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Die schwarze Tulpe

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VII.
Die Execution

Von dem Kerker über den Gefängnißhof, und durch diesen, bis zum Schaffot, waren beiläufig dreihundert Schritte Entfernung.

Der Hund lag am Eingange von seiner Kette befreit.

Cornelius blickte ihn im Vorbeigehen an, es schien ihm, als habe dessen noch vor Kurzem mit Blute unterlaufenes Auge, den Ausdruck von Schmerz und Gefühl angenommen.

War dies auch so unmöglich?

Der natürliche, beim Thiere besonders im hohen Grade ausgebildete Instinct ließ diesen sehr leicht unterscheiden, welchen Weg der Gefangene einschlage. Bei demjenigen, der zum Schaffote ging, hörte seine Thätigkeit auf, wenn hingegen ein Anderer das Gefängniß frei verlassen konnte, da tobte die Wuth dieser Bestie, gleichsam, als sei ihm der Schluß, durch welchen ihm ein sicheres Opfer geraubt wurde, nicht recht.

Je kürzer der Weg zum Schaffote wurde, desto stärker und größer war der Andrang der Menschenmenge.

Es waren dies dieselben Wüthenden, die am Tage vorher zwei blutige Opfer auf dem Altare ihrem Götzen, einer furchtbaren, düstern, unerklärbaren Idee dargebracht hatten.

Sie erwarteten ein neues, anziehendes Schauspiel.

Cornelius trat so eben durch das Thor auf den Platz.

In demselben Augenblicke ertönte das Wuthgeheul der Menge. Wie ein langsam erhobener Windstoß breitete es sich vom Gefängniß über den ganzen Platz aus, und wiederhallte in allen auf denselben führenden Straßen, die ebenfalls mit Neugierigen angefüllt, einer gleichen Anzahl in den Buytenhoff mündender Ströme glichen.

Das Schaffot stand da, wie eine Insel, die gegen die mächtig andringende Fluth im rastlosen Kampfe begriffen ist.

Cornelius beachtete gar nichts, was um ihn vorging. Er hatte seine Seele zu Gott gewendet, und verlor sich ganz in die, ihm seit seiner frühesten Kindheit eingeprägten religiösen Lehren.

Und worin bestanden wohl die Gedanken des Schuldlosen, der mit ruhiger Ergebung seinem traurigen Schicksale entgegen ging?

Er blickte empor zum himmlischen Jenseits. Dort sah er die Herrlichkeit des Paradieses, er erkannte Gott, das unendliche System das diese Welten leitet und regiert, er sah sich selbst ein geistig höheres Wesen, in Gesellschaft der Gerechten. Und von diesem erhabenen Sitze, blickte er vereint mit Cornelius und Johann von Witt, den glorreichen Märtyrern, herab zur sturmbewegten Erde, mitleidsvoll denen Vergebung zuflüsternd, die ihren Tod so blutig vollzogen.

Dann dachte er sich einen blühenden, ewig grünenden Garten.

Und in diesem erglänzte eine majestätische Blume.—

Die große, schwarze Tulpe.

Bald sollte sein Traum beginnen. Ein einziger glücklicher Schwertstreich des Henkers, und er war nicht mehr.

Aber bei diesem Gedanken erwacht doch auch wieder der schwache, empfindsame Mensch.

Wird aber dieser Streich auch glücklich ausfallen? und nicht so, wie bei Herrn von Chalais oder bei Herrn von Thou, und hundert andern, unter unsäglichen Martern hingerichteten Personen.

Einen Augenblick umdüsterte dieser Gedanke seine Seele. Aber ebenso schnell kehrte Kraft und Entschlossenheit zurück.

Mit festem Schritte, ohne im mindesten zu wanken oder nur zu zittern, bestieg er das Schaffot.

Das Bewußtsein seiner Unschuld, dieser mächtige Hebel, der ihn jeden Schmerz leicht ertragen ließ, machte ihn kühn und muthig.

Dann gesellte sich der Stolz dazu.

Er war der nächste Verwandte des Johann und Cornelius von Witt, er mußte der Welt zeigen, daß er dieser erhabenen Männer und ihres Stammes würdig sei.

Oben angelangt, ließ er sich auf die Knie nieder. Andächtig sprach er sein Gebet, und dann den Kopf gegen den Buytenhoff richtend, sah er, daß, wenn seine Augen während der ganzen Handlung offen blieben; ihm gerade jenes kleine, vergitterte Fenster, an das sich so viele entsetzliche aber auch himmlische Erinnerungen knüpften, entgegen lächele.

Er hatte sein Gebet geendet, der schreckliche Augenblick der Vernichtung nahte.

Der Henker trat herzu, um dem Gefangenen, die zur leichteren Ausführung seiner Amtspflicht nöthige Stellung zu geben.

Cornelius legte mechanisch das zarte Kinn auf den eiskalten, harten Pflock.

Aber in demselben Augenblicke, bei seiner noch so großen Jugend, nicht mehr Herr des eigenen noch vor wenigen Minuten so kühnen Stolzes, schlossen sich seine Augen, die Welt schwand vor seiner Seele, er gehörte bereits andern Regionen an.

Ein Blitzstrahl erglänzte auf dem Schaffote.

Der Henker hatte so eben das Schwert rasch emporgehoben.

Dann trat eine kleine Pause ein.

Baerle’s Seele schwebte in der bessern Welt, sie malte ihm die Größe des Jenseits, in der reinsten, entzückendsten Farbenpracht.

Da kehrte aber wieder Bewußtsein, in den beinahe leblosen Körper.

Dreimal fühlte er deutlich, wie das Schwert über seinem Haupte geschwungen, rasch die Luft durchschnitt.

Auf ein Mal trat eine tödtende Ruhe ein.

Was sollte das?

Er fühlte weder Schmerz, noch einen Schlag. Auch seine Lage war unverändert dieselbe.

Da glaubte er aber zu bemerken, wie zwei Hände ihn mild und vorsichtig unter den Armen faßten und emporhoben. Seine Kraft kehrte wieder, ohne zu schwanken, ohne zu zittern stand er aufrecht auf den Füßen da.

Er öffnete die Augen.

Neben ihm befand sich ein hagerer Mann, der von einer langen, mit einem mächtigen rothen Siegel versehenen Pergamentrolle etwas herablas.

Gelb und blaß beleuchtete die herbstliche Mittagssonne das Antlitz des Unglücklichen schwarz und düster, wie das Auge eines Ciklopen sah ihn das Gitter des Buytenhoffs an, mit fragenden Blicken richteten sich die Augen der neugierigen, nunmehr ruhigen Menge nach ihm empor.

Langsam kehrte das ganze Bewußtsein wieder.

Baerle blickte um sich, er begriff, wo er sich befand, er erfaßte selbst freudetrunken den leuchtenden Stern der Hoffnung.

Er war begnadigt.

O, unerhört! begnadigt durch Wilhelm von Oranien, dem unversöhnlichsten Feinde seiner Familie.

Was hatte den Prinzen zu diesem unerhörten, Schritt bewogen?

Wahrscheinlich überlegte er, daß die siebzehn bis achtzehn Pfund Blut, die man dem jungen Manne abzapfen wollte, das Maß der bereits begangenen Ungerechtigkeiten ein wenig überfüllen, und der himmlischen Gerechtigkeit zu viel werden dürften. Aus Mitleid über, die Jugend, den Stand und die frühere Beschäftigung des Gefangenen, begnadigte er denselben.

Also darum hatte das Schwert, das er schon von Ferne blitzen sah, daß er dreimal über seinem Haupte, pfeifen hörte, sich nicht niedergelassen; darum stand der Kopf noch immer aufrecht auf seiner frühern Unterlage, darum hatte er keinen Schlag, mithin auch keinen Schmerz gefühlt; darum wurde er von der Sonne noch immer beleuchtet.

Cornelius ganz in das Anschauen der Ewigkeit vertieft, und wie wir auch schon ein Mal anführten, bereits einer andern Welt angehörend, fühlte sich Anfangs (man kann, so unglaublich es scheint, doch mit Gewißheit es sagen) gerade nicht angenehm enttäuscht.

Aber nach wenigen Augenblicken schaukelte er doch recht gemächlich den Kopf aus jenem schmalen Verbindungstheile zwischen ihn und dem Körper, den die Alten Trachelos, wir aber ganz bescheiden Hals nennen.

Er that dies um so mehr, als mit dieser unerwarteten Erscheinung, die Hoffnung gänzlicher Straflosigkeit, und mit ihr der Glaube erstand, man werde ihm unverzüglich sein Haus zu Dortrecht, und seine Rabatten zurückgeben.

Auch diese Hoffnung ward vernichtet.

Cornelius horchte während des Lesens gespannt und aufmerksam zu.

Schon nahte dieser Art der Herrschermilde seinem Ende, aber da fand der Vorleser, um sich eines Ausdruckes der Madame Sevigne zu damaliger Zeit zu bedienen, noch ein post scribtum, und in diesem lag der wichtigste Theil des Briefes verborgen.

Durch dieses Postscribtum erklärte Wilhelm von Oranien den Gefangenen zu wenig strafbar, um den Tod zu erdulden, aber hinreichend, um lebenslänglich seiner Freiheit beraubt zu werden.

Cornelius hatte dieses Postscribtum deutlich gehört, es war für ihm ein Moment augenblicklicher Vernichtung.

Dann kehrte aber die Hoffnung wieder; und wie sollte diese mächtige Göttin jemals in der Brust eines acht und zwanzigjährigen, kräftigen Mannes erlöschen.

Was liegt auch daran, dachte er; wenn nur Rosa dieses Gefängniß mit mir theilt; wenn ich nur wieder bei meinen Kindern, den drei Zwiebeln bin.

In diesem Augenblicke überlegte Cornelius, nicht, daß das Land, dessen Bewohner er war, sieben Provinzen hatte, und daß in jeder Provinz ein Gefängniß, mithin im Ganzen ebenfalls sieben Kerker bestanden, und daß die Verpflegung eines Gefangenen in der Hauptstadt jedenfalls kostspieliger, als in den Provinzen war.

Seine Hoheit der Prinz Wilhelm schien, besonderes den letzten Punkt beachtend, entweder keine besondere Lust, oder auch nicht die Mittel zur Erhaltung Baerle’s in Hang zu haben, und so wurde denn bestimmt, daß er seine Strafe auf der Festung Löwenstein zu bestehen habe.

Die Festung lag zwar in der Nähe Dortrechts aber unter den obwaltenden Umständen doch auch beinahe eine Ewigkeit davon entfernt.

Der Löwenstein liegt an der Spitze einer Insel, die gegenüber von Gorkum durch die beiden Flüsse Waat und Maas gebildet wird.

Baerle kannte die Geschichte seines Vaterlandes sehr genau. Er wußte demnach auch, das in dieser Festung, nach dem Tode Barnefelds, Hugo Grotius eingekerkert war, und daß die Stände aus besonderer Rücksicht, diesem größten Dichter und Gelehrten seiner Zeit, täglich zur Verpflegung vier und zwanzig holländische Sous bewilligt hatten.,

 

Er überlegte dabei, wie viel wohl ihm zugestanden werden würde, und da aus diesem Nachdenken zugleich die Folgerung erstand, Grotius sei wenigstens noch ein Mal so viel werth gewesen, so bildete sich durch die einfachste Berechnung das Endresultat mit beiläufig, zwölf Sous.

Dann aber durchbebte ihn plötzlich eine Empfindung wie ein Gewitterschlag.«

»Aber,« rief er, »das Land, der Ort, wo ich hin muß, ist ja feucht und neblicht, daher den Tulpen auch nicht zuträglich.«

»Und Rosa, Rosa,« murmelte er dann leise, sie in Haag – — sein Kopf sank langsam aus die Brust.

VIII.
Wie es während dieser Zeit einem Zuschauer erging

Unter diesen Betrachtungen hatte Cornelius, es nicht bemerkt, daß ein verdeckter Wagens sich den Stufen des Schaffots genähert hatte.

Der Wagen war für Baerle bestimmt. Höflich ersuchte ihn der Actuar, einzusteigen, ohne eine Erwiderung ward sein-Befehl befolgt.

Den letzten Blick, den Cornelius nach diesem entscheidenden Schauspiele widmete, richtete er auf«das Gitterfenster des Buytenhoffs. Er hoffte dort, das Antlitz Rosas in himmlischer Verklärung, getröstet und beruhigt zu finden. Aber der Wagen mit ein Paar starken, rüstigen Pferden bespannt, flog pfeilschnell durch die Menge hin, von der ein großer Theil, die Gnade und Milde des huldvollen jungen Prinzen lobend hervorhob, während ein Anderer ununterbrochen Drohungen und Flüche gegen die Brüder Witt und deren Angehörige ausstieß.

Diese Menschen schienen durch den so eben eingetretenen Art der Milde eher mehr erzürnt, als beruhigt worden zu sein.

»Seht Ihr,« sprach einer dieser Leute, »daß wir recht hatten, uns zu beeilen, denn, wenn nicht gestern jene Handlung der Gerechtigkeit durch unsere Hände vollführt worden wäre, müßten wir heute die beiden Schurken Cornelius und Johann Witt eben – so frei und sicher abziehen sehen, wie diesen Bösewicht, der Ihnen gewiß nichts nachgibt, und durch die Güte Seiner Hoheit nun das Leben wieder erhält.

Unter der Massa von Zuschauern, die den Buytenhoff Kopf an Kopf gedrängt erfüllte, und nunmehr in ihrer Art entweder freudig oder bitter enttäuscht war, gewahrte man einen gut gekleideten Bürgersmann, der sich alle ordentliche Mühe gegeben hatte, so nahe als möglich der Ausführung des schrecklichen Schauspieles beiwohnen zu können.

Er stand in der vordersten Reihe, knapp hinter den Soldaten, die das Schaffot bewachten, und folgte jeder Bewegung des Deliquenten so wie des Scharfrichters, mit der gespanntesten Aufmerksamkeit.

In dem Augenblicke aber, wo der Prokurator von der Höhe herab dem versammelten Volke das Milderungsurtheil verkündete, und Baerle sich neu und kräftig, Leben und Hoffnung athmend erhob, wurde sein Gesicht todtenblaß, sein ganzer Körper zitterte, und der Ausdruck seines Antlitzes verrieth deutlich den Schmerz der bittersten, getäuschten Hoffnung.

Ein großer Theil dieser wüthenden Menge hatte die teuflische Begierde unverholen gezeigt, das Blut des Unglücklichen zu sehen, aber in keiner Physiognomie war der Ausdruck so tiefen Hasses und Grimmes zu lesen, als gerade in der, dieses Mannes.

Der wüthendste Theil des Pöbels hatte sich schon mit Tagesanbruch vor dem Gefängnisse versammelt, aber dieser schreckliche Mensch war die ganze kalte Herbstnacht an dem Thore gesessen, war sodann in der ersten Reihe langsam mit der nachdrängenden Menge gegen das Schaffot vorgerückt, und hatte sich dort, theils durch Höflichkeit, theils durch Stöße und Schläge einen Platz gesichert, der es ihm möglich machte, das Schauspiel ganz, bis in seine Einzelheiten verfolgen zu können.

Als aber Baerle von Wachen umringt am Schaffote angelangt war, als er die Stufen und das Plateau erstiegen hatte, als er niederkniete um das letzte Gebet zu sprechen, da konnte der Unbekannte auch länger seine maßlose Begierde nicht mehr zügeln. Er kletterte an einem senkrechten und ziemlich glatten Brunnensteine, den bis jetzt noch Niemand zu ersteigen wagte empor, und als er dort gleich einer Katze festen Fuß gefaßt hatte, überblickte sein tückisches, tief liegendes Auge mit unbeschreiblichem Triumphe die ganze Scene.

Dann ließ er dieses aus den Scharfrichter, der ihm seine Aufmerksamkeit in diesem Augenblicke schenkte, gleiten, und der dem Henker gesendete Blick erhielt Form und Gestaltung, er kleidete sich in Worte:

»Es bleibt bei dem, was wir miteinander bereits abgeschlossen haben,« schien er sagen zu wollen.

»Verlaßt Euch ganz ruhig auf mich,« antwortete der Blick des Henkers, als Zeichen einer früher stattgehabten Einverständigung.

Wer war wohl dieser Bürger, der auf so vertrautem Fuße mit dem Henker zu stehen schien, daß er sich durch Geberden demselben zu verstehen gab?

Ist diese Frage wohl am rechten Platze?

Ich glaube kaum, daß einer meiner Leser noch den geringsten Zweifel hegt, und nicht alsogleich den Mynherr, Isaak Boxtel, erkannt habe.

Ebenso weiß man: noch genau, wie Boxtel nach, seinen vergeblichen Versuchen die Zwiebel der schwarzen Tulpe in Baerles Wohnung zu finden, sich entschloß diesem nach Haag zu folgen, und dort koste es auch, was es wolle, in den Besitz dieses werthvollen Schatzes zu gelangen.

Den ersten Versuch machte Boxtel gleich nach seiner Ankunft in Haag mit Gryphus. Er näherte sich diesem vertrauensvoll, erzählte ihm sein Anliegen mit der möglichsten Umschreibung, und erklärte zugleich Baerle müßte die Zwiebel entweder bei sich am Leibe, oder in einem Winkel des Gefängnisses versteckt haben. Er machte ihm hierauf mehrere vortreffliche Vorschläge, unter denen besonders die Aussicht auf eine ziemlich bedeutende Belohnung stark hervorleuchtete.

Allein Gryphus mißtrauisch, zurückhaltend, und dabei ganz in die Würde seines Amtes vertieft, durchblickte in dieser Mittheilung nichts anderes, als den sehr geschickten Plan eines Freundes, der auf diese Art, in die Nähe des Gefangenen kommen, und ihm Mittel und Wege zur Rettung bekannt geben wollte. Seine Antwort bestand einfach darin, daß er den zudringlichen Fremden auf eine etwas gewaltsame Weise die Thüre wies, und ihm seinen Hund, der unterdessen von der Kette losgelassen worden war, nach hetzte.

Aber trotzdem, daß er einen großen Theil seines ganz guten Beinkleides den Zähnen der wilden Bestie überlassen mußte, war der unerbittliche Gegner noch immer nicht entmuthigt. Er erschien kurze Zeit darauf wieder im Gefängnisse. Diesmal lag aber Gryphus an den Folgen des Armbruches leidend im Bette, und ließ den Zudringlichen gar nicht vor.

Boxtel wendete sich nunmehr an Rosa. Er versuchte es, der Eigenliebe und Eitelkeit dieses jungen, schönen Mädchens zu schmeicheln, er trug ihr außer einer namhaften Summe, einen schönen, reichen Kopfputz von purem Golde zum Geschenke an. Allein Rosa, von Abscheu gegen diesen Antrag ergriffen, selbst den Werth des Gegenstandes nicht kennend, den man durch sie entwendet haben wollte, wies ihn mit wenigen Worten an den Henker, der nach dem Tode des Gefangenen Erbe aller jener Stücke, die dieser am Leibe trug, war.

Diese wenigen Worte bestimmten auch also gleich Boxtels Entschluß.

Während seinen Bemühungen war das Urtheil gefällt worden, und da außer dem Gefangenenwärter und dessen Tochter Niemand mit Baerle in Berührung kam, da außerdem die nur noch kurze Zeit zu rascher Thätigkeit drängte, schritt Boxtel unverzüglich zur Ausführung seiner neuen Idee.

Er war seiner Sache ganz gewiß, denn Baerle konnte nicht anders, als nur mit seinen Zwiebeln auf der Brust – sterben.

In dieser Ueberzeugung mochte er unter gewissen Verhältnissen recht gehabt haben.

Aber zwei Umstände, die er nicht ahnen, um so weniger vorhersehen konnte, zertrümmerten mit einem einzigen Schlage das ganze, schöne Gebäude.

Das war die Liebe, nämlich Rosa.

Und die Gnade, oder Wilhelm.

Nimmt man nun diese beiden, wirklich nicht vorhersehenden Punkte weg, so waren die Berechnungen dieses Erbärmlichen ganz richtig, und ihr günstiger Erfolg vorauszusehen.

Boxtel eilte zu dem Henker. Er fand ihm gerade in dem Augenblicke, wo dieser seine Toilette zu dem bevorstehenden Acte machte. Hier gab er sich für einen sehr vertrauten Freund des Verurtheilten aus, überließ dem Vollstrecker des Gesetzes alles bei Baerle vorfindige Geschmeide, und erkaufte den Leichnam sammt dem Reste seiner Habe, um den etwas hohen Preis von ein hundert Gulden.

Aber was waren diese hundert Gulden für ihn, einen Menschen, der die Gewißheit hatte, mit dieser kleinen Summe den ausgeschriebenen Betrag der Gesellschaft zu Harlem, mithin tausendmal so viel zu erhalten.

Diese Spekulation stellte sich somit äußerst vortheilhaft heraus.

Dann hatte der Henker, um sich die hundert Gulden zu verdienen, wenig, beinahe gar Nichts zu thun. Er durfte nur nach geschehener Hinrichtung dem Mynherr Boxtel gestatten, mit seinen Knechten zugleich das Schaffot zu besteigen und aus deren Händen den Leichnam des Freundes zu empfangen.

Auch war dieser Fall nicht neu oder unerhört. Man hatte den verschiedenen Secten gestattet, wenn einer ihrer Angehörigen auf dem Buytenhoff endete, seine Ueberreste käuflich an sich zu bringen, und zu bewahren.

Ein Tulpenfreund, ein Fanatiker für die Blumenzucht, wie Cornelius es war, konnte daher um so leichter einen ihm gleichgesinnten Freund haben, der es sich zur heiligsten Pflicht machte, das Andenken des Unglücklichen zu erhalten.

Der Henker stimmte in den ihm gemachten Vorschlag unverweilt ein. Nur stellte er eine Bedingung, erforderte Vorausbezahlung.

Boxtel war zwar nicht verpflichtet, dieser Forderung nachzukommen, eben so wenig wie der Kaufmann den Käufer zur Bezahlung eines Gegenstandes, den dieser oft noch gar nicht gesehen hat, zwingen kann.

Aber auch damit war der Bösewicht einverstanden. Ohne das mindeste Zögern überreichte er die verlangte Summe.

Aus allem diesen kann man sich leicht einen Begriff machen, mit welcher Spannung und Aufmerksamkeit Boxtel den Gang der ganzen gerichtlichen Verhandlung folgte, wie er den Actuar und den Scharfrichter sorgsam bewachte, wie ihn jede Bewegung Baerle’s in tiefste Angst versetzte. Wie leicht war es aber auch möglich, daß der Verurtheilte, bei seinem Falle gerade mit der Brust auf dem harten Pflocke aufliegen, und sodann den werthvollen Schatz durch die Schwere des Körpers zerdrücken konnte. Aber nein, der Tulpenenthusiast hat gewiß Sorge getragen, dies Kleinod in einer goldenen Kapsel zu verwahren, und durch diese metallene Wand geschützt, kann sogar noch bedeutend größere Last aufliegen, ohne auch nur den kleinsten; Schaden zu erzeugen.

Es ist beinahe unbedingt nothwendig, daß der Lesers sich diesen Wahnsinnigen in einem klaren, deutlichen Bilde vergegenwärtige, um darnach sich eine Vorstellung jener Empfindung machen zu können, die sich seines Innern bemeisterte, als er sich in allen seinen Voraussetzungen getäuscht, seine Pläne gänzlich vernichtet sah.

Er bemerkte, wie der Henker das Schwert hob, wie er es pfeifend dreimal über dem Haupte des Unglücklichen schwang, er hoffte jede Secunde den Kopf vom Rumpfe getrennt über das Schaffot herabrollen zu sehen.

Da gab der Actuar ein Zeichen, der Henker ließ das Schwert sinken, der Beamte griff den Verurtheilten, unter die Arme, hob ihn auf, zog aus seiner Tasche eine lange Pergamentrolle, und – las laut und deutlich die Begnadigung vor.

Da blitzte aus dem matten Auge des Wahnsinnigen die Wuth der wildesten Bestie, da entrang sich ein furchtbarer Schrei der zitternden Brust; wäre er in diesem Augenblicke in Baerle’s Nähe gewesen, er hätte den Unglücklichen ermordet.

Ein Gedanke, ein Dämon, eine Furie erwachte in dieser teuflischen Seele.

Er lebt, er lebt, zwar lebenslänglich verurtheilt, aber dennoch am Leben. Er geht auf den Löwenstein, dorthin nimmt er die Zwiebel der schwarzen Tulpe mit. Wie leicht ist es, in dem beschränktesten Raume ein Plätzchen für ein wenig Erde zu finden; ja, ja, es ist gewiß, dort wird er die Tulpe pflanzen, sie wird erblühen – Preis und Ruhm gehört sein, ist für mich unrettbar verloren.

Hier stockt der Gedanke, die Feder bleibt ruhig liegen, die Hand versagt ihren Dienst, denn die Phantasie des Dichters, dieser unendliche Zauberer, ist an jenen Grenzen angelangt, über die hinaus er nicht zu schreiben vermag.

Oder wo wäre der kühne Mann, der es wagte, eine Empfindung gleich der, wie sie in Boxtel’s Brust stürmte und wüthete, zu schildern?

Solche Erscheinungen liegen außer dem Bereiche der sinnlichen Wahrnehmung, sie sind der Kampf böser Geister, die durch eine dichte Hülle geborgen, Niemand einen Blick in die Untiefen ihrer selbst gebildeten Hölle gestatten, und daher auch jede Schilderung unmöglich machen.

 

Boxtel war vernichtet, seine Lebensgeister hatten ihn verlassen, der letzte Rest des Verstandes war gewichen.

Er fiel von seinem hohen Standpunkte herab, mitten unter die wogende Menge, die bereits auf sein Geschrei, dieses für den Ausdruck der Freude haltend, aufmerksam gemacht worden war.

Er verletzte durch seinen Fall mehrere der Vorübergehende, die schmerzhaft aufschrien. Aus Wuth über seine Unvorsichtigkeit, und zugleich durch die über ihn gefaßte Meinung noch mehr erbittert, machte sich der Zorn des Pöbels in einer Unzahl tüchtiger Schlage und, Stöße, die auf Boxtel’s Kopf und Schultern regneten, Luft.

Aber er fühlte Nichts, er empfand Nichts, ihn drückte ein anderer, wüthender Schmerz. Sein weit hervorgetretenes, flammendes Auge folgte unverwandt dem Wagen, er sah ihn davon eilen, er fühlte wie das heiß ersehnte Opfer, mit den Schätzen, die sein ganzes Trachten und Streben in sich schlossen, rasch dahin eilte. Alle seine Kraft sammelnd, bemühte er sich nur, das dahin rollende Fuhrwerk zu erreichen, und ihm dann ohne Rast und Ruhe zu folgen. Aber seine Wuth machte ihn stumpf, unaufmerksam auf die ganze Umgebung. Mit seinen starken Armen bahnte er sich durch die dicht gedrängte Menge einen Weg, er bemerkte einen aufgelockerten Pflasterstein nicht, strauchelte und fiel.

Er erhob sich erst, nachdem einige hundert Menschen jubelnd und jauchzend über ihn davongeeilt waren, seinen Körper absichtlich zur Unterlage erwählend.

Zerschunden, am ganzen Leibe gequetscht, blutig, mit ausgerenkten Gliedern und zerrissenen, in Fetzen herabhängenden Kleidern stand er nun da.

Man sollte glauben, dieser Fall habe seinen Rachedurst vollkommen befriedigt, und andere Ideen in ihm hervorgerufen.

Weit entfernt.

Noch war seine Wuth, die tief gewurzelte unheilvolle Leidenschaft, nicht um ein Haarbreit gewichen. Aufgelöst, von Verzweiflung ergriffen, rang er die Hände, zerfleischte sich die Brust, raufte sich die Haare aus.

Alle Möglichkeit zur Erreichung seiner Absicht war dahin, er sah Alles verloren. Nacht umwölkte seine Augen, seine Sinne.