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Die Prinzen von Orleans

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Nachdem Lord Palmerston im Departement der auswärtigen Angelegenheiten installiert war, machte ihm die französische Regierung succesiv mehrere auf die spanischen Angelegenheiten bezügliche Mittheilungen. Auf wiederholte Fragen über diesen Gegenstand antwortete Lord Palmerston durch ausweichende, allgemeine Redensarten. Er bekannte einen grenzenlosen Respect vor Spaniens absoluter Freiheit, und schrieb gleichzeitig an Bulwer, daß es in seinen Augen nur drei mögliche Candidaten für die Hand der Königin gäbe; den Prinzen von Koburg, den Herzog von Cadir und Don Enrico. So respektierte Lord Palmerston Spaniens Unabhängigkeit, und dies war die Berücksichtigung, welche Frankreich widerfuhr, das sich so aller Garantieen beraubt sah. Eine solche demüthigende Situation konnte sich die französische Diplomatie nicht gefallen lassen. Demnach entspann sich ein Kampf zwischen Herrn Bulwer und Herrn Bresson, in welchem Letzterer Sieger blieb. Es gelang nämlich dem französischen Gesandten, die Königin Christine Spaniens wahrer Politik wieder zuzuführen, indem man ihr den Vorschlag machte, die beiden Verheirathungen der Königin und ihrer Schwester zu gleicher Zeit abzuschließen, und indem man ihr den festen Willen zeigte, sich in diesem Conflicte von Intriguen nicht besiegen zu lassen. Das französische Kabinett hatte sich allerdings weit von der Vereinbarung und dem guten Einverständnisse entfernt, welches im Schloße Eu obgewaltet; allein wer trägt die Schuld? Für jeden Unparteiischen ist es offenbar, [ 34 ] daß Lord Palmerston in der spanischen Frage eine andere Gesinnung offenbart hat, als Lord Aberdeen. Seine Absicht war schwerlich, im Einklange mit Frankreich zu handeln. Vielleicht war sein Wunsch, durch einen entscheidenden Streich sich schnell die Gnade seiner Monarchin zu erwerben, welche es wohl gern gesehen hätte, wenn die Königin Isabella ihre Hand dem Vetter des Prinzen Albert reichte.

Als die Nachricht von der Doppelheirath offiziell geworden war, und man sich an beiden Seiten des Kanals damit zu beschäftigen begann, war das Ministerium begreiflicher Weise nicht ohne Besorgniß über den Eindruck, den dieselbe auf die englische Regierung machen würde. Natürlich versuchte es, die Unzufriedenheit zu mildern, welche Lord Palmerston empfinden mußte. Damals war der Whigminister nicht in London, sondern begleitete die Königin Victoria auf ihren Excursionen. Kaum war er zurückgekehrt, so erhielt der Repräsentant Frankreichs, Herr von Jarnac, Befehl, ihn aufzusuchen, um ihm die Beweggründe des Benehmens der französischen Regierung zu erklären. Vornehmlich sollte er auf das verweisen, was zwischen der französischen Regierung und Lord Aberdeen besprochen und festgesetzt worden war. Alle diese Thatsachen, welche der Wiedergelangung des Lord Palmerston in’s Ministerium vorangingen, sind doch wahrhaftig von Wichtigkeit. Wäre es nun nichtsdestoweniger begründet, daß der Whigminister erklärt habe, er wisse durchaus nichts von den Gesprächen und gegenseitigen Verpflichtungen [ 35 ] auf dem Schlosse Eu, die ohnedem in seinen Augen nichts als einfache Worte und keine urkundlichen Erklärungen seien? Allein ernsthafte, zwischen den Ministern zweier Regierungen gewechselte Worte haben wohl einen Werth, den man nicht nach Willkür verkennen darf.

Louis Philipps friedfertige Politik war nicht plötzlich eine abenteuerliche geworden. Das Betreiben der Doppelheirath war auch nicht die Eingebung des dynastischen Interesses, sondern war aus dem Bestreben hervorgegangen, Frankreichs Bündniß mit den romanischen Völkern immer fester zu knüpfen, um, auf diese gestützt, mit desto größerer Zuversicht gegen den Norden auftreten zu können. Je kälter England dadurch ward, desto wärmer wurde das Verhältniß zu Spanien und Italien, sowie zur katholischen Kirche, die man fort und fort als einen sehr nothwendigen, wenn auch manchmal indeß sehr willfährigen Bundesgenossen am Pariser Hofe betrachtet. Dem Erzbischof erwiderte der König auf seinen Neujahrswunsch (1846), Gott werde ihm die Gnade erweisen, daß unter seiner Regierung der Schutz der Religion nicht weniger wirksam sei, als unter seinen Vorfahren. Gegen das Kabinet von St. James hat Louis Philipp allerdings mit einer Schlauheit und Geduld gehandelt, die Bewunderung verdienen. Die Art, wie er die Engländer dahin brachte, sich gegen Don Carlos zu erklären, und Christine als Regentin anzuerkennen; die Art, wie er die Pläne des Kronprätendenten, ohne Gewaltanwendung, langsam vereitelte; wie er, [ 36 ] als Espartero einen Strich durch seine Rechnung zu machen drohte, ihn durch klug angelegte und geleitete Aufstände verjagte, wie er die sogenannte Moderadoregierung, die darauf folgte, an ihrer eigenen Schwäche faßte und gängelte, bis er endlich den günstigen Augenblick ersah, um die lange beabsichtigte Heirath durchzusetzen: das ist gewiß eine Probe von zäher Ausdauer, Klugheit und Vorsicht, wie man sie selten findet. Die englischen Blätter sind daher mit ihren Angriffen nicht mehr gegen einzelne Minister aufgetreten, sondern richteten sie höher, gegen den König selbst, weil sie gut merkten, daß dieser der leitende Geist in allen diesen Schlangenwindungen gewesen. Konnte aber Louis Philipp gleichgültig zusehen, daß Rußland und England sich über seinem Haupte die Hände reichten? Ganz nutzlos berief sich das britische Kabinet, als es sich von seinem ersten Erstaunen über die Ankündigung der Doppelheirath erholt hatte, auf den Utrechter Frieden; denn die Umstände sind gänzlich geändert, und die Heirath Montpensiers kann nie, was der Utrechter Friede verhindern wollte, die Kronen von Frankreich und Spanien auf Einem Haupte vereinigen. Es handelte sich also nicht um die Erschleichung eines Reiches, sondern um die Festerknüpfung der Bande zwischen Frankreich und Spanien zum Behufe einer dauernden Allianz gegen England, denn der Herzog von Montpensier sollte, wenn er mit seiner Gemahlin den spanischen Thron besteigen würde – so hoffte man damals – des Wortes eingedenk

[ 37 ] sein, das Ludwig XIV. an den Herzog von Anjou richtete, als er ihm seine Thronbesteigung ankündigte: »er solle sich stets erinnern, daß er ein französischer Prinz sei.« Daß die Engländer zu diesem Bündniß zwischen Frankreich und Spanien scheel sehen mußten, ist begreiflich; denn durch die Ausdehnung der französischen Macht im Mittelmeere und an der nordafrikanischen Küste kamen sie in eine immer häklichere Lage, und sie werden es wohl oft schon bereut haben, daß sie, aus mißverstandenem Krämergeist, nicht Espartero unterstützten, der allein einen solchen Ausgang hätte verhindern können.

Louis Philipp hatte von der früher so freundlichen Gesinnung Victoria's noch gehofft, daß sie Palmerstons Groll beseitigen würde; als er sich aber mehr und mehr überzeugte, daß sie selber diesen Groll theilte, fürchtete er immer mehr für den Frieden Europa’s. Aber auch im eigenen Haushalt deuteten viele Anzeichen auf Sturm. Die Aufdeckung aller tiefen Gebrechen und Nachlässigkeiten der Regierung hatten im Publikum einen Eindruck hervorgebracht, welcher nicht leicht zu beseitigen war. So lange die Feinde des Ministeriums allein die Bestechung in den Wahlen, die Parteilichkeit der Beamten, die muthwillige Zersplitterung der Finanzen zum Gegenstande ihrer Angriffe machten, hatte sich die öffentliche Meinung nicht recht tief davon erschüttern lassen. Als aber die Freunde der conservativen Politik selber, welche doch nichts Anderes begehrten, als dem Kabinet ihren Beistand mit Ehren ertheilen [ 38 ] zu können, als auch sie sich veranlaßt gesehen, so viele Mißbräuche aufzudecken, da fingen jene Vorwürfe ganz anders zu wirken an. Gleichzeitig, als im Parlamente den Ministern über die Unordnung ihrer Abtheilungen so arg zugesetzt wurde, trafen aus verschiedenen Gegenden des Landes bedauerliche Nachrichten über Veruntreuung öffentlicher Fonds von Seiten höherer Beamten ein, wodurch das öffentliche Vertrauen noch tiefer erschüttert wurde. Jetzt mußte natürlich ein Prozeß die größte Wirkung hervorbringen, in welchem zwei frühere Minister der Bestechlichkeit angeklagt und überführt wurden. Man erinnert sich, daß der Cubières-Teste'sche Prozeß durch die wegen eines andern Prozesses veröffentlichte Correspondenz zwischen Cubières und Parmentier hervorgerufen wurde, worin die bedeutsame Phrase, »die Regierung ist in bestechlichen Händen«, die allgemeine Aufmerksamkeit erregt hatte. Das Ministerium konnte der erregten öffentlichen Besorgniß die Befriedigung einer Untersuchung nicht versagen, und so wurde die Ueberzeugung von der Bestechlichkeit der Regierung erhärtet, zugleich aber im Volke die sittlichen Gebrechen der höhern Gesellschaft überhaupt aufgedeckt. Wie mußte nach diesen Ereignissen die Schandthat des dem Hofe so nahe stehenden Herzogs von Praslin auf das Publikum wirken? Es schien, als sollte im Jahre 1847 den Großen und Mächtigen des Landes keine Demüthigung erspart werden; denn, nachdem in der Pairskammer die ernsten Verhandlungen [ 39 ] kaum verklungen waren, welche zwei Minister, zwei Pairs niedriger Bestechungen überführt hatten, mußten sie nochmals zusammenberufen werden, um einen der Ihrigen wegen schrecklichen Gattenmordes zu richten. Nicht ohne Eindruck blieben ferner die Streiche des Fürsten Eckmühl und des königlichen Adjutanten Gudin wegen falschen Spiels, die Details des Ecqueviller'schen Prozesses wegen falschen Zeugnisses, der räthselhafte Selbstmord Bressons, endlich die schreckliche Mortier'sche Geschichte mit allen Enthüllungen der gerichtlichen Untersuchung; sie waren nicht geeignet, die Regierungsregionen in der Volksmeinung zu rehabilitieren.

Die Wirren der auswärtigen Politik, vermehrt durch die unzeitigen Reformversuche des neuen Papstes, vermehrten die Verlegenheiten der Regierung, die zugleich nach Popularität rang, während sie mit den östlichen Mächten in gutem Einvernehmen zu bleiben wünschte. Aber der herbste Schlag sollte den König noch am Ende des verhängnißvollen Jahres treffen, nämlich der Tod seiner Schwester, Prinzeß Adelaide, die ihm stets eine Leuchte auf seinem Lebenspfade gewesen, als politische Rathgeberin ihm unentbehrlich geworden war. Ihr Tod mußte auf seine Gesundheit tiefen Einfluß üben. Es ist bemerkenswerth, daß seine große Katastrophe dem Tode der Schwester so schnell auf dem Fuße folgte! Wahrscheinlich wäre sie durch den Rath der Prinzesfin, ohne die er in den wichtigsten Staatsangelegenheiten keinen Schritt that, verhütet [ 40 ] worden, da sie gerade früher den König oft zum zeitgemäßen Nachgeben, zu dem sogenannten Schaukelspiel veranlaßt hatte, womit er die öffentliche Meinung so oft befriedigte.

 

Das Jahr 1847 war ein ernstes, ereignißvolles gewesen. Mehr als einmal hatte es durch die Mauern und Balken des alten europäischen Staatengebäudes gekracht; hie und da hatten die geschäftig-ängstlichen Hausherren gebessert, geflickt und gestützt, hie und da auch hatten die Weiteren begonnen, neue Grundmauern zu legen und frische Strebepfeiler aufzuführen, gothische Schnörkel und romantische Eulennester einzureißen, um Platz zu schaffen für die luftigen, hellen Räume, die den lebenden Menschen besser zusagen; hie und da waren unter den Erschütterungen des vulkanischen Bodens, auf welchem der alte Bau steht, gefährliche Risse und Spalten entstanden, die vergebens mit Papier und Pergament überkleistert worden waren. Der erste gewaltige Riß war von jener schrecklichen Geißel gekommen, mit welcher der Himmel das sorglose, hoffärtige Europa mitten in seinem hochstrebenden, üppigen und prunkenden Getreibe, mitten in dem Gelärme der Wunder dieses industriellen, maschinenbauenden, dampfbeflügelten Jahrhunderts heimgesucht hatte, – von jener Hungersnoth, welche Bevölkerungen friedlicher Länder zum Kampfe wider das Gesetz trieb, welche in wohlgeordneten Staaten das Eigenthum plündernden Horden preisgab und Angst und Schrecken in die Paläste königlicher Städte verbreitete. Als in Irland Tausende und aber Tausende vor [ 41 ] dem giftigen Hauche des schrecklichsten Todes dahin sanken; als in England die Kirchengebete um Linderung der Noth zum Himmel emporschollen; als in Belgien, in Frankreich, in Deutschland, in den nachtumhüllten Ländern des östlichen Europa die Armuth sich halb drohend, halb flehend erhob und verzweiflungsvoll nach Brot schrie, bis der Hungeraufruhr von Stadt zu Stadt schritt, – da mochte schon Mancher heimlich bei sich, sei es angstvoll, sei es schadenfroh, – den vorahnenden Gedanken hegen, daß die letzte Stunde der alten Ordnung anbreche, daß unter Blut und Stürmen eine neue Zeit hereindringe.

Aber das Jahr 1847 war nicht nur ein Jahr des Hungers, sondern auch – und fast noch mehr – ein Jahr der politischen Nemesis gewesen. In dem dumpfen, stillen, bitteren Kampf, den seit einem halben Jahrhunderte Freiheit und Unfreiheit, Volksrecht und Despotismus, geistlicher wie weltlicher – geführt hat: in diesem Kampfe hat die Sache der Unfreiheit während des verflossenen Jahres eine Reihe von so überraschenden, so merkwürdigen und folgenschweren Niederlagen erlitten oder – was noch schlimmer ist – sich selber beigebracht, wie sie selbst das Jahr 1830, mochten damals auch die Ereignisse sich äußerlich großartiger gestalten, schwerlich auf zuweisen hat. Man denke daran, wie in diesem Jahre der Ultramontanismus, welcher überall sich mit der politischen Reaction auf das Engste verbündet hatte, in seinen vier vornehmsten Burgen, in Italien, in Belgien, [ 42 ] in Bayern, in der Schweiz zu Boden geschlagen wurde – weniger durch die äußere Uebermacht seiner Gegner als durch die Wunden der eigenen Entartung, – Wunden, wider die es kein Heilmittel mehr giebt. Der Ultramontanismus ist auch in früheren Jahren verfolgt, gefesselt, geschlagen worden; aber in diesem Jahre hat letzterer sich selbst auf lange Zeit gelähmt; er hatte sich – um einen trivialen, aber treffenden Ausdruck zu gebrauchen – blamiert. Blamirt vornehmlich in jener Tragikomödie, welche dem verwunderten Europa in den Alpenthälern der schweizerischen Freiheitshelden zum Besten gegeben wurde, und deren seltsames Nachspiel unter der Direction des französischen Bürgerkönigs in den jüngsten Tagen in eine wirkliche Tragödie ausgelaufen ist. Bei dieser Geschichte ist die wahre Niederlage eine moralische gewesen, und an ihr haben sich Viele betheiligt, denen die Geschichte eine würdigere und höhere Rolle zugewiesen hatte. Aber wie jene Regierung, welche auf den Barrikaden unter den Klängen der Marseillaise ihren Thron errichtete, sich selbst in ihrem Berufe untreu geworden ist, so hat die Nemesis sie gerade da getroffen, wo ihre selbstsüchtige Politik, »des edlen Ursprungs uneingedenk«, die glänzendsten Erfolge zu erschleichen hoffte. Auf das Blatt, welches die Geschichte für Frankreich offen hielt, hatte ie das eine, schwerlastende Wort »Skandal« geschrieben, – Skandal in der Politik, Skandal in der Gesellschaft, die der Julihof um sich erzeugt hat, Skandal in jenem [ 43 ] Königspalaste jenseits der Pyrenäen, aus welchem eine ränkevolle Diplomatie eine neue Glorie der Macht für das Haus Orleans aufgehen zu sehen gehofft hatte.

Die Regierung glaubte sich für den beginnenden parlamentarifchen Feldzug tüchtig gerüstet, und da sie in der Corruption und dem Wahlgesetz das Mittel befaß, sich eine stets ergebene Majorität zu schaffen, so glaubte sie damit auch Frankreichs sicher zu sein. Zu Anfang mochte dies nicht leicht gewesen sein. Die Julirevolution hatte die Gemüther aufgeregt, und als die Regierung nach und nach in die Bahn des Widerstandes einlenkte, drohte die Majorität der Kammer von ihr abzufallen. Casimir Perier versuchte dann zuerst das Mittel der Bestechung; ein Theil der Opposition sprach gegen die Regierung und stimmte für sie. Die geheimen Fonds bezahlten diese geheimen Freunde. Aber dieses Mittel konnte nur felten und nur in sehr beschränktem Kreise angewendet werden. Nun wurde von da an der Gedanke Mode, die Kammer nicht durch Grundsätze und eine bestimmte Politik an die Regierung zu fesseln, sondern sich »Stimmen« à tout prix zu sichern. Das parlamentarische Treiben erhielt so den Charakter eines einfachen Zahlenverhältnisses; wer so viel Stimmen hat, ist der Herr und Meister.

Solchergestalt wurde in der Kammer jede wahre Grundsatzopposition zum Gespötte. Alles beschränkte sich auf das Herbeischaffen einer Majorität, wozu natürlich der Regierung ganz andere Mittel zu Gebote standen als [ 44 ] der Opposition. Die Folge war, daß die Opposition stets und überall geschlagen wurde, sobald die Regierung ihre schlechten Mittel anwendete, ihr Rechnungsexempelchen zu sichern. Zuletzt merkte die Opposition, daß für sie kein Heil mehr in dieser Kammer sei, und deswegen suchte sie ihr Heil außer derselben. So entstand die Idee der Bankette, der außerparlamentarischen Agitation. Hier natürlich kam es nicht auf eine Mehrzahl an, sondern auf die Stimmung, die man hervorzurufen wisse, und die Regierung mochte darum auch nicht ohne eine gewisse Ahnung der Gefahr sein, welche ihr die Bankette bereiteten; deshalb gab sie selbst allerlei Reformen zu und griff die Bankette an; aber sie sah dennoch ihre Hauptkraft in der Kammer. Sie hatte sich an das Majoritätsrechenexempelchen so gewöhnt, und es war auch so leicht und so verführerisch, daß sie nur wenig Lust zeigte, es mit einer Grundsatzpolitik zu verwechseln.

Unter solchen Verhältnissen hatten sich in den letzten Tagen des December die Deputierten in Paris versammelt, und es erfolgte am 28. December die Eröffnung der Kammern durch den König, mit dem gewöhnlichen Ceremoniel und einer bedeutungsschweren Thronrede. Diese hinterließ aber große Mißstimmung und unter den Vivats für Louis Philipp hatten sich denn doch auch schon bei der Rückfahrt aus den Tuilerien häufige Rufe: »Es lebe die Reform! nieder mit der Corruption!« deutlich genug vernehmen lassen, um dem Könige entgangen zu [ 45 ] sein. Die Thronrede fand man in fast allen Theilen unbedeutend, herbe und herausfordernd, namentlich in dem auf die damals von der Opposition behufs einer Reform des Wahlgesetzes veranstalteten Reformbankette gehenden Satze. Selbst die Gemäßigtsten fanden es unconsitutionell und bedenklich, daß in derselben durch den Mund des Staatsoberhauptes eine Anklage und eine Beleidigung gegen einen großen Theil der Deputiertenkammer ausgesprochen worden war. Hundert Deputierte wenigstens hatten den Reformbanketten beigewohnt; und alle hatten dabei das Wort genommen. Diese 100 Deputierte aber und die Tausende von Wählern und notablen Bürgern, welche in 50 Städten von Frankreich zusammengekommen waren, um die Reform des Wahlgesetzes zu erlangen, theilte die Thronrede in zwei Theile. Die Einen werden Feinde der Institutionen, die Andern blinde Genossen derselben genannt (die Thronrede sagt: inmitten der Aufregung, welche feindliche oder blinde Leidenschaften nähren 2c). Die Minister ließen den König zu hundert Deputierten sagen: »ich halte euch entweder für Aufwiegler, die meinen Thron umstürzen wollen, oder für Pinsel, die nicht wissen, was sie thun.« Wenn bei den Räthen der Krone einiges Bewußtsein, wir wollen nicht sagen von den wahren Principien der Repräsentativverfassung, sondern vom constitutionellen Anstand geherrscht hätte, so würden solche Ausdrücke, welche offenbar auf Mitglieder des Parlaments gehen, nimmermehr in der Thronrede figuriert haben.

[ 46 ] Die Hauptschlacht gegen die Regierung begann daher auch in der Sitzung vom 7. Februar über den 10. und letzten Paragraph der Antwort (Adreßentwurf) der Kammer auf die königliche Thronrede, der von den Reformbanketts handelte, und die eigentliche Cabinetsfrage bildete, der um so größere Wichtigkeit beigemessen ward, als der Vorstand für das bereits erwähnte, beabsichtigte Wahlreformbankett des zwölften Arrondissements von Paris (Vorstadt St. Marceau) bereits unterm 27. Januar folgenden Anschlag veröffentlicht hatte:

»In Anbetracht der von der Regierung an den Tag gelegten Gesinnungen und überzeugt, daß die Regierung sich, ohne ihre verfassungsmäßige Gewalt zu überschreiten, der Ausübung eines jedem Bürger gewährleisteten Rechts, das noch obendrein von so vielen Bürgern ungehindert ausgeübt wurde, nicht widersetzen darf, erklärt der Ausschuß hiermit, in dem von ihm gefaßten Beschlusse der Abhaltung eines Wahlreformbanketts zu beharren. Tag und Stunde des Banketts werden in den öffentlichen Blättern später angegeben. Paris, 27. Januar 1848. Für den executiven Ausschuß (gez) Alfred Mathey. Prosper Vernet. A. Isambert.« – Etwa vierzig Deputierte und mehrere Pairs, darunter der atheistische d’Alton-Shee, der heftige Marquis v. Boissy und der verschwenderische Sohn Ney's, Fürst von der Moskowa, hatten bereits demselben beiwohnen zu wollen erklärt.

Die Frage stand zwischen dem Ministerium und der [ 47 ] Kammer einfach so: »Soll die Agitation, durch welche im vergangenen Jahre die Wortführer der Opposition, darunter über hundert Mitglieder der Kammer, die Reform des französischen Wahlgesetzes (unter Auslassung des Toastes auf den König) zu verfechten gesucht haben, als ein Ausfluß »blinder und feindseliger Leidenschaft« gebrandmarkt werden, wie es in der Thronrede geschehen ist, oder will die Kammer die Reformbankette als gesetzmäßige Kundgebungen anerkennen?« – Im Anfange blieb es völlig ruhig, als Herr Leon de Maleville zu deduciren suchte, daß die Regierung durchaus nicht das Recht habe, politische Versammlungen zu hindern, sondern nur befugt sei, für die Aufrechthaltung der Ordnung bei denselben zu sorgen, daß aber wahrscheinlich gerade die musterhafte Ordnung, mit der die Reformbankette vor sich gingen, den Zorn der Minister erregt habe – brach aber auf den linken Bänken los, als, in Erwiderung hierauf, Graf Duchatel, Minister des Innern, behauptete, daß die Regierung allerdings jenes Recht besitze und es thatsächlich zu allen Zeiten ausgeübt habe. Die Regierung – fügte er hinzu – fordert Niemanden heraus; aber ich stehe nicht an, zu erklären, daß wenn man glaubt, die Regierung werde in der Erfüllung ihrer Pflicht vor irgend welchen Manifestationen, seien sie, welche sie wollen, zurückweichen, man sich irrt – nein, sie wird nicht zurückweichen . . . – Herr Cremieux: Sie gebrauchen die unglücklichsten Ausdrücke; Sie wiederholen [ 48 ] wörtlich die Ausdrücke Karls des Zehnten! Hr.de Beaumont: Dassel besagt Ferdinand zu den Sicilianern. – Auf allen Reformbanketten – fuhr er fort – seien Reden gefallen, welche die Monarchie und die Charte angriffen, welche einen radikalen Umsturz der bestehenden Ordnung befürworteten, und selbst die blutigsten Terrorristen der Revolution als nachahmungswürdige Beispiele aufstellten. Die »Feindseligkeit« dieser Demonstrationen gegen die Staatsverfassung werde von den Urhebern jener Reden gar nicht geleugnet; sie rühmten sich dieser Feindseligkeit; warum denn die Regierung das Ding nicht beim rechten Namen nennen solle? Der Ausdruck »verblendet« sei der mildeste, den man habe gebrauchen können. Jedermann müsse seinen Gegner entweder für böswillig oder für verblendet halten. Die Opposition halte das Ministerium, das Ministerium die Opposition dafür. Das Ministerium nenne es Verblendung, wenn die Männer des linken Centrums den Toast auf den König, die Anerkennung der Monarchie als Grundgesetzes der Nation aufopferten, um mit den Radikalen zu Tische sitzen zu können. Diese Männer beträten einen Weg, ohne zu wissen wohin er führe, auf dem sie bald überholt werden würden von ihren Feinden, mit denen sie jetzt noch freundschaftlich zusammengingen, eben das nenne man Verblendung. Diese Männer nennten sich Freunde der Monarchie, und sie hätten nicht einmal deren Namen auszusprechen gewagt! Er beantragte die Annahme des Adreßparagraphen. Die Centren nahmen die äußerst talentvolle Rede des Ministers mit lautem Beifall auf. – Odilon- Barrot bestritt dagegen der Regierung das gefährliche Recht, politische Versammlungen zu verbieten, wodurch die Polizei über die Charte erhoben werde; die Regierung [ 49 ] möge sich vor Staatsstreichen in Acht nehmen; der Augenblick sei gefährlich. Die Reformbankette hätten sich durch weg in den Schranken der Gesetzlichkeit und der Ziemlichkeit gehalten; er (der Redner) habe sich ihnen angeschlossen, weil er daran verzweifle, von der Regierung und der gehorsamen Majorität irgend welche Reformen zu erlangen, und weil es gegen die im stillen schleichende Corruption nur Ein wirksames Mittel gebe: eben die laute öffentliche Agitatition und Discussion.

 

Auch der Justizminister, Hr. Hebert, bestritt den Franzosen das Recht, sich – außer bei Gelegenheit der Wahlen – öffentlich zu versammeln um über politische Gegenstände zu reden, ein Recht, welches die Belgier, die Engländer, die Nordamerikaner und viele andere Völker unbeschränkt ausüben, und welches fast in allen freieren Staaten nicht durch die Verhinderungsgewalt der Polizei, sondern nur durch die Strafgewalt der Gerichte bedingt wird, wie die Preßfreiheit. Der Justizminister wies nun allerdings ausführlich nach, daß weder die Charte, noch die übrigen Gesetze Frankreichs das Versammlungsrecht der Bürger anerkennten, daß es vielmehr Gesetze gebe, welche politische Versammlungen geradezu verbieten; allein mit diesem Nachweise war nur erst die Hälfte seiner Aufgabe erfüllt; es fragte sich vielmehr, ob es klug und liberal war, in dem gegebenen Falle von diesem Rechte, das offenbar in einem repräsentativen Staate doppelt gehässig ist, Gebrauch zu machen.

»Selbst die Restauration – entgegnete Ledru Rollin – hat die politischen Bankette nie untersagt. Der Herr Conseilspräsident erinnere sich des Banketts vom 30. Mai 1829, welchem er als Mitglied der Gesellschaft Aide-toi etc. beiwohnte. Die Restauration hinderte es nicht: damals brachte man einen Toast auf den König aus, und im Jahr 1830 schiffte dennoch das Königthum zu Cherbourg sich [ 50 ] ein. Eure Vorwürfe: Feindseligkeit und Verblendung, rühren mich wenig. Woran ich mich halte, das ist das Recht, dessen Ausübung ich im Namen Aller und zur Ehre Aller vertreten will. Bedenkt euch, ehe ihr es unterdrückt; denn das Blut, welches dabei vergossen werden könnte, wird auf euer Haupt kommen! Wollt ihr die Gewalt eurer Bataillone uns entgegenstellen, so können wir wie im J. 1830 an die Nation appellieren, um eine Verweigerung der Steuern zu erlangen!«

Der Tumult oppositioneller Unterbrechungen schwoll von Minute zu Minute stürmischer an. Das Signal zum furchtbarsten Ausbruche der Leidenschaft gab aber Hr. Odilon- Barrot. »Polignac und Peyronnet waren constitutioneller als ihr!« rief er den Ministern zu. Alsbald erhob sich die ganze linke Seite und wiederholte: »Polignac und Peyron- net waren constitutioneller als ihr!«

Herr Hebert rief: »Ich werde nimmermehr solche Insulten gegen meine Person und das Amt, welches ich bekleide, dulden!« Die Linke schrie: »Zur Ordnung zur Ordnung.« Die Centren stimmten für den Schluß der Discussion; Herr Hebert sprach mitten im Tumulte, während einige Mitglieder heftig gestikulierten, weiter: »Solche Scenen, solche Aufführung habe die Kammer noch nie erlebt; das seien die ersten Früchte der Reformbankette. Er protestiere gegen diese Insulten, aber er begreife sie; sie bewiesen ihm nur, daß er den wunden Fleck berührt habe. – Ich werde – fuhr er fort – das Gesetz vollstrecken lassen gegen Alle die davon abweichen.«

Dieser Kampf der tiefsten politischen Leidenschaftlichkeit, welcher mit der Debatte über den Reformparagraphen der Adreßdebatte seinen Anfang genommen, erreichte in den letzten beiden Sitzungen seinen stürmischen Gipfel- und Endpunkt. [ 51 ] Nach einer Discussion, deren Aufregungen in den parlamentarischen Annalen Frankreichs ihres Gleichen nicht haben, kam es endlich zur Schlußabstimmung über die Bankettfrage, eine Frage, welche das Publikum in den weitesten Kreisen aufregte und mit sich fortriß, welche die ersten Grundsätze constitutioneller Freiheit einschloß und deren wilde Erörterung den gährenden Vulkan aufdeckte, auf welchem man bereits stand.

Umsonst behauptete Thiers, wie unerhörtes sei, daß ein Theil der Kammer seine Collegen, welche Alle denselben Eid der Treue geschworen hätten, Feinde nenne, nicht etwa in der Hitze der Debatte, fondern in den förmlichen Ausdrücken einer wohlerwogenen Adresse. Umsonst that Desmousseaux de Givre dar, daß ein Urtheilsspruch über irgendwelche Handlungen »nur von den ordentlichen Gerichten ausgehen könne, die, Kammer aber sei kein Gerichtshof und habe über die Handlungen der Minorität keinen Spruch zu fällen; er gebe zu bedenken, daß diese Adresse dem Könige von einer Deputation überbracht werde, welche durchs Loos gebildet werde; das Loos könne mehre von den »Verblendeten« und »Feindseligen« treffen; sollten diese nun ihre eigene Verurtheilung dem Könige überbringen?«

Auch Herr Lamartine trat unter die Reihen der Gegner des Paragraphen. »Er habe, sagte er, an den Banketten keinen Theil genommen, aber er finde es schmachvoll, daß die Regierung den Bürgern eines freien Landes das heilige Recht der Versammlung verkümmern, daß sie das ganze politische Leben von 30 Millionen Menschen auf die Räume der Kammern einschränken, daß sie »auf den Mund der Nation die Hand der Polizei legen wolle.« Er warne die Regierung vor den Folgen ihres Beginnens. Wenn nun die gebrandmarkten Deputierten sich der Willkür widersetzten, was bleibe dann nach den Gesetzen der Logik der Majorität übrig, als diese Mitglieder für »unwürdig« zu erklären? [ 52 ]Und wenn nun nach dieser Unwürdigkeitserklärung die Ausgestoßenen von ihren Wählern wieder in die Kammer geschickt würden, was dann werden solle? Er erinnere die Kammer an das Schicksal Manuels! . . . (Furchtbarer Aufruhr unter lautem Applaus der Linken ;) – er erinnere an jenes Ballhaus (Jeu de Paume), aus welchem alle Revolutionen hervorgegangen seien. »Was war das Ballhaus anders, als das Recht sich zu versammeln, das Recht, der Willkür Widerstand zu leisten? (Lärm im Centrum) Das Ballhaus war ein Versammlungsort, welchen das Ministerium schloß und die Nation wieder öffnete.« (Lauter Beifall z. Linken.)

Auch sämmtliche Amendements, die einen milderen Ausdruck des Tadels versuchten, wurden nach wüthender Debatte mit Aufrufung der einzelnen Namen abgeworfen. Jetzt als die Opposition sich geschlagen sah, erhob sie sich in geschlossenen Reihen von ihren Sitzen und enthielt sich aller Theilnahme an den weiteren Verhandlungen, und der ursprüngliche Wortlaut des Paragraphen – »die Agitationen, welche feindselige Leidenschaften oder blinde Verirrungen mit sich führen, werden vor der durch unsere freien Discussionen aufgeklärten öffentlichen Vernunft zu Boden fallen«– ward mit ungeheurer Majorität (223 gegen 18) angenommen. Noch einmal machte die Opposition einen Anlauf auf die von der Regierung eingenommene Position; die Frage der Vergangenheit war entschieden; es galt nun der Zukunft ein Zugeständniß abzugewinnen. Herr Sallandrouze beantragte die Einschaltung eines Amendements, welches die Hoffnung aussprach, daß »die Regierung die berechtigten Wünsche des Landes anerkennen und die Initiative weiter und maaßvoller Reformen, welche die öffentliche Meinung verlange, namentlich der Parlamentsreform, ergreifen werde.« Die [ 58 ] Opposition bot der Majorität mit diesem Antrage noch einmal die Hand der Versöhnung; aber der wilde, leidenschaftliche Charakter der Debatte, das fortwährende brutale Geschrei und ironische Gelächter, womit die Centren die Redner der Linken, die linke die Redner der Centren unaufhörlich unterbrachen, die Rücksichtlosigkeit und Herbheit der Ausdrücke, die fast nur in heftigen Anschuldigungen herüber und hinüber bestanden, bewies zur Genüge, daß die gegenseitige Erbitterung schon zu hoch gestiegen war, um eine Versöhnung zuzulassen, und erschöpft von so vielen Stürmen, forderte man nun allgemein die Abstimmung. Hrn. Sallandrouze's Amendement ward mit 222 gegen 189 Stimmen verworfen. Gleich nach diesem Votum entfernte sich die Opposition und der ganze Adreßentwurf ward schließlich mit 241 gegen 3 Stimmen angenommen. So hatte denn das Ministerium in der Kammer vollständig gesiegt, aber damit war nur der geringste Theil der Frage entschieden; die »Flétrissure« gegen die Opposition war ausgesprochen, aber die Opposition war dadurch auch um eine furchtbare Waffe stärker geworden, – um die Unversöhnlichkeit ihres Hasses gegen das Guizot'sche System, welches mehr und mehr für den Ausfluß des allerhöchsten Willens angesehen ward.