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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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»Nun, so steigen Sie wieder hinauf und zählen Sie die Stufen der Treppe,« sagte Gilbert.

»Ich habe sie gezählt: es sind elf.«

»Untersuchen Sie sorgfältig die Thüre und sagen Sie mir, ob Sie etwas Merkwürdiges daran sehen.«

»Ja  . . .eine kleine viereckige Oeffnung, an welcher zwei Gitterstangen im Kreuze angebracht sind.«

»Es ist gut, mehr brauche ich nicht.«

»Laufen Sie, laufen Sie, und Sie werden ihn da finden, wo ich gesagt habe.«

»Wollen Sie sogleich aufwachen und sich erinnern? Wollen Sie erst morgen früh aufwachen und Alles vergessen haben?«

»Wecken Sie mich sogleich auf und lassen Sie mir die Erinnerung.«

Gilbert strich, ihrer Biegung folgend, mit seinen beiden Daumen über die Augenbrauen von Andrée, blies ihr auf die Stirne und sprach nur die Worte:

»Wachen Sie auf.«

Sogleich belebten sich die Augen der jungen Frau; ihre Glieder wurden geschmeidig; sie schaute Gilbert beinahe ohne Schrecken an und sagte, wach die Ermahnungen ihres Schlafes fortsetzend:

»Oh! laufen Sie! laufen Sie! und entziehen Sie ihn den Händen dieses Menschen, der mir bange macht!«

XV
Der Mann der Place Louis XV

Gilbert brauchte nicht zu seinen Nachforschungen angefeuert zu werden. Er eilte aus dem Zimmer, und da es zu lang gewesen wäre, den Weg, auf dem er gekommen, wieder einzuschlagen, so lief er gerade zu der Thüre nach der Rue Coq-Héron, öffnete sie ohne Hilfe eines Dieters, zog sie hinter sich zu und befand sich auf dem Pflaster des Königs.

Er halte den von Andrée bezeichneten Weg vollkommen im Kopfe behalten und folgte mit der größten Hast der Spur von Sebastian.

Wie der Knabe, schritt er über den Platz des Palais Royal und längs der Rue Saint-Honoré hin, welche nun ganz verödet, denn es war beinahe ein Uhr Morgens. An der Ecke der Rue de la Sourdière angelangt, wandte er sich rechts und dann links, und er befand sich in der Sackgasse Sainte-Hyacinthe.

Hier begann von seiner Seite eine gründlichere Inspection der Oertlichkeit.

In der dritten Thüre links erkannte er an der kreuzförmig durch Gitterstangen geschlossenen Oeffnung die von Andrée beschriebene Thüre.

Die Bezeichnung war so bestimmt, daß man sich nicht täuschen konnte. Er klopfte an.

Niemand antwortete. Er klopfte zum zweiten Male. Da glaubte er furchtsame, argwöhnische Tritte an der Treppe hinschleichen und sich nähern zu hören.

Er klopfte zum dritten Male.

»Wer klopft?« fragte eine Weiberstimme.

»Oeffnen Sie,« antwortete Gilbert, »und seien Sie ohne Furcht; ich bin der Vater des verwundeten Knaben, den Sie ausgenommen haben.«

»Oeffne, Albertine,« sprach eine andere Stimme, »es ist der Doctor Gilbert.«

»Mein Vater! mein Vater!« rief eine dritte Stimme, in der Gilbert die von Sebastian erkannte.

Gilbert athmete.

Die Thüre wurde geöffnet. Einen Dank stammelnd, eilte Gilbert die Stufen hinab.

Als er unten an die letzte gekommen war, befand er sich in einer Art von Keller, der von einer Lampe erleuchtet wurde, welche auf dem von Andrée erschauten, mit Handschriften und bedruckten Papieren beladenen Tische stand.

Im Schatten und auf einem ärmlichen Bette liegend, erblickte Gilbert seinen Sohn, der die Arme nach ihm ausstreckte und ihn zu sich rief. So mächtig die Selbstbeherrschung von Gilbert war, die väterliche Liebe trug den Sieg über das philosophische Decorium davon, und er stürzte aus den Knaben zu und drückte ihn an sein Herz, wobei er indessen besorgt war, weder seinen blutenden Arm, noch seine Schmerzen leidende Brust zu quetschen.

Dann, als sie sich in einem langen väterlichen Kusse, durch das sanfte Geflüster von zwei Münden, die sich suchen, Alles gesagt hatten, ohne ein Wort zu sprechen, wandte sich Gilbert gegen seinen Wirth um, den er kaum erblickt hatte.

Dieser stand da mit ausgebreiteten Beinen, eine Hand aus den Tisch, die andere auf seine Hüfte gestützt, beleuchtet von dem Lichte der Lampe, deren Deckel er weggenommen hatte, um die Scene besser zu genießen, welche unter seinen Augen vorging.

»Schau, Albertine,« sagte er, »und danke mit mir dem Zufall, der mir einem meiner Brüder diesen Dienst zu leisten erlaubt hat.«

In dem Moment, wo der Wundarzt diese paar ein wenig emphatischen Worte sprach, wandte sich Gilbert, wie gesagt, um und warf einen ersten Blick aus das ungestalte Wesen, das er vor sich hatte.

Es war etwas Gelbes und Grünes mit grauen Augen, die ihm aus dem Kopfe hervorstanden, einer von jenen vom Zorne von Latona verfolgten Bauern, welche, im Begriffe, ihre Metamorphose zu vollführen, schon nicht mehr Menschen, aber noch nicht Kröten sind.

Gilbert schauerte unwillkürlich; es schien ihm, als hätte er in einem häßlichen Traume, wie durch einen Blutschleier, diesen Menschen schon einmal gesehen.

Er näherte sich Sebastian und drückte ihn noch zärtlicher an sein Herz.

Gilbert überwand indessen diese erste Bewegung und ging auf den seltsamen Mann zu, den Andrée in ihrem magnetischen Schlafe gesehen und der sie so sehr erschreckt hatte.

»Mein Herr,« sprach er, »empfangen Sie den Dank eines Vaters, dem Sie seinen Sohn erhalten haben; mein Dank ist aufrichtig und kommt aus dem Grunde des Herzens.«

»Mein Herr,« erwiederte der Wundarzt, »ich habe nur die Pflicht gethan, die mir zugleich von meinem Herzen eingegeben und von der Wissenschaft geboten war. Ich bin Mensch und, wie Terenz sagt, nichts Menschliches ist mir fremd; überdies habe ich ein zartes Gemüth, ich kann kein Insekt und folglich noch viel weniger meines Gleichen leiden sehen.«

»Werde ich so glücklich sein, zu erfahren, mit welchem achtenswürdigen Philanthropen ich zu sprechen die Ehre habe?«

»Sie kennen mich nicht, Collega?’ versetzte der Wundarzt, auf eine Weise lachend, die er freundlich machen wollte, während sie nur häßlich war. »Nun, ich kenne Sie: Sie sind der Doctor Gilbert, der Freund von Washington und Lafayette, – er legte einen seltsamen Nachdruck aus das letzte Wort, – der Mann Amerikas und Frankreichs, der ehrliche Utopist, der über das constitutionelle Königthum herrliche Memoiren geschrieben hat, die Sie von Amerika aus an Seine Majestät König Ludwig XVI. adressierten, für welche Memoiren Seine Majestät König Ludwig XVI. Sie damit belohnt hat, daß er Sie in dem Augenblick, wo Sie den Boden Frankreichs berührten, in die Bastille schickte. Sie wollten ihn dadurch retten, daß Sie ihm den Weg der Zukunft zum Voraus abräumten, er öffnete Ihnen den zu einem Gefängniß, – königliche Dankbarkeit!«

Der Wundarzt lachte abermals, doch diesmal aus eine gräßliche, drohende Art.

»Wenn Sie mich kennen, mein Herr, so ist dies ein Grund mehr, daß ich auf meiner Bitte bestehe und die Ehre habe, ebenfalls Ihre Bekanntschaft zu machen.«

»Oh! es ist schon lange her, daß wir Bekanntschaft gemacht haben, mein Herr,« erwiederte der Wundarzt. »Es sind zwanzig Jahre, und zwar in einer erschrecklichen Nacht, in der Nacht vom 30. Mai 1770. Sie waren damals im Alter dieses Knaben; Sie wurden mir, wie er, verwundet, sterbend, zerquetscht gebracht; Sie wurden mir durch meinen Lehrer Rousseau gebracht, und ich habe Ihnen auf einem ganz mit Leichnamen und abgeschnittenen Gliedern umgebenen Tische zur Ader gelassen. Oh! in jener erschrecklichen Nacht, und das ist eine gute Erinnerung für mich, habe ich mit Hilfe des Eisens, welches weiß, bis wohin es eindringen muß, um zu heilen, bis wohin es schneiden muß, um zu vernarben, viele Existenzen gerettet.«

»Ah! mein Herr,« rief Gilbert, »dann sind Sie Jean Paul Marat.«

Und unwillkürlich wich er einen Schritt zurück.

»Du siehst, Albertine,« sagte Marat, »mein Name bringt seine Wirkung hervor.«

Und er schlug ein unheimliches Gelächter aus.

»Aber,« fügte Gilbert lebhaft bei, »warum hier, warum in diesem Keller, warum beleuchtet von dieser rauchigen Lampe?  . . .Ich glaubte, Sie seien Arzt des Herrn Grafen d’Artois?«

»Thierarzt seiner Ställe, wollen Sie sagen. Doch der Prinz ist emigrirt; kein Prinz mehr, keine Ställe mehr; keine Ställe mehr, kein Thierarzt mehr. Ueberdies hatte ich meine Entlassung genommen, ich will nicht den Tyrannen dienen.«

Hier richtete sich der Zwerg in der ganzen Höhe seiner kleinen Gestalt auf.

»Aber warum hier, warum in diesem Loche, warum in diesem Keller?« wiederholte Gilbert.

»Warum, Herr Philosoph? Weil ich Patriot bin, weil ich schreibe, um die Ehrgeizigen anzuzeigen, weil Bailly mich fürchtet, weil Necker mich verflucht, weil Lafayette Jagd auf mich macht, weil er mich von seiner Nationalgarde hat umstellen lassen, weil er einen Preis aus meinen Kopf gesetzt hat, der Ehrgeizige, der Dictator; doch ich trotze ihm! Aus der Tiefe meines Kellers verfolge ich ihn, denuncire ich ihn, den Dictator! Sie wissen, was er gethan hat?«

»Nein,« erwiederte Gilbert naiv.

»Er hat im Faubourg Saint-Antoine fünfzehn tausend Tabaksdosen mit seinem Bildniß verfertigen lassen; dahinter steckt etwas, wie ich glaube  . . .nicht wahr? Ich bitte auch die guten Bürger, sie zu zerbrechen, wenn sie sie sich verschaffen können; sie werden darin den Schlüssel des großen royalistischen Complotts finden, denn, – Sie wissen das nicht, – während der arme Ludwig XVI. mit heißen Thränen die Dummheiten beweint, die ihn die Oesterreicherin machen läßt, conspirirt Lafayette mit der Königin.«

»Mit der Königin?« wiederholte Gilbert nachdenkend.

»Ja, mit der Königin. Sie werden mir nicht sagen, diese conspirtre nicht; sie hat in den letzten Tagen so viel weiße Cocarden ausgetheilt, daß das weiße Band um drei Sous die Elle ausgeschlagen ist. Die Sache ist sicher, ich weiß es von einem der Mädchen der Bertin, der Modehändlerin der Königin, ihrer ersten Ministerin, derjenigen, welche sagt: »»Ich habe diesen Morgen mit Ihrer Majestät gearbeitet.««

»Und wo zeigen Sie Alles dies an?« fragte Gilbert.

 

»In meiner Zeitung, in der Zeitung, die ich gegründet, und von der ich zwanzig Nummern habe erscheinen lassen, in dem Blatte l’Ami du Peuple oder le Publiciste Parisien, einem politischen und unparteiischen Journal. Um das Papier und den Druck der ersten Nummern zu bezahlen, – sehen Sie, schauen Sie hinter sich, – habe ich sogar die Leintücher und Decken des Bettes, auf dem Ihr Sohn liegt, verkauft.«

Gilbert wandte sich um und sah in der That, daß der kleine Sebastian auf dem verzerrten Zwillich einer völlig kahlen Matratze ausgestreckt lag, wo er überwältigt vom Schmerz und von der Müdigkeit so eben eingeschlafen war.

Der Doctor näherte sich dem Knaben, um zu sehen, ob dieser Schlaf nicht eine Ohnmacht sei; doch beruhigt durch das sanfte, gleichmäßige Athmen, kehrte er zu dem Manne zurück, der ihm, ohne daß er sich dessen erwehren konnte, dasselbe Interesse der Neugierde einflößte, das ihm ein wildes Thier, ein Tiger oder eine Hyäne, eingeflößt hätte.

»Und wer sind Ihre Mitarbeiter bei diesem riesigen Werke?«

»Meine Mitarbeiter?« versetzte Marat. »Ha! Ha! ha! die wälschen Hühner gehen in Herden; der Adler marschirt allein. Hier sind meine Mitarbeiter.«

Marat zeigte seinen Kopf und seine Hände.

»Sehen Sie diesen Tisch?« fuhr er fort. »Das ist die Werkstätte, wo Vulcan, – die Vergleichung ist gut gefunden, nicht wahr? – wo Vulcan den Blitz schmiedet. Jede Nacht schreibe ich acht Selten in Octav, die man am Morgen verkauft; acht Seiten, das genügt oft nicht, und ich verdoppele die Lieferung; sechzehn Selten sind oft noch zu wenig; was ich mit großen Buchstaben angefangen habe, vollende ich beinahe immer mit kleinen. Die anderen Journalisten erscheinen in Zwischenräumen, lösen sich ab, lassen sich helfen, ich nie. Der Ami du Peuple, – Sie können die Copie sehen, sie ist da, – der Ami du Peuple ist ganz von derselben Hand. Es ist auch nicht bloß ein Journal; nein, es ist ein Mensch, es ist eine Persönlichkeit, ich bin es!«

»Aber,« fragte Gilbert, »wie genügen Sie für diese ungeheure Arbeit?«

»Ah! das ist das Geheimniß der Natur!  . . .Es ist ein Vertrag zwischen dem Tode und mir  . . .ich gebe ihm zehn Jahre von meinem Leben, und er bewilligt mir Tage, welche nicht der Ruhe bedürfen, Nächte, welche nicht des Schlafes bedürfen  . . . Meine Existenz ist eine einfache: ich schreibe  . . .ich schreibe bei Nacht, ich schreibe bei Tag  . . .Die Polizei von Lafayette nöthigt mich, verborgen, eingeschlossen zu leben; sie überliefert mich mit Leib und Seele der Arbeit; sie verdoppelt meine Thätigkeit  . . .Dieses Leben lastete Anfangs auf mir: ich bin nun daran gewöhnt. Es gefällt mir, die elende Gesellschaft durch die enge, schräge Oeffnung meines Kellers, durch das feuchte, finstere Lustloch zu sehen. Aus der Tiefe meiner Nacht regiere ich über die Welt der Lebendigen; ich richte ohne Appellation die Wissenschaft und die Politik  . . .Mit einer Hand zerstöre ich Newton, Franklin, Laplace, Monge, Lovoisier; mit der andern erschüttere ich Bailly, Necker, Lafayette  . . .Ich werde Alles dies umstürzen  . . .ja, wie Simson, der den Tempel umgestürzt hat, und unter den Trümmern, die mich selbst vielleicht zermalmen, begrabe ich das Königthum.«

Gilbert schauerte unwillkürlich; dieser Mensch wiederholte ihm in einem Keller und unter den Lumpen des Elends ungefähr das, was ihm Cagliostro in seinem gestickten Rocke in einem Palaste gesagt hatte.

»Aber,« sprach er, »warum haben Sie es, volksbeliebt, wie Sie sind, nicht versucht, sich zur Nationalversammlung ernennen zu lassen?«

»Weil der Tag noch nicht gekommen ist,« erwiederte Marat.

Dann fügte er, ein Bedauern ausdrückend, beinahe in demselben Augenblick bei:

»Oh! wäre ich Volkstribun! würde ich durch ein paar tausend entschlossene Menschen unterstützt, ich stehe dafür, daß von jetzt in sechs Wochen die Constitution vollkommen wäre; daß die politische Maschine auf das Beste ginge; daß es kein Spitzbube wagen würde, sie in Unordnung zu bringen; daß die Nation frei und glücklich wäre; daß sie in weniger als einem Jahre wieder blühend und fruchtbar würde, und daß sie so bliebe, so lange ich lebte.«

Und das eitle Geschöpf verwandelte sich unter dem Blicke von Gilbert; sein Auge wurde von Blut unterlaufen; seine gelbe Haut glänzte von Schweiß; das Ungeheuer war groß in seiner Häßlichkeit, wie ein Anderer groß ist in seiner Schönheit.

»Ja,« fuhr er fort, indem er seinen Gedanken wieder aufnahm, wo ihn die Begeisterung unterbrochen hatte, »ja, aber ich bin nicht Tribun, ja, aber ich habe die paar tausend Menschen nicht, deren ich bedürfte  . . .Nein, aber ich bin Journalist  . . .nein, aber ich habe mein Schreibzeug, mein Papier, meine Federn  . . .nein, aber ich habe meine Abonnenten, ich habe meine Leser, für die ich ein Orakel, ein Prophet, ein Wahrsager bin  . . .Ich habe mein Volk, dessen Freund ich bin, und das ich, ganz zitternd, von Verrath zu Verrath, von Entdeckung zu Entdeckung, von Schrecken zu Schrecken führe  . . . In den ersten Nummern des Ami du Peuple denuncirte ich die Aristokraten, ich sagte, es seien sechshundert Schuldige in Frankreich, sechshundert Stricke würden genügen. Ha! Ha! ha! ich täuschte mich ein wenig vor sechs Monaten! Der 5. und 6. October haben stattgefunden und mein Auge aufgeklärt  . . .Es sind auch nicht mehr sechshundert Schuldige, die man richten muß, es sind zwanzigtausend Aristokraten, die man zu hängen hat.«

Gilbert lächelte. Zu diesem Grade gelangt, kam ihm die Wuth wie Tollheit vor.

»Nehmen Sie sich in Acht,« sagte er, »es wird in Frankreich nicht Hanf genug für das geben, was Sie thun wollen, und die Stricke werden einen ungeheuern Preis erreichen.«

»Man wird auch, wie ich hoffe, neue und wirksamere Mittel finden. Wissen Sie, wen ich heute Abend erwarte  . . .wer binnen zehn Minuten an diese Thüre klopfen wird?«

»Nein, mein Herr,«

»Nun, ich erwarte einen von unsern Collegen, ein Mitglied der Nationalversammlung, das Sie dem Namen nach kennen, den Bürger Guillotin  . . .«

»Ja,« sagte Gilbert, »derjenige, welcher den Deputirten vorgeschlagen hat, sich im Ballhause zu versammeln, als sie aus dem Sitzungssaale verjagt wurden; ein sehr gelehrter Mann.«

»Wissen Sie wohl, was der Bürger Guillotin erfunden hat?  . . . Er hat eine wunderbare Maschine erfunden, eine Maschine, welche tödtet, ohne leiden zu lassen; – denn der Tod muß eine Strafe sein und nicht ein Leiden; er hat diese Maschine erfunden, und an einem der nächsten Morgen werden wir sie versuchen.«

Gilbert schauerte.

Es war zum zweiten Male, daß ihn dieser Mann in seinem Keller an Cagliostro erinnerte. Die von ihm erwähnte Maschine war ohne Zweifel dieselbe, von der Cagliostro mit ihm gesprochen.

»Ei! hören Sie.« sagte Marat, »man klopft eben an, er ist es. Oeffne, Albertine, öffne.«

Die Frau von Marat erhob sich von dem Schemel, aus welchem sie gekauert war, und schritt Maschinenmäßig und wankend aus die Thüre zu.

Gilbert aber ging, betäubt, erschrocken, von einer Blendung erfaßt, die einem Schwindel glich, zu Sebastian, den er in seine Arme zu nehmen und nach Hause zu bringen sich anschickte.

»Sehen Sie,« fuhr Marat mit Begeisterung fort, »sehen Sie eine Maschine, welche ganz allein functionirt! welche nur eines Mannes bedarf, um sie gehen zu machen! welche, dreimal das Messer wechselnd, dreihundert Köpfe im Tag abschneiden kann!«

»Und fügen Sie bei,« sagte eine kleine sanfte, flötenartige Stimme hinter Marat, »welche diese dreihundert Köpfe ohne Schmerzen, ohne eine andere Empfindung, als eine leichte Kühle auf dem Halse, abschneiden kann.«

»Ah! Sie sind es, Doctor,« rief Marat, indem er sich gegen einen kleinen Mann von fünf und vierzig Jahren umwandte, dessen sorgfältiger Anzug und sanfte Miene einen höchst seltsamen Contrast mit Marat bildeten, und der in der Hand eine Schachtel von der Form und dem Umfang derjenigen trug, welche Spielzeug von Kindern enthalten. »Was bringen Sie mir da?«

»Ein Modell von meiner Maschine, mein lieber Marat  . . .Doch ich täusche mich nicht,« setzte der kleine Mann hinzu, indem er in der Dunketheit zu erkennen suchte, »es ist der Herr Doctor Gilbert, den ich hier sehe?«

»Er selbst, mein Herr,« erwiederte Gilbert sich verbeugend.

»Ich bin entzückt, Sie hier zu treffen, mein Herr; Sie sind, Gott sei Dank, nicht zu viel, und ich werde glücklich sein, die Meinung eines so ausgezeichneten Mannes über eine Erfindung zu erfahren, die ich bekannt zu machen im Begriffe bin; – denn ich muß Ihnen sagen, mein lieber Marat, daß ich einen sehr geschickten Zimmermann, einen gewissen Meister Guidon gesunden habe, der mir meine Maschine im Großen verfertigt  . . .Das ist theuer! er verlangt fünftausend fünfhundert Franken von mir! Doch kein Opfer soll mir zu kostspielig sein für das Wohl der Menschheit  . . .In zwei Monaten wird sie fertig sein, mein Freund, und wir können sie versuchen; dann biete ich sie der Nationalversammlung an. Ich hoffe, Sie werden den Antrag in Ihrem vortrefflichen Journal unterstützen, obgleich, in Wahrheit, meine Maschine sich von selbst empfiehlt, Herr Gilbert, wie Sie mit Ihren eigenen Augen beurtheilen werden; doch ein paar Zeilen im Ami du Peuple können ihr nicht schaden.«

»Oh! seien Sie ruhig, ich werde ihr nicht ein paar Zeilen, sondern eine ganze Nummer widmen.«

»Sie sind sehr gut, mein lieber Marat; aber ich will Ihnen nicht, wie man zu sagen pflegt, eine Katze im Sack verkaufen.«

Und er zog aus seiner Tasche eine Schachtel, die, um ein Viertel kleiner als die erste, sich durch ein gewisses inneres Geräusch als von einem Thiere oder vielmehr von einigen ihres Gefängnisses überdrüssigen Thieren bewohnt verrieth.

Dieses Geräusch entging den seinen Ohren von Marat, nicht.

»Ho! Ho! was haben Sie da drinnen?« fragte er.

»Sie werden es sehen.« erwiederte der Doctor.

Marat legte die Hand an die Schachtel.

»Nehmen Sie sich in Acht.« rief lebhaft der Doctor, »nehmen Sie sich in Acht, die Thierchen entfliehen zu lassen, wir könnten sie nicht wieder erwischen: es sind Mäuse, denen wir den Kopf abschneiden wollen. – Nun, was machen Sie denn, Doctor Gilbert? . . . Sie verlassen uns?«

»Ach! ja, mein Herr,« antwortete Gilbert, »zu meinem großen Bedauern; mein Sohn, der heute Abend von einem Pferde aus das Pflaster geschleudert und verwundet wurde, ist vom Doctor aufgehoben und sodann, nachdem er ihm zur Ader gelassen, verbunden worden; ich Habe dem Doctor schon selbst das Leben unter ähnlichen Umständen zu verdanken gehabt und wiederhole ihm meine innige Erkenntlichkeit. Mein Knabe aber bedarf eines frischen Bettes, der Ruhe, der Pflege; ich kann also Ihrem interessanten Versuche nicht beiwohnen.«

»Doch Sie werden dem beiwohnen, welchen wir im Großen in zwei Monaten machen, nicht wahr, Sie versprechen es mir, Doctor?«

»Ich verspreche es Ihnen, mein Herr.«

»Ich nehme Sie beim Wort.«

»Es ist gegeben.«

»Doctor,« sagte Marat, »ich brauche Ihnen nicht Geheimhaltung meines Zufluchtsortes zu empfehlen.«

»Oh! mein Herr  . . .«

»Ihr Freund Lafayette, wenn er ihn entdeckte, ließe mich erschießen wie einen Hund oder aufhängen wie einen Dieb.«

»Erschießen! Aufhängen!« rief Guillotin. »Man wird mit allen diesen cannibalischen Todesarten ein Ende machen; es wird einen sanften, leichten, augenblicklichen Tod geben; einen Tod, wie ihn die Greise, welche, des Lebens überdrüssig, als Philosophen und als Weise endigen wollen, einem natürlichen Tode vorziehen werden . . . Sehen Sie das an, mein lieber Marat, sehen Sie es.«

Und ohne sich mehr um den Doctor Gilbert zu bekümmern, öffnete er seine große Schachtel und fing an seine Maschine auf dem Tische von Marat zu errichten, der ihm mit einer seiner Begeisterung gleichen Neugierde zuschaute.

Gilbert benutzte dies, um den eingeschlafenen Sebastian aufzuheben und in seinen Armen fortzutragen. Albertine führte ihn bis zu der Thüre zurück, die sie sorgfältig wieder hinter ihm schloß.

Als er sich aus der Straße befand, fühlte er an der Kälte seines Gesichtes, daß dieses mit Schweiß bedeckt war, und daß der Nachtwind diesen Schweiß aus seiner Stirne in Eis verwandelte.

»Oh! mein Gott,« murmelte er, »was wird mit dieser Stadt geschehen, deren Keller vielleicht zur Stunde fünfhundert Philanthropen verbergen, Philanthropen beschäftigt mit Werken, dem ähnlich, welches ich habe vorbereiten sehen, und die an einem schönen Tage an das Licht des Himmels treten werden?  . . .«