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»»Wann?«« fragte ich mit Bangigkeit.

»»Ei! sogleich.««

»»Sogleich? Sie sind verrückt! ich kann mich nicht rühren.««

»»In diesem Falle,«« sprach phlegmatisch der redliche Freund, »»in diesem Falle will ich Ihnen die Hirnschale mit einem Pistolenschusse zerschmettern! Sie werden nicht mehr leiden, und ich werde außer Angst sein.««

»Zu gleicher Zeit streckte er die Hand gegen die am Kamine hängenden Pistolen aus.

»»Ei!«« sagte ich mit kläglichem Tone, »»warum haben Sie mich von der Knute gerettet, da Sie mich nun tödten wollen?««

»»Ich habe Sie gerettet,«« antwortete er, »»weil ich auf Ihre Energie hoffte; weil ich dachte, ich werde Sie noch am Abend auf die Beine bringen, Ihnen Ihre Gulden geben, und Sie aus dem Schlosse führen . . . bis vor die Thore von Warschau, wenn es sein müßte; da Sie sich aber selbst verlassen, da Sie, während Sie in größter Eile fliehen müßten, erklären, es sei Ihnen unmöglich, sich zu rühren; da Sie endlich, wenn Sie hier bleiben, mich mit sich ins Verderben stürzen, so ist es besser, daß Sie allein zu Grunde gehen.««

»Diese Worte, und die entschlossene Geberde, die ihnen vorangegangen war, bestimmten mich völlig; ich stand auf; ich stieß keinen Schrei mehr aus, trotz entsetzlicher Leiden; was mich von der Wahrheit des Spruches von Gallienus: Malo pejore minus deletur, überzeugte.«

»Armer Teufel!« sagte Danton, »mir ist, als sähe ich Sie.«

»Oh! Sie haben Recht, armer Teufel! Ich zog einen Mantel über mein von Blut feuchtes Hemd an; der Piqueur steckte meine Börse in meine Tasche, führte mich an der Hand fort und brachte mich in die Stadt auf den abgelegensten Wegen, die er nehmen konnte. Jeder Schritt, den ich machte, riß mir die Seele aus. Ich hörte zehn Uhr im Palais Czartoryski schlagen, und mein Führer sagte mir, er werde mich nun verlassen, da ich keine Gefahr mehr laufe; um zehn Uhr seien die Straßen verödet, und wenn ich ganz gerade der Straße folge, in der wir uns befanden, so werde ich nach fünf Minuten außerhalb der Stadt sein. «

»Ich dankte ihm, wie man einem Lebensretter dankt. Ich bot ihm an, meine vierhundert Gulden mit mir zu theilen; er schlug es aus und erwiederte, ich habe nicht zu viel, um Frankreich zu erreichen; was er so rasch als möglich zu thun mich aufforderte.

»Der Rath war gut; ich verlangte auch nichts Anderes, als ihn zu befolgen. Zum Unglücke hing der Wunsch allein von mir ab; doch die Ausführung hing vom Zufalle ab.«

XVI
Wie sich die Abenteuer von Marat mit denen eines Königs vermengt finden

»Mein Plan, oder vielmehr der des wackern Mannes, welcher mich gerettet hatte, war ganz gemacht. Obgleich er mich zu fliehen antrieb, hatte der Piqueur doch eingesehen, daß ich, verwundet, wie ich war, nicht unmittelbar fliehen konnte. Und er hatte mir eine Rast zugedacht.

»Sobald ich aus der Stadt wäre, sollte ich eine Meile von da, bei einem von seinen Schwägern, einem Köhler seines Standes, wohnen, der mich nur bei Nennung des Namens Michael aufnehmen würde. – Michael, ich habe vergessen, Ihnen dies zu sagen, so hieß der Piqueur. – Hier, mitten im Walde verborgen, sollte ich mich wiederherstellen und unfindbar bleiben bis zu dem Augenblicke, wo ich mich stark genug, suhlte, um Preußen oder Flandern zu erreichen, oder, besser noch, um mich in Danzig einzuschiffen und nach England zu reisen.

»Wer jenes Etwas, das das Geschick der Menschen leitet, war in dieser Nacht beschäftigt, meine Pläne und die von vielen Anderen zu verrücken; dies sei beiläufig gesagt, damit Sie mich nicht der Abgeschmacktheit beschuldigen.

»Wir waren, wie Sie schon wissen, an einem Sonntage, – einem Sonntage des Septembers, dem ersten; das heißt am 3. September 1771.«

Marat hielt inne und schaute Danton an.

»Nun?« fragte dieser.

»Nun, erinnert Sie dieses Datum an nichts?«

»Bei meiner Treue! nein!« erwiederte Danton.

»Mich erinnert es sehr, und ganz Polen zugleich mit mir.«

Danton suchte, aber vergebens.

»Ah!« sagte Marat, »ich sehe Wohl, daß ich Ihnen zu Hilfe kommen muß.«

»Kommen Sie, ich bin nicht stolz.«

»Sie, der Sie so viele Dinge wissen,« fuhr der Erzähler mit einer leichten Färbung von Ironie fort, »Sie wissen ohne Zweifel, daß der König Stanislaus zu politischen Feinden alle Dissidenten der griechischen Kirche, die Lutheraner und die Calvinisten hatte, deren Rechte auf eine freie Uebung ihres Cultus durch die Conferenzen in Kadan im Jahre 1768 anerkannt worden waren?«

»Ich gestehe, daß ich mich wenig um die Religion bekümmert habe, aus dem Gesichtspunkte des Auslands besonders, da mir diese Fragen nicht sehr interessant für Frankreich zu sein schienen.«

»Das ist möglich; doch Sie werden bald sehen, wie interessant sie für einen Franzosen waren,« erwiederte Marat.

»Ich höre.«

»König Stanislaus hatte also die Rechte der Dissidenten anerkannt; doch kaum waren diese Heresiarchen im Genusse der freien Uebung ihrer Religion, als gewisse ultrakatholische Bischöfe und der Adel mit diesen Bischöfen in Podolien ein Bündniß bildeten, um die religiösen Freiheiten zu vernichten, und da Stanislaus, ein redlicher Mann und ein edelmüthiger König, an seinem Worte hielt und den Dissidenten ruhig im Schatten des Thrones zu leben erlaubte, so zettelten die Conföderirten von Podolien gegen diesen Fürsten eine kleine Verschwörung an.«

»Ei! das gleicht sehr dem, was Heinrich IV. begegnete.«

»Ja, abgesehen von der Entwickelung . . . Ich sage also, daß die Bischöfe Soltyk von Krakau und Massalsky von Wilna in Bar gegen den toleranten König conspirirten, und die Verschwörung war folgender Art.«

»Ich höre, um das insurrectionelle Verfahren der Herren Polen zu beurtheilen.«

»Oh! der Plan war einfach, fast naiv: es wurde beschlossen, Stanislaus sollte aus Warschau entführt und sequestirt werden, bis er sich zu bessern versprochen hätte. Im Falle, daß man ihn nicht lebendig entführen könnte, sollte man ihn todt wegbringen, was beinahe auf Eins herauskäme und, nach der Behauptung Einiger, noch sicherer wäre.«

»Wahrhaftig,« sagte Danton, »für Franzosen des Nordens, wie man diese Herren nennt, war das beinahe eben so galant, als bei den Türken!«

»Es mag sein . . . mir gleichviel! Doch beurtheilen Sie die Fatalität: diese Leute waren zu vierzig versammelt und hatten drei Chefs ernannt; sie wählten, um die Entführung zu vollbringen, gerade den ersten Sonntag vom September, den dritten Tag des Monats, denselben, an welchem der Herr Obinsky sich, – er glaubte es wenigstens, – die Befriedigung gegeben hatte, mich unter der Knute sterben zu lassen.

»Es war verabredet, daß, da an diesem Tage der König beim Fürsten Czartoryski speisen würde, die Verschworenen ihn angreifen sollten, sobald sein Wagen in die große öde Straße, wo ich mich befand, gelangt wäre. Man geht in Warschau frühzeitig zu Bette, am Sonntag besonders. Der König fuhr von seinem Wirthe um zehn Uhr weg; er hatte eine kleine Escorte, und ein Adjutant war bei ihm in seinem Wagen.

»Die Verschworenen, alle zu Pferde, lagen im Hinterhalte in einem Gäßchen, durch das der König nothwendig, passieren mußte, um die große Straße zu erreichen.

»Kennen Sie die Einzelheiten oder nur das Factum dieser Entführung?«

»Ich kenne das Factum, nicht mehr.«

»Da ich das Opfer zugleich des Factums und der Einzelheiten war, so will ich Ihnen diese erzählen; doch seien Sie unbesorgt, das wird ungefähr eine Zeit brauchen der gleich, welche es brauchte, daß sie in Erfüllung gingen.

»Die Ungeduld der Verschworenen erlaubte diesen nicht, zu warten, bis der König die große Straße erreicht hatte; überdies war das Gäßchen günstiger für einen Hinterhalt. Sie fingen damit an, daß sie ein Rottenfeuer mit ihren Pistolen auf den Wagen eröffneten; bei diesem Debut zerstreute sich die Escorte, und der Adjutant Machte sich durch den Wagenschlag aus dem Staube. Ein Heiduck allein, der einen Platz auf dem Sitze des Kutschers hatte, hielt Stand, widersetzte sich den Angreifenden und ließ sich von einer Menge von Kugeln durchbohren. Das war der einzige Vertheidiger des Königs; der Kampf währte auch nicht lange.

»Die Verschworenen stürzten sich auf den Wagen, ergriffen Stanislaus in dem Augenblicke, wo er zu fliehen suchte, wie es sein Adjutant gethan hatte, zogen ihn an den Haaren und an den Kleidern im Galopp ihrer Pferde fort, brachten ihm zuerst eine tiefe Wunde am Kopfe durch einen Säbelhieb bei, verbrannten ihm das Gesicht durch einen Pistolenschuß und schleppten ihn am Ende aus der Stadt.

»Was der arme Fürst litt, bildete den Stoff eines langen Gedichtes, das man in Polen singt, wie man einst die Odyssee in Griechenland sang, wie man das Befreite Jerusalem in Venedig sang, wie man heute noch den Orlando Furioso in Neapel fingt. In dieser Odyssee, die man in Polen fingt, kommen Einzelheiten vor, welche Sie vor Entsetzen würden schaudern machen. Sie würden sehen, daß Stanislaus seinen Pelz, seinen Hut, seine Schuhe und eine Börse von Haaren verlor, an der ihm mehr lag, als an dem Gelde, das darin war; daß er zehnmal vor Entkräftung fast umkam, zehnmal die Pferde wechselte, zehnmal den Befehl erhielt, sich zum Tode vorzubereiten, und daß sich alle seine Entführer einer um den andern wie Gespenster zerstreuten, den Anführer ausgenommen, der zuletzt allein bei seinem Gefangenen blieb; er kräftig, unversehrt, bewaffnet wie ein Arsenal; der Gefangene verwundet, erschöpft, in Verzweiflung.

»Dann, in dem Augenblicke, wo es der Gefangene am wenigsten erwartete, wo ein schneller Tod der Gegenstand seines sehnsüchtigsten Wunsches war, beugte der Anführer der Empörer plötzlich ein Knie vor dem König, bat sein Opfer um Verzeihung, und ließ sich am Ende von demjenigen beschützen, welcher nur Gott allein zum Beschützer zu haben glaubte . . . Alles dies dürfte Ihnen aber eine Abschweifung scheinen, mein lieber Danton; ich komme also auf mich zurück. Richten Sie die Augen wieder auf den Ort, wo Sie Ihren Diener gelassen haben; ich trenne mich vom wackeren Michael, das Blut fließt immer aus meiner Wunde, der Schweiß überströmt mich mit dem Blute, der Schwindel macht Bäume und Häuser vor mir wirbeln, ich kenne mich nicht mehr; ich schwanke und rolle rechts und links wie ein Trunkener; im Grunde von Allem dem existiert der Instinct des Lebens immer noch, und mit diesem Reste von Kraft versuche ich es, dem Wege zu folgen, der mir bezeichnet worden ist.

 

»Plötzlich höre ich das Knallen von Feuergewehren in dem Gäßchen, das ich zu meiner Linken gelassen hatte; ich höre Geschrei der Drohung mit Schreckensschreien vermischt! Ueberdies hatte ich das Geräusch eines Wagens gehört: das beunruhigte mich, denn wenn ich in der Mitte blieb, konnte mich der Wagen zerquetschen; doch beim Lärmen der Schüsse hält er an, und die Pferde stampfen. Was ist das?

»Erschrocken orientiere ich mich, indem ich horche. Was das war, wissen Sie schon, denn ich habe es Ihnen so eben gesagt; es sind die Leute des Königs, die mit verhängten Zügeln in allen Richtungen davonjagen. Zwei oder drei von ihnen wählen die Straße, der ich folge; Einer derselben streift mich im Vorüberreiten, und der Wind feines Laufes ist beinahe genügend, um mich niederzuwerfen. Dann fährt der Wagen unter der Escorte von dreiundvierzig Verschworenen weiter; Wagen und Verschwörer erscheinen am Ende der Straße, wo ich war, und stürmen über mich hin wie ein Orkan, der mich zu Boden wirft; die Pferde springen, ich weiß nicht wie, über mich, ohne mich zu berühren; und derjenige, welcher mich mit den Füßen tritt, ist der arme König Stanislaus, den man fortschleppt! Die Pferde, der Wagen, in den man den Gefangenen hat einsteigen lassen, die Verschwörer mit dem bloßen, durch die Nacht funkelnden Säbel, Alles verschwindet sodann in der Ferne, und ich bleibe auf dem Boden ausgestreckt, nicht mehr athmend, nicht begreifend, und mich aufs Gerathewohl dem heiligen Paulus, meinem Patron, empfehlend, daß er mich aus diesem neuen Unglücke herausziehe.

»Nach Verlauf von fünf Minuten vollkommene Stille, tiefe Nacht, nichts mehr am Horizont, Alles ist verschwunden wie ein Rauch; nur einige Fenster um mich her, die man bei dem Lärmen des wüthenden Galopps geöffnet hat, und die sich ziemlich gleichgültig wieder schließen.

»Die Einwohner von Warschau verzeihen leicht einen Soldatenstreit am Sonntag: der Tumult hat für einen Streit gegolten. Ich, ein armer Verstümmelter, bleibe unbeweglich, zu schwach oder vielmehr zu sehr erschrocken, um es zu versuchen, auszustehen. Alles, was ich verlange, ist, es möge Niemand so neugierig sein, in die Straße zu schauen, es möge Niemand so barmherzig sein, mir Hilfe zu bringen.

»So vergeht eine halbe Stunde, während welcher alle meine Sinne, fast vernichtet durch die vergangene Gefahr, allmälig wieder erwachen und die zukünftige Gefahr zu ahnen anfangen. Während dieser halben Stunde hat die Kühle meine Kräfte wiederbelebt; die Muskeln spannen sich an, die Ideen kehren schärfer in mein Gehirn zurück. Ich erhebe mich und versuche es, die Wanderung wieder zu beginnen. In dem Augenblicke, wo ich mich auf mein Knie stütze, wo ich mich auf eine Hand aufrichte, erscheint eine Fackel am Ende der Straße; es folgen ihr drei, fünf, zwanzig Fackeln! Ein Schwarm von Officieren eilt, sich befragend, unmittelbar hinter zwei Dienern des Königs her; diese hastigen, vor Angst bleichen Leute stoßen sich an dem Leichname des Heiducken, der noch seinen blutigen Säbel in der Hand hält.

»Dann bleibt der ganze Schwarm stehen, commentirt und deliberirt über diesen Leichnam.

»Da jeder Leichnam eine Trauerrede haben will, so riefen zwanzig Stimmen:

»»Es ist ein Braver! – Er hat seinen Fürsten vertheidigt! – Er hat einen Feind getödtet! – Er hat zehn Kugeln bekommen!««

»Und Jeder schaut den durchlöcherten Körper an, untersucht die geröthete Klinge und wiederholt im Chor, wie es die Soldaten von Odin beim Leichenbegängnisse ihres Anführers thun: »»Es ist ein Braver! es ist ein Braver!««'

»Man verliert zehn Minuten mit dieser Lobeserhebung; während dieser zehn Minuten ist es mir gelungen, hundert Schritte zu machen, und da bei mir die Kräfte mit der Nothwendigkeit, sie wiederzufinden, zurückkehren, so werde ich in weiteren zehn Minuten außer der Stadt sein und mich gegen rechts oder gegen links über das Feld wenden können.

»Plötzlich ruft eine Stimme:

»»Sie sind offenbar dieser Straße gefolgt und durch jenes Thor abgegangen. Eilen wir nach dem Thore; sind wir einmal auf dem Wege, so werden wir die Spur der Pferde finden, sie verfolgen und diese Räuber erreichen.««

»Sogleich stürzen sie fort, die ganze Straße einnehmend, wie Fischer, die ein Sägnetz schleppen; nach hundert Schritten treffen sie mich, sie halten mich für einen Flüchtling und strecken die Arme mit gewaltigem Geschrei gegen mich aus.

»Ich fiel vor Schrecken in Ohnmacht.

»Als ich wieder zu mir kam, – was nicht lange anstand, – stritt man über mich und um mich.

»Fragen und Erklärungen kreuzten sich.

»»Wer ist dieser da? ist er todt? – Nein, er ist ohne Zweifel nur verwundet . . . Es ist kein Mann vom Fürsten . . . Kennt man ihn? – Ich nicht! ich nicht! Niemand! – Dann ist es ein Fremder, einer von den Mördern des Königs wahrscheinlich, derjenige vielleicht, den der brave Heiduck verwundet hat. Athmet er noch? – Ja . . . nein . . . doch . . . So tödten wir ihn! hauen wir ihn in Stücke!««

»Und man schickte sich an, zu thun, wie man gesagt hatte. Einer von den Officieren hob seinen Säbel empor.

»»Sta!«« rief ich.

»Ich hatte während dieser paar Secunden überlegt: die Wunde, die mir den Rücken durchfurchte und meine Knochen bloßlegte, glich so ziemlich dem Eindrucke eines Wagenrades.

»»Ich bin kein Mörder,«« fuhr ich immer lateinisch fort; »»ich bin ein armer Student; die Entführer des Königs haben mich umzingelt, niedergeworfen, mit Füßen getreten, und der Wagen Seiner Erhabenen Majestät hat mir die Ehre erwiesen, mir über den Leib zu fahren.««

»Das war im Ganzen genommen möglich; es genügte auch, um mir einen Augenblick Frist zu geben.

»»Meine Herren,«« sprach einer der Officiere des Königs, »»was dieser Mensch da sagt, ist nicht wahrscheinlich, und ich behaupte, daß wir es mit einem der Mörder des Königs zu thun haben; doch desto besser, wenn es sich so verhält; die Vorsehung gestattet, daß er noch lebt und nicht tödtlich verwundet scheint; behalten wir ihn, er wird sprechen, und weigert er sich, zu sprechen, so wird man Mittel finden, ihm die Zunge zu lösen.««

»Die Motion wurde mit Enthusiasmus aufgenommen; fortan, da man mich hatte, da man darauf rechnete, man werde durch mich Auskunft erhalten, glaubte sich Niemand mehr verpflichtet, weiter zu gehen. Eine Stimme rief: »»Nach dem Palaste!«« Alle Stimmen wiederholten: »»Nach dem Palaste!««

»Man nahm mich zu vieren, man trug mich fort, nicht aus Mitleid, sondern ohne Zweifel, weil man bange hatte, zu Fuße gehend werde ich entfliehen.

»Fünf Minuten nachher zog ich im Triumphe in den Palast ein, escortirt von fünfhundert Personen, welche, trotz der vorgerückten Stunde, durchaus hatten wissen wollen, wer der Bandit sei, der die ganze Stadt in Aufruhr bringe. – Was denken Sie hiervon, Danton? ist das ein Abenteuer? Lassen Sie ein wenig Ihre Ansicht hören.«

»Bei meiner Treue!« erwiederte Danton, »Sie haben ein wunderbares Assortiment von Umständen vor mir entrollt! Sie sind prädestinirt, mein lieber Herr Marat . . . Doch ich bitte, fahren Sie fort; ich weiß nicht, ob die Abenteuer des jungen Potocky belustigend sind, daß sie mich aber unendlich interessieren, das weiß ich.«

»Ich glaube es bei Gott wohl!« sagte Marat; »und wäre es anders, so erkläre ich, als Held des Abenteuers, Sie müßten sehr ekel sein, und, ich würde darauf verzichten, Sie zu befriedigen!«

XVII
Wie Marat, nachdem er Bekanntschaft mit den Officieren des Königs von Polen gemacht, mit den Kerkermeistern der Kaiserin von Rußland Bekanntschaft machte

Marat fuhr fort:

»Ich sagte Ihnen, wie ich glaube, Stanislaus habe dem Anführer der Verschwörer, der ihn um Vergebung angefleht, verziehen.«

»Und ich glaube, der König that wohl daran, bemerkte Danton, »denn würde er ihm nicht verziehen haben, so hätte die Verzweiflung, in Ungnade zu sein, diesen Menschen antreiben können, das erhabene Haupt von Stanislaus, das schon aufgehauen war, vollends zu spalten.«

»Sie haben wahrlich Recht,« erwiederte Marat, »und Sie lassen mich die Milde Seiner Majestät unter einem neuen Anblicke betrachten . . . Kurz, man verzieh ihm; was die andern Chefs betrifft, so habe ich seitdem erfahren, daß sie von den Russen gefangen genommen und enthauptet wurden, und zwar ohne Urtheil, ohne Aufschub, wahrscheinlich aus Furcht, sie könnten zu freimüthig von der Intention Ihrer Majestät der Kaiserin Katharina II. hinsichtlich ihres lieben Vasallen des Königs von Polen sprechen.

»Meine Verhöre dauerten fort; ich blieb bei meiner ersten Aussage, die man als Halsstarrigkeit behandelte; endlich entdeckten durch diese Halsstarrigkeit meine Richter, welche sehr hellsehende Leute waren, ich sei sicherlich keines der Häupter des Complottes, sondern einfach ein untergeordneter Verschworener.«

»Und Sie protestierten nicht?« fragte Danton.

»Ich finde Sie abermals spaßhaft! Das hätten Sie gethan? Ei! um zu protestiren, mein Theuerster, mußte ich sagen, wer ich war; ich mußte in Betreff meiner das Gedächtniß vom Herrn Grafen Obinsky und von Fräulein Obinska auffrischen. Stanislaus, der einem der vornehmsten Häupter der Conspiration verziehen hatte, konnte mild gegen einen subalternen Verschworenen meiner Art sein, das war eine Chance doch mild, der Herr Graf Obinsky? doch mild, Fräulein Obinska? nie.

»Und zum Beweise, wie ich hundertmal Recht hatte, dient, daß ich verurtheilt wurde, lebenslänglich an den Festungswerken von Kaminiec zu arbeiten, und daß der erhabene Souverain nicht mehr verlangte.«

»Sie wurden sodann gerettet?«

»Das heißt, ich wurde ins Zuchtgefängniß geschickt. Nennen Sie das gerettet werden, – gut, ich wurde gerettet, ich ziehe es nicht in Abrede. Ich ging nach meinem Bestimmungsorte ab; unglücklicher oder glücklicher Weise war ich kaum in Kaminiec angekommen, als die Pest, welche, wie es scheint, nur auf mich wartete, auch dort ankam! Ich war beinahe geheilt von meinen Knutenhieben, oder von meinem Wagenrade, wie Sie wollen; die Beaufsichtigung war schlaff; ich fand eine leichte Gelegenheit, zu Ihrer Majestät der Kaiserin aller Reussen zu entfliehen . . . und ich entfloh.

»Rußland war nach dem, was ich darüber von Wundern hatte erzählen hören, seit langer Zeit mein Eldorado, und wäre ich nicht in Polen durch die freundlichen Anerbietungen des Grafen Obinsky zurückgehalten worden, so beabsichtigte ich von Anfang an, mich nach den Staaten der Semiramis des Nordens zu begeben, wie sie der Verfasser der Henriade nannte.

»»Dort,«« sagte ich mir, »»werden die Gelehrten geehrt. Herr Diderot empfängt alle Tage Artigkeiten von der Kaiserin, Herr de la Harpe steht im Briefwechsel mit ihr, Herr von Voltaire braucht nur zu wünschen, daß sie ihm Diamanten und Bibliotheken schickt; ich, der ich bescheiden bin, werde mich mit einer kleinen Pension von achtzehnhundert Livres begnügen.«« Sie wissen, daß dies meine Zahl war.«

»Und Sie erhielten Ihre Pension?« fragte Danton.

»Sie werden es sehen . . . Ich hatte kaum das russische Gebiet betreten, da verhaftete man mich als Spion.« «

»Gut!« rief Danton; »doch diesmal erklärten Sie sich hoffentlich?«

»Teufel! ich glaube wohl! Da ich wußte, daß die Entführung des Königs ein von der russischen Regierung angezettelter Streich war, und durchaus nichts von der Enthauptung der zweiundvierzig polnischen Chefs wußte, so erzählte ich mit allen möglichen Einzelheiten, ich habe die Ehre gehabt, an der Entführung von König Stanislaus Theil zu nehmen.

»»Es unterliegt keinem Zweifel,«« sagte ich mir, »»daß die russischen Behörden, nach einer solchen Erzählung Triumphbogen zu meinem Einzuge in Petersburg errichten.««

»Das heißt mächtig schließen!« rief Danton, in ein Gelächter ausbrechend. »Gut! ich sehe vorher, was geschehen wird: sie wurden festgenommen und ins Gefängniß geführt.«

»Vortrefflich! Der Officier, der mich verhörte, war ein Provinz-Untergouverneur; er spitzte das Ohr beim Namen Stanislaus, schaute mich schief an, und da man in diesem Augenblicke in Rußland die Polen wie die Pest fürchtete, und die Pest wie die Polen, so expedirte mich der Gouverneur sogleich in eine Festung, deren Namen er ganz leise sagte, damit ich nicht einmal den Namen der Festung kenne, in welche er mich schickte, und die mitten in einem Flusse genannt ich weiß nicht wie lag.«

 

»Ah! ist das möglich?« rief Danton.

»Das ist unwahrscheinlich, ich weiß es wohl,« erwiederte Marat, »und dennoch ist es wahr; Sie wissen, es gibt hierüber einen Vers von Boileau . . . Ich hatte seitdem allen Grund, zu denken, dieser Fluß sei die Düna gewesen, und diese Festung Dünaburg; doch ich vermöchte nicht dafür zustehen. Versichern kann ich nur, zum Beispiel, daß ich hier in einen Kerker ungefähr auf dem Niveau des Flusses kam, ferner; daß, wie die Pest nur meine Ankunft in Kaminiec abwartete, um dort einen Besuch zu machen, der Fluß nur meine Einführung in den Kerker erwartete, um auszutreten. Dem zu Folge begann mein Keller sich zu füllen und in acht Tagen stieg das Wasser von zwei Zoll auf drei Fuß.«

»Armer Marat!« sagte Danton, der zu begreifen anfing, die schlimmsten Leiden von Marat seien ihm noch nicht erzählt.

»Mein Rücken,« fuhr Marat fort, ohne beim Mitleid von Danton zu verweilen, »mein Rücken, eine schlecht vernarbte Wunde, öffnete sich der Feuchtigkeit; meine Beine erstarrten zu Eis in diesem fortwährenden Bade, und wurden, von gerade, wie sie waren, verkrümmt; zuvor ganz frei, beugten sich meine Schultern unter dem scharfen Drucke des Schmerzes! In dieser Höhle sind meine Augen erloschen, meine Zähne ausgefallen; meine Nase, die einen gewissen adlerartigen Adel hatte, hat sich gebogen, und alle Knochen meines Leibes sind ihrem Beispiele gefolgt; in dieser Höhle bin ich häßlich, leichenbleich, schmählich geworden; in dieser Höhle habe ich mich an die Finsterniß gewöhnt; seit jener Zeit fürchtet mein ängstliches Auge das Tageslicht; seit jener Zeit liebe ich die Keller, vorausgesetzt, daß sie nicht zu sehr unter Wasser gesetzt sind, weil ich darin nach meinem Belieben gegen die Menschen, gegen Gott blasphemirt habe, und Gott mich nicht zerschmettert hat, die Menschen mir nicht die Zunge durchstochen haben, wie dies, daß man es den Blasphemirern thue, der fromme König Ludwig IX. befohlen hatte; ich liebe endlich die Keller, weil ich aus diesem überzeugt von meiner Superiorität über den Menschen und über Gott hervorgegangen bin.

»Und nun die Moral von dem Allen:

»Ich bin böse geworden, weil mir die Strafe nicht dem Verbrechen angemessen geschienen hat; weil besonders diese Strafe nicht die logische Strafe des Verbrechens war; weil ich es natürlich gefunden hätte, wenn Herr Obinsky mich erdolchte oder unter der Knute sterben ließ; aber es albern, einfältig, brutal, ungeschickt finde, daß man mich in Folge dieses Verbrechens für einen der Mörder von Stanislaus, sodann für einen polnischen Spion gehalten hat, und es in der That eben so dumm, eben so unlogisch, eben so ungerecht ist, daß ich, gerettet nach so vielen Leiden, das heißt, nachdem ich meine Schuld bezahlt, die neue Strafe der Kälte, der Gefangenschaft, des Hungers und des Wassers in diesem Kerker des Gouverneurs, meines letzten Richters, ausgestanden habe. Ich bin also böse, Danton, ja, ich gestehe es, und wenn Sie mir sagen, Gott habe mich durch alle diese übertriebenen Strafen gezüchtigt, so werde ich Ihnen als einfacher Algebrist antworten:

»»Gut, stellen wir die Proportion: Gott hat mich strafen wollen, er hat mich aber auch böse machen wollen; meine Bestrafung hatte das Resultat, das er sich vorgesetzt, denn indem er mich böse machte, ist er die Ursache meines Verbrechens, und mein Verbrechen ist die Ursache meiner Strafe; die Strafen, die ich meine Feinde werde erdulden lassen, – werde ich einmal der Stärkere sein, wenn ich je der Stärkere bin, – er ist auch der Urquell davon.««

»Ist nun nicht ein großes Resultat im Grunde dieses Räthsels verborgen, trägt nicht das Privatübel auf eine unsichtbare Art zum allgemeinen Wohle bei, so gestehen Sie, daß die Hindus sehr Recht haben, wenn sie ein gutes und ein böses Princip annehmen und den oftmaligen Sieg des Bösen über das Gute zugeben.«

Danton beugte das Haupt vor diesem erschrecklichen Vernunftschlusse; er wußte aber noch nicht, wie weit die Ereignisse die Deduction der Consequenzen treiben würden.

Marat trank ein großes Glas Wasser, um die Galle niederzudrücken, welche so viele Erinnerungen aus seinem Herzen in seinen glühenden Schlund emporgehoben hatten.

»Alles dies sagt mir nicht,« sprach Danton, dem dieses Stillschweigen peinlich war, weil er nicht wußte, was er auf das Raisonnement, das er herbeigeführt, antworten sollte, »Alles dies sagt mir nicht, wie Sie, nachdem Sie der Knute des Henkers von Herm Obinsky, den Säbeln der Officiere von Stanislaus, den Festungswerken von Kaminiec und der Pest, welche diese ihretwegen besucht hatte, entkommen waren, den unterirdischen Seen des berufenen Gefängnisses entkamen, das Sie für die Festung Dünaburg halten, dessen Namen Sie mir aber nicht genau anzugeben vermöchten. Wenn Gott Sie manchmal ins Verderben stürzt, so gestehen Sie, daß er Sie immer rettet; wenn die Menschen Sie verfolgen, so gestehen Sie, daß sie Ihnen auch dienen. Ein Graf, ein Starost, der die hohe und die niedere Gerichtsbarkeit über sein Haus hat, verurtheilt Sie zum Tode: ein armer Piqueur, ein Dienstbote, ein Lackei, ein Sklave rettet sie; ein Gouverneur, der strenge Befehle in Betreff eines Ereignisses hat, von dem Sie sich selbst als Mitschuldigen anklagen, schickt Sie in einen Kerker, wo das Wasser eindringt, wo man nicht ohne zu sterben zu bleiben vermöchte; Sie werden darin krank, Sie verkrümmen darin, es mag sein; doch Sie sterben nicht dort, da Sie hier sind. Es ist also ein Mensch zu Ihrer Befreiung angeregt worden, wie ein Mensch zu Ihrer Einkerkerung angeregt worden war, das sehen Sie wohl; die Mildherzigkeit von Jenem gleicht die Grausamkeit von Diesem aus.«

»Ah! darin täuschen Sie sich, mein Lieber! Sie glauben, derjenige, welcher mich aus dem Gefängnisse gerettet, wie der arme Michael, der vielleicht seine gute Handlung mit dem Leben bezahlt hat, habe mich aus Mildherzigkeit gerettet? Ah! ja wohl, enttäuschen Sie sich: derjenige, welcher mich aus dem Gefängnis? erlöst, hat es aus Egoismus gethan.«

»Vielleicht,« erwiederte Danton. »Wie wollen Sie das wissen? Derjenige allein, welchen Sie leugnen, liest im Grunde der Herzen.«

»Gut! Sie werden sehen, ob ich mich irre. Ich hatte natürlich einen Gefangenwärter, der mir täglich eine magere Kost brachte; das war ein Bursche, welcher mit seiner ganzen Familie in einer Art von heißem Ofen wohnte und seine Bequemlichkeit ungemein liebte. Alles ging gut, so lange der Fluß in seinem Bette blieb; als aber die Ueberschwemmungen kamen, und dieser Mensch, um zu mir zu gelangen, genöthigt war, zuerst in meinem Sumpfe zu patschen und dann meinen See zu durchwaten, da stieß er, als Russe, eine Serie von progressiven Flüchen aus, welche im Stande gewesen wären, den Fluß zurückweichen zu machen, hätte der Fluß Wellen so furchtsam wie die gehabt, die beim Anblicke des von Neptun, um die Pferde von Hippolyt zu ängstigen, abgeschickten Ungeheuers erschraken! Der Fluß nahm keine Rücksicht auf die Flüche meines Kerkermeisters und stieg fortwährend, so daß es sich für den braven Mann bald nicht mehr darum handelte, die Füße naß zu machen, sondern er mußte ins Wasser bis an die Kniee und endlich bis an den halben Leib gehen.

»Hierauf verzichtete der Bursche; er erklärte dem Gouverneur, dieser Ort sei für Kerkermeister unbewohnbar; was die Gefangenen betreffe, so sei dies eine ganz geregelte Sache, da der Schlamm eine hinreichende Menge von Ratten und Aalen herbeiführe, um nicht nur einen Gefangenen, sondern sogar zehn Gefangene zu fressen.

»Man habe mich also nur Hungers sterben zu lassen; die Ratten und die Aale würden das Uebrige thun.

»Der Gouverneur antwortete nichts auf diese Klagen des Kerkermeisters, welcher mit großem Widerwillen sein Kaltwasserbad einmal des Tags zu nehmen fortfuhr.