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XII
Der Fürst Obinsky

Marat schloß, wie Danton, einen Moment die Augen, als ob er in sich selbst schaute und seine eigene Stimme hörte, die ihm sachte die Erinnerungen seiner Jugend erzählte.

Dann erhob er plötzlich das Haupt und sprach:

»Ich bin von Neuchatel, Sie wissen das ohne Zweifel; ich bin geboren 1744. Ich zählte zehn Jahre in dem Augenblicke, wo mein ruhmwürdiger Landsmann in die literarische oder vielmehr in die politische Welt die Rede über die Ungleichheit schleuderte; ich war zwanzig Jahre alt, als Rousseau verbannt, um ein Asyl zu suchen, in seine Heimath zurückkehrte. Empfindsam, glühend, leidenschaftlich für den Philosophen begeistert, hatte mich meine Mutter in der ausschließlichen Bewunderung des Meisters erzogen und ihren ganzen Eifer darauf verwendet, aus mir einen großen Mann in der Art des Verfassers vom Contrat social zu machen; sie war hierbei vortrefflich unterstützt worden von meinem Vater, einem würdigen Geistlichen, einem gelehrten und thätigen Manne, der frühzeitig in meinem Kopfe Alles das, was er an Wissen besaß, anhäufte; mit fünf Jahren wollte ich auch Schulmeister werden; mit fünfzehn Jahren Professor; mit achtzehn Schriftsteller, mit zwanzig schaffendes Genie!

»Wie Rousseau, wie meine meisten Landsleute, verließ ich jung meine Heimath, in meinem Kopfe ein ziemlich beträchtliches, aber schlecht geordnetes Magazin von verschiedenen Kenntnissen, eine große Kunde der Kräuter, die ich mir in unseren Gebirgen erworben, mitnehmend, dabei Mäßigkeit, Uneigennützigkeit, viel Eifer und eine Arbeitsmächtigkeit, die ich vor mir bei keinem Menschen gekannt habe.

»Ich fing mit Deutschland und mit Polen an.«

»Und warum gingen Sie nach Deutschland?«

»Ei! wie jeder Abenteuersucher, um zu leben.«

»Und Sie lebten?«

»Sehr schlecht, ich muß es gestehen.«

»Ja, nicht wahr, die Literatur nährte wenig?«

»Hätte ich mich nur an die Literatur gewendet, so würde sie mich gar nicht genährt haben; doch außer der Literatur hatte ich in meinem Dienste das Französische und das Englische, was ich wie meine Muttersprache spreche.«

»Ja, ich erinnere mich, Sie sagten mir in der That, Sie haben Sprachunterricht den Schotten gegeben und in Edinburgh die Ketten der Sklaverei veröffentlicht, ohne Zweifel selbst ein Sklave von denjenigen, welche Sie zum Lehrer17 genommen hatten.«

Marat schaute Danton mit einer Art von Erstaunen an, das diesen fast erröthen machte. Nichts ist betrüblicher für den, welcher es preisgegeben hat, als ein Wortspiel, das schlecht begriffen wird.«

»Wahrhaftig,« sagte Marat mit barschem Tone, »mir scheint, ich höre Herr von Florian oder Herrn Berlin sprechen; es ist Madrigal, was Sie da machen, mein Lieber, und Madrigal, das muß ich Ihnen bemerken, das Madrigal steht Herrn Danton schlecht an.«

»Dann will ich schweigen und mich darauf beschränken, daß ich Sie anhöre, da ich mit meinen Unterbrechungen so wenig Glück habe.«

»Ja, um so mehr als, wenn ich Romane mache, die Geschichten, die ich erzähle, nicht madrigalisch sind. Das werden Sie sogleich sehen.

»Ich komme also auf meine Lectionen zurück, die mich wenig nährten, und auf ein anderes hungriges Geschäft, das mich noch weniger nährte, ich meine die Medicin.

»Ich beschloß, Deutschland zu verlassen und mich nach Polen zu begeben. Das war 1770: ich zählte sechsundzwanzig Jahre, hatte ein paar Thaler im Grunde meiner Börse, viel Hoffnungen im Grunde meines Herzens, und vortreffliche Empfehlungsbriefe obendrein. Der König Stanislaus regierte damals, – Stanislaus August, wohl verstanden, – das war ein Gelehrter, ein unterrichteter Mann, er ist dies Alles, müßte ich sagen, denn er lebt immer noch, der würdige Fürst, und die Philosophie, die Wissenschaft und die Musen helfen ihm ohne Zweifel die Demüthigungen ertragen, welche Rußland, Preußen und Oesterreich in diesem Augenblicke über ihn verhängen.«

»Ich glaube,« sagte Danton, »wenn Sie mir eine philosophisch-politische Unterbrechung erlauben wollen, nachdem Sie mir die madrigalischen Unterbrechungen verboten haben, – ich glaube, daß der ehrliche Monarch wohl daran thut, wenn er die tröstenden Göttinnen zu cultiviren fortfährt; denn es scheint mir nicht sicher, daß er auf dem Throne stirbt, den ihm Katharina, seine strenge Gebieterin, ganz gegeben hat und ihm Stück für Stück wieder nimmt.«

»Diesmal sehen Sie richtig; ich werde auch der Unterbrechung Beifall spenden, statt sie zu tadeln, , und ich bezweifle nicht, König Stanislaus wird glücklich sein, eines Tages, gleichviel wo, die Nelken wiederzufinden, welche der große Condé cultivirte. Doch in der Zeit, um die es sich handelt, regierte, obgleich dumpf bedroht mit der Theilung seines Reiches, dieser Fürst im Frieden. Er liebte, wie gesagt, die Wissenschaften, die Künste, die Literatur, und machte einen edlen Aufwand. Ich, ein dunkler Mensch, – Schweizer durch meinen Landsmann Rousseau, Gelehrter durch meinen Collegen d'Alembert, Philosoph durch die Holbachianer, eine fatale Race, die sich über die ganze Erde verbreitete, – ich wanderte gegen Norden, ganz stolz auf meine siebenundzwanzig Jahre, auf mein wissenschaftliches Gepäck, auf meine schönen, frischen Backen und auf meine kräftige Gesundheit. . . Sie schauen mich an, Danton, und Sie suchen, was aus Allem dem geworden sei . . . Seien Sie unbesorgt, Sie werden erfahren, wie und wo mich dies verlassen hat: das ist meine Geschichte. In meinem jugendlichen Vertrauen sagte ich mir, da Stanislaus Poniatowski einen Thron durch sein gutes Aussehen bei der Großfürstin, nachmaligen Kaiserin, gewonnen habe, so könnte ich wohl mit allen meinen körperlichen und moralischen Vorzügen zwölftausend Livres Einkommen oder Pension bei Stanislaus verdienen. Das war mein Ziel, mein Ehrgeiz. Besitzer dieses Vermögens, würde ich allen Coterien, allen schlimmen Chancen Trotz bieten, ich würde nach Frankreich zurückkehren, um Staatswissenschaft zu studieren, ich würde sie inne haben in dem Alter, wo der Ehrgeiz im Herzen her Menschen treibt; ich könnte ein großer Arzt werden, sollten die Routine und das Vorurtheil fortbestehen; ich könnte ein großer Administrator werden, gelänge es der Philosophie, die Menschheit zu emanzipieren.«

»Das war gut geurtheilt,« sprach Danton mit kaltem Tone; »doch jedes Ding braucht nothwendig seinen Anfang; Alles hängt von diesem Anfange ab; zeigen Sie mir den Ihrigen, und zeigen Sie mir ihn so, wie er war, wenn das möglich ist.«

»Oh! seien Sie unbesorgt, ich werde mich nicht schminken, die Einbildungskraft ist nicht meine Sache; überdies wird hoffentlich die Wirklichkeit genügen, um Sie zu interessieren.«

»Es ist seltsam, daß Sie so die Einbildungskraft verleugnen, Sie, der Sie einen langen Kopf und breite Schläfe haben!«

»Ich verleugne die Einbildungskraft nicht,« erwiederte Marat, »doch ich glaube nur in der Politik Einbildungskraft zu haben: für alles Uebrige gleiche ich ein wenig der Katze in der Fabel, die nur einen Kunstgriff in ihrem Sacke hatte und genöthigt war, ihre Inferiorität gegen den Fuchs, das Thier mit den hundert Mitteln, anzuerkennen. Das Resultat hiervon ist, daß ich, wenn ich Hunger hatte, – was mir zuweilen begegnete, – Lectionen gab und weder viel, noch wenig aß.«

»Und was für Lectionen gaben Sie?«

»Lectionen in Allem, bei meiner Treue! ich bin ungefähr universell, so wie Sie mich sehen: heute, zum Beispiel, verfaßte, schrieb und druckte ich zwanzig Bände physische Entdeckungen, und ich glaube alle Combinationen des menschlichen Geistes über die Moral, die Philosophie und die Politik erschöpft zu haben.«

»Teufel!« rief Danton.

»So ist es!« sprach Marat mit einem Tone, der keine Widerrede zuließ. »Ich gab also Lectionen in Allem, im Lateinischen, im Französischen, im Englischen, in der Chemie, der Physik, der Medicin, der Botanik, ohne Alles das zu rechnen, was an unbekannten Fähigkeiten der Appetit, diese große Anspornung zur allgemeinen Industrie, eingibt.«

»Gut! Sie sind nun also, um Lectionen zu geben, nach Polen abgereist,« sagte Danton, der die Weitschweifigkeit von Marat abzukürzen suchte.

»Ich bin nun nach Polen abgereist. Die Sprache beunruhigte mich nicht: in Polen spricht Jedermann Lateinisch, und ich konnte Lateinisch wie Cicero.«

»Fanden Sie wenigstens Schüler im kriegerischen Lande der Jagellonen?«

»Ich war empfohlen an Würdenträger von Stanislaus. Einer derselben, ein Gebieter von sechs Dörfern, ein Starost Namens Obinsky, an den ich einen sehr dringenden Brief hatte, befand sich zufällig in Warschau, als ich ankam; ich beeilte mich, demselben das Schreiben zu übergeben, das mich ihm empfahl! Die Polen sind umgänglich und gastfreundlich; ihr Nationalstolz läßt sie die Franzosen als Brüder betrachten. Der Fürst las den Brief, heftete aufmerksam die Augen auf mich, als wollte er mich nach meinem physischen Werthe schätzen; dann, nach einem Momente der Prüfung und des Stillschweigens, nickte er leicht mit dem Kopfe. Dieses Nicken schien mir wohlwollend.

»Es war ein Mann von hoher Statur, grau von Haaren, weiß von Gesichte, mit durchdringenden Augen, mit schallender Stimme; er kam dem Wuchse nach einem Riesen gleich; ich, ich maß fünf Fuß, – denn ich bin auf einen Zoll kaum je größer gewesen , als ich jetzt bin; – er imponirte mir von Anfang an.

»Ich war, wie ich Ihnen gesagt habe, naiv, Freund der Großen, geneigt, contemplativ durch die Bewunderung oder thätig durch die Dankbarkeit zu werden; kurz, ein streckbarer Teig den Geschmack erwartend, den die erste Beleidigung oder die erste Wohlthat, edelmüthig oder bitter, in die Seele legen würde, welche diese Materie belebte.

 

»Der Fürst trat endlich aus seiner Träumerei hervor und sagte:

»»Wir haben viele Franzosen hier, doch Alle sind Militäre, und der König, sobald sie ankommen, beeilt sich, sie entweder zu seiner Freundin Ihrer Majestät der Kaiserin, oder zu seinen Feinden den Opponenten zu schicken, welche auf Bürgerkriege in Podolien sinnen . . . Kennen Sie die Geschichte dieser Spaltungen?««

»»Bei meiner Treue, nein! und ich gestehe offenherzig meine Unwissenheit,«« antwortete ich ein wenig gedemüthigt.

»Der Fürst schien sehr entzückt, einen Gelehrten zu finden, der offenherzig gestand, er wisse etwas nicht.

»»Also,«« sagte er mit einer sichtbaren Befriedigung, »»Sie gestehen also, daß Sie die Schismen von Soltyk, Massalsky und den anderen wüthenden Katholiken nicht kennen?««

»»Mein Gott, nein, Fürst!«« antwortete ich.

»»Nun wohl! desto besser. Sie werden einen vortrefflichen Hofmeister geben, und besonders einen um so vollkommeneren Moralisten, als Sie keinen politischen oder religiösen Sauerteig in Ihre Lotionen mischen werden. Ich habe Ihnen einen Zögling anzuvertrauen.««

»Denken Sie sich meine Freude, mein lieber Danton, meinen Stolz besonders: ein Zögling, mir ein Zögling gegeben von einem Fürsten, einem Großen der Erde, dem unumschränkten Gebieter auf seinen Gütern, mir der muthmaßliche Erbe eines Königreichs von sechs Dörfern. Ich kniete beinahe nieder; der Starost hob mich auf.

»»Ich setze eine einzige Bedingung für meine Protection,«« sagte der Fürst.

»»Sprechen Sie, Durchlaucht.««

»»Sie haben Briefe an den König: Sie werden den König nicht sehen.««

»Ich schaute meinen Gönner mit Erstaunen an. Er bemerkte mein Erstaunen.

»»Das ist sehr natürlich,«« sagte er; »»man gibt Sie mir als einen gelehrten, als einen äußerst gelehrten Mann; wenn ich Sie will, so will ich Sie für mich allein und nicht für Andere; machen Sie sich also nicht zum Voraus verbindlich; überlegen Sie. Wir sind ein wenig eifersüchtig, wir Sarmaten, exclusiv besonders; wollen Sie bei mir leben mit dem Zögling, den ich Ihnen anbiete, wollen Sie tausend Gulden jährlich, außer den Kosten Ihres Unterhalts . . .««

»Das ist hübsch,« bemerkte Danton.

»Das war herrlich!« erwiederte Marat; »ich willigte auch ein. Der Fürst nahm mich sogleich mit sich oder schloß mich vielmehr bei sich ein; von diesem Tage an gehörte ich leider zum Hause!«

Marat stieß einen Seufzer aus, den Danton im Fluge auffaßte.

»Ich begreife,« sagte er; »Sie bereuten alsbald, nachgegeben zu haben; Ihr Zögling war ein großer Bursche von barbarischem Blute, roth, Trinker und thierisch! ein moldauischer Bär, von seiner Mutter schlecht geleckt, der wenig auf Sie hörte und Sie viel schlug!«

»Oh! Sie irren sich,« versetzte Marat.

»Dann war es einer von den Zöglingen, wie sie Juvenal geschildert hat: Arcadius Juvenis?«

»Es war ein fünfzehnjähriges Mädchen, schön, blendend, geistreich , brav, poetisch; eine Fee, ein Engel, eine Gottheit!«

»Au!« murmelte Danton, indem er sich Marat näherte, »das wird interessant! der Roman schürzt sich: Lucilie wird Potocky lieben.«

»Nicht wahr?« sagte Marat mit Bitterkeit.

»Mir scheint, ich wittere den sentimentalen Saint-Preux und die schöne Julie.«

»Warten Sie, warten Sie, lieber Freund, Sie sollen etwas Besseres haben, als Alles dies.«

»Potz Henker! sollten wir unglücklicher Weise statt Saint-Preux und Julie Heloise und Abeilard haben?«

»Oh! nicht ganz. Teufel! wie rasch gehen Sie zu Werke!«

»Ich gehe nicht, ich höre Sie; nur macht das, was Sie mir sagen, in meinem Geiste die Verwunderung entstehen, und aus der Verwunderung entsteht die Supposition.«

»Supponiren Sie also oder supponiren Sie nicht; ich fahre fort.«

»Und ich, ich warte.«

»Ich übergehe mit Stillschweigen mein Erstaunen bei der Vorstellung, welche noch am Abend geschah: getäuscht wie Sie, hatte ich auf einen Schüler gezählt, und nicht auf eine Schülerin; ich übergehe mit Stillschweigen mein Erröthen, mein Beben, mein Unbehagen; ich übergehe mit Stillschweigen meine jugendliche Scham, indem ich, über meinen mageren Philosophenanzug streifend, das Sammetkleid und die Marderpelze von Cäcilie anschaute.«

»Ah! sie hieß Cäcilie? ich glaubte, sie habe Lucilie geheißen.«

»Sie heißt Lucilie in diesem Roman, doch sie hieß Cäcilie in der Geschichte. Das war übrigens der Name einer ausgezeichneten Königin dieses Landes, und diese Königin, Danton, war nie mehr Königin, als die junge Person, der mich der Fürst, sie mir als Zögling übergebend, mich ihr zum Lehrer gebend, vorgestellt hatte . . .«

XIII
Cicilie Obinska

»Röthe, Beben, falsche Scham, Alles dies war nichts, und ich war zu ganz Anderem vorbehalten! Der Fürst, nachdem er mich vorgestellt, fügte bei:

»»Cäcilie, dieser gelehrte Franzose hier wird Dich im Französischen, im Englischen, in den abstracten Wissenschaften unterrichten . . . Er wird ein Jahr hier zubringen, und in einem Jahre wirst Du Alles wissen, was er weiß.««

»Ich schaute ihn fest an und suchte zu errathen, ob er mich aus Unwissenheit, oder in einer bestimmten Absicht so schlecht beurtheile.

»»Oh!«« sagte er, »»ich begreife. . .««

»Ich sah, daß der Fürst nicht aus Unwissenheit so sprach, und daß er im Gegentheile einen sehr scharfen Geist besaß.

»Dann setzte er hinzu:

»»Wundern Sie sich nicht, mein lieber Herr, wenn ich sage, in einem Jahre werde Cäcilie Alles wissen, was Sie wissen: ich kenne ihre Anlagen und ihr Gedächtniß; sie ist ein Mädchen von einem Geiste, mit dem Sie den Ihrigen nicht zu vergleichen vermöchten. Lehren Sie nur, und Sie werden sehen, wie sie lernen wird . . .««

»Ich verbeugte mich.

»»Durchlaucht,«'erwiederte ich ehrerbietig, »»Gott behüte mich, daß ich an den Vorzügen von Fräulein Obinska zweifle; um sie aber alle diese Dinge zu lehren, müßte man mir die materielle Zeit gewähren.««

»»Gut!«« sprach er, »»ich habe Ihnen ein Jahr bestimmt . . . Nun wohl, Cäcilie wird Sie nicht verlassen, oder Sie werden vielmehr Cäcilie in diesem Jahre nicht verlassen: Sie werden ihr also in Wirklichkeit die Summe der Zeit geben, die Sie in sechs Jahren jedem Zögling in Frankreich geben würden. Dort gehen die Mädchen in Assemblées, an den Hof; – ich kenne das: ich bin in Paris gewesen; – sie empfangen bei sich, sie geben eine Stunde des Tages der Cultur des Geistes, und die übrige Zeit Frivolitäten . . . Hier dagegen wird die Prinzessin Obinska zwölf Stunden des Tages auf das Studium verwenden.««

»»Ist es mir erlaubt, Eurer Durchlaucht eine Bemerkung zu machen?««

»»Oh! ja, gewiß.««

»»Zwölf Stunden an einem Tage für das Studium ist zu viel, und das Fräulein wird das nicht aushalten.««

»»Ah!«« versetzte lächelnd der Fürst, denn im Ganzen lächelte er zuweilen, »»Sie nöthigen mich nicht, Sie Ihr Handwerk zu lehren . . . Ja, Sie haben Recht, Doctor, zwölf Stunden müßten das beste Gehirn vernichten, würde man sie ohne Unterlaß und ohne Abwechselung auf das Studium verwenden; da Sie aber hier mit der Prinzessin jeden Morgen zwei Stunden reiten werden; da Sie sodann mit ihr frühstücken werden; da Sie sich einschließen werden, um bis zum Mittag zu schreiben oder an der Tafel zu rechnen; da Sie um Mittag in ihrem Wagen spazieren fahren werden; – man plaudert im Wagen, nicht wahr? – da Sie am Mittagessen, wenn wir Gesellschaft empfangen, auf den Jagden, bei den Abendunterhaltungen bei Cäcilie sein und mit ihr plaudern werden, da Sie sie endlich nicht verlassen werden, so mache ich keine übertriebene Rechnung, wenn ich Ihnen zwölf gute Arbeitsstunden im Tage gebe.««

»So wie der Fürst sprach, schien es mir, als hörte ich die Worte eines Geistes der Träume; so wie er diesen Erziehungsplan erklärte, schien er vor meinen Augen eines von den wunderbaren Gemälden zu entrollen, welche, mittelst des Haschisch, der Alte vom Berge seine eingeschlafenen Adepten sehen ließ. Ich hatte so viel zu denken, daß ich kein Wort zu erwiedern fand.

»Und ich fühlte doch so große Lust in mir, zu antworten, daß ich meine Hände und meine Füße zusammenzog, um mich nicht vom Platze zu rühren, oder um keine Geberde zu machen, die mich aufgeweckt hätte. Ich glaubte zu schlafen.

»Cäcilie hatte ihrerseits, während dieser köstlichen Vision, nicht aufgehört, mich mit einem ruhigen, kalten Äuge anzuschauen, dies jedoch mit einer Beharrlichkeit, die mir heute noch, nach Verlauf von siebzehn Jahren, das Herz wie eine von einem geheimen Dämon auf mich gerichtete unsichtbare Klinge durchbohrt.

»Groß, von gerader Haltung, die Haare dicht, von einem gelblichen Blond, das Auge blau und tief wie die Wogen unserer Seen, kreuzte sie ihre Arme unter ihrem Pelze und hatte die Lippen noch nicht auseinander gethan, so daß ich nicht mehr von ihr erschaut, als was man von einer Statue unter ihren Draperien sieht. Da ich mich nicht erinnerte, daß ich sie hatte in das Zimmer eintreten sehen, da ich sie nicht hatte sich zu ihrem Vater stellen sehen, und da nichts an ihr sich bewegt hatte, nicht einmal ihre langen Wimpern, so konnte ich glauben, die menschliche Form, die ich vor Augen habe, sei einfach eine von jenen Schutzheiligen, welche die polnischen Edelleute im Bilde in ihre Schlösser oder unter den Mantel ihrer Kamine stellen, wie dies einst die Römer mit ihren Laren thaten, und die die stillschweigenden Wächterinnen der Familie und des Herdes sind.

»Dieser Vater, der so viel und so bizarr sprach, diese Tochter, welche so viel schaute und so wenig sprach, Alles dies brachte auf mich eine Wirkung hervor, die ich nicht ausdrücken kann; . . . vielleicht werden Sie dieselbe begreifen.«

»Teufel! ob ich sie begreife . . . ich glaube wohl!« rief Danton. »Doch fahren Sie fort, mein Lieber, ich vermuthete entfernt nicht, alle diese Namen in sky und in ska könnten in so interessanten Geschichten figuriren. Freilich haben wir im Faublas von Louvet de Couvray eine gewisse Lodoiska . . . Haben Sie Faublas gelesen?«

»Nein,« antwortete Marat, »ich lese nie obscöne Bücher.«

»Obscön! Sie finden?« versetzte Danton. »Pest! Sie sind Rigorist! ich finde das nicht obscöner, als die Neue Heloise

»Oh! blasphemiren wir nicht!« sagte Marat erbleichend.

»Ja, Sie haben Recht: es ist weder von Faublas, noch von Lodoiska, noch von der Heloise die Rede, sondern es handelt sich um Sie, um eine Geschichte, und nicht um einen Roman. Fahren Sie fort, fahren Sie fort . . . Ich bitte um Verzeihung, daß ich Sie unterbrochen habe.«

Marat fuhr fort:

»Mein Erstaunen war so groß, oder vielmehr meine Betäubung war so vollständig, daß es einen Augenblick gab, wo mir der Kopf herumging, und wo ich von einem Schwindel erfaßt wurde. Während dieses Augenblickes wurde ich – von wem? ich weiß es nicht, wie? ich weiß es nicht; – in ein großes Zimmer geführt, wo ich ungefähr wieder zu mir kam, und wo ich mich mitten unter höflichen, lächelnden Dienern fand, die mir ein gutes Bett und ein gutes Mahl zeigten.«

»Wahrhaftig, mein lieber Freund,« sagte Marat, »wie sehr ich auch Ihnen und mir selbst Sie nicht zu unterbrechen versprach, ich kann dem Verlangen nicht widerstehen, Ihnen zu bemerken, daß es nicht möglich ist, die Feerei auf eine angenehmere Weise zu beginnen; das ist gerade wie in den Debuts der arabischen Mährchen: es versteht sich auch hoffentlich von selbst, daß Sie dem Mahle und dem Bette Ehre anthaten.«

»Ich speiste ziemlich gut,« erwiederte Marat, »doch ich schlief ziemlich schlecht: nach den langen Strapazen des Körpers, nach den großen Erschütterungen des Geistes ruht der nervöse Mensch schwer. Ich besonders hatte einen doppelten Grund, schlecht zu schlafen: mein Körper war gelähmt, mein Geist betäubt; ich träumte indessen, doch mein Traum war eine Art von Extase. Fräulein Obinska hatte mich magnetisirt mit ihren großen, offenen Augen und ihrer schweigsamen Unbeweglichkeit!

»Ich würde indessen lügen, sagte ich Ihnen, ich habe gar nicht geschlafen; ich muß das Bewußtsein verloren haben, da ich erwachend auf einem Stuhle neben mir, beim Scheine einer Nachtlampe, Kleider sah, welche, ich gestehe es, viel schicklicher für das Klima des Landes, in dem ich mich befand, als die von mir aus Frankreich mitgebrachten.

»Ich stand auf, ging gerade auf die Kleider zu und zog sie an, ohne einen Augenblick zu verlieren. Ich vermöchte Ihnen nicht zu sagen, wie stolz und schön ich mich vor dem Spiegel meines Zimmers fand. Ein Rock von der Form derjenigen, welche man seitdem in Frankreich getragen, und denen man den Namen Polonaisen gegeben, eine veilchenblaue Sammethose, Stiefel mit silbernen Sporen, ein reizender Hut mit einer Rundschnur bildeten die Hauptgegenstände meines Anzugs. Ich fand überdies an der Wand über dem Fauteuil, auf das man meine Kleider gelegt hatte, hängend einen Hirschfänger mit einem Griffe von geschnitztem Elfenbein und eine Jagdpeitsche, kurz das ganze Geräth eines reichen Edelmannes. Unter diesem Costume fühlte ich mich der ganzen Erde gleich, und ich hätte gern mit Voltaire, trotz des Hasses, den ich gegen ihn hege, ausgerufen:

 

Ce n'est pas la naissance, C'est le oostume seul qui fait 1a différence.18

»Während ich vor meiner so verschönerten Person in Entzücken gerieth, verlief die Stunde, und ein Piqueur benachrichtete mich, die junge Prinzessin sei hinabgegangen und erwarte mich.

»Wir waren am Anfange des März; es hatte fünf Uhr Morgens geschlagen; die Erde sprang auf unter den letzten Frösten; nirgends eine andere Helle, als der Reflex des Schnees. Dieses blaßblaue Licht so sanft wie eine Dämmerung erlosch am Horizont in den Krümmungen der Berge, hinter denen man aus gewissen rosenfarbigen Dunststreifen die zukünftige Erscheinung der Sonne errieth.

»Dies war das Gemälde, das mir in die Augen fiel, während ich rasch die breite Treppe hinabstieg, durch deren Fenster man die Ebene erblickte.

»Unten an der großen Treppe befand ich mich im Ehrenhofe.

»Fräulein Obinska saß, wie man mir gemeldet hatte, schon zu Pferde und erwartete mich; ich sah Anfangs, unter den Fackeln, nur die schwarze Silhouette ihres Rosses und die Hermelinjacke, welche sie angezogen, um die freie Bewegung ihrer Hände zu haben, ohne unter der Kälte zu leiden.

»Ich ging von einem Erstaunen zum andern über, verzweifelnd, ob ich je die klare Einsicht der Dinge, die mir begegneten, erreichen werde; diese seltsame Theorie des Vaters durch die Tochter verwirklicht, diese reizende, zarte, schwächliche Frau vor Tag ausgestanden und bereit zur Leibesübung, während ich, ein Mann, noch schlief, war Alles dies, selbst in Polen, nicht wunderbar und sogar unglaublich?«

»Bei meiner Treue, ja!« erwiederte Danton, »und noch viel unglaublicher und wunderbarer wird es sein, Sie zu Pferde zu sehen.«

»Warten Sie,« sagte Marat, »wir kommen hierzu.«

»Ich halte Ihnen den Steigbügel,« versetzte Danton, »vorwärts!«

»Nachdem ich die Prinzessin und die Fackeln, und Alles, was mich umgab, angeschaut hatte, erblickte ich endlich das für mich bestimmte Pferd . . .«

»Ah! ah! die Beschreibung des Pferdes!«

»Es war ein schöner Renner der Ukraine mit spindelförmigen Beinen, mit verständigem Kopfe, mit ungeheurer Mähne. Er scharrte mit dem rechten Fuße den Sand des Hofes, und als ich mich ihm näherte, hörte er auf zu stampfen und schaute mich von der Seite an als ein Thier von Geist, das wissen will, mit was für einem Reiter es werde zu thun haben . . .«

Danton lachte.

»Man konnte glauben,« fuhr Marat fort, »seine Forschung habe den Renner befriedigt, denn er fing wieder an zu scharren und schien so ein Verlangen zu bezeigen, die Promenade unter meiner Leitung zu machen. Ich schaute ihn ebenfalls an, wie man einen Gegner anschaut, dem man mißtraut, und schwang mich in den Sattel.«

»Oh! mein Gott!« rief Danton mit einem Ausdrucke der Enttäuschung, der einem Schrecken glich, »sollten Sie zufällig Reiter sein?«

»Reiter ist nicht das rechte Wort; doch in Boudry, wo ich geboren bin, war ich oft als Gassenjunge auf den Pferden der Postillons geritten, welche leer zurückkamen.«

»Ah! gut! das raubt mir mein ganzes Vergnügen; ich hoffte Sie beim ersten Trabe fallen zu sehen.«

»Geduld! Geduld, Freund!« erwiederte Marat mit seinem bitteren Lächeln; »ich bin im Begriffe, abzugehen, doch ich bin noch nicht zurückgekehrt.«

»Gehen Sie, gehen Sie, ich folge Ihnen.«

»Ich bestieg also das Kosakenpferd,« fuhr Marat fort, »und ging, ohne daß die Prinzessin ein Wort gesprochen, in ihrem Gefolge ab, denn sie war mit ihrem herrlichen Rappen vorausgeritten.«

»Und Sie waren allein?«

»Nein, der Piqueur, der mir gemeldet hatte, es sei Zeit, aufzubrechen, und die Prinzessin erwarte mich, folgte auf dreißig Schritte, seine Büchse an seinem Schulterriemen tragend; doch es waren nicht fünf Minuten verlaufen, als mein Pferd, um an mir das durch den schiefen Blick, welchen ich an seinem Orte einregistrirt habe, angefangene.Studium zu vollenden, statt seinen Weg fortzusetzen, in der Richtung des Stalles umzukehren beschloß.«

»Ah!« rief Danton, »das ist ein sehr unverschämter Beschluß bei einem solchen Reiter.«

»Ich wollte mich demselben auch widersetzen; es schlug aus: ich glaubte, es sei der Augenblick gekommen, die schöne Peitsche zu benützen, die ich in meinem Zimmer gefunden; ich gab meinem Bukephalos einen kräftigen Hieb, den er nicht sobald empfangen, als er mich mittelst eines Seitensprunges auf zehn Schritte, den Kopf voran, in den Schnee schleuderte.«

»Vortrefflich!«

»Das ist ein herrliches Land für die Equitation, dieses Polen, besonders im Winter! Ich drang drei Fuß tief in diese Eiswatte ein; das war Bescheidenheit von meiner Seite: ich hätte fünf Fuß tief eindringen können, ohne den unten liegenden Flechten den geringsten Schaden zu thun.«

Danton lachte aus Leibeskräften.

»Ho! ho!« sagte er, »das ist ein Debut, welches im Stande, den Roman zu compromittiren. Sie haben keine Idee, wie sehr mich das ergötzt; ich bin nun ganz vom Wege abgebracht, und Sie können mir erzählen, was Ihnen beliebt. Teufel! ich befürchtete einen Augenblick sehr, Sie haben Ihr Pferd gebändigt und sogar das Leben Fräulein Obinska gerettet, deren mächtiger Rappe nach dem Beispiele Ihres Thieres ausgerissen . . . Gott sei gelobt, nichts von Allem dem existirt.«

»Oh! seien Sie ohne Furcht! die Geschichte, , welche ich erzähle, gehört zu denjenigen, die ihre Resultate können vorhersehen lassen, die aber, dafür stehe ich Ihnen, die Einzelheiten nicht errathen lassen. Fräulein Obinska, als sie sah, daß ich abgeworfen worden war, hielt an, wandte sich anmuthig auf dem Sattel um und betrachtete mich.

»Ich zitterte, während ich mich aus dem Schneehaufen losmachte, ihr Gelächter zu hören, und ich säuberte mich, so gut ich konnte; doch die Prinzessin lachte durchaus nicht; ihr Gesicht war dasselbe, wie ich es seit dem vorhergehenden Abend gesehen, das heißt kalt und unempfindlich.

»»Sie wird mich wenigstens fragen, ob ich mir wehe gethan,«« dachte ich, indem ich wieder aufstieg, wobei der Piqueur gefälliger Weise das Gebiß meines Pferdes hielt.

»Ich täuschte mich: Cäcilie öffnete nicht den Mund; durch dieses Stillschweigen erfolgte, daß ich meinen Weg ziemlich verdrießlich fortsetzte; die Prinzessin ritt aber weder schneller, noch langsamer.

»Nach zehn weiteren Minuten wählte mein Pferd das, wie es scheint, neuen Anlaß zur Klage gegen mich bekommen hatte, eine trockene, geschlagene Chaussee eingefaßt mit Steinen, auf die es mich schleuderte, wie das erste Mal, doch mit sehr verschiedenem Glücke.

»Bei diesem Falle fand ich, statt des weichen Eiderdunenbettes, das die Natur für mich ausgebreitet zu haben schien, ein hartes Granitlager, so daß mein Kopf und meine Schulter geschunden wurden, und daß einige Blutstropfen auf meinen Haaren zum Vorscheine kamen.

»Cäcilie war kaum zehn Schritte von mir entfernt, als mir dieser Unfall begegnete. Der Tag brach an; – in diesem Lande ist er, wie Sie wissen, von der Morgenröthe voll; – sie sah den Diener mich aufheben, sie sah mein Gesicht erbleichen, sie sah mein Taschentuch sich röthen, und gab kein Zeichen einer Gemüthsbewegung von sich.

»Ich war gereizt; überdies litt ich; um ihr ihre Unmenschlichkeit fühlbar zu machen, übertrieb ich mein Ungemach. Ich trocknete also lange meine Haare ab, so daß ich mein ganzes Taschentuch mit Blut befleckte.

»Ich wollte sehen, wie weit die Härte ihres jungen Herzens ginge, das todt und eiskalt zu sein schien, wie die eiskalte, todte Natur, die sie umgab.

»Sie war vielleicht stumm?« fragte Danton.

»Nein, denn ihre Lippen öffneten sich, ihre Zähne thaten sich aus einander, und es fielen von ihren Lippen die zwei lateinischen Worte:

»»Prave equitas!««

»Du reitest schlecht!« rief Danton: »Das war das Ganze?«

»Ja.«

»Oh! das hübsche Sarmatenherzchen!«

»Nicht wahr? Ich wäre vor Zorn beinahe rasend geworden: mit einer Hand ergriff ich die Mähne des widerspenstigen Pferdes, mit der andern hob ich meine Peitsche auf.

17Das Wortspiel mit maitre, Lehrer oder Herr, läßt sich nicht übersetzen.
18Nicht die Geburt, die Kleidung allein macht den Unterschied.