Tasuta

Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

CLIX

Von sechs Uhr bis neun Uhr Abends

Das Volk war ins Schloß eingetreten, wie man in die Höhle eines wilden Thieres eintritt; es verrieth seine Gefühle durch die Rufe: »Tod dem Wolfe! Tod der Wölfin! Tod dem Wölflein!«



Wäre es dem Könige, der Königin und dem Dauphin begegnet, so hätte es sicherlich, ohne zu zögern, im Glauben, Gerechtigkeit zu üben, ihre drei Köpfe mit einem Streiche abgehauen.



Gestehen wir, daß das ein Glück für sie gewesen wäre!



In Abwesenheit derer, welche sie mit ihrem Geschrei verfolgten, welche sie bis in den Schränken, bis hinter den Vorhängen, bis unter den Betten suchten, sollten die Sieger sich an Allem rächen, an den Dingen, wie an den Menschen; sie tödteten und zerbrachen mit derselben Grausamkeit, – denn diese Mauern, wo die Bartholomäusnacht und die Schlächterei auf dem Marsfelde beschlossen worden waren, fordern zu entsetzlichen Rachewerken auf.



Wir sind weit entfernt, das Volk zu beschönigen, wir zeigen es vielmehr in seiner ganzen Rohheit und Scheußlichkeit; allein wir können nicht verschweigen, daß die Sieger das Schloß zwar mit blutflecken, aber mit leeren Händen verließen.

55

55


   In der »Geschichte der Revolution vom 10. August« wird erzählt, daß zweihundert Personen als Diebe vom Volke erschossen wurden. Anm. d. Verf.





Peltier, der nicht der Parteilichkeit zu Gunsten der Patrioten beschuldigt werden kann, erzählt, ein Schankwirt, namens Mallet, habe de Nationalversammlung; hundert und dreiundsiebzig Louis d’or gebracht, die man bei einem im Schlosse getöteten Priester gefunden: fünfundzwanzig Sansculottes haben eine Kiste mit Silbergeschirr des Königs gebracht; ein Streiter habe ein St. Ludwigs Krenz auf das Bureau des Präsidenten geworfen; ein Anderer habe darauf die Uhr eines Schweizers gelegt; ein Anderer eine Rolle Assignate; ein Anderer einen Sack Thaler; ein Anderer Juwelen; ein Anderer Diamanten; ein Anderer eine der Königin gehörende Cassette, fünfzehnhundert Louis d’or enthaltend.



»Und,« fügt der Geschichtsschreiber ironisch bei, ohne zu vermuthen, daß er allen diesen Menschen ein herrliches Lob spendet, »und die Nationalversammlung drückte ihr Bedauern aus, daß sie nicht die Namen der bescheidenen Bürger kenne, welche treu in ihren Schooß alle dem Könige gestohlenen Schätze niedergelegt haben.«



Wir sind keine Schmeichler des Volks; wir wissen, daß es der undankbarste, der launenhafteste, der unbeständigste von allen Herren ist; wir werden also seine Verbrechen wie seine Tugenden sagen.



An diesem Tage war es grausam; an diesem Tage röthete es sich die Hände mit Wonne; an diesem Tage hat es Edelleute lebendig zum Fenster hinausgeworfen; Schweizer todt oder sterbend auf den Treppen ausgeweidet; Herzen aus der Brust gerissen und wie einen Schwamm mit beiden Händen gepreßt; Kopfe abgeschnitten und an der Spitze von Pieken umhergetragen; an diesem Tage ergab ich dasselbe Volk, das sich entehrt glaubte, wenn es eine Uhr oder ein St. Ludwigs-Krenz stahl, allen den finsteren Freuden der Rache und der Grausamkeit.



Und dennoch, mitten unter dieser Schlächterei der Lebenden, unter dieser Profanation der Todten, übte es zuweilen, wie der gesättigte Löwe, Gnade.



Die Damen von Tarente, von la Roche-Aymon, von Ginestone und Fräulein Pauline von Tourzel waren, von der Königin verlassen, in den Tuilerien geblieben; sie befanden sich im Zimmer von Marie Antoinette. Als das Schloß genommen war, hörten sie das Geschrei der Sterbenden, die Drohungen der Sieger, die Tritte, die sich ihnen näherten, hastige, entsetzliche, unbarmherzige Tritte.



Frau von Tarente öffnete die Thür«.



»Tretet ein,« sagte sie, »wir sind nur Frauen.«



Die Sieger traten mit ihren rauchenden Flinten, mit ihren blutigen Säbeln in der Hand ein.



Die Frauen fielen auf die Kniee.



Die Männer nannten sie die Räthinnen von Madame Veto, die Vertrauten der Oesterreicherin, und schwangen schon die Messer über ihnen; da rief ein Mann mit langem Barte, von Pétion abgesandt, von der Thürschwelle aus:



»Begnadigt die Frauen! entehrt nicht die Nation!«



Und sie wurden begnadigt!



Madame Campan, zu der die Königin gesagt hatte: »Erwarten Sie mich; ich komme zurück, oder ich lasse Sie holen, um . . . Gott weiß wohin zu gehen!«



Madame Campan wartete in ihrem Zimmer, bis die Königin zurückkomme oder sie holen lasse.



Sie erzählt selbst, sie habe völlig den Kopf verloren unter dem entsetzlichen Tumulte, und da sie ihre hinter einem Vorhange verborgene oder hinter irgend einem Meuble gekauerte, Schwester nicht gesehen, so hatte sie dieselbe in einem Zimmer des Entresol zu finden geglaubt und sei rasch in dieses Zimmer hinabgegangen, hier sah sie aber nur zwei ihr gehörige Kammerfrauen und eine Art von Riesen, der Heiduck der Königin war.



Beim Anblicke dieses Menschen begriff Madame Campan, ganz verwirrt, wie sie war, die Gefahr bedrohe ihn, nicht sie.



»Flieht doch!« rief sie, »flieht doch, Unglücklicher die Lackeien sind schon fern . . . Flieht, es ist noch Zeit!



Er versuchte es, aufzustehen, fiel aber wieder nieder und rief mit kläglicher Stimme:



»Ach! ich kann nicht! ich bin todt vor Angst!«



Als er dies sagte, erschien ein Trupp trunkener wüthender, mit Blut besudelter Leute auf der Schwelle warf sich auf den Heiducken und hieb ihn in Stücke.



Madame Campan und die zwei Frauen entflohen auf einer kleinen Gesindetreppe.



Einige von den Mördern, als sie diese drei Frauen entfliehen sahen, setzten ihnen eiligst nach und hatten sie bald erreicht.



Die zwei Kammerfrauen fielen auf die Kniee, umfaßten, während sie die Mörder anflehten, die Klinge ihrer Säbel mit beiden Händen.



In ihrem Laufe auf der Treppe angehalten, fühlte Madame Campan, daß ihr eine wüthende Hand in den Rücken griff, um sie bei den Kleidern zu packen; sie sah einen tödtlichen Blitz eine Säbelklinge über ihrem Kopfe glänzen; sie ermaß den kurzen Augenblick, der das Leben von der Ewigkeit trennt, und der, so kurz er ist, doch eine ganze Welt von Erinnerungen enthält, als unten von der Treppe eine Stimme mit dem Ausdrucke des Befehls emporstieg:



»Was macht Ihr da oben?« fragte diese Stimme.



»Nun?« erwiederte der Mörder, »was gibt es?«



»Man tödtet die Frauen nicht, versteht Ihr wohl?« rief die Stimme von unten.



Madame Campan lag auf den Knieen; schon war er Säbel über ihrem Haupte erhoben, schon hatte sie das Vorgefühl von dem Schmerze, den sie empfinden sollte.



»Steh’ auf, elendes Weib!« sagte ihr Henker zu ihr, die Nation begnadigt Dich.«



Was that der König mittlerweile in der

Loge des Logographe

? Der König hatte Hunger und verlangte sein Mittagsmahl.



Man brachte ihm Brod, Wein, ein Huhn, kaltes Fleisch und Früchte.



Wie alle Prinzen des Hauses Bourbon, wie Heinrich IV., wie Ludwig XIV., war der König ein großer Esser; hinter seinen Gemüthsbewegungen, die sich selten durch sein Gesicht mit den schlaffen, abgespannten Fibern verriethen, wachten unablässig die zwei großen Anforderungen des Leibes: der Schlaf und der Hunger. Wir haben ihn genöthigt gesehen, im Schlosse zu schlafen, wir sehen ihn genöthigt, in der Nationalversammlung zu essen.



Der König brach sein Brod und zerschnitt sein Huhn wie bei einem Jagdrendezvous, ohne sich nur im Geringsten um die Augen zu bekümmern, die ihm zuschauten.



Unter diesen Augen fanden sich zwei, welche brannten, weil sie nicht weinen konnten: das waren die der Königin.



Sie, sie hatte Alles zurückgewiesen: die Verzweiflung, nährte sie.



Es schien ihr, die Füße in dem kostbaren Blute von Charny, hätte sie ewig hier bleiben und wie eine Blume der Gräber leben können, ohne eine andere Nahrung, als die, welche sie vom Tode empfing.



Sie hatte viel gelitten bei der Rückkehr von Varennes; sie hatte viel gelitten bei ihrer Gefangenschaft in den Tuilerien; sie hatte viel gelitten in der und an dem Tage, welche abgelaufen; sie hatte vielleicht weniger gelitten, als da sie den König essen sah.



Und die Lage wäre doch ernst genug gewesen, um den Appetit einem andern Menschen als Ludwig zu benehmen.



Die Nationalversammlung, zu der der König gekommen war, um Schutz zu suchen, hätte selbst beschützt zu werden nöthig gehabt; sie verbarg sich ihre Schwäche nicht.



Am Morgen hatte sie die Ermordung von Suleau verhindern wollen, und sie hatte es nicht gekonnt.



Um zwei Uhr hatte sie das Hinschlachten der Schweizer verhindern wollen, und sie hatte es nicht gekonnt.



Nun wurde sie selbst durch eine grimmige Menge bedroht, welche: »Die Entsetzung! die Entsetzung!»schrie.



Eine Commission versammelte sich auf der Stelle.



Vergniaud gehörte dazu; er übergab das Präsidium Guadet, damit die Gewalt nicht aus den Händen Gironde komme.



Die Berathung der Commissäre war kurz: man berathschlagte gewisser Maßen unter dem donnernden Echo des Musketenfeuers und der Kanonen.



Es war Vergniaud, der die Feder nahm und die Acte der provisorischen Suspension des Königthums abfaßte.



Er kehrte in die Nationalversammlung zurück, düster und niedergeschlagen, und suchte weder seine Traurigkeit noch seine Niedergeschlagenheit zu verbergen; denn es war dies ein letztes Pfand, das er dem Könige von seiner Achtung für das Königthum, dem Gaste von seiner Achtung für die Gastfreundschaft gab.



»Meine Herren,« sagte er, »ich komme im Namen Ihrer außerordentlichen Commission, um Ihnen eine sehr strenge Maßregel vorzuschlagen; doch ich berufe mich auf den Schmerz, von dem Sie durchdrungen sind, daß Sie beurtheilen, wie wichtig es für das Wohl des Vaterlands ist, dieselbe zur Stunde anzunehmen.

 



»»Die Nationalversammlung, in Erwägung, daß die Gefahren des Vaterlands ihren höchsten Grad erreicht haben; daß die Uebel, unter denen das Reich seufzt, hauptsächlich von dem Mißtrauen herrühren, welches das Benehmen des Hauptes der executiven Gewalt bei einem in seinem Namen gegen die Constitution und die nationale Unabhängigkeit unternommenen Kriege einflößt; daß dieses Mißtrauen bei allen Parteien des Reichs den Wunsch der Zurücknahme der Ludwig XVI. anvertrauten Machtvollkommenheit hervorgerufen hat;



»»In Erwägung, nichtsdestoweniger, daß der gesetzgebende Körper durch keine Usurpation seine eigene Machtvollkommenheit vergrößern wird, und daß er seinen der Constitution geleisteten Eid und seinen festen Willen, die Freiheit zu retten, nur dadurch in Einklang bringen kann, daß er an die Souverainetät des Volkes appellirt;



»»Beschließt, wie folgt: »»Das französische Volk ist aufgefordert, einen Nationalconvent zu bilden.



»»Das, Haupt der exekutiven Gewalt ist provisorisch von seinen Funktionen suspendiert. Ein Decret wird am Tage für die Ernennung eines Gouverneur des königlichen Prinzen beantragt werden.



»»Die Bezahlung der Civilliste wird suspendiert sein.



»»Der König und die königliche Familie werden im Bezirke des gesetzgebenden Körpers bleiben, bis die Ruhe in Paris wiederhergestellt ist.



»»Das Departement wird das Luxembourg zu ihrem Wohnorte unter der Bewachung der Bürger in Breitschaft setzen lassen.««



Der König hörte diesen Beschluß mit seiner gewöhnlichen Unempfindlichkeit an.



Dann neigte er sich aus der Loge des

Logographe

, wandte sich an Vergniaud, als dieser wieder seinen Präsidentenplatz eingenommen hatte, und sagte:



»Wissen Sie, daß das, was Sie da gethan haben nicht sehr constitutionell ist?«



»Es ist wahr, Sire,« erwiederte Vergniaud; nur ist es das einzige Mittel, Ihr Leben zu retten. Bewilligen wir nicht die Entsetzung, so werden sie den Kopf nehmen!«



»Der König machte eine Bewegung mit den Lippen und den Schultern, welche bedeutete! »Das ist möglich«



Und er setzte sich wieder an seinen Platz.



In diesem Augenblicke schlug die über seinem Kopfe befestigte Pendeluhr die Stunde.



Er zählte jeden Schlag.



Als sodann der letzte verklungen war, sagte er:



»Neun Uhr.«



Der Beschluß der Nationalversammlung bestimmte, der König und die königliche Familie sollten im Bezirke des legislativen Körpers bleiben, bis die Ruhe in Paris wiederhergestellt wäre.



Um nenn Uhr holten die Aufseher des Saales den König und die Königin ab, um sie in die für sie in Bereitschaft gesetzte provisorische Wohnung zu führen.



Der König deutete durch ein Zeichen mit der Hand an, er bitte um einen Augenblick.



Man beschäftigte sich in der That mit Etwas, nicht ohne Interesse für ihn war: man ernannte ein Ministerium.



Der Kriegsminister, der Minister des Innern und der Minister der Finanzen waren ganz ernannt: das waren die vom König weggejagten Minister Roland, Clavières und Servan.



Es blieben die Justiz, die Marine und die auswärtigen Angelegenheiten.



Danton wurde für die Justiz ernannt; Monge für die Marine; Lebrun für die auswärtigen Angelegenheiten.



Als der letzte Minister ernannt war, sagte der König: »Gehen wir.«



Und er stand auf und ging zuerst hinaus.



Die Königin folgte ihm; sie hatte nichts zu sich genommen seit dem Abgange aus den Tuilerien, nicht einmal ein Glas Zuckerwasser.



Madame Elisabeth, der Dauphin, Madame Royale, Frau von Lamballe und Frau von Tourzel bildeten ihr Geleit.



Die für den König in Bereitschaft gesetzte Wohnung lag im oberen Stocke des alten Klosters der Feuillants; es war sonst die Wohnung des Archivars Camus, bestehend aus vier Zimmern.



Im ersten, das streng genommen nur ein Vorzimmer war, hielten die dem König in seinem Unglücke treu gebliebenen Diener an.



Das waren der Prinz von Poix, der Baron d’Aubier, Herr von Saint-Pardon, Herr von Goguelet, Herr von Chamillé und Herr Hue.



Der König nahm für sich das zweite Zimmer.



Das dritte wurde der Königin angeboten; das war das einzige, das eine Tapete hatte. Als sie eintrat, warf sich Marie Antoinette auf das Bett, biß in den Kopfpfühl und war ihrem Schmerze preisgegeben, gegen welchen der des Missethäters auf dem Rade wenig sein muß.



Ihre beiden Kinder blieben bei ihr.



Das vierte Zimmer, so eng es war, erhielten Madame Elisabeth, Frau von Lamballe und Frau von Tourzel, die sich hier einrichteten, so gut sie konnten.



Der Königin fehlte es an Allem; an Geld, denn man hatte ihr ihre Börse und ihre Uhr in dem Tumulte vor der Thüre der Nationalversammlung hatte sie Geldbörse und Uhr verloren; sie hatte keine Leinenwäsche, denn begreiflich hatte man aus den Tuilerien keine mitgebracht. Sie borgte fünfundzwanzig Louis d’or von der Schwester der Madame Campan und schickte um Wäsche aus der englischen Gesandtschaft zu holen.



Abends ließ die Nationalversammlung die Beschlüsse des Tages bei Fackelschein in den Straßen von Paris verkünden.




CLX

Von neun Uhr bis Mitternacht

Vor dem Carrousel-Platz, in der Straße Saint-Honoré und auf dem Quais beleuchteten diese Fackeln ein trauriges Schauspiel. Der materielle Kampf war beendet, aber in den Herzen war noch keine Ruhe, denn Haß und Verzweiflung überleben den Kampf.



Die Erzählungen, der Zeitgenossen haben ihr inniges Mitleid, ihr tiefes bedauern ausgedrückt über das Schicksal der erhabenen Häupter, denen man die Krone von der Stirn riß, und wir selbst widmen ihnen aufrichtige Theilnahme. Die Geschichtsschreiber haben den Muth, die Ausdauer und Pflichttreue der Schweizer und der Edelleute mit lebhaften Farben geschildert; sie haben die von den Vertheidigern vergossenen Blutstropfen gezählt: sie haben nicht die Leichen des Volkes, die Thränen der Mütter, der Schwestern und Witwen gezählt.



Sagen wir ein Wort hierüber.



Für Gott, der in seiner hohen Weisheit die Ereignisse hienieden nicht nur gestattet, sondern auch lenkt, ist das Blut Blut, sind die Thränen Thränen.



Die Zahl der Todten war noch viel beträchtlicher bei den Menschen aus dem Volke, als bei den Schweizern und den Edelleuten.



Man sehe, was der Verfasser der

Geschichte der Revolution des 10. Augusts

sagt, – eben dieser Peltier, ein Royalist, wie es nur einen geben konnte:



Der Tag des 10. Augusts kostete die Menschheit ungefähr siebenhundert Soldaten und zweiundzwanzig Officiere, zwanzig royalistische Nationalgarden, fünfhundert Föderierte, drei Commandanten von nationalen Truppen, vierzig Gendarmen, über hundert Personen von der Hausgenossenschaft des Königs,

zweihundert Menschen wegen Diebstahls getödtet

,

56

56


   Wir haben diese Volksjustiz gegen Diebe in den Jahren 1830 und 1848 sich erneuern sehen.



 die neun bei den Feuillants umgebrachten Bürger, Herrn von Clermont d’Amboise und ungefähr

dreitausend Menschen aus dem Volke

 auf dem Carrousel, im Tuilerien-Garten und auf der Place Louis XV, getödtet: im Ganzen ungefähr viertausend sechshundert Menschen!«



Und das ist begreiflich! man hat die zur Befestigung der Tuilerien getroffenen Vorsichtsmaßregeln gesehen; die Schweizer hatten im Allgemeinen beschirmt hinter guten Manern geschossen; die Angreifenden dagegen hatten nur ihre Brust gehabt, um die Schüsse zu pariren.



Dreitausend fünfhundert Insurgenten,

ohne die zweihundert erschossenen Diebe zu zählen,

waren also umgekommen! Was ungefähr eben so viel Verwundete voraussetzt; der Geschichtsschreiber der Revolution vom 10. August spricht nur von den Todten.



Viele von diesen dreitausend fünfhundert Menschen, – nehmen wir die Hälfte an, – waren verheirathete Leute, waren Familienväter, die ein unerträgliches Elend in den Kampf getrieben, mit der ersten Waffe, die ihnen in die Hände gefallen oder selbst ohne Waffe, und die um den Tod zu holen, in ihren Dachkammern ausgehungerte Kinder, Weiber in der Verzweiflung gelassen hatten.



Diesen Tod, sie hatten ihn gefunden, entweder in Carrousel, wo der Kampf begonnen, oder in den Gemächern des Schlosses, wo er sich fortgesetzt, oder im Garten der Tuilerien, wo er erloschen war.



Von drei Uhr Nachmittags bis neun Uhr Abends hatte man in Eile jedoch eine Uniform tragenden Soldaten, weggenommen und auf den Friedhof der Madeleine geworfen.



Was die Leichen der Leute aus dem Volke betrifft, – das war etwas Anderes: Karren sammelten sie ein und führten sie in ihre bezüglichen Quartiere; fast Alle waren entweder vom Faubourg Saint-Antoine oder vom Faubourg Saint-Marceau.



Hier, —besonders auf dem Platze der Bastille, auf dem des Arsenals und auf dem des Pantheons, – legte man sie neben einander zur Schau aus.



So oft einer von diesen finsteren Wagen, schwer rollend und eine Blutspur hinterlassend, in die eine oder die andere Vorstadt einfuhr, umgab ihn die Menge der Mütter, der Frauen, der Schwestern, der Kinder mit einer entsetzlichen Todesangst; alsdann, so die die Erkennungen zwischen dem Leben und dem Tode stattfanden, brachen die Drohungen, das Geschrei, das Schluchzen aus; das waren die unerhörten, die unbekannten Flüche und Verwünschungen, welche, sich erhebend wie ein Schwarm Nachtvögel von schlimmer Vorbedeutung, in der Dunkelheit mit den Flügeln schlugen und klagend nach den unseligen Tuilerien entflogen. Alles dies schwebte, wie jene Schaaren von Raben auf den Schlachtfeldern, über dem König, über der Königin, über dem Hofe, über der österreichischen Camarilla, die ihn umgab, über den Adeligen, die ihm riethen; die Einen versprachen sich die Rache von der Zukuft, – und sie haben sich dieselbe am 2. September und am 21. Januar gegeben, – die Andern nahmen eine Pieke, einen Säbel, eine Flinte und zogen berauscht von dem Blute, das sie mit den Augen getrunken, in die Stadt Paris, um zu tödten . . . Tödten, wen? Alles, was von diesen Schweizern, von diesen Adeligen, von diesem Hofe übrig war! um den König zu tödten, um die Königin zu tödten, wenn sie sie gefunden hätten!



Man mochte ihnen immerhin sagen: »Aber wenn Ihr den König und die Königin tödtet, macht Ihr Kinder zu Waisen! wenn Ihr die Adeligen tödtet, macht Ihr Frauen zu Witwen, versetzt Ihr Schwestern in Trauer!« Frauen, Schwestern, Kinder antworteten: »Ei! wir, wir sind auch Waisen! wir, wir sind auch Schwestern in Trauer! wir, wir sind auch Witwen!« Und das Herz voll Schluchzen, gingen sie in die Nationalversammlung, gingen sie nach der Abtei, stießen sie mit den Köpfen an die Thüren und schrieen: »Rache! Rache!«



Sie boten ein entsetzliches Schauspiel, diese mit Blut besudelten, rauchenden Tuilerien, verlassen von Allen, die Leichname und drei bis vier Posten ausgenommen, welche darüber wachten, daß unter dem Vorwande, nach ihren Todten zu forschen, die nächtlichen Besuche nicht die arme königliche Wohnung mit den gesprengten Thüren, mit den zerbrochenen Fenstern plünderten.



Es war ein Posten unter jedem Vestibule, am Fuße jeder Treppe.



Der Posten des Pavillon de l’Horloge, das heißt der großen Treppe, wurde commandirt von einem jungen Nationalgarde Kapitän, bei dem der Anblick dieses ganzen Mißgeschickes ohne Zweifel ein großes Mitleids regte, – urtheilte man nach dem Ausdrucke seiner Physiognomie bei jedem Karren Leichen, den man gewisser Maßen unter seinem Präsidium wegführte, – auf dessen materielle Bedürfnisse aber die erschrecklichen Ereignisse, welche vorgefallen, nicht mehr Einfluß als auf den König gehabt zu haben schienen; denn gegen elf Uhr Abends war er beschäftigt, einen ungeheuren Appetit auf Kosten eines vierpfündigen Brodes zu befriedigen, das er unter seinem linken Arm festhielt, während er mit seiner mit einem Messer bewaffneten rechten Hand unabläßig große Schnitten davon ablöste, welche er in einen Mund schob, dessen Größe sich nach der Dimension des Nahrungestückes ermaß, das er zu empfangen bestimmt war.



An eine der Säulen des Vistibule angelehnt, sah er Schatten ähnlich, diese stillschweigende Procession von Müttern, von Gattinnen, von Töchtern vorüberziehen welche kamen und beleuchtet durch die in gewissen Entfernungen von einander aufgestellten Fackeln, von dem erloschenen Krater die Leichname ihrer Väter, ihrer Gatten oder ihrer Söhne zurückforderten.



Plötzlich, beim Anblicke einer Art von halb verschleiertem Schatten, bebte der junge Kapitän.



»Die Frau Gräfin von Charny!»murmelte er.

 



Der Schatten ging vorüber, ohne zu hören und ohne anzuhalten.



Der junge Kapitän winkte seinem Lieutenant.



Der Lieutenant kam auf ihn zu.



»Désiré,« sagte er, »das ist eine junge Dame von der Bekanntschaft von Herrn Gilbert, welche ohne Zweifel ihren Gatten unter den Tobten sucht; ich muß ihr folgen für den Fall, daß sie der Auskunft oder des Beistandes bedürfen sollte. Ich übergebe Dir das Commando vom Posten: wache für zwei.«



»Teufel!« erwiederte der Lieutenant, – den der junge Kapitän mit dem Vornamen Désiré bezeichnet hatte, welchem wir den Namen Maniquet beifügen, »sie hat das Ansehen einer tüchtigen Aristokratin, Deine Dame.«



»Es ist auch eine Aristokratin!« versetzte der Kapitän; »es ist eine Gräfin!«



»Geh also, ich werde für zwei wachen!«



Die Gräfin von Charny hatte sich schon um die erste Ecke der Treppe gedreht, als der Kapitän, sich von seiner Säule losmachend, ihr in der ehrerbietigen Entfernung von fünfzehn Schritten zu folgen anfing.



Er hatte sich nicht getäuscht. Es war wirklich ihr Gatte, den die arme Andrée suchte; nur suchte sie ihn nicht mit den bangen Schauern des Zweifels, sondern mit der düstern Ueberzeugung der Verzweiflung.



Als mitten unter seiner Freude und seinem Glücke, beim Echo der Ereignisse von Paris erwachend, Charny bleich, aber entschlossen kam und zu seiner Frau sagte: »Liebe Andrée, der König von Frankreich ist in Lebensgefahr und bedarf aller seiner Vertheidiger. Was soll ich thun?«



Da antwortete Andrée:



»Gehen, wohin Deine Pflicht Dich ruft, mein lieber Olivier, und, wenn es sein muß, für den König sterben.«



»Aber Du?« fragte Charny.



»Oh! wegen meiner sei unbesorgt,« antwortete Andrée; »da ich nur für Dich gelebt habe, so wird Gott mir ohne Zweifel erlauben, daß ich mit Dir sterbe.«



Und von da an war Alles zwischen diesen großen Herzen abgemacht; man wechselte kein Wort mehr ließ Postpferde kommen, reiste ab und langte fünf Stunden nachher in dein kleinen Hotel der Rue du Coq-Héron an.



An demselben Abend begab sich Charny, wie wir gesehen, – in dem Augenblicke, wo ihm Gilbert, auf seinen Einfluß zählend, schreiben wollte, er möge nach Paris zurückkommen, – an demselben Abend begab sich Charny, in seine Uniform eines Marineofficiers gekleidet, zur Königin.



Von dieser Stunde an verließ er sie, wie man weiß, nicht mehr.



Andrée blieb allein mit ihren Frauen, eingeschlossen und betend; sie hatte einen Augenblick den Gedanken, der Hingebung ihres Gatten nachzuahmen und ihren Platz bei der Königin zurückzufordern, wie ihr Gatte seinen Platz beim König zurückfordern sollte; sie besaß aber nicht den Muth hierzu.



Der Tag des 9. verlief für sie in Bangigkeiten, doch ohne etwas ganz Entschiedenes herbeizuführen.



Am 10., gegen neun Uhr Morgens, hörte sie die ersten Kanonenschüsse.



Es bedarf nicht der Erwähnung, daß jedes Echo des kriegerischen Donners auch die letzte Fiber ihres Herzens vibriren machte.



Gegen zwei Uhr erlosch selbst das Musketenfeuer.



War das Volk Sieger oder besiegt?



Sie erkundigte sich: das Volk war Sieger!



Was war ans Charny bei diesem entsetzlichen Kampfe geworden? Sie kannte ihn: er mußte reichlich daran Theilgenommen haben.



Sie erkundigte sich aufs Neue: man sagte ihr die Schweizer seien beinahe alle getödtet worden, es haben sich aber fast alle Edelleute gerettet.



Sie wartete.



Charny konnte unter irgend einer Verkleidung nach Hause kommen; Charny konnte nothwendig ohne Verzug fliehen müssen; die Pferde wurden angespannt und fraßen am Wagen.



Pferde und Wagen erwarteten den Herrn; Andrée mußte aber wohl, der Herr, welche Gefahr er auch lief, werde nicht ohne sie abreisen.



Sie ließ die Thüren öffnen, damit nichts die Flucht von Charny verzögerte, wenn Charny floh, und wartete fortwährend.



Die Stunden verliefen.



»Ist er irgendwo verborgen,« sagte Andrée zu sich selbst, »so kann er nur bei Nacht weggehen . . . Wir wollen die Nacht abwarten.«



Die Nacht kam; Charny erschien nicht.



Im Monat August tritt die Nacht spät ein.



Erst um zehn Uhr verlor Andrée jede Hoffnung; sie warf einen Schleier über den Kopf und ging aus.



Den ganzen Weg entlang begegnete sie Gruppen von Frauen, welche die Hände rangen, Banden von Männern, welche: »Rache!« schrieen.



Sie ging mitten durch die Einen und die Andern; der Schmerz der Einen und der Zorn der Andern beschützten sie; überdies war es auf die Männer an diesem Abend abgesehen, und nicht auf d