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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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XLII
Eine Abendgesellschaft im Pavillon de Flore

Am Abend desselben Tages, d.h. am 24. December, am Weihnachtsabend, fand Empfang im Pavillon de Flore statt.

Da die Königin nicht in ihren Gemächern hatte empfangen wollen, so empfing für sie die Prinzessin von Lamballe und machte die Honneurs, bis die Königin eingetreten war.

Nach Ankunft der Königin nahm Alles seinen Gang, als fände die Soirée im Pavillon Marsan und nicht im Pavillon de Flore statt.

Im Verlaufe des Morgens war der junge Baron Isidor von Charny von Turin zurückgekehrt, und er war sogleich nach seiner Rückkehr zuerst beim König und dann bei der Königin zugelassen worden.

Er hatte bei Beiden ein außerordentliches Wohlwollen gefunden; doch bei der Königin machten dieses Wohlwollen zwei Gründe besonders merkwürdig.

Einmal war Isidor der Bruder von Charny, und da Charny abwesend, so bot es einen großen Reiz für die Königin, seinen Bruder zu sehen.

Sodann überbrachte Isidor vom Herrn Grafen d’Artois und vom Herrn Prinzen von Condé Worte, die nur zu sehr mit denjenigen im Einklange standen, welche ihr eigenes ihr Herz zuflüsterte.

Die Prinzen empfahlen der Königin den Plan von Herrn von Favras und forderten sie auf, die Ergebenheit dieses muthigen Edelmanns zu benützen, um zu fliehen und zu ihnen nach Turin zu kommen.

Isidor war überdies beauftragt, im Namen der Prinzen Herrn von Favras die ganze Sympathie auszudrücken, die sie für seinen Plan hegten, und ihm zu sagen, wie sehr sie wünschten, er möchte glücken.

Die Königin behielt Isidor eine Stunde bei sich, lud ihn ein, am Abend im Cercle von Frau von Lamballe zu erscheinen, und erlaubte ihm nur, sich zu entfernen, weil er sie um Entlassung bat, damit er seine Sendung bei Herrn von Favras vollziehen könne.

Die Königin hatte nichts Bestimmtes in Beziehung aus ihre Flucht geäußert. Sie hatte nur Isidor beauftragt, Herrn und Frau von Favras das zu wiederholen, was sie ihm gesagt, als sie Frau von Favras bei sich empfangen hatte und sodann plötzlich beim König eingetreten war, während sich Herr von Favras hier befand.

Als er die Königin verließ, begab sich Isidor unmittelbar zu Herrn von Favras, der aus der Place Royale Nro. 21 wohnte.

Frau von Favras empfing den Baron von Charny. Sie sagte ihm zuerst, ihr Gatte sei ausgegangen; sobald sie aber erfuhr, wie ihr Besuch hieß, welche erhabene Personen er vor einer Stunde gesehen, welche andere er fünf oder sechs Tage früher verlassen hatte, gestand sie, ihr Gatte sei im Hause anwesend, und ließ ihn rufen.

Der Marquis trat mit offenem Gesicht, und lächelndem Auge ein; er war unmittelbar von Turin in Kenntniß gesetzt worden und wußte, in wessen Auftrag Isidor kam.

Die Botschaft, mit der überdies die Königin den jungen Mann betraut hatte, erfreute den Verschwörer im höchstem Maße. Alles unterstützte in der That seine Hoffnung; das Complot nahm einen vortrefflichen Gang; die zwölfhundert Reiter waren in Versailles versammelt, jeder sollte einen Fußgänger hinter sich aufsitzen lassen, und man hatte somit 2400 Mann statt 1200. Was den dreifachen Mord betrifft, welchen nach dem Plane gleichzeitig die drei Colonnen bei ihrem Einmarsche in Paris an Necker, Bailly und Lafayette vollbringen sollten, so hatte man hierauf verzichtet, bedenkend, daß es genüge, sich des General Lafayette zu entledigen. Für diese Expedition waren aber vier Mann, gut beritten und gut bewaffnet, hinreichend; sie hätten seinen Wagen am Abend um elf Uhr, in dem Augenblick, wo Herr von Lafayette gewöhnlich die Tuilerien verließ, erwartet; zwei wären längs der Straße, rechts und links geritten, zwei wären dem Wagen entgegengekommen. Einer von diesen hätte, ein Papier in der Hand haltend, dem Kutscher zugewinkt und gesagt, er habe dem General eine wichtige Meldung zu machen. Dann würde der Wagen angehalten haben, der General hätte den Kopf zum Schlage herausgestreckt, und sogleich hätte man ihm eine Pistolenkugel durch das Gehirn gejagt.

Das war übrigens die einzige Veränderung von Belang, die man bei dem Complot beschlossen; im Uebrigen walteten noch dieselben Bedingungen und Umstände ob; nur war das Geld bezahlt, die Leute waren in Kenntniß gesetzt, der König brauchte bloß »Ja!« zu sagen, und auf ein Zeichen von Herrn von Favras würde die Sache losbrechen.

Eines beunruhigte Herrn von Favras: das war das Stillschweigen des Königs und der Königin in Beziehung auf ihn. Die Königin hatte dieses Stillschweigen durch die Vermittelung von Isidor gebrochen, und so unbestimmt die Worte waren, die dieser Herrn und Frau von Favras zu überbringen beauftragt gewesen, sie hatten doch, als aus einem königlichen Munde kommend großes Gewicht.

Isidor versprach Herrn von Favras, noch an demselben Abend der Königin und dem König den Ausdruck seiner Ergebenheit zu melden.

Der junge Baron war bekanntlich nach Turin am Tage seiner Ankunft in Paris abgereist! es stand ihm also keine andere Wohnung zu Gebot, als das Zimmer, das sein Bruder in den Tuilerien inne hatte. Da sein Bruder abwesend, so ließ er sich dieses Zimmer durch einen Lackei des Grafen öffnen.

Um neun Uhr Abends trat er bei der Frau Prinzessin von Lamballe ein.

Er war der Prinzessin nicht vorgestellt worden. Diese kannte ihn nicht; aber am Tage durch ein Wort von der Königin benachrichtigt, stand die Prinzessin, als man seinen Namen meldete, auf und zog ihn mit der reizenden Anmuth, welche die Stelle des Geistes bei, ihr vertrat, sogleich in den Kreis der Vertrauten.

Weder der König, noch die Königin waren bis jetzt gekommen. Monsieur, der ziemlich unruhig zu sein schien, plauderte in einer Ecke mit zwei Edelleuten, welche zu seinen Vertrauten gehörten, mit Herrn de la Chatre und Herrn d’Avary. Der Herr Graf Louis von Narbonne ging von einer Gruppe zur andern mit der Behaglichkeit eines Menschen, der sich in Familie fühlte.

Dieser Kreis der Vertrauten bestand aus jungen Edelleuten, welche sich von der Manie der Auswanderung nicht hatten fortreißen lassen. Das waren die Herren von Lameth, welche der Königin viel verdankten und noch nicht Partei gegen sie genommen hatten; Herr d’Ambiy, einer von den guten oder schlimmen Köpfen der Zeit, wie man will; Herr von Castries, Herr von Fersen, Suleau, der erste Redacteur des geistreichen Blattes: Les Actes des Apótres (Die Apostelgeschichte), lauter redliche Herzen, aber auch lauter glühende, zum Theil sogar ein wenig tolle Köpfe.

Isidor kannte keinen von diesen jungen Leuten, doch bei seinem wohl bekannten Namen, bei dem besonderen Wohlwollen, mit dem ihn die Prinzessin beehrte, streckten sich alle Hände gegen ihn aus.

Ueberdies brachte er Nachrichten von jenem andern Frankreich, das im Auslande lebte. Jeder hatte einen Verwandten oder einen Freund bei den Prinzen; Isidor hatte alle diese Menschen gesehen und war somit eine zweite Zeitung.

Wir haben gesagt, Suleau sei die erste gewesen.

Suleau führte das Gespräch, und man lachte viel. Suleau hatte an diesem Tage der Sitzung der Nationalversammlung beigewohnt. Herr Guillotin hatte die Tribune bestiegen, die Annehmlichkeiten der von ihm erfundenen Maschine gerühmt, von dem siegreichen Versuche erzählt, den man am Morgen damit gemacht, und verlangt, daß man ihm die Ehre erweise, sie die Stelle aller anderer Tödtungswerkzeuge, – des Rades, des Galgens, des Scheiterhaufens, der Viertheilung, – welche nach und nach die Grève in Schrecken gesetzt, einnehmen zu lassen.

Durch die Sammetmilde dieser neuen Maschine verführt, war die Nationalversammlung nahe daran, sie anzunehmen.

Suleau hatte in Beziehung auf die Nationalversammlung, Herrn Guillotin und seine Maschine auf die Melodie des Menuetts Exaudet ein Lied gemacht, das am andern Tage in seinem Journal erscheinen sollte.

Dieses Lied, das er dem munteren Kreise, von dem er umgeben war, mit halber Stimme vorsang, erregte ein so treuherziges Gelächter, daß der König, der gerade mit der Königin ankam, es im Vorzimmer hörte und, der arme König! da er kaum mehr lachte, beschloß, sich nach dem Gegenstande zu erkundigen, der in den Zeiten der Traurigkeit, in denen man sich befand, eine solche Heiterkeit hervorrufen konnte.

Es versteht sich von selbst, daß, sobald ein Huissier den König und ein anderer die Königin angekündigt hatten, alles Gelächter, alles Geflüster, alle Gespräche aufhörten, um dem ehrerbietigsten Stillschweigen Platz zu machen.

Die zwei erhabenen Personen traten ein.

Je mehr außen der revolutionäre Geist dem Königthume alle seine Blendwerke hinter einander abstreifte, desto mehr, es ist nicht zu leugnen, nahm im Innern die Verehrung zu, der die Mißgeschicke eine neue Stärke verleihen. 89 hat Beispiele von großem Undank gesehen, 93 aber hat Beweise von der höchsten aufopfernden Ergebenheit geliefert.

Frau von Lamballe und Madame Elisabeth bemächtigten sich der Königin.

Monsieur ging gerade auf den König zu, um ihm seinen Respect zu bezeigen; er verbeugte sich und sagte:

»Mein Bruder, könnten wir, Sie, die Königin, ich und einige von Ihren Freunden nicht ein besonderes Spiel machen, damit wir unter dem Anscheine eines Whists ein wenig vertraulich zu sprechen im Stande wären?«

»Gern, mein Bruder,« erwiederte der König; »ordnen Sie das mit der Königin.«

Monsieur näherte sich Marie Antoinette, der Charny seine Huldigung darbrachte: dieser sagte leise:

»Madame, ich habe Herrn von Favras gesehen und ich muß Eurer Majestät Mittheilungen von der größten Wichtigkeit machen.«

»Meine liebe Schwägerin,« sprach Monsieur, »der König wünscht, daß wir eine Whistpartie zu vier spielen; wir verbinden uns gegen Sie, und er läßt Ihnen die Wahl Ihres Partners.«

»Gut,« erwiederte die Königin, welche vermuthete, diese Whistpartie sei nur ein Vorwand, »meine Wahl ist getroffen. Herr von Charny, Sie werden bei unserem Spiele sein und während wir spielen, theilen Sie uns Neuigkeiten von Turin mit.

 

»Ah! Sie kommen von Turin?« fragte Monsieur.

»Ja, Monseigneur, und von Turin zurückkehrend, nahm ich meinen Weg über die Place Royale, wo ich einen dem König, der Königin und Eurer Hoheit sehr ergebenen Mann sah.«

Monsieur erröthete, hustete, entfernte sich. Das war ein Mann ganz der Umwege und der Vorsicht: dieser gerade und bestimmte Geist beunruhigte ihn.

Er warf Herrn de la Chatre einen Blick zu; dieser näherte sich ihm, erhielt leise seine Befehle und ging ab.

Mittlerweile grüßte der König und empfing die Huldigungen der etwas spärlichen Herren und Damen, welche den Kreis der Tuilerien zu besuchen fortfuhren.

Die Königin nahm ihn beim Arm und zog ihn zum Spiele.

Er trat an den Tisch, suchte mit den Augen den vierten Spieler und erblickte nur Isidor.

»Ah! ah! Herr von Charny,« sagte er, »in Abwesenheit Ihres Bruders sind Sie unser Vierter; er konnte nicht besser ersetzt werden; seien Sie willkommen.«

Und mit einem Winke lud er die Königin ein, sich zu setzen; er setzte sich nach ihr, dann folgte Monsieur.

Die Königin machte eine Geberde der Einladung gegen Isidor, und dieser nahm zuletzt Platz.

Madame Elisabeth kniete aus eine Causeuse hinter dem König und stützte ihre beiden Arme aus die Lehne seines Fautuil.

Man spielte zwei- oder dreimal herum und sprach nur auf das Whist bezügliche Worte.

Dann endlich, während sie spielte und nachdem sie bemerkt hatte, daß die Ehrfurcht Jedermann vom königlichen Tische entfernt hielt, fragte sie, indem sie sich an Monsieur wandte:

»Mein Schwager, hat Ihnen der Baron gesagt, er komme von Turin?«

»Ja,« erwiederte Monsieur, »er hat es mit einem Wort gegen mich berührt.«

»Er hat Ihnen gesagt, der Herr Graf d’Artois und der Herr Prinz von Condé fordern uns auf, wir mögen uns zu ihnen gesellen?«

Dem König entschlüpfte eine Bewegung der Ungeduld.

»Mein Bruder,« flüsterte Madame Elisabeth mit ihrer Engelssanftmuth, »ich bitte, hören Sie.«

»Und Sie auch, meine Schwester?«

»Ich mehr als irgend Jemand, mein Bruder, denn ich liebe Sie mehr, als Sie irgend Jemand liebt, und ich bin besorgt.«

»Ich fügte sogar bei,« wagte Isidor zu bemerken, »ich fügte sogar bei, ich sei über die Place Royale gekommen und habe mich eine Stunde in Nr. 21, aufgehalten.«

»In Nr. 21?« fragte der König, »was ist das?«

»In Nr. 21., Sire,« erwiederte Isidor, »wohnt ein, wie wir Alle, Eurer Majestät sehr ergebener Edelmann, ein Mann, bereit, für Sie zu sterben, wie wir Alle, der aber, thätiger als wir Alle, einen Plan combinirt hat.«

»Welchen Plan, mein Herr?« fragte der König, das Haupt erhebend.

»Glaubte ich das Unglück zu haben, dem König zu mißfallen, indem ich Seiner Majestät wiederhole, was ich von diesem Plane weiß, so würde ich aus der Stelle schweigen.«

»Nein, nein, mein Herr,« sagte lebhaft die Königin, »sprechen Sie. Es machen Leute genug Pläne gegen uns; es ist also das Wenigste, daß wir diejenigen kennen lernen, welche für uns wachen, damit wir, während dir unseren Feinden verzeihen, dankbar sind gegen unsere Freunde. Herr Baron, sagen Sie uns, wie dieser Edelmann heißt.«

»Es ist der Herr Marquis von Favras, Madame.«

»Ah!« versetzte die Königin, »wir kennen ihn; und Sie glauben an seine Ergebenheit, Herr Baron?«

»An seine Ergebenheit, ja, Madame, ich glaube nicht nur daran, sondern ich bin derselben sicher.«

»Geben Sie wohl Acht, mein Herr,« sprach der König, »Sie behaupten viel.«

»Das Herz richtet mit dem Herzen, Sire. Ich verbürge mich für die Ergebenheit von Herrn von Favras. Was die Güte seines Planes, was die Chancen des Gelingens betrifft, oh! das ist etwas Anderes. Ich bin zu jung und, wenn es sich um das Heil des Königs und der Königin handelt, zu klug, um es zu wagen, eine Meinung hierüber auszusprechen.«

»Und dieser Plan, lassen Sie hören, wie weit ist er?« sagte die Königin.

»Madame, er ist bei seiner Ausführung, und wenn der König geruht, heute Abend ein Wort zu sagen, einen Wink zu geben, so wird er morgen um diese Stunde in Peronne sein.«

Der König schwieg. Monsieur zerknitterte einen armen schuldlosen Herzbuben.

»Sire,« fragte die Königin, indem sie sich an ihren Gemahl wandte, »haben Sie gehört, was der Baron gesagt hat?«

»Ja, gewiß, ich höre,« antwortete der König, die Stirne faltend.

»Und Sie, mein Schwager?« fragte die Königin Monsieur.

»Ich bin nicht tauber als der König.«

»Nun, das sagen Sie dazu? Das ist ein Vorschlag, wie mir scheint.«

»Allerdings,« erwiederte Monsieur, »allerdings.«

Dann wandte er sich an Isidor und sprach:

»Auf, Baron, wiederholen Sie uns dieses hübsche Couplet.«

Isidor antwortete:

»Ich sagte, der König habe nur ein Wort zu sprechen, einen Wink zu geben, und durch die von Herrn von Favras getroffenen Maßregeln werde er nach vierundzwanzig Stunden in Sicherheit in seiner Stadt Peronne sein!«

»Nun, mein Bruder,« fragte Monsieur, »ist das, was Ihnen der Baron da vorschlägt, nicht verführerisch?«

Der König wandte sich rasch gegen Monsieur um, heftete seinen Blick auf den seines Bruders und sagte:

»Und wenn ich reise, reisen Sie mit mir?«

Monsieur wechselte die Farbe; seine Backen zitterten von einer Bewegung, die er nicht zu bemeistern vermochte.

»Ich?« versetzte er.

»Ja, Sie, mein Bruder,« wiederholte Ludwig XVI.; »Sie, der Sie mich auffordern, Paris zu verlassen, Sie frage ich: Wenn ich reise, reisen Sie mit mir?«

»Aber,« stammelte Monsieur, »ich war nicht in Kenntniß gesetzt, es sind keine Anstalten bei mir getroffen.«

»Wie! Sie waren nicht in Kenntniß gesetzt,« sagte der König, »und Sie lieferten Herrn von Favras das Geld! Es sind keine Anstalten bei Ihnen getroffen, und Sie sind Stunde für Stunde davon unterrichtet, auf welchem Punkte das Complot steht!«

»Das Complot!« wiederholte Monsieur erbleichend.

»Gewiß, das Complot . . .denn das ist ein Complot, ein so ächtes Complot, daß, wenn man es entdeckt, Herr von Favras eingekerkert, in das Chatelet geführt und zu Tode verurtheilt wird, wenn Sie ihn nicht durch Bitten und Geld retten, wie wir Herrn von Besenval gerettet haben.«

»Wenn der König Herrn von Besenval gerettet hat, so wird er auch Herrn von Favras retten.«

»Nein, denn was ich für den Einen vermochte, werde ich wahrscheinlich nicht für den Andern vermögen. Ueberdies war Herr von Besenval mein Mann, wie Herr von Favras der Ihrige ist. Jeder rette den seinigen, mein Bruder, und wir werden Beide unsere Pflicht gethan haben.«

Nachdem er diese Worte gesprochen, stand der König auf.

Die Königin hielt ihn am Flügel seines Rockes zurück.

»Sire,« sprach sie, »ob Sie zurückweisen, ob Sie annehmen wollen, Sie sind Herrn von Favras eine Antwort schuldig.«

»Ich?«

»Ja; was wird der Baron von Charny im Namen des Königs antworten?«

»Er wird antworten,« erwiederte Ludwig XVI., während er seinen Rock von den Händen der Königin losmachte, »er wird antworten, der König könne nicht erlauben, daß man ihn entführe.«

Und er entfernte sich.

»Das will besagen,« bemerkte Monsieur, »wenn der Marquis von Favras den König ohne seine Erlaubniß entführe, so werde er sehr willkommen sein, unter der Bedingung indessen, daß er reussire, denn Jeder, der nicht reussirt, ist ein Dummkopf, und in der Politik verdienen die Dummköpfe doppelt bestraft zu werden.«

»Herr Baron,« sprach die Königin, »noch heute Abend, ohne einen Augenblick zu verlieren, laufen Sie zu Herrn von Favras und sagen Sie ihm die eigenen Worte des Königs: »»Der König kann nicht erlauben, daß man ihn entführt.«« Es ist seine Sache, sie zu begreifen, oder die Ihrige, sie ihm zu erklären  . . .Gehen Sie.«

Der Baron, der mit Recht die Antwort des Königs und die Aufforderung der Königin als eine doppelte Einwilligung betrachtete, nahm seinen Hut, eilte hinaus, sprang in einen Fiacre und rief dem Kutscher zu: »Place Royale, Nr. 21.«

XLIII
Was die Königin in einer Caraffe zwanzig Jahre früher im Schlosse Taverney gesehen hatte

Der König, als er vom Spieltische ausstand, wandte sich zu der Gruppe der jungen Leuten, deren munteres Gelächter, noch ehe er in den Salon eintrat, seine Aufmerksamkeit erregt hatte.

Sobald er sich der Gruppe näherte, trat das tiefste Stillschweigen ein.

»Nun, mein Herren,« sagte er, »ist denn der König so unglücklich, daß er die Traurigkeit mit sich trägt?«

»Sire,« murmelten die jungen Leute.

»Die Heiterkeit war groß und das Gelächter geräuschvoll, als ich vorhin mit der Königin eintrat,« sprach Ludwig XVI.

Was die Königin gesehen hatte.


Dann schüttelte er den Kopf und fügte bei:

»Wehe den Königen, vor denen man nicht zu lachen wagt!«

»Sire,« versetzte Herr von Lameth, »die Ehrfurcht!  . . .«

»Mein lieber Charles, wenn Sie an den Sonntagen und Donnerstagen aus der Pension kamen und ich Sie zur Belustigung nach Versailles rufen ließ, enthielten Sie sich da auch des Lachens, weil ich da war? Ich sagte soeben: »»Wehe den Königen, vor denen man nicht zu lachen wagt.«« Ich sage nun: »»Glücklich sind die Könige, vor denen man lacht!««

»Sire,« erwiederte Herr von Castries, »der Gegenstand, der uns in Heiterkeit versetzte, wird vielleicht Eurer Majestät nicht äußerst komisch erscheinen.«

»Wovon sprachen Sie denn, meint Herren?«

»Sire,« antwortete Suleau vortretend, »ich überliefere den Schuldigen Eurer Majestät.«

»Ah!« sagte der König, »Sie sind es, Herr Suleau. Ich habe die letzte Nummer der Actes des Apótres gelesen. Nehmen Sie sich in Acht! nehmen Sie sich in Acht!«

»Wovor?« fragte der junge Journalist.

»Sie sind ein wenig zu royalistisch. Sie könnten sich wohl schlimme Händel mit dem Liebhaber von Mademoiselle Theroigne zuziehen?«

»Mit Herrn Populus?« versetzte Suleau lachend.

»Ganz richtig. Und was ist aus der Heldin Ihres Gedichtes geworden?«

»Aus Theroigne?«

»Ja  . . .Ich höre nicht mehr von ihr sprechen.«

»Sire, ich glaube, sie findet, unsere Revolution gehe nicht rasch genug, und sie hat sich nach Brabant begeben, um dort zu agiren. Eure Majestät weiß wahrscheinlich, daß diese keusche Amazone von Lüttich ist?«

»Nein, ich wußte es nicht  . . .Lachten Sie ihretwegen, vorhin?«

»Nein, Sire, über die Nationalversammlung.«

»Ho! ho i meine Herren, da haben Sie wohl daran gethan, daß Sie ernst wurden, als Sie mich erblickten. Ich kann nicht erlauben, daß man über die Nationalversammlung bei mir lacht. Allerdings,« fügte der König in Form einer Capitulation bei, »allerdings bin ich nicht bei mir, sondern bei der Prinzessin von Lamballe; indem Sie nicht mehr lachen, oder indem Sie leise lachen, können Sie mir also sagen, was Sie so laut lachen machte.«

»Der König weiß, von was heute während der ganzen Sitzung der Nationalversammlung die Rede gewesen ist?«

»Ja, und das hat mich sogar sehr interessirt. War nicht von einer neuen Maschine, um die Verbrecher hinzurichten, die Rede?«

»Von Herrn Guillotin der Nation angeboten  . . .ja, Sire,« erwiederte Suleau.

»Ho! ho! und Sie spotteten über Herrn Guillotin, über einen Philanthropen! Ah! Sie vergessen, daß ich selbst Philanthrop bin.«

»Oh! Sire, ich weiß wohl, was ich sagen will; es ist ein Unterschied zwischen den Philanthropen. Es sieht zum Beispiel an der Spitze der französischen Nation ein Philanthrop, der die Folter aufgehoben hat; diesen achten, verehren wir; wir thun noch mehr: diesen lieben wir, Sire.«

Alle die jungen Leute verbeugten sich mit einer Bewegung.

»Aber,« fuhr Suleau fort, »es gibt Andere, welche, während sie schon Aerzte sind und in ihren Händen tausend Mittel, von denen die einen immer geschickter oder ungeschickter, als die andern, haben, um die Kranken aus dem Leben hinauszubringen, auch noch das Mittel suchen, diejenigen hinauszuschaffen, welche sich wohl befinden. Ah! bei meiner Treue, diese, Sire, bitte ich Eure Majestät, mir zu überlassen.«

»Und was wollen Sie mit ihnen machen, Herr Suleau? Werden Sie dieselben ohne Schmerz enthaupten?« fragte der König, auf die vom Doctor Guillotin ausgesprochene Behauptung anspielend; »werden sie mit einer leichten Kühle davon kommen, die sie aus dem Halse fühlen?«

»Sire, das wünsche ich denselben, doch ich verspreche es ihnen nicht,« erwiederte Suleon.

»Wie, das wünschen Sie ihnen?« versetzte der König.

»Ja, Sire, ich liebe es, daß die Leute, welche neue Maschinen erfinden, sie selbst versuchen. Ich beklage nicht sehr Meister Aubriot, der die Mauern der Bastille zu versuchen hatte, und Messire Enguerrand von Marigny, der zuerst den Galgen von Montsaucon schmückte. Leider habe ich nicht die Ehre, König zu sein; leider habe ich nicht das Glück, Richter zu sein. Ich werde mich also wahrscheinlich genöthigt sehen, dem ehrenwerthen Doctor Guillotin gegenüber mich aus das zu beschränken, was ich ihm verspreche, und aus das, was ich zu halten schon angefangen habe.«

 

»Und was haben Sie versprochen, oder was haben Sie vielmehr gehalten?«

»Es ist mir der Gedanke gekommen, Sire, dieser große Wohlthäter der Menschheit müsse seine Belohnung aus der Wohlthat selbst ziehen. Morgen nun, in der Nummer der Actes des Apótres, die man heute Nacht druckt, wird die Taufe stattfinden. Es ist nicht mehr als billig, daß die Tochter von Herrn Guillotin, heute öffentlich von ihrem Vater im Angesichte der Nationalversammlung anerkannt, Mademoiselle Guillotine heiße.«

Der König selbst konnte sich eines Lächelns nicht erwehren.

»Und da es weder Hochzeit noch Taufe ohne Lied gibt, so hat Suleau über seine Pathe ein Lied gemacht,« sagte Charles Lameth.

»Auf welche Melodie haben Sie dieses Lied gemacht?

»Ich denke, nur die Melodie von De profundis wird dafür gehen.«

»Pfui doch, Sire! Eure Majestät vergißt, welche Annehmlichkeit man haben wird, wenn man sich den Kopf durch die Tochter von Herrn Guillotin abschneiden läßt. Nein, Sire, mein Lied geht aus eine Melodie, welche sehr in der Mode ist, auf die des Menuett Exaudet.«

»Kann man einen Vorgeschmack von Ihrer Dichtung haben, Herr Suleau?« fragte der König.

Suleau verbeugte sich und erwiederte:

»Ich gehöre nicht zu der Nationalversammlung, um so anmaßend zu sein, die Macht des Königs beschränken zu wollen; nein, ich bin ein treuer Unterthan Seiner Majestät, und es ist meine Ansicht, daß der König Alles kann, wenn er will.«

»So lassen Sie hören.«

»Sire, ich gehorche,« sagte Suleau.

Und er sang mit halber Stimme auf die Melodie des Menuetts Exaudet:

 
Guillotin,
Médicin,
Politique,
Imagine, un beau matin,
Que pendre est inhumain
Et peu patriotique.
Aussitot
Il lui faut
Un supplice
Qui, sans corde ni poteau,
Supprime du bourreau
L’office  . . .
C’est en vain que l’on publie
Que c’est pure jalousie
D’un suppot
Du tripot
D’Hippocrate,
Qui de tuer impunément,
Même exclusivement,
Se flatte.
Le Romain
Guillotin,
Qui s’apprète,
Consulte gens du metier,
Bernave et Chapelier
Même le coupe tète;
Et sa main
Fait soudain
la machine
Qui simplement nous tûra
Et que l’on nommera:
Guillotine! 14
 

Das Gelächter der jungen Leute verdoppelte sich, und obgleich Alles dies dem König nicht sehr heiter dünkte, wollte er doch nicht, da Suleau einer seiner Ergebensten war, die Beklemmung sehen lassen, die ihm das Herz zusammenschnürte.

»Nun, meine Herren,« sagte er, »Sie lachen; wenn aber diese Maschine von Herrn Guillotin bestimmt wäre, den unglücklichen Verurtheilten erschreckliche Leiden zu ersparen! Was verlangt die Gesellschaft, wenn sie den Tod eines Schuldigen fordert? Die reine, einfache Unterdrückung des Individuums. Wird diese Unterdrückung von Leiden begleitet, wie beim Rade, wie bei der Viertheilung, so ist es nicht mehr Gerechtigkeit, sondern Rache.«

»Aber, Sire,« bemerkte Suleau, »wer sagt Eurer Majestät, der Schmerz sei durch das Factum der Trennung des Kopfes vom Rumpfe aufgehoben, unterdrückt? Wer sagt Ihnen, das Leben bestehe nicht zugleich in diesen zwei Stümpfen fort, und der Sterbende leide nicht doppelt, da er das Bewußtsein seiner Dualität habe?«

»Das ist eine Frage, welche die Leute der Kunst zu erörtern haben; es muß übrigens, wie ich glaube, diesen Morgen in Bicêtre ein Versuch gemacht worden sein. Hat Niemand von Ihnen diesem Versuche beigewohnt?«

»Nein, Sire! nein, nein, nein!« riefen beinahe gleichzeitig zwölf bis fünfzehn spöttische Stimmen.

»Ich war dabei,« sprach eine ernste Stimme.

Der König wandte sich um und erkannte Gilbert, welcher während der Discussion eingetreten war, sich ehrerbietig der Gruppe genähert hatte und, nachdem er bis jetzt geschwiegen, nun aus die Frage des Königs antwortete.

»Ah! Sie da, Doctor?« sagte der König schauernd; »ah! Sie waren dabei?«

»Ja, Sire!«

»Und ist der Versuch gelungen?«

»Vollkommen bei den zwei Ersten; doch beim Dritten, obgleich der Rückgrat durchschnitten war, mußte man die Trennung des Kopfes mit einem Messer vollenden.«

Die jungen Leute horchten mit offenem Munde und stieren Augen.

»Wie, Sire,« sagte Charles Lameth, der sichtbar im Namen aller Andern und in dem seinigen sprach, »man hat drei Menschen heute Morgen hingerichtet?«

»Ja, meine Herren!« antwortete der König, »nur waren diese Menschen Leichname, welche das Hotel-Dien geliefert hatte. Und Ihre Ansicht, Gilbert?«

»Worüber, Sire?«

»Ueber das Instrument.«

»Sire, das ist offenbar ein Fortschritt neben allen bis heute erfundenen Maschinen derselben Art; doch der Unfall, der sich beim dritten Leichname zugetragen hat, beweist, daß diese Maschine der Vervollkommnung bedarf.«

»Und wie ist sie gemacht?« fragte der König, bei dem der Geist der Mechanik erwachte.

Gilbert versuchte es, eine Erläuterung zu geben; da aber der König nach den Worten des Doctors die Form des Instrumentes nicht genau auffassen konnte, so sagte er:

»Kommen Sir, Doctor; hier aus diesem Tische sind Federn, Tinte und Papier. Sie zeichnen, glaube ich?«

»Ja, Sire.«

»Nun, so machen Sie mir eine Skizze, und ich werde besser begreifen.«

Und da es die jungen Leute, durch die Ehrfurcht zurückgehalten, nicht wagten, dem König zu folgen, ohne aufgefordert sein, so fügte Ludwig XVI. bei:

»Oh! kommen Sie, kommen Sie, meine Herren, diese Fragen interessiren die ganze Menschheit.«

»Und dann, wer weiß,« sagte Suleau halblaut, »wer weiß, ob nicht Einer von uns zu der Ehre, Mademoiselle Guillotine zu heirathen, bestimmt ist! Auf, meine Herren, wir wollen mit unserer Braut Bekanntschaft machen!«

Alle schlossen sich dem König und Gilbert an und gruppirten sich um den Tisch, an den sich Gilbert, um seine Zeichnung leichter auszuführen, auf die Einladung des Königs setzte.

Gilbert begann die Skizze der Maschine, deren Linien Ludwig XVI. mit der ängstlichsten Aufmerksamkeit folgte.

Nichts fehlte daran, weder die Plattform, noch die Treppe, welche auf diese führte, noch die zwei Säulen, noch die Schaukel, noch das kleine Fenster, noch das Eisen in Form eines Halbmonds.

Kaum hatte er diese letzte Einzelheit beendigt, als ihn der König zurückhielt.

»Wahrhaftig!« sagte er, »man darf sich nicht wundern, daß der Versuch mißglückt ist, besonders beim dritten Male.«

»Wie so, Sire?« fragte Gilbert.

»Das rührt von der Form des Messers her,« erwiederte Ludwig XVI,; »man muß keinen Begriff von der Mechanik haben, um einem Gegenstande, der die Bestimmung hat, eine Widerstand bietende Materie zu durchschneiden, die Form eines Halbmonds zu geben.«

»Welche Form würde ihm denn Eure Majestät geben?«

»Das Ist ganz einfach, die eines Dreiecks.«

Gilbert suchte seine Zeichnung zu berichtigen.

»Nein, nein, nicht dies,« rief der König, »nicht dies. Geben Sie mir Ihre Feder.«

»Sire,« sagte Gilbert, »hier ist die Feder, hier der Stuhl.«

»Warten Sie, warten Sie,« versetzte Ludwig XVI., Fortgerissen von seiner Liebe für die Mechanik; »machen Sie mir das Messer schräge, so  . . .ja!  . . .so  . . .und ich steht Ihnen dafür, daß Sie fünfundzwanzig Köpfe hintereinander abschneiden würden, ohne daß das Eisen bei einem einzigen widerspänstig wäre.«

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als ein herzzerreißender Schrei, ein Schrei des Schreckens, beinahe des Schmerzes, über seinem Haupte erscholl.

Er wandte sich um und sah die Königin bestürzt, bleich wanken und dann ohnmächtig in die Arme von Gilbert fallen.

Wie die Andern von der Neugierde angetrieben, war sie an den Tisch getreten, hatte sich über den Stuhl des Königs geneigt und in dem Augenblick, wo er den Hauptpunkt verbesserte, die häßliche Maschine erkannt, welche sie Cagliostro, zwanzig Jahre früher, im Schlosse Taverney-Maison-Rouge hatte sehen lassen.

Bei diesem Anblick hatte sie nur noch die Kraft gehabt, einen Schrei auszustoßen, und war, nachdem sie das Leben verlassen, als ob die unselige Maschine an ihr operirt hätte, wie gesagt, ohnmächtig in die Arme von Gilbert gefallen.

14Diese echt französische Versification ist dem Geiste der deutschen Sprache so fremd, daß wir das Lied im Original geben und nur eine Uebersetzung in Prosa beifügen zu müssen glaubten: »Guillotin, ein Arzt, ein Politiker, denkt an einem schönen Morgen, das Henken sei unmenschlich und unpatriotisch. Sogleich muß er eine Strafe haben, welche, ohne Strick und ohne Galgen, den Dienst des Henkens aufhebt. Vergebens behauptet man öffentlich, es sei reine Eifersucht eines Helfershelfers des Hippokrates, welcher ungestraft, sogar ausschließlich, tödten zu können sich schmeichle. Der Römer Guillotin, der sich in Bereitschaft setzt, zieht Leute vom Handwerk, Barnave und Chapelier, selbst den Kopfabschneider zu Rath; und seine Hand macht plötzlich die Maschine, die uns einfach tödten soll, und die man nennen wird: Guillotine!