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Marat zu Hause

Ein gelbes Sacktuch mit weißen Tüpfeln auf dem Kopfe, den Leib auf einen Tisch von schwarzem Holze geneigt, die Arme entblößt bis an den Ellenbogen, – Arme haarig und dürr wie der verhexte Arm von Glocester – hackte Marat mit einer kurzen, stumpfen Feder auf einem robusten Papiere, auf einem von jenen Papieren, die man damals in Holland fabricirte, und die zwei bis drei Lagen Durchstriche aushalten konnten.

Viele Bücher waren vor ihm geöffnet; mehrere auf antike Weise aufgerollte Manuscripte lagen auf der Erde.

Dieser spartanische Schriftsteller ließ überall die dürftige Industrie des kleinen Bureaukraten sehen: Federmesser mit Bindfaden zusammengeflickt, Schreibzeug abgestoßen wie die Vasen von Fabricius, verkrümmte und zernagte Federn einen Monat Dienst bezeichnend, Alles war in Harmonie um Marat; dabei eine Oblatenschachtel von geschwärztem Papier; als Streubüchse eine offene und zu drei Vierteln leere hornene Tabaksdose; als Schrenzblatt das Tabakstuch von grobem Rouener Zeug mit großen blauen Vierecken.

Marat hatte seinen Tisch weit vom Fenster in eine Ecke des Zimmers gestellt. Er wollte nicht zerstreut, nicht einmal durch die Sonne erfreut sein; er wollte nicht, daß die zwischen den Spalten der Steine wachsenden Grashalme mit ihm von der Welt sprächen; er wollte nicht, daß die auf seiner Fensterlehne flatternden Vögel mit ihm von Gott sprächen.

Die Nase auf seinem gelben Papiere, wenn er schrieb, das Auge auf einer alten Tapete, wenn er dachte, genoß er keine andere Zerstreuung bei der Arbeit, als die Arbeit selbst; die ganze Freude des Schriftstellers, der ganze Luxus seines Schaffens waren ihm nicht nur unbekannte, sondern auch gleichgültige Dinge.

Bei ihm schien das Wasser jedem andern Bedürfnisse als dem des Durstes fremd.

Marat war einer von jenen cynischen Dichtern, welche die Muse mit schmutzigen Händen um ihre Gunst bitten.

Bei dem Geräusche, das der sonore Husten von Danton hervorbrachte, als er in das Zimmer von Marat eintrat, wandte sich dieser um, und den erwarteten Gast erkennend, machte er mit der linken Hand ein Zeichen, das für seine rechte Hand um Erlaubniß bat, den angefangenen Satz vollenden zu dürfen.

Doch dieser Satz war nicht rasch vollendet, wie Danton bemerkte.

»Wie langsam schreiben Sie!« sagte er; »das ist seltsam bei einem lebhaften, mageren Manne wie Sie. Ich hätte geglaubt, Sie seien ganz Ungeduld, ganz nervös, und ich sehe Sie Ihre Gedanken Buchstaben um Buchstaben an einander reihen, als ob Sie beauftragt wären, für irgend eine Schule ein kalligraphisches Musterblatt zu machen.«

Doch ohne aus der Fassung zu kommen, führte Marat seine Zeile vollends aus, wobei er sich indessen die Mühe nahm, mit der linken Hand Danton ein zweites Zeichen zu machen; dann, nachdem er geendigt hatte, drehte er sich um und reichte beide Hände seinem neuen Freunde mit einem Lächeln, das den finsteren Rictus seiner schiefen Lippen öffnete.

»Ja, es ist wahr,« sagte er, »heute schreibe ich langsam.«

»Wie, heute?«

»Setzen Sie sich doch!«

Danton, statt einen Stuhl zu nehmen, wozu man ihn eingeladen, näherte sich dem von Marat, stützte sich auf die Lehne, so daß sein Blick den Schreibtisch und denjenigen, welcher davor saß, umfaßte, und fragte noch einmal:

»Warum heute? haben Sie Tage der Geschwindigkeit und Tage der Indolenz wie die Boas?«

Marat ärgerte sich nicht über die Vergleichung; sie hatte nur Schmeichelhaftes: Viper wäre unhöflich gewesen: die Vergleichung verkleinerte Marat; aber Boa! diese Vergleichung vergrößerte.

»Ja, ich begreife,« erwiederte Marat, »und meine Worte bedürfen der Erklärung. Ich habe verschiedene Manieren, zu schreiben,« fügte er mit einer leichten Geckerei bei; »schreibe ich, was ich heute schreibe, so ist meine Feder langsam; sie gefällt sich darin, die feinen Züge und die fette Schrift zu studieren, die Punkte und die Beistriche liebkosend zu behandeln; sie gefällt sich darin, zugleich das Wort und den Gedanken zu sagen, den Augen die Gefühle des Herzens zu malen.«

»Was Teufels sagen Sie mir da?« rief Danton ganz erstaunt über diese Sprache; »ist es wirklich Herr Marat in Fleisch und Knochen, der mit mir spricht, oder sollte es nicht der Schatten von Herrn von Voiture oder von Fräulein von Scudéry sein?«

»Ei! ei!« versetzte Marat, »Collegen!«

»Ja, aber keine Muster . . .«

»Was die Muster betrifft, – ich kenne nur eines: das ist der Zögling der Natur, es ist der Schweizer Philosoph, es ist der treffliche, der erhabene, der unsterbliche Verfasser von Julie.«

»Jean Jacques?«

»Ja, Jean Jacques . . . Dieser schrieb auch langsam, dieser gab auch seinem Gedanken Zeit, vom Gehirne niederzusteigen, sich in seinem Herzen aufzuhalten und sich sodann auf dem Papiere mit der Tinte seiner Feder zu verbreiten.«

»Es ist also ein Roman, was Sie schreiben?«

»Ganz richtig,« sagte Marat, indem er sich in seinem Strohfauteuil zurückwarf und sein tiefes Auge unter seinem matten, gelben, tausendfältig gerunzelten Lide erweiterte, »ein Roman!«

Und seine Stirne faltete sich wie bei einer schmerzlichen Erinnerung.

»Vielleicht sogar eine Geschichte,« fügte er bei.

»Ein Sittenroman? ein historischer Roman?« fragte Danton; »ein . . .«

»Ein Liebesroman.«

»Ein Liebesroman?«

»Ja wohl; warum nicht?«

Bei diesem warum nicht konnte der Riese seinen Ernst nicht behaupten: er schmetterte gleichsam mit einem unverschämten Blicke den schmierigen, ungestalteten Pygmäen nieder, klatschte in seine breiten Hände und ließ seiner Heiterkeit freien Lauf.

Doch wider alles Erwarten ärgerte sich Marat nicht; er schien sogar nicht einmal das unschickliche Gelächter von Danton zu bemerken; sein Auge senkte sich im Gegentheile auf das Manuscript und tauchte sich gerührt und träumerisch darein. Dann, nachdem er mit leiser Stimme ein paar lange Sätze gelesen, stieg sein Blick wieder zu Danton empor, der nicht mehr lachte.

»Verzeihen Sie, wenn ich lache,« sagte dieser; »doch Sie begreifen, ich finde einen Romanendichter, und zwar einen sentimentalen Romanendichter, wie es scheint, da, wo ich einen Gelehrten suchte; ich glaubte, ich habe es mit einem Physiker, mit einem Chemiker, mit einem Experimentenmacher zu thun, und ich finde einen Seladon, einen Amadis, einen Percerose.«

Marat lächelte, antwortete aber nicht.

»Man hat mir von einigen Büchern von Ihnen gesagt,« fuhr Danton fort; »ja, Guillotin sprach davon; obgleich er behauptet, Sie täuschen sich, schätzt er sie sehr, selbst mit ihren Irrthümern; doch das sind wissenschaftliche Werke, philosophische Werke und nicht Werke der Einbildungskraft.«

»Ach!« erwiederte Marat, »oft ist beim Schriftsteller die Einbildungskraft nur Gedächtniß, und derjenige scheint zu componiren, welcher nur erzählt.«

Danton, obwohl scheinbar ziemlich oberflächlich, war nicht der Mann, um einen tiefen Gedanken fallen zu lassen. Es dünkte ihm gut, das, was Marat gesagt hatte, zu ergründen, und er schickte sich an, den ganzen geheimnißvollen Sinn daraus zu ziehen, der darin verborgen sein konnte, als Marat rasch von seinem Stuhle aufstand, seinen ungeordneten Anzug ein wenig zurecht richtete, und zu ihm sagte:

»Lassen Sie uns frühstücken; wollen Sie?«

Und er ging in den Corridor, um die Köchin zu benachrichten, es sei Zeit, aufzutragen.

Danton, als er allein war, senkte rasch die Augen auf das Manuscript; es war betitelt: Abenteuer des jungen Grafen Potocky; der Held hieß Gustav und die Heldin Lucilie.

Sodann, da er diese Indiscretion begehend überrascht zu werden befürchtete, kehrte sein Blick vom Manuscripte zum Uebrigen des Cabinets zurück.

Eine abscheuliche grau und rothe Tapete, Karten an der Wand, Zitzvorhänge an den Fenstern, zwei Vasen von blauem Glase auf dem Kamine, eine wurmstichige Truhe von altem Eichenholz, dies war das Ameublement des Cabinets von Marat.

Die schöne Sonne des Frühlings, die heiße Sonne des Sommers brachten diesem Zimmer nichts Lebendiges oder Heiteres. Man hätte glauben sollen, sie möge nicht hier eintreten, sicher, sie werde weder eine Pflanze finden, um sie aufgehen zu machen, noch eine geglättete Oberfläche, um sie glänzen zu machen.

Als Danton sein Inventar vollendete, trat Marat wieder ein.

Er trug ein Ende des völlig servirten Tisches, die Köchin trug das andere Ende.

Man stellte diesen Tisch mitten ins Cabinet; die Köchin rückte den Strohstuhl von Marat daran und ging wieder hinaus, ohne sich um den Fremden zu bekümmern.

Danton hoffte, sein Freund werde die Frage der Entschuldigungen nicht in Angriff nehmen: er täuschte sich.

»Ah!« sagte Marat, »ich gebe nicht zweitausend vierhundert Livres für mein Frühstück aus.«

»Bah!« entgegnete heiter Danton, »gäben Ihnen Ihre Verleger hundert Louis d'or für einen Band Roman, und Sie machten einen Band in der Zeit, in der ich eine Consultation ertheile, so würden Sie wohl eine Cotelette Ihrem gewöhnlichen Essen beifügen.«

Marat reichte ihm den Teller.

»Sie sagen mir das, weil Sie sehen, daß wir nur,zwei Cotelettes haben, und weil Sie finden, das sei wenig; essen Sie zufällig mehr als zwei Cotelettes?«

»Und Sie?« fragte Danton.

»Oh! ich,« erwiederte Marat, »ich esse nie Fleisch des Morgens; ich könnte nicht mehr arbeiten.«

»An Romanen?« versetzte Danton, dieses Genre von Literatur, das Marat so schwer dünkte, leicht behandelnd; »was sagen Sie!«

»Allerdings, an Romanen . . . Oh! handelte es sich darum, einen politischen Artikel zu schreiben, so möchte ich lieber Blut genug in den Augen haben, um roth zu sehen, und in diesem Falle würde ich gern Fleisch essen, um mich aufzuregen; doch der Roman, oh! der Roman, das ist etwas Anderes: das schreibt sich weder mit dem Magen, noch mit dem Kopfe; das schreibt sich mit dem Herzen! Man muß nüchtern sein, mein bester Herr, um Roman zu schreiben.«

 

»Ah! Sie sind ein Liebesritter mit der Feder, mein Bester!« sprach Danton.

Und er reichte den Teller Marat.

»Behalten Sie die zwei Cotelettes, sage ich Ihnen,« versetzte dieser.

»Ich danke!« erwiederte Danton, »bekümmern Sie sich nicht um mich; ich glaube immer, wie Gargantua, nichts kann meinen Hunger stillen, und esse ich eine von Ihren Cotelettes, so wird es Alles sein.«

Danton fühlte sich in Wahrheit nicht mehr durch den Anblick des Tisches angezogen, als er es durch die Gerichte oder die Gesellschaft war.

Ausgebrochene Fayenceteller; abgenutzte silberne Bestecke; Löffel, welche schnitten, Gabeln, die nicht stachen; grobe Servietten von ungebleichter Leinwand, rauh an der Haut; graues Salz mit dem Cylinder einer Flasche zerrieben und in einer Untertasse von Pfeifenerde liegend; ein dicker Wein in der benachbarten Schenke aus dem Fasse gezapft; Alles dies war, man wird es zugestehen, kein sehr Appetit erregendes Mahl für den prunkliebenden Freund von Herrn de la Reyniére.

Danton knaupelte auch Alles mit stolzem Zahne, wie die Ratte von Horaz, und das Gespräch fortsetzend, indeß Marat langsam seinen Milchkaffee zu sich nahm, den er fast ganz mit den Brodschnitten auftunkte, sagte er:

»Man gibt Ihnen also die Wohnung hier?«

»Ja, ich bin vom Hause des Prinzen,« erwiederte Marat.

Und er sprach das Wort Prinz aus, als ob es ihm die Lippen geschunden hätte.

»Aurea medioeritäs!« versetzte Danton brutal.

Marat lächelte mit seinem seltsamen Lächeln.

»Das ist ein Hafen nach dem Sturme,« sprach er, »und jeder Hafen scheint dem Matrosen gut, der mit dem Schiffbruche gekämpft hat.«

»Wahrhaftig, mein lieber Herr Marat, Sie sind heute wie ein Trappist. . . Man sollte glauben, Sie haben Kummer oder Gewissensbisse . . . In der That, ich sehe Sie Romane schreibend, ich sehe Sie satt, ich sehe Sie die Sonne fliehend . . .«

»Gewissensbisse!« rief Marat, Danton unterbrechend. »Gewissensbisse, ich? ich, der ich die Seele eines Lammes habe? . . . Nein, mein Gast, nein . . . glücklicher Weise habe ich keine Gewissensbisse! . . .«

»Kummer also?«

»Ah! Kummer, ja, das ist möglich . . . Kummer, das leugne ich nicht! . . . Jeder empfindsame Mensch kann Kummer haben; jeder starke Mensch kann sich erlauben, ihn zu offenbaren.«

Danton setzte auf eine derbe Weise seine Ellenbogen auf den Tisch, stützte sein breites Kinn in die Höhlung feiner beiden Hände, und sprach mit einer Stimme, deren Härte er ironisch milderte:

»Ich komme auf das zurück, was ich vorhin sagte: der Gelehrte ist kein Gelehrter, der Philosoph ist kein Philosoph, der Publicist ist kein Politiker, oder, besser gesagt, alle diese Fähigkeiten sind in die Haut eines Verliebten genäht!«

Und als er diesen Satz vollendet hatte, punktirte ihn Danton, den der Gedanke des verliebten Marat maßlos zu ergötzen schien, mit einem hochmütigen Gelächter; nichts konnte natürlicher sein, wenn man bedenkt, daß es aus dieser Riesenbrust kam, daß die furchtbaren Ellenbogen des Riesen den Stützpunkt dieses Pygmäen erschütterten, den mit seinen dicken Lippen und seinen großen Zähnen der Lacher auf einen Bissen zu verschlingen schien; wenn man endlich bedenkt, daß der Eine, der freche Hercules war, der die Deianira fesselt, während der Andere kroch einem Käfer ähnlich, welcher sich schämt, daß er seine Flügel verloren.

XI
Was Marat im Jahre 1788 war

Marat wollte sich indessen nicht lange im Verdachte der Schwäche gehalten oder der Unmacht beschuldigt sehen ; er hatte die Eitelkeit, die sich gewöhnlich bei jedem Menschen findet, der nicht fünf Fuß überschreitet, das heißt, eine unbändige Eitelkeit.

»Verliebt!« antwortete er Danton, »und warum nicht?«

Und indem er diese Worte sprach, schlug er auch mit der Faust auf den magern Tisch, und der Stoß scholl fast so laut, als er es unter der Faust des Riesen gethan hatte. Der Zorn steht zuweilen auf einer Stufe mit der Stärke.

»Verliebt!« fuhr er fort, »ja, ich bin es gewesen, und wer weiß? ich bin es vielleicht noch! . . . Ah! lagen Sie! Wahrhaftig, mein lieber Coloß, sollte man nicht glauben, Gott habe den Riesen allein das Monopol der menschlichen Regeneration gegeben, und man müsse Ihre Gestalt haben, um sein Geschlecht fortzupflanzen? Haben wir nicht den Walisisch und die Blicke, den Elephanten und die Milbe, den Adler und den Königsvogel? haben wir nicht die Eiche und den Isop? befruchtet in allen Reichen der Monstruose mehr, als der Mittelmäßige oder der Kleine? Was will Liebe in natürlicher und philosophischer Sprache besagen? Nützliches Vergnügen! Geben wir der Seele davon Alles, was der Seele zukommt, lassen wir aber dem Leibe, was er immer davon zu nehmen weiß. Ich habe anderswo als in den Fabeln von Aesop oder la Fontaine die Liebschaften der Ameisen und der Blattläuse gesehen; es gibt Liebschaften von Atomen, und erfände man ein gutes Mikroskop, so gäbe es sicherlich Liebschaften von Unsichtbaren . . . Entschuldigen Sie also, mein lieber Mikromegas, entschuldigen Sie das Atom Marat, entschuldigen Sie den unsichtbaren Marat, daß er verliebt gewesen ist.«

Und diese Worte sprechend, war Marat leichenbleich geworden, seine hervorspringenden Backenkochen ausgenommen, zu denen das Blut emporgestiegen; zu gleicher Zeit hatte das Fieber zwei Kohlen in seinen Augen entzündet, und seine Nerven bebten, wie Lyrasaiten durch den Sturm ins Spiel gebracht. Man sagt, jede Schlange werde schön in der Liebe: das Axiom muß wohl wahr sein, da Marat in der Erinnerung an seine Liebe beinahe schön geworden war; – schön freilich, wie Marat schön werden konnte, nämlich schön von Häßlichkeit!

»Oh! sachte! sachte, mein Verliebter!« rief Danton, als er diese plötzliche Exaltation wahrnahm; »wenn Sie sich so vertheidigen, ehe ich Sie angegriffen, so werden Sie mir das Recht geben, Sie anzugreifen, nachdem Sie sich vertheidigt. Ich mache Ihnen nicht die Fähigkeit, verliebt zu sein, streitig!«

»Nein, doch Sie machen mir das Recht hierzu streitig,« erwiederte Marat mit schwermüthigem Tone. »Ah! ich verstehe Sie wohl, Danton! Sie schauen mich an, und Sie sagen sich: »»Marat ist klein; Marat ist ganz zusammengeschrumpft, wie ein Thier, welches man das Feuer hat sehen lassen; er hat rothe Augen mit einem schwarzen Punkte, dem jedes Licht einen fahlen Reflex zuwirft; er ist knochig, und feine verkrümmten Knochen sind schlecht bekleidet durch das bisschen Fleisch, das daran hängt; diese Knochen durchbohren da und dort die Hülle in einer Richtung, welche Gott nicht für die Entwickelung der Säugethiere bezeichnet hat; Marat hat kahle Schläfe und flache Haare; seine Haare sehen aus, als wären sie abgenutzt wie die Mähne eines alten Rosses, das die Mühle gedreht hat; seine Stirne ist zurücklaufend; seine Nase biegt sich rechts um, eine gemeine, schmähliche Abweichung von der adeligen Linie; er hat spärliche, wackelige Zähne; er hat dürre, haarige Glieder; es ist eine häßliche Varietät von der Gattung homo, die Plinius und Buffon beschreiben.«« Das ist es, was Sie sich sagen, indem Sie mich sehen, und Sie fügen bei: »»Wie, in dieser zurücklaufenden, gedrückten Stirne sollte der Gedanke bequem bleiben? wie, aus diesem krankhaften, schmählichen Leibe sollte die sympathetische Ausströmung hervorgehen, welche die Träumerei im Herzen der Frauen sich erschließen macht, dieser thierische Magnetismus, der ihnen das Verlangen in den Körper gibt? wie sollte dieser unglückliche Ungestaltete das repräsentieren, was das höchste Wesen in das große Ganze gelegt hat, um es zu schmücken, zu erwärmen, zu beleben? wie sollte er, und wäre es nur für ein Hundertmilliontheilchen, die physische Liebe oder die moralische Liebe repräsentieren?«« Gestehen Sie, daß Sie sich das gesagt haben, oder daß, wenn Sie es auch nicht auf eine so absolute Weise ausdrücken, Ihre Colosseninstincte, Ihr Riesenbewußtsein Sie zu der Vergleichung antreiben und Ihre Lachmuskeln – die risorii – erregen, wenn ich Ihnen sage, ich sei verliebt gewesen.«

»Aber, mein Lieber,« erwiederte Danton, betäubt durch diese Woge gedrängter und wie eine steigende Flut sich folgender Argumente.

»Lachen Sie nicht, es lohnt sich nicht der Mühe: ich bin mehr Ihrer Ansicht, als Sie selbst. Mir scheint, ich habe Ihnen so eben ein Portrait von mir ohne alle Eitelkeit gemalt.«

»Oh! sehr wenig geschmeichelt!«

»Nein, ähnlich! Mein Spiegel ist nicht groß; nichtsdestoweniger genügt er, um mein Gesicht wiederzugeben, und dieses Gesicht, ich weiß es, ist das eines wenig für die Liebe gemachten Geschöpfes . . . »»Aber,«« werden Sie mir sagen, nun, da Sie in der Reaction sind, »»daß man häßlich ist, ist kein Grund, nicht zu lieben: das Herz ist immer schön!«« und tausend andere Aphorismen, welche die Dummköpfe befriedigen würden; doch wir sind nicht dabei, und ich meinerseits werde weiter gehen als Sie; ich werde Ihnen sagen: »»Derjenige hat das Recht, Liebe einzuflößen, welcher schön, stark, gesund und verständig auf die Welt gekommen ist; die wahre Leidenschaft, die befruchtende Leidenschaft, diejenige, der die Natur bedarf, gedeiht schlecht in einem schiefen Körper; eine gerade Klinge hält nicht in einer verkrümmten Scheide!«« Ich sage das, und dennoch füge ich bei: »»Ich bin verliebt gewesen, und ich hatte das Recht, verliebt zu sein.««

Da neigte sich Danton, jeden Spott beiseit lassend, gegen Marat, als wollte er ihn besser sehen, als wollte er ihn sorgfältiger betrachten; einige Momente studierte er ihn stillschweigend mit dem tiefen Blicke eines aufmerksam gemachten Mannes und eines verständigen Mannes.

»Ja, suchen Sie wohl,« sagte Marat traurig, »suchen Sie wohl unter dem Skelett, da man es so deutlich sieht; suchen Sie unter der Zusammenziehung der Muskeln und der Nerven, unter der Abweichung der Knochen die ursprüngliche Construction, suchen Sie unter der reducirten Form des Batrachiers . . . der Kröte, – ich verbessere mich, weil Sie genug schöner Mann sind, um das Griechische nicht zu verstehen,– suchen Sie den Apoll vom Belvedere, den jeder Anatom in der zwanzigsten Generation mit ein wenig Geduld, Zeichnung und Elasticität daraus zu ziehen weiß. Finden Sie ihn? Nein, nicht wahr? Nun wohl, Sie haben Unrecht, mein Lieber: der Apoll fand sich darin, allerdings nicht lange, doch er fand sich darin: das matte, leere Auge von Marat war ein lebhaftes und reines Auge mit glatten, frischen Lidern; die unter den schmutzigen Haaren eingedrückte Stirne war eine poetische Stirne, offen für die duftenden, frühlingsartigen Liebkosungen; der schwindsüchtige, verkrümmte, haarige Körper war ein Endymionstorso, weiß, fest, feucht und frisch. Ja, – nicht wahr, das ist unglaublich? Und dennoch ist es so! ich hatte ein elegantes Bein, einen feinen Fuß und eine schmale Hand; meine Zähne haben den Kuß sinnlicher Lippen herbeigerufen, »das scharfe Gebiß,« wie Jean Jacques sagt; ich bin schön gewesen, ich habe Geist gehabt, ich habe Herz gehabt! Ist das genug, antworten Sie, um mich zu berechtigen, daß ich sage, ich sei verliebt gewesen?«

Danton richtete den Kopf auf, streckte eine Hand gegen Marat aus, ließ die andere an seinem Schenkel herabfallen, und murmelte wie verblüfft mit einer Geberde, welche das aufrichtigste Erstaunen ausdrückte:

»Wahrhaftig!«

»Es ist, wie ich Ihnen zu sagen die Ehre habe,« antwortete ironisch Marat, dessen Philosophie, so groß sie sein mochte, unwillkürlich für die Impertinenz dieses Erstaunens empfindlich war.

»Es ist Ihnen also etwas dem, was Scarron geschah, Aehnliches widerfahren?«

»Mit Federn bedeckt in einen eiskalten Fluß gefallen und gelähmt durch Rheumatismen herausgekommen zu sein? Ja; nur bin ich glücklicher gewesen, als Scarron; ich habe mich mit meinen Beinen herausgezogen; sie sind allerdings verkrümmt, doch so, wie sie sind, bediene ich mich derselben fortwährend. Ich wollte sagen, ich sei nicht ganz und gar kreuzlahm, wie es der arme Couthon in einem Jahre sein wird. Freilich ist Couthon schön, und ich bin häßlich; das gibt eine Ausgleichung.«

»Ich bitte, Marat, spotten Sie nicht, und erklären Sie mir Ihre Metamorphose.«

»Ah! in diesem Falle werde ich Ihnen viel erklären müssen, mein lieber schöner Mann,« sprach Marat mit seiner einschneidenden Stimme, »ich werde Ihnen sagen müssen, wie sanft, unschuldig, gut ich war . . .«

»Wahrhaftig!«

»Wie sehr ich Alles liebte, was glänzt, Alles, was tönt, Alles, was duftet . . . das heißt, wie sehr ich die Kriegsleute liebte, glänzende Helden . . . wie sehr ich die Dichter und die Schönredner liebte, tönende Mühlen . . . wie sehr ich die Frauen und die Aristokraten liebte, duftende Puppen . . .«

 

»Und besonders, nicht wahr? Sie werden mir sagen, wie Sie dazu gekommen sind, Alles zu hassen, was Sie liebten . . .«

»Ja, Alles, was ich nicht mehr habe . . . Doch wenn ich Ihnen das gesagt haben werde, sprechen Sie, wozu wird Ihnen meine Erzählung dienen?«

»Mir zu beweisen, daß Ihr Wort von vorhin kein leeres Zurückwerfen der Luft follicitirt durch die Bewegung Ihrer Zunge ist.«

»Welches Wort?«

»Das, welches mir am meisten unter denen, die Sie sagten, aufgefallen ist, seitdem ich das Vergnügen habe, mit Ihnen zu sprechen: »»Die Einbildungskraft des Schriftstellers ist oft nur Gedächtnis««

»Ah! dieses Wort ist Ihnen aufgefallen?« versetzte Marat mit einem Lächeln der Befriedigung; »das Wort ist in der That gut construirt, nicht wahr? ja, gut gekommen, in einem Athem und aus einem Geiste, so wie ich selbst war, ehe ich war, was ich bin.«

Und er stand auf, holte seine gewalkten Pantoffeln schleppend seine Feder, schrieb den Satz quer auf ein Stück Papier, nahm von seinem Schreibtische das Manuscript der Abenteuer des jungen Grafen Potocky, und kam dann zu Danton zurück, der sich in einen Lehnstuhl setzte und sich darin ausbreitete auf die Gefahr, das wurmstichige Holzwerk zerspringen zu machen.

»Wissen Sie, was ich zuerst thun müßte?« sagte Marat.

»Ich wette,« erwiederte Danton fast erschrocken, »Sie haben Lust, mir dieses ungeheure Manuscript vorzulesen?«

»Wetten Sie! Sie werden gewinnen . . .«

»Teufel! ein polnischer Roman!«

»Wer hat Ihnen das gesagt?«

»Ich habe den Titel gelesen.«

»Doch . . .«

»Der junge Potocky . . . wären Sie das vielleicht?«

»Wer weiß?«

»Und diejenige, in welche Sie verliebt waren, hatte sie Lucilie geheißen?«

»Vielleicht.«

»Das sind Briefe wie in der Neuen Heloise?« fragte Danton immer mehr erschrocken.

Marat erröthete; diese Anspielung auf den Roman von Rousseau schien ihm die Beschuldigung eines Plagiats zu sein.

»Es gibt mehr als einen Originalschriftsteller in derselben Sprachform.«

»Ich klage Sie nicht an, mein lieber Romanendichter! erzürnen Sie sich also nicht zur Unzeit; nur wäge ich mit den Augen diesen Band; ich finde ihn schwer hinsichtlich der Zeit, die wir mit einander zuzubringen haben, und ich sage mir, was die Abenteuer des jungen Potocky betreffe, so werde ich Geduld haben, um zu warten; während ich, um die Abenteuer von Marat zu erfahren, in einem Striche nach Warschau oder Krakau gehen werde . . . Ah! Sie haben Reisen gemacht?«

»Ja wohl!«

»Sie sind in London, in Edinburgh gewesen, Sie haben, glaube ich, sogar in England Ihr erstes Buch herausgegeben?«

»In England, und zwar in englischer Sprache . . . ja, die Ketten der Sklaverei

»Das ist nicht Alles; Sie haben auch im Norden gelebt?«

»In Polen, ja.«

»Nun wohl, ich bitte Sie inständig, lassen Sie mich nicht schmachten! . . . Ich sagte Ihnen gestern nach Ihrer Rede: »»Sie haben viel leiden müssen! Sie drückten mir die Hand und antworteten: »»Frühstücken Sie morgen mit mir.«« Ich bin nicht gekommen, um zu frühstücken: ich bin gekommen, um zu hören, was Sie stillschweigend mir zu sagen versprochen haben. Nun wohl! hier bin ich; ich will den alten Menschen kennen lernen: lüften Sie den Schleier, der ihn vor mir verbirgt! Was den gegenwärtigen Menschen betrifft, – ich bin unbesorgt, Frankreich wird ihn kennen!«

Marat dankte Danton durch eine mehr beredte, als edle Geberde; diese Conversationsschmeichelei, er allein konnte ihre Bedeutung ermessen und finden, sie sei nach der Rechnung seines Stolzes nicht übertrieben.

Danton seinerseits hätte sich dieselbe vielleicht nicht entschlüpfen lassen, hätte er im Jahre 88 das Jahr 93 errathen.

Die Schmeichelei eines großen, starken Mannes war für Marat Befehl; er schickte sich also an, wie die Helden von Homer zu erzählen, und Km seinem Gedächtnisse Zeit zu lassen, ihm die ersten Kapitel zu liefern, und seine heisere Stimme geschmeidig zu machen, trank er aus der abgestoßenen Tasse den Rest der kalt gewordenen Milch, welche Danton zu nehmen verachtet hatte. Er trank wie die Katzen oder wie die Füchse, indem er schief schaute, während er trank, und man sah die Arterie seiner Schläfe beben bei jedem Einsaugen des Trankes.

Als die Tasse leer war, wischte er seine weiß gewordenen Lippen mit der verkehrten Hand ab, strich mit dieser schwarzen, fettigen Hand über feine rebellischen Haare und fing an.

Danton wählte einen Platz zwischen den zwei Fenstern, um keine Bewegung von der Physiognomie des Erzählers zu verlieren. Marat aber, ergründete er nun diese Absicht oder wurden seine Augen durch das Licht verletzt, zog die Vorhänge zu und begann die Erzählung in einem Halbschatten, der Danton durchaus nicht so günstig war, als es das helle Tageslicht gewesen wäre.

Da man sich aber ergeben mußte, so schloß Danton die Augen und öffnete die Ohren: er suchte durch das Gehör zu gewinnen, was er durch das Gesicht verloren hatte.