht mehr, man hört nichts mehr von ihm, er ist wie im Blute ersäuft.

Mittlerweile präsidierte er beim Tribunal seit den vorhergehende Abend um sechs Uhr.

Er war angekommen, er hatte diesen Tisch zugerichtet, er hatte sich das Gefängnißbuch geben lassen, er hatte aufs Gerathewohl und hinter den Ersten den Besten zwölf Richter ernannt, dann hatte er sich mitten an den Tisch gesetzt, sechs von seinen Richtern hatten sich zu rechten, sechs seiner Linken gesetzt, und die Metzelei hatte ihren Fortgang genommen, diesmal je doch mit einer Art von Regelmäßigkeit.

Man las den in der Liste eingetragenen Namen, die Stockknechte holten den Gefangenen; Maillard gab das Geschichtliche der Ursachen seiner Einkerkerung; der Gefangene erschien; der Präsident befragte mit den Augen seine Collegen; war der Gefangene verurteilt so sagte Maillard nur:

»Nach der Force!«

Da öffnete sich das äußere Thor, und der Verurtheilte fiel unter den Streichen der Schlächter.

War im Gegentheile der Gefangene freigesprochen, so erhob sich das schwarze Gespenst, legte ihm die Hand auf die Schulter und sprach:

»Man lasse ihn los!«

Und der Gefangene war gerettet.

In dem Augenblicke, wo Maillard beim Thore des Gefängnisses erschienen war, hatte sich ein Mann von der Mauer getrennt, und war ihm entgegengegangen.

 

Bei den ersten Worten, die sie miteinander gewechselt, hatte Maillard diesen Mann erkannt, und er hatte, zum Zeichen, vielleicht nicht der Unterwürfigkeit, aber der Willfährigkeit, seine hohe Gestalt vor ihm gebeugt.

Sodann hatte er ihn in das Gefängniß eintreten lassen, und als der Tisch zugerichtet und das Tribunal zusammengesetzt war, hatte er zu ihm gesagt:

»Bleiben Sie dort, und wenn es die Person sein wird, für die Sie sich interessiren, machen Sie mir ein Zeichen.«

Der Mann hatte sich im Winkel angelehnt, und verweilte hier seit dem vorhergehenden Tage, – stumm und unbeweglich wartend.

Dieser Mann war Gilbert.

Er hatte Andrée geschworen, er werde sie nicht sterben lassen, und er versuchte es, seinen Schwur zu halten.

Von vier Uhr vis sechs Uhr Morgens hatten die Schlächter und die Richter ein wenig ausgeruht; um sechs Uhr hatten sie gegessen.

Während der drei Stunden, die der Schlaf und das Mahl gedauert, waren von der Commune abgeschickte Karren gekommen und hatten die Todten weggeführt.

Sodann, da drei Zoll hoch geronnenes Blut im Hofe war, da die Füße im Blute ausglitschten, da sehr lange gebraucht hätte, um sie zu waschen, so bracht man ein Hundert Bund Stroh, streute es auf dem Pflaster umher und bedeckte es mit den Kleidern von Opfer, besonders mit denen der Schweizer.

Die Kleider und das Stroh absorbierten das Blut.

Während aber die Richter und die Schlächter schliefen, wachten die Gefangenen durch den Schrecken geschüttelt.

Als jedoch das Geschrei aufhörte, als der Aufruf verstummte, faßten sie wieder einige Hoffnung: vielleicht war den Mördern nur eine Anzahl von Verurtheilen bezeichnet, vielleicht würde sich die Metzelei auf die Schweizer und die Garden des Königs beschränken. Diese Hoffnung war von kurzer Dauer.

Gegen halb sieben Uhr begann wieder das Geschrei und man vernahm aufs Neue den Aufruf.

Da kam ein Stockknecht herab und sagte zu Maillard, die Gefangenen seien zu sterben bereit, sie verlange aber, die Messe hören zu dürfen.

Maillard zuckte die Achseln, nichtsdestoweniger bewilligte er ihr Verlangen.

Er war überdies beschäftigt, die Glückwünsche anzuhören, die an ihn, im Namen der Commune, ein Abgesandter der Commune richtete, ein Mann von und deutender Gestalt, mit einem sanften Gesichte, in sehr farbenem Rocke und eine kleine Perrücke auf dem Kopf.

Dieser Mann war Billaud-Varennes.

»Wackere Bürger!« sprach er zu den Schlächtern, »Ihr habt die Gesellschaft von großen Verbrechern gereinigt! Die Municipalität weiß nicht, wie sie ihre Schuld gegen Euch abtragen soll. Allerdings müßte der Nachlaß der Todten Euch gehören, doch das würde einen Diebstahle gleichen. Als Entschädigung für diesen Verlust bin ich beauftragt, Jedem von Euch vierundzwanzig Livres zu bieten, die Euch auf der Stelle ausbezahlt werden sollen.«

Und Billaud-Varennes ließ in der That auf der Stelle unter die Schlächter den Lohn für ihr blutiges Geschäft austheilen.

Man vernehme, was geschehen war, und was die Gratification der Commune erklärte.

Am Abend des 2. Septembers waren Einige von denjenigen, welche tödteten, – das war die Minderzahl, denn die Mehrzahl gehörte dem Kleinhandel der Umgegend an, – Einige von denjenigen, welche tödteten, waren ohne Schuhe und ohne Strümpfe; sie schauten auch mit Neid die Fußbekleidung der Aristokraten an. Hierdurch erfolgte, daß sie die Section um Erlaubniß bitten ließen, mit den Schuhen der Todten ihre Füße bekleiden zu dürfen.

Die Section gab hierzu ihre Einwilligung.

Von da an bemerkte Maillard, daß man sich des Bittens überhoben glaubte und, dem zu Folge, nicht mehr allein Schuhe und Strümpfe, sondern Alles nahm, was gut zu nehmen war.

Maillard fand, man verderbe ihm seine Schlächterei, und er berichtete hierüber an die Commune.

Hiervon die Gesandtschaft von Billaud-Varennes, und das religiöse Stillschweigen, mit den, er angehört wurde.

Während dieser Zeit hörten die Gefangenen die Messe; derjenige, welcher sie las, war der Abbé Lerfant, Prediger des Königs, derjenige, welcher dabei diente, war der Abbé von Rastignac, religiöser Schriftsteller.

Das waren zwei Greise mit weißen Haaren, mit ehrwürdigem Gesichte, deren Wort, von einer Art von Tribüne die Resignation und den Glauben predigend, einen erhebenden, wohlthätigen Einfluß auf die Unglücklichen übte.

In dem Augenblicke, wo Alle den Segen von Abbé Lenfant empfangend, auf den Knieen lagen, fing der Aufruf wieder an.

Der erste Name, der ausgesprochen wurde, war der des Trösters.

Er machte ein Zeichen, vollendete sein Gebet, und folgte denjenigen, welche um ihn zu holen gekommen waren.

Der zweite Priester blieb und setzte die Todesermahnung fort.

Dann wurde er auch gerufen, und er folgte gleichfalls denen, welche ihn riefen.

Die Gefangenen blieben unter sich.

Da ward das Gespräch düster, seltsam, erschrecklich Sie discutirten über die Art, den Tod zu empfangen, und über die Chancen einer mehr oder minder laut gen Qual.

Die Einen wollten den Kopf darbieten, daß er auf einen Streich falle; die Andern die Arme emporheben, mit der Tod von allen Seiten in ihre Brust ein, dringen könnte; wieder Andere ihre Hände auf den Rücken halten, um keinen Widerstand entgegenzusetzen.

Ein junger Mann machte sich von der Gruppe los und rief:

»Ich will wissen, was am Besten ist.«

Er stieg auf ein Thürmchen, dessen vergittertes Fenster auf den Hof der Schlächterei ging, und von hier aus studierte er den Tod.

Dann kam er zurück und sagte:

»Am Schnellsten sterben diejenigen, welche das Glück haben, in die Brust getroffen zu werden.«

In diesem Augenblicke hörte man die Worte: »Mein Gott, ich komme zu Dir!« gefolgt von einem Stöhnen.

Es war ein Mann zu Boden gefallen und zerarbeitete sich auf den Platten.

Das war Herr von Chantereine, Oberster der constitutionellen Garde des Königs.

Er hatte sich drei Messerstiche in die Brust gegeben.

Die Gefangenen erbten das Messer; sie stachen sich zögernd, und es gelang einem Einzigen, sich zu tödten.

Es waren drei Frauen da: zwei bestürzte Mädchen die sich an die Seiten von zwei Greisen drängten; eine Frau in Trauer, ruhig, knieend, betend und in ihrem Gebete lächelnd.

Die zwei jungen Personen waren Fräulein von Cazotte und Fräulein von Sombreuil.

Die zwei Greise waren ihre Väter.

Die junge Frau in Trauer war Andrée.

Man rief Herrn von Montmorin.

Herr von Montmorin war, wie man sich erinnert, der frühere Minister, der die Pässe abgegeben, mit deren Hilfe der König zu fliehen versucht hatte; dieser Mann, welcher so unpopulär, daß schon am vorhergehenden Tage ein junger Mensch, der seinen Namen trug, beinahe wegen dieses Namens getödtet worden wäre!

Herr von Montmorin war nicht gekommen, um die Ermahnungen der Priester zu hören; er war wüthend, in Verzweiflung in seiner Stube geblieben, hatte seine Feinde gerufen, Waffen verlangt, die eisernen Gitter seines Gefängnisses erschüttert, und einen eichenen Tisch zerbrochen, dessen Bretter zwei Zoll dick waren.

Man mußte ihn mit Gewalt vor das Gericht schleppen; er trat bleich, das Auge entflammt, die Fäuste emporgehoben, in den Thorweg ein.

»Nach der Force!« sagte Maillard.

Der ehemalige Minister nahm das Wort für das, was es zu sein schien, und glaubte an eine einfache Versetzung.

»Präsident, da es Dir gefällt, Dich so zu nennen,« sagte er zu Maillard, »ich hoffe, Du wirst mich in einem Wagen fahren lassen, um mir die Beschimpfungen Deine Mörder zu ersparen.«

»Laßt einen Wagen für den Herrn Grafen von Montmorin vorfahren,« sprach Maillard mit ausgezeichneter Höflichkeit.

Sodann zu Herrn von Montmorin:

»Haben Sie die Güte, sich in Erwartung des Wagens zu setzen, Herr Graf.

Der Graf setzte sich brummelnd.

Nach fünf Minuten meldete man, der Wagen warte. Irgend ein Comparse hatte begriffen, welche Rolle von ihm im Drama zu spielen war, und er gab die Replique.

Man öffnete die verhängnißvolle Thüre, die, welche auf den Tod ging, und Herr von Montmorin trat hinaus.

Er hatte nicht drei Schritte gemacht, da stürzte er von zwanzig Piekenstößen getroffen zu Boden.

Dann kamen andere Gefangene, deren unbekannte Namen in der Vergessenheit begraben geblieben sind.

Unter allen dunklen Namen glänzte ein ausgesprochener wie eine Flamme: das war der von Jacques Cazotte; von Cazotte, dem Erleuchteten, welcher zehn Jahre vor der Revolution Jedem das Loos, das seiner harrte, prophezeit hatte, von Cazotte, dem Verfasser des Diable amoureux, von Olivier, den Mille et une Fadaises; von Cazotte, der, eine tolle Einbildungskraft, eine er statische Seele, ein glühendes Herz, mit Wuth die Sache der Gegenrevolution umfaßt und in Briefen, die er an seinen Freund Pouteau, Beamten bei der Intendanz der Civiliste, geschrieben, Meinungen ausgedrückt hatte, die man in der Stunde, zu der wir gekommen sind, mit dem Tode bestrafte.

Seine Tochter hatte ihm als Secretär bei diesen Briefen gedient, und als ihr Vater verhaftet worden war, hatte Elisabeth Cazotte ihren Theil am Gefängnis gefordert.

Durfte die royalistische Gesinnung irgend Jemand gestattet sein, dann gewiß diesem fünfundsiebzigjährigen Greise, dessen Füße in die Monarchie von Ludwig XIV. eingewurzelt waren, und der, um den Herzog von Burgund in den Schlaf zu wiegen, die zwei volksthümlich gewordenen Lieder: Tout au beau milieu des Ardennes und Commère, il faut chauffeur le lit! gemacht hatte. Doch das waren Gründe, die sich Philosophen angeben ließen, und nicht den Schlächtern der Abtei; Cazotte war auch zum Voraus verurtheilt.

Als er den schönen Greis mit den weißen Haaren, mit den Flammenaugen, mit dem inspirirten Kopfe erblickte, trennte sich Gilbert von der Mauer und machte eine Bewegung, um ihm entgegenzugehen. Cazotte kam gestützt auf seine Tochter herbei; doch in den Thorweg eintretend, begriff diese, daß sie vor den Richtern war.

Da verließ sie ihren Vater und flehte, die Hände gefaltet, das Blutgericht mit so sanften Worten an, daß die Beisitzer von Maillard zu zögern anfingen; die Arme sah, daß unter diesen rauhen Hüllen Herzen waren, daß man aber, um sie zu finden, bis in Abgründe hinabsteigen müßte; sie warf sich blindlings, mit dem Mitleiden als Führer, darein. Diese Menschen, welche nicht wußten, was Thränen waren, diese Menschen weinten. Maillard wischte mit der verkehrten Hand das trockene Auge ab, das seit zwanzig Stunden, ohne sich ein einziges Mal zu senken, der Metzelei zugeschaut hatte.

Er streckte den Arm aus, legte die Hand aus den Kopf von Cazotte und sprach:

»Man lasse ihn los!«

Das Mädchen wußte nicht, was es denken sollte.

»Haben Sie keine Angst,« sagte Gilbert, »Ihr Vater ist gerettet.«

Zwei von den Richtern standen auf und begleiteten Cazotte bis auf die Straße, aus Furcht, ein unseliger Irrthnm könnte dem Tode das Opfer zurückgeben, das man ihm genommen hatte.

Cazotte war – für diesmal wenigstens – gerettet.

Die Stunden verliefen, man fuhr fort zu schlachten.

Man hatte in den Hof Bänke für die Zuschauer gebracht; die Frauen und die Kinder der Mörder hatten das Recht, den, Schauspiele beizuwohnen. Ueberdies Schauspieler von Gewissen, hatten diese Leute nicht genug damit, daß man sie bezahlte: sie wollten auch beklatscht sein.

Gegen fünf Uhr Abends rief man Herrn von Sombreuil.

Dieser war, wie Cazotte, ein sehr bekannter Royalist, und es war um so weniger möglich, ihn zu retten, als man sich erinnerte, daß er, Gouverneur des Invalidenhauses, am 14, Juli auf das Volk geschossen hatte. Seine Söhne befanden sich im Auslande, bei der feindlichen Armee: der Eine hatte sich bei der Belagerung von Longwy so gut gehalten, daß er vom König von Preußen decorirt wurde.

Herr von Sombreuil erschien auch edel und resignirt, seinen Kopf mit weißen Haaren, welche in Locken bis auf seine Uniform fielen, hoch tragend; er stützte sich auch auf seine Tochter.

Diesmal wagte es Maillard nicht, die Freilassung des Gefangenen zu befehlen; er machte eine Anstrengung gegen sich selbst und sagte:

»Unschuldig oder schuldig, – ich glaube, es wäre unwürdig des Volkes, seine Hände in das Blut dieses Greises zu tauchen.«

Fräulein von Sombreuil hörte dieses edle Wort, das sein Gewicht in der göttlichen Wage haben wird: sie nahm ihren Vater, zog ihn durch die Lebenspforte und rief:

»Gerettet! gerettet!«

Es war weder um ihn zu verdammen, noch um ihn frei zu erklären ein Urtheil ausgesprochen worden.

Ein paar Mörder streckten ihre Köpfe in den Thorweg und fragten, was sie thun sollten.

 

Das Gericht blieb stumm.

»Thut, was Ihr wollt,« sagte ein einziges Mitglied.

»Nun wohl,« riefen die Mörder, »so trinke das Mädchen auf die Gesundheit der Nation!«

Da reichte ein Mann von Blut geröthet, mit aufgestreiften Aermeln, mit wildem Gesichte, Fräulein von Sombreuil ein Glas, die Einen sagen voll Blut, die Andern nur voll Wein.

Fräulein von Sombreuil rief: »Es lebe die Nation!« benetzte ihre Lippen mit dem Tranke, was es nun auch sein mochte, und Herr von Sombreuil war gerettet.

Es vergingen noch zwei Stunden.

Da sprach die Stimme von Maillard so unempfindlich, da sie die Lebenden hervorrief, als es die von Minos die Todten hervorrufend war, die Worte aus:

»Die Bürgerin Andrée von Tavernes, Gräfin von Charny.«

Bei diesem Namen fühlte Gilbert, wie ihm seine Beine den Dienst versagten, und es ihm schwach um’s Herz wurde.

Ein Leben in seinen Augen wichtiger, als sein eigenes Leben, sollte debattirt und abgeurtheilt, verdammt oder gerettet werden.

»Bürger,« sprach Maillard zu den Mitgliedern des entsetzlichen Gerichtes, »diejenige, welche nun vor uns erscheinen wird, ist eine arme Frau, die einst der Oesterreicherin ergeben war, deren Ergebenheit aber die Oesterreicherin, undankbar wie eine Königin, mit Undank gelohnt hat; sie hat Alles verloren bei dieser Freundschaft: ihr Vermögen und ihren Gatten. Ihr werdet sie schwarz gekleidet eintreten sehen, und diese Trauer, wem verdankt sie dieselbe? Den Gefangenen des Tempels! Bürger, ich, verlange von Euch das Leben dieser Frau!«

Die Mitglieder des Gerichtes machten ein Zeichen der Beistimmung.

Ein Einziger sagte:

»Wir wollen sehen.«

»Nun, so schaut,« erwiederte Maillard.

Die Thüre öffnete sich in der That, und man er blickte in den Tiefen des Flurgangs eine Frau ganz schwarz gekleidet, die Stirne mit einem Schleier bedeckt; sie kam allein, ohne Stütze und mit festem Schritte herbei.

Man hätte glauben sollen, es sei eine Erscheinung aus jener düsteren Welt, aus der, wie Hamlet sagt, noch kein Reisender zurückgekommen ist.

Bei diesem Anblicke waren es die Richter, welche schauerten.

Sie trat bis an den Tisch und hob ihren Schleier auf.

Nie erschien eine unbestreitbarere, aber bleichere Schönheit vor den Blicken der Menschen: das war eine Gottheit von Marmor!

Alle Blicke hefteten sich auf sie; Gilbert blieb keuchend.

Sie wandte sich an Maillard und sagte mit einer zugleich milden und festen Stimme:

»Bürger, Sie sind der Präsident?«

»Ja, Bürgerin,« antwortete Maillard erstaunt, er, der Verhörer, daß man nun ihn befragte.

»Ich bin die Gräfin von Charny, Frau des Grafen von Charny, getödtet am schändlichen Tage des 10. August; eine Aristokratin, eine Freundin der Königin; ich habe den Tod verdient und komme, um ihn zu holen.«

Die Richter gaben einen Schrei der Verwunderung von sich.

Gilbert erbleichte und zog sich so tief, als es nur immer möglich, in den Winkel des Thorweges zurück, um dem Blicke von Andrée zu entgehen.

»Bürger,« sprach Maillard, der den Schrecken von Gilbert sah, »diese Frau ist verrückt: sie hat durch den Tod ihres Matten den Verstand verloren; beklagen wir sie und wachen wir über ihr Leben. Die Gerechtigkeit des Volkes bestraft nicht Wahnsinnige.«

Und er stand auf und wollte ihr die Hand auf den Kopf legen, wie er es bei denjenigen that, welche er für unschuldig erklärte.

Andrée schob aber seine Hand zurück und erwiederte! »Ich habe meine volle Vernunft; und wenn Ihr Jemand zu begnadigen habt, so schenkt Eure Gnade Einem, der darum bittet und der sie verdient, und nicht mir, die ich sie nicht verdiene und nicht darum bitte.«

Maillard wandte sich gegen Gilbert um und sah ihn mit gefalteten Händen dastehen.

»Diese Frau ist wahnsinnig,« wiederholte er; »man lasse sie los!«

Und er winkte einem Mitgliede des Tribunals, daß er sie durch die Lebenspforte hinausschiebe.

»Eine Unschuldige!« rief der Mann; »laßt sie passiren!«

Man trat vor Andrée auf die Seite; die Säbel, die Pieken, die Pistolen senkten sich vor dieser Bildsäule der Trauer.

Doch nachdem sie zehn Schritte gemacht, und während Gilbert, aus Fenster geneigt, ihr durch das Gitter nachschaute, blieb sie stehen und rief: »Es lebe der König! es lebe die Königin: Schande über den 10. August!«

Gilbert stieß einen Schrei aus und stürzte in den Hof.

Er hatte die Klinge eines Säbels glänzen sehen: doch rasch wie ein Blitz war die Klinge in der Brust von Andrée verschwunden!

Er kam zeitig genug, um die unglückliche Frau in seinen Armen zu empfangen.

Andrée wandte ihren erloschenen Blick gegen in um und erkannte ihn.

»Ich sagte Ihnen wohl, ich werde gegen Ihre Willen sterben,« murmelte sie.

Dann sprach sie mit kaum verständlicher Stimme:

»Lieben Sie Sebastian für uns Beide!«

Und noch schwächer:

»Bei ihm, nicht wahr? bei meinem Olivier, bei meinem Gatten . . . für die Ewigkeit.«

Und sie verschied.

Gilbert nahm sie in seine Arme und hob sie von der Erde auf.

Fünfzig nackte, von Blut geröthete Arme bedrohte ihn zugleich.

Maillard erschien aber hinter ihm, streckte die Hand über seinem Kopfe aus und sprach:

»Laßt den Bürger Gilbert, der den Leichnam eine aus Unachtsamkeit getödteten armen Wahnsinnigen fort bringt, frei passieren.«

Jeder trat auf die Seite, und Gilbert ging, der Leichnam von Andrée wegtragend, mitten durch die Schlächter, ohne daß es einem Einzigen einfiel, ihn der Weg zu versperren, so sehr war das Wort von Maillard höchstes Gebot für die Menge.